Theologie der Caritas

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Ist nun das empirisch-humanwissenschaftliche Verständnis von Korrelation anwendbar auf die beiden genannten Hilfe-Beziehungen, sodass sich diese in einem nicht als kausal nachweisbaren Sinn korrelativ zueinander verhalten würden? Das wäre nur dann der Fall, wenn ihr strukturanaloges Verhältnis zueinander im philosophischen Sinn dieses Wortes kontingent, d.h. nicht notwendig wäre. Das kann es aber nicht sein, weil der christlich motivierte Helfer bzw. die Helferin durch die Hilfebeziehung Jesu Christi dazu bewegt und befähigt wird, selbst Helferin bzw. Helfer im Geiste Christi zu werden, weil also die Hilfebeziehung Jesu Christi kausal für die christliche Qualität der Hilfe-Beziehung des christlich motivierten Helfers bzw. der christlich motivierten Helferin ist. In diesem humanwissenschaftlichempirischen Sinne des Wortes „Korrelation“ können daher die beiden Hilfebeziehungen vernünftigerweise nicht als korrelativ zueinander verstanden werden.

Anders verhält es sich jedoch mit dem Merkmal der Kompatibilität beider HilfeBeziehungen zueinander. Miteinander kompatibel, d.h. auch nach der Sprachregelung Heinrich Pompeÿs, widerspruchsfrei und gegensatzlos miteinander vereinbar, sind beide Hilfebeziehungen uneingeschränkt, sodass die eine – diejenige Jesu Christi – durchaus begründend im Sinne von ermöglichend und nicht nur motivierend werden kann für die andere, rein zwischenmenschliche Hilfebeziehung. Damit ist das formale Kriterium der Widerspruchsfreiheit zwischen beiden Hilfebeziehungen festgehalten, das eine notwendige formale Bedingung für ihr strukturanaloges Verhältnis zueinander darstellt.

4. Zu Heinrich Pompeÿs Verständnis einer strukturontologischen Analogie zwischen der menschlichen Schöpfungsordnung und der Erlösungsordnung

An diesem Punkt unserer Überlegungen über die beiden Hilfebeziehungen müssen wir allerdings noch einmal auf das zurückkommen, wofür diese beiden Beziehungsarten nach Auskunft Heinrich Pompeÿs exemplarisch stehen: Die Hilfebeziehung Jesu Christi soll für die Erlösungsordnung, die rein zwischenmenschliche Hilfebeziehung soll für die Schöpfungsordnung stehen. Handelt es sich nämlich bei der Hilfebeziehung Jesu Christi um eine zumindest auch übernatürliche Relation, sofern an ihr die göttliche Natur des Gottessohnes beteiligt ist, so handelt es sich bei der zwischenmenschlichen Hilfebeziehung um ein gleichsam natürliches Verhältnis zwischen zwei oder mehr menschlichen Personen. Die beiden Hilfebeziehungen werden von Heinrich Pompeÿ ontologisch als zwei Ereignisse bzw. Geschehnisse verstanden. Denn nur dann ist das Verhältnis einer strukturontologischen Analogie zwischen geschichtlichen Ereignissen auf sie anwendbar.

Hier aber ergeben sich m.E. die folgenden Anfragen an das Konzept Heinrich Pompeÿs:

Wie kann es möglich sein, dass eine Hilfebeziehung zur Schöpfungsordnung, eine andere Hilfebeziehung aber zur Erlösungsordnung gehören soll? Nun könnte man auf diese Frage antworten, dass jene Hilfebeziehung, die durch Jesus Christus konstituiert wird, den völlig einmaligen Ausnahmefall einer gottmenschlichen, d.h. einer zumindest auch übernatürlichen, Hilfebeziehung darstellt und deshalb zur Erlösungsordnung und nicht zur natürlichen Schöpfungsordnung gehört. Aber beide Hilfebeziehungen sollen und müssen doch geschichtliche Ereignisse bzw. Geschehnisse gemäß ihrem strukturanalogen Verhältnis zueinander sein. Dann aber hätten wir das geschichtliche Ereignis der Hilfebeziehung Jesu, das der Erlösungsordnung angehört, und das ebenfalls geschichtliche Ereignis einer rein zwischenmenschlichen Hilfebeziehung, das der Schöpfungsordnung bzw. der Natur angehören soll. Diese Zugehörigkeit der zwischenmenschlichen Hilfebeziehung zur Schöpfungsordnung verträgt sich allerdings prima facie nicht mit seinem geschichtlichen Charakter, weil geschichtliche Ereignisse zumindest im Hinblick auf ihre freie Verursachung nicht zur unverfügbar vorgegebenen Natur qua Schöpfungsordnung gehören; es sei denn, dass auch die Freiheit des Menschen und seine geschichtlichen Handlungen als zu dieser Schöpfungsordnung gehörig betrachtet werden.

Genau dieses weite, umfassende Verständnis von Schöpfungsordnung scheint daher auch der Ansatz Heinrich Pompeÿs zu vertreten. Dadurch wird es ihm allererst möglich, eine Strukturanalogie zwischen Natur bzw. Schöpfung und Erlösung anzunehmen, z. B. im Verständnis erfüllter menschlicher Gemeinschaft und göttlicher Trinität, sowie allgemein von Bio-, Sozio- und Psycho-Logik einerseits und von Theo-, Christo- und Soterio-Logik andererseits. Dabei besteht allerdings die grundsätzliche Schwierigkeit, sowohl die biologischen, psychologischen und soziologischen Daten des Menschen als auch die theologischen, christologischen und soteriologischen Daten des christlichen Glaubens allesamt als geschichtliche Ereignisse auffassen zu müssen, um zwischen ihnen eine strukturontologische Analogie behaupten zu können. Dies aber dürfte sowohl in Bezug auf die biologischen (Grund-) Daten des menschlichen Lebens als auch in Bezug auf die göttliche Natur des Gottmenschen sowie seines göttlichen Vaters und seines göttlichen Geistes, d.h. in Bezug auf die göttliche Trinität im Ganzen, nicht möglich sein. Daran aber können wir die Grenzen der Anwendbarkeit des strukturontologischen Analogiemodells feststellen, welches zwar für eine analoge Verhältnisbestimmung zwischen geschichtlichen Ereignissen passend und geeignet, für eine analoge Verhältnisbestimmung zwischen ungeschichtlichen Größen aber unangemessen und ungeeignet ist. Deshalb umfasst seine Reichweite auch nicht das ganze Feld der Natur bzw. der Schöpfungsordnung und auch nicht den übernatürlichen und übergeschichtlichen Bereich der Erlösungsordnung, sondern beide Ordnungen nur insofern und insoweit sie in den Bereich der menschlichen Geschichte hineinragen.

Wir können zweitens auch erkennen, dass eine strukturanaloge Verhältnisbestimmung zwischen Natur und Gnade, zwischen Schöpfungs- und Erlösungsordnung grundsätzlich ergänzungsbedürftig ist durch eine seinsanaloge Verhältnisbestimmung zwischen diesen beiden Wirklichkeitsbereichen, die ihrerseits sogar grundlegend ist für die Möglichkeit einer strukturanalogen Verhältnisbestimmung zwischen ihnen. Gleichwohl ist die Strukturontologie für den Vergleich zwischen den beiden genannten Hilfebeziehungen als Formen geschichtlicher Ereignisse grundsätzlich anwendbar und geeignet, sollte aber nicht übersehen, dass es sich dabei um strukturelle Beziehungen zwischen Akteuren handelt, zwischen denen auch eine seinsmäßige Analogie besteht, die ihrerseits eine ontologische Begründungsfunktion für die Möglichkeit struktureller Analogien zwischen Personbeziehungen mit- und zueinander besitzt.

Es bleibt also das uralte christliche soteriologische Axiom in beiden Fällen, d.h. sowohl für den ungeschichtlichen Anteil an der geschaffenen Natur als auch für die geschichtliche Wirklichkeit des Menschen, wahr, dass die göttliche Gnade die geschaffene Natur voraussetzt und diese vollendet. Die Welt menschlicher Geschichte einschließlich ihrer vielfältigen zwischenmenschlichen Hilfebeziehungen ist daher bzw. richtiger: sollte daher auch und nicht zuletzt ein strukturontologisches Analogat zum geschichtlichen Ereignis der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus darstellen. In diesem wesentlichen und entscheidenden Punkt seiner philosophischen Grundlegung verdient der caritastheologische Ansatz Heinrich Pompeÿs meines Erachtens ungeteilte Zustimmung. Was die Welt menschlicher Geschichte aber nicht sein kann, ist ein strukturontologisches Analogon zur Welt Gottes – weil nämlich „die Welt“ Gottes nicht von geschichtlicher Natur ist.

5. Zu Heinrich Pompeÿs strukturanaloger Verhältnisbestimmung zwischen der natürlichen und der christlichen Hilfebeziehung caritativer Praxis

Die von Heinrich Pompeÿ vertretene Auffassung des christlichen Glaubens als ein kommunikatives Beziehungsgeschehen zwischen Mensch und Gott sowie zwischen den Menschen untereinander ermöglicht es ihm, diese christlich qualifizierte Beziehungswirklichkeit in struktureller Analogie zu den gleichsam natürlichen kommunikativen Beziehungen zwischen Menschen zu betrachten und zu bestimmen. Für letztere aber ist nach dem breit rezipierten kommunikationswissenschaftlichen Modell von Watzlawick16 sowohl ein Inhalts- als auch ein Beziehungsaspekt konstitutiv. Im Ausgang von dieser Grundverfassung menschlicher Kommunikation hat nun die vergleichende Psychotherapieforschung einige psychologische Grundbedingungen für den Erfolg helfender und therapeutischer Beziehungen formuliert, die sich strukturanalog zu den entsprechenden Verhaltenseinstellungen einer christlichen Lebenspraxis und Hilfebeziehung verhalten.17 Bei diesen sog. „common factors“ handelt es sich im Einzelnen erstens um die Bedingungsfreiheit der offenen, positiv wertschätzenden und akzeptierenden Zuwendung des Psychotherapeuten zu seinem Patienten. Zweitens handelt es sich um eine empathische, einfühlsame und verstehende Einstellung der Personbezogenheit des Therapeuten gegenüber seinem Patienten, die es diesem ermöglicht, sich ihm zu öffnen und ihm seine Probleme mitzuteilen. Die dritte Basisbedingung einer gelingenden therapeutischen Hilfebeziehung ist die der Realitätsbezogenheit bzw. Authentizität der Persönlichkeit und des Verhaltens des Helfers gegenüber seinem Patienten, die es ihm ermöglicht, zur eigenen Selbstehrlichkeit, Selbstbejahung und Annahme unabänderlicher Lebensgegebenheiten zu finden.18

Diese drei psychologischen Basisbedingungen einer gelingenden, vertrauensvollen und helfenden Kommunikation erweisen sich nun aber als strukturanalog zu den biblisch überlieferten Bedingungen einer gelingenden und helfenden interpersonalen Kommunikation, wie Heinrich Pompeÿ überzeugend ausführt.19 Denn der Bedingungslosigkeit einer positiv wertschätzenden Zuwendung des Psychotherapeuten zu seinem Patienten sowie seiner empathischen Personbezogenheit entspreche in der neutestamentlichen Paränese die Aufforderung zu einem liebevollen, barmherzigen Verhalten insbesondere zum leidenden Nächsten in der Nachahmung der Liebe, Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes in Jesus Christus zu allen Menschen, besonders aber zu den Armen und Leidenden.20

 

Die Realitätsbezogenheit bzw. Authentizität des Psychotherapeuten finde in der Selbstübereinstimmung Jesu Christi, seiner Wahrheit und Wahrhaftigkeit ihr gleichsam protypisches Vorbild. Denn es gehe strukturanalog in einer helfenden Beziehung darum, die „Wahrheit in Liebe zu tun“ (Eph 4,15). Dabei seien Liebe und Barmherzigkeit gleichsam die „Sehbedingungen“ der Wahrheit, wie die empirische Kognitionspsychologie zeige, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der seelisch-emotionalen Befindlichkeit einer Person und ihrer Einsichtsfähigkeit in objektive Sachverhalte, d.h. der Wahrheitsfähigkeit ihres Erkennens, empirisch belege. Daher seien Wahrheit und Barmherzigkeit einander ergänzende Faktoren einer zielführenden, effektiven Diakonie.21

Auf diesem Hintergrund deutet Heinrich Pompeÿ die im paulinischen „Hohen Lied der Liebe“ in 1 Kor 12,31b – 13,13 formulierten Eigenschaften der vollkommenen Liebe als Hoch- oder Höchstanforderungen an eine christliche Hilfebeziehung, die eine strukturelle Analogie zu den sozial-psychologischen Erkenntnissen der Basisbedingungen einer gelingenden und hilfreichen Kommunikation besäßen, in der Praxis aber nur äußerst selten erreichbar seien. Dem können wir aus eigener Erfahrung nur zustimmen.22

6. Heinrich Pompeÿs beziehungstheologische Hermeneutik menschlichen Lebens, Leidens und Helfens sowie strukturanalog auch des Heilshandelns Gottes

Im Ausgang von seiner Grundauffassung des christlichen Glaubens als einer Beziehungswirklichkeit, die in der inneren, trinitarischen Selbstbeziehungshaftigkeit Gottes gründet, hat Heinrich Pompeÿ eine beziehungstheologische Hermeneutik von Leben und Leiden, d.h. eine theologische Deutung psychischer, sozialer und somatischer Gegebenheiten, entworfen, deren Grundzüge im Folgenden in der gebotenen Kürze genannt seien. Dabei geht Heinrich Pompeÿ von der Beobachtung aus, dass bereits das biologische Leben stets eine Beziehungswirklichkeit und als solche eine „Interaktion verschiedener Elemente“23 sei, „die selbst wieder aus Interaktionen verschiedener Elemente bestehen“24. Darüber hinaus besitze auch das psychosoziale Leben von Menschen miteinander einen interaktionalen, kommunikativen Charakter. Daher gelte: „Das grundlegende Faktum des Lebens ist also seine Beziehungs-,wirk‘-lichkeit.“25 Hier könnte man leicht das berühmte Credo des dialogischen Denkens Martin Bubers assoziieren, dass alles wirkliche Leben Begegnung sei, wobei Begegnung im Sinne Bubers aber bereits die Erfüllungsstufe interpersonaler Beziehung darstellt.26 Das Faktum der Beziehung aber ist nach Heinrich Pompeÿ zugleich „durchgehendes Thema christlicher Lebenswissensüberlieferung“27, sei es im Faktum des Bundes als der Gemeinschaft von Gott und Mensch, des Volkes Gottes, der Kirche, der Gemeinde etc. Diese Strukturanalogie zwischen dem Beziehungscharakter des natürlichen Lebens und demjenigen des christlich verstandenen Lebens hat Heinrich Pompeÿ zum Anlass genommen, ein hermeneutisches Paradigma theologischer Deutung der humanwissenschaftlichen Grundlagen menschlichen Lebens, Leidens und Helfens zu entwerfen, das strukturanalog auch als beziehungstheologische Hermeneutik des Heilshandelns Gottes verstanden werden kann. Die grundlegenden Inhalte dieser beziehungstheologischen Hermeneutik fasst Heinrich Pompeÿ in die folgenden Thesen zusammen:

6.1 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit von Gut (Eu-Logik) und Böse (Dia-bolik)“28

Menschen seien stets mit der Erfahrung von Gutem und der entgegengesetzten Erfahrung von Bösem konfrontiert, wobei sich das letztlich göttliche Gute als stärker erweise als das diabolische Böse. Als Christ darf und muss man sogar dieser Prognose als einer eschatologischen Aussage zweifellos zustimmen; für die Lebensgeschichte des einzelnen wie für die Menschheitsgeschichte vor dem Eschaton muss dies aber keineswegs gelten, wie nicht nur der christliche Glaube, sondern auch die nüchterne Wahrnehmung individueller wie gesellschaftlicher und gegenwärtig tendenziell auch der globalen Realität uns lehrt.

6.2 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit des Guten in Gott (Trinität)“29

Liebe wird von uns Menschen natürlicherweise als die beste Beziehungswirklichkeit erfahren, als das Lebenswerte schlechthin. Strukturanalog gesehen muss es daher auch in Gott eine liebende Beziehung geben, muss Gott in sich dreifaltig sein, muss er, wie wir ergänzen können, eine vollkommene Beziehungs-Einheit der wechselseitigen Selbsthingabe dreier Personen sein, die ein gemeinsames, einfaches, göttliches Wesen besitzen.

Damit ist zwar noch kein gültiger Vernunftbeweis der trinitarischen Binnenstruktur Gottes geführt, aber zumindest ein gemäß traditioneller Nomenklatur Konvenienzargument für die Trinität entwickelt, d.h. ein hier genauer strukturanaloges Argument für die rationale Angemessenheit bzw. Plausibilität eines trinitarischen Beziehungsgefüges in Gott.

6.3 „Die kreative Beziehungs-,wirk‘-lichkeit des Guten aus Gott (Schöpfung)“30

Weil, wie Heinrich Pompeÿ formuliert, echte Liebe neue Liebe ermöglichen will, d.h., in metaphysische Sprache übersetzt, weil das wesenhaft Gute sich selbst geben und mitteilen und damit auch anderes Sein hervorbringen will, dem es sich mitteilen kann, „bewirkt die trinitarische Liebe die Erschaffung des Menschen“31, und zwar als ein liebesfähiges und -bedürftiges „Beziehungswesen“32 nach seinem Ebenbild. Der Wahrheit und Schönheit dieser These ist nichts hinzuzufügen.

6.4 „Die Beziehungs-‚wirk‘-lichkeit des Bösen im Menschen (Sündenfall)“33

Hier betont Heinrich Pompeÿ zu Recht, dass die Störung der Beziehung des Menschen zu Gott durch die Sünde sich auswirkt auch auf alle anderen Beziehungen, in denen der Mensch steht, einschließlich seines Selbstverhältnisses.

6.5 Die erste Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (AT)

Die fünfte These Heinrich Pompeÿs hat die erste Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes im Alten Testament zum Gegenstand; auf ihr erweise sich Gott als „ein Gott der treuen und liebenden Beziehung.“34, der mit den Menschen Bundesschlüsse eingehe, und zwar trotz ihrer Untreue und ihres Versagens.

6.6 Die zweite Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (NT)

Die zweite, vom Neuen Testament bezeugte Stufe des befreienden und helfenden Heilshandelns Gottes sei durch die beiden Unterstufen der Inkarnation und der Passion gekennzeichnet. Beide Akte der göttlichen Gnade dienen der Befreiung der Menschen von ihrer Beziehungsstörung zu Gott und zueinander und der Wiederherstellung der einheitlichen und geordneten Beziehungswirklichkeit des Menschen, die durch die Sünde zwar erheblich geschädigt, aber nicht restlos zerstört worden sei – wie es der katholischen Sichtweise im Unterschied zur protestantischen entspricht.

6.7 Die dritte Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (Geschichte der Kirche)

Die dritte Stufe des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes ist nach dem hermeneutischen Paradigma Heinrich Pompeÿs die Geschichte der Kirche. Zu dieser gehöre die Befähigung der Gläubigen durch die Sendung des Heiligen Geistes zur Liebe, d.h. in eine helfende und heilende Beziehung zu treten, wobei der Hilfecharakter dieser Beziehung für das menschliche Gottesverhältnis allerdings eingeklammert werden müsste, es sei denn, dass wir gleichsam Gott dabei helfen sollen, den Hass der Menschen zu heilen. Die Vermittlung dieses göttlichen Geistes der Beziehungsfähigkeit und -willigkeit der Liebe in der und durch die Gemeinschaft der Gläubigen, d.h. die Kirche, stelle das zweite Moment dieser Stufe des HeilsHandelns Gottes dar, während die Anerkennung und Achtung der Freiheit des Menschen dessen drittes Moment darstelle.35 Dabei handelt es sich genau besehen (gesehen) um eine notwendige Bedingung für die Annahme des befreienden und helfenden Heilshandelns Gottes von Seiten des Menschen.

6.8 Die Vollendung des befreienden und helfenden Heils-Handelns Gottes (Reich Gottes)

Dessen Vollendung durch die Heilung der gesamten Beziehungswirklichkeit des Menschen im Reich Gottes steht geschichtlich gesehen noch aus. Das ändert aber nichts daran, dass die Menschen aufgerufen sind, zu dieser Heilung nach Kräften beizutragen.

Diese hier nur andeutbaren Grundzüge einer beziehungstheologischen Hermeneutik hat Heinrich Pompeÿ im Blick auf die humanwissenschaftlichen Bedingtheiten einer gelingenden und helfenden Beziehung entworfen, zu denen sich diese Hermeneutik strukturanalog verhält. Sie beschreibe inhaltlich gleichsam das Credo des Helfens, Pflegens und Beratens caritativ-diakonischer Praxis der Kirche und damit den spezifisch christlichen Beziehungsaspekt dieser Praxis.36 Damit hat Heinrich Pompeÿ zweifelsohne einen wichtigen und höchst verdienstvollen Beitrag zur spezifischen Identität des christlichen Helfers bzw. der christlichen Helferin geleistet, der die Tätigkeit des gleichsam natürlichen Helfers voraussetzt und diese vollendet.

Bibliographie

Buber, Martin, Ich und Du. Nachwort von Bernhard Casper, Stuttgart 1995.

Dilthey, Wilhelm, Der logische Zusammenhang in den Geisteswissenschaften, in: Gesammelte Schriften VII.

Pompeÿ, Heinrich, Beziehungstheologie – das Zueinander theologischer und psychologischer „Wirk“-lichkeiten und die biblisch-theologische Kontextualisierung von Lebens- und Leidenserfahrungen, in: Pompeÿ, Heinrich (Hg.), Caritas – das menschliche Gesicht des Glaubens. Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie (Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral, Bd. 10), Würzburg 1997, 92-127.

Rombach, Heinrich, Substanz, System, Struktur I. Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft, Freiburg/München 1965.

Rombach, Heinrich, Substanz, System, Struktur II. Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft, Freiburg/München 1966.

Rombach, Heinrich, Strukturontologie. Eine Phänomenologie der Freiheit, Freiburg/München 1971.

Watzlawick, Paul et al., Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 31972.

1 Vgl. Heinrich Pompeÿ, Beziehungstheologie – das Zueinander theologischer und psychologischer „Wirk“-lichkeiten und die biblisch-theologische Kontextualisierung von Lebens- und Leidenserfahrungen, in: Heinrich Pompeÿ (Hg.) Caritas – das menschliche Gesicht des Glaubens. Ökumenische und internationale Anstöße einer Diakonietheologie (Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral, Bd. 10), Würzburg 1997, 93f.

2 Pompeÿ 1997, 93f. „Der hier verwendete Begriff der Ana-logik greift nicht auf die philosophischtheologische Tradition dieser Begrifflichkeit zurück, sondern geht bewußt von der schlichten Wortbedeutung „ana-log“ aus. Sie besagt: entsprechend, gleichartig, übertragbar, sinngemäß anwendbar oder schlicht ähnlich. Zwei unterschiedliche „Wirk“-lichkeiten ereignen sich in analoger Weise, besitzen eine ähnliche Reaktions- und Ziellogik. Hervorzuheben ist dabei, daß sie nicht analog sind, sondern analog geschehen. Es handelt sich also nicht um substanz-ontologische Ana-logiken, sondern um strukturontologische Ana-logiken.“ Pompeÿ 1997, 94, Anm. 3: „Es soll die kontroverstheologische Frage „Analogia fidei“ bzw. „Analogia entis“ hier nicht aufgegriffen werden, weil hier nicht zwischen dem Endlichen und Unendlichen eine Ana-logie aufgezeigt wird, sondern zwischen den geschichtlichen Ereignissen der Schöpfung und dem geschichtlichen Ereignis der Erlösung.“

3 Hierzu vgl. Heinrich Rombach, Substanz, System, Struktur I. Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft, Freiburg/München 1965; Heinrich Rombach, Substanz, System, Struktur II. Die Ontologie des Funktionalismus und der philosophische Hintergrund der modernen Wissenschaft, Freiburg/München 1966; Heinrich Rombach, Strukturontologie. Eine Phänomenologie der Freiheit, Freiburg/München 1971.

 

4 Rombach 1965, 14.

5 Vgl. Rombach 1965, 23, Anm. 22.

6 Vgl. Rombach 1965, 21.

7 Rombach 1965, 17.

8 Rombach 1965, 17f.

9 Rombach 1965, 18.

10 Wilhelm Dilthey, Der logische Zusammenhang in den Geisteswissenschaften, in: Gesammelte Schriften VII, S. 324f. (zitiert nach Rombach 1965, 16, Anm. 8.

11 Pompeÿ 1997, 95.

12 Pompeÿ 1997, 95.

13 Pompeÿ 1997, 95.

14 Das sachliche Erfordernis einer stärkeren Berücksichtigung dieses Aspekts verdanke ich einem wertvollen Diskussionsbeitrag von Herrn Kollegen Prof. Dr. Richard Schenk OP, dem ich an dieser Stelle dafür ausdrücklich danke.

15 Vgl. Pompeÿ 1997, 96.

16 Vgl. Paul Watzlawick et al., Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 31972; vgl. Pompeÿ 1997, 93. 106.

17 Vgl. Pompeÿ 1997, 106-109.

18 Pompeÿ 1997, 111f.

19 Vgl. Pompeÿ 1997, 112.

20 Vgl. Pompeÿ 1997, 112-119.

21 Pompeÿ 1997, 117f.

22 Vgl. Pompeÿ 1997, 118f.

23 Pompeÿ 1997, 121.

24 Pompeÿ 1997, 121.

25 Pompeÿ 1997, 121.

26 Vgl. Martin Buber, Ich und Du. Nachwort von Bernhard Casper, Stuttgart 1995, 12: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

27 Pompeÿ 1997, 121.

28 Pompeÿ 1997, 123.

29 Pompeÿ 1997, 124.

30 Pompeÿ 1997, 124.

31 Pompeÿ 1997, 124.

32 Pompeÿ 1997, 124.

33 Pompeÿ 1997, 124.

34 Pompeÿ 1997, 125.

35 Vgl. Pompeÿ 1997, 126.

36 Vgl. Pompeÿ 1997, 127.