The S-Files: Die Succubus Akten

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»Wow, das ist ja ein cooles Kostüm.« »Hey, die Schwingen sehen total echt aus.« »Quatsch, du Baby, man sieht voll, dass die aus Latex sind.« Mehrere Kinder plapperten durcheinander.

»Wollt ihr ein paar Süßigkeiten? Nehmt euch was.« Lilus Stimme war sanft wie eine Daunenfeder.

»Danke.« Die Kinder johlten vor Freude.

Claire wurde schwindlig. Alles um sie herum schien sich zu drehen. Da stand ein Nachtdämon mit Fledermausschwingen in ihrem Treppenhaus und schenkte Kindern Süßigkeiten.

Sie schleppte sich zur Couch, ließ sich darauf nieder und runzelte die Stirn, als sie die leere Dose Pfefferspray auf dem Boden sah. Wahrscheinlich ist der solche Gerüche gewohnt. Eine Sprühflasche mit Weihwasser wäre wohl effektiver und für mich weniger schmerzvoll gewesen.

Draußen alberte Lilu mit den Kindern herum. Er ließ sie seine scheinbare Verkleidung bewundern, sprang mit ihnen über den Flur und knurrte. Die Kleinen antworteten mit schaurigem Geheul. »Ein solch markerschütterndes Gekreisch habe ich selbst im vierten Kreis der Hölle nie vernommen. Jetzt aber ab mit euch«, lachte er. »Ich muss wieder zurück zu meiner Liebsten.«

Die Kleinen verabschiedeten sich überschwänglich und wollten kaum von ihm lassen. Minuten vergingen, bis sie endlich im Treppenhaus verschwanden.

Als Lilu zu ihr zurückkehrte, ließ er sich vor ihr auf dem Boden nieder und umfasste ihre Hand. »Ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Wenn du willst, werde ich gehen und dich für immer in Ruhe lassen.«

»Du würdest echt verschwinden, wenn ich dich darum bitte?«

»Obwohl es mich innerlich zerreißen würde. Aber wie schon ›Nazareth‹ sang – ›Love hurts, Love scars.‹«

Claire atmete tief ein. »Wie soll unser Zusammenleben überhaupt klappen? Du bist ein Dämon! Was soll ich meinen Bekannten sagen, warum mein Freund nur nachts anzutreffen ist? Oder wie sollte ich ihnen erklären, dass er tagsüber Flügel hat?«

»Dein Freund?« Lilu lächelte. »Wir könnten das bei einem ›Dark Forest Kiss‹ besprechen.« Gewandt wie eine Katze stand er auf und zwinkerte ihr zu. »Bereit für ein zweites Date?«

»Aber du bist noch immer in deiner Dämonengestalt.«

Sein Kuss brachte sie zum Verstummen. Claire fühlte ein warmes Prickeln in ihrem Bauch. Da war wieder dieses schelmische Grinsen auf seinen Lippen, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Ein sanfter Zug seiner Hand und sie stand auf.

»Das macht nichts. Heute ist Halloween«, sagte er und zwinkerte ihr zu.


Lilu lächelte, als sich ihre Hand um die seine schloss. Es war, als ob Elmsfeuer seinen Arm emporkroch. Das hier fühlte sich richtig an. Er genoss es, mit ihr an der Seite durch Trier zu wandern. Vor ihm entfaltete sich eine Zukunft voller Möglichkeiten, während er hinter sich die Fledermausschwingen ausbreitete. Maskierte Passanten lobten seine aufwendige Verkleidung und jubelten ihm zu. Er hätte nie gedacht, dass er sich unter Sterblichen so wohl fühlen könnte. Ihm zersprang vor Glück beinahe das Herz in der Brust.

Doch da war auch dieser kleine Stachel, der sich schmerzhaft in seinen Geist bohrte. Als Incubus hatte er gesehen, dass Liebe durchaus Folter sein konnte.

Love hurts, Love scars‹, schoss ihm durch den Kopf. Und plötzlich wurde ihm klar, dass es egal war. Wenn Liebe wirklich schmerzte, dann würde er diese Folter mit Freuden auf ewig ertragen, solange Claire an seiner Seite war.



Rowena

Mario Hammer

J

osh Carlyle trocknete das gerade gespülte Whiskeyglas sorgsam mit einem weichen Tuch ab und stellte es hinter sich ins Regal. Er nahm ein weiteres Glas vom Tresen und seufzte leicht. Ein langer, anstrengender Tag lag hinter ihm. Es war bereits kurz vor Mitternacht und der große, breitschultrige Mann mittleren Alters gedachte, den Saloon für heute zu schließen. Er kratzte sich an seinem mit Bartstoppeln übersäten Kinn und seufzte erneut. Ja, es wurde wirklich Zeit, für heute Schluss zu machen.

Während draußen vor der Tür bereits die ersten Kojoten ihren nächtlichen Gesang anstimmten und sich Scharen von Moskitos zum gemeinsamen Tanz an der unstetig flackernden Straßenbeleuchtung einfanden, herrschte im ›Buzzard Bait‹ selbst mittlerweile fast gähnende Leere.

Obwohl Cashier City, das kleine Städtchen am südlichsten Ende des Rattlesnake Rivers, viel von seinem einstigen Glanz eingebüßt hatte und schon längst nicht mehr erste Anlaufstelle für Goldschürfer und Glücksjäger jeglicher Art war, die ihre tagsüber mühsam erbeuteten Funde des Abends im Saloon gegen ein paar Gläser Getreidesaft eintauschten, herrschte dennoch reger Betrieb in Josh Carlyles Heimatort; zumindest am helllichten Tag. Doch je mehr die Sonne gen Abend anstrengungsbedingt zu erröten begann und sich nach getaner Arbeit zur nächtlichen Ruhe begab, desto ruhiger wurde es in der Stadt. Dasselbe traf auf das Buzzard Bait zu. Verständlicherweise, musste man sagen.

Noch vor wenigen Monaten hatte Josh seine Gäste stets mit Freuden bis in die frühen Morgenstunden bewirtet, doch jetzt … jetzt war alles anders. Jetzt sahen selbst die hartgesottensten Saufkumpanen und Raufbolde tunlichst zu, noch vor Ende des Tages in ihre Häuser zu gelangen und sich, in ihren warmen Betten liegend, die Decken über die Köpfe zu ziehen.

Auch an diesem Abend sollte es nicht anders sein, und so befanden sich, neben Josh selbst, lediglich noch ein einzelner Gast sowie der Alte Bob in der staubigen Spelunke.

Ja, der Alte Bob. Josh Carlyle konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann und vor allem warum er den dürren Klavierspieler mit mausgrauem Haar und Rauschebart eingestellt hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie alt der Alte Bob überhaupt war, doch ging man nach seinem Aussehen, hätte es sehr gut sein können, dass er sich eines schönen Tages vor etlichen Jahren mit einem Klappstuhl bewaffnet in die Prärie gesetzt hatte und man Cashier City einfach um ihn herum erbaute. Und selbst damals dürfte der spindeldürre Greis schon kein spürbar musikalisches Talent besessen haben.

Zu später Stunde schlug Bob, um diese Zeit zumeist mit nur noch wenig Restblut im Alkohol, wahllos auf die Tasten seines holzwurmdurchlöcherten Klaviers ein, dass es keine wahre Freude war. Eine angeschossene, dreibeinige Katze, die man über die Klaviatur laufen ließ, hätte unmöglich grausamere Töne hervorrufen können. Nun ja, immerhin war der alte Mann sehr genügsam, wenn es um seine Bezahlung ging; ein paar Becher Whiskey hier und da und eine Schüssel mit gesalzenen Erdnüssen, mehr verlangte er meist nicht.

Erdnüsse schien auch der letzte, an diesem Abend übriggebliebene Gast nicht zu verschmähen. Zumindest folgerte Josh dies aus dem Umstand, dass er seinem Gegenüber die bereits dritte, beinahe sauber geleerte Schale vor der Nase wegziehen musste. »Sorry, mein Bester, aber wir schließen gleich«, sagte er mit leicht drängendem Unterton und schielte aus dem Fenster. Viel zu lange schon hatte er den Gast gewähren lassen.

Der kleine, leicht untersetzte Mann auf der anderen Seite der Theke schien ihn nicht gehört zu haben, zeigte er doch keinerlei erkennbare Reaktion. »Hey, Kumpel!« Zur Vorsicht setzte Josh ein Ausrufungszeichen ans Ende seines Satzes, nur, um ganz sicher zu gehen, dass er dieses Mal auf Gehör stoßen würde. »Wir schließen gleich«, fügte er erneut hinzu und blickte nervös auf die alte Standuhr neben sich.

»Hm? Was?« Wie aus süßen Träumen gerissen schreckte der Mann hoch. Er schien seine Gedanken zu sortieren, verarbeitete langsam das soeben Vernommene und antwortete wie folgt: »Was? Schon? Warum?«

»Na ja, es ist kurz vor Mitternacht«, entgegnete Josh. »Glaub mir, du willst zur ›Geisterstunde‹ hier nicht auf der Straße herumlaufen.« Er zwinkerte seinem Gast halbherzig zu, wohl wissend, dass es sich seinerseits nicht wirklich um einen Scherz handelte.

»Na ja«, erwiderte sein Gegenüber. »Ich wäre ja nicht auf offener Straße. Ich wäre ja hier bei Ihnen im Saloon.«

»Bist ein ganz ein pfiffiges Kerlchen, was?« Der Gastwirt konnte sich ein kurzes, dezentes Lächeln nicht verkneifen, welches jedoch schlagartig von erneut auftretender Nervosität vertrieben wurde.

»Viel zu selten«, antwortete der Mann, der auf den Namen Darren Mac Allister hörte, und schmunzelte. »Aber Sie haben ja recht. Nützt ja alles nichts. Dann werde ich wohl mal …« Er unterbrach sich selbst mit einem Räuspern, leerte in einem Zug sein Glas und rückte seine Krawatte zurecht.

Darren Mac Allister war sehr vornehm angezogen, das hatte Josh direkt gemerkt. Viel zu vornehm für eine Gegend wie diese, wenn es nach ihm ging. Und überhaupt wollte der kleine Mann mit seinem Erscheinungsbild nicht so recht hineinpassen in die Welt von Cashier City. Er trug einen feinen, schwarzweiß karierten Nadelzwirn, eindeutig zu sauber für eine alte, heruntergekommene Stadt im tiefsten Westen des Landes. Seine auf Hochglanz polierten Lederschuhe hatten augenscheinlich noch nie in ihrem Leben Staub und Sand aus nächster Nähe gesehen. Seine Hände waren glatt und weich, sanft wie ein Babypopo und ohne jegliche Spur Dreck unter den Fingernägeln. Sein rundliches Gesicht war glatt rasiert, sein schütteres Haupthaar fein gekämmt. Nein, er passte nun wirklich nicht in diese Gegend. Und je länger Josh Carlyle darüber nachdachte, desto mehr verwunderte es ihn, wie Darren Mac Allister es überhaupt geschafft hatte, in einem derart unbenutzt wirkenden Zustand in seinen Saloon gelangt zu sein. Beinahe zerbrechlich wirkte der Mann auf den Wirt, welcher von sich selbst behaupten durfte, eine verdammt gute Menschenkenntnis zu besitzen. Sprach man Josh darauf an, so entgegnete er stets, dass er sie, neben einigen weiteren durchaus nützlichen Eigenschaften, von seiner lieben Großmutter Mary geerbt hatte. Wie sie konnte er die Menschen lesen. So sah er Darren Mac Allister bereits an, um was für eine Art Mensch es sich handelte, als dieser vor wenigen Stunden den Saloon betreten hatte. Er war der typische Mann, der keine Lust mehr darauf hatte, allein zu sein. Der sich nach Gesellschaft sehnte. Nach weiblicher Gesellschaft, um genau zu sein. Und er war beileibe kein Mann, der die Frauen anzog wie das Licht die Motten. Ganz im Gegenteil. Er war der Typ Mann, der auf seine inneren Werte setzen musste. Und bislang schien er damit wohl wenig Erfolg gehabt zu haben. So wenig Erfolg, dass er sogar bereit gewesen war, sich in ein Etablissement zu begeben, das so gar nicht seinem gewohnten ›Jagdrevier‹ entsprach. Wahrscheinlich, und hier war sich Josh nicht ganz sicher, führte sogar ein Hauch von Verzweiflung zu Darrens Entschluss, an diesem Tag das Buzzard Bait zu besuchen.

 

Wie dem auch sei. Darren musste gehen. Und das zeitnah. Unter anderen Umständen hätte Josh sehr gern noch weiter mit seinem Gast geplaudert, ihm vielleicht sogar das ein oder andere Getränk spendiert. Doch nicht jetzt. Nicht jetzt, wo die Sonne bereits untergegangen war und die Straßen der Stadt von Gestalten heimgesucht werden würden, denen nichts ferner lag als ein kleines Pläuschchen mit wohlgekleideten Ortsfremden.

»Mein Herr«, sprach Darren in zwar wohldosierter Lautstärke, die es aber dennoch vermochte, nun ihrerseits den Barkeeper aus seinen Gedanken zu reißen. Er griff zu seinem Hut und erhob sich langsam. »Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Gastfreundlichkeit.« Er schloss für eine Sekunde seine Augen und deutete eine Verbeugung an. Die Höflichkeit in Person, so viel stand fest.

Noch ehe Josh Carlyle etwas erwidern konnte, ertönte eine Stimme, die so klang, also habe man eine Nachtigall in einen ausgetrockneten Brunnen geworfen. Gleichsam wunderschön und befremdlich: »Willst du etwa schon gehen?«. Joshs Nackenhaare schienen ein Eigenleben zu führen und richteten sich erschrocken auf. »Der Abend ist doch noch jung«, fuhr die Stimme fort.

Es ergab ein seltsames Bild, als sich Josh Carlyle, Darren Mac Allister und der Alte Bob gleichzeitig in Richtung Eingangstür drehten, Mund und Augen weit geöffnet. Perfekter hätte man eine derartige Simultanität nicht einstudieren können. Was die drei dort sahen, traf sie wie eine Dampframme und verschlug ihnen ebenso sehr den Atem. Eine junge Frau hatte den Saloon betreten, deren äußeres Erscheinungsbild man kaum in Worte fassen konnte. Kein noch so umschmeichelnder Superlativ vermochte die Schönheit dieser Frau adäquat zu beschreiben oder ihr auch nur im Entferntesten gerecht zu werden.

Sie trat ein paar Schritte nach vorn und ließ die den Eingang säumenden Schwingtüren hinter sich, als streife sie sich einen Mantel von ihren schmalen Schultern. Sie trug ein seidenes Kleid, das sich wie feinste Spinnweben eng an ihren wohlgeformten Körper schmiegte und dem geneigten Betrachter nur ein Mindestmaß an Vorstellungskraft abverlangte. Ihr hochgestecktes, blutrotes Haar schimmerte im Schein der spärlichen Deckenbeleuchtung, als habe es das Mondlicht gefangen und für immer festgehalten. Die dunklen Lidschatten standen in direktem Kontrast zu ihrer schneeweißen Haut und ließen ihre hellbraunen Augen hervorstechen wie glühende Kohlen in den Augenhöhlen eines Totenschädels. Sie lächelte süffisant.

Die drei Männer waren noch immer nicht in der Lage, sich auch nur minimal zu bewegen. Lediglich dem Alten Bob gelang es, durch leichtes Husten die plötzliche Stille zu durchbrechen, die die spätabendliche Besucherin mit sich gebracht hatte.

Die Frau ging ein paar weitere Schritte auf den Tresen zu, so leichtfüßig, als würde sie auf Wolken schweben. »Was ist?«, fragte sie. »Hat es euch die Sprache verschlagen?« Erneut formte sie ihre dunkelroten Lippen zu einem Lächeln, das selbst steinharte Butter binnen Sekunden zum Schmelzen hätte bringen können. »Ist es so leicht, ein paar gestandene Mannsbilder zum Schweigen zu bringen?«

Kälte war der Frau gefolgt und hatte sich in den Saloon eingeschlichen. Joshs Atem formte feinste Nebelschwaden vor seinem Mund, und dennoch perlte unaufhaltsam der Schweiß von seiner Stirn. »Rowena«, gelang es ihm schließlich zu sagen. Er stammelte, und seine Stimme klang gleichsam enttäuscht und aufs Tiefste verängstigt; beinahe so, als habe man einem kleinen Kind zu dessen Geburtstag nicht das erhoffte Spielzeug geschenkt, ihm stattdessen aber mitgeteilt, ihm beide Beine abhacken zu wollen. Er kannte die Frau nur zu gut und ärgerte sich über sich selbst, dass es ihr stets auf Neue gelang, ihn in ihren Bann zu ziehen. »Rowena«, wiederholte er.

»So lautet mein Name«, erwiderte die Frau. »Er wird sich auch nicht mehr ändern, egal, wie oft du ihn sagst.« Erneut lächelte sie. »Und du bist?« Sie wandte sich an Darren und würdigte Josh keines weiteren Blickes.

»Da… Da… Darren. Ma… Mac… Ma‘am«, stammelte das Männlein und wischte sich mit einem sich zuvor in seiner Brusttasche befindlichen Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn, die in ihrer Intensität denen des Schankwirts in nichts nachstanden.

»Da… Da… Darren. Ma… Mac… Ma‘am«, wiederholte Rowena. »Ein interessanter Name.« Sie lächelte nun noch mehr. »Du bist nicht von hier?«

»Nei… nei… nicht von hie… hie…, Ma‘am«, stammelte Darren, der verzweifelt versuchte, sein Taschentuch zurück an dessen angestammten Platz zu befördern und stolpernd erneut auf seinem hölzernen Schemel am Tresen Platz fand. »Ho… hoppla«, kommentierte er seinen ungeplanten Ortswechsel und rang sich ein Grinsen ab.

»Darf ich mich zu dir gesellen?« Binnen eines einzigen Augenblickes hatte sich die junge Frau auf Darrens Schoß gesetzt, ohne dem zitternden Mann eine Gelegenheit zur Antwort zu geben. Ihr betörender Duft, eine Mischung aus bunter Blumenwiese und Honig, überrannte jegliche Gegenwehr und raubte ihm auch die letzten Sinne.

Josh Carlyle gelang es allmählich, wieder Herr seiner Selbst zu werden, wahrscheinlich einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass er den nächtlichen Besuch der Rothaarigen bereits gewohnt war und ihr Zauber nicht allzu lange bei ihm wirkte. Sehr zu seinem Leidwesen suchte Rowena das Buzzard Bait in schönster Regelmäßigkeit auf; und in schönster Regelmäßigkeit verließ sie es wieder, immer mit einem anderen Mann an ihrer Seite, der ihr stets ebenso erlegen war, wie es bei Darren nun der Fall zu sein schien. Das Beunruhigende an diesem an sich nicht gerade ungewöhnlichen Schauspiel war, dass jeder einzelne dieser Männer daraufhin wie vom Erdboden verschluckt war. Keine Menschenseele hatte auch nur einen der Männer jemals wieder gesehen. Und Josh wusste: Schuld daran war Rowena.

»Was zitterst du denn so? Ist dir etwa kalt?« Die Frau legte ihre Hand an Darrens Wange. »Soll ich dich ein wenig aufwärmen?« Unendlich langsam ließ sie ihre Hand von seinem Gesicht über den Hals des Mannes bis zu seiner Brust fahren. »In meiner Nähe muss niemand frieren«, hauchte sie ihm sanft ins Ohr.

Ein misstönender Laut ließ sie aufschauen, und Josh Carlyle war sich sicher, ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde feuerrot aufblitzen zu sehen. Der Alte Bob war ebenfalls aus seiner Trance erwacht und mit dem Ellbogen auf die Klaviatur gekippt.

Ebenso schnell, wie es sich Rowena auf Darrens Schoß bequem gemacht hatte, stand sie nun in voller Pracht neben dem greisen Klavierspieler. »Bob, mein Lieber. Was für eine hervorragende Idee. Spiel uns was!« Schier endlos lange, schwarz lackierte Fingernägel fuhren dem Alten Bob durchs Haar, als seien sie auf der Suche nach längst verloren geglaubten Kleinstlebewesen. Der Alte Bob schluckte schwer.

Magie lag in der Luft. Unheilige, schwarze Magie. Anders ließ sich nicht erklären, dass die Töne, die der hagere Mann daraufhin seinem Instrument entlockte, nicht nur einer Melodie gleichkamen, sondern tatsächlich unerwartet schön anzuhören waren.

»Einfach herrlich!« Rowena tänzelte um Bob und sein Klavier herum, während der alte Mann augenscheinlich seinen dritten Frühling erlebte. »Darf ich an deine Nüsse?« Keine Antwort des schwer atmenden Musikers abwartend, griff die junge Frau an ihm vorbei und stibitzte sich eine Handvoll seiner gesalzenen Hülsenfrüchte, die er stets neben seinem Whiskeyglas vor sich auf dem Klavier deponiert hielt. Kichernd fuhr sie mit ihrem Tanz fort.

Josh Carlyle nutzte die Gunst des Momentes und zog den noch immer wie verzaubert grinsenden Darren mit beiden Händen zu sich heran. »Du musst hier weg, hörst du?« Er schüttelte den kleinen Mann, als erwartete er, die Magie der Rothaarigen so von ihm lösen zu können.

»Wa… was?« Darren Mac Allister stammelte.

»Du musst schleunigst hier weg, wenn dir dein Leben lieb ist.« Josh rüttelte weiterhin an seinem verdutzten Gegenüber.

»Was? Wieso? Ich versteh nicht?« Darren hatte allmählich seine Sprache wiedergefunden.

»Wir haben zu lange gewartet. Und jetzt ist sie da. Die Frau da. Das ist eine Succubus. Und sie trachtet nach deinem Leben!«

»Eine was? Ich versteh nicht. Was meinen Sie?« Darren kniff seine Augenbrauen zusammen. »Haben Sie zu tief ins Schnapsglas geschaut? Sind wohl selbst Ihr bester Kunde, was?« Der Mann kicherte albern.

»Das ist nicht witzig!« Josh hatte seinen Griff noch immer nicht gelockert. »Die Frau da. Rowena. Sie ist eine Succubus. Ein Buhlteufel, wenn du so willst. Sie entreißt den Männern ihren Seelen. Sie ernährt sich von ihnen. Flieh! Ich werde versuchen, sie lange genug abzulenken.«

So seltsam und unglaubwürdig sich die Worte des Barkeepers auch anhören mussten, so sicher war sich Josh, dass er die Wahrheit sagte. Die Frau war auf der Suche nach Opfern. Stets hatte sie ihn dabei verschont, wohl wissend, dass sein Gasthaus das perfekte Jagdrevier ergab. Einmal sogar, nur für einen kurzen Moment, zeigte sie ihm ihre wahre Gestalt. Geschwungene Hörner wuchsen aus ihrem üppigen Haar. Riesige Flügel, in ihrer Form an die eines Flughundes erinnernd, trug sie auf dem Rücken. Anstelle von menschlichen Füßen trug sie Hufe wie der Leibhaftige persönlich. Sie war beinahe gänzlich unbekleidet. Lediglich zwei handgroße Spinnen sowie eine Fledermaus bedeckten ihre weiblichen Reize. Ihre Haut trug eine gräuliche Färbung und wirkte unnatürlich rau und spröde. Josh wusste nicht, warum sie ihm diesen Einblick gewährt hatte. Er nahm an, dass sie sich sicher war, dass er ihr ohnehin nie etwas anhaben oder sie von ihren nächtlichen Besuchen abhalten könnte.

Darren war noch immer nicht bereit, seinem Gastgeber Glauben zu schenken. Der kleine Mann riss sich von seinem Gegenüber los: »Was soll das? Was erzählen Sie mir da? Können Sie sich etwa nicht vorstellen, dass auch ich einmal Glück haben würde? Dass sich auch einmal jemand für mich interessiert?« Er richtete mit knubbeligen Fingern seinen Kragen. »Lassen Sie uns bitte in Frieden!«

»Ja, hörst du, Josh?« Rowena hatte ihren Tanz beendet und stand nun neben Darren, den Mann liebevoll in den Arm nehmend. »Lass uns in Ruhe!« Sie zwinkerte dem Barkeeper zu. »Schenk uns lieber noch einen ein!«

»Darren, bitte. So hör‘ doch!« Seine Stimme hatte etwas Flehendes.

»Hören Sie besser!» Darren Mac Allisters Stimme war nun unerwartet laut und gebieterisch. »Entweder, Sie tun, worum die Dame Sie gebeten hat, oder wir suchen uns ein anderes Etablissement.«

Rowenas Augen funkelten siegessicher. »Ach, lass ihn doch schmollen. Ich wohne nur einen Drink von hier entfernt. Was sagst du: gehen wir?« Mit diesen Worten biss sie Darren zärtlich in sein Ohrläppchen.

»Recht haben Sie.« Darren zurrte seine Krawatte fest. »Lassen Sie uns gehen.« Er rückte seinen Hut zurecht, umfasste selbstbewusst die schlanke Taille der jungen Frau und schickte sich an, gemeinsam mit ihr das Buzzard Bait zu verlassen.

Josh Carlyle ließ seine breiten Schultern hängen und seufzte. Hatte sie es also wieder geschafft. Würde es ihm je gelingen, die Succubus aufzuhalten? Auch diese Nacht hatte er nicht verhindern können, dass sie vorzüglich speisen würde. Er hatte nicht verhindern können, dass man auch von Darren Mac Allister nie wieder etwas hören oder gar sehen würde.

 

Josh schüttelte verzweifelt den Kopf, als er bemerkte, dass sich der kleine Mann noch einmal zu ihm umdrehte und ihm lächelnd zuzwinkerte.

Nein, Darren Mac Allister war beileibe kein Mann, der die Frauen anzog wie das Licht die Motten. Ganz im Gegenteil. Er war die Art Mann, die auf seine inneren Werte setzen musste. Und wie Rowena einst, so gestattete auch Darren dem Barkeeper einen kurzen Blick auf sein wahres Ich. Er erlaubte Josh für einen winzigen Moment, die geschwungenen Hörner zu sehen, die seine Stirn zierten. Seine gigantischen Flügel, die er wie einen Umhang am Rücken trug. Und seine hufartigen Füße, die nach jedem Schritt einen kleinen Brandfleck auf dem hölzernen Fußboden des Saloons hinterließen.

Ja, Darren setzte auf seine inneren Werte. Auf scheinbar kindliche Unschuld und Unbeholfenheit. Und ja, auch Darren sollte in dieser Nacht vorzüglich speisen.