The S-Files: Die Succubus Akten

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»Tochter«, sprach eine scharfe Stimme. »Sag, was hast du getan?«

Ich schaute auf, schrumpfte unter dem strengen Blick des Pfarrers. »Verzeiht«, krächzte ich. »Ich weiß nicht, was Ihr meint.«

»Tu nicht so. Ich habe schon länger ein Auge auf dich. Du versuchst, meine Ministranten zu verführen.«

»Was?« Das Blut toste mir in den Ohren. Der Schweiß machte meine Handflächen glitschig. »Aber ich …«

»Überleg dir gut, was du als Nächstes sagst.« Der Pfarrer streckte die offene Hand aus und der Ministrant zu seiner Linken reichte ihm mein Smartphone. »Lügen werden dir nicht helfen.«

»Ich weiß nicht, was Ihr hören wollt«, log ich verzweifelt.

Da waren nur Psalmen und Bibelverse auf meinem Smartphone. Dazu eine Handvoll Nachrichten von Mutter. Nichts, was mich in Verruf bringen konnte, wenn mein Erwählter nur die Map gelöscht hatte. Er musste einfach.

Der Pfarrer swipete und swipete. Ich warf einen nervösen Blick durch die Cathedral, suchte nach einem Ausweg, einem freundlichen Gesicht. Doch da war nichts.

»Ah, da haben wir es ja. Willst du mir das erklären?«

Er drehte mir das Smartphone zu, ließ mich den Beweis meiner Schuld sehen. Es war tatsächlich meine Map. Das war der Bildausschnitt, den ich gewählt hatte, die gleichen pastellvioletten Häuser … Nur das Zielkreuz war gewandert, befand sich jetzt etliche Straßenzüge südlicher als zuvor. Mein Erwählter musste es neu platziert haben. Fool!

»Hier.« Der Pfarrer reichte mein Smartphone an den Ministranten weiter. »Weit kann er noch nicht sein. Nimm dir Hilfe mit. Sucht ihn und bringt ihn zurück!«

Der Ministrant nickte und verschwand.

Noch ein Blick durch die Cathedral. Die meisten Betenden hatten ihre Köpfe extra tief gesenkt, doch das Murmeln war leiser geworden. Sie lauschten. Kaum würden sie die Cathedral verlassen, würden sie sich die Mäuler über mich zerreißen. Und dann würde irgendwer meine Mutter ins Bild setzen …

»Du bist still geworden«, sagte der Pfarrer. »Siehst du nun also ein, Mädchen, dass du vom Weg abgekommen bist? Dass du gesündigt hast?«

»Ich verspreche Euch, ich wollte niemandem etwas Böses.«

»Darüber wirst du im Loch nachdenken können.«

Ich starrte ihn an, wollte protestieren, doch die Worte blieben mir auf den Lippen hängen. Was hatte ich erwartet? Drei Ave-Maria und alles wäre wieder gut? Es waren schon Leute für weniger ins Loch gewandert.

Ich stand auf, folgte, sträubte mich nicht. Es hätte keinen Sinn gehabt.

Der Keller der Cathedral war niedrig. Deutlich weniger beeindruckend als die große Halle darüber und entschieden weniger bunt. Der Pfarrer brachte mich in eine Zelle so eng, dass ich mit drei Schritten von einer Ecke zur gegenüberliegenden kam. Licht fiel nur aus dem Loch in der Decke, von dem aus die Gläubigen aus dem Vorraum der Cathedral anklagend und sensationsgeil zu mir herunterschauten. Eine Räucherschale stand an der unverputzten Betonwand. Ihr Weihrauch hing so schwer in der Luft, dass ich meinte, ihn im Schummerlicht tatsächlich nebelig wabern zu sehen.

»Meditiere über deine Sünden«, sagte der Pfarrer. »Und dann bitte Gott um Vergebung, Succubus!«

Jetzt war es auch schon egal. Ich antwortete ihm mit einem Lächeln voller Zähne.

Er schnaubte, verließ die Zelle und schlug die Tür ins Schloss. Mein Smartphone behielt er.

Einen Augenblick lang starrte ich wie gelähmt auf die geschlossene Tür. Dann drückte ich dagegen. Sie gab nicht nach. Eine Klinke existierte nicht und auch kein Terminal für einen Code. Dort kam ich also nicht raus, bis mich nicht jemand holte.

Allerdings gab es da noch das Loch in der Decke. Ich trat darunter, ignorierte die ungnädigen Blicke der Menschen über mir, streckte mich, so hoch ich konnte. Vergeblich. Auch wenn ich sprang, fuhren meine Finger nur durch die dicke, weihrauchschwangere Luft. Noch mal. Noch mal. So hoch ich konnte. Keine Chance.

Eine Frau in schmutzigen High Heels stand oben und lachte mich aus.

Das war es also. Ohne Hilfe kam ich nicht heraus und wenn ich den herablassenden Blick der verdammten Frau zum Maßstab nahm, dann konnte ich auf Hilfe lange warten.

Seufzend lehnte ich mich gegen den kalten Beton und zwang mich, nachzudenken. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach. Ich hatte schon zu viel verloren, um aufzugeben. Mutter würde mich umbringen. Da sollte ich mich vorher wenigstens amüsieren.

Ich stieß mich von der Wand ab, ging mit drei Schritten durch die Zelle.

Mein Erwählter wartete am geheimen Treffpunkt auf mich. Da war ich mir sicher. Wieso sonst hätte er fliehen sollen? Wieso sonst hätte er das Zielkreuz auf der Map verschoben? Er hatte ihnen einen Beweis dagelassen. Etwas, dem sie nachjagen konnten. Deshalb ließen sie mich hier schmoren, ohne Verhör, ohne Guards. Eine bessere Chance zur Flucht würde ich nicht bekommen.

Drei Schritte zurück.

Meine Mittel waren begrenzt. Ich hatte meinen Mantel, doch es gab keine Stelle oben am Loch, wo ich ihn hätte befestigen können, keine Möglichkeit, daran hinaufzuklettern. Damit blieben mir das bisschen Salz in den Taschen und der Flyer mit meinen Wünschen für eine erfüllte Begegnung. Zaubermittel, klar, aber ich hätte nicht gewusst, wie ich damit eine Leiter hätte erschaffen können.

Noch mal drei Schritte durch die Zelle, wieder und wieder. Im Laufen rieb ich mir die Farbe von den Lippen, lächelte mein trotziges Succubussmile ins Dämmerlicht hinein.

Als Mutter angefangen hatte, mich Hexe zu nennen, hatte ich beschlossen, eine zu werden. Und entgegen allen Aberglaubens hatte das nichts mit satanischen Riten zu tun. Nur mit ein paar simplen Zutaten und guten Wünschen.

Jetzt nannten sie mich Succubus. Da wurde es wohl Zeit, mich unter die Dämonen zu begeben.

Ich hielt inne, schloss die Augen, atmete flach, um dem Weihrauch zu entgehen, konzentrierte mich.

Noch nie vorher hatte ich etwas beschworen. Trotzdem war ich mir sicher: Wenn es einen Ort dafür gab, dann war es dieser hier. All die Menschen mit ihrem Glauben, ihren unterdrückten Gelüsten, ihren unausgesprochenen Wünschen und den unerfüllten Hoffnungen. All die brodelnde Energie. Wäre ich ein Dämon, wäre ich nie weit von der Cathedral.

Zuerst brauchte ich ein Opfer.

Die meisten Leute denken an Blut und geschlachtete Tiere, wenn sie von Zauberopfern hören. Manche sogar an Mord. Doch das ist Unsinn. Eine echte Hexe schadet niemandem. Sie gibt etwas von sich selbst auf, um ihren Zauber zu wirken – um zu zeigen, dass es ihr ernst ist.

Ich hatte nicht viel. Nur meinen Flyer. Der Gedanke, ihn wegzugeben, behagte mir gar nicht. Er war für einen letzten Zauber vor der großen Vereinigung bestimmt. Er sollte machen, dass alles klappte, und mehr noch: dass es schön wurde. Er sollte verhindern, dass ich verletzt wurde. Er war meine Safety. Ich brauchte ihn.

Bedauerlicherweise machte ihn das zum idealen Opfer.

Es half nichts. Was nützte mir Safety für ein Treffen, zu dem ich nicht erscheinen konnte?

Wehmütig zog ich den Flyer aus der Mantelinnentasche und kniete mich damit neben die Räucherschale. Dort schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf das, was ich mit meinem Zauber erreichen wollte. Während ich den Flyer in die Glut drückte, malte ich mir einen Dämon der Sinnlichkeit aus. Ich versuchte mir vorzustellen, was meine Mutter und alle anderen in mir sahen. Die Verführerin mit den roten Lippen, den dichten Wimpern und den blonden Locken. Doch die Idee blieb abstrakt, sprach nicht zu mir.

Also ließ ich meine Gedanken treiben, fühlte nach Begehren, wie ich es kannte. Das Bild eines Mannes drängte sich in mein Bewusstsein. Mit nackter Brust und breiten Schultern, so wie sich sonst nur die Engel zu zeigen wagten. Stumm rief ich ihn herbei. Ich öffnete mich, ließ meine eigene Lust, mein unerfülltes Verlangen durch meinen Körper wallen. Meine Brüste spannten. Meine Lippen kribbelten voller Ungeduld. Das sehnsuchtsvolle Ziehen in meinem Unterleib tat beinahe weh.

»Komm zu mir!«, wisperte ich. »Ich brauche dich!«

Die Flammen leckten am Flyer hinauf und verbrannten mir die Finger. Ich zog sie nicht weg.

»Komm!«

»Es wäre einfacher, wenn du mir hilfst«, sagte eine samtige Stimme.

Ich schlug die Augen auf, zog die Hand aus dem Feuer und starrte auf den Mann vor mir. Er sah tatsächlich aus wie ein Engel. Ein Engel ohne Flügel. Groß und stark. Nackt. Sein Haar war golden wie meins und in seinen warmen Augen loderte freudige Begierde.

Ich stemmte die Hand gegen die Wand, ließ den Beton meine Wunde kühlen und zog mich gleichzeitig auf die Füße.

»Du hast mich gerufen, Hexe. Hier bin ich.« Er beugte sich über mich, schlug meine Kapuze zurück, strich mir durchs Haar, betrachtete mich forschend, grinste. »Was sollen wir nun miteinander anstellen?«

In der Enge der Zelle standen wir Brust an Brust. Ich hatte Schwierigkeiten zu denken, Schwierigkeiten zu atmen.

»Ich … ich brauche deine Hilfe.«

»Das spüre ich.« Er legte seine Hand ungeniert an meinen Bauch. »Ich helfe gern.«

»Erst –«, begann ich und verlor den Faden. Seine Hand war so warm. Sein Smile so verheißungsvoll. Ich schloss die Augen, versuchte es erneut. »Erst einmal solltest du dafür sorgen, dass die dort oben dich nicht bemerken. Sonst bleiben wir nicht lange ungestört.«

»Wenn es weiter nichts ist. Ich versichere dir, kein Mensch schaut zu uns herunter.« Er rückte noch näher. »Wie können wir einander helfen, Hexlein? Was denkst du?«

Ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen, seine Hand an meinem Bauch. Sie wanderte tiefer.

»Du … bist ein Incubus«, sagte ich dämlich.

 

»Was du nicht sagst.« Ein leises Lachen.

Wie warm seine Hand wohl erst wäre, wenn kein Stoff mehr zwischen seiner Haut und meiner lag?

Jetzt bloß nicht schwach werden!

Mühsam rief ich mir das Bild meines Erwählten vor Augen. Konzentrierte mich auf seinen freundlichen Blick, die weichen Linien seines Körpers, die Hände, von denen ich mir so viel geschickte Zärtlichkeit versprach. Sie waren vielleicht weniger verführerisch, doch sie waren echt.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah den Incubus an. »Du stehst doch für die Begierde. Für Lust und Leidenschaft.«

»So sagt man.«

»Dann hilf mir, zu meinem Geliebten zu gelangen!«

»Wozu brauchst du den noch, jetzt, da du mich hast?«

Sein Kuss auf meiner Wange war überraschend zart. Ein Hauch, der den schweren Weihrauch vertrieb und mir kribbelnde Gänsehaut vom Kinn bis zum Ohr jagte.

»Ich brauche ihn nicht, ich will ihn«, sagte ich mit aller Entschlossenheit, die ich noch aufbringen konnte. »Ich habe ihn gewählt.«

»Du ahnst ja gar nicht, was du verpasst.« Seine Hand drängte tiefer, und ich war dem dicken Mantelstoff zugleich dankbar und böse, hielt er den Incubus doch davon ab, mich weiter zu erkunden.

Ich kniff die Augen zusammen, sammelte mich, atmete ein und aus. Dann schaute ich wieder auf. »Das wird mein erstes Mal sein und ich möchte es mit einem Menschen verbringen.«

»Mit einem Menschen? Wie langweilig.« Der Dämon schob mich rücklings gegen die Wand. Mit der freien Hand streichelte er meine Wange.

»Ich … ich will es so«, hauchte ich wenig überzeugend.

»Und ich will dich.« Mit sanfter Gewalt bog er meinen Kopf zur Seite, küsste meinen Hals.

Eines war klar: Wenn ich ihn so weitermachen ließ, würde ich verlieren. Erst diese Diskussion und dann mich in seiner Berührung.

Ich hatte nichts mehr. Kein Smartphone, keinen Wünsche-Flyer und wenn das so weiterging, auch bald keinen Mantel mehr. Nur noch mein Succubussmile.

Was blieb mir also sonst? Nur die Flucht nach vorn.

Ich hob meine Hände an seine Wangen und zog seinen Kopf zurück, sanft, vorsichtig. Dann lächelte ich ihn an.

»Hab ich dich überzeugt?«, fragte er mit wölfischem Grinsen.

»Davon, dass du interessante Gesellschaft sein kannst? Durchaus. Ich aber auch.« Ich streckte mich hoch und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. »Wenn ich es will.«

»Du willst. Ich kann dein Verlangen spüren.«

Ich ließ meine Hände seinen Nacken entlang gleiten, strich über seine Schultern, knetete sie ohne übertriebene Vorsicht und konnte nur hoffen, mich dabei nicht allzu clumsy anzustellen. »Du spürst mein Verlangen, aber es ist das Verlangen nach einem anderen Mann.«

Er bleckte die Zähne, tarnte es hinter einem neuerlichen Grinsen. »Das kann ich ändern.«

»Vielleicht.« Ich tastete mich weiter. Die festen Brustmuskeln hinab zu seinem nackten Bauch. »Doch du weißt gewiss besser als jeder andere, wie mächtig eine unerfüllte Sehnsucht ist. Hieltest du mich hier, ich wäre dir ausgeliefert. Aber sobald ich aus diesem Loch herauskäme, würde ich all meine Zauberkraft einsetzen, um meinen Erwählten zu bekommen. Keine Zeit, um mit Dämonen zu spielen.« Jetzt war ich es, die ihre Hand tiefer gleiten ließ.

Das Feuer in seinen Augen loderte gefährlich. »Du nimmst dir einiges heraus, Hexe.«

»Ich bin verliebt.«

»Du begehrst. Das ist etwas völlig anderes.«

»Davon weiß ich noch nichts. Lass es mich herausfinden! Heb mich nach oben! Dafür rufe ich dich, wenn es mich nach dir verlangt, nicht nach einem anderen.«

Er lehnte sich näher, presste seinen Körper gegen meine Hand, atmete meinen Atem ein. »Ist das ein Versprechen?« Ich spürte seine Worte auf meinen Lippen.

Und auch wenn ich Angst hatte, darin zu verbrennen, hielt ich seinen Blick. »Das ist es. Hilf mir jetzt und wir werden uns wiedersehen, Incubus. Wenn ich meine Erfahrungen gemacht habe. Wenn ich bereit bin.«

»Daran werde ich dich gern erinnern.«

»Tu das. Aber hilf mir! Jetzt!«

Endlich rückte er von mir ab. Ich stieß mich von der Wand ab, straffte die Schultern und gab mir alle Mühe, nicht zu zeigen, wie sehr ich die plötzliche Distanz bedauerte. Es war zu kühl. Die Weihrauchluft schwer und zeratmet.

»Komm!« Er hielt mir die gefalteten Hände hin.

Ich trat darauf, fasste ihn bei den starken Schultern, hielt mich fest, während er mich in die Höhe stemmte. Dann griff ich nach dem Rand des Lochs und zog mich herauf.

Die drei Männer, die dort gerade an der Spendenschlange warteten, sahen mich entsetzt an. Sie redeten aufgeregt durcheinander. Einer lief sogar in die Cathedral, ohne zuvor gespendet zu haben. Gewiss rief er den Pfarrer.

Zeit zu verschwinden.

Vorher griff ich allerdings noch einmal in meine Manteltasche, kratzte nach den letzten Salzkörnern darin.

»Danke!«, flüsterte ich und war mir doch sicher, dass der Incubus jedes Wort verstand. »Wir sehen uns wieder.« Mit einer flinken Bewegung und zielgerichteten Gedanken streute ich das Salz um die Öffnung, verhinderte so, dass er mir folgen konnte. »Wir sehen uns wieder, sobald ich es wünsche.«

Der Dämon bleckte die Zähne zu einem Grinsen.

Ich wandte mich um, schlug die Kapuze über das Haar und verschwand in der Menge. Zu meinem Erwählten. Um herauszufinden, was ich bisher versäumt hatte. Vielleicht würde mehr daraus werden als ein paar geborgte Stunden. Eine Beziehung im Verborgenen womöglich. Liebe. Vielleicht auch nicht. Wer wusste das schon?

Nur eins war sicher: Irgendwann würde ich den Incubus zu mir rufen. Würde mich ihm hingeben und empfangen, was ich heute ausgeschlagen hatte. Nicht weil ich ihn jetzt schon vermisste, Unsinn. Aber was soll ich sagen? Eine Hexe hält nun einmal ihr Wort.



Interview mit einem Sukkubus

Anna Kügler-Stietenroth

A

zareas Schicht ist bislang ziemlich langweilig. Sie sitzt an ihrem Arbeitsplatz, die klauenbewehrten Füße auf die Tischplatte gelegt, und feilt sich die Nägel, als der Vorarbeiter ihr zuruft: »Wir brauchen einen Sukkubus an Portal drei!«

Na toll. Azarea legt die Nagelfeile weg und steht eher widerwillig auf. Und das kurz vor Feierabend! Auf dem Weg lässt sie ihr schwarzes Schuppenkleid verschwinden. Statt einer Dämonin mit Krallen und langem Schwanz schreitet eine schwarzhaarige Frau auf das Portal zu, die gewisse Männer wohl als üppig bezeichnen würden. Nur die Flügel bleiben. Mit einem tief ausgeschnittenen Kleid, das viel Rücken zeigt, ist das kein Problem.

»Wo geht’s hin?«, fragt sie den Vorarbeiter und wirft die Haare in einer dramatischen Geste über die Schulter. Ihr dunkles Kleid schimmert im Widerschein der Höllenfeuer. »Ich hoffe, das dauert nicht so lange. Ich habe heute Abend noch was vor und ab morgen Urlaub.«

Der Vorarbeiter bedenkt sie mit einem verächtlichen Blick aus gelben Augen und zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Los jetzt.«

Es ist doch immer dasselbe. Azarea strafft die Schultern, gibt sich einen Ruck und durchschreitet das Portal.

Auf der anderen Seite erwartet sie das übliche Bild. Ein abgedunkelter Raum, tropfende Kerzen, ein Pentagramm auf dem Boden, in dem sie erscheint, umgeben von tiefrotem Licht. Zusätzlich ist ein breiter Salzkreis um das Pentagramm gestreut worden. Sie blinzelt. An den grauen Wänden hängen Plakate von Rockbands und alte Eintrittskarten von Konzerten, dazwischen ein Poster, das eine leicht bekleidete Frau aus der Gothic-Subkultur zeigt. Azarea ächzt leise. Bitte nicht schon wieder so ein hormongesteuerter Teenager, der ihr seine Jungfräulichkeit im Tausch gegen ewiges Leben anbietet!

Das Zimmer sieht beunruhigend danach aus. Es gibt einen Schreibtisch, eine Klappcouch und eine Menge Darstellungen von Fledermäusen. Azarea will das Gesicht in den Händen verbergen, doch das ist kein dämonisches Verhalten. Also lässt sie einen möglichst überheblichen Blick durch den Raum gleiten.

Sie entdeckt zwei Beschwörer. Beide tragen lange Kapuzenumhänge, bestimmt aus dem Faschingsladen, und schwarze Masken, die ihre Gesichter bedecken. Sie sind ungefähr gleich groß und scheinen nicht ganz sicher zu sein, wie es jetzt weitergeht.

Azarea unterdrückt einen Seufzer. »Was ist euer Begehr?«, raunt sie in bester Dämonen-Manier.

»Ich grüße dich, Sukkubus.« Der linke Beschwörer räuspert sich. Seine Stimme klingt ziemlich hoch.

»Können wir die Masken jetzt abnehmen?«, fragt der zweite Beschwörer. Noch so eine Piepsstimme. Wie alt sind die beiden, dreizehn?

Der erste Beschwörer hält irritiert inne. »Was?«

»Die Masken. Können wir sie abnehmen? Da kriegt man ja keine Luft drunter.«

Ein tiefer Seufzer. »Von mir aus. Aber dann geht die ganze Atmosphäre flöten.«

»Macht ja nix.« Die schwarze Maske wird heruntergezogen. Dahinter kommt ein braun gebranntes Gesicht zum Vorschein. Azarea zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. Eine Frau!

Auch der erste Beschwörer nimmt die Maske ab. Im Gegensatz zu ihrer Freundin ist sie leichenblass. Dunkles Make-Up um die Augen verstärkt diesen Effekt noch. Ihre Kapuze rutscht zurück und enthüllt tiefrot schimmerndes Haar.

Azarea runzelt die Stirn. Wo ist sie denn hier gelandet?

»Ich heiße Sally«, stellt die Braungebrannte sich vor. Ihre hellen Haare sind eine einzige Masse aus Dreadlocks und Holzperlen. »Ich studiere Journalistik im vierten Semester. Seit einiger Zeit bringen wir eine Campus-Zeitung heraus.« Die Worte sprudeln nur so aus ihrem lächelnden Mund. Azarea weiß nicht, wie sie sich verhalten soll.

»Sie will ein Interview mit dir führen.« Die Grufti-Beschwörerin zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Ich bin nur wegen der Beschwörung hier.«

Ein Interview?

»Das ist Midnight.« Sally blickt zu Azarea empor. »Und wie heißt du?«

Was ist das für eine Art, mit einer Dämonin zu sprechen? Unerhört! »Wisse, dass du dich in der Gegenwart von Azarea befindest, Ausgeburt der untersten Hölle und-«

»Ausgeburt der Hölle?« Fassungslos schüttelt Sally den Kopf. »So redet man über dich? Ist ja furchtbar!« Sie wendet sich an Midnight: »Und du bist sicher, dass sie den Kreis nicht verlassen kann?«

Midnight zuckt mit den Schultern und zieht die Mundwinkel nach unten. Ihrem Gesichtsausdruck nach ist es ihr herzlich egal, ob Azarea den Kreis verlässt und Sally den Kopf von den Schultern reißt oder nicht. »Nee«, sagt sie. »Ist ja der Sinn des Kreises, dass sie nicht rauskann.«

»Cool.« Sally lässt sich auf die Couch fallen und angelt Schreibblock und Kuli vom Boden. Ihre Füße sind nackt. »Also… Azarea. Schreibt man das so, wie man es spricht?«

In all ihren Jahrhunderten ist Azarea nie gebeten worden, ihren Namen zu buchstabieren. Ihr fällt keine passende Antwort ein. »Ja.«

Midnight wandert um das glühende Pentagramm herum und betrachtet Azarea von oben bis unten. »Geile Flügel«, findet sie.

»Ich möchte mit dir über die Sexualisierung von Sukkubi in der modernen Zeit sprechen«, verkündet Sally und lehnt sich entspannt zurück.

»Sukkuben«, korrigiert Midnight.

Sally zuckt mit den Schultern. »Ein wichtiges Thema. Ich arbeite an einem Artikel darüber und hätte gerne Erfahrungen aus erster Hand.«

»Ihr habt mich für ein Interview beschworen?«, entfährt es Azarea. So etwas ist ihr noch nie passiert! »Ich bin eine Dämonin der untersten Hölle! Ich habe Besseres zu tun als Interviews zu geben.«

»Bis Midnight es dir erlaubt, kannst du nirgendwo hin.« Sally grinst breit. »Das tut mir sehr leid, ich würde es gern anders lösen, aber ich weiß nicht, wie.«

»Wir hatten das schon«, schnappt Midnight. »Sie bleibt im Kreis.«

»Du hörst es ja.« Entschuldigend zuckt Sally mit den Schultern. »Gegen sie bin ich machtlos. Also. Es geht um Folgendes-«

Was wird ihr Vorarbeiter sagen? Azarea kann es sich nur zu gut vorstellen. Sie ist hier, um Unheil über die Welt zu bringen und nicht, um sich nett mit einem Menschen zu unterhalten! »Ich stehe nicht für Interviews zur Verfügung«, zischt sie.

Midnight hat ihre Runde um das Pentagramm beendet und steht wieder vor ihr. Sie zuckt mit den Schultern. »Ich seh das so«, fängt sie an. »Du hängst in diesem Kreis fest. Ich hab dich beschworen. Das bedeutet, du musst tun, was ich dir sage.«

 

»So funktioniert das nicht.«

»Im Grunde funktioniert es genau so. Du kannst dich zieren und alles unnötig in die Länge ziehen. Ich hab keine Probleme mit einem Sukkubus in meinem Zimmer. Passt zur Einrichtung.«

»Midnight!«, zischt Sally empört. »Wie redest du denn mit ihr?«

Midnight beachtet sie nicht. Ihr Blick bleibt auf Azarea gerichtet. »Ich kann dich hier tagelang festhalten. Vielleicht beschweren die Nachbarn sich, was soll’s? Sind eh alles ignorante Arschlöcher. Klar, deine Rache trifft mich bestimmt ziemlich hart.« Wieder ein Schulterzucken. Midnight sieht nicht eingeschüchtert aus. »Aber davor hab ich keine Angst. Ich hab gute Verbindungen zu deinen Kollegen und längst einen Deal ausgehandelt. Also? Machst du mit oder sträubst du dich und guckst dir ein paar Tage mein Studentenleben an?«

Sie hätte Feierabend gehabt. Azarea knurrt unwillig. Feierabend, und ab morgen Urlaub. Schlimm genug, dass sie jetzt schon Überstunden machen muss! Sie traut dieser frechen Göre zu, sie noch stundenlang festzuhalten. »Na schön«, zischt sie. »Wenn das dein Begehr ist…«

»Ist es.«

Sally strahlt. »Wunderbar! Wir beeilen uns auch, Azarea, dann musst du nicht so lange im Netz bleiben.«

»Pentagramm.«

»Sag ich doch. Gut.« Sie platziert den Block auf ihren Knien und beugt sich vor. »Du kennst sicher diese übersexualisierten Darstellungen von Sukkubi und Dämoninnen im Internet.«

In der Hölle gibt es kein Internet. Aber Azarea hat genug von diesen Bildern ausgedruckt an Wänden gesehen. »Ja, kenne ich.«

»Wie fühlst du dich damit?«

Wie bitte? Wie fühlst du dich? Azarea zuckt mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Die Zeiten ändern sich eben.« Als Sukkubus ist man nicht mehr länger der Albtraum aller Männer. Im Gegenteil.

Sally macht sich Notizen und nickt nachdenklich. »Beeinträchtigt dich die Wahrnehmung der Sukkubi-«

»Sukkuben«, wirft Midnight ungeduldig ein. »Hab ich dir schon hundertmal gesagt.«

Sally schneidet ihr eine Grimasse. »Beeinträchtigt dich die Wahrnehmung der Sukkuben in deiner alltäglichen Arbeit?«

Kurz denkt Azarea über ihre alltägliche Arbeit nach. »Na ja, es hat sich schon verändert«, gibt sie zu. »Früher habe ich Männer in ihren Träumen besucht, um ihren Samen zu stehlen.« Die gute alte Zeit. »Man hat mich gefürchtet. Und heute … muss ich auf Beschwörungen von rotzfrechen Gören reagieren und mich ihren Wünschen beugen, weil sich das mit den Träumen nicht mehr rentiert.«

Midnight zieht gekonnt eine Augenbraue hoch. »Ich wär vorsichtig, wen ich hier ein rotzfreches Gör nenne.«

Sally winkt ab. »Du sagst doch immer, man soll sich nicht so anstellen.« Zu Azarea gewandt, fährt sie fort: »Das klingt nicht schön.«

»Es ist nicht schön«, stimmt sie zu. »Vor dreihundert Jahren war ich ein Albtraum! Nichts mit Befehle befolgen und in Kreise beschworen werden! Aber heute…« Sie wirft verzweifelt die Hände hoch und lässt sie wieder fallen. »Du siehst es ja selbst. Pentagramme, Salzkreise, Befehle und Männer, die sich über einen Sukkubus freuen. Die wollen, dass ich vorbeikomme. Die beschwören ausdrücklich einen Sukkubus.«

Ein leises Kichern entfährt Midnight. »Klar. Gothic-Girls sind in.«

»Ich bin kein Gothic-Girl.«

»Natürlich nicht.« Sally gestikuliert beschwichtigend. »Das muss furchtbar sein. Warum beschwört man ausgerechnet einen Sukkubus?«

In Midnights Augen sieht Azarea, dass die Beschwörerin die Antwort längst kennt und wahrscheinlich amüsant findet. »Um sich mit uns zu paaren«, gibt sie zu. Wenn man es so sagt, klingt es irgendwie peinlich. »Ich meine, das ist eh das, was wir mit den Männern machen. Mein Job. Dafür bin ich geschaffen worden. Aber doch nicht, wenn die Männer wach sind!«

»Du bist also praktisch eine unfreiwillige Sexarbeiterin«, schlussfolgert Sally. »Das ist nicht lustig, Midnight!«

Midnight zuckt mit den Schultern und holt eine Flasche Wein und drei Gläser aus einer Schublade unter ihrem Schreibtisch. »Für dich auch?«, fragt sie und wirf Azarea einen fragenden Blick zu.

»Ich bin nicht zum Weintrinken hier.«

»Gut, dann halt nicht.« Midnight füllt zwei Gläser und reicht eines davon Sally. Sie scheint sich prächtig zu amüsieren.

Sally sieht nicht so fröhlich aus. Ihr Gesicht ist ernst, sie sieht Azarea traurig an. »Das ist furchtbar, Azarea«, sagt sie voller Mitgefühl. »Gibt es bei euch einen Personalrat, an den du dich wenden könntest? Eine Gleichstellungsbeauftrage?«

Ein Personalrat in der Hölle? Azarea schüttelt den Kopf. Und was die Gleichstellungsbeauftragte angeht… Schon zu biblischen Zeiten war allen Dämonen bekannt, dass Frauen so viel Unheil anrichten können wie Männer. Gleichberechtigung in ihrer reinsten Form. »So was kann man auch nicht ändern«, meint sie. »Es ist eben so. In ein paar hundert Jahren sieht alles vielleicht ganz anders aus.« Und sie will wirklich nicht weiter darüber nachdenken. Sie hat fast Urlaub!

»Was würde denn helfen? Gibt es etwas, das wir Menschen tun können?«

Weniger vollbusige, paarungswütige Dämonenfrauen ins Internet stellen? Azarea ist nicht sicher, ob das helfen würde. Aber dann fällt ihr etwas ein, wie sie dieses Interview überstehen könnte, und zwar so, dass ihr Vorgesetzter zufrieden mit ihr ist. »Wenn ihr wieder an…« Sie gestikuliert vage nach oben. »Na ja, die große Eminenz und so…«

»Gott«, hilft Sally aus.

Azarea verzieht das Gesicht. »Ja, ja. Wenn ihr wieder daran glauben würdet, das würde helfen. Also, richtig glauben. Wie früher.« Sie denkt kurz nach. »Inklusive Hexenverbrennung«, fügt sie hinzu. »Mann, Hexenverbrennungen. Das waren vielleicht Events!«

Sally runzelt die Stirn. »Da sind unzählige Unschuldige qualvoll gefoltert und verbrannt worden.«

»Ohne Qual wäre es keine Folter«, gibt Midnight zu bedenken.

»Das stimmt.« Azarea nickt. »Ich mein ja nur. Mehr Religiosität und weniger, ich weiß nicht, Internet wahrscheinlich. Das würde mir und meinem Berufsstand echt helfen.«

Zögerlich schreibt Sally auf, was die Dämonin gesagt hat. »Ja, gut…« Sie beißt sich unsicher auf die Unterlippe. »Aber meinst du nicht, dass man mit Aufklärung mehr erreichen könnte? Wäre es nicht schöner, wenn du dir deinen Job selber aussuchen könntest?«

»Wenn ich mir meinen Job selber aussuchen könnte, würde ich wieder so arbeiten wie vor fünfhundert Jahren.«

»Das ist nicht sehr emanzipiert, Azarea, ich muss schon sagen.«

Der schrille Ton einer Türklingel unterbricht Sally. Midnight stellt ihr Weinglas auf den Schreibtisch. »Das ist die Pizza«, verkündet sie. »Können wir Schluss machen, Sally?«

»Aber…«

»Ich hab Hunger.«

»Und ich hab Feierabend«, rutscht es Azarea raus.

»Oh.« Sally legt ihren Block beiseite und nickt hastig. »Das wusste ich nicht, bitte entschuldige. Vielen Dank, dass du dich meinen Fragen gestellt hast.«

Midnight verdrehte ihre schwarz umrandeten Augen. »Mach mal dem Pizzaboten auf«, seufzt sie. »Ich banne den Sukkubus.«

»Sie hat einen Namen«, zischt Sally im Hinausgehen.

Azarea blickt ihr nach. Was für ein seltsamer Mensch.

Midnight bemerkt ihren Blick und zuckt mit den Schultern. »Der Deal war gut«, meint sie gelassen. »Ich beschwör ihr einen Sukkubus, sie bezahlt die Pizza. Perfekt, oder?«

»Ja?«

»Ja. Nun denn.« Midnight zieht sich die Kapuze über die roten Haare und hebt die Hände zu einer letzten Beschwörung. »Hebe dich hinfort, grässlicher Dämon, und kehre zurück in die Hölle, aus der du gekrochen kamst!«

Das Pentagramm leuchtet grell auf. Azarea schließt die Augen und schüttelt sich, als sie aus Portal drei tritt. Ihr Kleid wird wieder zu Schuppen, die High Heels zu klauenbewehrten Füßen. Sie streckt die Flügel. Endlich zurück.

Ihr Vorarbeiter kommt auf sie zu. »Ich erwarte deinen Bericht noch vor deinem Urlaubsantritt!«, keift er.

Gelassen winkt Azarea ab. »Keine Sorge, den kriegst du.«


Auf der Erde sitzen Sally und Midnight über ihren Pizzen. Midnight ist zufrieden mit sich; ihre Freundin nicht so. Sie geht wieder und wieder ihre Interviewnotizen durch. »Mann, das kann ich doch so nicht schreiben«, klagt sie.