Sprachtherapie mit Kindern

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Der vierte Therapiebereich „Wortform: Repräsentation und Zugriff“ fokussiert schließlich die Ausdifferenzierung sowie den verbesserten Zugriff auf die phonologischen Wortformen. Dieser Übungsbereich richtet sich in erster Linie an wortfindungsgestörte Kinder (Siegmüller / Kauschke 2013; Siegmüller 2008; Beier 2013; Beier / Siegmüller 2013; Gnadt 2016).


Abb. 11: Übungsbereiche PLAN bei Wortfindungsstörungen (nach Beier 2013; Gnadt 2016)

Wortfindungstherapie nach PLAN Wie aus Abbildung 11 hervorgeht, findet die Therapie von Wortfindungsstörungen (WFS) nach PLAN auf den drei Ebenen „Training des Kurzzeitgedächtnisses“, „Ausdifferenzierung von Wortformen“ und „Phonologische Bewusstheit“ statt. Dies begründet sich damit, dass Defizite innerhalb der phonologischen Informationsverarbeitung für die Verursachung von kindlichen Wortfindungsstörungen als zentral angesehen werden. Die Intervention richtet sich daher in erster Linie auf die Verbesserung der Sprachverarbeitungsfähigkeiten sowie auf die Ausdifferenzierung der phonologischen Wortformen (Beier / Siegmüller 2013; Gnadt 2016). Versucht man eine Zuordnung zu den anfangs vorgeschlagenen drei Säulen der Wortschatztherapie, finden sich in der Wortfindungstherapie nach PLAN sowohl Elemente der phonologischen Elaborations- als auch der Abruftherapie. Insgesamt werden drei rezeptive und drei expressive Übungsbereiche vorgeschlagen. Die rezeptive Arbeit ist den expressiven Bereichen jeweils vorgeschaltet.

Übungsbereiche ■ Übungsbereich 1 – Identifikation von Wörtern und Pseudowörtern: Aufgabe des Kindes ist es, ein Signalwort in einer vorgegebenen Wortreihe zu identifizieren. Unterschiedliche Anforderungsniveaus können über eine systematische Variation von Wortfrequenz und -länge, die phonologische Ähnlichkeit von Signal- und Ablenkerwörtern sowie den Einsatz von Pseudowörtern als Signalwörter hergestellt werden.

■ Übungsbereich 2 – Wort-Nichtwort-Entscheidung: Das Kind soll entscheiden, ob es sich bei dem vorgesprochenen Wort um ein real existierendes Wort oder um ein Pseudowort (Quatschwort, Roboterwort, o. Ä.) handelt. Die phonologische Ähnlichkeit sowie die Wortfrequenz werden auch hier systematisch variiert.

■ Übungsbereich 3 – Wahrnehmung von prosodischen und phonologischen Charakteristika: In diesem Übungsbereich wird die phonologische Bewusstheit des Kindes gefördert, wobei zunächst ausschließlich rezeptive Leistungen von ihm erwartet werden (z. B. Reimentscheidungen treffen).

■ Übungsbereich 4 – Merkfähigkeit für Wörter und Pseudowörter: Aufgabe des Kindes ist das kurzzeitige Merken und Wiedergeben von Einzelwörtern, Wortsequenzen und Pseudowörtern jeweils mit steigender Silbenanzahl.

■ Übungsbereich 5 – Analyse und Synthese: Hier werden Übungen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit durchgeführt, bei denen von den Kindern eine expressive Leistung verlangt wird. Hierzu gehört das Segmentieren von Wörtern in Silben oder einzelne Phoneme, sowie die Synthese von Silben oder Lauten zu Wörtern.

■ Übungsbereich 6 – Abruf von Einzelwörtern: Dieser expressive Übungsbereich zielt auf den hochfrequenten Abruf von exemplarisch ausgewählten Einzelwörtern, die die Eltern des Kindes als besonders problematisch eingeschätzt haben (Beier 2013). Hierzu werden Kontexte geschaffen, die einen mehrfachen Abruf dieser Wörter erfordern. Ziel ist der mindestens dreimalige, spontane Abruf des Wortes in einer Therapieeinheit.

Insbesondere für Kinder mit hohem Störungsbewusstsein empfehlen die Autorinnen den Einsatz einer „Abrufhilfe“ oder „Abrufkarte“ (Siegmüller / Kauschke 2013; Beier 2013). Diese kann das Kind immer dann einsetzen, wenn in realen Kommunikationssituationen Abrufschwierigkeiten auftreten. Die Situation wird dann „eingefroren“ und der Therapeut hilft dem Kind mit der größtmöglichen externen Hilfe (z. B. semantische Hilfe, phonologische Hilfe, Vorgabe des Wortes) beim Deblockieren seines Abrufs (Gnadt 2016).

semantische und phonologische Inhalte in PLAN Im Gegensatz zu den oben beschriebenen semantisch ausgerichteten Therapiebereichen 1-3 erfolgt die Auswahl des Wortmaterials für wortfindungsgestörte Kinder in Therapiebereich 4 nicht anhand von semantischen Überlegungen. Vielmehr steht hier die phonologische Struktur eines Wortes, seine Silbenanzahl und seine Wortfrequenz für die Auswahl im Mittelpunkt. Die Wortfindungstherapie ist damit sowohl inhaltlich als auch methodisch weitgehend losgelöst von der vorherigen Arbeit an den drei semantisch orientierten Therapiebereichen. Dies ist durchaus so gedacht. So richtet sich die soeben skizzierte Wortfindungstherapie ausschließlich an „Kinder, die eine Verarbeitungsstörung, nicht aber lexikalische und / oder semantische Defizite aufweisen“ (Beier 2013, 4). Aus patholinguistischer Sicht basiert die WFS auf der sogenannten Abrufhypothese (Kap. 2), derzufolge defizitäre Speicherbedingungen der lexikalischen Repräsentationen eine untergeordnete Rolle bei der Verursachung spielen, weshalb sie auch in der Konzeption von Therapiemaßnahmen nicht berücksichtigt werden müssen (Gnadt 2016).

Möglicherweise zusätzlich bestehende semantische Unsicherheiten eines Kindes sollten „in einer eigenen Therapiephase vor der Wortfindungstherapie“ bearbeitet werden (Siegmüller 2008, 9).

Evidenznachweise PLANE Die Effektivität des patholinguistischen Vorgehens für lexikalisch gestörte Kinder wurde im Rahmen einiger Fallstudien evaluiert (Siegmüller / Fröhling 2003; Siegmüller 2008). Eine Reihe von Effektivitätsstudien wurde zudem zur Methode der Inputspezifizierung bei Kindern im Late-Talker-Stadium durchgeführt (Siegmüller / Ringmann 2015 für einen Überblick).

Siegmüller und Fröhling (2003) evaluierten eine semantische Elaborationstherapie nach PLAN mit Fokus auf der semantischen Kategorisierung. Sechs Late-Talker-Kinder im Alter zwischen 2;2 und 2;10 Jahren bildeten die Untersuchungsgruppe und wurden mit sechs alters- und sprachähnlichen Kindern einer Kontrollbedingung (Wartegruppe) verglichen. Nach elf bis 25 Therapieeinheiten zeigte sich ein signifikant größerer Zuwachs im aktiven Wortschatz für die Therapiekinder gegenüber den Kindern in der Kontrollgruppe.

Siegmüller (2008) untersuchte die Effektivität der patholinguistischen Therapie für wortfindungsgestörte Kinder. An der Studie nahmen N = 10 Kinder im Alter zwischen 4;10 und 10;4 Jahren teil. Die Kinder erhielten zwischen 14 und 25 Therapieeinheiten mit PLAN. Bei acht der zehn Kinder zeigte sich eine signifikante Zunahme der Wortabrufgeschwindigkeit. Da jedoch keine unabhängige Kontrollgruppe vorhanden war, sind interventionsunabhängige Wirkfaktoren, wie allgemeine Reifungsprozesse, nicht auszuschließen. Dies gilt insbesondere, da für viele Altersgruppen noch keine zuverlässigen Normdaten für das Schnellbenennen vorliegen, wir also nicht genau wissen, wie stark sich die Zugriffsgeschwindigkeit altersbedingt innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erhöht.

4.3.2 Wortschatzsammler

„Wortschatzsammler“ ist ein strategieorientiertes Therapiekonzept für lexikalisch gestörte Vorschul- und Schulkinder. Es wurde von Motsch, Marks und Ulrich entwickelt und hinsichtlich seiner Effektivität in zwei umfassenden Interventionsstudien überprüft (Kap. 4.4, Motsch et al. 2016; Ulrich 2012; Marks 2017).

Zielgruppe Zielgruppe der Wortschatzsammler-Therapie sind in erster Linie wortschatzauffällige Kinder mit einer (spezifischen) Sprachentwicklungsstörung. Positive Erfahrungen liegen jedoch auch für Kinder mit leichteren kognitiven Einschränkungen im Bereich der Lernbehinderung vor. Das Konzept hat sich für Kinder mit unterschiedlichen lexikalischen Störungsschwerpunkten (Kap. 2) als effektiv erwiesen (Ulrich 2012; Motsch / Ulrich 2012a). Die Therapie eignet sich ausdrücklich auch für Kinder, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen (Motsch / Marks 2015b). Die in der Therapie vermittelten Prinzipien und Strategien sind zunächst einmal sprachunspezifisch, weshalb sie auch auf die andere, nicht-therapierte Sprache des Kindes angewandt werden können. Erste Hinweise für positive Übertragungseffekte auf die nicht-therapierte Erstsprache der Kinder liegen vor (Motsch / Marks 2016).

 

Das Wortschatzsammler-Konzept eignet sich für Kinder ab dem Alter von vier Jahren und kann erfahrungsgemäß gut bis zum Ende der 2. Schulklasse eingesetzt werden. Daran schließt sich ein modifiziertes Konzept für ältere Schulkinder an, dessen Einsatz abhängig von den schriftsprachlichen Fähigkeiten des Kindes ab der 2. bzw. 3. Schulklasse empfohlen werden kann (Motsch et al. 2016).

Im Folgenden werden zunächst die grundlegenden Prinzipien, Methoden und Vorgehensweisen beschrieben, die beiden Konzepten zugrunde liegen, bevor anschließend ein Ausblick auf die Modifikationen erfolgt, die für die älteren Schulkinder vorgenommen wurden.


Eine ausführliche Beschreibung beider Therapiekonzepte mit exemplarischen Dialogbeispielen sowie eine DVD mit umfangreichem Therapiematerial enthält

Motsch, H.-J., Marks, D.-K., Ulrich, T. (2016): Wortschatzsammler. Evidenzbasierte Strategietherapie lexikalischer Störungen im Kindesalter. Ernst Reinhardt, München / Basel.

Kürzere Falldarstellungen finden sich zudem bei

Marks, D.-K. (2015): Wortschatzsammler im Schulalter – Kasuistische Illustrationen. Logos 23 (4), 280-289 sowie

Ulrich, T., Schneggenburger, K. (2012): Lexikalische Strategietherapie für Vorschulkinder mit dem „Wortschatzsammler“. Sprachförderung und Sprachtherapie in Schule und Praxis 2 (2), 63-71.

Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe Das Ziel der Wortschatzsammler-Therapie besteht darin, die Reaktionen des Kindes in den Situationen zu verändern, in denen ihm lexikalisches Wissen fehlt oder dieses nicht abrufbar ist. Über den Einsatz von Erwerbs-, Speicher- und Abrufstrategien erhält das Kind die Möglichkeit, eigenaktiv seine lexikalische Entwicklung voranzutreiben. Die Therapie stellt somit „Hilfe zur Selbsthilfe“ dar (Motsch et al. 2016).

Prinzipien Viele wortschatzauffällige Kinder haben in der Vergangenheit negative Erfahrungen aufgrund ihrer lexikalischen Defizite gemacht. Für viele Kinder ist die Tatsache, dass sie die Bezeichnungen für viele Dinge nicht kennen oder zu wenig Wissen über Wörter haben, ein Grund für Scham und Frustration. In unserer Gesellschaft ist Nicht-Wissen zudem grundsätzlich negativ besetzt, weshalb selbst wir Erwachsenen uns oft davor scheuen, etwas zu fragen, da wir Angst haben, dies könne eine „dumme“ Frage sein. Innerhalb der Wortschatzsammler-Therapie soll diese Grundhaltung verändert werden: Das Entdecken von unbekannten Wörtern wird nun zum Erfolgserlebnis für die Kinder. Sie erfahren, dass das Nicht-Kennen oder das Nicht-Wissen als etwas Positives aufgefasst wird und schöpfen daraus den Mut, sich fehlendes Wissen aktiv zu erfragen. Die Fragen des Kindes werden als Geschenke aufgefasst. Sie sind besonders wertvoll, da sie dabei helfen, die lexikalische Entwicklung des Kindes voran zu treiben (Kap. 1). Es ist wichtig, dass auch die Eltern und Bezugspersonen des Kindes eine wertschätzende Haltung gegenüber den kindlichen Fragen einnehmen.

Die Rahmenhandlung der Therapie bildet eine Schatzsuche mit dem Piraten Methode Tom, einer Zweihandpuppe. Mit ihm darf das Kind auf eine Schatzsuche gehen. Ziel der Schatzsuche ist es, möglichst viele Schätze in Form von unbekannten Dingen zu sammeln.


Unbekannte Dinge (= Schätze) bei der Schatzsuche:

■ Die Wortbedeutung ist unbekannt: „Ich weiß nicht, wofür man das braucht, was man damit macht, ...“

■ Die Wortform ist unbekannt: „Ich weiß nicht, wie das heißt.“

■ Wortform und / oder Wortbedeutung sind gerade aktuell nicht abrufbar: „Ich kenne das, aber weiß nicht mehr, wie das heißt.“

Die Erwerbs-, Speicher- und Abrufstrategien werden am Modell der Handpuppe Tom präsentiert. Da die Vermittlung der Strategien nicht direkt, sondern in Form des Modelllernens erfolgt, können bereits Kinder im frühen Vorschulalter mit noch eingeschränkten metalinguistischen und -kognitiven Fähigkeiten diese imitieren und übernehmen. Zudem wird über den Einsatz einer Handpuppe selbst in der Einzeltherapie stets eine „Dreier-Konstellation“ hergestellt, in der eine Person fragen, eine weitere antworten und das Kind beobachten kann.

neuer Blick Der neue Blick ist der erste Schritt in ein verändertes Wortlernverhalten. Bei den Kindern soll die Neugier auf neue Wörter geweckt werden. Sie lernen, ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Dinge, Tätigkeiten und Personen in ihrer Umgebung zu lenken, die sie noch nicht kennen, als auf das, was ihnen schon bekannt ist. Diesen „Entdeckerblick“ (Motsch et al. 2016, 131) erwerben die Kinder zunächst mit dem Blick in die Schatzkiste. Während sie in den ersten Stunden oftmals erst einmal die bekannten Dinge herausholen und stolz mit einem „Das kenn ich schon!“ präsentieren, erfahren sie durch die Reaktion von Tom („Ach schade, dann ist das ja kein Schatz für dich!“), dass sie an dieser Stelle „umdenken“ müssen. Das Finden von Schätzen wird vor allem in den ersten Therapiestunden besonders stark positiv verstärkt („Du weißt nicht, wie das heißt? Prima, dann hast du ja schon einen Schatz gefunden!“), um dies zu unterstützen. Einmal erworben soll der „Entdeckerblick“ von den Kindern mit in ihren Alltag genommen werden, so dass sie auch außerhalb des Therapieraums und der Therapiestunde ihre Augen und Ohren für neue und unbekannte Wörtern offen halten.

neuer Mut Mit dem Entdecken eines Gegenstandes oder einer Handlung als „Schatz“ stellt das Kind somit fest, dass ihm lexikalisches Wissen zu einem Referenten fehlt. Es kann sich nun helfen, indem es sich das fehlende lexikalische Wissen eigenaktiv erfragt. Am Modell der Handpuppe Tom werden unterschiedliche Fragestrategien angeboten, mit denen verschiedene Aspekte des Wortwissens erfragt und so die gefundenen Schätze semantisch oder phonologisch elaboriert werden können.


Mögliche Fragen nach der Wortbedeutung sind:

■ Was macht man damit?

■ Wofür braucht man das?

■ Wer hat so etwas?

■ Wie sieht das aus?

■ Wer macht so etwas? (bei Verben)

■ Was kenne ich, das so ähnlich ist?

Mögliche Fragen nach der Wortform sind:

■ Wie heißt das?

■ Wie nennt man das?

■ Was macht er / sie? (bei Verben)

Während in der Elaborationstherapie der Therapeut ihm wichtig erscheinende Merkmale auswählt und dem Kind anbietet, entscheidet im Wortschatzsammler-Konzept das Kind selbst, welches die „wichtigen Informationen“ sind, die ihm zu seinem Schatz fehlen und die es sich erfragen möchte. Ist das Kind unsicher über die Funktion und den Gebrauch eines Gegenstandes, wird es danach fragen; ist es unsicher über die Klanggestalt des Wortes, wird es vor allem danach fragen. Der Therapeut sowie das Modell der Handpuppe Tom unterstützen das Kind dabei, immer stärker eigenaktiv und zielgerichtet Fragen zu seinen Schätzen zu stellen. Während viele Kinder zu Beginn der Therapie noch nicht genügend Mut aufbringen, um Fragen zu stellen, ist erfahrungsgemäß spätestens in der fünften Therapiestunde jedes Kind dazu in der Lage, eigenaktiv und selbstständig Fragen zu seinen Schätzen zu stellen.

neues Know­how Unter dem neuen Know-how werden unterschiedliche Strategien zusammengefasst, mit denen zum einen das Einspeichern und zum anderen der Abruf von Wörtern unterstützt werden sollen. Bei den Vorschulkindern sind dies im Wesentlichen zwei Speicherstrategien (oder „Tricks“).

Speicherstrategien Silbisches Durchgliedern: Das silbische Durchgliedern ermöglicht es, vor allem längere oder phonologisch komplexe Wortformen besser analysieren und im mentalen Lexikon abspeichern zu können. Hierzu werden die Silben des Wortes geklatscht, geklopft oder gehüpft. Dieser Speichertrick kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn das Kind Silbenauslassungen oder -hinzufügungen vornimmt (z. B. Fiebermeter, Stethostoskop). Die Anzahl der korrekten Silben kann dann zusätzlich über das Legen von Steinchen o. Ä. visualisiert werden.

Aktivieren des Rehearsal-Prozesses (Zaubertrick): Über eine Aktivierung des Rehearsal-Prozesses soll die bei lexikalisch gestörten Kindern oftmals eingeschränkte Kapazität der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses (Kap. 2) kompensiert werden. Während sprachunauffällige Kinder etwa ab dem Schuleintritt das Rehearsal bewusst als Strategie einsetzen (Gathercole et al. 1994), können über die kindgerechte Vermittlung als Zaubertrick bereits die vierjährigen wortschatzauffälligen Kinder von dieser äußerst effektiven Arbeitsgedächtnisunterstützung Gebrauch machen (Ulrich / Schneggenburger 2012). Beim Zaubertrick wird das zu merkende Wort dreimal etwas verlangsamt, aber mit korrekter Betonung gesprochen. So wird das Wort „in den Kopf des Kindes gezaubert“.

Bei den älteren Schulkindern wurde eine Reihe von weiteren Speicherstrategien hinzugenommen, die sich aufgrund der fortgeschrittenen metalinguistischen und -kognitiven Fähigkeiten der Kinder als angemessen und hilfreich herausstellten (Motsch et al. 2016; Marks 2015, 2017).

Abrufstrategien Gelingt dem Kind der schnelle und gezielte Zugriff auf ein bestimmtes Wort nicht, muss es das langfristige Ziel der Therapie sein, die Kinder zum eigenständigen Deblockieren über selbst generierte Hinweisreize zu befähigen (self-priming / self-cueing, Kap. 1). Nur so können abrufgestörte Kinder langfristig unabhängig von externen Hilfen durch Therapeuten, Eltern oder Lehrer werden. Um die Kinder an diese kognitiv äußerst anspruchsvolle Aufgabe heranzuführen, demonstriert auch die Handpuppe Tom mögliche Abrufschwierigkeiten und generiert eigene Hinweise, um sich selbst zu deblockieren. Mit älteren Kindern wird konkret das Vorgehen erarbeitet, um sich Abrufhinweise zu generieren und diese zum Abruf zu nutzen (Therapieeinheiten 18 bis 20 zum „self-priming“ im Schulalter-Konzept; Tab. 18).

Zielwörter als Transporter Auch im Wortschatzsammler-Konzept wird ein exemplarisches Set an Wörtern als Material für die Therapie ausgewählt. Entscheidender Unterschied zur Elaborationstherapie ist jedoch, dass das „Lernen“ dieser Wörter, also die Vermittlung eines exemplarischen Therapiewortschatzes nicht das Ziel der Therapie ist. Die Wörter stellen also keine „Ziel“-Wörter im eigentlichen Sinne dar. Vielmehr dienen sie als Transporter, mit denen den Kindern die unterschiedlichen lexikalischen Strategien vermittelt werden können. Bei den Vorschulkindern und den jüngeren Schulkindern steht in jeder Therapieeinheit ein Stundenthema mit entsprechendem Wortmaterial im Mittelpunkt. In der Schatzkiste befinden sich in der Regel vier Nomen in Form von Realgegenständen sowie zwei Verbfotos. Mögliche Stundenthemen sind z. B. Einkaufen, Werkzeuge, Am Schreibtisch, Im Bad, Polizei, Zirkus. Für die älteren Schulkinder befinden sich in der Schatztruhe ausschließlich Bild- und Schriftkarten. Das Wortmaterial gehört nun nicht mehr thematisch zusammen, sondern wird z. B. nach semantischen Relationen ausgewählt (Tab. 18).

Phasen der Therapiestunde Jede Therapiestunde folgt einem festen Ablauf und besteht aus vier Phasen (Tab. 17). Unterschiedlich sind nur die jeweiligen Füllungen der Schatztruhe.

Tab. 17: Vier Phasen des Wortschatzsammler-Konzepts


InhalteZiele
Phase 1Suchen und Auspacken der Schatztruhe, Sammeln der Schätze in den Schatzsack– Aufmerksamkeit auf die lexikalischen Lücken richten – erstmaliges Angebot der Fragestrategien durch Tom
Phase 2Erkunden und Ausprobieren der gesammelten Schätze, Aktivitäten und Spiele mit den Schätzen– Fragestrategien zur semantischen und phonologischen Elaboration erlernen und eigenständig einsetzen – Strategien zum verbesserten Einspeichern erlernen und anwenden
Phase 3Die Kontrollinstanz (Vorschule: Zauberer, Schule: Therapeut) verzaubert die echten Schätze in kleine Fotos.– erneuter Abruf der Wortform- und -bedeutungsinformationen – Frage-, Speicher- und Abrufstrategien einsetzen wenn notwendig
Phase 4Schätze sichern im Schatzheft/ Schatzkasten– semantische Relationen entdecken – Strategien zum semantischen Sortieren und Kategorisieren erwerben

■ Phase 1: Das Kind darf die Schatztruhe, die zuvor im Therapieraum versteckt wurde, suchen. Ist sie gefunden, dürfen Kind und Tom abwechselnd jeweils einen Schatz in ihren Schatzsuchersack stecken. Schätze sind dabei nur die Dinge, deren Bedeutung oder Wortform unbekannt ist, oder die aktuell nicht benannt werden können. Über das Modell von Tom werden erstmals die Fragestrategien angeboten.

 

■ Phase 2: In der zweiten Phase werden die gefundenen Schätze erkundet und ausprobiert. Fragen zur semantischen und phonologischen Elaboration werden am Modell von Tom angeboten und Speicherstrategien eingesetzt, um schwierige Wortformen besser abspeichern zu können. Im Vorschulalter findet eine konkrete Spielhandlung mit den gefundenen Schätzen statt (z. B. einen Nagel einschlagen, als Polizist eine Verkehrskontrolle durchführen, einen Knopf annähen). Im Schulalter werden spielerische Aktivtäten mit dem Wortmaterial durchgeführt (Tab. 18).

■ Phase 3: Die dritte Phase zielt auf den erneuten Abruf des semantischen und phonologischen Wortwissens zu den gesammelten Schätzen. Bei den Vorschulkindern fragt eine weitere Handpuppe, der Zauberer, die Kinder nach Wortform und Wortbedeutung ihrer Schätze. Im Schulalter übernimmt diese Aufgabe der Therapeut. In jedem Fall erhält das Kind ein kleines Foto von seinem Schatz, wenn es dieses Wissen spontan abrufen konnte oder sich über den erneuten Einsatz von Frage-, Speicher- oder Abrufstrategien geholfen hat.

■ Phase 4: Die Fotos der Schätze werden nun noch gesichert. Dies erfolgt bei den Vorschulkindern in einem Schatzheft. Hierbei werden am Modell von Tom Anregungen zur semantischen Sortierung und Kategorisierung gegeben. Wie bereits ausgeführt, steht im Mittelpunkt dieser Aktivität nicht die Frage nach einer „richtigen“ Sortierung, sondern die grundsätzliche Einsicht des Kindes, dass Dinge aufgrund von Gemeinsamkeiten und Unterschieden enger oder weniger eng zusammengehören. Die älteren Schulkinder kleben ihre Schatzfotos auf Karteikarten und schließen diese in einem Schatzkasten sicher weg. Zusätzlich können wichtige semantische Merkmale, thematisierte semantische Relationen oder auch phonologische Charakteristika wie Silbenanzahl oder Anlaut mit auf der Karteikarte festgehalten werden.

Modifikationen für ältere Schulkinder Auch wenn Ziele, Prinzipien und Ablauf gleich sind, enthält das Wortschatzsammler-Konzept für die älteren Schulkinder einige zusätzliche Elemente, die den fortgeschrittenen sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten dieser Kinder Rechnung tragen.

In erster Linie ist hier das Schriftbild als wichtige Ressource und zusätzliche Informationsquelle für die Speicherung der Wörter zu nennen.

Die lexikalischen Strategien werden auf einer sogenannten „Tipp-Tafel“ visualisiert. Diese Tipp-Tafel wird innerhalb der ersten drei Therapiestunden schrittweise eingeführt und dient als eine Erinnerungsstütze für die Kinder (Abb. 12).


Abb. 12: Tipp-Tafel zur Visualisierung lexikalischer Strategien (Motsch et al. 2016, 203)

Das Wortmaterial, also die Füllungen für die Schatzkisten, ist den veränderten Bedürfnissen und Fähigkeiten älterer Kinder angepasst. Dementsprechend befinden sich in der Schatztruhe nun keine realen Gegenstände oder Spielgegenstände mehr, sondern ausschließlich Fotos, Zeichnungen und Schriftkarten. Die Auswahl der Wörter orientiert sich nicht mehr an thematischen Aspekten, sondern z. B. an wichtigen semantischen Relationen wie der Hyperonymie (Oberbegriffe, Therapieeinheit 4 und 5, Tab. 18) oder der Antonymie (Gegenteile, Therapieeinheiten 6 bis 8, Tab. 18).

Tabelle 18 zeigt eine Übersicht der 20 bereits entwickelten Therapieeinheiten für die älteren Schulkinder.

Tab. 18: Übersicht über die 20 Therapieeinheiten im Wortschatzsammler-Konzept für die älteren Schulkinder (Motsch et al. 2016, 190)


Einheit Stundenthema Aktivitäten in Phase 2
Einführung
1-2 Einführung: Tom und die Schatzsuche kennenlernen Einführung der Tipp-Tafel und des Schatzkastens
3 Tom und die Schatzsuche kennenlernen, Einführung des Alltagspiraten Schatzsuche im Therapieraum, Vervollständigung der Tipp-Tafel
Arbeit mit semantischen Relationen
4-5 Hyperonyme (Oberbegriffe) „Fang den Hut“-Spiel
Antonyme (Gegenteile)
6 Adjektive Botendienst
7 Nomen Lückensätze
8 Verben Pantomime
9 10 Polyseme („Teekesselchen“) Ratespiel Quizsätze
11­12 Homonyme („Teekesselchen“) Trimory I und II
13 14 Synonyme „Fang den Hut“-Spiel Botendienst
Kreativer Wortschatz
15 16 Präfixierung mit Verben Ratespiel Pantomime
17 Nomina Komposita (zusammengesetzte Nomen) Memory
Self­priming
18 19 20 Mindmap­Arbeit Mindmap-Einführung Mindmap-Wettkampf Mindmap-Bingo
Abschluss: Erhalt der Wortschatzsammler-Urkunde; Verabschiedung von Tom

Wie aus Tabelle 18 ersichtlich ist, beinhaltet die Therapie auch Elemente zur Förderung des „kreativen Wortschatzes“. Hier wird den Kindern aufgezeigt, wie sie ihren vorhandenen Wortschatz kreativ erweitern können, z. B. indem sie unterschiedliche Präfixe vor einen Verbstamm stellen und damit neue Wörter mit potenziell unbekannten Bedeutungen entstehen. In den Therapieeinheiten 18 bis 20 steht schließlich das sogenannte self-priming im Vordergrund. Wie bereits beschrieben, werden die Kinder hier dazu angeleitet, sich selbst Hinweisreize zu nicht-abrufbaren Wörtern zu generieren und sich somit bei Abrufstörungen eigenaktiv zu deblockieren.

Transfer Damit der Einsatz der gelernten Strategien nicht auf die Therapiesituation begrenzt bleibt, kommt dem Transfer der Strategien in den Alltag des Kindes eine entscheidende Rolle zu.

Schatzsuche im Therapieraum Die ersten Schritte in Richtung Transfer machen die Schulkinder bereits in der dritten Therapieeinheit, in der sie Schätze im Therapieraum suchen sollen. Mit Unterstützung von Tom gelingt es ihnen nun bereits, ihren „Entdeckerblick“ nicht nur auf die Schatzkiste, sondern auch auf andere Dinge im Therapieraum zu richten. In jedem Therapieraum – möge er noch so reizarm eingerichtet sein – findet sich für die Kinder eine ganze Reihe von „Schätzen“.

Einbezug von Eltern und Umfeld Sobald die Kinder damit beginnen, erste eigene Fragen in der Therapie zu stellen, ist die Zeit gekommen, um die Anwendung der erlernten Strategien auch nach außen zu tragen. Gerade für die jüngeren Kinder ist dabei die Unterstützung durch die Eltern zentral, um einen erfolgreichen Transfer der Strategien in den Alltag zu erreichen. Es bietet sich an, bereits zu Beginn der Arbeit mit dem Wortschatzsammler-Konzept deutlich zu machen, dass ein solches Vorgehen die elterliche Mitarbeit voraussetzt, damit die Strategien erfolgreich in den Alltag übertragen werden können und so die Therapie möglichst gute Erfolge erzielen kann. Sind die Eltern eines Kindes aus bestimmten Gründen nicht dazu in der Lage dies zu gewährleisten, können alternativ auch Erzieher oder Lehrer als Unterstützer in den Transferprozess eingebunden werden.

Tagespirat Die Aufgabe des Kindes im sogenannten „Tagespiraten“ (Motsch et al. 2016, 179f.) besteht darin, auch zuhause auf die Suche nach unbekannten Wörtern zu gehen. Die Eltern sollen ihr Kind dabei unterstützen und die zuhause gesammelten Schätze wieder mit in die Therapie bringen. In welcher Form dies erfolgt, kann mit den Eltern individuell abgestimmt werden – in einigen Fällen bietet es sich an, wenn die Eltern einen ausgefüllten Sammelplan mitbringen, andere Familien kümmern sich selbst um das Fotografieren der Schätze und / oder das Ausdrucken kleiner Fotos zu den gesammelten Schätzen des Kindes.

Unterrichts­ und Wochenendpirat Die älteren Schulkinder gehen nicht nur zuhause, sondern auch im Unterricht auf die Suche nach neuen Wort-Schätzen und bringen diese mit in die Therapie.

In jedem Fall werden die außerhalb der Therapiestunde und des Therapieraumes gesammelten Schätze mit in das Schatzheft bzw. den Schatzkasten der Kinder eingefügt. Für jeden gesammelten Schatz erhalten die Kinder zudem einen Piratenstempel für ihren Sammelplan. Für eine vorher vereinbarte Anzahl an gesammelten Stempeln erhalten die Kinder eine kleine Belohnung.

Therapieabschluss „Wortschatzsammler“ versteht sich als „Anstoßtherapie“, die den Kindern effektive „Hilfe zur Selbsthilfe“ geben und das eigenaktive lexikalische Lernen aktivieren möchte. Dementsprechend findet die Arbeit mit dem Wortschatzsammler immer als zeitlich umgrenzte Kurzzeit-Intervention statt, die maximal 20 Therapieeinheiten umfassen sollte. Die Therapie kann beendet werden, wenn das Kind die vermittelten Speicher-, Erwerbs- und Abrufstrategien in der Therapie eigenaktiv einsetzt und wenn gewährleistet ist, dass der Transfer der Strategien im kommunikativen Alltag des Kindes in Schule, Kindergarten und Elternhaus fortgeführt wird. Letzteres kann sichergestellt werden, indem regelmäßige Kontrolltermine bzw. Elterngespräche vereinbart werden. Viele Kinder werden über ihre lexikalischen Defizite hinaus jedoch noch andere sprachliche Beeinträchtigungen aufweisen, so dass eine kontinuierliche sprachtherapeutische Weiterbetreuung der Kinder sowieso erforderlich ist. In diesem Fall kann der weiterhin bestehende regelmäßige Kontakt mit den Eltern dazu genutzt werden, das Gelingen des Transfers zu beobachten und mögliche Hilfestellungen oder Unterstützungsangebote bei auftauchenden Schwierigkeiten anzubieten.

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