Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen

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Aussprache
Aussprache und Intonation im Französischunterricht

Wertigkeit für die kommunikative Kompetenz

Christine Michler

1. Problemaufriss

Kommunikation zwischen Menschen läuft gemäß dem allgemein als gültig anerkannten Sender-Empfänger-Modell nach einem Muster ab, das – auf seine elementaren Bestandteile reduziert – auf der Kodierung eines Sachverhalts durch den Sender und der Dekodierung durch den Empfänger beruht. Um erfolgreich zu kommunizieren, müssen beide über einen gemeinsamen Code verfügen, damit das, was der Sender inhaltlich ausdrücken möchte und entsprechend in (Teil-)Sätze und Laute umsetzt, vom Empfänger erst auf der lautlichen Ebene, dann auf der Satz- und Inhaltsebene entschlüsselt werden kann.

Dies bedeutet zum einen, dass das Gelingen der verbalen Kommunikation von einem gemeinsamen Bestand an lexikalischen Einheiten und einem Fundament an grammatischen Strukturen abhängig ist, zum anderen, dass jedoch diese sprachlichen Mittel für eine zielgerichtete mündliche Kommunikation nicht ausreichen. Da man verstanden werden muss, um sich verständlich zu machen, spielt für die mündliche Kommunikation sowohl in der Muttersprache als auch in Fremdsprachen die phonologische Komponente eine entscheidende Rolle, d.h. die beabsichtigten Aussagen müssen so artikuliert werden, dass sie der Kommunikationspartner phonologisch dekodieren kann. Die Bedeutung einer angemessenen Aussprache für den Erfolg von Kommunikation ist also unbestritten (cf. u.a. Hallet / Königs 2010; Leupold 2002; Mordellet-Roggenbuck 2005).

Im Fremdsprachenunterricht – der Beitrag bezieht sich i.F. konkret auf den schulischen Französischunterricht –, dessen Zielvorgabe der Aufbau fremdsprachlicher mündlicher Handlungskompetenz ist, sollte deswegen eine gezielte und systematische Ausspracheschulung ein selbstverständlicher Bestandteil sein, nicht zuletzt weil eine unmittelbare, untrennbare Verbindung von Aussprache und Intonation mit den angestrebten funktionalen kommunikativen Kompetenzen (cf. KMK 2004, 8), speziell den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen‘ und ‚Hörverstehen‘, besteht.

Dennoch wird im Vergleich zu den sprachlichen Mitteln Wortschatz und Grammatik in einem auf häufig verwendeten Lehrwerken basierenden Französischunterricht auf die Ausspracheschulung ein geringeres Gewicht gelegt, denn Lehrwerke widmen dem expliziten Üben von Aussprache und der Kognitivierung von Ausspracheregeln oft nicht die Aufmerksamkeit, die aufgrund der Relevanz für die Kommunikation speziell im Anfangsunterricht notwendig wäre. In der Unterrichtspraxis ist das Ausmaß, das Aussprache und Intonation zugemessen wird, deshalb nicht selten vom Engagement und Gutdünken der Lehrkraft abhängig.

Zwischen der von Lehrkräften oftmals festgestellten nachlassenden kommunikativen Kompetenz der Lernenden und der Vernachlässigung einer fundierten Ausspracheschulung bestehen – so die nicht nur hier vertretene These – durchaus Zusammenhänge. Um die kommunikative Kompetenz der Schüler zu erhöhen und einen funktionierenden Informationsaustausch zwischen Deutschen und Franzosen zu gewährleisten, wird deshalb im didaktischen Diskurs immer häufiger dringlich die Rückbesinnung auf eine konsequente und methodisch durchdachte Einübung von Aussprache und Intonation verlangt.

Hier setzt der Beitrag an. Zunächst umreißt er mit einem Überblick über einige der seltenen didaktischen Publikationen speziell zu Aussprache und Intonation sowie über diesbezügliche Aussagen im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR), in Bildungsstandards und Lehrplänen den Stellenwert von Aussprache und Intonation in Forschung und maßgeblichen Richtlinien. Der Blick auf ausgewählte Lehrwerke zeigt dann, welche Veränderungen sich in Bezug auf die Ausspracheschulung in den letzten Jahrzehnten in der Unterrichtspraxis vollzogen haben, bevor dann zur Ausspracheschulung im Französischunterricht an deutschen weiterführenden Schulen zehn Grundsatzbemerkungen zur Diskussion gestellt werden, die die Wertigkeit der Aussprache für die kommunikative Kompetenz fokussieren.

2. Didaktische Publikationen zur Aussprache

Eine beschränkte Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen für den Bereich ‚Aussprache‘ konstatierte Hirschfeld schon vor über zehn Jahren (Hirschfeld 2003). In den vorhandenen Publikationen ist das Ausmaß, in dem Inhalte des Ausspracheunterrichts behandelt werden, unterschiedlich. Die ab 1973 in mehreren Auflagen gedruckte und lange Zeit maßgebliche Fachdidaktik Französisch von Werner Arnold enthält beispielsweise ausführliche Anmerkungen zur Aussprache (Arnold 1973, 40sqq.). Auch Abel 1982 befasst sich in einem Zeitschriftenbeitrag gründlich mit notwendigen Kenntnissen im Bereich der Aussprache und beschreibt Konsequenzen für den Unterricht, ohne dass seine Ausführungen die Resonanz im fachdidaktischen Diskurs fanden, die das Thema verdient. Neuere Fachdidaktiken für das Französische widmen der Aussprache nur kurze Kapitel oder Abschnitte, die außerdem häufig in die Aussagen zur Fertigkeit ‚Sprechen‘ eingebunden sind (z.B. Leupold 2002, 232sqq.; Fäcke 2010, 122sq.; Nieweler 2006, 119sq.).

Der Verzicht auf eine frühzeitige systematische Ausspracheschulung im Unterricht wird in zahlreichen didaktischen Ausführungen ebenfalls seit längerer Zeit zumindest für problematisch erachtet. Leupold gibt beispielsweise zu bedenken, dass sprachliches Handeln an einer schlechten Aussprache scheitern und gerade im französischsprachigen Raum eine mangelhafte Lautung zu negativen Reaktionen gegenüber dem Sprecher führen kann (cf. Leupold 2002, 235), und auch Kühn stellt fest, dass sich Franzosen über schlechte Aussprache beschweren und den Sprecher oft nach seiner Aussprachequalität beurteilen (Kühn 2010, 93).

Die Ursache des Bedeutungsverlusts der Ausspracheschulung wird im Leitziel der kommunikativen Kompetenz vermutet, denn diese stelle das Verstehen der Mitteilungsabsicht bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sprachlichen Korrektheit ins Zentrum (cf. Leupold 2002, 234sq.). Nicht nur Leupold mahnt folgerichtig gezielte Hörübungen, die Verknüpfung von Lautung mit nonverbalen Handlungselementen und Wissen über den Zusammenhang von Lautung und Schreibung als unerlässliche Bestandteile des Unterrichts an (Leupold 2002, 235sq.; cf. z.B. auch Dretzke 42006; Kühn 2010, 93). Außerdem schätzen neben Leupold und Kühn beispielsweise Grotjahn (1998) und Kurtz (2010) eine zielstrebige Hinführung der Lernenden zu einer verständlichen und korrekten Aussprache als unentbehrliches Vorgehen im Unterricht ein. Kurtz plädiert für „[e]ine sorgfältige, vom Hörverstehen (Hördiskriminierungsvermögen) bzw. vom Zuhören unter Aufmerksamkeitsschwerpunkten ausgehende Schulung der Aussprache“ (Kurtz 2010, 86), für die Imitation nicht ausreicht. Konkrete methodische Vorschläge für die Übungsphase machen Mordellet-Roggenbuck (2005) und Dretzke (42006).

Als insgesamt deutlich erkennbare Entwicklung ist festzuhalten, dass moderne Fachdidaktiken Aussagen zu Aussprache und Intonation in die zweifelsfrei notwendigen und berechtigten Anmerkungen zum Hörverstehen bzw. Sprechen eingliedern. Darüber hinausgehende aktuelle, speziell auf Aussprache und Intonation des Französischen bezogene didaktische Publikationen oder Monographien fehlen indes weitgehend, und auch Fachzeitschriften wie Der fremdsprachliche Unterricht Französisch, Praxis Fremdsprachenunterricht oder Französisch heute beschäftigen sich in jüngster Zeit weder in Themenheften mit dem Bereich ‚Aussprache’ noch enthalten sie diesbezüglich Einzelbeiträge, während beispielsweise zum Wortschatz zahlreiche Themenhefte (z.B. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 68/2004 u.ö.) und andere Publikationen (z.B. De Florio-Hansen 2006; Segermann 2011) existieren.

3. Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, der Bildungsstandards und von Lehrplänen

Der Französischunterricht wird in Bezug auf Zielrichtung, Inhalte und Progression wesentlich von europa- bzw. deutschlandweit gültigen bildungspolitischen Richtlinien sowie in besonderem Maße von länderspezifischen Lehrplänen geregelt, in denen – wie oben gesagt – zu Recht ein direkter Zusammenhang zwischen Aussprache und den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen’ bzw. ‚Hörverstehen‘ hergestellt wird. Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen ist die phonologische Kompetenz als Teilbereich der linguistischen Kompetenz verortet. Erwartet werden Kenntnisse und Fertigkeiten der Wahrnehmung und der Produktion in Bezug auf Phoneme, Allophone, Erkennen der distinktiven Merkmale von Phonemen, Prosodie, Intonation, phonetische Reduktion und Elision (GeR: Europarat 2001, 117).

Die Äußerungen in den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sind weniger detailliert. Es heißt dort nur:

Die Schülerinnen und Schüler können verschiedenartige Aussprachevarianten der Zielsprache verstehen, beherrschen die Aussprache in der Weise, dass diese i.d.R. weder auf der Wort- noch auf der Satzebene zu Missverständnissen führt, können die Zeichen der Lautschrift sprachlich umsetzen (KMK 2004, 15).1

Die Aussagen der Lehrpläne der einzelnen Bundesländer zur Aussprache des Französischen fußen auf diesen Angaben. Über die Art der Aussprache, die gelehrt werden soll, gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie aus Jansens Zusammenfassung der „Curriculare[n] Vorgaben und Positionen der Sprachlehrforschung“ für die Artikulation in Bezug auf den Französischunterricht an Gymnasien hervorgeht (cf. Jansen 2010). Gefordert werden beispielsweise eine authentische sprachliche Norm in der Aussprache, der sich die Schüler annähern sollen (Baden-Württemberg, Saarland), eine ‚richtige‘ Aussprache (Baden-Württemberg) die Norm des français standard (Bayern, Rheinland-Pfalz), eine ‚korrekte Aussprache‘ (Bremen, Hamburg, Hessen u.a.) oder eine ‚normorientierte‘ (Sachsen-Anhalt) bzw. ‚normgerechte‘ (Mecklenburg-Vorpommern) Aussprache. Nordrhein-Westfalen bleibt mit ‚übliche‘ vage, genau wie z.B. Bremen und Hamburg, die eine ‚verständliche‘ Aussprache als Richtlinie angeben. Daneben finden sich Anforderungen wie eine ‚klare, natürliche‘ Aussprache (Saarland), die Aussprache eines locuteur natif (Rheinland-Pfalz) oder die frankophoner Sprecher (Schleswig-Holstein), Berlin und Brandenburg streben unkonkret die Ausrichtung am zielsprachlichen Modell an (cf. ausführlich Jansen 2010).

 

Die Jahrgangstufenpläne gehen teilweise mehr ins Detail. Während der Bayerische Lehrplan für Französisch als 2. Fremdsprache, 6. Jahrgangsstufe (Gymnasium), beispielsweise vorschreibt: „Aussprache und Intonation auf Satz- und Textebene gründlich erlernen, die Lautung einfacher, unbekannter Wörter erschließen, die zum Vermeiden von Aussprachefehlern bedeutsamen Zeichen der internationalen Lautschrift verstehen.“ (cf. Bayerischer Lehrplan), werden für die siebte Jahrgangsstufe Französisch auf der Realschule (Niveau A 1) im Bayerischen Lehrplan sehr präzise Angaben gemacht. Verlangt werden Grundlagen in Bezug auf die Nasale, die Unterscheidung von [i] und [y], [ʒ] und [ʃ], [w] und [v], die Aussprache von [j] (famille), Intonation im Frage- und Aussagesatz, liaison und enchaînement sowie rezeptive Kenntnis der Lautschrift (Bayerischer Lehrplan für Realschulen, 230).

Aus diesem Überblick folgt, dass das grundsätzliche Leitbild für die Ausspracheschulung in den meisten Bundesländern weitgehend ungenau, vor allem aber im Rahmen des zeitlich begrenzten Unterrichts vielfach höchstens ansatzweise realisierbar ist (cf. Ideal des locuteur natif) und die Jahrgangsstufenpläne unterschiedlich ausführliche Anleitungen geben. Empfehlenswert für den Unterricht wäre indes die Zielvorgabe einer auf einer exemplarischen Varietät basierenden Norm, die der langue courante möglichst nahe kommen und durch Schichtneutralität garantieren soll, dass die Schüler in Frankreich durch ihre Aussprache nicht unangenehm auffallen (cf. Abel 1982, 291). So könnte gewährleistet werden, dass die jungen Deutschen in Gesprächssituationen sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit Erwachsenen vom Gegenüber verstanden werden, man sich nicht über sie lustig macht und, so steht zu hoffen, sie auch ihr Gegenüber verstehen.

4. Ausspracheschulung in Lehrwerken

Direkter als durch die Vorgaben der Lehrpläne wird die Unterrichtspraxis durch Lehrwerke beeinflusst, die in der Regel über mehrere Jahre hinweg Grundlage des Unterrichts und erste Orientierungspunkte für Lehrkräfte und Lernende sind. Die Autoren von Lehrwerken greifen bei der Konzeption von Lehrwerken die in den Lehrplänen vorgeschriebenen Inhalte auf und modellieren durch die Art und Weise der Umsetzung der Bestimmungen, insbesondere aber durch die thematische Füllung und gewählte Progression, entscheidend den Unterricht.

Da bei der Planung eines Lehrwerks weiterhin die jeweils maßgeblichen fachdidaktischen Grundsätze ausschlaggebend sind, wird anhand der Durchsicht verschiedener Lehrwerkgenerationen für den Französischunterricht an Gymnasien die Entwicklung unterrichtlicher Schwerpunkte bei der Ausspracheschulung deutlich. Unverkennbar ist eine Schwankung in Art, Intensität und inhaltlicher Breite der Vermittlung und Einübungsphase der Aussprache.2

In den 1980er Jahren differiert die Wertigkeit, die einer konkreten Schulung von Aussprache und Intonation zugemessen wird, beträchtlich. Das Lehrwerk Etudes Françaises Echanges 1 Edition longue (Grunwald et al. 1981) setzt ganz auf Imitation und verzichtet auf eine Kognitivierung, die über die Lautzeichen hinausgeht.

Ende der 80er Jahre stellt Etudes Françaises Echanges Cours Intensif (Hornung et al. 1989) gleich zu Beginn des Lehrgangs das Phoneminventar des Französischen vor, so dass bereits in den ersten Lektionen die Schüler „mit allen Lauten und Intonationsmustern des Französischen konfrontiert“ (Becker/ Bossung 1990, XI) werden.

Aus dem gleichen Jahr stammt Etapes (Héloury et al. 1989), das nur in den Anfangslektionen gezielt Ausspracheprobleme behandelt und schon nach der fünften Lektion damit wieder aufhört.

Ab den 1990er Jahren schlägt Découvertes série bleue (Beutter et al. 1994) einen anderen Weg ein. Das Lehrwerk präsentiert unter der Überschrift Jeu de sons sporadisch in der Regel spielerisch angelegte Übungen zu einer konkreten Ausspracheschulung, z.B. zu Besonderheiten wie der liaison, dem stimmhaften und stimmlosen s oder den Nasalvokalen.

Nach der Jahrtausendwende ordnet Découvertes 1 (Bruckmayer et al. 2004) diese Rubrik jeder obligatorisch durchzunehmenden Lektion zu, was durchaus als Aufwertung der Ausspracheschulung interpretiert werden kann. Themen sind: Cherchez l’intrus, trouvez les mots qui riment (z.B. [y], o- und a-Nasal, [ɛ], 15), keine Aspirierung von p im Französischen (25), stimmhaftes und stimmloses s und sch ([z] vs. [s]); [ʒ] vs. [ʃ], 38), Nasale (49), Ecoutez le CD et lisez les rimes à haute voix en rythme (60), Ecoutez les phrases. Est-ce que c’est une exclamation …, une surprise … ou une interrogation… (72), Trouvez les mots qui riment pour chaque couleur (z.B. bleu – jeu, 91), Cherchez les couples (Paare) de mots. Exemple: 1. Garçon + chanson, … (101).

In der Neubearbeitung Découvertes série jaune (Bruckmayer et al. 2012) ist die Rubrik dann wieder unregelmäßig, aber gehäuft am Lehrgangsanfang vorhanden (dreimal in Au début; nur einmal in Lektion 6). Themen sind beispielsweise: Nasale (11), stimmhaftes und stimmloses s (10, 32), Liaison (20), die Unterscheidung von e- und o-Nasal (21), von le und les (46), von [ɡ] und [k] (50), von [ʒ] und [ʃ] (67), von [e] und [ɛ] (99).

5. Konsequenzen für die kommunikative Kompetenz

Fachdidaktisch relevante Fragestellungen sind einerseits, ob die Vorgaben der Lehrpläne und die Verfahren der Lehrwerke den Schülern zu den Grundlagen von Aussprache und Intonation des Französischen verhelfen, die für die mündliche Kommunikation wesentlich sind, und andererseits, welche grundsätzlichen Aspekte – unabhängig von Lehrplänen und Lehrwerken – für eine angemessene Ausspracheschulung im Rahmen der Spracherwerbsphase zweckmäßig und zielführend sind.

Dazu werden i.F. zehn Grundsatzbemerkungen zur Diskussion gestellt.

1: Aussprachenorm

Anders als im Lehrplan von Rheinland-Pfalz gefordert, ist ein Verzicht auf das Ideal des locuteur natif mindestens für die Spracherwerbsphase gerechtfertigt. Dieses Ziel ist durch den zeitlich begrenzten Schulunterricht nicht erreichbar. Auch wenn Französischunterricht möglichst frühzeitig über Minimalforderungen wie das Erkennen an der Intonation, ob der Gesprächspartner beispielsweise eine Frage stellt oder ob er eine Aussage trifft (cf. Découvertes 1; Beutter et al. 1994, 72), um durch eine entsprechende Reaktion die Kommunikation aufrecht zu erhalten, hinausgehen sollte, ist eine in allen Bereichen perfekte Aussprache und Intonation auf Lernerniveau für die erfolgreiche Verständigung nicht von Anfang an notwendig, sondern kann sukzessive aufgebaut werden (cf. Grundsatzbemerkung 5).

Trotz dieser Einschränkung muss die Lehrkraft sich bewusst sein und entsprechend die Lerner nachdrücklich und unmissverständlich darauf hinweisen, dass Mängel bei grundlegenden Ausspracheprinzipien und Aussprachedefizite die Kommunikation zum Scheitern bringen können (cf. Grundsatzbemerkung 5).

2: Zusammenspiel der Ausspracheregeln

Aussprache ist ein komplexes Konstrukt. Sie ist von zahlreichen, voneinander unabhängigen Regeln geprägt. Erst deren erfolgreiches Zusammenspiel lässt eine korrekte Aussprache zustande kommen. Daraus folgt, dass das Insistieren auf Einzelphänomenen zwar mindestens am unmittelbaren Anfang unumgänglich und berechtigt ist, dass die theoretischen Ausspracheregeln und isoliert eingeübten Laute aber verknüpft und in die flüssige Sprechpraxis überführt werden müssen. In dieser Aufgabe wird die Lehrkraft von den Lehrwerken zu wenig unterstützt, da dort eine explizite Gesamtschau vernachlässigt wird. Es bleibt zu oft dem Unterrichtenden überlassen, wie und ob er die Komplexität der Aussprache vermittelt.

3: Verknüpfung von Diskrimination und Produktion

Diskrimination und Produktion von Segmentalia, Suprasegmentalia und Lauten sind entscheidende Faktoren für das Gelingen der Kommunikation. Können die Schüler beispielsweise nicht zwischen dem stimmhaften und stimmlosen s-Laut oder dem a- und o-Nasal unterscheiden, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Probleme bei der Produktion haben. Daraus folgt, dass von Beginn des Lehrgangs an systematische Übungen sowohl zur Diskrimination als auch zur Produktion in den Unterricht integriert werden müssen, denn eine Ausspracheschulung en passant reicht normalerweise nicht aus, um diese Kompetenz zu entwickeln. Allzu leicht setzen sich ohne gründliches Training v.a. im Anfangsunterricht Fehler fest, die später nur schwer wieder ausgeräumt werden können. Gezieltes Üben ist also notwendig, und auch im weiteren Verlauf des Lehrgangs muss die Aussprache immer wieder verbessert und trainiert werden.

4: Koordination von Aussprache und Orthographie

Da man das Französische „nicht schreibt, wie man es spricht“, ist von Beginn an eine enge Abstimmung bei der Schulung von Aussprache und Orthographie angebracht. Die Schüler müssen sich dessen bewusst werden, dass das Französische keine 1:1-Phonem:Graphem-Entsprechung hat. Dieses Bewusstsein der Lernenden können für das Lernerniveau passend ausgewählte aussagekräftige Beispiele für Graphie-Phonie-Verhältnisse im Französischen schärfen (z.B. leurs cousins étaient jeunes, d.h. 25 Grapheme vs. 13 Laute [løʁkuzẽzetɛʒœn]; qu’est-ce que c’est, d.h. 14 Grapheme vs. 7 Laute [kɛskəsɛ]). Die Lernenden erkennen so, dass es im Französischen durchaus phonetisch irrelevante Grapheme und eine redundante Graphie gibt. Die Bedeutung eines gesprochenen isolierten französischen Satzes kann überdies nicht völlig eindeutig sein und wird manchmal erst durch den Kontext bzw. das Schriftbild offenkundig (z.B. il vient à sept / cette heure(s) – [ilvjɛ̃tasɛtœr].

Die Verbindung von Aussprache- und Rechtschreibschulung hilft zudem bei der Kognitivierung und fördert die Lernerautonomie, da so, obwohl es keine klaren Regeln zur Verteilung der Grapheme gibt, geplante Transfers ermöglicht werden und der Lernende durch das Schriftbild geleitet ihm unbekannte Wörter richtig und „in einer Weise aussprechen kann, die von Frankophonen nicht als systematisch fehlerhaft angesehen“ wird (Abel 1982, 291). Von Anfang an sollen die Schüler das Bewusstsein entwickeln, dass Grapheme je nach orthographischer Umgebung für verschiedene Laute stehen können (z.B. ca als [ka], ce als [s]: cahier – cela), dass umgekehrt ein Phonem graphisch auf verschiedene Weise wiedergegeben werden kann (z.B. o als -eau, -au, -o), und dass schon geringe phonetische bzw. orthographische Varianten Bedeutungsunterschiede bewirken können (z.B. beauté vs. bonté; vont vs. font; Louis vs. lui, vert vs. verre).

5: Hierarchisierung der Lerninhalte

Eine Hierarchisierung der phonetischen Lerninhalte ist angebracht, denn man kann von einer gestaffelten Bedeutung für die Kommunikation ausgehen.3 Es ist also nicht nötig, die Schüler gleich zu Beginn des Lehrgangs – wie in Cours Intensif (Hornung et al. 1989) – mit allen Lauten und Intonationsmustern des Französischen zu konfrontieren. Aspiriert beispielsweise ein deutscher Schüler am Anfang im Französischen die Plosive, wird er verstanden werden, denn die Aspirierung hat keine distinktive Funktion. Allerdings gibt sich der Sprecher sofort als Ausländer, speziell als Deutscher zu erkennen.

Vorrangig im Unterricht zu behandeln und einzuüben sind die für die Produktion und Rezeption der fremden Sprache notwendigen Phänomene und wegen des einsichtsfördernden Kontrastivitätsprinzips v.a. diejenigen Einheiten bzw. Regeln, die im System des Deutschen nicht existieren (Nasale, Halbvokale, Liaison), die in Fremd- und Muttersprache unterschiedlich realisiert werden (z.B. auslautendes r; vgl. Grundsatzbemerkung 6) oder in der Fremdsprache distinktiven Charakter haben können (z.B. Oppositionen wie ils sont – ils ont, Louis – lui, gens – champ).

 

Die nachlässige Aussprache von phonetischen Gegebenheiten, z.B. die uneindeutige Artikulation oder gar Verwechslung des a- und o- Nasals (son – sans) oder der Verzicht auf die Unterscheidung zwischen stimmhaftem und stimmlosem s (désert – dessert) beeinträchtigen die Verständlichkeit und führen im schlimmsten Fall zu Missverständnissen, auch wenn diese häufig durch den Kontext der Äußerung abgemildert oder durch „Hilfen“ wie den Artikel bei Substantiven oder die Subjektpronomen bei Verben aufgefangen werden.

6: Besondere Schwierigkeiten für deutsche Schüler

Die Anzahl der Inhalte, die einem deutschen Schüler besondere Schwierigkeiten bereiten, ist überschaubar und kann konsequent in den Unterricht eingebracht werden. Auch in diesem Fall sind Initiative und Sachverstand der Lehrkraft gefordert, denn selbst in häufig verwendeten Lehrwerken wie beispielsweise Découvertes série jaune (Bruckmayer et al. 2012) werden nicht alle entsprechenden Phänomene in ausreichendem Maß abgedeckt (z.B. nicht e-caduc oder Prinzipien des mot phonétique; cf. Punkt 4).

Bereits erwähnt wurden die Nasalvokale (un, bon, vin, français) und Halbvokale (moi, huit, fille), die für deutsche Schüler eine Herausforderung darstellen. Auch die schon genannte, im Französischen übliche liaison (z.B. il entre vs. ils entrent) ist deutschen Lernenden aus ihrer Muttersprache nicht geläufig. Konkret ist deshalb die liaison obligatoire (z.B. Artikel + Nomen) vs. liaison interdite (z.B. vor h consonne; Substantiv im Singular + Adjektiv) anzusprechen, während die liaisons facultatives im schulischen Französischunterricht vernachlässigt werden können. Als Unterschiede zum Deutschen sind weiter die schon mehrfach angeführte nicht realisierte Aspirierung der Plosive im Französischen und die im Deutschen häufige Vokalisierung des auslautenden –r, die im Französischen nicht gemacht wird (z.B. Vater [fa:tɐ] – père [pɛʀ]), zu erwähnen, sowie die Trennung zwischen [s] und [z], die nicht allen Schülern auf Anhieb leicht fällt (z.B. salade – zèle, rose – essai).

Weiter bereitet die Unterscheidung der e-Laute Schwierigkeiten. Diese Fähigkeit trägt indes wesentlich zur kommunikativen Kompetenz bei, da mit der Differenzierung in der Regel semantische Unterschiede einhergehen (z.B. fée [e] – fait [ɛ], épée [e] – épais [ɛ]). Auch die Aussprache des e-caduc, dessen Realisierung „je nach Sprechstil und/ oder geographischer Herkunft der SprecherInnen“ (Meisenburg/ Selig 1989, 81) variieren kann und z.B. bei la fenêtre [lafnɛtʁ] vs. une fenêtre [ynfənɛtʁ] (cf. Klein 41973, 91), bei il me dit [ilmədi] oder samedi [samdi] uneinheitlich ist, ist deshalb ins Bewusstsein der Schüler zu rücken und zu üben.

Ungewohnt ist das nie gesprochene H – auch nicht im Fall des oft als h aspiré bezeichneten h consonne (z.B. les hôtels – les haricots).

An die Differenzierung der Okklusive (don – ton; car – gare; beau – peau) sind die meisten deutschen Sprecher (Ausnahmen gibt es im fränkischen Sprachraum) gewöhnt (z.B. tanken – danken; Paar – Bar, Kunst – Gunst). Problematischer ist jedoch die Trennung zwischen stimmhaften und stimmlosen Frikativen (gens – cher), und insbesondere die Unterscheidung von v – f, denn im Deutschen werden ‚Fenster – Vogel’ gleich artikuliert, das Französische macht jedoch zwischen fer – ver oder défaut – dévot einen Unterschied. Übungen zu diesbezüglichen Minimalpaaren dienen der Kognitivierung und der Habitualisierung.

Nicht vertraut ist dem deutschen Sprecher das Fehlen von Diphthongen im Französischen (dt. Europa vs. frz. [øʀɔp]) und des coup de glotte.

In Bezug auf die Intonation ist das Phänomen des Sinn- bzw. Satzeinheiten zusammenfassenden mot phonétique hervorzuheben, das nicht selten das Verstehen authentischer Texte erschwert, denn deutsche Schülerinnen und Schüler kennen aus ihrer Muttersprache klare Wortgrenzen. Außerdem ist der generell oxytone Charakter des Französischen für deutsche Schüler eine Besonderheit. Sie sind vom Deutschen her keine einheitliche Betonung gewöhnt (Beispiel: Imperativ ‚gebet’ und Substantiv ‚Gebet’), so dass der stabile Wortakzent auf der letzten Silbe des mot phonétique (Tu as vu la maison? Tu as vu la maison rouge? Tu as vu la maison rouge de mon oncle? usw.) im Unterricht ausdrücklich hervorzuheben und einzuüben ist.

7: Ökonomie des Unterrichts

Die Ökonomie des Unterrichts bezieht sich zum einen auf Laute, die in Mutter- und Fremdsprache gleich sind. Sie müssen nicht ausdrücklicher Lerninhalt sein (cf. Abel 1982, 290). Zum anderen sind in den ersten Lernjahren vom Prinzip der Ökonomie – im Gegensatz zu Forderungen des GeR und der Bildungsstandards, die Kenntnisse von Aussprachevarietäten verlangen – Allophone betroffen, die als aktive Inhalte während der Spracherwerbsphase weitgehend unbeachtet bleiben können. Zum dritten können Laute im Unterricht vernachlässigt werden, die von französischen Sprechern nicht mehr bzw. nicht mehr abweichend realisiert werden (z.B. palatales vs. velares a wie bei pâte – patte; offenes vs. geschlossenes e, z.B. bei je donnerai – je donnerais; Zusammenfall von œ- und e-Nasal). In den Fällen, in denen die unterschiedliche Aussprache zu semantischer Differenz führt (z.B. brun – brin), kann die Aussprache thematisiert werden, wenn im Unterricht entsprechende Begriffe auftauchen.

8: Rezeptive Fähigkeiten

Rezeptive Fertigkeiten sind wie immer weiter gefasst als produktive. Ohne auf Details einzugehen, soll die Lehrkraft die Lerner darüber informieren, dass der Französischunterricht in Deutschland auf einer bestimmten Aussprachenorm beruht, dass sie im Land aber auch eine andere Aussprache hören können als die des français standard. Mit fortschreitendem Lernzuwachs sind die Lernenden dann mit entsprechenden Beispielen (z.B. zur phonetischen Realisierung der Nasale oder des r im Midi) zu konfrontieren (cf. Grundsatzbemerkung 7).

9: Methodische Vielfalt

Die Aussprache des Lehrers ist in der Regel primäres Modell und wird von den Schülern imitiert. Seine Aussprachekompetenz muss deshalb vorbildlich sein. Relikte von dialektalen Besonderheiten aus der Muttersprache, die ins Französische übertragen werden, sind sowohl in seiner eigenen Artikulation als auch bei den Schülern auszumerzen (z.B. der im fränkischen Sprachraum häufige Zusammenfall von [b] – [p], das gerollte r).

Da Imitation auch einer vorbildlichen Aussprache allein im Unterricht nicht ausreicht, sollte die Lehrkraft den Lernwillen der Schüler steigern und effektive Lernprozesse anstoßen, indem sie eine große Bandbreite von Übungen zum Einsatz bringt, deren Art vom Alter und Sprachniveau der Schüler abhängig gemacht werden muss. So ist das Chorsprechen in der Anfangsphase sicher ein probates Mittel, die Lernenden an die fremde Artikulationsbasis zu gewöhnen. Problematisch ist jedoch, dass Chorsprechen zwar Sprachhemmungen verringert, es aber auch zulässt, sich zu „verstecken“. Nicht möglich ist dies hingegen bei szenischen Spielen, die insbesondere der Anwendung von Ausspracheregeln in einem kommunikativen Zusammenhang zuträglich sind.

Kognitivierung wird durch andere methodische Mittel erreicht: Demonstration der Artikulation und ihre Beschreibung (z.B. anhand der Abbildung eines Kehlkopfes), Illustrationen (z.B. Intonationskurven) oder Einsatz von Ausspracheregeln und Lautschrift. Bewährt haben sich auf Phoneme oder Intonation ausgerichtete Hörverstehensübungen, z.B. das Ankreuzen des richtigen Nasalvokals (z.B. vin – vont – vent; bon – banc – bain) oder das Finden von Paaren (z.B. tout – doux; tes – des).