Qualitative Medienforschung

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2) Anhand von methodischen Schritten wird Material zusammengestellt, von dem angenommen wird, dass sich aus ihm die Regeln der diskursiven Praxis diskursanalytisch herausarbeiten lassen. Diese interpretative Analytik ist ebenfalls eine Konstruktion, da sie versucht, schließend (»abduktiv«) aus dem bedeutungstragenden Material (dem »Wissen«) die Praxis zu rekonstruieren, die dieses hervorbringt.

Beide Schritte sind Teil des methodologischen Versuchs, die diskurstheoretische Perspektive zu realisieren. Aus dem Material muss dann das System der diskursiven Regelmäßigkeiten nach und nach rekonstruiert werden. Dabei liegt eine Art »Münchhausen-Problem« vor: Wie der Lügenbaron sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will, so muss sich die Diskursanalyse ohne A-priori-Kategorien auf das unstrukturierte Material einlassen, um dann nach und nach die Ordnungsdimensionen im Material zu erkennen.

Ausgangssituation für Diskursanalysen sind Fragestellungen, die in aller Regel nicht allein diskurstheoretische sind. Denn die Diskurstheorie ist »unterspezifiziert«, sie allein ist keine vollständige theoretische Perspektive. Die Diskurstheorie kann in unterschiedlicher Weise ergänzt werden, zum Beispiel um Sozialstrukturmodelle, um Handlungs- und Strukturtheorien, um Feldtheorien, um Theorien sozialer Institutionen und Organisation (wie Medieninstitutionen), um Theorien sozialer Identitätsbildung und sozialer Konflikte. Diskurstheorien können sinnvoll mit solchen soziologischen Theorien verknüpft werden, die dem kollektiven Wissen zwar eine wichtige Rolle zuerkennen, aber selbst nicht ausreichend anleiten, wie man dieses Wissen als eine konstruktive Praxis konzipieren und/oder systematisch analysieren kann. Bedingung dabei ist jeweils, dass die anzukoppelnden Theorien nicht mit Grundpositionen der Diskurstheorie (wie z.B. Konstruktivität des Sozialen, Ablehnung einer subjektzentrierten Hermeneutik oder Ablehnung eines zielgerichteten Geschichtsmodells) in Konflikt geraten. Eine solche Verknüpfung ergänzt die Diskurstheorie um wichtige begriffliche Konzepte und klärt, warum welche Diskurse analysiert werden sollen und wofür die Resultate einer Diskursanalyse gebraucht werden. Bevor eine Skizze vorgestellt wird, wie der Ablauf einer Diskursanalyse anhand typischer Phasen unterteilt werden kann, sei darauf hingewiesen, dass der Begriff »Diskursanalyse« ein Forschungsprogramm bezeichnet, dem verschiedene Forschergruppen zugehören. Aber dieses Forschungsprogramm ist nicht durch eine kanonisierte, also eine festgelegte und für alle Diskursforscher einheitliche Methode gekennzeichnet (Keller 2011), »einen Königsweg gibt es nicht« (Jäger 2012).

Ablauf einer Diskursanalyse

Die diskursanalytische Vorgehensweise lässt je nach Untersuchungsfrage verschiedene Strategien zu. Mittlerweile liegen verschiedene Entwürfe für die Methodologie der Diskursanalyse vor, an denen sich Diskursforscher orientieren können. Die folgende konkretisierte Schrittfolge für Diskursanalysen berücksichtigt einige dieser Entwürfe, sie ist stark an den Arbeiten Foucaults orientiert und aus einer empirischen Diskursanalyse von kulturellen Wissensordnungen hervorgegangen. Sie ist aber auf unterschiedliche Diskursanalysen anwendbar. Als Unterstützung für die Handhabung größerer Korpora, für die Dokumentation der Schritte und die Organisation der prozessbegleitenden Reflexion hat sich der Einsatz einer qualitativen Datenanalysesoftware (QDAS) bewährt (vgl. dazu ausführlicher Diaz-Bone/Schneider 2010; → Kuckartz, S. 445 ff.)

(1) Theorieformierung

Wie bei jeder Sozialforschung steht am Anfang ein Untersuchungsinteresse. Für Diskursanalysen ist dabei kennzeichnend, dass zunächst nicht das Interesse an Diskursen per se im Zentrum steht. Ausgangspunkte sind sozialwissenschaftliche Fragestellungen, bei denen sich herausstellt, dass die Entstehung (Evolution) von Institutionen, Denkweisen, Handlungsformen, institutionellen Umgangsformen mit Menschen, Gesetzen, sozialen Bewegungen, Identitäten und Konflikten sowie anderen gut sichtbaren sozialen Phänomenen nur im Zusammenhang mit spezifischen diskursiven Praktiken zu verstehen ist. Diskursanalytische Fragestellungen versuchen zu rekonstruieren, wie der Ermöglichungszusammenhang von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken entstanden ist und oftmals auch warum er sich verändert. Oder: Diskursanalysen vergleichen verschiedene Wissensformationen und zeigen dann in synchroner Perspektive die Kontingenz der diskursiven Regelmäßigkeiten auf. Diese Kontingenz kann man dann zu erklären versuchen, indem man diese als systematische Variation von Diskursordnungen deuten kann. Ursachen für eine Variation können unterschiedliche Kontext-einbettungen (z. B. in Dispositive) sein.

(2) Sondierungsphase

In der Sondierungsphase wird die empirische Arbeit aufgenommen, wie das Untersuchungsfeld grob strukturiert ist, welche Institutionen, Akteure und Datenbestände vorliegen. Im Unterschied zur anschließenden Diskursanalyse dient die empirische Arbeit hier der Beschaffung von Informationen, die zur Feldsondierung dienen und von solchen Informationen, anhand derer die Korpuserstellung zunächst noch provisorisch begründet werden kann (Keller 2011; Diaz-Bone 2010).

(3) Provisorische Korpuserstellung, Formulierung heuristischer Fragen

Zusammenstellung von Materialien (Medientexte, Transkriptionen von Interviews, aber auch andere bedeutungstragende Materialien wie Plakate, Bilder usw.), von denen theoretisch gestützt behauptet werden kann, dass sich eine einheitliche Wissensordnung vorfinden lässt und sich deshalb ein kohärentes Regelsystem rekonstruieren lässt. Entwicklung eines Systems von heuristischen Fragestellungen, die auf die Elemente der diskursiven Formation hinführen und den »analytischen Blick« sensibilisieren helfen. Beispiele für solche heuristischen Fragestellungen finden sich in Jäger (2012), Kendall/Wickham (1999), Diaz-Bone (2010) oder Keller (2011).

(4) Oberflächenanalyse

Suche nach den im Sprachfluss auftretenden »Objekten«, »Begriffen« und thematischen Wahlen/Strategien. Welche wiederkehrenden Thematisierungen, Problematisierungen finden sich? Wie treten Sprecher auf, was sind die Modalitäten der Argumentation? Dabei geben die heuristischen Fragstellungen ein theoretisches Raster vor für das Auffinden relevanter Textstellen.2

(5) Interpretative Analytik

1. Schritt: Beginn der Rekonstruktion der diskursiven Beziehungen

Ausarbeitung des Codesystems. Schluss auf erste Regeln der Aussagen. Was findet sich »regelmäßig« als Problematisierung als Kategorie, als Bewertung? Welche Verknüpfungen finden sich, welche Oppositionen werden ins Spiel gebracht? Identifizierung von Kohärenzen und Widersprüchlichkeiten. Rückbezug zu den Textstellen und Versuch einer rekursiven Prüfung an den codierten Aussagen mit evtl. anschließender Verfeinerung bzw. Korrektur. Klärung: Muss weiteres Material erhoben werden, um den Korpus zu vervollständigen? Dies wäre der Fall, wenn die gefundenen Elemente der diskursiven Formation nicht ausreichend belegt sind oder sich abzeichnet, dass der Korpus ein Regelsystem nicht vollständig abbildet.

(6) Interpretative Analytik

2. Schritt: Fertigstellung der Rekonstruktion Weitere Vernetzung der Diskurselemente. Schluss auf die unterliegende Organisation der Oppositionen und Schemata. Welche impliziten Klassifikationsprinzipien lassen sich erschließen? Lassen sich die gefundenen Oppositionen und Klassifikationen hierarchisch organisieren? Gibt es fundamentale Schemata? Anhand welcher fundamentalen Oppositionen sind die Elemente der diskursiven Formation angeordnet? Rekonstruktion der enthaltenen Tiefenstruktur (Episteme, System der Kollektivsymbole). Rücküberprüfung an den Ergebnissen der beiden vorherigen Schritte. Erneute Klärung: Ist die Regelhaftigkeit ausreichend hinsichtlich aller vier Bereiche rekonstruiert oder erscheint der Diskurs noch unvollständig abgebildet? Gegebenenfalls muss nun selektiv der Korpus noch erweitert werden. Verdichtung auf die zentralen Organisationsprinzipien der Diskursordnung.

(7) Ergebnisaufbereitung und Rückbezug

Darstellung der herausgearbeiteten Wissensordnung. Bei vergleichender Vorgehensweise können nun die verschiedenen Wissensordnungen gegenübergestellt werden. Interpretative Verknüpfung der gewonnenen Ergebnisse zur diskursiven Praxis mit nicht-diskursiven Praxisformen. Mit Bezug auf die Resultate der Theorieformierung und der Sondierungsphase kann nun der Rückbezug erfolgen. Was bedeuten die Befunde über die Diskursordnung und die Regeln der diskursiven Praxis für den Ermöglichungszusammenhang von diskursiven und nicht-diskursiven (institutionellen) Praktiken (= Dispositivanalyse)? Wie stehen verschiedene Diskurse in Beziehung zueinander und wie ist das Verhältnis von Spezialdiskursen und Interdiskursen zu denken (= Interdiskursanalyse)? Welche sozialen Kollektive, Identitäten und sozialen Konflikte sind durch Diskurse wie ermöglicht und artikuliert worden (= Lebensstil- und Sozialstrukturanalyse)? usw.

Anwendungsbeispiel

Theorieformierung: Pierre Bourdieu (1982) hat in seiner einflussreichen Untersuchung »Die feinen Unterschiede« aufgezeigt, dass die unterschiedlichen materiellen Lebensbedingungen in einer Gesellschaft sich in verschiedenen Lebensstilen niederschlagen. Anhand der symbolischen Distinktion, d. h. der Art und Weise, wie Lebensstilkollektive sich unbewusst in der Weise ihres Konsums von Kulturgütern und dem Ausüben kultureller Praktiken (inkl. Sportarten und Freizeittätigkeiten) symbolisch gegeneinander abgrenzen, zeigen sich die Trennlinien einer Gesellschaft. Die in einer Gesellschaft vorhandenen Kulturformen (Genres), also die kulturellen Praktiken und kulturellen Güter werden der Distinktionstheorie zufolge zum zentralen »Material« für die Artikulation von sozialen Unterschieden und damit Identitäten. Die Frage, die sich stellt, ist, wie die Zuordnung von Kultur zu den Lebensstilgruppen, wie also das identitätsstiftende Band zwischen den Dingen und Praktiken einerseits und den Menschen andererseits zustande kommt. Bourdieu hat hier wenig Hinweise gegeben (die dann letztlich materielle Erklärungen bleiben). Hinzu kommt, dass heutzutage die Exklusivität (also der Preis) bei nur wenigen Kulturformen ein Zuordnungskriterium ist. Die meisten Kulturformen sind massenmedial vermittelt, viele werden für Massenmärkte hergestellt, einige sind staatlich subventioniert, die Zugangsbarrieren sind daher zumeist gering. Und: Die heftigsten Distinktionen finden in den Milieus der Mitte statt, wo die Erklärung der Zuordnung durch die materiellen Eigenheiten der Kultur schwierig wird.

 

Erweitert man die Distinktionstheorie um die Diskurstheorie wird folgende These denkbar: Die Konstruktion des Bandes zwischen Kultur und Lebensstilgruppen erfolgt diskursiv und das kulturelle Wissen ist Resultat einer diskursiven Praxis, sodass man eine »diskursive Kulturproduktion« in den Kulturwelten finden wird. Dort werden nicht nur die kulturellen »Objekte« diskursiv hervorgebracht, sondern auch kulturelle Wissenskonzepte (»Begriffe«) und Problematisierungen, die folgende ästhetische Aspekte diskursivieren: Wie die Kultur hergestellt werden soll, wie sie rezipiert werden soll und wie sie Sinn stiftender Teil der Lebensführung werden kann. Die Rekonstruktion der Tiefenstruktur des jeweiligen kulturellen Wissens verspricht deshalb, eine diskursiv verfasste Ästhetik zu Tage zu fördern, die als eine Erklärung für die identitätsstiftende Wertigkeit der kulturellen Genres für die Lebensstilgruppen angesehen werden kann. Insgesamt wird also die Distinktionstheorie Bourdieus diskurstheoretisch erweitert und zudem ergänzt um Ansätze der neueren amerikanischen Kultursoziologie (des Institutionalismus und der Kulturproduktion in Kulturwelten). Diese Theorie wurde anhand einer beispielhaften Untersuchung »angewandt«, d. h., es sollte gezeigt werden, dass (1) eine Diskursanalyse auf eine Tiefenstruktur stoßen würde (dass es sie also tatsächlich gab) und dass (2) eine vergleichende Diskursanalyse verschiedener Kulturwelten verstehbar machen würde und zeigen, warum sie Produktionsorte für die diskursive Kulturproduktion für unterschiedliche Lebensstilgruppen sind.

In der Sondierungsphase wurde deshalb nach vergleichbaren Kulturwelten gesucht. Populäre Musikformen schienen geeignet zu sein, da Musik so nach Genres und Subgenres unterdifferenziert ist, dass erwartet werden konnte, dass sich unterschiedliche Diskursordnungen als Spezialdiskurse im massenmedialen Interdiskurs herausgebildet hatten (Diaz-Bone 2010). Die Musikwelten von Techno und Heavy Metal wurden ausgewählt, da sie zu den einflussreichsten Genres der 1990er Jahre gehörten, beide eine starke Distinktionskraft hatten und belegt werden konnte, dass die Hörerschaften sich sozialstrukturell in verschiedenen Regionen der Mitte verorten ließen. Diana Crane (1992) hat ein Modell der Mediendifferenzierung vorgeschlagen, das sich auf die Differenzierung zwischen Spezialdiskursen von Kulturwelten (z. B. Special-Interest-Zeitschriften) und Interdiskursordnungen des Medien-Mainstreams (z. B. nationale Zeitungen, die populären Formate der Fernsehsender) beziehen lässt. Etwas vereinfachend kann man sagen, dass die Medienperipherie die kulturweltlichen Medien-foren beinhaltet, während das Medienzentrum im Sinne Links die Sphäre der Interdiskurse ist. Als kulturweltliche Medienforen für die populären Musikwelten wurden spezielle Musikzeitschriften als »Zentralorgane« der diskursiven Distinktion ausgemacht, hier wurde mit den Redaktionen eine bedeutende Sprecherposition ausgemacht, anhand von Texten war der Diskurs über »Musik« gezwungen sich niederzuschlagen, waren alle Thematisierungen, Problematisierungen, Strategien der Musikwelten textlich dokumentiert. Es wurden Daten gesammelt, welche Zeitschriften vorhanden waren, was ihre Auflagen waren, und es wurde in Gesprächen mit Vertretern aus beiden Musikwelten und anhand vorgängiger Forschungen geprüft, welchen Status welche Medien in der Technowelt und der Metalwelt innehatten. Da absehbar wurde, dass eine größere Textmenge in zwei Korpora eingehen würde, wurde geprüft, ob ein qualitatives Datenanalyseprogramm die Diskursanalyse hinsichtlich Materialorganisation, Rekursivität und Systematik unterstützen konnte. Problematisch war dabei, dass das elaborierte QDAS auf die Methodologie der Grounded Theory (→ Lampert, S. 596 ff.) bezogen ist. Entsprechend musste das Codiermodell kontrolliert und diskursanalytisch umgearbeitet werden. Schließlich wurde ATLAS/ti verwendet.

Für die beiden Korpora wurden die redaktionellen Beiträge der Zeitschriften Raveline und METAL HAMMER der ersten Jahreshälfte 1999 herangezogen. Diese wurden eingescannt. Um die analytische Sensibilität zu erhöhen und die Aufmerksamkeit für die ersten Analyseschritte kontinuierlich beizubehalten, wurde ein Set heuristischer Fragestellungen entwickelt, die auch die Funktion hatten, die Anwendung der Theoriebasis auf den Korpus zu unterstützen. Darunter waren Fragen wie: Welche Qualitäten werden als verantwortlich für die Entstehung der Qualität von »Kunst« und »Kultur« thematisiert? Worin besteht die Leistung der Produzenten? Wie werden Arbeitsbedingungen und das Arbeitsethos dargestellt? Welche Dimensionen treten für die Klassifikation der Kunst und Kultur hervor? Welche Adjektive, Metaphern, Symbole werden verwendet? Was gilt als Werk? Woraus besteht es, welche Bedeutung hat es? Was sind Kriterien für gute und schlechte Kunst und Kultur? Wer kann sich legitim äußern? Was befähigt ihn dazu? Wie sollen Kunst und Kultur ausgestellt, aufgeführt und vertrieben werden? Wie soll das Werk erlebt werden? Wie soll das Publikum mit den Werken umgehen und sich verhalten? Für wen ist die Kunst und Kultur gedacht? usw.

Die Oberflächenanalyse konnte damit aufgenommen werden. Hier wurden zunächst der Textkorpus der Zeitschrift METAL HAMMER (Metalwelt) mehrfach durchgesehen und nach und nach festgehalten (codiert), welche Aspekte (»Begriffe«, »Objekte«, »Sprechermodalitäten«, »Thematischen Wahlen/Strategien«) auftraten. Anschließend wurden für den Textkorpus der Zeitschrift Raveline (Technodiskurs) diese Durchsichten absolviert. Dabei wurde darauf geachtet, dass die ersten Befunde für den Metaldiskurs nicht einfach als Analysekategorien auf die Analyse des Technodiskurses übertragen wurden, sondern die beiderseitigen Besonderheiten zur Geltung kamen.

Im nächsten Schritt wurde die interpretative Analytik durchgeführt. Deren Resultate zeigen, dass die Musik in beiden Musikwelten völlig unterschiedlich diskursiv konstruiert und mit anderen Themen verknüpft wird. Vergegenwärtigt man sich, dass heutzutage im Grunde jede Musik (also auch Heavy Metal) rein elektronisch hergestellt werden könnte, dass die Elektronik und die digitale Nachbereitung in die Verstärkertechnik des Heavy Metal längst Einzug gehalten hat, viele Heavy Metal-Subgenre dem Sound von angrenzenden Techno-Subgenres nicht unähnlich sind, so wird schnell deutlich, dass die nicht-diskursive »Realität« keine Erklärungsgrundlage bietet für die diametral kontroversen Diskurse. Erst die Diskurse machen aus der »Musik« eine sozial relevante Sinnsphäre, die ohne diskursive Praktiken semantisch offen, also unbestimmt bliebe. Insgesamt lässt die Metalwelt eine handwerkliche Diskurslogik erkennen, in der die Erarbeitung und die handwerkliche Qualität der Musik das Arbeitsethos der Musiker ausmacht. Sich schrittweise steigern (wie die Stufen der handwerklichen Ausbildung: Lehrling-Geselle-Meister), intensiv proben, hart seinen eigenen Erfolg erarbeiten und so rechtfertigen, die eigenen Stücke selbst und arbeitsteilig herstellen (komponieren, aufnehmen und aufführen) können, auf der Bühne die Musik selbst auch so reproduzieren können, wie sie auf dem Album klingt, sind zentrale Elemente des Metaldiskurses. Die Band wird als die dauerhafte, identitätsstiftende Produktionseinheit gedacht, die letztlich verantwortlich ist für die Integration verschiedener Musiker und die Kontinuität ihrer Produkte. Der Technodiskurs hat eine Nähe zum Berufsethos von Selbständigen und Freiberuflern. Hier zählt das Grenzgängertum (Transfergewinne erzielen) und das Sampeln von Stücken anderer, die man eben nicht selbst komponiert hat. Das Arbeitsethos integriert Spaß und Professionalität, die künstlerische Identität speist sich diskursiv aus dem Netzwerk verschiedener Projekte und ist nicht eingeengt durch die Erwartung einer kontinuierlichen Entwicklung und Steigerung. Technomusiker sind im engeren Sinne Allrounder, Programmierer und Mixer; das dominierende Selbstkonzept ist dasjenige von Künstler-Unternehmern.

Ergebnisaufbereitung und Rückbezug: Verdichtet man die aufgefundenen Diskurselemente und schließt auf die Tiefenstruktur der beiden Diskursordnung, kann man anhand von Aspekten, wie sie ausschnittsweise in Abbildung 1 dargestellt sind, eine vergleichende Gegenüberstellung durchführen.

Die ersten beiden Reihen stellen hier die Grundstruktur (Tiefenstruktur) der beiden Diskurse dar. Hierbei handelt es sich um eine epistemische Grundstruktur, die auch Sozio-Episteme genannt werden kann. Die unterschiedliche Diskursivierung der Musik und der darauf bezogenen Lebensstilformen führt in beiden Musikwelten zu je eigenen, diskursiv formulierten Ethiken. Die von Bourdieu behauptete Verbindung zwischen Ästhetik (was wird warum als schön empfunden) und Ethik (im Sinne eines Ethos, der die Grundhaltung zu Dingen und Menschen ist), wird diskursiv hergestellt: Erst durch das Wissen um die »Musik«, wird diese zu einem Wissenselement. So erhält sie einen sozialen Sinn, der in der Lage ist, das Band zwischen den Lebensstilkollektiven und der Kultur zu bilden. Praktisch wirkt sich die Sozio-Episteme zum Beispiel als organisierendes Schema für das Erleben (die Rezeption) der Musik aus. Der Rückbezug der diskursanalytisch gewonnenen Resultate erfolgt dann, indem die Schlussfolgerungen für die soziologische Sozialstrukturanalyse gezogen wurden.