PYROMANIA. DAS WELTENBRENNEN

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Er lächelte beim Anblick des heillosen Durcheinanders, das seine Mitarbeiter hier angerichtet hatten: überladene Regale, überfüllte Schreibtische und beklebte Monitore, die dem riesigen Raum eine familiäre Note gaben. Kinderzeichnungen, Kaffeebecher mit respektlosen Sprüchen oder Kunstwerke aus Epoxit, deren Bedeutung ihm ein ewiges Rätsel bleiben würden.

Derek sank müde auf seinen Schreibtischstuhl und rieb sich die Augen. Die Euphorie der letzten Tage war verflogen. Die Bedenken seines Vaters hatten ihn desillusioniert. Er fragte sich, wie er das seinen Mitarbeitern verständlich beibringen sollte. Die Rettung der Menschheit lag in den Händen von Bürokraten.

Er zweifelte nicht, dass sein Vater Erfolg haben würde – dessen Einfluss reichte, um Welten aus ihrer Umlaufbahn zu werfen. Aber selbst ein Guy Colwell benötigte Zeit. Zeit, die noch viele Soldaten ihr Leben kosten würde.

Wie automatisch glitt seine Hand über die Computertastatur, um den Monitor einzuschalten. Die von ihnen entwickelte Wunderwaffe im benachbarten Labor zu betrachten, würde ihn vielleicht ein wenig beruhigen. Der Bildschirm erhellte sich und fast gleichzeitig erkannte er, dass da etwas nicht stimmte. Am Rumpf des Gewehrs befand sich etwas Kleines, Schwarzes, das dort nicht hingehörte.

Ein Fremdkörper.

Derek sprang alarmiert auf.

Dann erfolgte eine gewaltige Detonation. Seine Hitec-Welt stürzte ein.

Die Nacht war voller Albträume. Feuer, Explosionen. Sein Rücken schmerzte und sein Mund war völlig ausgetrocknet, als er erwachte. Dann die Erkenntnis: Feuer und Explosion waren keine Traumbilder.

»Er hat das Bewusstsein wiedererlangt«, erklärte eine sachliche Stimme. Derek öffnete mühsam die Augen und grelles Weiß blendete ihn. Er blinzelte. Der kahle Kopf eines über ihn gebeugten Vitalmechanikers schob sich in sein Blickfeld. Der MediTec leuchtete ihm mit einer Punktlampe in die Pupillen, offenbar um eine Retinareaktion zu bewirken. Dann nickte er zufrieden und wandte sich ab, um die Messwerte auf dem Biomonitor abzulesen.

»Kein Anlass mehr zur Sorge. Körperlich ist alles in Ordnung«, erklärte er nach dem Blick auf die Diagnosegeräte. »Die Implantate haben sich stabilisiert. Die motorischen Reaktionen sind ausgezeichnet. Auch mental gibt es keinen Grund zur Besorgnis. Den Schock wird er rasch überwunden haben.« Er wandte sich wieder Derek zu und fixierte ihn prüfend. »Wie fühlen Sie sich?«

»Wie von einem Turbogleiter geküsst.« Derek versuchte ein Lächeln, doch es gelang ihm nur eine hilflose Grimasse. Eine kühle Hand griff nach seiner und hielt sie fest. Er erkannte seinen Vater, der sich neben sein Hydrobett setzte.

Die Explosion. Das Feuer. Derek schloss die Augen und versuchte seine Konzentrationsfähigkeit zurückzuerlangen. Die letzten Sekunden vor dem Blackout kehrten zurück. Ein Fremdkörper hatte sich an dem Gewehr befunden.

»Das Labor! Was ist dort passiert? Es hat eine Explosion gegeben.«

»Was zum Teufel hattest du mitten in der Nacht in den Labors zu suchen?«, lautete die Gegenfrage seines Vaters. Seine Stimme klang besorgt, aber ein leiser Vorwurf schwang mit.

»Ich wollte nachdenken«, erklärte Derek.

»Das hätte dich fast dein Leben gekostet. Das Labor ist explodiert. Ein technischer Defekt vermutlich.«

Derek versuchte, sich aufzurichten. »Kein Defekt! Sabotage! Jemand hat einen Sprengsatz an unserer Entwicklung angebracht!«

Sein Vater schüttelte den Kopf. »Es deutet nichts darauf hin.« Er ließ die Hand seines Sohnes los und erhob sich.

»Doch! Ich weiß es! Ich habe es gesehen. Jemand hat unsere Erfindung zerstört.« Derek keuchte. »Wie groß ist der Schaden?«

Sein Vater schwieg. »Wie groß?«, drängte Derek. Guy Colwell seufzte und begann den Raum abzuschreiten.

»Es ist … alles zerstört. Die Aufräumarbeiten sind noch im Gange, aber viel wird nicht zu retten sein.«

»Wir müssen sofort mit dem Wiederaufbau beginnen«, forderte Derek. »Es gibt noch eine Datenkopie, die uns als Grundlage dienen kann. In wenigen Wochen kann ich einen neuen Prototyp herstellen. Du solltest derweil die nötigen bürokratischen Schritte einleiten.«

Colwell unterbrach seine unruhige Wanderung. »Hör zu …«, begann er vorsichtig. »Vielleicht ist diese Katastrophe ein Wink des Schicksals, dass wir es nicht übereilen sollten. Weißt du, ich habe lange … nachgedacht.«

Derek sah seinen Vater irritiert an.

»Ich mache mir Sorgen, dass diese Entwicklung vielleicht unser Geschäft ruinieren könnte.«

»Es geht um Menschenleben, die gerettet werden können, Vater.«

»Ja, das weiß ich. Aber es ist komplizierter, als du denkst.«

»Ich verstehe nicht …«

»Das Friedenskorps dient der Erziehung junger Menschen. Die Soldaten sind eine Stütze des Staates.«

»Ja, ja, ich habe die Werbefilme auch gesehen. Aber ich will das Korps nicht abschaffen, ich will Menschenleben retten.«

»Das will ich ja auch, aber … es gibt für uns Colwells eine andere Seite der Medaille. Wir sind Rüstungsfabrikanten. Um Waffen zu verkaufen, sind Kriege erforderlich. Einige Rebellengruppen mit Ausrüstung zu versorgen, ist nicht nur wenig lukrativ, sondern auch gefährlich. Die Weltregierung hingegen zu beliefern, öffnet die Tür zum Schlaraffenland.«

Derek zögerte, schüttelte benommen den Kopf und fixierte seinen Vater ungläubig. Dann begriff er allmählich die Tragweite dieser Antwort. Die kalte Logik traf ihn tief. Sein Mund begann zu zittern. Zorn drohte ihm den Hals zuzuschnüren. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, zu sprechen.

»Das ist … nicht … dein Ernst …«, stieß er hervor.

Guy Colwell hatte die Empörung in der Stimme seines Sohnes nicht wahrgenommen, sondern nur dessen Worte. Er glaubte noch immer, seinen Sohn überzeugen zu können.

»Mein Junge, deine neue Entwicklung zerstört das Lebenswerk deines Großvaters und wird uns in den Ruin treiben. Willst du, dass alle seine Opfer umsonst waren? Sein genialer Plan bestand darin, einen ewigen Krieg zu schaffen. Das Auftauchen der Correlianer war ein Geschenk des Himmels. Er hat alles riskiert für unsere Familie. Ich war bereit, das ebenfalls zu tun.«

»Was willst du mir sagen, Vater?«

»Ich denke, es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst, mein Sohn.« Er setzte sich wieder und blickte Derek an.

»Auslöser des Krieges war der Alienangriff auf Beleron. Ich war als Crewmitglied dort. Ich habe eine Atemmaske aufgesetzt und die Sauerstoffzufuhr gedrosselt – bis alle bewusstlos waren. Dann bin ich an die … Arbeit … gegangen. Zuletzt habe ich mir eine geringfügige Verletzung beigebracht und auf das Rettungsteam gewartet. So einfach, wie einem Kleinkind den Lutscher zu klauen. Der Plan deines Großvaters funktionierte perfekt.« Er schwieg einen erinnerungsseligen Augenblick.

»Niemand hegte auch nur den Hauch eines Zweifels, dass die Correlianer schuld waren. Alienblut zu beschaffen war der schwierigste Teil. Aber dein Großvater hat auch dies geschafft.« Stolz schwang in seiner Stimme.

»Ich hatte gehofft, auch in dir steckt ein echter Colwell.«

Derek wurde bei dem Gedanken übel, wie viele Menschenleben seine hoch angesehene Familie auf dem Gewissen hatte. Es fiel ihm schwer zu realisieren, dass sich sein Vater und Großvater als Verbrecher der schlimmsten Sorte entpuppten. Gequält schüttelte er den Kopf.

»Weißt du, Vater, ich ertrage es nicht! Unser gemeinsames Unternehmen endet hier. Du kannst einen Nachfolger adoptieren, der diese Firma weiterführt. Ich werde es jedenfalls nicht tun. Dein Sohn bin ich immer noch, aber nur genetisch. Deshalb will ich auch nicht sehen, wie man dich ans Kreuz nagelt. Und jetzt … möchte ich, dass du mich allein lässt.«

Guy Colwell seufzte tief.

»Irgendwie habe ich befürchtet, dass du so … altruistisch reagierst. Aber, wenn du schon nicht auf mich hören willst, dann vielleicht auf jemand anderen, den du liebst.« Er wandte sich um und winkte.

Aus dem Hintergrund näherte sich nun eine junge Frau mit einem Jungen an ihrer Hand.

»Mara! Thomas!« Derek starrte seine Frau und seinen Sohn an. »Ihr habt alles gehört?«

Die hübsche Frau mit den sinnlichen Lippen, die er so liebte, nickte.

»Wir haben alles gehört und, mein Lieber, ich denke … Guy hat recht. Willst du deine Nächsten wirklich einem Leben in Armut aussetzen? Willst du deinem Sohn das antun? Und bedenke den Skandal, sollte etwas davon durchsickern. Dein Vater, dein Großvater und wir wären völlig diskreditiert.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das kannst du nicht wollen.«

Tränen traten in seine Augen. »Mara, glaubst du wirklich, das sei das Wichtigste? Ist dir ein Leben in Reichtum so viele Opfer wert?« Sie lächelte kalt. Diese Geringschätzung traf ihn bis ins Mark. Doch weitaus schlimmer wog der verständnislose Blick seines Sohnes, die kühle Arroganz, die den eigenen Vater als Schwächling verdammte.

»Nun, du musst dich entscheiden«, sagte Mara. »Für deine Familie, oder Menschen, die du gar nicht kennst.«

Er hob seinen Arm. »Komm bitte zu mir. Lass uns darüber reden«, bat er, doch sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Derek, da gibt es nichts mehr zu bereden. Der Sachverhalt ist klar, du musst dich entscheiden. Für uns oder gegen uns.«

Er sank zurück. »Hör’ zu, ich kann das nicht ertragen … zu viele Tote … zu viel Blut klebt an den Händen unserer Familie.«

Sie betrachtete ihn mitleidig. »Es tut mir leid, dass du es so siehst. Du kennst doch das Sprichwort: Jeder ist sich selbst der Nächste? Ich sehe, dass sich deine Prioritäten nicht mit den Interessen unserer Familie decken. In diesem Fall werde ich die Scheidung einreichen. Mit Guy habe ich die Vereinbarung getroffen, dass wir die Firma gemeinsam führen, bis Thomas alt genug ist, um ihre Geschicke zu übernehmen.«

 

Die bittere Erkenntnis, sich in seiner Mara gründlich getäuscht zu haben, und dass seine Ehefrau sich in Wahrheit charakterlich nicht von den Mädchen unterschied, die mit seinem Vater ins Bett stiegen, raubte ihm schier den Atem.

»Bitte …«, flüsterte er. Doch seine Frau wandte sich ab und verließ mit Thomas das Zimmer. Derek sank erschöpft zurück. Seine Biofunktionen spielten verrückt. Der Vitalmechaniker eilte hastig in den Raum.

»Sie dürfen sich nicht so aufregen. Der Kreislauf …«

Der Kreislauf war nun wirklich sein geringstes Problem.

Die Landschaft trug tiefe Narben des Krieges. Aufgerissen von zahllosen Granateinschlägen, umgepflügt von gepanzerten Fahrzeugen, die über sie hinweggerast waren, und getränkt vom Blut vieler gefallener Soldaten. Rotes und grünes Blut.

In einiger Entfernung ragten schwarz versengte Stahlträger wie Gebeine eines erlegten Dinosauriers in den schwefelgelben Himmel. Es war nicht mehr zu erkennen, wer die Station errichtet hatte und welchem Zweck sie diente, so schwer wurde sie in den hin und her wogenden Kämpfen beschädigt.

Die erste Kampfhandlung – und er hatte überlebt. Brian zitterte in Erinnerung an das allgegenwärtige Sterben um ihn herum. Die Stimme des Gunsergeants übertönte das Stöhnen der Verwundeten. Brian hörte ihn kaum. Die Detonationsgeräusche der Granaten beeinträchtigten immer noch sein Hörvermögen.

»Sie haben uns kräftig in den Arsch getreten. So ist das immer, mal treten wir ihnen in den Arsch, mal ist es umgekehrt. Das ist Krieg. Kein Ruhm, keine Ehre, nur die Aussicht auf einen schnellen Tod.« Hatte Hackford das wirklich gesagt? Vielleicht ja, vielleicht nein. Das Pfeifen in Brians Ohren ebbte allmählich ab.

Ein irrsinniges Gemetzel, dachte Brian voll Ekel. Aber warum empfand er diese Abscheu? Hatte er tatsächlich anderes erwartet, als er die Tränen seiner Mutter und die Erzählungen seines Vaters ignoriert und sich dem Friedenskorps angeschlossen hatte? Nun war er aus eigenem Wunsch Soldat und seine Pflicht bestand darin, jeden Correlianer zu töten. Doch in seinem tiefsten Inneren regten sich Zweifel und die Frage, ob seine Eltern doch recht gehabt hatten, ließ sich nicht mehr so einfach mit Nein beantworten wie zuvor.

Der nächste Angriff stand unmittelbar bevor. Ein Sturmboot mit weiteren Rekruten befand sich im Landeanflug. Sobald die neuen Männer ihren Trupp verstärkt hatten, würde die nächste Offensive beginnen.

»Wir bauen Schutzwände aus Termium-Stahl und sie beschleunigen die Geschwindigkeit ihrer Geschosse.« Der redselige Gonzales, dessen Stirn eine lange Narbe zierte, spuckte aus. »Wir verändern die Zusammensetzung des Stahls, machen ihn härter – und sie finden einen Weg, damit ihre Waffen auch diese Legierung durchdringen. Wir finden Schwachstellen ihrer Kampfanzüge, sie verbessern die Panzerung, wir finden auch hier die Schwachpunkte. Viele Soldaten sterben für diese Erkenntnisse. Es ist ein ewiges Hin und Her. Ich bin lange genug dabei, um das Prinzip zu erkennen. Das sind die wenigsten. Bei jedem Einsatz kehrt vielleicht die Hälfte der Männer zurück. Manchmal weniger.«

»Halt dein Maul, Soldat!«, fuhr Drillsergeant Cobaine dazwischen. »Solche Reden sind Subordination. Wenn ich dich noch einmal so reden höre, dann treffen wir uns vor dem Kriegsgericht wieder.«

»Vorausgesetzt, diese Analfistel überlebt das nächste Gefecht«, brummte Gonzales. Dann schwieg er. Nur für den Fall, dass der Sergeant doch überleben sollte.

Brian brannte eine andere Frage auf der Zunge.

»Aber warum sind wir eigentlich hier, Sir? Ich meine, es gibt nicht einmal Bodenschätze, die wir den Geeks abjagen könnten.« Er sah den strengen Blick seines Gunsergeants und schwieg.

»Du stellst Fragen, das ist gut«, kommentierte sein Vorgesetzter gefährlich leise. Dann brüllte er: »Aber nicht für einen Soldaten!« Speicheltropfen sprühten.

»Wir sind hier, weil wir den Befehl dazu erhalten haben! Wir sind hier, um den Geeks kräftig in den Arsch zu treten! Wir sind hier, weil es unsere verdammte Pflicht ist!« Seine Stimme wurde wieder sanft. »Beantwortet das deine Frage, Soldat?«

Brian nahm Haltung an und schrie: »Jawohl, Sir!«

»Damit das klar ist – wir sind hier nicht wegen des guten Wetters oder der schönen Aussicht. Wir sind hier, um zu kämpfen und zu siegen. Oder zu sterben. Für unsere Familien und die Zukunft der Erde.«

Die Männer wechselten einen letzten Blick. Hackfords Miene war unergründlich. Brian beschlich das bittere Gefühl, nunmehr die oberste Position der Schikanierliste eingenommen zu haben.

Doch nun war die Verstärkung gelandet und die Attacke stand unmittelbar bevor. Keine Zeit mehr, zu denken. Jetzt brach die Zeit des Handelns an. Die Zeit zu überleben. Brian griff nach seinem Plasmagewehr und setzte den Helm auf.

Neben ihm erschien ein fremdes Gesicht, vermutlich einer der Neuankömmlinge, die seiner Einheit zugeteilt wurden. Brian nickte ihm zu. Der neue Rekrut hielt sein Impulsgewehr wie einen Fremdkörper.

»He, Rekrut«, flüsterte Brian. »Wenn du den Kolben gegen die Energieversorgung des Kampfanzugs klemmst, erleichtert es dir das Feuern. Der Rückstoß wird aufgefangen und die Zielautomatik besorgt den Rest.«

Der Neue schien aus einer Trance zu erwachen und blickte ihn verwirrt an. Dann lächelte er. Brian erschien es wie das unheilvolle Grinsen eines Totenschädels.

Er schulterte das Plasmagewehr und nahm sein Impulsgewehr in die Hand. Falls der Angriff ins Stocken geriet, würden sie mit Plasmastrahlern einen Feuerteppich zwischen sich und die Geeks legen, um einen geordneten Rückzug einleiten zu können.

Gonzales strich über seine Narbe, grinste und hob den Daumen.

»Halt dich aus meiner Reichweite, Oakes. Du bringst mir Unglück.«

Der Gunsergeant wandte sich um, blickte Brian hinterhältig an und zischte: »Lass dir nicht in den Rücken schießen, Soldat.« Sein Gesicht verzerrte sich zu einer höhnischen Grimasse.

Leuchtspuren zischten über ihre Stellung hinweg. In einiger Entfernung ließen Detonationen den Boden beben und blaugrüne Explosionsfeuer flammten am Horizont auf. Brian hoffte, dass die Kanoniere diesmal besser zielten und dafür sorgten, dass die Geeks ihre Alienschädel zumindest zu Beginn der ersten Angriffswelle unten hielten. Sonst würde auch diese Offensive in einem Fiasko enden.

»Okay, es geht gleich los …«, erklärte Brian und hob fragend eine Augenbraue.

»Derek Colwell«, sagte der Neue.

Gonzales klopfte auf sein Gewehr. »He, so wie der Colwell, dem wir unsere Babys hier verdanken? Großer Mann!«

»Er ist ganze einssechzig«, stellte Colwell sachlich fest.

»Ach, du kennst ihn?«, fragte Gonzales erstaunt. Colwell blickte gequält.

»Wir sind … irgendwie verwandt.«

Ehe Gonzales etwas erwidern konnte, ertönte das Angriffssignal. Die Männer stürzten aus ihren Stellungen hervor, die Waffen im Anschlag. Brian lief leicht gebückt, um dem außerirdischen Feind möglichst wenig Zielfläche zu bieten, und feuerte. Neben ihm rannte Gonzales. Er fluchte ununterbrochen, dann fetzte ihm ein Desintegrator den halben Schädel weg. Bis sie vom fehlenden Gehirn nicht mehr mit Bewegungsimpulsen versorgt wurden, liefen seine Beine noch einige Meter. Dann stellten sie ihren Dienst ein und der Körper stürzte schwer zu Boden. Brian sah, dass Gonzales nicht blutete … der Laserstrahl kauterisierte die Wunde. Das Sterben begann.

Brian lief weiter, ohne seine Geschwindigkeit zu drosseln, und feuerte ununterbrochen. Ein blauer Blitz blendete ihn. Vor ihm wurde ein Soldat wie eine zerbrochene Gliederpuppe in die Luft katapultiert. Ein unmissverständliches Zeichen, dass sich die Geeks allmählich auf sie einschossen.

Der Getroffene war noch nicht tot, sondern bestand aus einer stöhnenden Masse zerfetzten Fleisches. Colwell war stehen geblieben und blickte wie erstarrt auf den sterbenden Soldaten, dem das Geekgeschoss die Eingeweide herausgerissen hatte.

»Weiter, Colwell!«, brüllte Brian. »Stehend bist du ein sicheres Ziel!« Er verlangsamte seinen Schritt, bis er sah, dass der Neue sich wieder taumelnd vorwärts bewegte. Auch diese Offensive würde scheitern. Das Sperrfeuer ihrer Gegner wurde heftiger. Die eigene Artillerie hatte das Bombardement der feindlichen Linien längst eingestellt.

Brian warf sich hinter die nächste Deckung, die das flache Gelände bot – eine Anhäufung von Steinen, die auf Dauer wenig Schutz bieten würde. Erleichtert sah er, wie Colwell es ihm gleichtat.

Jetzt war es an der Zeit, einen Feuergürtel aus Plasmageschossen zu legen, um den Rückzug zu decken. Um zielen zu können, musste er sich allerdings aus dem Schutz der Steine erheben.

»Colwell«, zischte er gepresst. »Feuerschutz!«

Der Neue nickte ihm zu, brachte sein Impulsgewehr in Stellung und begann zu feuern. Brian hob sein Plasmagewehr von den Schultern, sprang auf und visierte sein Ziel an. Das Plasmagewehr spuckte seine Ladung auf die feindlichen Stellungen. Dann verstummte das Geräusch der Impulsgarben neben ihm.

»Deckung!«, brüllte Colwell und schlug wild gegen seine Waffe. »Ladehemmung!«

Doch es war schon zu spät, um zu reagieren. Direkt neben Brian schlug ein feindliches Geschoss ein und pulverisierte Stein. Das Nächste würde seinen Namen tragen.

Es tut mir leid, Mutter, dachte er, dann stürzte etwas auf ihn, riss ihn um und er prallte hart auf den Boden. Eine Schrecksekunde lang erwartete er die Schmerzen des nahenden Todes, doch sie kamen nicht. Er war nicht verletzt, nur atemlos vom Aufprall.

Aber er hatte den Einschlag gespürt! Dann dämmerte ihm die Erkenntnis: Das Projektil hatte nicht seinen Körper durchschlagen, sondern denjenigen, der ihn zu Boden gerissen hatte. Er wälzte sich herum.

»Colwell!«

Der Rekrut lächelte und spuckte Blut.

Schmetternde Explosionen, Schreie, Stöhnen. Sein olfaktorischer Sinn schien derartig geschärft, dass er die Gerüche aus metallenem Blut und ausgeschwitzter Angst überdeutlich wahrnahm.

Derek schaute in den dunklen Himmel. Er würde sterben. Das war alles, was er tun konnte. Seine Eingeweide ließen sich nicht mehr zurückstopfen. Aber er hatte ein Leben gerettet. Wenigstens eine Mutter würde ihren Sohn wieder in die Arme schließen können.

Der blutrünstige Krieg würde seine unstillbare Gier weiterhin mit Toten befriedigen. Lange Zeit. Vielleicht endlos.

Sein skrupelloser Großvater hatte diese Bestie entfesselt. Sein charakterloser Vater fütterte sie. Als Gegenleistung für die abgeschlachteten Opfer schenkte das unersättliche Monster seiner Familie Reichtum. Ob sein Sohn diese Tradition eines Tages fortführen würde? Die Wahrscheinlichkeit lag hoch.

Doch für ihn: Stille. Dunkelheit. Frieden.

Vorabveröffentlichung in

Thomas Heidemann, Detlef Klewer, Katharina Groth & Christian Künne

Chroniken der Nachwelt: Am Rande des Abgrunds

Eridanus Verlag, Februar 2017, ISBN 978 3 946348 15 3

bzw. 978 3 946348 17 7