Plautus in der Frühen Neuzeit

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Aus der Reihe: NeoLatina #34
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Das plautinische Modell für den Sprachwechsel ist im PoenulusPoenulus zu finden: Im 5. Akt tritt dort der Karthager Hanno auf, der in einem Monolog über zwanzig Verse punisch spricht.24 Er ist auf der Suche nach seinen Verwandten, die als Kinder aus Karthago verkauft worden waren. In der nächsten Szene trifft er auf Agorastocles und den Sklaven Milphio, deren lateinische Sprache er bewundert.25 Wie der Allobrox und Hermann sprechen hier Hanno und Milphio die fremde Sprache, wobei sie für CaesarCaesar und für Agorastocles jeweils – mehr oder weniger richtig – übersetzt wird. Schon Plautus erzeugt durch die Wahl einer fremden, vermutlich für das römische Publikum kaum verständlichen Sprache, einen Witz.26 Die Übernahme des Verfahrens durch FrischlinFrischlin, Nikodemus, der dem Humanistenlatein der Komödie französische Passagen beifügt, ist als besonders gelungen zu bezeichnen: Dass die Sprache nicht nur explizit durch die unwissenden Römer als oratio tam rancida (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 992) und oratio semilatina (Iul. red. Frischlin, NikodemusIulius redivivus1019)27 bezeichnet wird, sondern implizit durch das Durchscheinen des plautinischen Prätextes auf einer Stufe mit dem Punischen der Barbaren steht, ist als selbstbewusster Seitenhieb des deutschen Humanisten auf das linksrheinische Nachbarvolk zu verstehen.28

Bemerkenswert ist hier, dass ebenso wie Hanno auch der Allobrox gutes Komödienlatein zu sprechen versteht. In beiden Komödien dauert die fremdsprachliche Szene 100 Verse an, danach wechseln die „Fremden“ zum Lateinischen über.29 Offensichtlich sind 100 Verse eine für das Publikum erträgliche Dauer, in der die Konzentration auf zwei Sprachen nicht überbeansprucht wird und der Witz sich nicht totgeritten hat.

In der 1. Szene des 4. Aktes des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus befindet sich der Allobrox auf dem Markt, um seine Waren zu verscherbeln. Hermann, der beobachten möchte, was seine Soldaten kaufen, trifft ihn und lässt sich Schmuck, Gewürze und Damenkleidung anbieten; nach einiger Zeit wird es ihm zu bunt, und er lässt den Allobrox abführen, weil er fremdländische Waren nach Deutschland einführe, die den Kampfgeist schwächten (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1719–1720). Der Anfang der Szene (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1639–1664) ist voll von Plautuszitaten, die vor allem dem PseudolusPseudolus entnommen sind. Der erste Beleg stammt aus dem 3. Akt, im Folgenden lehnt sich der Autor insbesondere an eine Schlüsselszene im 4. Akt sehr nahe an. Der Allobrox spricht stets mit den Worten des Kupplers Ballio.

Bei FrischlinFrischlin, Nikodemus sagt der Allobrox aus Angst vor Markträubern: Si quis furinum forum dicat, nomen dederit loco / huic aptissimum (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1639–1640).30 Der explizite intertextuelle Bezug führt direkt zur Kochszene im PseudolusPseudolus. Ballio hat sich einen Koch auf dem Markt angeheuert und sagt: Forum coquinum, qui vocant stulte vocant / nam non coquinum est, verum furinum est forum (Plaut. Pseud.Pseudolus 790–791),31 d.h. es ist kein Markt, auf dem Köche, sondern auf dem Diebe angeheuert werden. Es wird im Verlauf der Szene klar, dass Ballio unterstellt, dass alle Köche, die als Fremde ins Haus gelassen werden, stehlen, was der Koch auch zugibt (Plaut. Pseud.Pseudolus 848–853).32 Die Behauptung wird durch den (fälschlichen) etymologischen Zusammenhang von forum und fur gestützt.33

Dieses Wortspiel hat der Allobrox von Ballio übernommen und lobt es: Richtig sei die Benennung Diebesmarkt, weil dort Diebe seinen Waren nachstellten. Beide Protagonisten, die selbst windige Geschäfte gewohnt sind, haben Angst, bestohlen zu werden.

Im Anschluss an den Allobrox spricht Hermann. Der Allobrox entdeckt ihn, und jetzt beginnt in seinen Sprechpartien die Rezeption einer Schlüsselszene aus dem PseudolusPseudolus, wobei fast alle Worte des Allobrox auch in Ballios Redepartien zu finden sind. Der Allobrox macht sich über Hermann in gleichen Worten lustig wie der Kuppler Ballio über Harpax, den Soldatendiener. Zur Verdeutlichung werden die Texte synoptisch nebeneinander gestellt, die kurzen Redebeiträge Hermanns und Simos sind ausgelassen:


Frischlin, Iul. red. 1647–1655 Plaut. Pseud. 1124–1129
ALLOBROX: redit miles. praeda haec mea est, quam portat hic / in loculo. […] hic homo meus est: BALLIO: hic homo meus est. […] quia praeda haec meast: / scortum quaerit,
argentum habet. eum admordere nunc lubet, / dum recens est, dum calet. / (…) si decet. / habet argentum. iam admordere hunc mihi lubet. / (…) dum recens est, / dum calet, dum datur, devorari decet iam. /
(…) improbi / me ditant, boni viri me pauperant. augent meam / rem mali. damno mihi sunt populi strenui, pigri / atque inertes usui sunt. boni me viri pauperant, inprobi augent; / populo strenui, mi inprobi usui sunt.

Die Synopse macht deutlich, dass die meisten Wörter bei FrischlinFrischlin, Nikodemus der Szene bei Plautus entnommen sind; in einigen Fällen sind sie durch Synonyme ersetzt: z.B. augent durch ditant, inprobi durch pigri atque inertes, wobei in beiden Fällen Plautus’ Wörter zusätzlich verwendet werden. Oft stehen sie im gleichen syntaktischen Zusammenhang, bisweilen sind sie umgestellt, einige Wörter sind in andere Satzkonstruktionen eingebaut, ergeben aber im Wesentlichen denselben Sinnzusammenhang.34 Inwiefern stimmt der Kontext überein, und welche Abweichungen gibt es?

Ballio möchte von dem Soldaten Harpax das Geld bekommen und den vorher abgemachten Handel durchführen. Seine großen Worte, dass er von ihm eine „Beute“ erwarte, dass er ihn „anbeißen“ möchte, „solange er noch frisch und warm ist“, dass er ihn zu den improbi zählt, die ihn bereichern, sind für diesen verabredeten Handel nicht treffend. Die übertrieben vulgäre, aufschneiderische Ausdrucksweise charakterisiert eher den Stand und das Geschäftstreiben Ballios im Allgemeinen, als dass sie die vorliegende Situation genau träfe.

Bei FrischlinFrischlin, Nikodemus dagegen findet kein verabredeter Austausch statt, sondern der Allobrox will sich von Hermann das Geld, das dieser ihm vermeintlich entwendet hat, durch linken Handel wieder holen. So ist sein Gerede von „Beute“, „Anbeißen, solange er noch warm ist“ usw., auch von den improbi, zu denen er den vermeintlichen Gelddieb zählt, eher gerechtfertigt, weil es sich ja um ein einseitiges Aufschwatzen von Waren zum Ausgleich seines Verlustes handelt. Ballios Worte, die in dessen Lage überzogen klingen, passen also sehr natürlich auf die Situation des Allobrox. Was vordergründig nach einer rein sprachlichen Adaptation aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als gelehrte Auseinandersetzung mit dem antiken Autor.

Die enge Anlehnung mehrerer Verse an die Passage bei Plautus ist auffällig und bedeutet bei näherem Besehen wieder einen geistreichen Seitenhieb auf die Franzosen, denn sie stellt dem Savoyarden ein antikes Pendant an die Seite: So wie CaesarCaesar und CiceroCicero sich mit den gleichnamigen antiken Persönlichkeiten ihres ersten Lebens identifizieren, so wie Hermann sich als Nachkomme des Germanenfeldherrn Arminius ausgibt,35 hat der Allobrox im Komödienhelden Ballio sein antikes Alter Ego gefunden: Er kennt und lobt dessen Aussprüche, er zitiert Aussprüche des Kupplers und verhält sich häufig ebenso rüde, vulgär und linkisch wie dieser.

Auf das Prinzip, das hinter der Verwendung antiker Sprachvorbilder steht, gibt FrischlinFrischlin, Nikodemus durch seine Charaktere selbst den entscheidenden Hinweis: indicio est oratio lässt er CaesarCaesar – wie oben erwähnt – sagen. Diese drei (von TerenzTerenz stammenden) Worte fungieren als eine Art metapoetisches Programm für sein Vorgehen: Die Sprache, die FrischlinFrischlin, Nikodemus seinen Komödienhelden gibt, zeigt, was für einen Charakter oder Stand sie haben oder welche Tätigkeit sie ausführen. An einer bisher nicht zitierten Stelle gibt er durch CiceroCicero einen weiteren Hinweis. Im 2. Akt ist dieser mit dem neuzeitlichen Dichter EobanusHessus, Eobanus im Gespräch über Dichtung und Papier. Bevor EobanusHessus, Eobanus die neuzeitliche Papierherstellung erläutert, erklärt Cicero die Papyrusherstellung, sagt aber, er werde dies nicht in seinen eignen Worten, sondern in den Worten eines erfahrenen Künstlers – nämlich des Plinius (!) – tun. Frischlin, NikodemusFrischlin, NikodemusIulius redivivusEr begründet es mit dem Satz: Nam quilibet artifex / In arte sua eloquentissimus est (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 675–676) und fügt hinzu: Nam de praeliis / Nemo memorabit melius quam bellator, nemo de grege / Loquetur aptius quam pastor (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 676–678).Frischlin, NikodemusIulius redivivus36 Hier wird wiederum unterstellt, dass Sprache und Profession eng zusammengehören.

Beide Stellen zusammen genommen bedeuten, dass die sprachlichen Modelle jeweils dem Thema entsprechend gewählt werden. Geht es um Krieg, sprechen die Charaktere wie CaesarCaesar, geht es um Bildung, wie CiceroCicero, geht es um laszive Themen oder soll die Szene einen kolloquialen Ton haben, so ist Plautus (oder selten TerenzTerenz) Vorbild. Die einzelnen Personen sind jeweils nicht auf die Sprache eines Autors festgelegt. Wenn die Situation es erfordert, sprechen Cicero und Caesar – wenngleich maßvoll – auch plautinisch.

 

Nicht einmal der Allobrox ist ein konsistent plautinischer Charakter. Er übernimmt die Worte Ballios, wenn er über Vergnügungen, Dirnen, windige Geschäfte und allerlei Geplänkel plaudert. Sonst spricht auch er unauffällig klassisch (z.B. Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1118–1142).

Auch Hermann, der anfangs wie ein würdiger Stratege in der Nachfolge CaesarsCaesar auftritt und dem württembergischen Herzog und seinen adligen Hochzeitsgästen als Vorbild eines deutschen Musterfürsten vor Augen geführt wird,37 fällt, wie erläutert, bisweilen aus der Rolle. Die Wandelbarkeit seines Charakters zeigt sich pointiert durch die sprachliche und motivische Stilisierung seines letzten Auftritts am Schluss des 4. Aktes. In einem Monolog droht er, der Argumentation CaesarsCaesar folgend und gleichzeitig dem Germania-Diskurs entsprechend, Händler, die verweichlichende Waren aus anderen Ländern einführen, zu bestrafen. Geschickt verknüpft er diese Sittenstrenge mit einer Forderung, die seiner eigenen Unsittlichkeit Genüge tun soll: Er will den Allobrox für das Entführen seiner (also Hermanns) Dirne zum Tode verurteilen. Aus dieser Szene endlich wird deutlich, dass es tatsächlich Hermann war, der Allobrox um sein Geld gebracht hat; Hermann stellt also keineswegs einen sittenreinen Musterfürsten dar, da er sowohl mit Dirnen verkehrt als auch einen Diebstahl begangen hat. Hermanns Monolog endet passender Weise mit den Worten Ballios aus dessen letztem Auftritt (Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1788–1790):38

Nunc ibo, ut furcifero huic, qui puellam rapuit e domo hac

Impubem, hodie centuriata habeam capitis comitia.

Vos vero ne expectetis me, dum hac domum redeam via.

Jetzt werde ich gehen, damit ich diesen Galgenstrick, der mir ein junges Mädchen aus diesem Haus geraubt hat, heute zum Tode verurteilen lasse. Ihr aber wartet nicht auf mich, bis ich auf diesem Wege nach Hause zurückkehre.

Diese Worte sind angelehnt an die Trochäen aus dem PseudolusPseudolus (Plaut. Pseud.Pseudolus 1232–1234):

PseudolusPseudolus mi centuriata habuit capitis comitia,

qui illum ad med hodie adlegavit mulierem qui abduceret.

sequere tu. nunc ne exspectetis dum hac domum redeam via.

PseudolusPseudolus hat mich zum Tode verurteilt, der jenen heute zu mir geschickt hat, dass er mir die Frau entführe. Wartet ihr jetzt nicht, bis ich auf diesem Wege nach Hause zurückkehre.

So hat sich gezeigt, dass FrischlinFrischlin, Nikodemus Plautus nicht nur als linguistic model, sondern häufig auch als thematic model nutzt, wobei er die Reminiszenzen gezielt zum Zweck eines Witzes oder einer Überraschung einsetzt: Sie rufen bei einem kundigen Rezipienten automatisch den Kontext der jeweiligen Plautus-Stelle ins Gedächtnis, so dass sich eine Doppeldeutigkeit ergibt, die eine Spannung und damit einen Witz erzeugt.39

Die didaktische Intention des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus

Indicio est oratio ist ohne Zweifel auch das Bildungsziel, das FrischlinFrischlin, Nikodemus als außerplanmäßiger Professor für Geschichte und Poetik an der Universität Tübingen1 zu verfolgen hatte: Inhalt seiner Geschichts-Lektionen war vor allem die Aneignung des caesarischen Stils als zentrales Werkzeug eines Historikers.2 Noch offensichtlicher war das Ziel der Lektüre antiker Dichter in der Poetik, die die Studenten in die Lage versetzen sollte, antike Klassiker bei passender Gelegenheit zitieren oder gar selbst korrekt und ausdrucksstark in lateinischer Sprache Verse schmieden zu können. Zentrales didaktisches Instrument im Bereich der Poetik war bekanntlich das Schuldrama,3 für das auch FrischlinFrischlin, Nikodemus in Tübingen verantwortlich zeichnete: Indem die Schüler als Schauspieler auftraten und dafür ein beachtliches Corpus an Versen zu lernen hatten, wurde ihnen selbst poetisches Wissen vermittelt,4 auf das sie in ihrem späteren Lebensweg zurückgreifen konnten. Der Kniff im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus ist nun, wie wir gesehen haben, dass in diesem Drama v.a. Caesarisches und Ciceronianisches transportiert wurde, wofür im Schuldrama normalerweise kein Platz war.

Gerade die Editio princeps des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus von 1585 betont die didaktische Ausrichtung der Komödie. Obwohl die Figuren CaesarCaesar und CiceroCicero, wie gesehen, zuweilen in den plautinischen Sprachstil abgleiten können, betont FrischlinFrischlin, Nikodemus immer wieder die Stilreinheit seiner Protagonisten. In einem einleitenden Brief zum Druck seiner Komödie an die Scholarchen der Straßburger Akademie schreibt er:

Quod si qui erunt, qui argumentum huius Comoediae extenuare ausint, illorum ego animis hoc cogitandum relinquo, quanti illud sit, quòd, quicquid CiceroCicero loquitur, suis loquitur verbis, quibus adhuc vivus uti solebat, quaeque etiamnum in hominum extant memoria, et quòd CaesarCaesar, quicquid loquitur, id propè omne è commentariis suis depromtum loquitur.

Falls es Leute geben wird, die sich etwa erdreisten, den Inhalt dieser Komödie herabzusetzen, so gebe ich ihnen folgendes zu bedenken: welch großer Wert darin liegt, dass CiceroCicero alles, was er sagt, mit seinen Worten sagt, deren er sich bediente, als er noch lebte, und die heute noch im Bewusstsein der Menschen vorhanden sind, und dass CaesarCaesar, was immer er sagt, fast ausschließlich in Gestalt und Entlehnungen aus seinen Kommentaren vorträgt.5

Fast wortgleich äußert er sich in seiner epischen Beschreibung der Stuttgarter Hochzeit6 in den drei Versen

Quicquid enim CiceroCicero larvato dixerat ore

Dixerat ore suo. Quicquid narrarat Iulus

Haec scripto mimus depromserat omnia libro

Alles, was CiceroCicero nämlich unter der Maske gesagt hatte, hatte er mit seinen eigenen Worten gesagt. Und alles was CaesarCaesar erzählt hatte, hatte der Schauspieler dem geschriebenen Buch entnommen.7

FrischlinFrischlin, Nikodemus wirbt so für sein Stück als mögliche Schullektüre bzw. als Schuldrama und für sich selbst als Lehrer. Konsequenter Weise findet sich daher in den Paratexten der Editio princeps des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus auch das Arbeitszeugnis der Krainer Landstände für FrischlinsFrischlin, Nikodemus Tätigkeit als Rektor des Laibacher Gymnasiums von 1582 bis 1584.8 Dabei scheint er vor allem eine Tätigkeit in Straßburg im Auge gehabt zu haben, wo er sich im Winter 1584/85 aufhielt, um den Druck seiner Werke zu überwachen, u.a. der Editio princeps des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus.9 Daher ist die Komödie auch dem Straßburger Rat gewidmet10 und das Lob auf die Stadt, in der seit Jakob WimpfelingWimpfeling, Jakob der Germania-Diskurs heimisch war,11 und ihre Akademie nimmt in der Komödie breiten Raum ein.12

Neben caesarischem und ciceronianischem wird nun im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus auch plautinisches Latein als Vorbild für das Genre „Komödie“ didaktisch vermittelt. Plautus war zumindest in den protestantischen Studienordnungen der Zeit vertreten,13 musste aber oftmals hinter TerenzTerenz zurücktreten,14 der als weniger obszön eingeschätzt wurde. Dies gilt auch für Tübingen15 und im Übrigen auch für das Laibacher Gymnasium, dem FrischlinFrischlin, Nikodemus eine eigene Schulordnung hinterließ. Auch dort vertrat Terenz die Komödie, während FrischlinsFrischlin, Nikodemus ursprünglicher Plan, sein eigenes Bibeldrama SusannaFrischlin, NikodemusSusanna zur Pflichtlektüre zu machen, an den Laibacher Schulträgern scheiterte.16

Dennoch verwendete FrischlinFrischlin, Nikodemus nachweislich Plautus als Lehrstoff. Für das Jahr 1573 vermerkt der Tübinger Rhetorik-Professor Martin CrusiusCrusius, Martin, Frischlins Frischlin, NikodemusLehrer und schließlich erbittertster Feind, in seiner Hauschronik eine Aufführung des PseudolusPseudolus durch FrischlinFrischlin, Nikodemus und seine Schüler sowohl an der Universität Tübingen wie vermutlich auch am Stuttgarter Hof:

Frischlinus Pseudolum Plauti in Aula nova egit: sicut et alias multas Comoedias agere diversis temporibus solitus est. Nonnunquam etiam Stutgardiam cum 2 curribus histrionum vectus. Gratiosus enim apud nobilitatem et principes erat. Neminem illo doctiorum existimabunt. Quicquid peccaret, quoque facilè neglibatur.

FrischlinFrischlin, Nikodemus führte in der neuen Aula den PseudolusPseudolus des Plautus auf, so wie er gewöhnlich viele Komödien zu unterschiedlichen Zeiten aufführte. Zuweilen reiste er auch mit zwei Wagen mit Schauspielern nach Stuttgart. Er war nämlich beim Adel und bei den Fürsten beliebt. Sie glaubten, dass keiner gelehrter sei als er. Was auch immer er an Fehlern beging, es wurde auch leicht nachgesehen.17

Diese intensive Auseinandersetzung mit dem PseudolusPseudolus erklärt möglicherweise rein pragmatisch die dichte Anlehnung des Iulius an dieses Stück, da FrischlinFrischlin, Nikodemus just in diesem Jahr auch mit der Arbeit am Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus begann.18 Wie im Folgenden deutlich werden soll, darf dies aber nicht zu der Annahme führen, die Passagen mit den deutlichsten Anleihen am PseudolusPseudolus als die ältesten des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus anzusehen. Die antike Komödie war also nicht das ursprüngliche Vorbild, von dem sich FrischlinsFrischlin, Nikodemus Stück mit jeder Überarbeitungsphase mehr und mehr entfernte, sondern ein Reservoir, auf das FrischlinFrischlin, Nikodemus immer wieder zurückgriff. Dass er dabei den PseudolusPseudolus nicht nur als raw material, sondern auch als thematic model nutzen konnte, mag in dem Wissen begründet liegen, dass zumindest seine Schüler, die mit dem PseudolusPseudolus vertraut waren, seine Anleihen decodieren konnten und daher verstanden, dass beispielsweise der Allobrox wie Ballio spricht und Hermann anredet, als wäre dieser Harpax.

Obwohl FrischlinFrischlin, NikodemusIulius redivivus Plautus im Original auf die Bühne brachte, pflegte auch er prinzipielle Vorbehalte gegenüber der römischen Komödie. In der Vorrede der dritten Auflage seiner Bibelkomödie RebeccaFrischlin, NikodemusRebecca äußert er sich wie folgt:

Ego in meis Comaediis […] spoliavi Terentium et Plautum sua phrasi eamque in meliorem et sanctiorem usum converti.

Ich raubte in meinen Komödien […] von TerenzTerenz und Plautus den Stil und wandelte ihn zu einem besseren und tugendhafteren Gebrauch.19

Ziel seiner Plautus-Rezeption sollte also nicht die reine Imitation der antiken Komödie, sondern die moralische Besserung dieser literarischen Gattung sein – in diesem Fall durch Verwendung eines biblischen Stoffes, mit Rückgriff auf den in der Antike gewonnenen Sprachstil der Komödie. Auf diese Weise konnte eine Beschäftigung mit Komödien im Schulunterricht besser begründet werden. So lobte der Memminger Schulrektor Johannes Lang in einem Brief an den Autor vom 5. Dezember 1578 die Eignung von FrischlinsFrischlin, Nikodemus SusannaFrischlin, NikodemusSusanna für den Schulunterricht mit den Worten:

Hodierno quoque die in explicanda Susanna castissima verser. Hunc autem laborem ideo suscepi, ut pueri meae institutioni commendati non modo linguam puriorem ex hoc uberrimo fonte hauriant, sed ut simul etiam sacras historias cognoscant, nec non personarum ibidem introductarum sermones ac gestus aliquando reipsa exprimant et repraesentant sicque ad causas maximas in Republica Christiana agendas paulatim informentur.

Auch am heutigen Tag bin ich mit der Erklärung der überaus keuschen Susanna beschäftigt. Diese Arbeit habe ich nun deswegen auf mich genommen, damit die Knaben, die meiner Anstalt anvertraut sind, aus diesem wunderbar reichen Quell nicht nur eine reinere Sprache schöpfen, sondern zugleich auch die heilige Geschichte kennenlernen, Rede und Handlung der dort eingeführten Personen irgendwann einmal tatsächlich zum Ausdruck bringen und nachahmen und allmählich so ausgebildet werden, dass sie im christlichen Gemeinwesen bedeutende Rechtsgeschäfte wahrnehmen.20

Auch im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus gelingt die moralische Besserung der Gattung Komödie durch die Wahl des Themas: Das Lob auf Deutschland und die Deutschen ist weit entfernt von seinem antiken Vorbild mit seinen Ränken eines gewitzten Sklaven. Diese Wahl hatte nun ihrerseits eine weitere didaktische Komponente: Im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus konnten die Schüler die wichtigsten antiken Texte über Germanien kennenlernen und als beteiligte Schauspieler auch mnemotechnisch behalten. Darüber hinaus schuf FrischlinFrischlin, Nikodemus für das Deutschland seiner Zeit loci classici, wenn er etwa die Reichsverfassung beschreibt21 oder auf den Buchdruck zu sprechen kommt.22 In dieser Hinsicht wurde FrischlinFrischlin, Nikodemus selbst von den konfessionell von ihm weit entfernten Jesuiten sehr geschätzt, wie aus einem Brief des Jesuitendramatikers Georg StengelStengel, Georg23 an seinen Lehrer Matthäus RaderRader, Matthäus hervorgeht, worin die im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus behauptete Erfindung des Papiers durch die Deutschen erörtert wird. FrischlinFrischlin, Nikodemus wird dabei als nostri saeculi Plautus gelobt.24

 

FrischlinsFrischlin, Nikodemus Ziel, die Gattung Komödie aus dem Verdacht der Obszönität zu befreien und als didaktisches Instrument zu nutzen, legt nahe, dass der Württemberger Dramatiker sein Lob der Deutschen durch seine PseudolusPseudolus-Anleihen nicht unterschwellig konterkarieren wollte. Ein solches Vorgehen wird FrischlinFrischlin, Nikodemus in der modernen Forschung bezüglich seiner vordergründig streng lutherisch konzipierten Konfessionskomödie PhasmaFrischlin, NikodemusPhasma allerdings unterstellt, da darin die Theologen ZwingliZwingli, Huldrych und BrenzBrenz, Johannes in einer Debatte zum Abendmahlsstreit kurzzeitig einen Dialog aus Plautus’ AmphitruoAmphitruo vortragen25 – wie im Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus mit klar markierten Rollen: ZwingliZwingli, Huldrych übernimmt den Part des von Jupiter gehörnten AmphitruoAmphitruo, der Lutheraner BrenzBrenz, Johannes den von dessen Diener Sosia, so dass auch hier die antike Vorlage als thematic model rezipiert wird und der Verdacht nahe liegt, dass die Theologen unabhängig von ihrer konfessionellen Zuordnung als komödiantisches Personal dargestellt werden sollen, die die wahre Gestalt Gottes nicht zu erfassen vermögen. Eine solche Interpretation ist für den Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus schon allein deswegen kaum fruchtbar zu machen, da die in dieser Komödie vorkommenden Akteure von ihrer Grundkonzeption komödienhafter angelegt sind und daher eine geringere Fallhöhe haben als die großen Reformatoren des 16. Jahrhunderts in PhasmaFrischlin, NikodemusPhasma.

Allerdings gibt es für eine solche Interpretation des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus etwa im Text der Marktszene, in der die Deutschen auch kritisiert werden, Anknüpfungspunkte26 und sie findet in dem Befund, dass FrischlinFrischlin, Nikodemus in seinen Ego-Dokumenten eher als württembergischer Territorialpatriot, denn als nationalbewusster Dichter erscheint,27 eine Stütze. Ein Blick in die Quellen legt auch nahe, dass FrischlinFrischlin, Nikodemus aus eher pragmatischen Gründen auf die Idee verfiel, ein Nationaldrama zu verfassen.

Denn als FrischlinFrischlin, Nikodemus auf dem Speyerer Reichstag 1570 versuchte, aus der Hand Kaiser Maximilians IIMaximilian II. (Kaiser). den Dichterlorbeer zu erhalten, legte er nicht nur einen Hymenaeus auf die dort zelebrierte Hochzeit der Kaisertochter Elisabeth mit dem französischen König Karl IX.Karl IX. (König) vor,28 sondern schrieb auch einen Brief an den Kaiser, in dem er darlegt, welche Konsequenzen es hat, wenn ein Herrscher die Literatur zu wenig fördert. Darin heißt es u.a.:

Nam quis dubitet veterum quoque Germanorum et antiquissimorum in Germania parentum nostrorum, qui ante et post tempora CHRISTI fines suos longè lateque propagarunt et hostium assultus fortissime profligarunt, egregia et heroica fuisse facinora, quae hodie in tenebris iacent propterea, quòd litterarum lumen illis non accesserit?

Denn wer zweifelt daran, dass auch die Taten der alten Germanen und unserer ältesten Vorfahren in Germanien, die vor und nach den Lebzeiten Christi ihr Gebiet sehr weit ausdehnten und den Ansturm der Feinde kräftigst niederschlugen, herausragend und heldenhaft waren, die heute deswegen in Vergessenheit geraten sind, weil ihnen das Licht der literarischen Werke fehlte?29

Nachdem ihm in Speyer die Dichterkrönung versagt blieb, dürfte in FrischlinFrischlin, Nikodemus der Plan zur Ausarbeitung des Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus nach der in diesem Brief greifbaren Argumentation gereift sein: Durch die gekonnte dichterische Umsetzung des seit der Wiederentdeckung der Germania des TacitusTacitus von den deutschen Humanisten geführten Germania-Diskurses wollte er unter Beweis stellen, dass er des Dichterlorbeers aus der Hand des Kaisers durchaus würdig gewesen wäre und welch propagandistischen Nutzen Maximilian aus der Förderung Frischlins Frischlin, Nikodemushätte ziehen können, da dessen Lob auf Deutschland unweigerlich auf seinen Kaiser zurückfiele.

Durchaus geistreich erscheint die Wahl des EobanusHessus, Eobanus als Vertreter der humanistischen Gelehrsamkeit der Deutschen, wenn man bedenkt, dass der neulateinische Dichter EobanusHessus, Eobanus HessusHessus, Eobanus (1488–1540), an den die Rolle angelehnt ist, selbst nie zum Poeta Laureatus erhoben wurde. In seinem ersten Auftritt in der Komödie sucht EobanusHessus, Eobanus nun mit folgenden Worten den Zutritt zum Kaiser (FrischlinFrischlin, Nikodemus, Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 609–610):

Quid ergo faciam? Numne ad Caesarem quidem me conferam,

In quo uno spes omnis mihi reposita est?

Was also soll ich tun? Soll ich mich wirklich zum Kaiser begeben, auf dem allein meine Hoffnung ruht?

CiceroCicero, der zufällig dabeisteht, missversteht den neulateinischen Dichter; er meint, EobanusHessus, Eobanus wolle zum CaesarCaesar redivivus und nicht zum aktuellen Kaiser.30 Wie bei einer Dichterkrönung üblich31 prüft nun Cicero die Gedichte des EobanusHessus, Eobanus,32 wobei er fast wortwörtlich eine Passage aus dem Brief FrischlinsFrischlin, Nikodemus an MaximilianMaximilian II. (Kaiser) zitiert (FrischlinFrischlin, Nikodemus, Iul. red.Frischlin, NikodemusIulius redivivus 1455–1457):

Nam nisi

Ad res gestas accedat lumen literarum, tum omnia

Iacent in tenebris

Denn wenn historische Taten von dem Licht literarischer Werke nicht beleuchtet werden, liegt alles in Finsternis.

CiceroCicero führt EobanusHessus, Eobanus schließlich zu CaesarCaesar, der den deutschen Dichter, wie gesagt in der Stuttgarter Aufführung von FrischlinFrischlin, Nikodemus selbst gespielt, zum Dichter krönt.33 Das Lob Deutschlands und der Deutschen war nun ohne Zweifel ein geschickt gewähltes Thema, um die eigene Dichterkrönung zu forcieren.34

Möglicherweise bestand der ursprüngliche Plan FrischlinsFrischlin, Nikodemus darin, den Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus auf dem folgenden Reichstag aufzuführen und den Kaiser dadurch dazu zu bringen, ihm den Dichterlorbeer zu überreichen. Als sich die Reichsstände allerdings 1576 in Regensburg tatsächlich wieder versammelten, schien FrischlinFrischlin, Nikodemus den Iulius redivivusFrischlin, NikodemusIulius redivivus aus den Augen verloren zu haben, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt war. Stattdessen überreichte der Tübinger Poetik-Professor dort Maximilian II.Maximilian II. (Kaiser) kurz vor dessen Tod seine RebeccaFrischlin, NikodemusRebecca und erreichte damit sein Ziel: Maximilians Nachfolger Rudolf II.Rudolf II. (Kaiser) krönte FrischlinFrischlin, Nikodemus am Rande des Regensburger Reichstags zum Poeta Laureatus.35 Statt während eines Reichstags erreichte FrischlinFrischlin, Nikodemus das ursprünglich intendierte Publikum der Reichsstände während der Stuttgarter Hochzeit, die von einem entsprechenden Personenkreis besucht wurde. Interessanterweise beschränkte man sich dabei auf die Aufführung der ersten drei Akte,36 die das Lob auf Deutschland am konsequentesten verfolgen.