Panitzsch

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Panitzsch verliert seine kommunale Selbstständigkeit

Trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Lösung von Verwaltungsaufgaben im Verbund mit Nachbarorten, wie z. B. Althen, Engelsdorf oder Taucha, fasste der Gemeinderat im Februar 1994 zunächst den Entschluss zum Erhalt der Eigenständigkeit des Ortes und kam damit den Wünschen der Panitzscher nach. Schon 1994 wurden erneut Diskussionen zur bevorstehenden Gemeindegebietsreform in Sachsen geführt. Dabei ging es immer wieder um die Frage, zu welchem Kreis Panitzsch künftig gehören würde, zum Landkreis Leipzig oder zum Muldentalkreis. Favorisiert wurde seit 1995 zunächst eine freiwillige Zusammenarbeit mit Borsdorf in einer Verwaltungsgemeinschaft, wobei Borsdorf als „erfüllende Gemeinde“ tätig werden sollte. Mit Wirkung vom 1. April 1996 genehmigte das Innenministerium des Freistaates Sachsen die Bildung der Verwaltungsgemeinschaft Borsdorf/ Panitzsch, allerdings mit dem Zusatz, dass dies „nur (als) ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Bildung einer Einheitsgemeinde“ zu sehen sei. Ab April 1996 wurde ein Teil der Borsdorfer und Panitzscher Verwaltungsaufgaben für nunmehr insgesamt fast 6.800 Einwohner gemeinsam geleistet. Dazu gehörte unter anderem die Zuständigkeit des Meldeamtes Borsdorf für die Panitzscher Bürger sowie die Bearbeitung von Aufgaben des Sozialamtes und des Gewerbeamtes im Rathaus Borsdorf. Der aus Vertretern beider Gemeinden gebildete Verwaltungsausschuss, dem beide Bürgermeister angehörten, prüfte in der Folgezeit die jeweiligen Gemeindesatzungen und bereitete den späteren Zusammenschluss vor.


Luftbild der Gemeinde Panitzsch, Ende der 1990er Jahre, rechts das neu erschlossene Wohngebiet Am Wiesenweg.

Auch wenn die Panitzscher Einwohner gern ihre Eigenständigkeit bewahrt hätten, führte an der Eingemeindung kein Weg mehr vorbei. Am 15. Dezember 1998 tagte der Gemeinderat Panitzsch zum letzten Mal als eigenständiges Gremium. Zum 1. Januar 1999 entstand die neue Gemeinde Borsdorf mit den Ortsteilen Borsdorf, Cunnersdorf, Panitzsch und Zweenfurth (nach Borsdorf eingemeindet per 1. Juni 1973). Durch die Eingemeindung nach Borsdorf wechselte Panitzsch gleichzeitig aus dem Landkreis Leipziger Land in den 1994 gebildeten Landkreis Muldental.

Zehn Panitzscher Gemeinderäte arbeiteten zunächst mit 15 Borsdorfer Vertretern in einem gemeinsamen Gemeinderat. Ansprechpartner, darunter der noch 1998 gewählte Ortsvorsteher, standen für die Panitzscher vor Ort weiter zur Verfügung. Da beide Bürgermeister bei der Zusammenlegung ihr Amt verloren, fand am Sonntag, dem 28. März 1999 die Neuwahl für das Bürgermeisteramt statt. Als neuer Bürgermeister für Borsdorf wurde Ludwig Martin gewählt, der dieses Amt seitdem ausübt.

Hatten die Panitzscher sich mittlerweile an die neuen Behördenwege beim Landratsamt in Grimma oder der Außenstellen in Wurzen gewöhnt, stand ihnen nochmals ein Veränderung bevor: Im Zuge der Verwaltungs- und Gebietsreform in Sachsen wurden mit Wirkung vom 1. August 2008 die ehemaligen Landkreise Muldentalkreis und Leipziger Land zum neuen Landkreis Leipzig vereinigt. Kreissitz wurde nunmehr Borna, wobei sich einige Verwaltungsstellen des Landratsamtes noch in Grimma befinden.

Durch Fusionen anderer Orte im Umfeld ist Borsdorf heute die flächenmäßig kleinste selbstständige Gemeinde im Landkreis Leipzig. Wenn aktuell zur Zeit keine weiteren Eingemeindungsverhandlungen auf der Tagesordnung stehen, zeichnet sich jedoch schon seit längerer Zeit ab, dass es erforderlich ist, die Verwaltungsaufgaben zukunftsfähig zu lösen und personelle und finanzielle Ressourcen zu bündeln. So wurden zum 1. Januar 2016 die Aufgaben des Standesamtes für Borsdorf an die Stadt Brandis, mit der auch eine Kehrmaschine gemeinsam genutzt wird, übertragen.

Sind die Ortsteile der Gemeinde Borsdorf inzwischen vor allem durch die Parthenfeste näher zueinander gerückt, werden sich trotzdem Traditionen und regionale Besonderheiten nach wie vor nicht verlieren. Zum gegenseitigen Miteinander trägt das gemeinsame Begehen der Ortsjubiläum 2014 in Zweenfurth sowie 2017 anlässlich der urkundlichen Ersterwähnungen von Panitzsch und Borsdorf vor 750 Jahren sicher bei.

Ein besonders Dankeschön geht an Frau Angela Neubert für die vielfältige Unterstützung bei den Recherchen!


Werbung zur 750-Jahrfeier im Dorfteich an der Hauptstraße.

Aktuelle Informationen wie den Behördenwegweiser oder Grunddaten zur Gemeinde und ihren Ortsteilen kann man der Internetseite der Gemeinde (www.borsdorf.eu) entnehmen.

Quellen und Literatur

Archive und Sammlungen

Stadtarchiv Leipzig: Ratslandstube/Ratslandgericht; Güteramt; Akten der Stadtverordneten; Akten des Rates der Stadt Leipzig (Kapitelakten).

Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig: 20009 Amt Leipzig; 20028 Amtshauptmannschaft Leipzig; 20234 Kreistag und Kreisrat Leipzig.

Kreisarchiv des Landkreises Leipzig: Gemeindeverwaltung Panitzsch (vor und nach 1945); Kreistag und Rat des Landkreises Leipzig.

Gemeinde Borsdorf, Akten der Gemeindeverwaltung.

Unterlagen des Heimatvereins Borsdorf e. V.

Werner Emmerich: Der ländliche Besitz des Leipziger Rates. [...], Leipzig 1936.

Eberhard Fischer: Der Bürgermeister und seine Stellvertreter in Panitzsch von 1920–1945. In: Vor Ort, Borsdorfer Amtsblatt mit Kirchennachrichten, 16. Jg. Nr. 1, März 2005. S. 26–30.

Ders.: Eine Episode aus dem „Nachkriegs-Panitzsch“. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 14. Jg. Nr. 3, Juli 2003, S. 12–14.

Ders.: Daten aus der Ortsgeschichte Panitzsch und Cunnersdorf. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 14. Jg. Nr. 6, Dezember 2003, S. 9–12.

Ders.: Das Café „Zur Mühle“. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 14. Jg. Nr. 4, September 2003, S.16–19.

Harro Gehse: Panitzsch vor 150 Jahren.Ein Ortsstatur tritt in Kraft. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 10. Jg. Nr. 5, November 1999, S. 3–7.

Bernd Haube: Altes Panitzsch – alte Panitzscher. Posthalter, Gutsbesitzer, Jagdpächter. Gutsbesitzer Heinrich Julius Jaeger. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 12. Jg. Nr. 6, Weihnachten 2001, S. 9–15.

Ders.: Gestüt mit Reitbahn. (Julius Heinrich Jaeger). In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 13. Jg. Nr. 4, September 2002, S. 7–11.

Ders.: Altes Panitzsch – alte Panitzscher. Zur Geschichte eines Pferdnergutes. In: Vor Ort, Blatt für Borsdorf, Panitzsch und Zweenfurth, 13. Jg. Nr. 5, November 2002, S. 3.

Lutz Heydick: Der Landkreis Leipzig. Historischer Führer, Beucha 2004.

Heinz Quirin: Panitzsch. Eine Heimatgeschichte. (Nachdruck in: Lutz Heydick, Uwe Schirmer, Markus Cottin [Hrsg.]: Zur Kirchen- und Siedlungsgeschichte des Leipziger Raumes 2/2002, S. 181–234, Beucha 2001.

Vollständiges Staats-Post- und Zeitungs-Lexikon von Sachsen, verfasst von August Schumann, Achter Band, Zwickau 1821.

Handbücher der Amtshauptmannschaft Leipzig.

Gemeinde-und Ortsverzeichnis für das Königreich Sachen, Dresden 1904 (Zahlen der Volkszählung 1904).

1267–1967. 700 Jahre Panitzsch. Hrsg. vom Rat der Gemeinde Panitzsch. Panitzsch 1966

Digitales historisches Ortsverzeichnis von Sachsen: http.//hov.isgv.de/Panitzsch bzw. Cunnersdorf

wikipedia: https://de.wikipedia.org

Kleinräumiges Gemeindeblatt für Borsdorf. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, September 2014.


Die Panitzscher Kirche 2017.

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt

und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg,

mein Gott, auf den ich hoffe.

Ps 91,1.2

Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses

und den Ort, da deine Ehre wohnt.

Ps 26,8

Panitzsch – ein besonderer Ort

Eine Liebeserklärung an die Kirche und die Bewohner

Reinhard Freier


Die drei Kirchen von Beucha, Panitzsch und Thekla werden wegen ihrer Lage auf markanten Erhebungen in der Leipziger Tieflandsbucht als Hohepriester bezeichnet, die allesamt am Flusslauf der Parthe liegen. Auch wenn das zufällig erscheint, macht sie allein diese Lage zu besonderen Orten. Während sich die Bergkirche Beucha jetzt auf einem Felsvorsprung aus Granit erhebt, dessen Gestein für den Bau des Völkerschlachtdenkmals verwendet wurde, so ist die Kirche von Panitzsch auf einem letzten Ausläufer eines Endmoränenhügels auf dem linken Ufer der Parthe gelegen. Hier zieht das Flüsschen, in einem großen Bogen von Borsdorf im Südwesten kommend, in nordöstliche Richtung über Dewitz und Taucha westwärts durch Thekla und Abtnaundorf nach Leipzig dahin.

 

Man sieht zwar die Kirche von der Ferne aus allen Himmelsrichtungen liegen, ist man aber in Panitzsch angelangt, dann ist sie den Blicken entschwunden. Denn wenn der grüne Hügel belaubt ist, ragt aus den Bäumen nur der Turm heraus, während in der kahlen Jahreszeit die Kirche weiß leuchtend wie ein Schwan daliegt.

Die Kirche steht nicht im Dorf, sondern auf der Nordostseite des Ortes. Besucher wie Einheimische müssen sich schon die Mühe machen, die Freitreppe zu ersteigen oder in einer kleinen Wegschleife den Kirchberg hinaufzugehen bis sie vor einem stattlichen Doppeltor mit großem Bogen und kleiner Pforte als Teil der Umfriedung einer Lehmmauer stehen. Sie erstreckt sich vom Seitengebäude des Pfarrhofes entlang des gepflasterten Weges zum Kirchhof. Unübersehbar rechts davor erhebt sich eine knorrige Winterlinde, die vermutlich zum Reformationsjubiläum 1817 gepflanzt worden ist, denn auf einem bekannten Stich von 1844 ist diese Linde bereits als großer Baum zu sehen, der in seiner Verzweigtheit und Verästelung heute ein Naturdenkmal ist. Geht man durch jenes Doppeltor, kommt man auf den die Kirche umgebenden Friedhof, der noch heute die Beisetzungs- und Begräbnisstätte des Ortes ist. Rechts hinter dem Eingangstor steht auf einem Sockel der Gipsabguss des segnenden Christus von Berthel Thorwaldsen (1770 – 1844). Der Figur fehlen beide Hände. Wir haben sie bewusst nicht ergänzen lassen, denn wenn Christus keine Hände hat, dann segnet er durch uns. Gleich daneben steht eine bemerkenswerte Sandsteinstele mit einem Kreuz.

Inmitten des Kirchhofes erhebt sich ein massiver, wuchtiger Kirchturm von 29 Metern Höhe mit Eingang von Süden. Links und rechts stehen insgesamt drei Grabmale aus der Epoche des Rokoko. Betritt man heute die Turmhalle, gelangt man rechts in das Kirchenschiff, ein 22 Meter langer und acht Meter breiter Raum, der von einem barocken Kanzelaltar beherrscht wird. Tritt man an ihn heran, dann entdeckt man links vom Altar einen eiszeitlichen Granitblock, der zu einem in Kelchform profilierten spätromanischen Taufstein behauen wurde. Er befand sich ursprünglich im Mittelgang im hinteren Teil des Schiffes auf einem kreisförmigen Fundament. Dieser Standort bedeutet, dass nur, wer getauft ist, die Kirche gemäß dem Ausspruch des Kirchenvaters Cyprian von Karthago (3. Jahrhundert n. Chr.), betreten dürfe. Er lautet: „außerhalb der Kirche ist kein Heil = extra ecclesiam salus non est“. An der Stelle des Durchgangs vom Turm her befand sich ein Votivaltar, vermutlich dem heiligen Mauritius, Schutzpatron des Erzbistums Magdeburg, gewidmet.


Blick in den Altarraum.

Die Gläubigen betraten damals durch einen Haupteingang von Süden das sogenannte Langhaus der Kirche. Dieser Eingang war doppelt so breit wie die gegenüberliegende schmale Pforte für den Priester. Das Langhaus wurde durch einen Triumphbogen vom Altarraum mit Apsis getrennt, in dem sich der Hauptaltar befand, der allein dem Handeln des Priesters vorbehalten war. Durch die barocke Erweiterung der Kirche zwischen 1705 und 1724 wurde der Taufstein aus der Kirche in den Pfarrhof verbannt, wo er vielleicht als Pflanzschale für Blumen diente. Statt seiner wurde ein Taufengel aus der Hand von Caspar Friedrich Löbelt (1685 – 1749), einem Schüler des berühmten Barockbaumeisters Balthasar Permoser (1651 – 1732), im Altarbereich an der Decke über eine Rolle aufgehängt. Zu Taufen wurde er an einem Seil auf einen Sockel mit stilisierten Wolken heruntergelassen. So kam er aus dem schwebenden Zustand zur Ruhe. Barocke Taufengel entsprachen dem Glaubensgefühl der damaligen Menschen. Der Kanal für die Aufhängung des Engels war noch in dem Balken des Tragwerkes des Kirchenschiffes vorhanden, so dass er nach seiner Restaurierung im Jahre 1986 und der Innenrenovierung der Kirche 1992 über dem spätromanischen Taufstein schwebt. Zusammen mit einer farbig gefassten Skulptur aus Lindenholz „Mutter mit Kind“ des Malers und Bildhauers Jürgen Raiber (*1957) aus dem Jahre 2002 bildet er eine „Tauftroika“. So verkörpert diese Mutter den Schutz für das Kind, wie er früher als Pieta, Vesperbetrachtungsbild, durch Engel oder Heilige dargestellt wurde.

Auf der rechten Seite des Kanzelaltares neben einem vergoldeten barocken Vortragekreuz steht eine weitere Plastik „Begegnung“ aus Birnenholz von Wilhelm Barthels (1930 – 2010), Solofagottist des Lohorchesters in Sondershausen. Er hat sein Kunstwerk nach einer Ausstellung unserer Kirche als Leihgabe überlassen. Zwei Menschen sind wie zu einer Person, aber mit zwei Köpfen zusammengewachsen. Unter den ausgebreiteten Armen des Gekreuzigten des barocken Vortragekreuz bedeutet das: Jede Begegnung zwischen Menschen geschieht im Angesicht Gottes, denn in jedem Nächsten begegnet uns Jesus Christus. Das gilt erst recht für liebende Ehepartner, die sich in unserer Kirche trauen lassen, wie es in der Bibel steht: „So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern eins. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Matth. 19,6)

Mit den beiden Plastiken links und rechts des Kanzelaltares befinden sich zwei zeitgenössische Skulpturen in unserer Kirche, die die Raumdominanz und Symmetrie des Kanzelaltares auflockern und „erden“. Zusammen mit dem jahreszeitlichen Blumenschmuck in beiden Vasen auf dem Altar vor dem barocken Altarkreuz und den beiden Kerzen, die Gesetz und Evangelium versinnbildlichen, bildet die gesamte Altarfront ein eindrucksvolles architektonisches Ensemble. Jeder Besucher, der das Kirchenschiff betritt, ist überrascht. So wie die Kirche Symbol und Wahrzeichen des Ortes ist, so ist der Friedhof in der Art, wie die Gräber angelegt und gepflegt werden, ein Spiegelbild der Angehörigen der Verstorbenen.

Verlässt man das Kirchenschiff wieder, so kommt man von der Turmhalle über eine halb gewendelte Treppe auf die Empore. Vom ersten Stockwerk wiederum führt eine kleine Stiege mit Podest durch eine hölzerne Tür in den Turm. Man kann einen Blick in das Tragwerk des Kirchenschiffes werfen, das so aussieht als wäre es ein Schiff mit Kiel nach oben. Über zwei weitere Treppen gelangt man in den Glockenstuhl. Hier wird man des Schatzes ansichtig, den der Turm birgt: zwei schwingende, klingende mittelalterliche und eine barocke Bronzeglocke, die in den Jahren 1380, 1459 und 1756 gegossen wurden. Die beiden vorreformatorischen Glocken stammen aus der Gießerei Nikolaus Eisenberg in Leipzig. Beide weisen bemerkenswerte Zeichnungen auf, die in die Lehmformen eingeritzt wurden und nach dem Guss als zierliche Halbreliefs auf den Glockenmänteln erscheinen. Auf beiden Glocken sind je eine Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes unter den Armen des gekreuzigten Jesus dargestellt. Auf der älteren der beiden Glocken ist Jesus nicht an ein Balkenkreuz geschlagen, sondern an einer sich verzweigenden Astgabel gekreuzigt, an deren Enden Ahornblätter Leben symbolisieren. Auf dieser Glocke sieht man zudem Maria als Himmelskönigin mit dem Jesusknaben auf den Armen. Auf dem Glockenband ist ein Glockengebet zu lesen: „o rex gloriae veni cum pace avec mari gracia (plena) = O König der Ehren komm mit Frieden, sei gegrüßt Maria, du Gnadenreiche“. Auf beiden Glocken sind zudem jeweils der Erzengel Michael und Bischof Nikolaus von Myra dargestellt. Man vermutet, dass diese beiden Glocken auf Spenden von Kaufleuten zurückgehen, die in der Kirche Schutz fanden und zu Andachten und Gottesdiensten Station machten. Im Glockenband der großen Glocke unterhalb der Krone ist zu lesen: „consolor viva – fleo mortua – pello novica = ich tröste, was lebt – ich beweine, was stirbt – ich banne, was schadet“. Das will die Glocke mit ihrem Klang bewirken. Auf der kleinen der drei Glocken aus der Barockzeit (1756) steht: „Soli deo gloria – Gott allein die Ehre“. Damit beherbergt der Glockenturm unserer Kirche nicht nur zwei sehr alte, sondern kunsthistorisch auch sehr wertvolle Glocken. Aus diesem Grunde gab es im Sommer des Jahres 2015 in unserer Kirche eine Ausstellung mit Abbildungen von Ritzzeichnungen von Glocken im mitteldeutschen Raum aus dem Besitz der letzten Glockengießerin von Apolda, Margarete Schilling. Zufällig, tragisch und glücklich zugleich war es, dass während eines Besuches dieser Ausstellung ein Glockensachverständiger, Friedemann Szymanowski, auch in den Turm zu den Glocken gestiegen ist und einen kreuzförmigen Riss, und zwar im Faltenwurf des Erzengels Michael auf dem Mantel der großen Glocke entdeckt hat. Das hat uns veranlasst, diese Glocke sofort still zu legen. Umfangreiche Untersuchungen an dieser und an den anderen beiden Glocken haben ergeben, dass das Gewicht der Klöppel verringert, die Glocken gedreht werden müssen, um einen gedämpfteren Anschlag zu erreichen, damit wir alle drei Glocken wieder im vertrauten Dreiklang hören können.


Wer noch über eine weitere schmale Stiege über den Glockenstuhl hinauf klettert, gelangt in die darüber liegende Glockenstube des Satteldach, in dem sich zwei Ausstiegsluken befinden. Nach Süden wird man mit einem Ausblick über die Kronen der Bäume hinweg belohnt. Im Vordergrund überschaut man Panitzsch und in der Ferne sieht man die Bergkirche von Beucha. Im Südwesten sieht man auch das Völkerschlachtdenkmal. Auf der anderen Seite des Turmes weitet sich der Blick von Nordost bis nach Westen. Von hier aus kann man noch besser erkennen, wie sich der Lauf der Parthe südlich vor Sehlis und Dewitz in kleinen Windungen entlang schlängelt und in Richtung Westen nach Leipzig verläuft.

Steigt man wieder die Treppen bis in die Vorhalle hinunter und verlässt die Kirche, so empfiehlt es sich, vom Nordausgang des Kirchhofs einen Blick nach Westen zu nehmen: Da bekommt man bei klarer Sicht das zehn Kilometer entfernte Leipzig, den Turm des Neuen Rathauses, der ehemaligen Pleißenburg, das Hochhaus auf dem Augustusplatz, das Wohnhochhaus am Hauptbahnhof und im Nordwesten den Kirchturm von Taucha und den Wachturm auf der Höhe des Parks in den Blick. Diese Entdeckungen in der Ferne werden überboten durch jenen unvergleichlichen und wunderschönen Blick über die zu Füßen liegende sich weitende Aulandschaft der Parthe, der sich dem Betrachter bietet. Zu Recht ist dieses Gebiet als ein Landschafts- und Naturschutzgebiet europäischen Ranges erklärt und als natürliche Kälteschleuse für Leipzig bezeichnet worden.

Nur bürokratische Straßenplaner konnten darauf kommen, diese Aulandschaft des einstigen Urstromtales der Mulde durch die Trassenführung einer vierspurigen Bundesstraße zu zerschneiden. Es muss andere Lösungen geben. Das scheint zwar durch Bürgerproteste und Einsprüche von Bürgerinitiativen, Gemeindeverwaltung und Kirchgemeinde abgewendet zu sein. Gegen den Bau der B 87n hat es im Oktober 2009 ein Protestkonzert mit Werken von Telemann und Vivaldi mit Andreas Hartmann unter Leitung von Gotthold Schwarz gegeben. Und nach der vorläufigen Streichung der Trasse aus dem Bundesverkehrswegeplan ist im Jahre 2015 das Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn gewissermaßen als Dankkonzert aufgeführt worden. Aber Achtsamkeit bleibt weiter geboten!

Der Blick vom Kirchberg in die Aulandschaft der Parthe ist unvergleichlich schön. Besucher nehmen das immer überrascht wahr. So ist es verständlich und begreiflich, dass nicht wenige ihre Wahl, nach Panitzsch zu ziehen, getroffen haben, nachdem sie hier oben auf dem Kirchberg standen und auch die Kirche besucht haben. Auch wenn Panitzsch keine Insel der Seligen ist, so scheint hier doch der Mond schöner als anderswo und man möchte hier auch gern begraben sein, aber noch lieber leben, solange es einem Gott vergönnt!

Nach dem Jahre 1990 sind zwei Neubaugebiete entstanden, so dass Panitzsch nicht nur territorial gewachsen ist, sondern sich auch die Einwohnerzahl bis heute nahezu verdreifacht hat. Das ist für den Ort eine ungeheure Bereicherung, wie für die Kirchgemeinde von großem Segen. Die Familien Baumgärtel, Cotta und Lohse, das Ehepaar Eberhard und Ruth Fischer, Professor Liebert, Günter Riedel und die Familie Sahrer von Sahr von Schönberg, um nur einige zu nennen, haben innerhalb und außerhalb des Kirchenvorstandes für die Kirchgemeinde bis heute viel bewirkt. So ist Peter Lohse Mitinitiator des Nikolausmarktes, von Klausurtagungen des Kirchenvorstandes und Aktivitäten wie der Internetpräsenz unserer Kirchgemeinde, die Andreas Baumgärtel weitergeführt und bis zu seinem Tode gepflegt hat. Rosemarie Lohse hat den Gospelchor „Moschukekebaba“ und zusammen mit Annette Cotta den Kinderchor „Kirchenmäuse“ ins Leben gerufen. Letztere leitet den Kirchenchor noch heute.

 

In diesem Zusammenhang muss ein Ehepaar, Dieter und Christine Schödl, genannt werden. Beide hatten zwar schon zu DDR-Zeiten ein Gartengrundstück in der Dreieckssiedlung erworben, aber sich erst nach 1990 den Wunsch erfüllen können, darauf ein Einfamilienhaus zu bauen. Als gebürtiger Erzgebirgler und Kürschnermeister hat er ein Hobby: Aus Altstoffresten jeder Art baute er originalgetreu und maßstabgerecht den Kölner Dom wie die Frauenkirche in Dresden, viele berühmte Kirchen, Burgen und Schlösser des Erzgebirges und seiner ganzen sächsischen Heimat nach und gestaltet ganze Anlagen und Weihnachtsberge. Über ein Jahrzehnt hat er so auf dem Nikolausmarkt auf dem Pfarrhof in der Erzgebirgsstube mit seinen Modellen und Arbeiten die Besucher fasziniert. Sich selbst und der Kirchgemeinde hat er ein Denkmal gesetzt, indem er das germanische wie das slawische Heiligtum auf dem Panitzscher Endmoränenhügel, wie die erste christliche Missionsstation zwischen 1050 und 1080, eine hölzerne Stabkirche, die erste Steinkirche wie die heutige Barockkirche sogar in verschiedenen Maßstäben nachgebaut hat.


Modelle der Kirche von der Missionsstation zur Barockkirche.

Er hat damit die Baugeschichte der Kirche in den wichtigsten Etappen sowohl in kompletten Modellen als auch offenen Längsschnitten für die Nachwelt dokumentiert. Dafür gebührt ihm, ja dem Ehepaar gemeinsam, besondere Anerkennung.

Uwe Gerd Liebert gehört bereits drei Legislaturperioden der Synode unserer Landeskirche an. Nach Mitarbeit im theologischen, leitet er jetzt den sozialethischen Ausschuss und ist zudem stellvertretendes Mitglied der Kirchenleitung. Günter Riedel war stellvertretender und seit 2014 Vorsitzender des Kirchenvorstandes und ist Mitglied der Bezirkssynode. Leo von Sahr gehört dem Domkapitel in Wurzen als Domdechant an. Sie alle haben verdienstvolle Altpanitzscher Gemeinde- und Kirchenvorstandsmitglieder abgelöst wie Max Reiche, Walter Höver, Martin und Paula Ludwig, Walter Grunwald, Harry Holke und Werner Krause, Gerhard Koch, Gerd Graupner und Hannelore Höver, um nur einige zu nennen, die sich für den Erhalt und den Fortbestand der Kirchgemeinde zu DDR-Zeiten engagiert haben, damit die Kirche auf dem Berg „fein lustig bleibt mit ihren Brünnlein, da die Wohnungen des Höchsten sind“, wie es im Psalm 46,5 heißt.

Die meisten der Genannten sind Panitzscher „Urgestein“. Sie haben sich alle über viele Jahre ihres Lebens ehrenamtlich um die Belange der Kirche und des Friedhofs verdient gemacht, so Max Reiche um den Friedhof, Walter Grunwald als Zimmermann, Martin Ludwig als Bauingenieur und Hannelore Höver als der gute Geist der Kirche, die ohne Aufhebens in aller Stille wirkte. Die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens hat Anneliese Schmidt mit ihrem Ordnungs- und Schönheitssinn und Hang zur Perfektion für den Altarschmuck der Kirche und nach der Restaurierung und Sanierung der Gebäude auf dem Pfarrhof und des Pfarrgartens für dessen Erscheinungsbild unnachgiebig gesorgt. Sie ist es auch, die die Märchenfiguren und Puppen und die Episoden von Max und Moritz für den Nikolausmarkt als ihre ureigenste Schöpfung ins Leben gerufen hat. So hat sie die Attraktion des Marktes für jung und alt geschaffen. Sie hat dadurch angeregt, dass meine Frau den „Weg nach Bethlehem“ gestalterisch und szenisch darstellt, denn mit dem Kind in der Krippe beginnt der christliche Glaube und der Weg zum Leben. Dafür eignet sich der Weg zur Kirche wie sich der Pfarrhof und Pfarrgarten mit seinen verwunschenen Ecken für die Gestaltung und Stellung der Märchen- und Buschfiguren regelrecht anbietet. In Gisela Kobus aus Zweenfurth ist eine ebenso talentierte Nachfolgerin gefunden. Zusammen mit Brunhilde Tripke führt sie das Erbe der Schöpferin der Puppen zum alljährlichen Gelingen des Marktes und zur Freude aller weiter.

Man kann dem gesamten Kirchberg und diesem Fleckchen Erde einen hohen Umweltwert beimessen, wer aber hierher kommt, wird diesen Landstrich als einen Ort der Ruhe, ja der Abgeschiedenheit und des Friedens empfinden. Das zeigt jener bereits erwähnte Stich von 1844 mit Blick von Osten auf den Kirchberg, zu sehen in der Sächsischen Kirchengalerie: Im Vordergrund zwei sich lagernde Frauen mit einem Hündchen inmitten einer Kleintierherde.

Genau dieses hat mich veranlasst, nach Rückgabe von ehemals enteignetem Kirchenland nach der politischen Wende 1989 einen Streifen Gelände, vom Pächter als Brachland genutzt, aus dem Pachtvertrag herauszulösen, um darauf als Pastor sinnbildlich für Gemeindeschäfchen Woll- und Wildschafe, sog. afrikanische Kameruner und drei Ponys und vier Esel weiden zu lassen, von denen nur noch einer lebt. Er begleitet Nikolaus und Knecht Ruprecht auf den Nikolausmarkt. Zudem haben Konfirmanden gelernt, mit Tieren umzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Ich habe damit an Urlaubserlebnisse in Carwitz in Mecklenburg angeknüpft, wo wir zu DDR-Zeiten viele Jahre Urlaub gemacht haben. Auf einer Halbinsel weideten Ponys, die Urlauber, aber vor allem Kinder anlockten. Das schwebte mir vor, als ich es auf Panitzsch übertrug, was mir auch gelungen ist, so dass Eltern mit ihren Kindern hier einen kleinen Streichelzoo haben, ohne erst in den Leipziger Zoo fahren zu müssen.


Der Stahlstich aus Sachsens Kirchengalerie zeigt die idyllische Situation der Panitzscher Kirche in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Unabhängig davon habe ich an eine Tradition angeknüpft, die mit dem Bau der Trabrennbahn in Panitzsch und den dort veranstalteten Sandbahnrennen begann, die mit Oswald Oertel einen örtlichen Vertreter und preisgekrönten Teilnehmer hatte. Ihm gehörte der Hof in der Kirchgasse, der sich heute im Eigentum von Gabriele Grohnwald befindet, die mit ihrem Unternehmen Mitglied in der Reitsport- und Fahrgemeinschaft e. V. ist. Daneben gibt es einen Ponyhof für Kinder und Jugendliche von Angela Neubert im Wiesenweg, auf dem der Umgang mit Tieren und das Reiten ge- und erlernt werden kann.


Eine Panitzscher Hochzeit.

Verlässt man den Kirchhof wie man gekommen ist, so fällt der Blick rechter Hand auf eine kleine Gartenpforte in der Lehmmauer, die links und rechts mit Säulen aus Rochlitzer Porphyr begrenzt ist. Der Durchblick allein lässt einen paradiesisch-idyllischen Ort erahnen. Darin erstreckt sich der Pfarrgarten mit abfallendem Hang nach Südwesten. Seine terrassenförmige Anlage geht wohl darauf zurück, dass in vergangenen Jahrhunderten Bauern des Ortes sich dort Lehm zum Bauen geholt haben. Im Pfarrgarten wurden und werden nicht nur kleine und große Gemeindefeste veranstaltet, sondern nach Taufen und Trauungen finden hier gesellige Feiern oder Sektempfänge mit Imbiss statt, bevor ein Bus die Gesellschaft nach Schloss Proschwitz bei Meißen zu einem rauschenden Ball oder an andere Zielorte wie das Kloster Nimbschen, den Wörlitzer Park oder in die naheliegenden Schlösser von Püchau oder Machern befördert. Immer wieder haben hier auch Freilichtveranstaltungen oder Open-Air-Konzerte stattgefunden, wie die Oper „Der Apotheker“ von Joseph Haydn, „Die Opernprobe“ von Albert Lortzing unter David Timm oder das Singspiel „Bastien et Bastienne“ von Mozart unter Leitung von Erik Schober. Zum 50. Geburtstag des Pfarrers fielen die Bauern- und die Kaffee-Kantate von Bach mit Konzertmeister Andreas Hartmann bei einem Gewitterguss regelrecht ins Wasser, so dass die Tassen auf den Untertassen schwammen und Ensemble wie Publikum in die Kirche umziehen mussten. Dafür war zum 60. Geburtstag, am 12. Juli 2008, für die Aufführung der Sinfonie Nr. VI, der Pastorale, von Ludwig van Beethoven das Wetter wie bestellt. Die Satzbezeichnungen „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“, „Szene am Bach“, „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“, „Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ passten genau in die Situation und Stimmung, denn Schafe blökten, Pferde wieherten, Vögel zwitscherten, von irgendwoher drang fröhliches Lachen, gerade so, wie es in den Satzbezeichnungen programmatisch heißt und durch die Musik ertönt. Und als die Musiker den vierten Satz „Gewitter und Sturm“ spielten, zog sich tatsächlich der Himmel zusammen und ein Wind kam auf, aber als der Satz vorbei war, wurde der Himmel wieder hell, ohne dass es auch nur einen Tropfen Regen gegeben hatte. Als Zugabe spielte auf seinem Fagott Gottfried Kronfeld in Husarenuniform unter Leitung von David Timm das Andante et Rondo ongarese von Carl Maria von Weber. Alle waren sich einig, dass so ein Musikereignis und Hörerlebnis einmalig bleibt und nicht zu übertreffen ist.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?