Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung

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Anmerkungen

1 Ich danke insbesondere Jasmine Steger für die anregenden und weiterführenden Diskussionen zum Thema, die zu einer hoffentlich für alle Leserinnen und Leser erkennbaren Präzisierung der Argumentation geführt haben.

2 Dies zeigt sich z. B. bei der App «Fliehen vor dem Holocaust», die im folgenden Kapitel vorgestellt wird: Sie wurde gemeinsam für Deutschland, Österreich und die Schweiz entwickelt, und je nach Lehrplan wird anders argumentiert, wieso die App in diesem oder jenem Land eingesetzt werden soll.

3 Herzlichen Dank an Janina Tiemann für die große Unterstützung bei der Entwicklung dieser Grafik.

4 Die App kann über die einschlägigen Plattformen (App Store und Google Play Store) sowie auf der Website http://www.erinnern.at/app-fliehen (aufgerufen am 31.10.2020) für Windows-Anwendungen gratis bezogen werden.

5 Mit der sogenannten Begrenzungsinitiative wollten die Initianten die Personenfreizügigkeit der Schweiz mit der EU beenden und also die Zuwanderung einschränken. Laut dem Komitee habe es seit der Einführung der vollen Personenfreizügigkeit mit der EU eine Massenzuwanderung gegeben, welche die Umwelt, den Arbeitsmarkt, die Sozialwerke und die Infrastruktur extrem belastet hätten. Die Initianten wollten deshalb, dass die Schweiz die Zuwanderung ohne Freizügigkeit selbst kontrolliert. Die Initiative wurde am 27. September 2020 mit über 60 Prozent abgelehnt.

6 SVP steht für Schweizerische Volkspartei. Sie ist eine nationalkonservative, rechtspopulistische und wirtschaftsliberale politische Partei. Seit den eidgenössischen Wahlen 2003 ist die SVP die landesweit gesehen stärkste Partei und stellt zwei von sieben Bundesräten.

7 www.whenwedisappear.com/edu (aufgerufen 3.11.2020).

Victoria Kumar
Die Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust in der Bildung heute

Wissenschafterinnen und Wissenschafter, Pädagoginnen und Pädagogen sowie Vermittlerinnen und Vermittler in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit stellen sich schon seit Langem die Frage, welche Formen pädagogischer und erinnerungskultureller Praxis sich eignen, um sich einer Geschichte zu nähern, zu der wir einen zeitlich immer größeren Abstand gewinnen, der aber als nicht abgeschlossener Geschichte die ordnende Kraft des Rückblicks fehlt. Zeitgeschichte bzw. Gegenwartsgeschichte ist als „nahe Geschichte“ untrennbar mit ihren Interpretinnen und Interpreten sowie deren Erfahrungen und Perspektiven verbunden (Sabrow, 2020). Es geht also einerseits um die Vermittlung von historischem Wissen, andererseits um die Berücksichtigung des Selbstverständnisses und der zeitgeschichtlichen Erfahrungen sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden – ob und wie die Aneignung der Inhalte gelungen ist (historisches Bewusstsein).

Erinnerungsarbeit und Geschichtsvermittlung sahen und sehen sich speziell in den Nachfolgestaaten des NS-Staates mit Abwehrmustern konfrontiert, geht es hier doch in besonderer Weise um die Auseinandersetzung mit Täter- und Mittäterschaft, womöglich in der eigenen Familiengeschichte. Abwehrmuster, problematische Empathien und Umdeutungen können sich dabei sowohl auf die Aufarbeitung und Erinnerung als auch auf den historischen Gegenstand selbst beziehen: „In den Praktiken, das zum Verschwinden zu bringen, was nach 1945 am meisten beunruhigt und verstört, zeigen sich Abwehrmuster gegenüber einer negativen Geschichte, die nicht zu Ende ist, die aber nicht in das Selbstbild aufgeklärter Fortschrittlichkeit passt“ (Messerschmidt, 2010). Vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann das Lehren über den Nationalsozialismus (immer noch) als moralisierende Belehrung innerhalb eines „Schulddiskurses“ empfunden werden, das Lernen darüber als etwas, das mit einem selbst wenig zu tun hat. Gleichzeitig spiegeln sich im Mikrokosmos Schule gesamtgesellschaftliche Kontinuitäten wider und zeigen sich auch hier bagatellisierende oder glorifizierende Bezugnahmen auf die NS-Zeit und treten Antisemitismus und Rassismus in unterschiedlichen Erscheinungsformen zutage (Bernstein, 2020).

Mit welchen gesellschaftlichen und pädagogischen Herausforderungen eine gelungene Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust gegenwärtig konfrontiert ist, wird im Folgenden anhand zweier wesentlicher Entwicklungen der letzten Jahre erörtert: digitales Lernen und „globalisiertes Klassenzimmer“.

Lehren und Lernen über Nationalsozialismus und Holocaust im digitalen Zeitalter

Die in den letzten Jahrzehnten massiv vorangeschrittene digitale Transformation hat insgesamt zu großen Veränderungen bei Bildungsangeboten, Nutzungsverhalten und Partizipationsmöglichkeiten geführt. Digitale bzw. virtuelle Angebote wie Apps und Online-Spiele entsprechen dem Lebensumfeld von Schülerinnen und Schülern, welche quasi rund um die Uhr online sind und weitgehend ein eigenes Smartphone und/oder ein anderes Endgerät besitzen. Die Technik an sich stellt für sie als digital natives zumeist keine relevante Herausforderung dar. Lehrpersonen aber agieren bei der Nutzung virtueller Räume für das historische Lernen immer noch zurückhaltend. Digitale Medien sind erst in jüngster Vergangenheit durch die krisenbedingte Umstellung auf Fernlehre vermehrt erprobt worden. Relevant für die Vermittlung sind sie zweifelsohne insofern, als dass der Transfer von Wissen mittels gewohnter Kommunikationsmittel erfolgt. Geschichten von Verfolgten des Nationalsozialismus, die immer seltener „aus erster Hand“ gehört werden können, sind mittels digitaler Technologien in moderner, kreativer und ansprechender Form zu erzählen, zu verbreiten und im Prinzip jederzeit zu nutzen. Die Social Media Serie „eva.stories“1 hat beispielsweise gezeigt, wie über den Kanal Instagram eine Geschichte des Holocaust erzählt und sehr schnell eine hohe Anzahl an Menschen erreicht werden kann.

Geschätzte 15.000-mal ist die von _erinnern.at_, der Pädagogischen Hochschule Luzern und der Fachhochschule Dornbirn entwickelte App „Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung mit Geflüchteten“2 zwischen 2018 und 2020 heruntergeladen worden. Die Lern-App ist aus dem Projekt SISAT (Shoah im schulischen Alltag) hervorgegangen, das darauf abzielte, durch videografierte-Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen angeregtes historisches Lernen im regulären Geschichtsunterricht in Österreich, Deutschland und der Schweiz zu erforschen – auch im Hinblick auf ein besseres Verständnis dafür, wie solche Lernangebote gestaltet sein müssen, damit Lernende den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen (Bibermann, 2018). Die mehrfach ausgezeichnete App erschließt Jugendlichen ab 14 Jahren über das Medium Film einen Zugang zu den historischen wie gegenwärtigen Phänomenen Flucht und Vertreibung. Schülerinnen und Schüler lernen Erinnerungen mit historischen Dokumenten zusammenzubringen sowie beide quellenkritisch zu betrachten. Die App kann individuell oder in einer Klasse bzw. Gruppe verwendet werden, im Präsenzunterricht, im Plenum oder in Einzel- bzw. Partnerarbeit, ferner im „Flipped Classroom“, einer Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht.

Mit Blick auf die Erfahrungen in der Corona-Krise lässt sich bereits bilanzieren, dass digitale Medien und Lernangebote für viele – vor allem junge – Menschen ein niedrigschwelliger Einstieg in die Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust sein können. Der schnellen Verbreitung und Zugänglichkeit steht allerdings gegenüber, dass vor allem der interaktive Social Media Bereich sich weitgehend einer institutionellen, wissenschaftlichen oder didaktischen Regulierung, eines Kontrollmechanismus bzw. einer Art Autorisierung entzieht. Bei allen Angeboten ist es unabdingbar, didaktisch-kritische Zusatzangebote (historischen Kontext, Aufgabenstellungen etc.) zur Verfügung zu stellen, um die Lernenden im multimedialen und fordernden, möglicherweise überfordernden Umfeld gut anzuleiten und zu begleiten. Was den Einsatz von digitalen Medien im (Geschichts-)Unterricht betrifft, muss die Medien- und Informationskompetenz von Jugendlichen gestärkt werden, um diese gegen Stereotypen, Verschwörungstheorien und Manipulationsversuche zu wappnen. Lehrende können Lernende durch multimediale Tools und interdisziplinäre Zugänge, die auf gesichertem historischen Wissen basieren, motivieren.

Lehren und Lernen in direkten und ohne direkte Begegnungen mit Zeitzeuginnen und -zeugen

Der generationsbedingte Übergang vom individuellen Erfahrungsgedächtnis zum kulturellen Gedächtnis, das ohne lebende Zeitzeuginnen und -zeugen auskommen muss, macht neue Formen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus notwendig. _erinnern.at_ organisiert nach wie vor direkte Begegnungen zwischen Zeitzeuginnen und -zeugen, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden an Schulen und in Form eines jährlichen Zeitzeugen-Seminars.3 Durch Personalisierung, Emotionalität und Nähe wächst bei den meisten Jugendlichen die Motivation, sich auf die Geschichten der Verfolgten einzulassen.

 

Online-Plattformen, die Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen bereitstellen, sind in den letzten Jahren besonders im europäischen und US-amerikanischen Raum vermehrt entstanden. Bei der Entwicklung von digitalen Lernmaterialien basierend auf Video-Interviews mit Verfolgten für den Schulunterricht hat _erinnern.at_ Pionierarbeit geleistet. Nach der ersten DVD mit Video-Interviews mit Holocaust-Überlebenden („Das Vermächtnis“, 20084) folgten verschiedene Lern-Websites (z. B. „Neue Heimat Israel“, 20115 und „über_leben“, 20186). 2018 wurde die Lern-App „Fliehen vor dem Holocaust“ und 2019 die Website „weiter_erzählen“7 präsentiert. „weiter_erzählen“ macht der Öffentlichkeit – besonders Schulen – derzeit fast 200 Video-Interviews mit Verfolgten des National-sozialismus, die einen Bezug zu Österreich haben, verschlagwortet und sequenziert zugänglich.

Als Antwort auf die Frage, was sein wird, wenn die Überlebenden nicht mehr ihre Geschichte erzählen können, liefern digitale und virtuelle Bildungsangebote zumindest teilweise Antworten. Verschiedene Angebote entwickelte etwa die USC Shoah Foundation z. B. in Form der ZeitzeugInnen-Lernplattform IWitness8, bei der Lernende interaktiv mit Interviews und anderen Quellen arbeiten, oder im Zuge des Projekts „Dimensions in Testimony“9. Als weltweit erstes Projekt ermöglicht „Dimensions in Testimony“ eine Interaktion (bzw. eine Art „Kommunikation“) mit den Erzählungen von Holocaust-Überlebenden. Schülerinnen und Schüler können in eine Frage-Antwort-Interaktion mit vorab mittels moderner 3D-Technologie aufgezeichneten Interviews eintreten und so aktiv an ihrem eigenen Lernprozess mitwirken.

Trotz neuer technischer (und teils vielversprechender) Vermittlungs- und Erzählformen kann für eine direkte Begegnung mit Zeitzeuginnen und -zeugen kein gleichwertiger Ersatz gefunden werden. Neue und zusätzliche Wege lotet _erinnern.at_ derzeit in einer 2019 ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe aus, in der die Möglichkeiten von Schulgesprächen mit „ZeitzeugInnen der zweiten Generation“ erörtert und pädagogische Empfehlungen erarbeitet werden. Schon jetzt vermitteln auch Nachkommen von Verfolgten des Nationalsozialismus die Überlebensgeschichten ihrer Eltern oder Großeltern in unterschiedlichen Formaten an Schülerinnen und Schüler.

Lehren und Lernen in heterogenen Klassenzimmern

Der faktische Zustand der „Migrationsgesellschaft“ ist in der Integrations- und Bildungspolitik vielerorts die längste Zeit verdrängt und vernachlässigt worden. Erst in den letzten Jahren sind im deutschsprachigen pädagogischen Diskurs über die Thematisierung und Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust die Begriffe „Migrationsgesellschaft“ und „globalisiertes Klassenzimmer“ zentral geworden. Für beide ist längst eine Hybridität charakteristisch, die imaginierte Bilder einer homogenen Gemeinschaft korrigiert. Nationale Gedächtnisdiskurse und eine bislang mehrheitlich hegemoniale Geschichtsschreibung werden durch unterschiedliche Akteurinnen und Akteure der Migrationsgesellschaft herausgefordert, ergänzt und infrage gestellt.

Aushandlungsprozesse über Geschichtsbilder und über gegenwärtige und künftige gesellschaftspolitische Entwicklungen finden insbesondere auch im Klassenzimmer statt. Jugendliche unterschiedlicher Herkunft, mit eigener Fluchtund Migrationserfahrung oder mit Flucht und Migration als Teil der Familiengeschichte, lernen gemeinsam über die NS-Zeit, besuchen Gedenkstätten, treffen Zeitzeuginnen und -zeugen. Lerngruppenzusammensetzungen sind folglich von einer hohen (sozio-)kulturellen Diversität und von diversifizierenden Präkonzepten aller Teilnehmenden geprägt. Während sich für Jugendliche die Frage nach individueller und kollektiver Identität und ihrer Position zur österreichischen bzw. deutschen Vergangenheit und „Verantwortungsgemeinschaft“ stellt, stehen Lehrerinnen und Lehrer sowie außerschulische Pädagoginnen und Pädagogen vor der Herausforderung, nationalstaatliche Narrative und homogenisierte Erinnerungsperspektiven auszuweiten und jene von zugewanderten Lernenden miteinzubeziehen. Der schulbuchbasierte Unterricht ist im deutschsprachigen Raum immer noch ein weitgehend national orientierter; über die NS-Verbrechen in Südosteuropa und die Schauplätze des Zweiten Weltkrieges in den kolonialisierten Ländern erfahren Schülerinnen und Schüler erstaunlich wenig. „In den Bezugsangeboten bleiben sie daher oft in der Trias TäterInnen-Opfer-ZuseherInnen angerufen, die offensichtlich wenig Raum für andere Perspektiven lässt (wie etwa für Widerstandsdiskurse der PartisanInnen oder für postkoloniale Bezüge, aber auch für widersprüchliche Erinnerungskontexte, wie etwa in Algerien, dem Iran, Palästina etc.).“ (Sternfeld, 2016)

Die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust ist als globale Geschichte mit globalen Auswirkungen zu vermitteln; die Erinnerung daran kann sich demzufolge ebenfalls nicht an nationalstaatliche Grenzen halten. Angesichts der globalen Dimensionen von Weltkrieg und Holocaust ist es zudem nicht unwahrscheinlich, dass migrierte Jugendliche einen familiären Bezug zu den verhandelten Themen haben. Wesentlich ist, Erinnerungen nicht als miteinander in Konkurrenz stehend zu begreifen oder zu hierarchisieren.

Pädagogisch-didaktisch reflektierte schulische oder außerschulische Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust sollte interkulturelle Perspektiven insofern berücksichtigen, dass der Fokus auf der „Migrationsgesellschaft als Kontext statt auf Migrant[Inn]en als Zielgruppe“ liegt (Kühner, 2008). Als soziale Kondition betrifft „Migrationsgesellschaft“ schließlich sämtliche Teilhabende, unabhängig von ihrer Herkunft. Astrid Messerschmid formuliert die Anforderung so: „Die Wissensvermittlung über den Holocaust – sein Ausmaß, die Art der Durchführung und seine ideologische Begründung – kann keiner Selbstbestätigung dienen über das eigene moralisch gefestigte Geschichtsbewusstsein oder über einen nationalkollektiven Konsens der Aufarbeitung“ (Messerschmidt, 2010).

Nicht hegemoniale Wissensproduktion, sondern Heterogenität in der Vermittlerpraxis sowie eine stärkere Subjektorientierung sollten als zentrale Ziele der Geschichtsvermittlung in post-migrantischen Gesellschaften formuliert werden.

Multiperspektivische Lehr- und Lernmaterialien mit Gegenwartsbezug

Effektive Bildungsangebote, die im Schulunterricht und an außerschulischen Lernorten eingesetzt werden, sollten in erster Linie niederschwellig zugänglich sein sowie an die Lebens- und Alltagswelten der Jugendlichen, ihre Erfahrungen, Interessen und Betroffenheiten anknüpfen. _erinnern.at_ entwickelt seit zwei Jahrzehnten mit interdisziplinären Teams aus Expertinnen und Experten Lehr- und Lernmaterialien, die unterschiedliche soziokulturelle Hintergründe und heterogene Erfahrungen der Zielgruppen nicht nur als Tatsache anerkennen, sondern diese inhaltlich auch verhandeln und adressieren. So basiert das Lernheft „Ein Mensch ist Mensch – Rassismus, Antisemitismus und sonst noch was …“10 beispielsweise auf den persönlichen Erlebnissen und Aussagen von österreichischen Jugendlichen, die zum Teil eigene oder familiäre Migrationserfahrung haben.

Multiperspektivische, widersprüchliche und konfligierende Narrative und Erinnerungen sind auch dem Unterrichtsmaterial „Fluchtpunkte. Bewegte Familiengeschichten zwischen Europa und Nahost“11 immanent, das von _erinnern. at_ gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnerinnen und -partnern konzipiert worden ist. Flucht, Migration, Antisemitismus und Rassismus werden im Kontext der Geschichte des Nationalsozialismus und unter Berücksichtigung der Folgen historischer europäischer (Nahost-)Politik diskutiert. „Fluchtpunkte“ stellt Lebensgeschichten mit Flucht- und Migrationserfahrungen vor, die Verflechtungen der deutschen und österreichischen Geschichte mit der Geschichte des arabisch-jüdischen Nahen Ostens zeigen. Didaktisch erschlossen durch sechs Lernmodule ermöglichen die Biografien strukturgeschichtliche und politische Prozesse, Identitätsbilder und unterschiedliche Narrative zu diskutieren, wodurch „Wir – die anderen“-Dichotomien aufgebrochen werden können. Europa und der Nahe Osten werden nicht als separate, abgeschlossene Räume gedacht; nationale Selbstbilder werden durch transkulturelle Perspektiven infrage gestellt. Historische und aktuelle Ereignisse und unterschiedliche Opfergeschichten können verglichen werden, ohne sie gleichzusetzen oder zu hierarchisieren.

Zukunftsweisende Projekte

Was künftige Entwicklungen und Perspektiven in der Vermittlungsarbeit von Nationalsozialismus und Holocaust betrifft, sei auf ein innovatives Bildungsangebot in Kanada verwiesen, wo spezielle Workshops für Neuimmigrantinnen und -immigranten konzipiert wurden, die den Spracherwerb und das Lernen über den Holocaust verknüpfen. In Kombination mit spezifischen Sprachlernmethoden helfen die von der bereits erwähnten IWitness-Plattform der USC Shoah Foundation stammenden Videointerviews die neue Sprache zu erlernen, den Wortschatz aufzubauen, sowie gleichzeitig die Geschichte des Holocaust zu vermitteln. Lernenden werden konkrete Beispiele von Personen gezeigt, die flüchten mussten, in ein neues Land eingewandert sind und die notwendigen Fähigkeiten erworben haben, um sich erfolgreich in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren. Auch wenn sich ihre eigene Flucht bzw. Migration nach Kanada erheblich von jener der Holocaust-Überlebenden unterscheidet, bilden die eingesetzten Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen sowie die gemeinsamen Erfahrungen der Einwanderung beim Aufbau eines neuen Lebens und damit verbundenen Schwierigkeiten und Herausforderungen ein pädagogisch sinnvolles Lernumfeld, so die Überlegung (Phillips, 2018).

Unabdingbar ist beim historischen Lernen, Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen miteinander zu verknüpfen. Eine gelungene Geschichtspädagogik schafft ein motivierendes Unterrichtsklima und stimuliert einen Reflexionsprozess, „durch den sich die Lernenden mit der Vergangenheit in Beziehung setzen und einen Dialog mit der eigenen Vorgeschichte beginnen.“ Zugänge und Bezüge zur Vergangenheit herzustellen, gelingt – wie am Lern- und „Resonanzort“ Yad Vashem gezeigt – durch „komplexe, aus mehreren Identitätsschichten zusammengesetzte Persönlichkeiten, kulturelle Resonanzen und Bezüge zu heutigen Lebenswelten, transnationalen und transkulturellen Bewegungen, Parallelen in der Altersstruktur sowie Individualität und Handlungsmacht“ (Hartmann, 2020).

Trotz innovativer und effektiver Bildungstools, die bereits zur Anwendung kommen, muss das Angebot an zielgruppenorientierten, multiperspektivischen, mehrsprachigen und auch in einfacher Sprache zugänglichen Unterrichtsmaterialien und -konzepten kontinuierlich erweitert werden.