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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie

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Bezüglich der Lehrer-Lerner-Interaktion ist zu berücksichtigen, dass die Kommunikation über digitale Medien anfälliger ist für Missverständnisse und Fehlinterpretationen als die face-to-face-Interaktion. Dementsprechend sollte bei Arbeitsaufträgen, Rückmeldungen zum Lernfortschritt usw. auf eine besonders klare und regelmäßig nachfragende Kommunikation geachtet werden (vgl. z.B. Huesmann 2020: 3). Eine vorsichtige, traumasensible Ansprache ist dort zu verfolgen, wo unter den Lernenden auch von Traumatisierungen betroffene Personen sein könnten, damit sich die Zunahme von asynchroner Kommunikation nicht zum zusätzlichen Stressor entwickelt und ein Gefühl von Kontrollverlust bei diesen Lernenden verursacht.5

Nach diesem Überblick über das Integrationskurssystem, die Situation im Alphabetisierungs- und Zweitschriftlernerkurs und verschiedene erwartbare Herausforderungen für die Umstellung auf digitalen Fernunterricht lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Distanzlehre mit geeigneten informationstechnologischen Vorbereitungen, pädagogischen und sprachdidaktischen Anpassungen selbst für Alphabetisierungskurse realisierbar sein sollte, zumindest für eine gewisse Zeit. Im folgenden Abschnitt wird nun dargestellt, wie sich der erste Lockdown auf das Integrationskurssystem ausgewirkt hat und wie die veränderten Kursbedingungen von verschiedenen Akteur:innen beurteilt wurden.

2.2 Integrationssprachkurse im ersten Lockdown

Der erste Lockdown hat nicht nur die Schulbildung in Deutschland aufgrund der schlechten Vorbereitung von Distanzunterricht weitgehend unvorbereitet getroffen (vgl. Kerres 2020), sondern auch die Integrationsmaßnahmen für geflüchtete und zugewanderte Erwachsene, darunter die Integrationssprachkurse. Die Entwicklung bezüglich letzterer wird im Folgenden anskizziert.

Gegen Ende Januar 2020 wurde das Coronavirus offiziell auch in Deutschland bestätigt (Robert Koch-Institut: COVID-19-Lagebericht vom 05.03.2020). Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch des Coronavirus zur Pandemie, Mitte des Monats war die Europäische Region der WHO zum Epizentrum der Pandemie geworden (Weltgesundheitsorganisation Regionalbüro für Europa, o.D.). Nun begannen Regierung und Bildungsinstitutionen in Deutschland mit ersten Eindämmungsmaßnahmen zu reagieren. Auch das BAMF entwickelte im Angesicht der neuen Situation verschiedene Richtlinien und Anpassungen für die Integrations- und Berufssprachkurse. Auf der Grundlage der Trägerrundschreiben des BAMF1 lassen sich die wichtigsten Meilensteine dazu kurz vorstellen:

In der zweiten Märzhälfte 2020 erging die dringende Empfehlung, von der Fortführung und dem Beginn neuer Kurse abzusehen. Prüfungen und Einbürgerungstests wurden nach und nach ausgesetzt. Finanzierungsfragen und die entsprechende Gesetzeslage („Sozialdienstleiter-Einsatzgesetz“) standen im Mittelpunkt der Kommunikation an die Träger (zur Relevanz vgl. Kohl/Denzl 2020). Ende März wurde die mögliche Förderung der Nutzung von digitalen Lernangeboten kommuniziert. Damit sollten der sich abzeichnenden längerfristigen Unterbrechung der Kurse Alternativen entgegengesetzt und dem völligen Abbruch der Lernprogression bei den Kursteilnehmenden entgegengewirkt werden. Als befristetes Überbrückungsangebot wurde das digitale vhs-lernportal zugänglich gemacht, das u.a. für Zweitsprachler:innen Deutschkurse für alle Niveaustufen des Integrationskurses bereitstellt. Lehrkräfte konnten in den durchstrukturierten Kursen die Funktion von Tutor:innen übernehmen und erhielten bei Interesse eine Online-Schulung. Andere digitale Portale und Formate bedurften dagegen einer Einzelfallprüfung. Die Vorgaben wurden später aktualisiert (vgl. Trägerrundschreiben 4/20 bis 9/20, 15/20 und Anlagen).

Ab Mitte Mai erfolgte die schrittweise Wiederöffnung nach den pandemiebedingten Schließungen nach Maßgabe der länderspezifischen Vorgaben. Gleichzeitig wurde die Angebotsbreite für digitalen Unterricht ausgeweitet und flexibilisiert. Ab Juli 2020 standen nun neben dem Präsenzunterricht zusätzlich vier digitale Unterrichtsmodelle für den geförderten Sprachunterricht zur Auswahl (vgl. Trägerrundschreiben 14/20 für Integrationskurse, Aktualisierung 22/20). Außerdem konnten Online-Tutorien unter bestimmten Bedingungen weiter gefördert werden. Das Unterrichtsmodell 1 steht für den Vollzeit-Präsenzunterricht unter Pandemie-Bedingungen, d.h. mit Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmenden und Beachtung der geltenden Hygienemaßnahmen. Dies ist aus Sicht des BAMF die qualitativ beste Option. Modell 2 ist dazu das rein virtuelle Pendant, bei dem alle Kursteilnehmenden gleichzeitig im virtuellen Klassenzimmer für maximal vier Unterrichtseinheiten täglich unter Zuhilfenahme eines Videokonferenzsystems lernen. Insbesondere für Alphabetisierungskurse wird allerdings empfohlen, möglichst den Präsenzunterricht oder Modelle mit Präsenzphasen zu nutzen. Die restlichen Modelle beruhen auf einer Gruppenteilung, deren Lernmodi nach bestimmten Vorgaben wechseln. In Modell 3 erfolgt in einem Kursraum Präsenzunterricht, der per Livestream in einen zweiten Kursraum übertragen wird, in Modell 4 nimmt eine Gruppe vor Ort beim Träger am Präsenzunterricht teil, während die anderen Teilnehmenden zu Hause über einen Livestream dem Unterricht folgen (vorteilhaft bei Selbstisolierungs- und Quarantäne-Auflagen), und in Modell 5 unterrichtet eine Lehrkraft in zwei räumlich nah gelegenen Kursräumen im Präsenzunterricht. Im Kursraum, in dem sich die Lehrkraft aktuell nicht aufhält, lernt die Gruppe – ggfs. auch unter Aufsicht einer Assistenz – beispielsweise nach einem vorgegebenen Aufgabenplan. Echte Blended Learning-Konzepte mit einer systematischen Verzahnung von Online- und Präsenzphasen ließen sich während des ersten Lockdowns nicht durchführen.2 Aufgrund der didaktisch-methodischen und technischen Mehraufwände werden Pandemie-Zulagen gewährt und für die Zielgruppe der zu Alphabetisierenden u.a. die Mindestteilnehmendenzahl für die spezielle Garantievergütung abgesenkt (Anlage 2 zum Trägerrundschreiben Integrationskurse 14/20).

Im zweiten Halbjahr 2020 erfolgten auf Seiten des Bundesamts einige Aktualisierungen, z.B. Vereinfachungen der Anforderungen an die im virtuellen Klassenzimmer in Integrationskursen eingesetzte Hard- und Software (Trägerrundschreiben 22/20). Gleichzeitig rüsteten die Lehrwerksverlage ihre Lernmanagementsysteme und das Lernumfeld ihrer digitalen Lehrwerksvarianten den geförderten BAMF-Modellen entsprechend auf und passten auch die Fortbildungsangebote für Lehrkräfte an diese an.

Unter den geschilderten Rahmenbedingungen gelang die Umstellung vom Präsenz- in Distanzunterricht in Integrationssprachkursen während des ersten Lockdowns 2020 in Abhängigkeit von den konkreten Umständen und Kursen, den Trägern, Lehrkräften und den Teilnehmenden unterschiedlich gut. Im Folgenden wird kurz dargestellt, welche Herausforderungen und Potenziale des Distanzunterrichts uns beim Erfahrungsaustausch mit Kolleg:innen häufig begegnet sind. Zudem beziehen wir uns auch auf unsere eigenen Lehrerfahrungen in Integrationssprachkursen.

Auf der Digitalkonferenz „@lphabetisierung – Digital Lernen und Lehren“ des Projekts KASA anlässlich des Weltalphatags am 8. September 2020 bot sich für verschiedene Akteur:innen der Alphabetisierung und Grundbildung in der Erst- oder Zweitsprache und ähnlicher Angebote in der Erwachsenenbildung Gelegenheit des Austauschs über ihre digitalen Unterrichtserfahrungen. Wenig überraschend wiesen verschiedene individuelle Erfahrungsberichte (vgl. KASA 2020) darauf hin, dass es nicht nur Lernenden, sondern auch vielen Lehrenden und Trägern noch an der notwendigen technischen Infrastruktur und Ausstattung mangelte. Die meisten der Konferenzteilnehmenden (Träger und Lehrkräfte) hatten vor der Pandemie in Integrationskursen mit Alphabetisierung und anderen niederschwelligen Angeboten der Erwachsenenbildung gänzlich auf digitale Lernumgebungen verzichtet. An vielen Lernorten stellten die in tragbaren Geräten abspielbaren Audio-CDs in Unterrichtsräumen ohne Internet, eine interaktive Tafel, Computer oder Beamer das einzige im Präsenzunterricht zusätzlich genutzte technische Medium dar. Auch die Bundesregierung konstatiert rückblickend: „viele Lehrkräfte hatten in den vergangenen Monaten zum ersten Mal Kontakt mit digitalen Unterrichtsformen und erarbeiteten sich neue digitale Kompetenzen“ (BT Drucksache 19/27757, 2021: 14). Quellen zum Bestand der digitalen Ausstattung der Kursräume und gar ihrer Nutzung vor der Pandemie stehen unserer Kenntnis nach nicht zur Verfügung.

Auf der KASA-Digitalkonferenz wurde die Möglichkeit des Einsatzes elektronischer Medien und digitaler Werkzeuge im Unterricht insgesamt begrüßt, und es wurden die Vorteile gesehen, die sich für Lernende bei der eigenverantwortlichen Nutzung digitaler Lernangebote ergeben. Gleichzeitig betonten viele Stimmen die Bedeutung des physischen Kontakts für den Aufbau von Vertrauen und die sozialen Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden und untereinander. Hingewiesen wurde auch auf die Notwendigkeit, neue pädagogische und didaktische Konzepte für den digitalen Unterricht und hybride Modelle zu entwickeln, in denen Präsenz- und Online-Phasen sinnvoll miteinander verzahnt werden können (vgl. KASA 2020).

Im informellen Austausch unter Lehrkräften von Integrationskursen wurde häufig von verloren gegangenen Kursteilnehmenden berichtet. Unseren eigenen Beobachtungen zufolge sind dafür nicht nur technische, sondern auch soziale Gründe verantwortlich, denn den Kursteilnehmenden fehlen zu Hause häufig die notwendigen Rückzugsmöglichkeiten für das Lernen. Dies gilt insbesondere für Lernende, die in Erstunterkünften und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete mit räumlich und technisch unzureichender Ausstattung leben.

 

Kann digitaler Fernunterricht in Integrationskursen mit Alphabetisierung oder in Kursen für Zweitschriftlernende also überhaupt gelingen? Bevor diese Frage in den Abschnitten 4 und 5 wieder aufgenommen wird, hier eine Sammlung einiger praktischer Vorteile des synchronen Distanzunterrichts in Pandemiezeiten. In informellen Gesprächen mit Lehrenden und Lernenden wurde positiv vermerkt, dass:

 artikulatorische Übungen und Erläuterungen vor der Kamera wieder ohne Maske durchgeführt werden können;

 Partner-, Gruppen- und Stationsarbeit in Coronazeiten sicherer und besser im Breakout Room gelingt als im Klassenraum mit Distanzgebot;

 Realia und das eigene Umfeld sprachlich direkt und einfach in den Unterricht einbezogen werden können, indem sie vor die Kamera geholt werden;

 einander besser zugehört wird und man einander mehr aussprechen lässt (da die Mikrofone der anderen stummgeschaltet sind);

 alle Beteiligten mehr Zeit haben, da Wege entfallen;

 man auch in Situationen am Kurs teilnehmen kann, in denen es im Präsenzkurs nicht möglich wäre (beispielsweise, wenn das erkrankte Kind nebenan schläft oder malt).

Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass digitaler Fernunterricht in Sprachkursen mit Alphabetisierung bzw. Zweitschrifterwerb besonders hohen Ansprüchen genügen muss und bestimmte Aspekte des Präsenzunterrichts nicht ersetzen kann. Nach diesem Überblick zur Lehr- und Lernsituation in Integrationskursen mit Alphabetisierung bzw. Zweitschriftlernen und zu den Auswirkungen des ersten Lockdowns geht es im Folgenden um das Lernen vor und während der Pandemie in Sprachkursen, die sich zwar in vielen Aspekten an den Integrationskursen orientieren, gleichzeitig aber auch neue Wege einschlagen.

3 Das Projekt „Kontrastive Alphabetisierung im Situationsansatz (KASA)“

Das Projekt „Kontrastive Alphabetisierung im Situationsansatz (KASA)“ hat das Ziel, zur Verbesserung der literalen Kompetenzen unter der migrantischen Bevölkerung beizutragen und verfolgt dafür einen innovativen Ansatz, der bundesweit erprobt und weiterentwickelt wird1. Die Zielgruppe sind erwachsene arabisch-, persisch- und türkischsprachige Migrant:innen und Geflüchtete und in besonderem Maße die noch nicht alphabetisierten Menschen unter ihnen. Die Aufenthaltsdauer dieser Erst- oder Zweitschriftlernenden in Deutschland ist divers. Im Unterricht lernen Neuzugewanderte zusammen mit seit langem in Deutschland lebenden Menschen, die bisher für die bestehenden Alphabetisierungskurse schwierig zu motivieren waren oder die wegen Arbeit und familiärer Gründe bisher keine Chance oder Zeit hatten, einen Kurs zu besuchen. Viele der Teilnehmenden sind schulunerfahren (vgl. Seyfried 2017).

Das Projekt geht aufsuchend vor und bietet v.a. in Moscheen, orientalischen Kirchen und Migrantenselbstorganisationen in acht Bundesländern Alphabetisierungskurse an. Diese Lernorte stellen vertraute Orte für die Lernenden dar und tragen zur Niederschwelligkeit des Angebots bei. Das motiviert auch Lernende mit negativen Lernerfahrungen. Bei einer Befragung zu seinen Lernerfahrungen und der Motivation zum Lernen antwortet ein Kursteilnehmer auf die Frage „Was war für Sie hilfreich?“: „Zum einen fand der Kurs in unserer Kirche statt. Zum anderen war der Kurs in der Nähe meines Zuhauses.“ (Teilnehmer, 66 Jahre, KASA-Kurs in Berlin). Die Kurse sind kostenlos und mit dem Alltag von Berufstätigen und familiär ausgelasteten Personen gut vereinbar: Sie finden für die Dauer von 24 Monaten zweimal in der Woche à drei Unterrichtsstunden statt.

Der Unterricht wird möglichst von Personen durchgeführt, die aus den Partnerorganisationen stammen. Sie müssen über einen Hochschulabschluss in Pädagogik oder Linguistik verfügen oder entsprechende Berufserfahrung nachweisen können. Diese Lokalkoordinator:innen werden über die gesamte Kurslaufzeit hinweg von Mitgliedern des KASA-Teams, den Regionalkoordinator:innen, begleitet und fortgebildet. Die acht regionalen Koordinator:innen koordinieren den Unterricht in insgesamt 42 Kursen in acht Bundesländern und sichern die Qualität des Angebotes. Sie sind Ansprechpartner:innen für die Lehrkräfte vor Ort, hospitieren u.a. einmal monatlich im Unterricht und führen die kollegiale Fallberatung im Online-Portal SuRe2 gemeinsam mit den Lehrenden durch. Um die Nachhaltigkeit zu gewährleisten, wird den Lokalkoordinator:innen während ihrer Kurslaufzeit fakultativ eine Weiterbildung zur Integrationskurslehrkraft finanziert (Konzept des Projekts KASA 2018).

Methodisch-didaktisch und pädagogisch verfolgt das Projekt einen besonderen Weg. Zum einen werden die erst- bzw. herkunftssprachlichen Kompetenzen der Lernenden von Anfang an systematisch in den Unterricht und das Lernen miteinbezogen. Das erleichtert und motiviert beim Erwerb von Sprache und Schrift der Zweitsprache. Begonnen wird mit den Gemeinsamkeiten beider Sprachen bezüglicher ihrer Laut- und Schriftsysteme. Die Unterschiede werden dann schrittweise explizit thematisiert und geübt. Die Aussage einer Lernerin auf die Frage „Was war für Sie hilfreich?“ im Rahmen einer Befragung illustriert die Bedeutung dieses Ansatzes: „Was mir hilft, ist die Tatsache, dass die Lehrerin, die mir Deutsch vermittelt, meine Muttersprache spricht.“ (Teilnehmerin, 35 Jahre, KASA-Kurs in Borken). Ein Teilnehmer aus demselben Kurs erläutert es in der Einzelbefragung ähnlich: „Die wichtigste Sache im Kurs war, dass die Lehrerin uns die Themen in der Sprache erklärt hat, die wir verstehen.“ (Teilnehmer, 53 Jahre, KASA-Kurs in Borken).

Pädagogisch orientiert sich das Projekt am Situationsansatz, der ursprünglich im Bereich der Kleinkindpädagogik entwickelt wurde und unabhängig von Alter und Institution eingesetzt werden kann (Marschke et al. 2013). Dem Ansatz entsprechend analysieren die Lehrenden, über welche Kompetenzen und Fähigkeiten die Lernenden verfügen und was sie lernen und erfahren wollen. Im Projekt KASA wird auf diese Weise das Ziel verfolgt, Lerneinheiten nach den Bedürfnissen und Interessen der Lernenden zu erstellen. Die pädagogische Arbeit geht von den sozialen und kulturellen Lebenssituationen der Lernenden aus.

Nach diesem Ansatz werden im Projekt auch neue Lernmaterialien entwickelt und erprobt. Die drei Lehrwerke „Mit Türkisch Deutsch lernen“ (Bektaş et al. 2019), „Mit Persisch Deutsch lernen“ (Alizadeh et al. 2019) und „Mit Arabisch Deutsch lernen“ (Matta et al. 2019)3 führen Lernende in die Zweitsprache Deutsch und Schrift ein und zielen auf das Niveau A1.1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) ab. Die Lektionen werden von Fotogeschichten eingeleitet (abrufbar unter abc.giz.berlin/home), berücksichtigen die vier Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben und grundlegende grammatische Themen sowie einfache numerische Übungen und werden multimedial durch Videos der Deutschen Welle und Audiodateien des Projekts begleitet. Lernstrategien und Medienkompetenzen bezüglich des Mobiltelefons werden explizit vermittelt.

Zentral für den Unterricht mit Anfänger:innen ist die Anlauttabelle in jedem Lehrwerk,4 die jeweils zwei Seiten umfasst: Auf der ersten Seite (vordere Innenseite des Buchdeckels) sind diejenigen Anlaute in Bild und Schrift (Orthografie) aufgeführt, die in beiden Sprachen vorhanden sind. Zeichnungen helfen dabei, sich den Anlaut zu erschließen und zu memorieren. Sie stehen für Begriffe, die in beiden Sprachen mit dem gleichen oder sehr ähnlichen Laut beginnen und die gleiche Bedeutung haben (vgl. Abb. 1). So wird für die Einführung des Buchstabens D im Lehrwerk mit türkischer Ausgangssprache ein Dach verwendet, das im Türkischen dam heißt, für die Einführung von L wird im deutsch-arabischen Lehrwerk auf die Lampe verwiesen, die auf Arabisch lamba ([ˈlɑmbɑ]) lautet, und für den Buchstaben M im deutsch-persischen Lehrwerk die Zeichnung einer Mutter, die auf Persisch madar ([mɑːˈdaɾ]) heißt.


Abb. 1: Ausschnitte aus den Anlauttabellen der KASA-Lehrwerke (Alizadeh et al. 2019, Bektaş et al. 2019, Matta et al. 2019), Seite „Gemeinsamkeiten“ 5

Auf der zweiten Seite der Anlauttabellen (hintere Innenseite des Bucheinbandes) werden diejenigen Buchstaben der Zweitsprache Deutsch eingeführt, die entweder keine Lautentsprechung in der Erst- bzw. Herkunftssprache haben oder die – nur im Fall der ebenfalls mit dem lateinischen Alphabet geschriebenen türkischen Sprache – dort eine andere Verschriftung haben. Abbildung 2 illustriert dies für das komplexe Graphem <sch>. Das türkische Wort şemsiye (Schirm) lautet zwar auch mit einem stimmlosen postalveolaren Frikativ [ʃ] an, dieser wird jedoch durch einen einfachen Buchstaben mit diakritischem Zeichen verschriftet.


Abb. 2: Ausschnitt aus der deutsch-türkischen Anlauttabelle (Bektaş et al. 2019), Seite „Unterschiede“.

Das Format der KASA-Kurse wird fortlaufend dokumentiert und untersucht. Dabei wird das Projekt von Karen Schramm (Fremd- und Zweitsprache und Fremdsprachendidaktik, Universität Wien) und Clemens Seyfried (Lernpsychologie und Kompetenzentwicklung, Private Pädagogische Hochschule der Diözese Linz) wissenschaftlich begleitet. Sie beraten das Team u.a. hinsichtlich der didaktisch-methodischen Weiterentwicklung der kontrastiven Alphabetisierung (Schramm), konzipieren Befragungsstudien und die kollegiale Fallberatung über das Online-Portal SuRe (sure.giz.berlin) (Seyfried). Im Projekt entsteht ein Kursleiterhandbuch zur kontrastiven Alphabetisierung. Seit Mai 2020 evaluiert das am Lehrstuhl für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache der Friedrich-Schiller-Universität Jena angesiedelte dreijährige Projekt „ELIKASA – Entwicklung literaler Kompetenzen durch kontrastive Alphabetisierung im Situationsansatz“ unter Leitung von Christine Czinglar den Projektansatz von KASA.

4 Digitaler Fernunterricht im Projekt KASA

Seit Beginn der Unterrichtsunterbrechung am 23. März 2020 hat das KASA-Projekt den Auf- und Ausbau digitaler Angebote im Bereich des KASA-Alphabetisierungskursangebots vorangetrieben. Dabei konnten die bestehenden multimedialen Komponenten der KASA-Lehrwerke genutzt werden, es war jedoch notwendig, darüber hinaus weitere Instrumente für die Verlagerung des gesamten Unterrichts in den Distanzmodus zu bestimmen und geeignete Maßnahmen für die Umsetzung zu implementieren. Da sich die Teilnehmenden und Lehrkräfte der insgesamt 42 KASA-Kurse zum Lockdownbeginn in ihrem Lernstand, ihren spezifischen Lernzielen, Interessen, ihren (schrift)sprachlichen und digitalen Kompetenzen sehr unterschieden, war klar, dass es nicht eine einzige passende Lösung für alle geben konnte. Ziel war es daher, in der Anfangsphase des Lockdowns einfache Minimalstrategien für den Fernunterricht zu entwickeln, die für viele Beteiligte realisierbar waren und darüber hinaus auch Freiraum für kursspezifische Anpassungen zu schaffen.