Literaturvermittlung und Kulturtransfer nach 1945

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Aus der Reihe: Edition Brenner-Forum #16
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39 Die aufgrund eher stichprobenartiger Befunderhebungen letztlich nicht entschieden beantwortete Frage dieses Beitrags lautet, ob, und wenn ja, welchen Beitrag das Hochland der Nachkriegszeit zu den Gründungsdebatten der Bundesrepublik, den „Ideen von 1945“ (Kießling [Anm. 2], passim), und damit zur Intellektuellengeschichte der Nachkriegsmoderne geleistet hat. Zwar hat schon 1953 der passionierte, damals erst 22-jährige Hochland-Leser Hans Maier, „wenn von geistiger Wegweisung und Orientierung die Rede sein soll“ bezüglich des Hochland „aus der Fülle des Wertvollen und nicht selten Hervorragenden besonders hervorgehoben die Reden Romano Guardinis über den Frieden [HL 41 (1948/49), 105–122] und über die jüdische Frage [HL 44 (1951/52), 481–493], Josef Piepers glänzende[n] Essay Der Funktionär und der Sophist [HL 43 (1950/51), 421–443] und das Zwiegespräch über den Don Quichote von Wilhelm Hausenstein [HL 39 (1946/47), 193–215].“ (Hans Maier: 50 Jahre Hochland. Bildnis einer Zeitschrift [1953]. Wiederabgedruckt in: Pittrof [Hg.] [Anm. 8], 577-591, hier: 589.) Gleichwohl verschickte bereits in diesem Jubiläumsjahr 1953 Schöningh an einen ausgewählten Adressatenkreis Briefe mit der Einladung zu einem „kritischen Symposion über die weitere Entwicklung des Hochland“, das vom 27. bis 29.11. auf der Hegge bei Paderborn, der von Theodor Kampmann gegründeten Bildungsstätte, stattfinden und „der künftigen Gestaltung des Hochland dienen“ sollte (Schöningh an Josef Höfer, 18.11.53, UBEI VA1 VII 3.1[2]). Zeichnete sich da schon die Notwendigkeit einer Kurskorrektur ab, trotz so prominenter katholischer Autoren wie Guardini und Pieper? Wenn diese Frage hier im Ganzen unbeantwortet bleibt, so soll gegenüber dieser Prominenz des Katholischen am Beispiel Adornos und Blumenbergs aufmerksam gemacht werden auf die Latenz des Katholischen in der Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik.

40 Neuerdings wieder abgedruckt in Hans Blumenberg: Schriften zur Literatur 1948–1958. Hg. von Alexander Schmitz und Bernd Stiegler. Berlin 2017, darin: Der absolute Vater (zuerst HL 45 [1952/53], 109–114); Eschatologische Ironie. Über die Romane Evelyn Waughs (HL 46 [1953/54], 132–146); Die Peripetie des Mannes. Über das Werk Ernst Hemingways (HL 48 [1955/56], 219–238); Rose und Feuer. Lyrik, Kritik und Drama T.S. Eliots (HL 49 [1956/57], 239–263); Mythos und Ethos Amerikas im Werk William Faulkners (HL 50 [1957/58], 265–286). Zu diesen Texten jetzt Joe Paul Kroll: Wilde Palmen. Hans Blumenbergs frühe Feuilletons in der Zeitschrift Hochland. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 3 (2016), 107–111, sowie vor allem Kurt Flasch: Hans Blumenberg: Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966. Frankfurt 2017.

41 Zur Dissertation (Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie [Typoskript, 92 S., bish. ungedr., Publ. angekündigt bei Suhrkamp für Juni 2020] und zur Habilitationsschrift (Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung zur Krisis der philosophischen Grundlagen der Neuzeit, gleichfalls noch ungedruckt) umfassend-konzis Flasch (Anm. 40), 57–159 u. 161–204.

42 Bd. 56, 413–430.

43 Frankfurt/M., 114, hier mit Bezug auf Gracian. (Meint Blumenberg wirklich „Realismus“ oder doch nur ‚Wirklichkeit‘?)

44 Zu ihm Heinz Hürten: Waldemar Gurian. Ein Zeuge der Krise unserer Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mainz 1972 (VKZG Reihe B 11). Ein Nachruf auf ihn von Georg Smolka erschien in HL 48 (1955/56), 183–185. Gurian schrieb im Hochland eine Besprechung von Hanna Arendts The Origins of Totalitarianism (New York 1951) (Bd. 44 [1951/52], 568–569), aus dessen englischer Fassung im gleichen Band ein Ausschnitt in deutscher Übersetzung abgedruckt wurde (Das zeitweilige Bündnis zwischen Mob und Elite. Ebenda, 511–524).

45 Exemplarisch in dieser Hinsicht Vita und Schicksal Franz B. Steiners, dargestellt in dem kurzen Nachruf auf ihn von H. G. Adler (HL 46 [1953/54], 112): „Franz B. Steiner, als Sohn jüdischer Eltern 1909 in Prag geboren, wurde schon zu Beginn seiner Laufbahn durch den Nationalsozialismus seines natürlichen Wirkungsfeldes beraubt. Nach seiner Promotion setzte er seine Studien, die sich immer mehr auf Soziologie konzentrierten, in London fort. Die Tragödie der Tschechoslowakei zwang ihn, als Flüchtling in England zu bleiben und untätig zuzusehen, wie sein leidender alter Vater und seine Mutter in der Heimat 1942 Opfer ihrer Volkszugehörigkeit wurden. Der Dichter, zart von Konstitution, arbeitete während des Krieges wissenschaftlich und künstlerisch weit über seine geringen Kräfte. Es gelang ihm infolge seiner Kränklichkeit nicht, an die führenden Kreise der literarischen Emigration heranzukommen und nach dem Krieg in Deutschland Anschluß zu gewinnen. Als endlich 1948 ein Gedichtband in einem deutschen Verlag erscheinen sollte, versagten diesem im letzten Augenblick die Mittel, so daß der fertiggestellte Satz eingeschmolzen werden mußte. Mittlerweile war Steiners Krankheit so fortgeschritten, daß er den Kampf um die Durchsetzung seines Werkes nicht mehr weiterführen konnte. Am 27. November 1952 ist er seinem Leiden erlegen. Neben der reichen wissenschaftlichen Ausbeute (meist in englischer Sprache) hat er rund dreihundert Gedichte, den tiefsinnigen Zyklus ‚Eroberungen‘ und mehrere Bände Aufzeichnungen hinterlassen.“

46 Ulrich Lehner: [Art.] Gürster, Eugen. Erscheint in Thomas Pittrof (Hg.): Handbuch des literarischpublizistischen Katholizismus im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts, Bd. I (projektiert für 2021).

47 Das Schöne und das Nichts. Die Welt Gottfried Benns (HL 47 [1954/55], 310–321); „La condition humaine“ – in Port-Royal und in China (ebenda, 478–480); Dichter der kategorischen Leidenschaft. Henri de Montherland (HL 48 [1955/56], 528–540).

48 Lehner (Anm. 46), ebenda.

49 Peter de Mendelssohn: Ein militanter Traditionalist. Gedenkwort für Eugen Gürster (1895–1980). In: Jahrbuch der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 1980, 111f.

50 Vgl. sein Biogramm von Otto Weiß in: Pittrof (Hg.) (Anm. 8), 548f.

51 Vgl. Karl Schaezler: Das „Hochland“ und der Nationalsozialismus. In: HL 57 (1964/65), 221–231, hier: 225 Anm. 12.

52 HL 45 (1952/53), 446–454; später, anlässlich seines 80. Geburtstags, ergänzt um den Abdruck seiner Kinderjahre in Rußland (HL 56 [1963/64], 438–448).

53 HL Bd. 47 (1954/55), 597.

54 Zu Thieme, der nicht nur zu Adorno, sondern schon in den 1930er Jahren auch zu dem gleichfalls exilierten Walter Benjamin Beziehungen unterhielt und wiederholt auf dessen Arbeiten, so 1934 in seinem Buch Das alte Wahre. Eine Bildungsgeschichte des Abendlandes, auf Benjamins Trauerspiel-Buch, aufmerksam gemacht hatte (Das alte Wahre. Leipzig 1934, 180; vgl. auch Benjamin-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hg. von Burkhardt Lindner unter Mitarbeit von Thomas Küpper und Timo Skrandies. Stuttgart, Weimar 2006, 443–445, 499, 563 u. 680; Walter Benjamin: Gesammelte Briefe. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd. 4–6. Hg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz Frankfurt a.M. 1998/1999/2000; dort in Bd. 6, 623 s.v. Thieme, Karl), bereits Anm. 38. Eine Darstellung Thiemes, die auch seinen Nachlass im Münchener Institut für Zeitgeschichte auszuwerten hätte, ist angesichts der Vielbezüglichkeit dieser Figur ein dringendes Desiderat. Vgl. den Artikel über ihn von F.W. Graf in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bd. 11 (1996), Sp.1113–1131; Wolf-Friedrich Schäufele: „Deutscher unter Deutschen“? Karl Thieme (1902–1963) zwischen Luthertum, Katholizismus und Judentum. In: Tobias Sarx/Rajah Scheepers/Jochen-Christoph Kaiser (Hg.): Protestantismus und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte von Kirche und Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 2013, 239–250.

55 Referiert von Elias H. Füllenbach: Die Kirche Christi und die Judenfrage (1937). In: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 6: Publikationen. Berlin u.a. 2013, 400–403.

56 https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Karl_Thieme_(Historiker)&oldid=170030186, abgerufen am 8.1.2018. Zu Ehrlich jetzt Hans Maier: Ernst Ludwig Ehrlich und die deutschen Katholiken. In: Herder Korrespondenz Bd. 71 (2017), H.10, 34–38.

57 Walter Lipgens: Christen und Juden heute. In: HL 51 (1959), 285–289.

58 Vgl. Heinz Flügel: Boten Gottes. In: HL 40 (1947/48), 76–80, hier 76. – Die Formel ist ersichtlich problematisch. Was – signifikant? – unterschiedliche Stile der Thematisierung betrifft, so riskiere ich die – inhaltlich zweifellos kurzschlüssige – Konfrontation Flügels mit den beiden ersten Sätzen im Aufsatz des langjährigen Hochland-Autors Eugen Rosenstock-Huessy über Die jüdischen Antisemiten oder Die akademische Form der Judenfrage (Frankfurter Hefte Jg. 6, H. 1 [Januar 1951], 8–17), der das „Geheimnis der Ausgesondertheit“ (Flügel) (Anm. 58) dorthin zurückverlegt, wo er es als offene Tatsache auffindbar findet: „Antisemitismus ist ein akademischer Ausdruck. Er stammt aus der Sprache des Humanismus“ (ebenda, 8). Zum theologie- und zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. die Arbeiten von Elias H. Füllenbach O.P.: Shock, Renewal, Crisis. Catholic Reflections on the Shoa. In: Kevin P. Spicker (Hg.): Antisemitism, Christian Ambivalence, and the Holocaust. Bloomington/Indiana 2007, 201–234; Ders.: Das katholisch-jüdische Verhältnis im 20. Jahrhundert. Katholische Initiativen gegen den Antisemitismus und die Anfänge des jüdisch-christlichen Dialogs in Deutschland. In: Reinhold Boschki/Albert Gerhards (Hg.): Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft? Neue Perspektiven für den christlich-jüdischen Dialog. Paderborn u.a. 2010, 143–163; Ders.: „Freunde des alten und des neuen Gottesvolkes“. Theologische Annäherungen an das Judentum nach 1945. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte Bd. 32 (2013), 235–251.

 

59 Beispiele (neben dem in Anm. 39 genannten Beitrag von Guardini) E. G. (Eugen Gürster): Friedenskämpfer im heutigen Israel (HL 48 [1955/56], 488–491); Heinz Flügel: Das Beispiel Theresienstadt (HL 49 [1956/57], 90–92), eine Besprechung der Monographie Theresienstadt 1941–1945 von H. G. Adler [Tübingen 1955]); Gerty Spies: Wie ich es überlebte. Ein Bericht (HL 50 [1957/58], 350–360); Friedrich Abendroth: Reichs- und Bundesvolk. Das zweifache Zeugnis des Joseph Roth (HL 50 [1957/58], 422–429); Karl Thieme: Franz Rosenzweig. Zum Gespräch zwischen Judentum und Christentum (HL 50 [1957/58], 142–152); Hermann Graml: Die Wurzeln des Antisemitismus (HL 50 [1957/58], 371–375); Walter Lipgens: Zur Geschichte des christlich-jüdischen Gegenübers (HL 54 [1961/62], 381–385); Karl Josef Dieckmann: Antisemitismus im Evangelium? (HL 57 [1964/65], 383–86); Heinrich Spaemann: Die Christen und das Volk der Juden (ebenda, 409–427); Wolfgang Seiferth: Synagoge und Ecclesia (HL 56 [1963/64], 470–472).

60 Ausnahmen etwa: Elias Hurwicz über „Die ‚Verweltlichung‘ des Judentums“ (HL 43 [1950/51], 263– 273; in demselben Band die Erinnerungen von Werner Kraft an Else Lasker-Schüler [588-592]); Elias Hurwicz: Die Theomachie im Judentum (HL 44 [1951/52], 416–431); Ders.: Leo Baecks posthumes Werk (HL 51 [1958/59], 391–394).

61 Nachgedruckt mit weiteren Aufsätzen zum Thema und einem „historiographischen Rückblick“ von Karl-Egon Lönne in Ernst-Wolfgang Böckenförde: Schriften zu Staat – Gesellschaft – Kirche Bd. 1: Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933. Freiburg i. Br. u.a. 1988, 39–69. Böckenförde widmete übrigens diesen Band dem Gedächtnis Schöninghs (dessen Neffe er war) als „Erinnerung an einen Mann, dem nicht nur der Verfasser, sondern auch der deutsche Katholizismus viel verdankt. Franz-Joseph [sic] Schöningh war von 1946 bis zu seinem Tode 1960 Herausgeber und Hauptschriftleiter der Zeitschrift Hochland. Als solcher wirkte er als Sachwalter eines im Grundsatz festen und gerade deshalb der Welt gegenüber offenen Katholizismus, der die Zeichen der Zeit aufnahm und darauf zu antworten suchte. Hochland war Organ und Kristallisationspunkt eines solchen Katholizismus im deutschen Sprachraum, und es praktizierte das freie Wort in der Kirche – um der Kirche willen. Jeder Band der Zeitschrift, die Themen, die sie behandelte, und die Autoren, die in ihr schrieben, legen davon Zeugnis ab. Der Katholizismus in Deutschland ist ärmer geworden, seit es Hochland nicht mehr gibt. Muß es eigentlich dabei bleiben?“ (Einleitung, ebenda, 19.) Zu Böckenfördes Aufsatz, seiner Vorgeschichte und seinen Folgen vgl. jetzt auch die gründliche, u.a. auf die Eichstätter Archivbestände zurückgreifende Studie von Mark Edward Ruff: Ernst-Wolfgang Böckenförde und die Auseinandersetzung um den deutschen Katholizismus, 1957–1962. In: Hermann-Josef Große Kracht/Klaus Große Kracht (Hg.): Religion – Recht – Republik. Studien zu Ernst-Wolfgang Böckenförde. Paderborn u.a. 2014, 41–75.

62 So die „Vorbemerkung der Schriftleitung“ zum Brief über die Kirche in: Frankfurter Hefte, 1. Jg., H. 8, 715. – Eine (positive) Besprechung von Görres’ Buch Die leibhaftige Kirche (Frankfurt/M. 1950, 3. Aufl. bereits ein Jahr später) erschien in HL 43 (1950/51), 303f.

63 Kießling (Anm. 2), 220.

64 Das ist dokumentiert im Anhang zu Pittrof (Anm. 10), 21ff.

65 Zu ihm Johannes Werner: W. H. Ein Lebenslauf. München 2005.

66 Das „Verzeichnis der Werke von Gustav René Hocke“ im Anhang zu seinen Lebenserinnerungen (Im Schatten des Leviathan. Lebenserinnerungen 1908–1984. Hg. u. kommentiert von Detlef Haberland. Berlin 2004), 673–697, nennt folgende Beiträge: Das langobardische Cividale (HL 45 [1952/53], 290f.); Manzùs Bronzepforte für Sankt Peter (HL 48 [1955/56], 91–93); Das neue Bronzeportal am Campo Santo Teutonico (HL 52 [1959/60], 92–95).

67 Dazu die gründlichen Arbeiten von Maria Cristina Giacomin seit ihrer Diss. Zwischen katholischem Milieu und Nation. Literatur und Literaturkritik im Hochland (1903–1918), Paderborn u.a. 2009, zuletzt: Ein „goldener Mittelweg“ zwischen Kirche und moderner Welt? Carl Muth und das Hochland 1903–1914. Mit einem Exkurs zur Gründungsgeschichte des Hochland. In: Pittrof (Hg.) (Anm. 8), 35–69.

68 Paul Stöcklein an Franz Josef Schöningh, 22.4.1953. UBEI VA1 VII 3.1(2).

69 Carl Muth: Schöpfer und Magier. Drei Essays. Zweite, um ein Nachwort vermehrte Auflage. München 1953.

70 Wie Anm. 68 (mit Rotstift).

71 Paderborn u.a. 2004.

72 Diese Öffnung hin zur modernen angloamerikanischen Literatur hatte Schöningh noch zu Lebzeiten Carl Muths durch Curt Hohoff betrieben. „Hohoff war Anglist und konnte ihm so junge Autoren vorschlagen, unter anderem Gerard Manley Hopkins, T. S. Eliot, den damals noch unbekannten Joseph Conrad und Eugene O’Neill. Die Reaktion blieb verhalten: ‚Das Kopfschütteln der Leser begann bei Karl Muth.‘“ Harbou (Anm. 9), 82, unter Zitat von Curt Hohoff: Unter den Fischen. Erinnerungen an Männer, Mädchen und Bücher 1934–1939. München 1962, 228–239, hier 233.

73 Erwin Rotermund und Heidrun Ehrke-Rotermund: Vorstellung eines vergessenen Dichters. In: Dies. (Hg.) (Anm. 71), 15–50, hier 15f.

74 Zit. ebenda, 19.

75 Perspektiven für eine Theorie der Geschichtswissenschaft. In: Gründer (Anm. 11), 88–103 u. 158–162, hier: 99.

76 Brelie-Lewien (Anm. 4), 61.

77 Ebenda, 63.

„Künstler, Liturge, Heiliger – die Vollender des Kosmos“. Otto Mauer als Kulturvermittler
von Natalia Bakshi (Moskau)

Monsignore Otto Mauer (1907–1973) zählt zu den wichtigsten Kulturvermittlern einer künstlerischen Avantgarde in Österreich nach 1945. Kardinal Franz König nannte ihn einen „Brückenbauer zu den Menschen ‚draußen vor der Tür‘“. Mauer war überzeugt, dass die Kunst und die Religion zutiefst miteinander verbunden sind. In einem Artikel über die pastorale Funktion der Kunst schrieb er:

Vielleicht sind die Propheten in diese Künstler abgewandert, in die Goya, Daumier, Georges Grosz, weil die Kirche keine Propheten mehr geduldet hat, weil die Hierarchie kein Interesse hatte, ihr aeternales unerschütterliches Gebäude durch Propheten, die sich nicht nur nach außen an die böse Welt wenden, vielleicht beunruhigen oder gar erschüttern zu lassen.1

Hier finden wir die typische christliche Vorstellung über die religiösen Wurzeln der Kunst. 1941 trat Mauer beim Erzbischöflichen Ordinariat die Stellung eines Ordinariatsrates an, er sollte das Referat Religiöse Kultur aufbauen und leiten. In den Kriegsjahren war Otto Mauer enorm aktiv, vor allem in der Organisation religiöskultureller Veranstaltungen wie musikalisch-literarischer Feierstunden, theologisch-literarischer Abende u.ä. Allein im Arbeitsjahr 1942/43 hielt er 172 Vorträge, die von mehr als 20.000 Menschen besucht wurden. Im Jahr 1942 wurde Mauer vom Seelsorgeamtsleiter empfohlen, ein theologisches Doktorat zu erwerben, damit er nach dem Krieg eine Professur an der Wiener Theologischen Fakultät übernehmen könnte. Stattdessen inskribierte er sich an der Philosophischen Fakultät und besuchte Vorlesungen in Kunstgeschichte. Zugleich begann er eben jene Kunst zu erwerben, die für die NS-Propaganda als „entartet“ galt, darunter vor allem die deutschen Expressionisten. Im Jahr 1941 veröffentlichte Mauer seinen programmatischen Aufsatz Theologie der Bildenden Kunst. Ein Versuch, der aus der Perspektive der Theologie über das Verhältnis von Kunst und Christentum geschrieben ist. Mauer betont darin den metaphysischen Charakter und Symbolcharakter der Kunst. Kunst wird bei ihm mit den Grundeigenschaften des Seins, mit dem Wahren, Guten und Schönen, die Mauer der Scholastik entnommen hat, konfrontiert. Die Berufung des Künstlers war entsprechend auch ins Unermessliche erhoben: „Künstler, Liturge, Heiliger – die Vollender des Kosmos, die Mystagogen einer kommenden Welt!“2 Und im letzten Kapitel über die Verbindung von Kunst und Eschatologie heißt es: „Der Künstler vollzieht das unerbittliche Gericht über sich und seine Zeitgenossen; er steht auf der Seite des kommenden Christus mit jenem Fanatismus der ungeschminkten Wahrheit, die das Zeichen aller echten Prophetie ist“.3 In methodischer Hinsicht bedient sich Mauer des Prinzips der Analogie, das ebenfalls aus der scholastischen Tradition kommt. Seine wichtigste Aussage ist dabei, dass sich die Schönheit der Kunst als splendor veritatis, als Glanz der Wahrheit definiert. Dabei muss man diese Idee aus doppelter Perspektive sehen – aus der christlichen, aber auch aus der politischen. Die Suche nach Wahrheit in der Kunst war eine Art Widerstandshandlung gegen das NS-Regime. Nicht zufällig wurde Mauer mehrmals verhaftet und stand unter ständiger Beobachtung der Nationalsozialisten.

Aufschlussreich für das Verständnis der Kunst bei Otto Mauer sind die Schlusssätze seiner Abhandlung:

Kreuz und Apokalypse – Angel und Zielpunkt aller Geschichte; Fleischwerdung und Epiphanie, Golgotha und Ostern, Gericht und Herrlichkeit – immer wieder Leben aus Tod, Seligkeit durch Leiden, Licht aus Finsternis – das ewige Thema des Lebens und der Kunst. Das also ist ‚christliche‘ Kunst: die vom Erlebnis der Schöpfung durchstößt zur Wirklichkeit des inneren Dramas der Schöpfung, zur reißenden Dynamik des Geschehens, zur Überwindung der Welt in der Überwelt des dreifaltigen Gottes. Durch Christus und in Christus, dessen Leib der Kosmos ist, im Heiligen Geiste der Einheit und der Liebe kehrt alle Kreatur in den Schoß des Vaters heim, von dem sie ausgeht. Dann ist ‚Gott alle in allem‘. Und dieses Gottes Liturgie, Evangelium und Prophetie – das ist die Kunst!4

Das Ästhetische und das Religiöse werden ineins gesetzt, denn zum ersten wahren „Künstler“ wird Gott. In dieser ungewöhnlich hohen Stellung, die Mauer für die Kunst bestimmt, verkennt er das Wichtigste, was die Kunst erst zur Kunst macht, – das Ästhetische, das nach eigenen Gesetzten existiert. Durch diese Verkennung der Eigenständigkeit der Kunst verliert sie aber ihre hohe Stellung und wird damit unvermeidlich zu „Dienerin“ der Theologie. Dieses Phänomen finden wir später am Beispiel der Literatur in der Nachkriegszeitschrift Wort und Wahrheit, die Otto Mauer ab 1946 publiziert hat.

 

Wort und Wahrheit war eine monatlich erscheinende Zeitschrift für Religion und Kultur – so der Untertitel –, die im Freiburger und Wiener Herder-Verlag von 1946 bis 1973, d.h. bis zum Tod ihres Mitgründers, Otto Mauer, erschien. Die Zeitschrift war eine von vier katholischen Zeitschriften des Wiener Herder-Verlags, mit denen unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden sollten: Der große Entschluß, eine Monatsschrift für aktives Christentum, richtete sich an den katholischen Laien; Licht des Lebens firmierte als Monatsschrift für katholische Frauen, und Die Wende suchte als Zeitung die katholische Jugend Österreichs zu erreichen. Aus diesem Umfeld heraus lässt sich auch mit den katholischen Intellektuellen die Zielgruppe von Wort und Wahrheit genauer umreißen. Das war die Zielgruppe, die Mauer am meisten interessierte. In der Nachkriegszeit stellte die Zeitschrift eine der interessantesten Plattformen für die literarische „christliche Avantgarde“ dar und zeugte gleichzeitig von dem Versuch, österreichische Identität nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Basis des Katholischen zurückzugewinnen.

Signifikant für Wort und Wahrheit ist ihre Tendenz, die Diskursgrenzen zwischen Theologie und Literatur mit einer auch für die Nachkriegszeit ungewöhnlichen Konsequenz aufzuheben. Dies gilt vor allem für die erste Dekade des Erscheinungszeitraums, verliert sich allerdings Ende der fünfziger Jahre. Diese für uns heute ungewöhnliche Nähe von Literatur und Theologie wird zeitgenössisch mit einem Begriff von Max Bense als „theologische Emigration“5 beschrieben. Wie der Ausdruck andeutet, dominierte in einem Teil des literarischen Feldes der theologische Diskurs, was im Weiteren gezeigt werden soll.