Lebenskunst nach Leopardi

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2. Der Lebensbegriff und die Kraft der Imagination

Esistenza – amore dell’esistenza (quindi della conservazione di lei, e di se stesso) – amor del piacere (è una conseguenza immediata dell’amor proprio, perché chi si ama, naturalmente è determinato a desiderarsi il bene che è tutt’uno col piacere, a volersi piuttosto in uno stato di godimento che in uno stato indifferente o penoso, a volere il meglio dell’esistenza ch’è l’esistenza piacevole, invece del peggio, o del mediocre ec.) – amore dell’infinito ec. colle altre qualità considerate di sopra. (Zib. 182)

[Existenz – Liebe zur Existenz (das heißt ihrer Erhaltung und der eigenen) – Liebe zur Freude (eine unmittelbare Konsequenz des amor proprio, denn wer sich liebt, begehrt natürlicherweise für sich selbst Gutes, was mit Freude gleichzusetzen ist; der wünscht sich vielmehr in einen Zustand von Genuss anstatt in einen gleichgültigen oder schmerzhaften Zustand; der will für sich das Beste der Existenz, also ein angenehmes Dasein, statt das Schlimmste oder das Mittelmäßige etc.]

In einem späteren Abschnitt des Zibaldone finden wir diese konsekutive Reihe: Der reinen Existenz folgt die Liebe zur Existenz, der Selbsterhaltungstrieb, den der Mensch mit allen anderen Lebewesen teilt, und der als Positivität von Lebensimpulsen gedacht werden kann.1 Daraus erwächst ein Streben nach allem, was das Leben angenehm macht, der unstillbare amor del piacere. Dies geht wiederum mit einer grundsätzlichen Tendenz zum Unendlichen einher, da diese angenehmen Erfahrungen nie vollständig zur Erfüllung der Sehnsucht gereichen. Leopardi bindet die Erfahrung einer esistenza piacevole an die Sinne und an die Materialität der Welt und nicht an eine Außerweltlichkeit. Es ist kein Vorgeschmack auf das Paradies. Hier positioniert sich Leopardi in einem starken Gegensatz zu jeglicher sich auf Transzendenz berufenden Tradition und somit auch gegen die Romantiker.2

Es ist die Unterscheidung zwischen den ersten Punkten, amore dell’esistenza amore del piacere, zwischen denen sich der Umschlagpunkt der Positivität der Lebensimpulse ausbildet. Das bloße und existentielle Leben gilt für Leopardi als ein Gut an sich. Die existentielle Seite des Lebens setzt Leopardi mit der Natur gleich.

La natura è vita. Ella è esistenza. Ella stessa ama la vita, e procura in tutti i modi la vita, e tende in ogni sua operazione alla vita. (Zib. 3813)

[Die Natur ist Leben. Sie ist Existenz. Sie selbst liebt das Leben und sorgt in jeder Hinsicht für das Leben und strebt in allen ihren Handlungen nach dem Leben.]

Bedürfnisbefriedigung und Selbsterhaltungstrieb sind für Leopardi nicht Grund für menschliches Unglück. Erst in der Abspaltung eines individuellen Lebens, das auf dem amor proprio beruht, auf Ebene der subjektiven Entscheidung in gut und schlecht, Glück und Unglück, erhält das menschliche Leben seine eigentümliche Doppelnatur. Die Natur-Leben-Einheit wird in dem Moment gesprengt, wo es um die Empfindungsqualität geht: So verstanden ist Leben das ‹Gefühl der Existenz›.

Das Streben nach Glück als subjektives Existenzziel der Menschen steht dem generellen Existenzziel der Natur (dem Kreislauf von Kreation und Zerstörung) unvereinbar entgegen. Dieses antagonistische Verhältnis zwischen Natur und menschlichem Leben bildet den Rahmen für Leopardis Lebensbegriff. Dabei stellt Leopardi Vernunft und Gefühl jedoch nicht gegeneinander, desiderio und pensiero sind in der Seele miteinander verbunden. Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Lebewesen einzig darin, dass er ein höheres Empfindungsvermögen aufweist (cf. Zib. 2411sq.).

Dieses Empfindungsvermögen erfährt in der Imagination eine Potenzierung, denn im Raum der Vorstellung ist nicht-endender Genuss zumindest potenziell denkbar (cf. Zib. 167). Doch der Versuch, die an die Endlichkeit materieller Güter geknüpfte Lust in der Vorstellungskraft zu erfüllen, führt zu einer Vergeistigung und Spiritualisierung dieser Lust und damit zu einem noch größeren Unglücksempfinden.3 Wir befinden uns in einer Zwickmühle: Was materiell für uns verfügbar ist, reicht uns nicht. Und was uns erfüllen würde, das Unendliche, ist nicht für uns verfügbar, außer in seiner negativen Form, als Nichts.

3. Das Unbestimmte – L’indefinito

Ein Dilemma, das sich nur in der poetischen Praxis auflösen lässt, wie Leopardi in seinem berühmtesten Gedicht L’infinito auf geniale Art und Weise demonstriert. Obwohl L’infinito in seiner nunmehr 200-jährigen Geschichte unzählige Interpretationen erfahren hat, möchte ich es zur Veranschaulichung der affirmativen Kraft, die im Lebensbegriff Leopardis steckt, ein weiteres Mal bemühen.

Sempre caro mi fu quest’ermo colle,

e questa siepe, che da tanta parte

dell’ultimo orizzonte il guardo esclude.

Ma sedendo e mirando, interminati

spazi di là da quella, e sovrumani

silenzi, e profondissima quiete

io nel pensier mi fingo; ove per poco

il cor non si spaura. E come il vento

odo stormir tra queste piante, io quello

infinito silenzio a questa voce

vo comparando: e mi sovvien l’eterno,

e le morte stagioni, e la presente

e viva, e il suon di lei. Così tra questa

immensità s’annega il pensier mio:

e il naufragar m’è dolce in questo mare. (L’infinito, vv. 1–15)

[Immer war dieser verlassene Hügel mir lieb | und diese Hecke, die den Blick | auf weite Teile des Horizonts verwehrt. | Doch wenn ich hier sitze und schaue, denke ich |

mir unbegrenzte Räume jenseits von diesem aus | und übermenschliche Stille und tiefste Ruhe, | wo das Herz sich nicht | so leicht ängstigt. Und wenn ich den Wind | durch diese Büsche rascheln höre, vergleiche ich | das grenzenlose Schweigen mit diesem Laut: | ich gedenke der Ewigkeit und der verstorbenen | Jahrhunderte sowie des jetzigen, lebendigen, | und dessen Lärm. In dieser Unendlichkeit | versinkt mein Denken, und süß ist mir | das Untergehen in diesem Meer.]1

Wie alten Freunden begegnet das lyrische Ich dem einsamen Hügel und der Hecke in der Vorfreude auf eine vergnügliche Zeit. Während die Hecke den Blick begrenzt und sich damit eine grenzenlose Vorstellungswelt auftut,2 findet das ewig begehrende Herz in der fingierten Empfindungslosigkeit kurzzeitig Frieden. Dann allerdings hebt der Wind an und bringt die Materialität der Welt zurück.3 Es wird deutlich, dass der Körper der Ort der Erinnerung («vo comparando») und der Wahrnehmung des Hier und Jetzt ist und sich der pensiero eben doch nicht von ihm lösen kann. Die körperliche Wahrnehmung ist unbestimmt4, das Rauschen des Windes erzeugt selbst kein Bild, sondern öffnet einen Erinnerungsraum, in dem die zeitlichen Ebenen verschwimmen und die subjektive Ebene sich auflöst.5 Als der pensiero untergeht, erklingt die Poesie der Gegenwart6. In annegare steckt die Negation, der Gedanke negiert sich selbst und mit ihm die ganze Sphäre der Subjektivität7.

Wenn also desiderio und pensiero Voraussetzungen für das Leben sind (cf. Zib. 165), folgt aus ihrer Aufhebung auch die Auflösung des Lebens und sein Aufgehen im nulla. Anders als der philosophische pensiero evoziert das Gedicht aber nicht das Nichts, sondern ein süßes Meer als letztes Lebens-Zeichen des untergehenden Ichs. Darin liegt gerade das äußerste Vergnügen: im Loslassen, im Kontrolle-Verlieren, im Sich-selbst-Vergessen (cf. Zib. 4074). Die tödliche Kraft des desiderio wird ausgehebelt, es öffnet sich eine Dimension des Nicht-Wissens. Die Unermesslichkeit, in der der pensiero schließlich untergeht, ist nicht die Unendlichkeit, zu der weder der Intellekt noch die Vorstellungskraft tatsächlich Zugang haben, sondern l’indefinito: «O un infinito impuro, mescolato al ‹qui›, al presente»8 [«Oder eine unreine Unendlichkeit, vermischt mit dem ‹Hier›, mit der Gegenwart»].

Das Unbestimmte reicht in seiner sinnlichen Funktion über den pensiero hinaus. Es löst eine Bewegung aus, die die Unterscheidung zwischen Leben und Tod, pensiero und desiderio, bloßer Existenz und empfundenem Leben verunmöglicht. Anders als das nulla löscht es jedoch nicht aus, sondern bewahrt in der Empfindung eine lebendige Potenz.9

Die ‹Poetik des Unbestimmten› mit ihrer biologisch-poetischen Potenz bildet den Pol, an dem sich das Leben gegen das Nichts behaupten kann.

4. Anschlüsse: Agamben, Esposito

Indem Leopardi die Poetik des Unbestimmten an dem Punkt ansetzen lässt, wo die Theorie der Lust Aporien aufwirft, zeigt er an, dass es sich dabei um das Produkt einer Praxis handelt, die nicht ursächlich auf Wissen und Technik zurückführbar ist. Der Umschlagpunkt von Nichts in Leben kann nur erzeugt werden, indem er passiert: im doppelten Sinn von ‹geschehen› und ‹vorbeigehen›. Das Leben erscheint dabei als reines Vermögen, das sich nicht politisieren lässt, weil es kein verwertbares Wissen über das Leben hervorbringt.1 Leopardis Lebensbegriff ist auf der Schwelle zwischen Theorie und Praxis angesiedelt. Das macht ihn für heutige Anschlüsse interessant.2

Hier knüpft auch Roberto Esposito an. In Weiterentwicklung des Paradigmas, das von Michel Foucault aufgeworfen und von Giorgio Agamben erweitert wurde,3 hat er mit der ‹affirmativen Biopolitik› eine politische Theorie entworfen, die das Leben nicht in Funktion der Politik denkt, sondern eine Theorie des Lebens ist. In Pensiero vivente liest er Leopardi im Rahmen der paradigmatischen Achsen, um die sich für ihn ein spezifischer pensiero italiano gebildet hat (Politik, Geschichte und Leben).4 Leopardis pensiero verortet er im Paradigma der ‹storicizzazione del non storico›.5

 

Esposito gruppiert Leopardi in eine Linie mit Vico und De Sanctis, da er in seiner Lektüre bei allen dreien das Problem des Ursprungs attestiert, zu dem es für den Menschen keine Rückkehr gebe. Die natürliche Existenz, die mit dem glücklichen Leben in eins fällt, ist im Menschen unwiederbringlich verloren. Die Versuche Leopardis, das Gift, also die überbordende Vernunft, aus der menschlichen Natur auszuleiten, haben für Esposito immunisierenden Charakter,6 die letztlich zu Aporien führen. Dazu gehört die ständige Ablenkung und Bewegung, für die es Vitalität braucht, die ja im Abnehmen begriffen ist; außerdem die Flucht in eine Vorstellungswelt, die es mit der Wirklichkeit jedoch nicht aufnehmen kann; schließlich die moderne Poesie, in der in bewusster Täuschung eine ‹zweite Natur› fingiert wird. Auch in Espositos Lektüre kommt es an diesem Punkt zur vitalistischen Kehre: Wo sich pensiero und illusione zunächst gegenseitig bekämpfen, lässt sich das Konzept im pensiero poetante positiv umkehren. Die Philosophie, die der Poesie Raum lassen muss, wird zur ‹ultrafilosofia›, in der die Souveränität des Todes Anerkennung findet.7 Die vitale Kraft der Poesie liegt nicht in dem, was sie uns sagt, sondern allein darin, Poesie zu sein. Esposito übersetzt diesen Gedanken in die Formel einer Gemeinschaft, die nichts gemeinsam habe außer dem Nichts (‹niente-in-comune›). Mit seiner Lektüre betont Esposito also die affirmative Seite von Leopardis Lebensbegriff, die sich in seine eigene Konzeption einer affirmativen Biopolitik einfügt, in der die Biomacht eine Macht des Lebens ist.

Zum Schluss möchte ich noch einmal zu L’infinito zurückkehren, denn in seinem Gedicht-Sein führt es uns die Qualität von Leopardis Lebensbegriff am deutlichsten vor Augen. Es gibt darin keinen Endpunkt, weder zwischen den Wogen der sinnlichen Empfindung noch in der Stille, die ihnen nachfolgt. Das dolce des letzten Verses verweist zurück auf das caro im ersten, wo schon das erste Wort sempre die Wiederholung anzeigt, die ewige Kreisbewegung.8 Auf biologisch-poetischer Ebene kann das Gedicht auch wie ein ganzer Atemzug gelesen werden, bis zur vollständigen und tiefen Ausatmung auf mare. Das Leben ist für Leopardi nicht in einer einzigen Bewegung zu fassen, sondern in einer Pulsation, im Hin- und Herschaukeln zwischen zwei Polen: zwischen ‹il Nulla e la Vita›.

Literatur

Giacomo Leopardi: Tutte le poesie e tutte le prose. A cura di Lucio Felici / Emanuele Trevi. Roma: Newton Compton 2007.

—: «Das Unendliche», in: Italienische Lyrik. 50 Gedichte. Italienisch / Deutsch. Übers. u. hg. von Jürgen von Stackelberg. Stuttgart: Reclam 2004, 54sq.

—: Zibaldone. A cura di Lucio Felici / Emanuele Trevi. Roma: Newton Compton 2016.

Agamben, Giorgio: Il linguaggio e la morte [1982]. Torino: Einaudi 2008.

—: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2015.

Bigi, Emilio: Una vita più vitale. Stile e pensiero in Leopardi. A cura di Cristina Zampese. Venezia: Marsilio 2011.

Binni, Walter: Lezioni leopardiane. A cura di Novella Bellucci. Scandicci: La Nuova Italia Editrice 1994.

—: La nuova poetica leopardiana. Firenze: Sansoni 1971.

Borsò, Vittoria: «Auf der Schwelle von Sichtbarkeit und Sagbarkeit. Zum Ereignis der Sichtbarkeit in der Materialität des Bildes», in: Sieglinde Borvitz / Mauro Ponzi (Hg.): Schwellen. Ansätze für eine neue Theorie des Raums. Düsseldorf: Düsseldorf University Press 2014, 29–46.

Calvino, Italo: Lezioni americane. Sei proposte per il prossimo millenio [1988]. Milano: Mondadori 2014.

Citati, Pietro: Leopardi. Milano: Mondadori 2016.

De Sanctis, Francesco: Schopenhauer e Leopardi. E altri saggi leopardiani. Como: Ibis 2001.

Esposito, Roberto: Bíos. Biopolitica e filosofia. Torino: Einaudi 2004.

—: Pensiero vivente. Origine e attualità della filosofia italiana. Torino: Einaudi 2010.

Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit. Bd. 1. Der Wille zum Wissen [1976]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998.

Gentili, Dario: Italian Theory. Dall’operaismo alla biopolitica. Bologna: Mulino 2012.

Luporini, Cesare: «Nichilismo e virtù nel percorso di Leopardi», in: Franca Janowski (Hg.): Leopardi und der Geist der Moderne. Akten des deutsch-italienischen Kolloquiums, Stuttgart, 10.–11. November 1989. Tübingen: Stauffenburg-Verlag 1993, 115–128.

Prete, Antonio: Il pensiero poetante. Saggio su Leopardi. Milano: Feltrinelli 1980.

—: Finitudine e infinito. Su Leopardi. Milano: Feltrinelli 1998.

—: Il cielo nascosto. Grammatica dell’interiorità. Torino: Bollati Boringhieri 2016.

—: La poesia del vivente. Leopardi con noi. Torino: Bollati Boringhieri 2019.

Roggerone, Giuseppe: Figure e problemi dell’età dei lumi. Lecce: Milella 1986.

Severino, Emanuele: In viaggio con Leopardi. La partita sul destino dell’uomo. Milano: Rizzoli 2015.

Thüring, Hubert: «Die unbestimmte Empfindung. Giacomo Leopardis Lebensbegriff als (negative) Wissenspoetik zwischen Theorie der Lust und Poetik des Unbestimmten», in: Gabriele Brandstetter / Gerhard Neumann (Hg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, 179–212.

—: Das neue Leben. Studien zu Literatur und Biopolitik 17501938. Paderborn: Fink 2012.

Timpanaro, Sebastiano: Alcune osservazioni sul pensiero di Leopardi. Presentazione di Antonio Prete. Chieti: Solfanelli 2015.

II HEITERKEITEN
«Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst»

Leopardis Konzepte der Heiterkeit

«È seria la vita, allegra è l’arte»

Concetti leopardiani della serenità

Milan Herold

Leopardis poetische und philosophische Negativitätskonzepte lassen Raum für eine eigene Form der Heiterkeit. Während sein Werk gemeinhin dem Pessimismus zugeordnet wird, lassen sich semantische Einschränkungen rekonstruieren, die nur ungenau als eine poesia del nulla rubriziert werden. Gegen die geläufige Vereindeutigung – etwa die oft unhinterfragte Einteilung in drei Phasen des pessimismo – werden die Konzepte der Vagheit und der Ambiguität im engeren Sinne (unterbestimmt / überbestimmt) eingeführt. In seinen Briefen, im Zibaldone, in den Canti und in den Operette morali lässt sich eine Distanzierung von reiner Negativität erkennen, wenn nicht gar Ansätze zu einem Ausweg aus dem Pessimismus. Statt dieses globalen Begriffs sollte derjenige eines ‹realistischen Skeptizismus› verwendet werden, der lediglich zu pessimistischen Konsequenzen führt.

Nella sua opera poetico-filosofica, Leopardi utilizza concetti negativi, che tuttavia ammettono di parlare di una forma propria di serenità. Di solito la sua opera viene considerata come un faro del pessimismo, però è possibile ricostruire certe riserve in merito al pessimismo. L’articolo argomenta a favore di una cessazione del parlare di una poesia del nulla. Al posto di una tale semplificazione e riduzione, l’articolo propone i termini della vaghezza e dell’ambiguità in sensu stricto (sottodeterminato / sovradeterminato), al fine di esaminare figure nascoste che permettono di distanziarsi da un pessimismo stretto e semplice. Evitando una negatività pura, le lettere, lo Zibaldone, i Canti e le Operette morali offrono la prospettiva di una via di scampo a un pessimismo assoluto. In cambio, parlando di uno ‹scetticismo realistico›, si può dedurre che certe conseguenze pessimistiche non sono che effetti secondari.

Schlagwörter: Ambiguität, Negativität, Heiterkeit, Skeptizismus

Parole chiave: ambiguità, negatività, serenità, scetticismo

E in questo rispetto forse io concederei similmente al Leibnizio che il mondo presente fosse il migliore di tutti i mondi possibili.

(La scomessa di Prometeo)

PASSEGGERE: Ma se aveste a rifare la vita che avete fatta né più né meno, con tutti i piaceri e i dispiaceri che avete passati?

VENDITORE: Cotesto non vorrei.

(Dialogo di un venditore d’almanacchi e di un passeggere1)

Leopardi schreibt in einem Brief vom 24. Mai 1832 an den befreundeten Schweizer Altphilologen und Orientalisten Louis de Sinner: «Mes sentiments envers la destinée ont été toujours ceux que j’ai exprimés dans Bruto minore» (1416). Die historische Figur und sein Gedicht sind dem Autor persönliches Sinnbild seiner Verzweiflung am Leben. Es sollte dennoch vermieden werden, sein Werk stark autobiographisch zu lesen und es so auf falsche Eindeutigkeit zu reduzieren. Gerade im zitierten Brief wehrt sich Leopardi gegen eine solche Reduktion: «[O]n a voulu considérer mes opinions philosophiques comme le résultat de mes souffrances particulières […]. Avant de mourir, je vais protester contre cette invention de la faiblesse et de la vulgarité, et prier mes lecteurs de s’attacher à détruire mes observations et mes raisonnements plutôt que d’accuser mes maladies» (1417).2 Das ist zwar keine Aufforderung an den Leser, eine destruktive Lektüre vorzunehmen, die etwa Leopardis Pessimismus und seine Annahmen kritisierte oder zu widerlegen versuchte. Es werden aber einige poetologische Aussagen à rebours gelesen und Ambiguitäten aufgezeigt, die man auffassen kann als anti-pessimistische Strategien und als Formen der Heiterkeit.

‹Heiterkeit› bedeutet nicht dasselbe wie ‹Glück› und ist daher auch mit Pessimismus vereinbar. Glück im Sinne von εὐδαιμονία, etwa in Aristoteles’ Nikomachischer Ethik, ist das höchste Gut und Ziel des Lebens, hängt aber stark auch von äußeren Umständen ab. Heiterkeit hingegen, griechisch ἱλαρός/ἵλαος, ist eine Form der Seligkeit (ὅλος/serenus). Leopardis Werk lässt sich für den Autor und Leser3 als ein Antidoton gegen den Pessimismus verstehen. Seine teoria del piacere ist lesbar als ein Versperren des Glücks, und serenità ist insofern der δεύτερος πλου̃ς, die zweitbeste Fahrt, von der Platon im Phaidon spricht. Leopardis Werk, vor allem wenn man es in Gänze liest, wappnet oder impft auch den Leser gegen ein Durchschlagen, gegen ein Total-Werden des pessimismo. Eine negative Lust, eine reflektierte Ästhetisierung und eine Poetik des Lachens sind maßgebliche anti-pessimistische Strategien, und Leopardi ist immer auch selbst Leser seines Werks.

«Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.» Schillers berühmter Vers aus dem Prolog zum Wallenstein, bei dessen Uraufführung in Weimar Goethe Theaterleiter war, lässt sich exemplarisch auf Leopardi übertragen.4 Denn auch für ihn gilt, dass «[d]iese berühmte Formel […] keine sorglose Abstraktion von der Wirklichkeit [meint], sondern […] darauf [verweist], dass die Kunst einen Freiraum gewährt, der eine kritische Distanz zu den Zwängen des Realitätsprinzips konstituiert»5. Harald Weinrich stellt 1968 «Drei Thesen von der Heiterkeit der Kunst» auf:

I. Die Literatur steht allgemein der Negativität näher als dem Positiven.

II. Die Heiterkeit der Kunst ist eine irreduktible Rollenqualität des Publikums.

III. Die Negativität der Literatur kann aufgefaßt werden als ein Gegensteuern der Autoren gegen die Heiterkeit der Kunst.6

Während die ersten beiden Thesen wohl klarerweise auf Leopardis Prosa und Poesie zutreffen, möchte ich im Folgenden dafür argumentieren, dass die dritte These abgewandelt werden sollte, um die Gründe zu verstehen, warum Leopardis Denken fasziniert: Die Negativität der Literatur produziert selbst eine Form der Heiterkeit. Diese Heiterkeit könnte man eine Heiterkeit zweiter Stufe oder eine reflexive Heiterkeit nennen. Leopardi selbst spricht serenità den geistig einfachen Menschen und manchen Tieren zu:

Si dice male che la noia è un mal comune. La noia non è sentita che da quelli in cui lo spirito è qualche cosa. […] Anche gli uomini sono, la più parte, come le bestie, che a non far nulla non si annoiano; come i cani, i quali ho ammirati e invidiati più volte, vedendoli passar le ore sdraiati, con un occhio sereno e tranquillo, che annunzia l’assenza della noia non meno che dei desiderii. (Zib. 4307)

 

[Es ist falsch zu sagen, die Melancholie sei ein gemeines Übel. Die Melancholie wird nur von denjenigen gefühlt, die wirklichen Geist haben. […] Auch die Menschen sind meist wie die Tiere, insofern sie sich nicht langweilen, wenn sie nichts tun; wie die Hunde, die ich häufig bewundert und beneidet habe, wenn ich sie Stunden ausgestreckt habe verbringen sehen, mit einem heiteren und ruhigen Blick, der die Abwesenheit der Langeweile ankündigt, noch mehr die von Begierden.]7

Samuel Beckett hat in Variationen diesen Gedanken aufgenommen, dass das Begehren selbst abzuschaffen sei. Darin bestünde der Umweg, der teoria del piacere als anthropologischer Konstante zu entkommen. Das wird bereits in Becketts Proust-Schrift deutlich. In den frühen Ausgaben findet sich als Motto auf der Titelseite «E fango è il mondo» [«und Schlamm ist die Welt»]. Der Vers aus A se stesso (v. 9) benennt das Problem des Aufsatzes: «[t]he identification of the subject with the object of his desire» und in dieser Verschränkung «[t]he subject has died and perhaps many times – on the way»8. Insofern das Subjekt mit dem Objekt seiner Begierde gleichgesetzt wird, ist es bereits – und vielleicht mehrfach – auf dem Weg (zu) dieser Gleichsetzung gestorben. Ein weiterer Vers aus A se stesso wird als Lösungsversuch dargestellt: «the wisdom of all the sages, from Brahma to Leopardi, the wisdom that consists not in the satisfaction but in the ablation of desire: ‹In noi di cari inganni | non che la speme, il desiderio è spento›»9 [«In uns ist der lieben Trugbilder nicht nur die Hoffnung, auch die Begierde erloschen»]. Das Begehren, das Leben, der amor sui lassen sich aber nicht beenden. Die Literatur gibt nicht Wegweiser an die Hand, wie der Begierde zu entkommen wäre. Sie registriert allerdings die Paradoxie, die sich aus der Begierde ergibt, die Begierde selbst aufheben zu wollen.10

Wenn Glück unmöglich ist, bietet sich die Indifferenz gegenüber Glück und Unglück an. Stoizismus ist allerdings weder Leopardis Ziel noch Teil seiner Überzeugungen. So schreibt er am 16. August 1827 an Francesco Puccinotti: «Sono stanco della vita, stanco della indifferenza filosofica [sc. Stoizismus], ch’è il solo rimedio de’ mali e della noia, ma che in fine annoia essa medesima» (1347 [«Ich bin des Lebens müde, müde der philosophischen Indifferenz, die das einzige Heilmittel gegen die Leiden und die Melancholie ist, aber die letztlich ihrerseits langweilt»]). Lyrisch kommt die Ablehnung des Konzepts der Ataraxie etwa in den letzten Versen von Aspasia zum Ausdruck:


[…] Cadde l’incanto,
e spezzato con esso, a terra sparso
il giogo: onde m’allegro. E sebben pieni
di tedio, alfin dopo il servire e dopo
un lungo vaneggiar, contento abbraccio
senno con libertà. Che se d’affetti
orba la vita, e di gentili errori,
è notte senza stelle a mezzo il verno,
già del fato mortale a me bastante
e conforto e vendetta è che su l’erba
qui neghittoso immobile giacendo,
il mar la terra e il ciel miro e sorrido. (Aspasia, vv. 101–112)

[Doch es fiel der Zauber, und mit ihm zerbrach auf der Erde verstreut das Joch: darüber freu ich mich. Und obgleich voll des Überdrusses, endlich nach der Knechtschaft und einem langen Fantasieren, umarme ich zufrieden Verstand mit Freiheit. Wenn das Leben der Gefühle und der lieben Irrtümer beraubt, ist es eine sternenlose Nacht mitten im Winter, und das Todesschicksal genügt mir schon und Trost und Rache ist es, dass ich hier liege, träge und unbeweglich auf dem Gras, das Meer, die Erde und den Himmel anschaue und lächle.]

Aspasia ist wie die meisten seiner Liebesgedichte eine Abwandlung und Parodierung der Tradition der Fernliebe, der amor de lonh.11 So sagt er in der Ankündigung zur Bologna-Ausgabe der Kanzonen von 1824 über Alla sua donna, es werde «la donna che non si trova» (222) behandelt. Während Il primo amore die Aufarbeitung der ersten Liebe ist, die im Diario (del primo amore) Eingang findet, nennt er Alla sua donna ein «fare all’amore col telescopio» (222).12 Die donna ist ‹die Eine› und das Ideal, der Mond, zugleich: «Se dell’eterne idee | l’una sei tu, […] | questo d’ignoto amante inno ricevi» (Alla sua donna, v. 45sq., 55; M.H. [«Wenn du eine der ewigen Ideen bist, empfängst du diese Hymne eines unbekannten Liebhabers»]). Eine entsprechende Überhöhung findet auch in Aspasia statt. Außer an die Offenbarung (Off. 21,1) erinnert diese Stelle an Dantes Vita nova in der Wiederholung von «novo», allerdings im Kontext einer Quasi-Epiphanie:


[…] Apparve
novo ciel, nova terra, e quasi un raggio
divino al pensier mio. […] (Aspasia, vv. 26–28)

[Da erschien ein neuer Himmel, eine neue Erde und fast ein göttlicher Strahl meinem Denken.]

Eine reale Frau als Möglichkeit eines neuen Lebens anzusehen, wird reflektiert als der grundlegende Denkfehler des lyrischen Ichs. Deshalb wird abschließend die unerwiderte Liebe ins Positive gewendet. Das lyrische Ich nimmt den «tedio» (v. 104) heiter an – «m’allegro» (v. 103), «contento» (v. 105) –, findet Verstand und Freiheit wieder – «senno con libertà» (v. 106) – und kann schließlich lächeln: «sorrido» (v. 112). Heiterkeit ist hier Ergebnis einer uneigentlichen Ataraxie, da sie sich nicht als Ergebnis eines inneren Kampfes einstellt, sondern aus einer von außen herbeigeführten Niederlage. Auch die Liebesgedichte stehen im Zeichen der Sinnlosigkeit der Existenz, die für Leopardi spätestens seit der ‹Entdeckung› der Sinnlosigkeit der Geburt feststeht.

Unter der Hand und quasi gegen seinen Willen produziert Leopardis Sprache Sinn und damit Positivität; bzw. in Abwandlung der Theodizee mit Schelling gefragt: «Warum ist Sinn überhaupt, warum ist nicht Unsinn statt Sinn?»13 Größte existenzielle Verzweiflung und tiefste Erfahrung von Sinnlosigkeit produzieren notwendigerweise, insofern sie ausgesprochen werden, Sinn und Hoffnung. Diese Dialektik im Gedicht zu reflektieren, ist ein Grundzeichen moderner Dichtung. Die autobiographische Anekdote zur «mutazione totale in me» (Zib. 143sq.) ist Kern eines eigenen Leopardi-Mythos. Die Unterscheidung in drei verschiedene Phasen des Pessimismus – eines pessimismo individuale, storico und cosmico – leitet sich daraus ab. Der Übergang vom Philologen und Dichter zum (dichtenden) Philosophen habe sich im Jahr 1819 ereignet. In einem «secolo impoetico», so seine Analyse, entwirft er das Projekt einer «poesia non poesia» (Zib. 4497).14 Es gibt gute Gründe dagegen, bei Leopardi verschiedene pessimismi zu unterscheiden. Aus hermeneutischen Gründen ist es jedenfalls angemessener, von einem realistischen Skeptizismus zu sprechen, der zu pessimistischen Konsequenzen führt. Gerade wegen seiner negativen Sicht auf die Wirklichkeit besitzt Leopardi eine Poetik der doppia vista. Sie löst die Formulierung ein, dass der Unterschied zwischen Poesie und Prosa, zwischen Antike und Moderne nicht absolut, sondern nur fast unüberbrückbar sei: «E s’io mi metteva a far versi, le immagini mi venivano a sommo stento, anzi la fantasia era quasi disseccata» (Zib. 144 [«Und wenn ich begann, Verse zu schreiben, kamen mir die Bilder sehr mühevoll, denn die Phantasie war fast verdorrt»]). Im «quasi»15 wird das Versprechen einer Poetik der Vagheit gegeben.

Eine der grundlegenden Techniken zu dichten besteht für Leopardi in der Verwendung romantischer Bilder und illusioni. Diese sind gleichsam als Zitat eingeklammert, eingesetzt im Zeichen der Melancholie und im Bewusstsein, dass keine poetische Illusion fähig wäre, Hoffnung oder Flucht ungebrochen darzustellen.16 An dieser Stelle ähnelt seine Position derjenigen Schillers, der von der ästhetischen Kategorie des Naiven in Über naive und sentimentalische Dichtung 1795 schreibt, dass es ein Gefühl sei, «welches wir für die Alten haben. Sie empfanden natürlich; wir empfinden das Natürliche».17 Das hebt Leopardis bereits im unpublizierten Antwortschreiben auf Germaine de Staëls Brief an die italienische Nation hervor. Der Prozess des Schreibens erlangt den Rang einer Lebenskunst. Eine anti-pessimistische Strategie des Leopardi-Mythos liegt in seiner Wirkung auf den Leser.

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