Kultur- und Literaturwissenschaften

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Aus der Reihe: Kompendium DaF/DaZ #7
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1.2.4 Dimensionen interkulturellen Trainings

Ziel des interkulturellen Trainings ist es, mithilfe vermeintlich allgemeingültiger Kategorien kulturelle Eigenschaften, Orientierungen, Dimensionen oder Denk- und Deutungsmuster zu beschreiben, die über die dadurch herstellbare Vergleichbarkeit den schnellen Zugang zu fremden Kulturen ermöglichen. In Lerneinheiten 3.1 und 3.2 von Ulrich Bauer wird gezeigt, welchen Einsatz Verfahren finden können, die nicht von statischen Kulturzuschreibungen ausgehen. Hier sollen jedoch die verbreiteten Modelle interkulturellen Trainings kritisch dargestellt werden, weil sie oft – unkritisch und unreflektiert – in der Praxis herangezogen und gelegentlich auch für Forschungszwecke zitiert oder bemüht werden. Die massenhafte Anwendung täuscht dabei über die wissenschaftliche Problematik dieser Ansätze leicht hinweg. Deswegen ist es wichtig, ihre Grundlagen zu kennen. Der ehemalige IBM-Mitarbeiter Hofstede (1991) etwa betrachtet Kultur als mentale Software, die in einem Sozialisierungsprozess kulturell programmiert wird. Im Laufe dieser Sozialisation und vor allem in der Primärsozialisation, der Kindheit, erwerbe das Individuum bestimmte Muster des Denkens, des Handelns und des Fühlens, die als Werte und Haltungen umschrieben werden. Diese fasst Hofstede in folgende Dimensionen und weist ihnen eine Polarität zu:

 power distance (PDI, Machtdistanz – Machtnähe);

 individualism versus collectivism (IDV, Individualität – Kollektivität);

 masculinity versus femininity (MAS, Maskulinität – Femininität);

 uncertainty avoidance (UAI, Toleranz der Unsicherheit);

 long-term versus short-term orientation (LTO, langfristige – kurzfristige Zeitorientierung);

 indulgence versus restraint (IVR, Befriedigung – Einschränkung).

Auf der Grundlage umfangreicher Befragungen (mit vorgegebenen Kriterien und Skalen) lässt sich damit für jede Nationalkultur ein Profil erstellen. In Deutschland gibt es demnach eine niedrige Distanz zur Macht, eine flache Hierarchie, eine mittlere Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung und eine mittlere bis höhere Tendenz zum Individualismus. Durch eine Skalierung lassen sich die Dimensionen operationalisieren. So erreicht Singapur den Wert 20 (aus 100) auf der Kollektivitäts- beziehungsweise Individualitätsskala, was es zu einem relativ kollektivistischen Land macht, während die USA mit dem Wert 91 als relativ individualistisch gelten. Guatemala erzielt bei dieser Dimension den niedrigsten Wert, ist also die kollektivistischste Kultur der Welt, Schweden die feministischste.

Eine dynamische Komponente oder eine Entwicklungskomponente der Dimensionen ist bei Hofstede nicht vorgesehen. So bleibt ungeklärt, wie es zur Ausprägung der vermeintlichen Kulturspezifika und ihrer möglichen Weiterentwicklung kommt. Die fehlende Dynamik im Ansatz von Hofstede hat zudem Auswirkungen auf das homogene Kulturverständnis seines Modells, nach dem alle Individuen einer Kultur mit derselben „Software“ ausgestattet sind und somit die Existenz interindividueller Unterschiede weiterer Faktoren außer Acht gelassen wird.

Auch Trompenaars (1993) geht in seinem Ansatz ähnlich vor wie Hofstede. Anders als Hofstede betrachtet er Kultur aber als einen dynamischen Prozess des Lösens menschlicher Probleme. Die Betrachtung beschränkt er dabei auf menschliche Beziehungen, Zeit und Natur. Den Gesamtbereich der menschlichen Existenz bezieht Trompenaars‘ Modell nicht mit ein. Trompenaars charakterisiert Kultur anhand eines Zwiebelschalenmodells. Nach außen hin sichtbar sind die explizite Kultur, die Gegenstände und Produkte. Man kann sagen, die Artefakte. Die mittlere Schalenebene stellen Definitionen einer Gruppe, Werte und Normen dar. Im Kern befinden sich die grundlegenden Annahmen über die Existenz impliziter Kultur. Es handelt sich also um ein dreistufiges Modell, dessen Darstellungsrichtung von innen nach außen geht. Auch Trompenaars’ Modell liegt die Annahme zugrunde, dass die Kultur homogen sei und einer Nationalkultur entspreche. Kulturelle Stratifikationen oder andere Differenzierungen kommen in dem Modell ebenfalls nicht vor.

Trompenaars (1993) verwendet dafür die folgenden universalen Kriterien zur Bestimmung kultureller Werte:

 in der Beziehung mit Menschen: Universalismus versus Partikularismus, Individualismus versus Kollektivismus, Neutralität versus Affektivität, Spezifik versus Ungerichtetheit, Erbringung versus Zuschreibung beziehungsweise Zufallen von Verdiensten;

 in Einstellungen gegenüber der Zeit: Linearität versus Zirkularität;

 in Einstellungen gegenüber der Umwelt: Kontrolle innerhalb des Individuums versus Kontrolle innerhalb der Natur.

Zu Trompenaars‘ Modell gibt es ebenfalls Operationalisierungversuche auf Basis bipolarer Skalen, auf denen die Begriffspaare angeordnet werden. So ergibt sich ein bestimmter Grad (Wert) der Merkmalspolarität (vergleiche dazu auch die verwandten Einteilungen von Brake, Walker & Sullivan 1992).

Von drei Ebenen geht auch das Verhaltensmustermodell von Meyer (1991) aus. Auf der monokulturellen Ebene bestimmen demnach Verhaltensmuster der eigenen Kultur und Stereotype, Klischees und Ethnozentrismus das Verhalten. Auf der interkulturellen Ebene erfolgen informations- und wissensbezogene Relativierungen kultureller Differenzen ähnlich den Dimensionen oder Kulturstandards in anderen Ansätzen. Auf der transkulturellen Ebene erfolgt schließlich das kulturübergreifende Verstehen mittels Aushandlungsprozessen, die auf der Basis internationaler Kooperations- und Kommunikationsprinzipien operieren. Wie diese Prozesse sich entwickeln, ablaufen und vermittelbar sind, erklärt auch dieses Modell nicht.

Experiment

Auf der Webseite www.clearlycultural.com lassen sich die Daten vieler Länder zu Hofstedes kulturellen Dimensionen ablesen und vergleichen.

Gehen Sie auf die Webseite und vergleichen Sie Ihr Heimatland mit einem Zielland Ihrer Wahl, dessen Kultur Sie gut kennen und einordnen können. Würden Sie den Vergleichsergebnissen zustimmen? Was sehen Sie kritisch? Tauschen Sie sich mit Personen in Ihrem Umfeld, die ebenfalls beide Kulturen gut kennen, aus.

Viele Verfahren des interkulturellen Trainings beziehen sich auf die Arbeiten von Hall und Hall (1990), Hall (1976). Auch er betrachtet Kultur als „riesigen, komplexen Computer“, der spezifische zugrundeliegende Strukturen (basic patterns) aufweist. Mitglieder einer Kultur teilen demzufolge verinnerlichte Verhaltenscodes und unbewusste Bedeutungszuschreibungen, eine „Silent Language“, miteinander. Hall strukturiert interkulturelle Kommunikation – wie Hofstede nach ihm – mittels verschiedener Dimensionen. Diese Dimensionen betreffen bei ihm aber die Formen der Entscheidungsfindung, der Kommunikation, der Organisation, der Innovation, der Anerkennung und der Kontrolle. Die zwei wichtigsten Gruppen, die sich aus den Dimensionen ergeben, sind die high context Kulturen und die low context Kulturen. In den high context Kulturen ist es weniger üblich, die Dinge direkt beim Namen zu nennen, ihre Bekanntheit wird implizit vorausgesetzt und das Erwähnen zahlreicher Details kann als negativ empfunden werden. Der Gesichtsausdruck der Gesprächspartner beziehungsweise -partnerinnen, Anspielungen, die Umstände der Begegnung und viele Kontextfaktoren sind nach Hall in Kulturen mit hohem Kontext eigene nicht zu unterschätzende Informationsträger. In Kulturen mit low context erwarte man nicht, dass der Großteil der Information bereits bekannt oder ohne sprachlichen Ausdruck erkennbar sei. Sprecher fühlen sich verpflichtet, möglichst präzise Angaben zu machen. Auch das kulturtypische Zeitverständnis spielt bei Hall eine konstitutive Rolle. Hall unterscheidet tendenziell zwischen monochronen und polychronen Kulturen. In monochronen Kulturen ist es demnach üblicher, das heißt, es wird mit größerer Wahrscheinlichkeit als normal akzeptiert, einzelne Arbeitsschritte nacheinander zu tun. Hier sei das Einhalten des Zeitplans sehr wichtig, die Erledigung von Aufgaben zähle mehr als die Pflege persönlicher Beziehungen. In polychronen Kulturen gelte das Erledigen mehrerer Handlungen nebeneinander als eher üblich. Der Zeitplan sei ein Kann, aber kein Muss, Angehörige polychroner Kulturen seien flexibler und setzten die Priorität auf persönliche Beziehungen. Die Erledigung einer Aufgabe sei dagegen eher nachrangig. Eine ähnliche grundlegende Bedeutung hat auch die räumliche Organisation. Hall hebt dabei die Bedeutung von Distanzzonen hervor. Das sind Räume, die von Individuen unbewusst als intime, persönliche und öffentliche Distanzzonen unterschieden werden. Diese können sich mit steigender Vertrautheit zwischen Personen verändern. Je nach Kultur haben diese Zonen jeweils unterschiedliche Ausmaße.

Zu welchen Ergebnissen Charakterisierungen dieser Art kommen, kann man anhand von vermeintlich nationalen Orientierungen und Charakteristika in praktischen Handreichungen ablesen, wie es exemplarisch die Beschreibung „der Österreicher“ in dem amerikanischen interkulturellen Ratgeber Kiss, Bow and Shake Hands (Morrison & Conaway 2007) tut:


Abbildung 1.4: Kulturorientierung „der Österreicher“ nach Morrison und Conaway (2007: 6f)

Detailbeschreibungen zu wichtigen Verhaltensmustern werden in diesem Ratgeber von Morrison und Conaway (2007: 366) im Anschluss an die globale Darstellung der nationalen Eigenschaften in wenigen Kategorien knapp zusammengefasst. Hier zur Illustration ein Beispiel, wie „der Schwede“ sich zur Gestik verhält:

 

Abbildung 1.5: Gestik „der Schweden“ nach Morrison und Conaway (2007: 366)

Die stereotype, deterministische Darstellung von Kulturen, die nicht erklärt, wie sich die Dimensionen oder Standards entwickeln, die nicht auf Binnendifferenzierung, Veränderbarkeit, Dynamik, Identitätsbildung und Gruppenzugehörigkeit eingeht, wird in den Kulturwissenschaften zunehmend kritisiert.

Dabei wird in der Regel eher implizit, ein essentialistisches und homogenisierendes Verständnis von ‚Kultur‘ bzw. ‚Kulturen‘ vorausgesetzt, wonach es sich bei ‚Kulturen‘ um reale, nach außen mehr oder weniger klar abgegrenzte und nach innen meist mehr oder weniger homogene, meist national oder ethnisch definierte Gruppen von Menschen handelt, die ‚objektiv‘ bestimmte Gemeinsamkeiten des Verhaltens, Wahrnehmens, Denkens und Fühlens ausweisen. […] Homogene Nationalkulturen, wie dieser Begriff sie unterstellt, hat es – zumindest in modernen Industriegesellschaften – wohl noch nie gegeben. (Altmayer 2006: 48)

Homogenisierung und Banalisierung kultureller Prinzipien versucht der Deutungsmuster-Ansatz mittels interpretativer Verfahren zu vermeiden. Als Grundlage dienen ihm dafür kulturelle Produkte aller Art, vor allem auch sprachliche.

1.2.5 Kulturelle Deutungsmuster

Das Konzept des DeutungsschemaDeutungsschemas geht zurück auf die sozialphänomenologische Wissensanalyse von Alfred Schütz (1932) und baut auf der Differenz von subjektiver und objektiver Perspektive auf. Die subjektive Perspektive bezieht sich auf die Konstruktion des Sinnverstehens des Subjekts, die objektive Perspektive stellt demgegenüber eine Konstruktion von sozialen Gesetzmäßigkeiten aus der Beobachterperspektive dar (Reckwitz 2008: 369). Die Unterscheidung der beiden Perspektiven dient als Grundlage einer Differenzierung verschiedener Konstellationen des Fremdverstehens. Hier unterscheidet Schütz, ob es sich um fremde Bewusstseinserlebnisse oder lediglich Handlungsobjektivationen handelt, ob sich das Fremdverstehen auf instrumentelles oder signifikatives Handeln richtet, in welchem räumlichen und zeitlichen Verhältnis sich Interpret und das zu Verstehende zueinander befinden und in welchem Handlungskontext die Verstehensakte zueinander stehen (Reckwitz 2008: 379ff). Situativität und Pragmatik der Perspektive spielen demnach eine entscheidende Rolle. Als zentrales Konzept gelten Deutungsmuster bei Oevermann (1979). In Oevermanns Verständnis geben Deutungsmuster den Rahmen für die Deutungsmöglichkeiten der Akteure, bringen aber Handeln nicht selbst hervor.

Der landeskundlich verdichtete Ansatz, Zugang zu anderen Kulturen über kulturelle Deutungsmusterkulturelles Deutungsmuster zu finden, manifestiert sich im Gegensatz zu dem subjektiven, von verschiedenen Faktoren abhängigen, dynamischen Charakter des Deutungsschemas vor allem in der Rekonstruktion einer objektivierbaren Perspektive aufgrund kultureller Erscheinungen. Unter kulturellen Deutungsmustern versteht man in der Landeskunde – anders als in der Sozialphänomenologie von Schütz – musterhaft verdichtete und im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Einzelelemente des Wissens einer Gesellschaft. Im alltäglichen Sprachgebrauch, aber auch in anderen Medien und Registern werden Deutungsmuster aktiv. Altmayer (2010) geht davon aus, dass diese Muster in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert vorausgesetzt werden können. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung bestehe demnach vor allem darin, die kulturellen Deutungsmuster zu rekonstruieren, sie auf die Ebene des Expliziten zu heben, sichtbar und damit auch lernbar zu machen (Altmayer 2010). Kulturelle Deutungsmuster weisen folgende Charakteristika auf. Sie

 enthalten abstraktes und typisiertes Wissen über einen Erfahrungsbereich;

 dienen dazu, neue Erfahrungen und neue Informationen zu den bestehenden Wissensstrukturen in Beziehung zu setzen;

 sind durch Ablagerungen erfahrungsgesättigt, aber nicht durch individuelle, sondern kollektive Erfahrungen;

 weisen eine gewisse Konstanz und Stabilität auf und werden immer wieder herangezogen;

 sind nicht im kognitiven Apparat des Individuums verankert, sondern einer Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft gemeinsam. (Altmayer 2004: 154)

Typisierungen, Konstanz und Stabilität der kollektiv gegebenen Muster geben jedoch keine echten Hinweise darauf, wie die Aktanten des gesellschaftlichen Konsenses Muster erzeugen und was die Ursachen der Abgeschlossenheit der Muster sein könnten. Begriffe wie Kommunikationsgemeinschaft suggerieren einen vagen Referenzrahmen, realisieren aber weder die Binnendifferenzierung von Gesellschaften noch die zunehmende Offenheit und Veränderbarkeit multikulturell geprägter Gesellschaften. Fremde, untypische Einflüsse bleiben ungeklärt oder sind aus den Deutungsmustern herauszufiltern. Zwar wird postuliert, dass Deutungsmuster veränderbar (vergleiche Lerneinheit 4.3 in diesem Band) und flexibel seien, aber wenn sie sich dem kognitiven Apparat des Individuums als Grundlage jeder Wahrnehmung und Wissensgenerierung entziehen, bleibt offen, wie die Änderung und Verarbeitung ohne kognitiv zu leistende Prozesse erfolgen könnte. Dieses Modell gibt kaum Hinweise auf die Prozesse der Wissensgenerierung, wie sie die Schematheorie liefert, und es verweigert sich explizit empirischen Zugängen.

Von hier aus aber gewinnt auch die Frage nach der Kultur einen völlig neuen Sinn: Als ‚kollektive Standardisierung‘ bzw. als Identifikationsangebot, das mir aus meiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven zur Verfügung steht, ist sie prinzipiell nicht aus einer distanzierten und vermeintlich ‚objektiven‘ Perspektive eines empirischen Beobachters, sondern allein aus der Perspektive eines verstehenden Nachvollzugs der von den beteiligten Subjekten selbst vorgenommenen Sinnzuschreibungen und Identitätskonstruktionen aus zugänglich. Damit aber sind nicht die empirischen Sozialwissenschaften, sondern die verschiedenen Ansätze eines interpretativen Paradigmas, von der Verstehenden Soziologie eines Max Weber oder Alfred Schütz über die hermeneutische Ethnologie eines Clifford Geertz bis zur Hermeneutik Gadamers und der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas die wissenschaftlichen Traditionen, auf die die kulturtheoretische Debatte auch im Fach Deutsch als Fremdsprache Bezug nehmen kann und muss. (Altmayer 2002: 8)

Für den Erwerb neuen Wissens, der Kern der Landeskundevermittlung ist, wäre der Deutungsmuster-Ansatz geeignet, wenn er Hinweise enthalten würde, wie sich ein Lerner ohne Kenntnis dieser Muster und ohne den nötigen – möglicherweise recht elaborierten – Sprach- und Konzeptapparat Zugang zu diesen fremden Mustern verschaffen kann. Dass sich diese aus den bildlichen, textlichen und anderen Produktionen „Kulturschaffender“ von selbst ergeben, ist wegen des Mangels an nötigem Wissen (gerade bei Sprachlernern) unwahrscheinlich. Die Gefahr ist also groß, dass sich kulturelle Deutungsmuster ähnlich wie die dargestellten Modelle des interkulturellen Trainings in der Umsetzungspraxis an vergleichsweise deterministischen, variantenarmen und veränderungsresistenten Vorstellungen einer nationalgeprägten Kultur orientieren. Vom fremden Lerner wird das Erkennen der objektiven Fremdheit im Sinne der von Lösch sogenannten AlienitätAlienität erwartet. Die Unterscheidung von Alienität und AlteritätAlterität – als der vom Individuum konstruierten Fremdheit – wird damit aufgegeben (Lösch 2005: 32f). Wierlacher (1985) versteht das Konstrukt Alterität als Deutungsmittel beziehungsweise Interpretament. Mit modernen konstruktivistisch-semiotischen Kulturkonzepten, wie sie etwa auch von Nünning und Nünning (2003) formuliert wurden, sind kulturelle Deutungsmuster folglich kaum in Einklang zu bringen. Wenn man Kulturen als subjektive Repräsentationen und dynamische Konstruktionen betrachtet, dann ist eine Vermittlung von Sprache und Kultur impliziert, die nicht durch die Präsentation denotativer Fakten oder die Rekonstruktion kohärenter, mehr oder weniger fixierter Muster bewerkstelligt werden kann. Denn

[…] culture is not an object to be described, neither is it a unified corpus of symbols and meanings that can be definitely interpreted. Culture is contested, temporal, and emergent. Representation and explanation – both by insiders and outsiders – is implicated in this emergence. (Clifford 1986: 19)

Mit diesen divergierenden, temporären und emergenten Eigenschaften werden die Grenzen zwischen verschiedenen Konstruktionen aber nicht hinfällig, sondern sinnfällig. Darstellung und Interpretation aus verschiedenen Perspektiven sind konstitutiv für das Verstehen. Klare Konturen sind daraus nicht zu erwarten. „Kulturen nehmen in diskursiven Aushandlungsprozessen unscharfe Konturen an“ (Lösch 2005: 33). Die daraus entstehende Komplexität der Vielfalt von Perspektiven, die zudem widersprüchlich sein können und nicht notwendigerweise ein kohärentes Bild ergeben, kann zu Überforderungen der Lerner führen. Die Fachdidaktiken nehmen sich dieser Gefahr in besonderer Weise an.

1.2.6 Zusammenfassung

In dieser Lerneinheit haben wir uns mit wichtigen Grundlagen und Konzepten der traditionellen Landeskunde kritisch auseinandergesetzt.

 Es wurde gezeigt, dass die trennende Vermittlung landeskundlichen Faktenwissens bei Lernern kaum Wirkung zeigen kann, weil diese die kulturelle Bedeutung der Artefakte kaum verstehen und einordnen können. Das betrifft im Grunde alle Ansätze, die von der Vermittlung von faktischem Wissen und von faktischen Dimensionen und Orientierungen ausgehen, solange sie nicht berücksichtigen, dass deren Bedeutung auch Teil des interkulturellen Verstehensprozesses ist.

 Interessanter erscheint daher die grundlegende Vermittlung von Sprache und Kultur und ihrer gegenseitigen Bedingtheit.

 Gefordert ist also ein linguakultureller Ansatz, der berücksichtigt, dass Sprache Kultur abbildet, aber gleichzeitig auch Kultur schafft.

 Damit aber stehen auch Fragen des Verhältnisses von Sprache und Denken im Mittelpunkt und gleichzeitig auch die Frage, wie ein moderner, offener Fremdsprachenunterricht für kulturelle Vielfalt und das gegenseitige Verstehen sensibilisieren kann.

 Dazu gehört natürlich das Erkennen Können, dass die meisten dieser Ansätze von statischen und homogenen Annahmen ausgehen, die in modernen Gesellschaften so gar nicht (mehr) gegeben sind und im Übrigen kaum geeignet sind, transkulturelles Verstehen zu fördern.

 Dazu gehört auch das Erkennen Können, warum der traditionelle Landeskundebegriff überholt und für eine moderne linguakulturelle Vermittlung ungeeignet ist.

 Gezeigt wurde hier aber auch, was die wichtigsten Elemente einer auf transkulturelles Verstehen ausgerichteten angewandten Kulturwissenschaft sind und wie sie sich im Unterricht anwenden lassen.