Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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Aus der Reihe: Erfurter Theologische Studien #104
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12 Von Bedeutung waren die beiden Hirtenbriefe des Wiener Fürsterzbischofs Johann Joseph von Trautson vom 1. Januar 1752 und des Salzburger Fürsterzbischofs Hieronymus von Colloredo vom 29. Januar 1782 sowie der zumeist übersehene, aber gleichwohl reformistisch bedeutendste Hirtenbrief des Trierer Kurfürsten und Augsburger Fürstbischofs Clemens Wenzeslaus von Sachsen vom 1. November 1783 an den Augsburger Bistumsklerus. Verfasser dieses Hirtenbriefs war Johann Michael Sailer. H. Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte V, Freiburg-Basel-Wien 1970, 604 f.; J. Seiler, Sailers Hirtenbrief für den Augsburger Fürstbischof Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1783), in: Schwaiger, G. / Mai, P. (Hg.), Johann Michael Sailer und seine Zeit (BGBR 16), Regensburg 1982, 209-227.

13 Siehe hierzu Wessenbergs Korrespondenz mit dem Luzerner Stadtpfarrer und Bischöflichen Kommissar Thaddäus Müller. M. Weitlauff / M. Ries, Briefwechsel.

14 Christkatholisches Gesang- und Andachtsbuch zum Gebrauche bei der öffentlichen Gottesverehrung im Bisthum Konstanz, Konstanz 1812.; F. Kohlschein, „Christkatholisches Gesang- und Andachtsbuch zum Gebrauche bei der öffentlichen Gottesverehrung im Bisthum Konstanz“ (Konstanz 1812), in: ders. / Küppers, K. (Hg.), „Der große Sänger David - euer Muster“. Studien zu den ersten diözesanen Gesang- und Gebetbüchern der katholischen Aufklärung (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 73), Münster 1993, 137-181.

15 Ritual nach dem Geiste und den Anordnungen der katholischen Kirche, oder praktische Anleitung für den katholischen Seelsorger zur erbaulichen und lehrreichen Verwaltung des liturgischen Amtes. Zugleich ein Erbauungsbuch für die Gläubigen, Stuttgart und Tübingen 1831, 21833; E. Keller, Die Konstanzer Liturgiereform unter Ignaz Heinrich von Wessenberg (FDA 85), Freiburg i. Br. 1965, 191-247, Wessenbergs amtliche Verordnungen zur Konstanzer Liturgiereform hier 266-472; M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 42-61. – Siehe auch: R. Reinhardt, Diözese Rottenburg 1828-1878. Antworten und Fragen, in: Theologische Quartalschrift 158 (1978) 243-256.

16 F. X. Bischof, Das Ende, 304-314; W. Hug, Auf dem Weg zur Bistumsgründung: Die Zeit der Säkularisation, in: Smolinsky, H. (Hg.), Geschichte der Erzdiözese Freiburg I: Von der Gründung bis 1918, Freiburg-Basel-Wien 2008, 15-76, hier 48-51; M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 42-61.

17 Die Zitate finden sich in: J. Beck, Wessenberg, 89 f., 130-138; I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 28-33.

18 E. Keller, Das Priesterseminar Meersburg zur Zeit Wessenbergs, in: Freiburger Diözesanarchiv 97 (1977) 108-207, 98 (1978) 353-447, das strenge Seminarstatut hier 154-162.

19 M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenbergs Bemühungen um eine zeitgemäße Priesterbildung. Aufgezeigt an seiner Korrespondenz mit dem Luzerner Stadtpfarrer und Bischöflichen Kommissar Thaddäus Müller, in: ders. / Hausberger, K. (Hg.), Papsttum und Kirchenreform. Historische Beiträge. Festschrift für Georg Schwaiger zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1990, 585-651.

20 Wessenbergs „Anreden an die Kandidaten des geistlichen Berufs vor ihrer Ausweihung“ sind abgedruckt in: Mittheilungen über die Verwaltung der Seelsorge nach dem Geiste Jesu und seiner Kirche. Von J. H. von Wessenberg, ehemaligen Bisthums-Verweser zu Constanz II, Augsburg 1832. - Das Bild des „Geistlich-Geistlichen“ nach Johann Michael Sailer: M. Weitlauff, Priesterbild und Priesterbildung bei Johann Michael Sailer, in: Münchener Theologische Zeitschrift 46 (1995) 69-97, bes. 84 f.

21 Siehe dazu Wessenberg selbst in: Mittheilungen über die Verwaltung der Seelsorge, I.

22 Zit. in: J. Beck, Wessenberg, 104; I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 30.

23 F. X. Bischof, Die Bemühungen des Konstanzer Generalvikars Ignaz Heinrich von Wessenberg um die Priesterfortbildung, in: Münchener Theologische Zeitschrift 46 (1995) 99-118; K. Baumgartner, Bemühungen um Seelsorge und Seelsorger im Kreis um Sailer und Wessenberg. Zum 150. Todestag von Ignaz Heinrich von Wessenberg, in: Klerusblatt. Zeitschrift der katholischen Geistlichen in Bayern und der Pfalz 90 (2010) 159-161; M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 52-61.

24 Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium Kap. II Art. 14. - Hinsichtlich der vor etwa fünfzig Jahren im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanum einsetzenden Beschäftigung mit Wessenberg und den vom ihm initiierten Reformen stellt Klaus Oettinger fest: „So hat man besonders intensiv auf Wessenbergs vielfältige Maßnahmen zu einer soliden Priesterausbildung und Priesterweiterbildung, auf seine Verfügungen zu einem priesterlichen Leben und zum priesterlichen Dienst aufmerksam gemacht. Nahezu alles, was Wessenberg in seinen zahlreichen ‚Hirtenbriefen und Verordnungen für das Bisthum Constanz’ diesbezüglich geschrieben hat, ließe sich als Vorformulierung der Konzilsdekrete ‚Optatam totius’ (‚Über die Ausbildung der Priester’) oder ‚Presbyterorum ordinis’ (‚Über Dienst und Leben der Priester’) lesen.“ Man muß ergänzen: Vor allem seine liturgischen Reformen und Reformanstöße wurden, wie die liturgische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, durch die Konstitution über die heilige Liturgie „Sacrosanctum Concilium“ vollauf bestätigt. Gewiss, es waren Versuche, erste Versuche, um einem als dringend erkannten religiösen Bedürfnis abzuhelfen. Aber Wessenberg hat diese Versuche mutig und anspruchsvoll gewagt, im Bestreben, „den gerechten Forderungen nach Kräften zu genügen“; aber er fährt im Vorwort zu seinem „Ritual“ fort: „ihnen ganz zu genügen, wird hoffentlich einst einem Zusammenwirken im weiten Gebiete der Kirche gelingen, deren prüfendem Geist die Vollendung eines solchen Werkes vorbehalten bleibt.“ Dass Wessenberg vom aufgeklärten Denken seiner Zeit (im positiven Sinn!) geprägt war und entsprechend artikulierte, kann man ihm wirklich nicht zum Vorwurf machen. Er war vielmehr ein hochgebildeter, theologisch versierter, sehr ernster und wohlüberlegter kirchlicher und liturgischer Reformer; und gerade Johann Michael Sailer war ihm dabei ein entscheidender Anreger und praktisch-theologischer Wegweiser. Klerikale Selbstinszenierungen und andere „volkssprachliche“ Entgleisungen, wie man sie heute „nachkonziliar“ in einem offenbaren Missverständnis dessen, was das Zweite Vatikanum intendierte, in der liturgischen Praxis landauf landab erleben muss – von der „Entleertheit“ nicht weniger moderner Kirchengesänge ganz zu schweigen -, hätte er zweifellos scharf geahndet. Auch hier wäre erneut Rückbesinnung auf den Ursprung und die „gesunde“ Tradition dringend vonnöten, womit allerdings keineswegs Rückwendung gemeint ist. Wessenberg hatte sich von solcher Rückbesinnung leiten lassen! Das obige Zitat in: K. Oettinger, Freiherr Ignaz Heinrich von Wessenberg. Zu seiner Geltungsgeschichte in der kirchlichen Öffentlichkeit, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 128 [2010] 119-137, hier 133.

25 Auf die Christozentrik der geistlichen Orientierung Wessenbergs weist in seiner Untersuchung mit Nachdruck Michael Bangert hin. M. Bangert, Bild und Glaube, 168-170 u. ö.

26 Vatikanische Aktenstücke zur Reformtätigkeit Wessenbergs aus den Jahren 1805-1808 in: E. Keller, Die Konstanzer Liturgiereform, 497-515. – Siehe dazu ausführlich: F. X. Bischof, Das Ende, 272-278, 315-336, das Wessenberg verurteilende Breve Quod aliquantum Pius’ VII. an Dalberg, Rom, 2. November 1814, hier 548-550; ders., Der Konstanzer Generalvikar Ignaz Heinrich von Wessenberg im Spiegel der Berichte des Luzerner Nuntius Fabrizio Sceberras Testaferrata (1803-1816), in: Weitlauff, M. (Hg.), Katholische Kirche und Theologie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Zeitschrift für Kirchengeschichte 101, Heft 2/3), Stuttgart 1990, 197-224; M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 73-94, 116-138, das oben genannte Breve hier 157-159.

27 M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 3-17; K. Oettinger, Wessenberg.

28 I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 26 f.

29 [I. H. v. Wessenberg,] Die Folgen der Säkularisationen. Cuique Suum! Germanien [Zürich] 1801. Wieder abgedruckt in: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 172-192.

 

30 Wessenbergs Pariser Tagebuch 1811, in: I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 137-154.

31 Siehe dazu: H. Hömig, Dalberg, 549-561.

32 H. Bastgen, Dalbergs und Napoleons Kirchenpolitik in Deutschland (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft 30), Paderborn 1917; B. [H.] Bastgen, Der Entwurf des Regensburger Erzbischofs Dalberg zu einem Konkordat für den Rheinbund und seine Ablehnung in Rom, in: Vierzehnter Jahresbericht des Vereins zur Erforschung der Regensburger Diözesangeschichte, Metten 1940, 1-27; G. Schwaiger, Die Kirchenpläne des Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, in: Münchener Theologische Zeitschrift 9 (1958) 186-203; F. X. Bischof, Die Konkordatspolitik des Kurerzkanzlers und Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg und seine Konstanzer Generalvikars Ignaz Heinrich von Wessenberg 1803 bis 1815, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 108 (1997) 75-92; K. Hausberger, Reichskirche, Staatskirche, „Papstkirche“. Der Weg der deutschen Kirche im 19. Jahrhundert, Regensburg 2008, 121-141; H. Hömig, Dalberg, 260-262, 374-385, 415-417. – E. R. Huber / W. Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Kirchenstaatsrechts I: Staat und Kirche vom Ausgang des alten Reiches bis zum Vorabend der bürgerlichen Revolution, Berlin 1973, 23-41.

33 J. Beck, Wessenberg, 221; I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 55.

34 Denkschrift der Oratoren Franz Christoph von Wamboldt (Domkapitular von Mainz), Joseph Anton Helfferich (Dompräbendar in Speyer) und Joseph Schies (Hofgerichtsprokurator zu Worms) über die Ansprüche der katholischen Kirche Deutschlands, 30. Oktober 1814. Abgedruckt in: U. Engelmann, Zur deutschen Kirchenfrage auf dem Wiener Kongreß, in: Historisches Jahrbuch 92 (1972) 373-391, hier 374-380; E. Ruck, Die Römische Kurie und die deutsche Kirchenfrage auf dem Wiener Kongreß (Rektoratsprogramm der Universität Basel für das Jahr 1917), Basel 1917, 35-53.

35 Denkschrift Consalvis vom 17. November 1814. Abgedruckt in: E. Ruck, Kurie, 115-119; Consalivs Grundsätze für ein deutsches Konkordat ebd. 158; hier 119-170 weitere Aktenstücke zu Consalvis Wiener Mission.

36 Abgedruckt in: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 165-171.

37 J. Beck, Wessenberg, 224 f.; I. H. v. Wessenberg, Unveröffentlichte Manuskripte, I/1 55 f.

38 Denkschrift Wessenbergs, Wien, 23. November 1814. Abgedruckt in: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 166-168.

39 [I. H. v. Wessenberg,] Die Deutsche Kirche. Ein Vorschlag zu ihrer neuen Begründung und Einrichtung. Im Aprill MDCCCXV. Abgedruckt in: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 194-236.

40 Ebd. 196-204.

41 Ebd. 204-214.

42 Ebd. 215-225.

43 Ebd. 204.

44 Ebd. 226-231.

45 Ebd. 232-236.

46 Entwurf Art. IV. Ebd. 217.

47 Entwurf Art. XII. Ebd. 219.

48 Entwurf Art. IV. Ebd. 217.

49 Entwurf Art. VII. Ebd. 218.

50 Ebd. 210.

51 Entwurf Art. XI. Ebd. 219.

52 Entwurf Art. XIV. Ebd. 220.

53 Ebd. 205 f.

54 Ebd. 205.

55 Ebd. 206.

56 Ebd. 207.

57 Siehe dazu ausführlich: M. Weitlauff, Der Siegeszug des Papalismus. Von Febronius bis in die Gegenwart. Zu zwei Febronius-Streitschriften des Trierer Weihbischofs Johann Nikolaus von Hontheim (1701-1790), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 121 (2010) 223-243.

58 F. Vigener, Bischofsamt und Papstgewalt. Zur Diskussion um Universalprimat und Unfehlbarkeit des Papstes im deutschen Katholizismus zwischen Tridentinum und Vatikanum I. Zweite Auflage, überarbeitet und mit einem biographischen Nachwort herausgegeben von Gottfried Maron (Kirche und Konfession 6), Göttingen 1964, bes. 35-45.

59 [I. H. v. Wessenberg,] Die Deutsche Kirche, 212. – Die Ausstattung der Bischofsstühle und Domkapitel mit liegenden Gütern etc. wurde in die folgenden Verträge der einzelnen Staaten mit Rom durchgehend aufgenommen, jedoch nicht vollzogen; es blieb bei der als Zwischenlösung vereinbarten staatlichen Besoldung und sonstigem finanziellen Ausgleich. Diese Lösung wurde schließlich auch von den betroffenen Bischöfen und Domkapiteln bevorzugt.

60 Ebd. 211.

61 Ebd. 210 f.

62 Ebd. 213.

63 Siehe zum Ganzen: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 94-115.

64 Ebd. 107-111. – E. Ruck, Kurie, 70-76. – Zu den bayerischen Konkordatsverhandlungen und ihren staatskirchlichen Implikationen siehe: H. v. Sicherer, Staat und Kirche in Bayern. Vom Regierungsantritt des Kurfürsten Maximilian Joseph IV. bis zur Erklärung von Tegernsee 1799-1821. Nach amtlichen Actenstücken, München 1874; K. Hausberger, Staat und Kirche nach der Säkularisation. Zur bayerischen Konkordatspolitik im frühen 19. Jahrhundert (Münchener Theologische Studien. I. Historische Abt. 23), St. Ottilien 1983.

65 Die entscheidenden Aktenstücke und Verträge siehe in: P. Schneider, Die partikularen Kirchenrechtsquellen in Deutschland und Österreich.- Gesammelt und mit erläuternden Bemerkungen versehen, Regensburg 1898; Huber / Huber, Staat und Kirche.

66 Erneut abgedruckt in: M. Weitlauff, Ignaz Heinrich von Wessenberg [2010], 237-335, das obige Zitat hier 260.

67 Ebd. 260 f.

68 Zur Würzburger Bischofskonferenz 1848 siehe ausführlich: R. Lill, Die ersten deutschen Bischofskonferenzen, Freiburg-Basel-Wien 1964, 14-56, die Zitate hier 34 f., 38; H. Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte VI/1, Freiburg-Basel-Wien 1971, 495-500; die Konferenzakten sind publiziert in: Collectio Lacensis V 959-1141.

Joseph von Görres – Eine biographische Skizze
Wolfgang Bergsdorf

1948, das Geburtsjahr unseres Jubilars, des katholischen Kirchenhistorikers Josef Pilvousek, war das 100. Todesjahr von Joseph Görres, der sich in der Geschichte des politischen Katholizismus in Deutschland, wie er sich in Katholikentagen, im katholischen Verband- und Vereinswesen und später auch in der Zentrumspartei entfaltete, einen festen Platz erobert hat ebenso wie auch in der Geschichte der deutschen Publizistik mit dem von ihm 1814 gegründeten Rheinischen Merkur. Görres war ein genialer Autodidakt, wortgewaltiger Publizist und universalistischer Denker. Er führte seinen Familiennamen zurück auf eine volkstümliche Verballhornung von Gregorius, dem Drachentöter. Zeit seines Lebens hat er gegen die Drachen der Willkürherrschaft und Staatsallmacht gekämpft und sich für Gerechtigkeit, Freiheit und Einheit seines Vaterlandes eingesetzt. Sein Zeitgenosse Jean Paul nannte ihn „einen Mann, der aus Männern besteht.“1 Einer seiner geistigen Nachfahren, der langjährige Chefredakteur und spätere Herausgeber des 1946 revitalisierten „Rheinischen Merkur“, Otto B. Roegele, hat dem Herausgeber des ersten „Rheinischen Merkur“ von 1814 bis 1816 in einem Porträt bescheinigt, er habe „das Herz eines Revolutionärs, das historische Bewusstsein eines Konservativen, den Scharfblick eines Naturforschers, die Phantasie eines Dichters und die politische Leidenschaft eines geborenen Publizisten.“2

Görres hatte nie ein hohes Staatsamt inne, dennoch adelte ihn Napoleon als seinen Gegenspieler, indem er ihn mit seinem „Rheinischen Merkur“ als eine „cinquième puissance“ fürchtete.3 Görres hatte nie eine Universität besucht, gleichwohl wurde er zunächst in Heidelberg und später in München ein einflussreicher Hochschullehrer. Auch das publizistische Handwerk hatte er nie erlernt, obwohl er mit seinen vielfältigen publizistischen Unternehmungen die wirkungsmächtigste Stimme im deutschen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden sollte.

Joseph Görres lebte zwischen zwei Revolutionen, zwischen der Französischen Revolution von 1789, die er erlebte, zunächst bewunderte, dann erlitt und schließlich bekämpfte, und der erahnten und ersehnten Revolution von 1848. Ihren Ausbruch und ihr Scheitern sollte er nicht mehr erleben.4 Die Irrungen und Wirrungen dieser an Umbrüchen reichen Zeit machten Görres zu einem der ersten Krisendenker Deutschlands, dessen Krisenwahrnehmung immer deutlicher eine antirevolutionäre Wendung nahm. Er plädierte dafür, der Revolution durch eine freiheitlich-ständische Verfassung zuvorzukommen.5 Das machte ihn zum Vorkämpfer der Freiheit und Einheit Deutschlands und zum wortmächtigen Kämpfer für die Freiheit der katholischen Kirche. Im revolutionären Taumel hatte er sich der katholischen Kirche entfremdet, im Straßburger Exil fand er zur Kirche zurück und wurde zu einem Wegbereiter des politischen Katholizismus, der sich im Revolutionsjahr 1848 zu formieren begann.6

I.

Joseph Görres wuchs – 1776 in Koblenz geboren – als ältestes von acht Kindern in einer kleinbürgerlichen Familie auf. Sein Vater Moritz Görres war ein rheinfränkischer Händler von geflößtem Holz, dessen Vorfahren an der Mosel lebten. Seine Mutter, Helene Theresia Görres, geborene Mazza, war in Koblenz aufgewachsen. Ihre Vorfahren stammten aus Italien. 1786 trat Görres als Zehnjähriger in das von Jesuiten geleitete Gymnasium ein. In ihm herrschte der Geist der Aufklärung, der den frühreifen und hochbegabten Görres prägte. Die am Gymnasium angebotenen Fächer unterforderten ihn. Er betrieb eigene historische, geographische und naturwissenschaftliche Studien und versenkte sich darüber hinaus in die lateinischen Klassiker und später in die Werke von Klopstock, Gellert, Goethe, Schiller und Kant. So vorbereitet, erlag der Autodidakt Görres der Faszinationskraft der Französischen Revolution mit ihren großen Versprechungen. 1793 verlässt er das Gymnasium, um Medizin zu studieren. Aber „der Lärm der Zeit ist so groß, als daß er eine Universität beziehen könnte. In ihm reden nicht minder laut ungestüme Stimmen.“7 1794 besetzten die Franzosen Koblenz, und der Feuerkopf Görres übernahm die Parolen der Revolution und agitierte für die Gründung einer Cisrhenanischen Republik an der Seite Frankreichs. Von ihr erhoffte er sich die Verwirklichung der revolutionären Trias Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

 

Als junger Mann ließ er sich von der Freiheitsbewegung mitreißen, misstraute allen politischen und kirchlichen Hierarchien, glänzte als ingeniöser Redner in den vaterstädtischen Clubs und verfasste erste Beiträge für Periodika, die seine literarische und seine polemische Begabung erkennen ließen. 1796 erschien seine Erstlingsschrift „Der Allgemeine Friede, ein Ideal“. 1798 gründete er das „Rothe Blatt, eine Dekadenschrift“, in der er die von den Besatzungsbehörden zu verantwortenden Missstände anprangerte. Sein Kampf gegen Entscheidungen der Besatzungsherrschaft machte ihn bald bekannt und führte bald zu einem Verbot durch die Landesdirektion. Dadurch ließ er sich nicht entmutigen und startete noch im gleichen Jahr ein neues Blatt mit dem Titel „Rübezahl“, in welchem er die politische Linie der verbotenen Zeitschrift weiterentwickelte. Der neue Titel „Rübezahl“ wurde hier als Symbol des Rächers der Unterdrückten und des Wiederherstellers des Rechts in Anspruch genommen.

Von seinen Mitbürgern wurde Görres zusammen mit drei Gesinnungsgenossen nach Mainz entsandt, um vor den französischen Besatzungsbehörden Beschwerde zu führen gegen die Willkürakte des kommandierenden Generals Leval. Dies brachte ihm eine zwanzigtägige Haftstrafe ein. 1799 reiste er an der Spitze einer Delegation seiner Heimatstadt nach Paris. Nach dem Sturz des Direktoriums bat er um eine Beendigung der drückenden Okkupation und eine Vereinigung und Gleichstellung des linken Rheinufers mit Frankreich. Seine persönliche Begegnung mit dem Ersten Konsul Bonaparte ließ ihn die prophetischen Worte an seine Mitbürger schreiben: „Nehmt auch in Bälde den Suetonius zur Hand, denn der neue Augustus ist fertig.“8 Die in Paris gewonnenen Eindrücke heilten den jungen Idealisten von seiner revolutionären Begeisterung. Der Gesinnungswandel war nicht Resultat reinen Nachdenkens, sondern folgte einer Kollision mit der Realität.

In seiner Schrift „Resultante meiner Sendung nach Paris“ (1800) erklärte er seine Abkehr von einer republikanischen Verfassung, denn „der Zweck der Revolution (ist) gänzlich verfehlt.“9 In dieser Schrift warnt er seine Mitbürger vor den Ideen der Französischen Revolution und entdeckt seine „rheinisch-deutsche Verwurzelung.“ (Rudolf Morsey) Aus dem vom Geist der Revolution inspirierten Weltbürger wurde der seiner rheinischen und deutschen Identität bewusste Patriot.

II.

Mit dem neuen Jahrhundert beendete er seine politisch-publizistische Tätigkeit und wandte sich seiner wissenschaftlichen und literarischen Arbeit zu. Er übernahm eine Gymnasiallehrerstelle für Chemie und Physik an der Französischen Sekundärschule in Koblenz, seinem früheren Gymnasium. Es war eine wenig einträgliche Stelle mit einem Jahresgehalt von 1.400 Franken, aber sie gestattete ihm einen bescheidenen Lebensstandard. Im Herbst 1801 gab er seinem Leben einen festen Rahmen durch die Vermählung mit Katharina von Lassaulx, Tochter des früheren Kurtrierischen Hofrats Peter Ernst von Lassaulx. Sie war eine schöne, geistvolle und freigeistige Frau. Das Paar begnügte sich mit einer zivilen Eheschließung nach französischem Recht.

Die Tätigkeit als Gymnasialprofessor ließ Görres Zeit, seine naturwissenschaftlichen und medizinischen Studien zu vertiefen und sich darüber hinaus mit indogermanischer Philologie und Mythologie zu beschäftigen. Zudem fühlte er sich zur Kunstwissenschaft hingezogen. In jener Zeit entstanden seine Schriften „Aphorismen über die Kunst“ (1802), „Aphorismen über Organonomie“ (1803), „Exposition der Physiologie“ (1805) und „Aphorismen über Organologie“ (1805) sowie sein Buch „Glauben und Wissen“ (1806), das sich noch in den von der Schellingschen Naturphilosophie vorgezeichneten pantheistischen Bahnen bewegte, aber doch schon eine Rückkehr zur katholischen Kirche erahnen ließ, deren wichtigstes Sprachrohr im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts er werden sollte. Seine schriftstellerische Tätigkeit in literarischen Zeitschriften wurde vom zeitgenössischen Idealismus inspiriert. Herder und Schelling halfen ihm, die Bedeutung von Sprache, Nationalstereotypen und Volkstum zu entdecken. Sein Geschichtsverständnis begann sich zu wandeln. Der revolutionäre Fortschrittsoptimist wurde zu einem konservativen Denker mit offenen Sinnen für Metaphysik. Sein Weltbild wurde vom Streben nach organischer, lebendiger Universalität bestimmt.

1806 wechselte er als Dozent an die Heidelberger Universität, um dort philosophische, physiologische und anthropologische Vorlesungen zu halten. Er bot aber auch Veranstaltungen zu altdeutscher Literatur an. Die erstaunliche Vielfalt seiner Interessen und seiner geistes- und naturwissenschaftlichen Kenntnisse wollte er einmünden lassen in eine Synthese von Geistes- und Naturwissenschaft.

Nach Heidelberg hatte ihn sein früherer Mitschüler und Jugendfreund Clemens von Brentano geholt. Zusammen mit ihm und Achim von Arnim wurde Görres zum Mitbegründer der jüngeren Romantik. Zu seinen Heidelberger Hörern gehörte auch Joseph von Eichendorff. In den Tagebüchern von Joseph von Eichendorff charakterisiert der romantische Dichter die Astronomie-Vorlesung von Joseph Görres: „Blaß, jung, wildbewachsen, feurigen Auges, aber monotoner Vortrag.“ Seine philosophische Vorlesung empfand Eichendorff als „ein göttlich Kolleg.“ Später schreibt er „Es ist unbegreiflich, welche Gewalt dieser Mann, damals selbst noch jung, auf die Jugend ausübt. Sein freier Vortrag war monoton, fast wie ein fernes Meeresrauschen, schwellend und sinkend, aber durch das einförmige Gemurmel leuchteten zwei wunderbare Augen und zuckten Gedankenblitze beständig hin und her; es war wie ein prächtiges nächtliches Gewitter, weckend und zündend für ein ganzes Leben.“10

Doch die Heidelberger Zeit blieb Episode. 1808 kehrte er auf die freigehaltene Stelle an der Sekundärschule in Koblenz zurück. Dort setzte er seine eklektischen sprachwissenschaftlichen und mythologischen Studien fort und lernte sogar im Selbststudium Persisch. Er veröffentlichte eine zweibändige „Mythengeschichte der asiatischen Welt“ (1810). In den Vorworten zu seinen Werken und in Aufsätzen behielt Görres das politische Geschehen in Deutschland im Auge. In „Über den Fall Teutschlands und die Bedingungen einer Wiedergeburt“ (1810) plädierte Görres für eine sittlich-religiöse Erneuerung. Als Voraussetzung einer solchen Erneuerung forderte er die Schaffung einer öffentlichen Meinung als Gewissen der Nation und der Regierungen.11

III.

Es sollte nicht lange dauern, bis Görres seine Forderung nach der Formierung einer öffentlichen Meinung selbst verkörpern konnte. Nach der Völkerschlacht von Leipzig (1813) erschienen im Januar 1814 die Heere der Alliierten am Rhein. Vor ihnen zog sich die französische Besatzungsmacht zurück. So konnte Görres am 23. Januar die Erstausgabe einer neuen Zeitung, nämlich seines „Rheinischen Merkur“ herausbringen. Mit Joseph Görres sollte der „Rheinische Merkur“ seine Leser für die deutsche Sache und die der Heiligen Allianz gewinnen.

Görres‘ Popularität, seine Sprachkraft, seine Energie verhalfen dem Rheinischen Merkur trotz der geringen Auflage von 5.000 Exemplaren zu der Stellung eines Nationalblattes, wie es Deutschland weder vorher noch nachher besessen hatte. Das Blatt erschien zwei bis viermal wöchentlich und wurde bald als Stimme Deutschlands im Kampf gegen Napoleon wahrgenommen. Mit dem Titel „Rheinischer Merkur“ wollte Görres „die rheinische Zunge, welche seit zwanzig Jahren in der Genossenschaft deutscher Völkerschaften beinahe ganz verstummt, in dem großen deutschen Orden wiederherstellen und ihr wieder Sitz und Stimme verschaffen im Rat der Brüder.“12

Der „Rheinische Merkur“ und sein Herausgeber wurden zum nationalen Sprachrohr der Deutschen gegen die Napoleonische Herrschaft. Von der nationalen Erregung ließ sich auch die deutsche Elite anstecken. Nicht nur die romantischen Schriftsteller und Freunde von Joseph Görres wie Clemens von Brentano, Achim von Arnim und die Gebrüder Grimm, auch Ernst Moritz Arndt, Gneisenau, Blücher und Scharnhorst unterhielten enge Beziehungen zum Herausgeber des „Rheinischen Merkur“. Auch der Weimarer Geheimrat Goethe besuchte zusammen mit Freiherr vom Stein Görres im August 1815 in Koblenz und frühstückte mit der Familie Görres auf der Kartause.13

Nach der Niederlage Napoleons konzentrierte sich Görres auf den Kampf gegen die Ergebnisse des Wiener Kongresses. Auf ihm hatten die Fürsten beschlossen, den Deutschen Bund wiederherzustellen, nicht aber das deutsche Kaisertum unter österreichischer Führung. Vor allem attackierte Görres den Bruch der Verfassungsversprechen und die Rückkehr des absolutistischen Geistes und bürokratischer Schikane (Rudolf Morsey) in den jetzt von den Preußen verwalteten Rheinlanden. Die Kompromisslosigkeit seines Engagements machte ihn zum Hoffnungsträger der freiheitlichen Patrioten und gleichzeitig zur Gefahr für die Politik der Restauration, zu der sich die preußische Regierung entschlossen hatte. Zu Beginn des Jahres 1816 verloren die preußischen Behörden die Geduld mit dem zornigen Publizisten aus Koblenz und verboten den „Rheinischen Merkur“.

Um den unbequemen Geist aus dem Rheinland abzuziehen, bot ihm die preußische Regierung einen Lehrstuhl in Berlin an. Er lehnte ihn ab mit dem Hinweis, wenn er in Berlin zu einem Lehramt tauge, dann tauge er auch für seine Professur in seiner Heimat, nämlich an der neu errichteten Universität Bonn. Zuvor hatte er einen Ruf nach Lüttich ebenso abgelehnt wie die Berufung auf die Leitung der Stuttgarter Kunstschule. Görres befürchtete eine Verminderung seiner publizistischen Wirksamkeit, wenn er seinen heimischen Humus verlöre.

Nach der Ermordung des Dramatikers und russischen Staatsrates August von Kotzebue durch den Studenten Karl Ludwig Sand reagierten die preußischen Behörden mit verschärfter Repression. Kotzebue hatte in seinem 1818 gegründeten „Literarischen Wochenblatt“ die freiheitlichen Ideen des Wartburg-Festes verspottet. Die harte Reaktion des Staates auf das Attentat ließ Görres erneut zur Feder greifen. Unter dem Titel „Teutschland und die Revolution“ (1819) verfasste er eine in glühender Sprache gehaltene Kampfschrift gegen den Polizeistaat. Erneut sagte er sich von seiner jakobinischen und radikaldemokratischen Vergangenheit los und plädierte für die bewahrenden Kräfte von Monarchie und Kirche. Er hob die wichtige Rolle der Religion für die Sicherung geistiger und politischer Freiheit hervor. Nach Abschluss des Manuskriptes sagte Görres: „In Berlin wird’s diesmal sehr donnern.“14 Es war mehr als Donner: Friedrich Wilhelm III. erließ per Kabinettsorder einen Haftbefehl gegen Görres und wollte ihn in die Festung Spandau bringen lassen. Görres erfuhr rechtzeitig von der drohenden Verhaftung und setzte sich nach Frankfurt ab. Als er auch dort verfolgt wurde, floh er nach Straßburg ins Exil. Dort sollte er bis 1827 bleiben, einschließlich eines einjährigen Aufenthaltes in der Schweiz.

IV.

Die Trennung vom Rheinland für den Rest seines Lebens markiert eine wichtige Zäsur in Görres’ äußerem Lebensweg. „Sein Vaterland hat ihn ausgespien“, kommentiert sein Freund Clemens von Brentano den neuen Wohnort.15 Es ist nicht ohne Ironie, dass Görres, der Frankreich so lange bekämpfte, in Straßburg Zuflucht finden sollte und die Stadt ihn mit offenen Armen empfing. Benjamin Constant begrüßte ihn als den von den Königen Europas Verfolgten. Die Pariser Zeitung „Moniteur“ stellte ihn pathetisch unter Frankreichs Schutz. In Straßburg könne er, wie ihn Achim von Arnim tröstet, „die Periode der Dummheit bequem abwarten.“16 Dort kam Görres tatsächlich zur Ruhe und setzte seine schriftstellerische Tätigkeit fort.