Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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VI. Schlussbemerkung

Derzeit befindet sich die verbandliche Caritas in einer sehr spannenden Entwicklungsphase. Einerseits sind die Trends der Säkularisierung und Ökonomisierung ungebrochen, anderseits nehmen Versorgungsnöte zu und legen die Grenzen von Angebotswettbewerb und Ausschreibungssystemen deutlich offen. Zudem steht die Sozialwirtschaft an der Schwelle der digitalen Revolution und vor massiven Herausforderungen für die Organisation von lebenswerten Sozialräumen. Das bedeutet für die katholische Kirche und ihre verbandliche Caritas große Chance und großes Risiko zugleich. Für diese Herausforderungen – neben dem weiter notwendigen großen praktischen innovativen Anpassungsvermögen der Rechtsträger – erscheint es von höchster Bedeutung, die dazu passende hochkomplexe und hoch innovative verbandliche Theoriebildung und Strukturbildung zu intensivieren, zu dynamisieren und nachhaltig/inklusiv am Zusammenhalt unserer Gesellschaft für die darin lebenden Menschen auszurichten.

1 Rund 660.000 Hauptamtliche und mindestens 340.000 Ehrenamtliche im Jahr 2016.

2 Deutscher Caritasverband, 2007: Tarifpolitische Leitlinien. URL: https://www.caritas.de/cms/contents/caritasde/medien/dokumente/tarifpolitischeleitl/tarifpolitische_leitlinien_endfassung.pdf?d=a&f=pdf, abgerufen am 21.05.2019

3 Deutscher Caritasverband, 2008: Leitlinien für unternehmerisches Handeln der Caritas. In: Neue Caritas 20/2008, S. 31–39, URL: https://www.caritas.de/cms/contents/caritasde/medien/dokumente/dcv-arbeitsbereiche/sozialwirtschaft/leitlinienfueruntern/nc20_2008_doku_unternehmensleitlinien.pdf?d=a&f=o, abgerufen am 21.05.2019

Als Caritas glaubwürdig in Märkten handeln
Georg Cremer
I. Zumutungen einer neuen Rolle: Unternehmen in den Märkten sozialer Dienstleistungen

Norbert Feldhoff wurde 1996 Vizepräsident des Deutschen Caritasverbandes, in einer Zeit, in der sich die Architektur der Erbringung sozialer Dienstleistungen in Deutschland und die Beziehungen zwischen öffentlichen Leistungsträgern und privat-gemeinnützigen Leistungserbringern stark veränderten. In Folge dieser Veränderungen müssen die sozialen Dienste der Caritas heute als unternehmerische Einheiten in einem wettbewerblichen Umfeld gesteuert werden. Mit der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI) Mitte der 1990er Jahre hat sich die bundesdeutsche Sozialpolitik de facto von der über lange Zeit unangefochtenen Vorstellung verabschiedet, „der Markt“ und „das Soziale“ stünden per se im Widerspruch. Der Markt zur Erbringung von Pflegeleistungen wurde stark ausgeweitet und gegenüber privat-gewerblichen Anbietern geöffnet. Auch bei anderen sozialen Dienstleistungen ist der Wettbewerb intensiviert worden. Dies warf große Herausforderungen auch für die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsverfahren auf. Als Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes von 1996 bis 2010 wirkte Norbert Feldhoff in herausgehobener Funktion an einer der entscheidenden Schaltstellen mit, die Veränderungen zu bewältigen. Der folgende Beitrag thematisiert die Herausforderungen für die verbandliche Caritas, auf die verstärkte Nutzung von Markt und Wettbewerb bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen eine angemessene ordnungspolitische Antwort zu finden und sich in den Märkten sozialer Dienstleistungen glaubhaft zu behaupten.

Die mit der Pflegeversicherung angestoßenen, aber den gesamten sozialen Dienstleistungssektor erfassenden Veränderungen waren nicht das Ergebnis eines die Hilfefelder übergreifenden Reformplans zur Stärkung des Wettbewerbs bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen; sie verliefen in den einzelnen Hilfefeldern sehr unterschiedlich und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Sie war auch nicht begleitet von einer ordnungspolitischen Debatte darüber, wie die Märkte sozialer Dienstleistungen zu gestalten seien. Auch war die Haltung der Leistungsträger durchaus widersprüchlich. Sie betonten die Bedeutung des Wettbewerbs insbesondere dann, wenn sie mit der Einführung wettbewerblicher Elemente tendenziell eine Kostensenkung erwarteten, bewerteten aber dennoch die einer wettbewerblichen Gestaltung inhärente Vielfalt von Anbietern als „überflüssige“ Doppelstruktur.

Trotz aller Umbrüche blieb das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis das in Deutschland dominierende Marktordnungsmodell für die Märkte sozialer Dienstleistungen: Der Staat garantiert den Zugang der Bürger und Bürgerinnen zu sozialen Dienstleistungen in einem sozialrechtlich definierten Umfang, tritt aber in der Regel nicht selbst als Leistungserbringer auf, sondern schließt mit Leistungserbringern (bzw. ihren Zusammenschlüssen) öffentlich-rechtliche Versorgungsverträge ab. Diese regeln insbesondere den Leistungsinhalt, die Vergütung sowie die Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskontrolle und bilden die Grundlage dafür, die Leistung zu vergüten, die leistungsberechtigte Bürger von Leistungserbringern auf der Grundlage privat-rechtlicher Verträge erhalten. Dieses aus drei Rechtsbeziehungen gebildete Dreiecksverhältnis lässt Raum für die Tätigkeit von Wohlfahrtsverbänden und sichert Wahlrechte für die Nutzer. Mit der Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip, der stärkeren Nutzung subjektbezogener Finanzierungsformen und der Öffnung des Marktes für privat-gewerbliche Anbieter hat sich das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis von einer korporatistischen Variante zu einer wettbewerblichen Variante gewandelt.1

Die Haltung in den Wohlfahrtsverbänden gegenüber den mit der Pflegeversicherung angestoßenen Veränderungen war äußerst marktkritisch. Das Gefühl war dominant, dass zwischen dem Sozialen und dem Markt mit seinen Herausforderungen ein nicht überbrückbarer Graben liegt. Es gab auch gepflegte Mythen, so etwa die empirisch nicht untermauerte Sicht, private Anbieter lieferten per se schlechtere Qualität als gemeinnützige Leistungserbringer, und sofern sie günstiger wären, könne es nur daran liegen. Marktaversion prägte auch die Haltung vieler Akteure in der verbandlichen Caritas. Sehr deutlich wurde dies im Leitbildprozess Mitte der 1990er Jahre. Das Leitbild2 bekennt sich zum unternehmerischen Handeln der Caritas: „Der Deutsche Caritasverband arbeitet unternehmerisch“. Damals war es höchst strittig, den Begriff des unternehmerischen Handelns auf die Caritas zu beziehen. Zahlreiche, teils erregte Beiträge auf der Vertreterversammlung des Deutschen Caritasverbandes im Jahr 1996, die das Leitbild beriet und in einer vorläufigen Fassung verabschiedete, assoziierten den Begriff des Unternehmerischen mit Gewinnmaximierung und sahen darin einen diametralen Gegensatz zum sozialen Auftrag der Caritas. Das Leitbild bekennt sich zu den „Grundsätzen der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“. Die Spannung zwischen der Hilfe für Bedürftige und dem Refinanzierungserfordernis wird angedeutet. Besonders umstritten war die folgende Festlegung: Der Verband „macht sein wirtschaftliches Verhalten für die Öffentlichkeit transparent.“ In dem Forum der Vertreterversammlung 1996, das diesen Teil des Leitbildes beriet, fiel dieses Transparenzbekenntnis erst einmal bei der Abstimmung durch. Es bedurfte einiger Kniffs seitens der Versammlungsleitung,3 um nach ausführlichen Erklärungen zur Notwendigkeit einer Transparenzverpflichtung diese durch eine zweite Abstimmung zu retten.

Die Träger der vielen Dienste der verbandlichen Caritas mussten, ob sie wollten oder nicht, Wege finden, sich unter den neuen Bedingungen zu behaupten. Eine pauschale Klage über „Ökonomisierung“ und „Vermarktlichung“ sozialer Dienstleistungen, wie sie unter den Wohlfahrtsverbänden dominant war, nutzte ihnen dabei nichts. Anfang der 2000er Jahre zeigte sich eine deutliche Entfremdung großer Einrichtungsträger mit den verbandlichen Gremien, die in der Kritik an den Arbeitsvertragsrichtlinien des DCV (AVR) und einer als mangelhaft empfundenen Vertretung verbandlicher Interessen auf europäischer Ebene ihren Ausdruck fand. Die Auseinandersetzung zur Tarifpolitik führte zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (ACU), die Unzufriedenheit mit der Vertretung unternehmerischer Interessen in Brüssel führte zur Gründung des Brüsseler Kreises durch Unternehmen aus Diakonie und Caritas.

Anfang der 2000er Jahre schien über diese Konflikte selbst die Einheit der verbandlichen Caritas in Frage zu stehen. Diskutiert wurde eine organisatorische Trennung des Verbandes4 in eine Caritas I, die ausschließlich anwaltschaftlich agiert, und eine Caritas II, die die unternehmerischen Belange jener Dienste und Einrichtungen vertritt, die marktnah organisiert sind und über eine Finanzierung verfügen, die auf sozialrechtlich kodifizierten Leistungsansprüchen der Bürger aufbaut und damit gesichert ist. Es ließ sich aber aus einer solchen Trennung kein tragfähiges Modell für die Caritas ableiten, denn es ergäben sich erhebliche Legitimitätsprobleme. Die unternehmerische Caritas II könnte schwer begründen, warum es eine spezifische Vertretung der Interessen der Leistungserbringer der Caritas geben muss und was diese von einer Interessenvertretung privat-gewerblicher Anbieter unterscheidet. Die anwaltschaftliche Caritas I dagegen würde sich vermutlich von unternehmerischen Fragen, wie soziale Dienste in der Fläche gesichert werden können, weitgehend abkoppeln. Eine Anwaltschaftlichkeit für hilfebedürftige Bürger, die sich aber nicht der Frage stellte, wie Hilfen in der realen Welt verwirklicht werden können, bliebe letztlich folgenlos.

 

II. Notwendigkeit einer ordnungspolitischen Debatte

In den Umbrüchen, die zu bewältigen waren, musste der Verband sich der ordnungspolitischen Debatte stellen, wie Märke sozialer Dienstleistungen zu ordnen sind. Rückwärtsgewandte Trauer über die vermeintlich besseren Zeiten des Korporatismus mit Selbstkostendeckungsprinzip und Objektförderung waren dazu zu überwinden. Eine strikt marktaversive Haltung konnte der Verband nicht durchhalten, ohne wichtige strategische Interessen seiner Mitglieder zu gefährden. Ein Verband, der den Anspruch hat, die anwaltschaftlichen Belange hilfesuchender Bürger und die unternehmerischen Interessen seiner Mitglieder zu erfüllen, damit sie qualitativ gute Dienstleistungen im Interesse der Bürger bereitstellen und sich wirtschaftlich behaupten können, musste sich der Frage stellen, wie Märkte zu ordnen sind. Aus anwaltschaftlichen Gründen war zu diskutieren, wie die Wahlrechte hilfesuchender Bürger gesichert und gestärkt werden können, eine Fragestellung, die bei der Auseinandersetzung zur Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein persönliches Budget bei der Hilfe für behinderte Menschen eine große Rolle spielte.

Aber es gab auch Gefahren von außen, die es dem Verband erleichterten, sich der ordnungspolitischen Debatte zu stellen. Unter Verweis auf vermeintlich zwingende Vorgaben des Europäischen Wettbewerbsrechts haben öffentliche Leistungsträger vermehrt versucht, aus der Struktur des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses auszubrechen und soziale Dienstleistungen nach Vergaberecht auszuschreiben. Mit dem Vergaberecht stand nun ein völlig anderes Modell der Marktordnung bereit, das – wäre es zum Regelmodell geworden – die Rolle der Caritas und anderer Wohlfahrtsverbände drastisch verändert hätte hin zu Auftragnehmern der öffentlichen Hand. Denn bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen liegt die Macht einseitig beim Auftraggeber: Er bestimmt Menge, Qualität, den Grad der Differenzierung der anzubietenden Leistungen und trifft zudem als Ergebnis der Vergabe eine Entscheidung für einen oder einige Leistungserbringer und schließt damit andere von der Leistungserbringung aus. Um seine Rolle als eigenständiger Akteur in einem subsidiär konzipierten Sozialstaat zu behaupten, musste der Verband ein wettbewerblich gestaltetes sozialrechtliches Dreiecksverhältnis gegen das Vorrücken der Ausschreibung verteidigen. Dies war aber nicht möglich, wenn man gleichzeitig der alten Sicht einer Unvereinbarkeit von Sozialem und Markt das Wort redete, sondern erforderte eine differenzierte Sicht auf die unterschiedlichen Marktordnungsmodelle und damit eine ordnungspolitische Auseinandersetzung.5

III. Strategische Festlegungen der verbandlichen Caritas

Nach intensiven Debatten hat die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes 2007 zur Position des Verbandes zur Ordnung der Märkte sozialer Dienstleistungen strategische Festlegungen beschlossen. Der Titel des Beschlusses lautete „Selbstbestimmte Teilhabe sichern, Märkte ordnen, im Wettbewerb bestehen“. Fachlicher Anspruch der Dienste sei es, „selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen“, dies erfordere, „dass Menschen zwischen unterschiedlichen Angeboten und Trägern wählen können“. Der Wettbewerb sei entsprechend zu gestalten. „Aus Mindeststandards ergeben sich Grenzen für die Beteiligung der Caritas am Wettbewerb.“ Selbstbestimmte Teilhabe werde durch eine subjektbezogene Finanzierung befördert, das persönliche Budget sei „in geeigneten Hilfefeldern“ dafür die beste Form. Das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sei „der bewährte ordnungspolitische Rahmen“, es ermögliche „eine wettbewerbliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen, in der die Wahlrechte der Hilfebedürftigen und eine qualitativ gute und kostengünstige Erbringung sozialer Dienstleistungen durch ein plurales Trägerangebot gesichert werden kann“. „Die Finanzierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ist der Finanzierung über öffentliche Aufträge (Vergaberecht) vorzuziehen.“ Soweit staatliche Steuerung beim Zugang zur Leistungserbringung erforderlich sind, seien hierfür transparente Verfahren erforderlich. Potentielle Interessenkonflikte zwischen Nutzern und Diensten müssten „durch entsprechende fachliche Konzepte und Instrumente der dialogischen Aushandlung bearbeitet werden“. Dabei solle „die selbstbestimmte Teilhabe im Vordergrund“ stehen.6

Dieser Grundlinie folgend zielte das Lobbying des Deutschen Caritasverbandes zu Marktordnungsfragen auf eine Sicherung und Stärkung des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und eine Abwehr von Tendenzen, Ausschreibungen nach Vergaberecht zum Regelverfahren im Sozialbereich zu erheben. Eine Reihe verbandlicher Gliederungen haben erfolgreich geklagt, wenn in Abkehr von den Regelungen des deutschen Sozialrechts, Leistungsträger versucht haben, aus dem Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis auszubrechen und soziale Dienstleistungen nach Vergaberecht auszuschreiben. Da die Befürworter einer verstärkten Nutzung der Vergabe mit vermeintlichen Zwängen des europäischen Wettbewerbsrechts argumentierten und durchaus auch Unklarheiten bei der Interpretation des gültigen Rechtsrahmens bestanden, war es notwendig, sich seitens der Wohlfahrtsverbände dafür einzusetzen, das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis europarechtlich abzusichern. Dies erfolgte auf Brüsseler Ebene gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Die Bemühungen hatten Erfolg; in den Erwägungsgründen sowohl der Vergabe- als auch der Konzessionsrichtline der Europäischen Union von 2014 sind Formulierungen aufgenommen worden, die ein Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis mit offenem Marktzutritt vom Anwendungsbereich beider Richtlinien ausnehmen, ohne dabei den nur in Deutschland gebräuchlichen Begriff aufzugreifen. Die Erwägungsgründe argumentieren mit dem freien Zugang zur Dienstleistungserbringung, der an transparente und nichtdiskriminierende Verfahren gebunden ist.7 Seitdem kann man nicht mehr argumentieren, das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sei mit dem Europäischen Wettbewerbsrecht nicht kompatibel. Es ist also gelungen, eine Marktordnungsform, die der subsidiären Tradition des deutschen Sozialstaats entspricht, die Wahlrechte sichert und Raum für die Tätigkeit von Wohlfahrtsverbänden lässt, gegen die von einigen Kräften angestrebte Dominanz einer anderen Marktordnungsform zu verteidigen, die – wäre sie zum Standardmodell geworden – all dies gefährdet hätte. Ohne eine ordnungspolitisch fundierte Position, bei einem rückwärtsgewandten Verharren in der vermeintlichen unüberbrückbaren Gegnerschaft des Marktes und des Sozialen, wäre dieser Erfolg in Brüssel nicht zu erzielen gewesen. Alle diesbezüglichen Beschwörungen wären von den Gesprächspartnern auf EU-Ebene als Beweis einer prinzipiellen Gegnerschaft zum Binnenmarkt sowie als Verweigerung aufgefasst worden, sich transparenten und nicht-diskriminierenden Verfahren zu stellen.

IV. Spannungsverhältnis von Marktbehauptung und anwaltschaftlichem und sozialpolitischem Anspruch

Eine Ordnungspolitik sozialer Dienstleistungen zielt darauf, diesbezügliche Märkte so zu ordnen, dass sie im Interesse hilfebedürftiger Bürger wirken können. Aber auch auf angemessen geordneten Märkten bleibt ein Spannungsverhältnis zwischen den Herausforderungen und Zwängen, die caritative Dienstleister im Markt ausgesetzt sind, und ihren anwaltschaftlichen und sozialpolitischen Ansprüchen. Die verbandliche Caritas muss eine Doppelrolle einnehmen, sie vertritt sowohl anwaltschaftliche als auch unternehmenspolitische Interessen. Dabei stehen alle Gliederungen und Mitglieder der Caritas unter intensiver Beobachtung, ob sie glaubwürdig handeln, ob ihr unternehmerisches Handeln vereinbar ist mit ihren anwaltschaftlichen und sozialpolitischen Positionen. Wenn sie sich für bestimmte rechtliche Regelungen einsetzen, so stoßen sie nicht selten auf Vorbehalte, dies vorrangig zu fordern, um ihren eigenen Geschäftsbereich zu erweitern. Dieser Vorwurf wird absurderweise auch dann erhoben, wenn sich diese Forderungen auf Hilfefelder beziehen, in denen kaum eine Kostendeckung zu erreichen ist, wie dies bei Hilfen für Menschen in besonders prekären Lebenslagen häufig gegeben ist.

Um glaubwürdig zu handeln, muss die verbandliche Caritas ihre Hüte sauber sortieren. Wenn es um unternehmerische Interessen geht, etwa bei Fragen der Gemeinnützigkeit oder der Refinanzierung sozialer Leistungen, dann sollten diese offen benannt werden. Die Vertretung unternehmerischer Belange ist schließlich völlig legitim. Tabu muss sein, leistungsrechtliche Reformen, zumal solche, die die Wahlrechte hilfesuchender Bürger stärken, mit anwaltschaftlichen oder fachpolitischen Argumenten zurückzuweisen, wo einen doch in Wirklichkeit die Sorge umtreibt, noch nicht ausreichend gewappnet zu sein, wenn Hilfesuchende mehr Wahlrechte erhalten. In der Auseinandersetzung über das Persönliche Budget sind diese beiden Ebenen anfangs immer wieder vermischt worden. Im Folgenden sollen die letztlich nicht aufzulösenden Dilemmata angesprochen werden, die sich bei Arbeit der verbandlichen Caritas im Spannungsfeld zwischen Marktbehauptung und Leitbild prägen.8

1. Zwischen Dezentralität und Konzernimage

Die Caritas hat ein verfestigtes Konzernimage. Die Zahl „ihrer“ beschäftigten beruflichen Mitarbeitenden von mehr als 600.0009 wird mit den Beschäftigtenzahlen großer Unternehmen (Deutsche Bahn, Siemens etc.) verglichen und daraus geschlossen, die Caritas sei der größte private deutsche Arbeitgeber. Dieses Konzernimage ist früher von der Caritas (unbewusst?) befördert worden, wenn zur Hebung der eigenen Bedeutung auf die vielen Mitarbeitenden bei ihren Mitgliedern als Mitarbeitende des Verbandes selbst verwiesen wurde. Das Konzernimage ist aber durch die Binnenstruktur der verbandlichen Caritas in keiner Weise gedeckt. So wird die Mitgliedschaft außerhalb des verbandlichen Einflusses vom jeweils zuständigen Bischof geprüft und anerkannt. Die Organe des Verbandes auf Bundesebene können die Mitgliedschaft im Verband nicht an bestimmte weiterreichende Voraussetzungen (z. B. Qualitätsstandards, Transparenzregeln) binden oder gar Mitglieder ausschließen, wenn sie diese nicht erfüllen.

Dennoch wird dieses Gebilde als eine vielfältig gegliederte Einheit empfunden. Es gibt durchaus so etwas wie das Bewusstsein einer „Marke“ Caritas in der Bevölkerung. Sie ist eine der Marken mit sehr hohem Bekanntheitsgrad in Deutschland. Dass es ein solches Markenbewusstsein gibt, zeigt sich auch und gerade bei Negativmeldungen, etwa bei fehlender Transparenz, Missständen in einer Einrichtung oder Konflikten um die Bezahlung. Somit bleibt die Spannung zwischen Konzernimage und Dezentralität. Die Caritas ist hier gut beraten, die Grenzen ihrer Steuerungsmacht offen zu kommunizieren. Man muss jeder Rhetorik klar wiedersprechen, die aus der Caritas einen zentral geleiteten Konzern macht. Denn sonst verfestigen sich Erwartungen an die Einheitlichkeit unternehmerischen Handelns der Mitglieder der Caritas, die in einem Verband rechtlich selbstständiger Träger nicht sicherstellt werden können.