Future Skills in Medizin und Gesundheit

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Dr. phil. Marcel Mertz

Marcel Mertz studierte Philosophie und Soziologie an der Universität Basel und promovierte 2015 an der Universität Mannheim in Philosophie. Er forscht und lehrt seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn vorwiegend im Bereich der Medizinethik. Neben den Universitäten Basel und Mannheim war er an der Uniklinik Köln bzw. am Cologne Center for Ethics, Rights, Economics and Social Sciences of Health (ceres) der Universität zu Köln beschäftigt. Seit 2011 arbeitet er an der Medizinischen Hochschule Hannover und leitet seit Mitte 2018 die Arbeitsgruppe „Forschungs-/Public-Health-Ethik & Methodologie“ am Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin.

3Empathie Monja Gerigk
3.1 Hintergrund

Empathie ist als wünschenswerte Kompetenz sowohl in der Gegenwart als auch zukünftig in der digitalen Transformation unabdingbar gefordert. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff Empathie seit Jahrzehnten angekommen. Dennoch vermisst man eine allgemeine Definition. Wenn Sie Mitmenschen fragen, was sie unter Empathie verstehen, verbinden diese damit häufig, sich einfühlen zu können, fürsorglich zu sein, den anderen verstehen zu können. In unserem beruflichen wie privaten Alltag wird Empathie stets als essenzielle Kompetenz in der zwischenmenschlichen Interaktion gefordert. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen auf das Empathieverständnis von Tobias Altmann und Marcus Roth.

„Empathie ist die Fähigkeit Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen und dessen Gedanken und Vorstellungen zu verstehen“ (Altmann 2015, S. 113). Empathie wird unterschieden in die emotionale und die kognitive Empathie. Die emotionale Empathie ist die Fähigkeit, Emotionen eines anderen Menschen wahrzunehmen, die Stimmungslage anderer zu empfinden, das Gleiche zu fühlen (emotionale Ansteckung) und daraus resultierend einen Hilfsimpuls zu verspüren. Merkmale der kognitiven Empathie sind die Fähigkeiten, nicht nur die Gefühle, sondern auch die Gedanken, Absichten und Motive anderer Menschen zu verstehen, um auf das zukünftige Verhalten schließen zu können. Dazu zählt auch, die nonverbale Kommunikation im Kontext deuten zu können. Plüss formuliert: „Empathie verbindet Menschen emotional miteinander und ermöglicht, dass das Leid des anderen gesehen werden kann. Unempathische Menschen haben Mühe dieses Leid zu bemerken und sind moralisch taub“ (Plüss 2010, S. 16).

Abb. 1Die Phasen des Empathieprozesses nach Altmann 2016

Empathie beinhaltet, sich von der Not des Gegenübers anrühren zu lassen und ist die Voraussetzung eines umfassenden Verstehens.

Das Empathie-Prozessmodell (EPM) (Altmann 2016, S. 113–114) verfolgt den integrativen Ansatz zum Verständnis von Empathie. Der Empathieprozess wird in vier Komponenten beschrieben (s. Abb. 1).

1.Wahrnehmung: Der Beobachter sieht die emotionalen Signale der anderen Person und nimmt die Situation über Mimik, Gestik, Tonfall sowie verbale Äußerungen wahr (kognitive Fähigkeit).

2.Mentales Modell: Der Beobachter macht sich eine innere persönliche Vorstellung, um sich ein Abbild zur Situation, zu den Gedanken und den Gefühlen der anderen Person bewusst/gewahr zu werden (kognitive Fähigkeit).

3.Empathische Emotion: Durch das mentale Modell werden beim Beobachter ähnliche Gefühle erzeugt wie beim Beobachteten (affektive/emotionale Fähigkeit).

4.Antwort: Der Beobachter reagiert auf die Situation und das Erleben der anderen Person kommunikativ, verbal und oder nonverbal (kognitive und affektive Fähigkeit).

Nur wenn alle Phasen des Prozesses durchlaufen werden, gelingt eine empathische Interaktion zwischen zwei oder mehreren Individuen.

3.2 Anwendungsfelder in der Arbeitswelt und Grenzen der Empathie

Der von anstehenden Umstrukturierungsmaßnahmen verunsicherte Mitarbeitende; die aus der Elternzeit zurückkehrende Kollegin, deren Kind sich in der Eingewöhnungsphase im Kindergarten befindet; die Kollegin, die sich durch das wenig wertschätzende Verhalten des Kollegen angegriffen fühlt: Im Arbeitsalltag begegnen wir ständig individuellen Situationen oder Konflikten, die mit der allgegenwärtigen Forderung nach Empathie in den verschiedensten Rollen im Berufsleben verbunden sind. Ein Mehr an Empathie kann jedoch von Überforderung über emotionale Erschöpfung bis zum Burnout führen (Altmann 2015, S. 5). Die Fähigkeit zur Empathie scheint also nicht unerschöpflich zu sein.

Während viel über empathisches Verhalten zu lesen und hören ist, gibt es nur wenig Wissen über das Phänomen des Empathischen Kurzschlusses (EKS). Er führt zum Abbruch des Empathieprozesses, um sich vor den Emotionen des Gegenübers aus Selbstschutz zu distanzieren. Die Folge sind pseudoempathische Reaktionen, z.B. Beschwichtigungen wie „So schlimm es doch nicht“ oder Bewertungen wie „Sie sind doch eine starke Persönlichkeit, Sie schaffen das schon“. Der EKS führt zum Abbruch des Kontaktes – mit Auswirkungen auf beiden Seiten. Das Gegenüber fühlt sich un- und in seinem Anliegen missverstanden und stuft die andere Person als eher unempathisch ein. Auch für den Abbrechenden hat der EKS mittel- bis langfristig Konsequenzen. Bei ihm stellen sich Gefühle der Insuffizienz und der Unauthentizität ein, die langfristig zu Unzufriedenheit, Erschöpfungssymptomatik oder zynischen Denk-und Handlungsweisen führen. Gibt eine Person ihrem Selbstschutzmechanismus nicht nach und überfordert sich, verstärken sich diese negativen Folgen noch.

3.3 Bedeutung für das Gesundheitswesen und Empathie-Mindset als Schlüsselkompetenz

Schon gesunde Menschen wünschen sich im Kontakt mit einem Dienstleister ein Gegenüber, welches das Anliegen seiner Kunden empathisch aufnimmt. Sollte es zu unempathischem Verhalten durch den Anbieter kommen, stellt immer noch der Wechsel des Dienstleisters eine mögliche Option dar. Auch im Gesundheitswesen werden Dienstleistungen erbracht – medizinische, pflegerische und therapeutische. Doch hier wiegt unempathisches Verhalten durch das Personal ungleich schwerer und belastet sowohl den Erkrankten als auch die Angehörigen, da sich alle genannten durch die Erkrankung in einer Ausnahmesituation befinden. Das als unfreundlich empfundene Verhalten und das Gefühl nicht wahr- und/oder ernstgenommen zu werden, lastet schwer im Gedächtnis der Erkrankten und ihrem Umfeld. Denn Patienten vertrauen sich dem Behandlungsteam an und legen ihr Leben in dessen Hände. Dieses Vertrauen ist eine Vorschussleistung und kann jederzeit zurückgenommen werden. Verlorenes oder erschüttertes Vertrauen wirkt sich nachhaltig negativ auf das persönliche Sicherheitsbefinden und -bedürfnis, die Therapie-Compliance und das emotionale Patientenerleben aus.

Um zukünftig dem Bedürfnis der Erkrankten, An- und Zugehörigen nach Empathie im Krankenhauskontext gerechter zu werden, muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Empathie trainierbar ist. Voraussetzung für diese Erkenntnis und eine Trainingsbereitschaft ist, dass Mitarbeitende den Vorteil für den Patienten und vor allem für sich selbst erkennen. Die Trainingsprogramme schulen die Kompetenz, zwischen den eigenen und fremden Emotionen und Bedürfnissen zu differenzieren, ebenso wie die Erarbeitung von konkreten Verhaltensstrategien, in denen die Mitarbeitenden- und die Patientenperspektive Berücksichtigung findet. Über das Erlernen dieser Differenzierung sowie den Aufbau von reflektierten funktionalen Verhaltensweisen soll die emotionale Stabilität der Teilnehmenden gestärkt werden, um damit die Ausprägung von Belastungserleben zu reduzieren.

Zur Prävention von Erschöpfung und ähnlichen belastungsinduzierten Schädigungen in sozialen Berufen wird die Vermeidung des Empathischen Kurzschlusses angestrebt. Die Facetten von Belastungserleben reichen von emotionaler Erschöpfung, dem Wunsch den Beruf zu verlassen bis hin zum Burnout. Gründe für die Abwanderung aus der Pflege sind entsprechend die hohe körperliche und emotionale Belastung sowie das Gefühl, den Erkrankten nicht gerecht werden zu können. Eine verbesserte Empathiekompetenz wirkt sich also sowohl positiv auf Patienten, An- und Zugehörige als auch auf den einzelnen Mitarbeitenden aus und könnte von Arbeitgeberseite beispielsweise innerhalb des Betrieblichen Gesundheitsmanagements durch verpflichtende, interdisziplinäre Empathietrainings gefördert werden.

3.4 Warum wird der Classic Skill Empathiekompetenz in der Zukunft noch wichtiger?

Die Zukunft liegt in der digitalen Transformation hin zum Smart Hospital mit vernetzen Strukturen, digitalen Automatismen in Pflege, Medizin und Therapie und vielem mehr. Für die zwischenmenschliche Kommunikation und persönliche Kontakte kann dies jedoch eine Entfremdung bedeuten, wenn Patienten beispielsweise bei Anrufen in der Zentrale eines Krankenhauses an einen digitalen Bot gelangen, der das Anliegen abfängt oder bereits Antworten gibt ganz ohne persönliches Gespräch mit einem Klinikmitarbeiter. Zudem stehen Menschen Neuerungen bzw. Veränderungen oft skeptisch oder gar ängstlich gegenüber, vor allem, wenn sie diese nicht genau verstehen. Denken wir beispielsweise an Algorithmen einer Künstlichen Intelligenz, die längst Einzug gefunden haben in die Patientenversorgung. All dies kann den ohnehin belasteten Patienten und seine Angehörigen zusätzlich verunsichern und den Bedarf an empathischen Begegnungen noch erhöhen.

 

Mit der digitalen Transformation sind auch für Mitarbeitende stetige Veränderungsprozesse verbunden, die verunsichern können und womöglich durch notwendiges Erlernen neuer Abläufe und Tools zusätzliche Arbeit bedeuten. Hierdurch kann für die Mitarbeitenden die Belastung zuerst zunehmen bevor sie abnimmt. Und auch Mitarbeitende müssen zudem gegebenenfalls einem nicht erfüllten Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation mit Patienten und Angehörigen begegnen. Umso wichtiger wird es daher für die weniger aber intensiver werdenden persönlichen Kontakte durch eine Vermeidung von EKS Belastungen zu reduzieren und gezielt an der eigenen Empathiefähigkeit zu arbeiten.

Empathie- und Kommunikationstechniken sind trainierbare Fähigkeiten und Kompetenzen, die zukünftig noch bedeutsamer im Patienten- und Angehörigenkontakt sein werden, da sich die Anzahl der persönlichen Kontakte reduzieren und die Intensität der Gespräche zunehmen wird.


Hierin liegt die große Chance und Herausforderung in der digitalen Transformation: Durch ein Mehr an digitaler Unterstützung kann ein Mehr an Humanität ins Krankenhaus zurückkehren – zum Wohle und zur Entlastung aller.

Daher sind Empathie- und Kommunikationsfähigkeiten nicht dem Zufall oder den persönlichen Neigungen zu überlassen, sondern systematisch, am besten schon in der schulischen Laufbahn, zu vermitteln und einzuüben.

Literatur

Altmann T (2015) Empathie in sozialen Pflegeberufen, Psychologie in Bildung und Erziehung; vom Wissen zum Handeln. Springer Fachmedien Wiesbaden

Altmann T (2016) Empathiearbeit mit Gewaltfreier Kommunikation. In: Roth M, Schönefeld V, Altmann T (Hrsg.) Trainings- und Interventionsprogramme zur Förderung von Empathie. 111–125. Springer Verlag Berlin/ Heidelberg

DBFK (2021) Manifest der Pflegeberufe. URL: https://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/ (abgerufen am 05.02.2021)

Plüss A (2010) Empathie und moralische Erziehung: Das Einfühlungsvermögen aus philosophischer und pädagogischer Perspektive. LIT Verlag Münster


Monja Gerigk, B.A.

Monja Gerigk leitet seit November 2018 das Institut für PatientenErleben in der Universitätsmedizin Essen. Davor war sie stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement in der Universitätsklinik Essen. Nach der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und Weiterbildung zur Fachschwester für Anästhesie- und Intensivpflege wechselte sie zum Pharmakonzern Fresenius im Bereich Homecare zur Koordination und Standardisierung von Spezialtherapien im häuslichen Umfeld von Patienten. Ihr betriebswirtschaftliches Studium im Gesundheits- und Sozialwesen, die Qualifikationen im Bereich Qualitäts- und Risikomanagement als Auditorin, Dozentin, Autorin und als Systemischer Business Coach runden ihre Managementkompetenzen ab. Als Mitglied in der Ethikkommission legt sie unter anderem den Schwerpunkt auf die Patienteninformationen im Rahmen von Forschungsvorhaben.

4Freundlichkeit Carolin Lüdemann

„Es ist nett, wichtig zu sein. Aber noch wichtiger ist es, nett zu sein.“ (Roger Federer)

Wann sprechen wir von Freundlichkeit? Wird die Antwort zunächst einmal sozialpsychologisch betrachtet, müsste sie heißen:

Als Freundlichkeit bezeichnet man das anerkennende, respektvolle und wohlwollende Verhalten eines Menschen, aber auch seine innere wohlwollende Geneigtheit gegenüber seinem sozialen Umfeld.

Was sich im ersten Moment etwas sperrig anhört, birgt Wichtiges: Es begegnet derjenige seinen Mitmenschen freundlich, der sich ihnen gegenüber in Außenwirkung wertschätzend und aufmerksam verhält. Diese Definition überrascht die meisten Menschen vermutlich nicht. Doch für wahrhafte Freundlichkeit braucht es noch mehr: Das nette Auftreten muss nämlich auch einer entsprechenden inneren Haltung entspringen und darf zum Beispiel nicht nur vorgespielt werden. Wir brauchen also beides: das sympathische Auftreten und auch das innere Wohlwollen gegenüber unseren Mitmenschen. Erst dann ist unsere Freundlichkeit echt und authentisch.

Es bedeutet aber auch, dass man noch so viele Mitarbeiter in ihrem Auftreten gegenüber Patienten und Kunden schulen kann, sie über einen freundlichen Sprachgebrauch und höfliche Umgangsformen informieren kann; was es wirklich braucht, sind Mitarbeiter die innerliche Freundlichkeit besitzen. Alles andere würde auch der Patient alsbald bemerken, weil es einfach an Authentizität und damit auch an Glaubwürdigkeit fehlen würde.

Freundlichkeit und Wertschätzung wird im Umgang mit den Kunden anerkannt, wenn auch nicht immer optimal umgesetzt – im Umgang mit dem Patienten erfährt er manches Mal noch untergeordnete Bedeutung. Aus eigener Erfahrung muss ich bilanzieren, dass es als Patient keineswegs an der Tagesordnung ist, sich als „König Kunde“ zu fühlen. Vielmehr kommt man sich oftmals als Bittsteller vor, der ganz selbstverständlich auch einige Nachteile in Kauf nehmen muss:

lange Wartezeiten im Wartezimmer,

wenig Diskretion am Empfang,

mangelndes Feingefühl im Umgang mit dem Anliegen des Patienten,

ein gehetzter Arzt und

verwirrende Diagnosen, die nicht in die Sprache des Patienten übersetzt werden.

Womöglich mit Folgen, die nicht zu unterschätzen sind: Zieht man parallele Fälle aus der Arbeitswelt zu Rate, wird deutlich, dass der (freundliche und höfliche) Umgang mit dem Kunden manches Mal ein unterschätztes Phänomen ist. Allzu oft höre ich die Theorie, dass zunächst einmal Fachkompetenz entscheidend ist und sich alles andere hinten anstellen müsste.

Dabei wird übersehen, dass der Kunde fachliche Kompetenz meist nicht vollumfänglich beurteilen und bewerten kann und das schon gar nicht im prägenden ersten Eindruck. Infolgedessen spielt es für den Kunden eine umso größere Rolle, ob ihn sein Gegenüber bereits zum frühen Zeitpunkt als Person überzeugen kann – oder eben nicht. Großes Vertrauen in die Person bringt dann wiederum Vertrauen in die Sache und damit auch in die fachliche Kompetenz mit sich.

Darüber hinaus zeigt sich, dass es meist nicht gelingt, den Kunden dauerhaft zu binden, wenn es an der persönliche Beziehung und Bindung fehlt. Und dafür ist ein freundliches Miteinander unerlässlich. Kunden sind heutzutage wechselwilliger als je zuvor: Zum einen wird der persönliche Kontakt zum Kunden im Wege der Digitalisierung seltener – Bankkunden beispielsweise suchen ihre Filiale heutzutage deutlich seltener auf als das in früheren Zeiten der Fall gewesen ist: Überweisungsaufträge werden schon lange nicht mehr persönlich überreicht, das Online-Banking macht anonymes Agieren möglich und der Kontakt zum Kundenberater wird immer seltener. Folglich nimmt auch die persönliche Bindung zwischen Bank und Kunde stetig ab. Zum zweiten sind die Kunden heute so gut informiert wie nie zuvor: Dank der Digitalisierung ist es einfach herauszufinden, was andere Banken bzw. Dienstleister anzubieten haben. Schnell findet sich dann ein Angebot, das noch interessanter klingt und zum Wechseln einlädt.

Dieses Szenario lässt sich ohne weiteres auf andere Branchen übertragen: Durch die wachsende Digitalisierung nehmen die persönlichen Kundenkontakte ab und die Beziehung zum Kunden lässt nach. Gleichzeitig wächst der Wunsch des Kunden nach „echten“ Beziehungen, gerade weil sie nicht mehr selbstverständlich sind. Wenn dann „endlich“ einmal wieder ein persönlicher Kontakt stattfindet, muss der auch den Anforderungen gewachsen sein. Findet nun eine unfreundliche Begegnung und ein Service, der zu wünschen lässt, statt ist der Kunde – und wohl auch der Patient – selbstständig genug, um woanders sein Glück zu suchen. Die früher selbstverständliche Bindung zu mitunter langjährigen Geschäftspartnern ist damit in keinem Bereich eine Selbstverständlichkeit.

Ziehen wir einen weiteren Aspekt in unsere Überlegungen ein: Der Patient ist heute insbesondere in der Lage, seine guten wie auch schlechten Erfahrungen mit hunderten oder sogar tausenden Lesern zu teilen – über die sozialen Netzwerke. Früher konnte man den Nachbarn oder engen Freunden erzählen, ob man mit der medizinischen Behandlung zufrieden war. Heute teilt man seine Meinung anonym mit einer unbegrenzten Empfängerschaft. Es gibt Ärzte mit 5-Sterne-Bewertungen und andere, die über einen Stern nicht hinaus kommen. Liest man sich diese Bewertungen durch, sieht man, dass selbstverständlich eine wesentliche Fragestellung ist, ob das Anliegen bzw. die Beschwerden gelöst oder zumindest verbessert werden konnten. In den meisten Feedbacks geht es aber auch um andere Dinge: Hat sich der Arzt Zeit für mich genommen, ist er mir aufmerksam und freundlich begegnet, hat er mir als Laie alle gut erklärt etc. Mehr denn je, wirkt der Patient also als Kommunikator nach außen – auch das sollten wir nicht unterschätzen.

In den meisten Unternehmen ist das Bewusstsein angekommen, dass der beste Service gerade gut genug ist um die bestehenden Kunden zu halten bzw. zu gewinnen. Und dass freundliche, zuvorkommende und wertschätzende Mitarbeiter dafür Grundvoraussetzung sind. Interessanterweise sind es oft gerade Unternehmen, die im Wege der Digitalisierung geboren und Daseinsberechtigung erfahren haben, die mit exzellentem Service von sich reden lassen: Wer sich an den Kundenservice von Amazon wendet, bekommt innerhalb von wenigen Stunden, manchmal auch Minuten, eine Antwort. Bei Zalando gibt es ein 100-tägiges Rückgaberecht. Ein Service, der verwöhnt und Ansprüche steigen lässt. Ruft der Patient dann wenige Augenblicke später bei seinem Arzt an, hängt er in der telefonischen Warteschleife, mitunter geht 15 Minuten vor der Mittagspause gar niemand mehr ans Telefon. In Corona-Zeiten erlebt man Ärzte, die ihre Wartezimmer mit System bei Wind und Wetter auf die städtischen Gehwege ausgeweitet haben und wenn man es dann endlich (telefonisch oder persönlich) geschafft hat, zur Anmeldung durchzudringen, muss man sich oft noch mit gleichgültiger Unfreundlichkeit abfinden.

Wenn es nun in vielen Fällen nicht selbstverständlich ist, dem Patienten freundlich zu begegnen, kann man auch festhalten: Umso leichter könnte es werden, sich von den negativen Beispielen abzuheben. Im Folgenden werden Tipps für mehr Freundlichkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen und Patienten gegeben.

Das Gegenüber wahrnehmen. Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, wir stehen an der Supermarktkasse und werden von der Kassiererin unverhofft mit Namen angesprochen. Einfach deshalb, weil sei sich unseren Namen vor ein paar Tagen beim letzten Einkauf gemerkt hat. Würden Sie das nicht auch freuen? Zumal Sie nicht zwingend damit gerechnet haben und es mit dem Namenmerken auch gar nicht so ganz einfach ist. Daher liegen solche positiven Überraschungen wohl nicht nur an einem guten Gedächtnis, sondern vor allem an dem Willen.

Nachhaltiges Interesse zeigen. Über das Nötigste hinaus: Kundenberater machen sich gern Notizen zu ihren Kunden. Wenn der Kunde erzählt, dass er gern in den Urlaub nach Mallorca fliegt oder zwei Kinder in der Grundschule hat, dann notiert sich das der Kundenberater nach dem Gespräch kurz. In der Folge kann er beim kommenden Treffen, noch Monate später, detailliert nachfragen und zeigen, dass er das Gespräch von damals noch in Erinnerung hat. Eine freudige Überraschung für den Kunden und eine Erleichterung für das Smalltalk-Gespräch, wenn man nicht noch einmal komplett von vorne beginnen muss. Dieser Mehraufwand ist meiner Meinung nach jedem zu empfehlen, der mit größeren zeitlichen Abständen auf Kunden oder Patienten trifft, die sich ihrerseits natürlich immer noch bestens erinnern können – umgekehrt wird das aufgrund der Vielzahl an Begegnungen und Gesprächen sonst manchmal schwierig.

 

Erwartungen übertreffen. Schlimm genug, wenn Erwartungen des Kunden in Form des Patienten nicht erfüllt werden. Das ist immer das Minimum: Die Erwartungen zu erfüllen um eine gute und vertrauensvolle Patientenbindung zu gewährleisten. Noch besser: die Erwartungen zu übertreffen. Eine Idee, die vielleicht nicht für jedermann umsetzbar ist, die jedoch den Grundgedanken zeigt: es gibt Mediziner, die ihren Patienten für Fälle in der Not ihre eigene Handynummer zur Verfügung stellen. Sicher nichts, was man als Patient erwarten kann – aber ein enormer Vertrauensbeweis und Zeichen höchster Anteilnahme und Engagements.

Freundlichkeit und Service. Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit, dass die Relevanz von Freundlichkeit und Service auch im Gesundheitswesen ankommt. Wenn Kunden- und Patientenkontakte (wie oben beschreiben) abnehmen, Kunden und Patienten besser informiert sind als je zuvor, ihre Meinungen in den sozialen Medien zigfach teilen können und auch wechselwilliger sind als je zuvor, bleibt und ist der Schlüssel zum Patienten Freundlichkeit und Service. Wenn es um das wichtigste Gut – die Gesundheit – geht, möchte man sich einfach gut aufgehoben fühlen.