Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin

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Nachhaltiges Wortschatzlernen mit digitalen Ressourcen

Überlegungen zur Vermittlung und Erforschung des Wortschatzlernens im Kontext der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung für romanische und slawische Sprachen

Grit Mehlhorn & Christiane Neveling

Vokabellernen wird sowohl von Schülerinnen und Schülern (SuS) als auch von Lehrkräften als permanente Herausforderung im Unterricht der zweiten und dritten Schulfremdsprachen wahrgenommen. Es erfolgt erfahrungsgemäß – vermutlich auch bedingt durch die Anlage schulischer Leistungstests – oft wenig effektiv. Die Einbeziehung digitaler Webtools kann zwar zumindest kurzfristig die Motivation erhöhen, ist jedoch wenig nachhaltig, wenn das Wortschatzlernen strategisch unreflektiert und mit vorgefertigtem Material erfolgt. Die dafür notwendige Strategievermittlung sollte bereits in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung angebahnt werden. Darüber hinaus besteht im Rahmen von Schulpraktika und studentischen Abschlussarbeiten die Möglichkeit, Lehramtsstudierende an forschendes Lehren im Bereich der Lexikvermittlung heranzuführen. Mit diesem Beitrag möchten wir konkrete Vorschläge unterbreiten, wie Erkenntnisse zum Wortschatzlernen und zur strategischen Wortschatzarbeit gezielt in die Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrkräfte für die romanischen und slawischen Sprachen integriert werden können.

1 Einleitung

Nachhaltiges Wortschatzlernen findet statt, wenn Lexik tiefgründig verarbeitet sowie langfristig im mentalen Lexikon verankert und gespeichert wird und somit weniger anfällig für Sprachverlust ist (vgl. Larson-Hall, 2019). Aufgrund der geringen Kontaktzeit zur Zielsprache, die im Unterricht der zweiten Fremdsprachen zur Verfügung steht, ist die Frage, wie Wortschatz gelernt werden soll, besonders wichtig. Das Behalten neuer Lexik in einer Fremdsprache wird v.a. durch zwei Faktoren bestimmt: wie häufig die Wörter im Input vorkommen und was Lernende mit dem Wortschatz tun.1 Laufer und Rozovski-Roitblat (2015, S. 687) schlussfolgern nach einer Auswertung mehrerer Studien zum Wortschatzlernen, „that what learners do with the word may be more important than how many times they encounter it“. Um sich neue Lexik anzueignen, muss man sich also gezielt mit ihr beschäftigen. Bei Aktivitäten mit neuem Vokabular spielt zudem die Verarbeitungstiefe eine wichtige Rolle: „Je mehr Ebenen (Bedeutung, Form, Lesen, Schreiben, Hören, Aussprechen, Handeln) ein Wort durchläuft, desto tiefer wird es gespeichert“ (Neveling, 2016, S. 117). Vokabeltests tragen möglicherweise zur Kontrolle und Disziplinierung von SuS bei (vgl. Kötter, 2017, S. 28), ihr Format bestimmt aber nolens volens die Strategien, mit denen Lernende sich Vokabeln einprägen: Werden Wörter in Vokabelgleichungen abgefragt, so wählen SuS eine Vorbereitung in zweisprachigen Listen und lassen etwa vielfältig vernetzende, individuelle Strategien außer Acht (Washback-Effekt, vgl. Neveling, 2004, S. 109ff., S. 333).

Beobachtungen im schulischen Fremdsprachenunterricht zeigen, dass auch die sog. digital natives digitale Anwendungen zum Wortschatzlernen wie elektronische Wörterbücher und Korpora kaum von sich aus verwenden, sondern stattdessen oft nur auf eine Übersetzungsmaschine zurückgreifen. Vokabel-Apps werden dagegen häufiger genutzt (vgl. Statista, 2020), jedoch strategisch nicht immer sinnvoll (vgl. Fritz, Passey & Morris, 2009; Hausmann, 2019). Für den Einsatz von Webtools beim Fremdsprachenlernen spricht, dass das Internet zur Lebenswelt der SuS gehört, dass diese aufgrund der spielerischen Elemente (gamification) motivierter bei der Sache sind und durch programmiertes Feedback eher Lernerfolge wahrnehmen. Um digitale Anwendungen jedoch zielführend zu nutzen, ist neben Wissen über Sprachlernstrategien kritische Medienkompetenz vonnöten, insbesondere die kriteriengeleitete Auswahl von Medien und Materialien.

Das Internet bietet inzwischen eine fast unüberschaubare Fülle von Tools zum Vokabellernen von jedoch recht unterschiedlicher Qualität. Um zwischen einer „planlosen und eher zufälligen Verwendung von Apps und digitalen Zusatzangeboten“ und „einer integrativen didaktisch-methodischen Konzeption digital basierten Fremdsprachenlernens“ (Funk, 2019, S. 75) mit sinnvollen Formaten und interaktionssteuernden Potenzialen zu unterscheiden, schlägt Funk (ebd.) eine übungstypologische Differenzierung vor. So sollte man mit Blick auf die Lernenden unterscheiden zwischen

 Anwendungen wie Youtube, die nur konsumiert werden,

 Apps, in denen die Lernenden nur reagieren, etwa durch das Ankreuzen von Richtig-Falsch-Optionen,

 Zuordnungsübungen oder der Rekonstruktion von Textlücken,

 reproduktiven lernenden- und programmgesteuerten Aktivitäten, z. B. beim Vokabellernen mit digitalen Karteikarten wie in phase 6 oder Quizlet,

 bis hin zu kollaborativen Aktivitäten, mithilfe derer sich Lernende beim Wortschatzlernen und der Texterstellung unterstützen, etwa beim kreativen Schreiben auf einer digitalen Pinnwand.

Im Folgenden wollen wir anhand konkreter Beispiele darstellen, wie digitale Anwendungen für innovative Verfahren der Wortschatzarbeit von Lehramtsstudierenden genutzt werden können, um eine kritische Medienkompetenz zu entwickeln, die sie für die Wortschatzvermittlung im schulischen Fremdsprachenunterricht benötigen. Dabei gehen wir exemplarisch auf interaktive Lexikübungen (Abschnitt 2.1), die Arbeit mit Online-Wörterbüchern (2.2) und Vokabeltrainern (2.3) sowie mit Korpora (2.4) ein, bevor wir uns in Abschnitt 3 den Möglichkeiten des forschenden Lernens im Bereich Wortschatz zuwenden.

2 Wortschatzlernen in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften

„Digitales Lehren und Lernen bedarf dringend guter Vorbilder“ (Fandrych, 2019, S. 61). Neue Kommunikationsformate und digitale Medien zum Wortschatzlernen enthalten zahlreiche Affordanzen, haben jedoch auch Grenzen. Die veränderte Art, in der sie die Wahrnehmung, Wirklichkeitskonstruktion und Handlungsmöglichkeiten (mit) beeinflussen, müssen in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung thematisiert und reflektiert werden (vgl. ebd., S. 59). Funk (2019, S. 72) betont, dass App-Entwickelnde kein Unterrichtskonzept haben. Angehende Fremdsprachenlehrende sollten daher befähigt werden, Auswahl und Einsatz von digitalen Ressourcen kritisch zu hinterfragen, um Internetanwendungen jenseits behaviouristischer pattern drills zu nutzen und ihre SuS Schritt für Schritt bei der Anwendung passender Lernstrategien anleiten zu können. Lehramtsstudierende sollten Beispiele guter Praxis kennenlernen, analysieren und dafür die tägliche Nutzung von sprachbezogenen digitalen Hilfsmitteln durch SuS eruieren, deren Potenzial kritisch untersuchen, um sie darauf aufbauend zu adaptieren und sinnvoll in den Unterricht zu integrieren.

Eine generell zu beobachtende Medienaffinität bei Lehramtsstudierenden bedeutet noch nicht, dass sie wissen, wie die Technologie im Fremdsprachenunterricht gewinnbringend eingesetzt werden kann. Funk (2019, S. 70f.) zeigt die Notwendigkeit einer digital literacy in der Fremdsprachendidaktik auf. Angehende Lehrkräfte benötigen Training, um SuS Mechanismen zu verdeutlichen, wie und wann Suchmaschinen und Webbrowser zu nutzen sind. Als künftige Fremdsprachenlehrende sollten sie in der Lage sein, sowohl das Potenzial als auch die Grenzen von fertigen Online-Materialien, Lernspielen und digitalen Werkzeugen für das fremdsprachige Wortschatzlernen einschätzen zu können (vgl. Mehlhorn, 2019, S. 178). Von ihnen wird erwartet, Lernende zu einem effizienten und verantwortungsvollen Mediengebrauch anzuleiten, d.h. bspw., sie in die Lage zu versetzen, Online-Wörterbücher, Korpora, aber auch Übersetzungsdienste strategisch sinnvoll für ihre Sprachproduktion zu nutzen. In Zweifelsfällen sollten die SuS alternative Nachschlagewerke zu Rate ziehen und verschiedene Übersetzungsvorschläge kritisch vergleichen können sowie einschätzen lernen, welchen Quellen sie eher vertrauen können (vgl. ebd.). Lehramtsstudierende sollten sich während ihrer Ausbildung begründete Einschätzungen erarbeiten, was welche Arten von Medien und Webtools für das Wortschatzlernen und den Fremdsprachenunterricht leisten können und wie sinnvolle Lernszenarien mit digitalen Ressourcen gestaltet werden sollten.

2.1 Interaktive Übungen

Übungsformaten im Internet (z. B. H5P, https://learningapps.org) wird hohes Motivationspotenzial zugeschrieben, da die SuS schnell eine (programmierte) Rückmeldung erhalten und bei richtiger Lösung Erfolgserlebnisse haben. Allerdings unterscheiden sich solche Übungen stark in Bezug auf Steuerungsmöglichkeiten der Lernenden. Wortschatz wird oft nur reaktiv, allenfalls reproduktiv geübt. Viele Übungen erscheinen als verkappte Vokabeltests (vgl. Krings, 2016, S. 337), haben jedoch kaum Lerneffekte und tragen damit wenig zum langfristigen Behalten bei. Wie auch ihre analogen Vorläufer sorgen Online-Übungen, in denen Einzelwörter z. B. in einem Kreuzgitter identifiziert werden sollen, weniger für eine Verankerung der Vokabel im mentalen Lexikon als Aktivitäten, bei denen ein zielsprachiger Text durch das Einsetzen gesuchter Wörter in der kongruenten Wortform rekonstruiert werden muss. Zuordnungsübungen sind insbesondere dann hilfreich, wenn sie weitere Sinneskanäle ansprechen und dadurch zu einer tieferen Verarbeitung beitragen. So können Schrift- und Lautbild (Audioaufnahme), fremdsprachige Zahlwörter der entsprechenden Ziffer oder Wörter eines Themenbereichs passenden Bildern zugeordnet (Memory-Format) oder Adjektive entlang ihres Graduierungsgrades (etwa von langsam zu schnell) sortiert werden (vgl. Küster & Sparenberg, 2013, S. 60). Die Zuordnung isolierter fremdsprachiger Vokabeln zu ihren deutschen Übersetzungen erscheint weniger effektiv als die gezielte Zusammensetzung von Mehr-Wort-Einheiten, z. B. poln. wysłać + plik, frz. envoyer + un fichier, russ. отправить + файл, span. enviar + un archivo, wenn die Vokabel mit einem (grammatischen) Minikontext verbunden wird.1 Diese Erkenntnisse könnten sich Lehramtsstudierende zu eigen machen, indem sie im Rahmen linguistischer oder fachdidaktischer Veranstaltungen interaktive Wortschatzübungen ihrer Zielsprache kritisch auf das Lernpotenzial für SuS untersuchen, bevor sie in einem zweiten Schritt selbst ähnliche Übungen erstellen. Wenn die Studierenden die Übungen ihrer Kommiliton/inn/en ausprobieren und dazu Feedback geben, werden sie schnell auf Konstruktionsfehler stoßen und können sich eine Art Kriterienkatalog für nachhaltige Wortschatzübungen erarbeiten. Dieser könnte u.a. das Lernziel, die Formulierung sowie Funktionalität der Aufgabenstellung und des programmierten Feedbacks, die Anzahl und den Schwierigkeitsgrad der Items, ggf. abrufbare Hilfestellungen sowie die mediale Umsetzung (Passung von Wort und Bild, Qualität der Audiodateien usw.) umfassen. Das Lernpotenzial interaktiver Übungen kann durch eine kontextgebundene Weiterarbeit mit dem Material erhöht werden, indem z. B. reflektiert werden muss, nach welchem Prinzip der Wortschatz in einer Übung sortiert wurde, oder indem die Lernenden sich eine bestimmte Anzahl korrekt zugeordneter Chunks herausschreiben und damit Sätze formulieren, die in ihrer individuellen Sprachanwendung vorkommen könnten. Auf diese Weise wird ein reines Durchklicken im Autopilotmodus vermieden, und die Ergebnisse online absolvierter Übungen können im Unterricht wieder aufgegriffen werden.

 

Eine Portfolioaufgabe in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden slawischer Sprachen an der Universität Leipzig lautet:

Erstellen Sie für eine konkrete Zielgruppe (Schulform und Lernjahr konkretisieren) eine Übungssequenz zu einem lexikalischen oder grammatischen Thema Ihrer Wahl, die aus fünf unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Übungen besteht (Progression vom Einfachen zum Schwierigen, von der Reproduktion zur freieren Produktion beachten). Formulieren Sie konkrete Aufgabenstellungen, geben Sie genügend Items pro Übung an und verfassen Sie ein Erwartungsbild (Lösungsschlüssel). Erläutern Sie, was mit den einzelnen Übungen jeweils gelernt und gefestigt werden soll. Erstellen Sie eine der Übungen online, indem Sie ein Format auf https://learningapps.org/ für Ihre Zwecke adaptieren. Geben Sie die genutzen Materialquellen an und erläutern Sie, wie Sie vorhandene Lehrwerkübungen für Ihre Zwecke adaptiert haben. Vorgeschlagener Umfang: 1-2 Seiten Erläuterung plus Arbeitsblatt mit Übungen, Arbeitsanweisungen und Erwartungsbildern.2

Diese Aufgabe birgt Herausforderungen und Lernpotenzial für die Lehramtsstudierenden. Sie setzen sich intensiv mit Übungsformaten und einem konkreten sprachlichen Thema auseinander, lösen Übungen aus der Lernendenperspektive, erkennen dabei Brüche in der Progression von Lehrwerksübungen und lernen, Lehrwerksangebote zielgruppenspezifisch zu modifizieren.

2.2 Arbeit mit Online-Wörterbüchern

Wilkening (2015) beschreibt anhand von konkreten Fallbeispielen, dass viele SuS das Nachschlagen in gedruckten Wörterbüchern heute nicht mehr beherrschen. Selbst wenn sie im Fremdsprachenunterricht direkt Zugriff darauf haben, verwenden sie sie kaum von sich aus, und auf Aufforderung fällt es ihnen schwer, überhaupt zielsprachige Lexik in einem gedruckten Wörterbuch aufzufinden. Online-Wörterbücher werden wegen des schnelleren Zugriffs bevorzugt, wenn nicht gleich durch Anwendungen wie Google-Translator oder DeepL ersetzt. Solche Übersetzungsprogramme sind jedoch für das Nachschlagen der Bedeutung einzelner Wörter eher ungeeignet, da die Ergebnisse in der Regel wenig hinterfragt und nicht zum Wortschatzlernen genutzt werden. Auch wenn die Ergebnisse maschineller Übersetzung durch Online-Dienste in den letzten Jahren stark verbessert wurden, sind sie für morphologisch komplexere Sprachen längst noch nicht ausgereift. Die bisher eher begrenzten Möglichkeiten, mithilfe künstlicher Intelligenz Informationen z. B. zum Genus aus Ausgangstexten zu entnehmen, führen bei der automatischen Übersetzung regelmäßig zu gravierenden Fehlern etwa bei der pronominalen Aufnahme zuvor eingeführter Referenten. Eine kritische Auseinandersetzung mit solchen Übersetzungsprodukten in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung kann Sprachbewusstheit anbahnen und dazu beitragen, Grenzen von Online-Diensten zu erkennen und ihre Potenziale reflektierter zu nutzen (vgl. Mehlhorn, 2019, S. 178).

Online-Wörterbücher können heute prinzipiell mehr leisten als gedruckte Wörterbücher; v.a. sind sie durch die Möglichkeit der permanenten Erweiterung aktueller. Allerdings lässt zum einen die sprachliche Strukturiertheit der Angaben in manchen elektronischen Wörterbüchern zu wünschen übrig, zum anderen finden sich unzureichende oder korrekturbedürftige Einträge. Kötter (2017, S. 37) zufolge muss der Gebrauch von Print-Wörterbüchern genauso sorgfältig vorbereitet und intensiv erarbeitet werden wie der Umgang mit ihren webbasierten Pendants, bevor man die SuS mit diesen Ressourcen selbstständig arbeiten lässt. Lehramtsstudierende sollten in der Lage sein, die Qualität von (Online-)Wörterbüchern einschätzen zu können. Die Eignung webbasierter Nachschlagewerke lässt sich jedoch nicht auf einen Blick beurteilen. So ist der erfasste Wortschatz nicht für alle Sprachen gleichermaßen umfangreich.1 Während man bei gedruckten Wörterbüchern schon anhand der Größe einen ungefähren Eindruck vom Umfang der enthaltenen Lexeme und hilfreichen Zusatzinformationen enthält, muss man bei den digitalen Wörterbüchern genauer hinschauen (vgl. Mehlhorn, 2020, S. 6). Lehramtsstudierende könnten dieselben Vokabeln in verschiedenen Online-Wörterbüchern aufsuchen, die vorgefundenen Informationen (u. a. Anzahl der verzeichneten Bedeutungen, Kollokationen, grammatische Informationen) vergleichen und sich dabei selbst von der Leistungsfähigkeit einzelner Nachschlagewerke überzeugen. Das würde ihnen helfen, SuS bei der Wörterbucharbeit anzuleiten. Indem Fremdsprachenlernende Informationen wie die Wortbetonung im Russischen, den Artikel im Französischen oder Spanischen, die Deklination eines Wortes in den slawischen Sprachen oder die passende Präposition nachschlagen, üben sie gleichzeitig den strategischen Umgang mit wichtigen Hilfsmitteln. Die folgenden Aufgabenstellungen sollen dies exemplarisch illustrieren:


(1) Unterstreiche die passende Form der eingeklammerten Wörter. Inwiefern kann das Wörterbuch bei der Lösung behilflich sein?
a. (frz.) Je ne (lui / le) crois pas. (Ich glaube ihm nicht.)
b. (poln.) Nie przeszkadzaj (ojca / ojcu)! (Stör den Vater nicht!)
c. (russ.) Я поздравляю (тебя / тебе) с днём рождения. (Ich gratuliere dir zum Geburtstag.)
d. (span.) Esto era / estaba de esperar. (Das war zu erwarten.)
(2) Setze die passende Präposition ein. Bei welchem Wort schaust du nach, falls du unsicher bist?
a. (frz.) J’ai appris (de / par) le journal que la ministre a démissionné. (Ich habe ____ der Zeitung erfahren, dass die Ministerin zurückgetreten ist.)
b. (poln.) To była miłość ___ pierwszego wejrzenia. (Das war Liebe ___ den ersten Blick.)
c. (russ.) Мне надо ___ туалет. (Ich muss ___ Toilette.)
d. (span.) ¿Tú crees (a / en) Dios? (Glaubst du ___ Gott?)

Da zum Erlernen neuer Lexik auch die lautliche Form gehört, haben Online-Wörterbücher, die auf Mausklick Wörter vorsprechen, einen Zusatznutzen. Eine Qualitätsprüfung der Audiodateien zeigt jedoch, dass nicht alle gleichermaßen zur Ausspracheschulung geeignet sind. Elektronische Wörterbücher wie Leo und PONS nutzen die Text-to-speech-Technik, bei der einzelne eingesprochene Lautschnipsel automatisch zu Audiodateien zusammengesetzt werden. Auch wenn die Sprachsynthese in jüngster Zeit rasante Fortschritte gemacht hat, klingen die entsprechenden Audiospuren oft künstlich und monoton und sind für Zwecke der Ausspracheschulung in den romanischen und slawischen Sprachen nur bedingt empfehlenswert. Insbesondere die Intonation, der Wortrhythmus und die Realisierung betonter und unbetonter Silben weichen ab von Wörtern, die als Ganzes eingesprochen wurden.

Elektronische Wörterbücher bieten außerdem Unterstützung beim Leseverstehen sowie beim Verfassen und Berichtigen eigener Texte. Durch effizientes Nachschlagen kann man viel über weitere Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes lernen (vgl. die Strategieerläuterungen bei Krings, 2016, S. 249ff.). Lehramtsstudierende könnten – bspw. im Rahmen der Schulpraktika – anhand der Auswertung von schriftlichen Arbeiten von Lernenden eine Unterrichtsstunde vorbereiten, in der die Produkte unter Nutzung von Online-Wörterbüchern überarbeitet werden sollen.

2.3 Arbeit mit Wortschatztrainern

Elektronische Wortschatztrainer, die am Laptop, PC, Tablet oder Smartphone genutzt werden, sind dem traditionellen Vokabelheft in mehreren Aspekten überlegen, insbesondere wenn sie Wortschatz multimedial (mit Bildern und Audiodateien) und in Kontextbeispielen präsentieren sowie abwechslungsreiche Einpräge- und Abfragefunktionen (Vokabeldiashow, Vokabelkarten zum Umdrehen, Vokabelmemory, paarweises Zuordnen, Audioabfrage als Hördiktat) bieten und den Fortschritt der Lernenden – etwa durch Statistiken gewusster Wörter – dokumentieren. Es gibt eine Reihe kostenloser (Languagecourse, Leo, Memorion, PONS, Quizlet), aber auch kostenpflichtiger Wortschatztrainer wie Flashcards Deluxe, Mosalingua, phase 6 oder Wordbeat, über die sich Lehramtsstudierende im Rahmen von Projektarbeit einen ersten Überblick verschaffen könnten.

Immer mehr Wortschatztrainer basieren auf dem Lernkarteiprinzip mit Spaced-Repetition-System (SRS): Bei richtiger Übersetzung gelangen die Karten in die nächsthöhere Phase, bis sie zu einem späteren Zeitpunkt fällig werden. Nach der sechsten Wiederholung sollen sich die Vokabeln im Langzeitgedächtnis befinden, daher auch die Bezeichnung phase 6 für die bei SuS sehr beliebte kommerzielle App mit fertigen Vokabelsammlungen gängiger Schulbuchverlage. Ein Vorteil dieser Anwendung besteht darin, dass die Wörter durch Muttersprachler/innen vertont wurden, teilweise grammatische Informationen (z. B. Genusformen der Adjektive) und meist einen Beispielsatz enthalten. Dennoch handelt es sich um isolierte Vokabelgleichungen, in der Regel ohne Übersetzungsvarianten und ohne Unterscheidung zwischen rezeptiv erschließbarem und Lernwortschatz. So wird im Band 3 zum Russischlehrwerk Dialog das Nomen мистер (dt. „Mister“) abgefragt. Dabei handelt es sich weder um eine deutsche noch eine russische Vokabel, sondern ein englisches Wort, das aus dem Kontext (mister + Familienname) erschließbar ist und nicht in sechs Phasen „gelernt“ werden braucht. Geradezu absurd erscheint es, isolierte Präpositionen ohne Nominalanschluss als Vokabelgleichung auswendig zu lernen. Bedauerlicherweise sind die vorgefertigten Vokabelsets zu Lehrwerkbänden in phase 6 nicht veränderbar und bieten somit wenig individuelle Anknüpfungsmöglichkeiten. Nicht benötigte Karteikarten können nicht aus dem Lernpaket entfernt werden.

 

Da das Wortschatzlernen ein individueller Prozess ist und SuS nur die Wörter lernen können, die in ihrem mentalen Lexikon andockbar sind (vgl. Neveling, 2020a, S. 178), wäre es sinnvoller, wenn die SuS sich ihren Vokabeltrainer selbst zusammenstellen. Dazu sollten sie im Fremdsprachenunterricht angeleitet werden. Eine kostenlose Möglichkeit hierfür bietet Quizlet – eine einfache Karteikarten-App zum Vokabellernen mit einer großen nutzergenerierten Datenbank, die allerdings auch qualitativ fragwürdige Vokabellisten enthält. Lehramtsstudierende könnten zunächst vorgefertigte Karteikartensets in ihrer Zielsprache daraufhin überprüfen, inwieweit diese den Prinzipien für nachhaltiges Wortschatzlernen entsprechen:

 Werden Substantive bspw. mit Genus, Verben mit Anschlüssen, Adjektive in der maskulinen und femininen Form angegeben, enthalten russische Vokabeln Betonungszeichen usw.?

 Sind die Wörter so frequent und nützlich, dass ihre Aufnahme in die Wortschatzsammlung gerechtfertigt ist?

 Welche Chunks sollten sinnvollerweise mit dem Wortschatz einer Teillektion bzw. zu einem bestimmten Thema gelernt werden?

Bei der Analyse von Lexiksammlungen, die von anderen Nutzer/inne/n erstellt wurden, zeigt sich schnell, dass diese oft Fehler enthalten und selten den Lernbedürfnissen einer konkreten Zielgruppe entsprechen, sodass es besser ist, eigene Sets zu erstellen. Indem sie selbst digitale Karteikarten auswählen und zusammenstellen, beschäftigen sich Lehramtsstudierende intensiv mit praktischen Fragen der Wortschatzvermittlung. Sie können Bilder und Vertonungen einbinden, statt Einzelwörtern Mehrwortwendungen aufnehmen sowie von Kommmiliton/inn/en zusammengestellte Sammlungen gemeinsam diskutieren, ergänzen und überarbeiten.1 Auf diese Weise werden die angehenden Lehrkräfte in die Lage versetzt, auch SuS bei der Erstellung eigener Lernsets anzuleiten und zu beraten. Wissen die SuS, wie man digitale Wortschatzkärtchen erstellt und korrigiert, können sie diese für das häusliche Lernen nutzen.

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