Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

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Das FST in der Fremdsprachendidaktik

Das FST stellt die Grundlage zahlreicher Studien zur Erhebung der Binnensicht von Lerner*innen und Lehrer*innen dar. Die Feststellung von Schart (2001: 56), dass man „zumindest im deutschen Sprachraum nicht umhin [komme], den eigenen Ansatz [dazu] in Bezug […] zu setzen“ gilt bis heute. Dabei legen nur wenige Arbeiten die enge Begriffsexplikation zugrunde (u.a. Lochtman 2002, Richert 2009). Wesentlich häufiger wird auf die weite Explikation rekurriert (u.a. von Hochstetter 2011, Referenzarbeit, s. Kap. 7; Martinez 2008; Schart 2003), nicht selten zuzüglich der kommunikativen Validierung (u.a. Berndt 2003; Kallenbach 1996; Morkötter 2005; Strohn 2015; Viebrock 2007). Zwar beklagt Grotjahn (1998: 34), dass das FST „häufig in einer sehr vagen und allgemeinen Bedeutung sowie ohne hinreichende theoretische Verankerung verwendet wird“; trotzdem kam und kommt dem FST vor allem als Prototyp in dem Sinne, dass von Forscher*innen in Auseinandersetzung mit dem FST eine individuelle, gegenstandsbezogene Forschungsmethodik für die eigene Forschungsfrage entwickelt wird, eine hohe Bedeutung für die forschungsmethodologische Diskussion innerhalb der Fremdsprachendidaktik zu.

Als Anwendungsbeispiel wird im Folgenden die eng an die Methodik des FST angelehnte, häufig zitierte Arbeit von Kallenbach (1996) skizziert. Sie untersucht die individuellen Vorstellungen von fortgeschrittenen Fremdsprachenlerner*innen. Um diese subjektiven Theorien mittlerer Reichweite zu erheben, führte die Forscherin halbstrukturiert-leitfadenorientierte Interviews mit insgesamt 14 Schüler*innen aus verschiedenen 12. Klassen, die seit einem guten Jahr zusätzlich Spanisch lernten. Aus den Interviews erstellte sie eine erste Rekonstruktion der individuellen subjektiven Theorien. Diese wurden anschließend mit Hilfe der Heidelberger Strukturlege-TechnikHeidelberger Strukturlege-Technik kommunikativ validiert. Dazu erstellten die Schüler*innen aus den von der Verfasserin ausgewählten und auf Kärtchen notierten zentralen Begriffen aus den Interviews mit Hilfe von zehn Relationskärtchen (z.B. Wechselwirkung, Folge/Konsequenz, Ober-/Unterbegriff oder Beispiel) ein Strukturbild, das ihre subjektive Theorie möglichst genau wiedergab. Die Strukturbilder boten einen Anlass, im Gespräch bestimmte Aspekte erneut zu thematisieren; außerdem wurden sie später den in den Interviews entwickelten Argumentationen gegenübergestellt, so dass sich Hinweise auf die Konsistenz der erhobenen Theorien ergaben. Zusätzlich füllten die Schüler*innen zwischen Interview und kommunikativer Validierung einen fünfseitigen Fragebogen mit Fragen zu ihrem Fremdsprachenlernen aus, den die Verfasserin punktuell als Zusatzinformation heranzog. Fünf der subjektiven Theorien werden als einzelne Fälle dargestellt, zusätzlich werden die zentralen, von allen Gesprächspartner*innen thematisierten Aspekte des Fremdsprachenlernens interviewübergreifend zusammengestellt.

4.2.3 Aktionsforschung

Mit der 1990 erschienenen Erstauflauge des Werks Lehrer erforschen ihren Unterricht (Altrichter/Posch 1990) etablierte sich die Aktionsforschung (action research) oder HandlungsforschungHandlungsforschung bzw. die häufig als Synonyme verwendeten, eng damit verbundenen Konzepte der Praxisforschung und teacher research auch im deutschsprachigen Raum. Sie bietet die Möglichkeit, ebenso wie Educational Design Research (DER bzw. DR) (s. Abschnitt 4), Theorie und Praxis in der Forschung untrennbar miteinander zu verbinden (zum Verhältnis von Theorie und Praxis s. auch Kap. 6.2). Beide Designs verfolgen das Ziel, die jeweiligen Aktionsfelder weiterzuentwicklen, wobei in der Aktionsforschung die Praxisperspektive überwiegt. In solchen Projekten erforschen, im Gegensatz zu DR-Studien, i.d.R. Lehrkräfte ihren eigenen Unterricht oder andere Akteur*innen ihr pädagogisches Handlungsfeld und werden dabei nicht zwangsläufig durch Wissenschaftler*innen unterstützt. Außerdem stehen in von Lehrer*innen initiierten Projekten der Aktionsforschung unterrichtspraktische Fragen im Mittelpunkt, während DR-Studien über die Entwicklung und Erprobung von Lehr-Lern-Arrangements und die Untersuchung von deren Wirkung auf den Lernprozess hinaus auch immer die Generierung eines Theoriebeitrags zum Ziel haben.

Grundgedanke bei der Aktionsforschung ist die Vorstellung von Lehrer*innen als reflektierende Praktiker*innen, die aktiv und systematisch ihren Unterricht erforschen und im Forschungsprozess verändern. Aktionsforschung kann in unterschiedlichen Kontexten angewandt werden: als Instrument der Aus- und Fortbildung (z.B. Benitt 2015; Bergfelder-Boos 2018), als Verfahren, um (selbstbestimmt) den eigenen Unterricht weiterzuentwickeln, als Verfahren zur Unterrichts- und Schulentwicklung (vgl. Weskamp 2003), als Schulbegleitforschungsprojekt für die Konkretisierung und Erprobung bildungspolitischer Innovationen (z.B. Abendroth-Timmer 2007; Bechtel 2016), als Instrument zur Implementation von Forschungsergebnissen in der Praxis (vgl. Feldmeier 2014: 257) sowie als Instrument zur Erprobung und ggf. Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis (z.B. Even 2003; Jäger 2011; Lamsfuß-Schenk 2008; Müller-Hartmann/Schocker/Pant 2013; Raith 2011; Schart 2008; Schreiber 2010). Normalerweise werden die Ergebnisse von Aktionsforschungsprojekten nur im letzten Fall veröffentlicht, die anderen stehen der Öffentlichkeit zumeist nicht zur Verfügung.

Die Aktionsforschung folgt auch in weiteren Aspekten nicht unbedingt den traditionellen Kriterien wissenschaftlicher Forschung bzw. definiert sie teilweise neu (vgl. Altrichter 1990; Altrichter/Feindt 2011: 214–215):

 Die traditionelle Trennung von Forschung und Entwicklung wird in einem Prozess, in dem Forschung und Entwicklung einander bedingen, aufgehoben.

 Ähnlich wie im FST (s. Abschnitt 2) werden Praktiker*innen als Akteur*innen des Forschungsprozesses angesehen.

 Die Forschung ist als längerfristiger, zyklischer Prozess angelegt, innerhalb dessen – i.d.R. ausgehend von einem Praxisproblem z.B. im Unterricht, in der Lehrpersonenbildung oder in der Schulentwicklung – theoretische Annahmen zur Veränderung der Praxis im praktischen Handeln überprüft werden und nach erneuter Reflexion in revidierten Praxisvorschlägen bzw. Veränderungen der theoretischen Annahmen münden (vgl. auch die Darstellung in Burns 2010: 9).

 AktionsforschungAktionsforschung versucht der Komplexität der Praxis durch den Einbezug möglichst unterschiedlicher Forschungsinstrumente (i.d.R. (Selbst-)Beobachtungen und Befragungen) und Perspektiven (im Fall von Unterrichtsveränderung neben beteiligten Lehrer*innen und ggf. universitären Forscher*innen z.B. Schüler*innen, Kolleg*innen, studentische Beobachter*innen) gerecht zu werden.

 Viele Aktionsforschungsprojekte werden als Gemeinschaftsprojekte durchgeführt. Neben forschungspraktischen Gründen wird dies der Vorstellung von professionellem Lernen als sozialem Lernen gerecht.

 Dadurch, dass Aktionsforschung in soziale Praktiken eingreift, kann sie nicht wertneutral sein.

 Die traditionellen, am quantitativen Paradigma ausgerichteten Vorstellungen von ObjektivitätObjektivität, ReliabilitätReliabilität und ValiditätValidität werden neu definiert bzw. ersetzt durch Multiperspektivität, praktische Erprobung und ethische Kriterien, z.B. der Vereinbarkeit mit pädagogischen Zielen.

Aktionsforschung in der Fremdsprachendidaktik

Praktische Anleitungen zur Planung, Durchführung und Auswertung von Aktionsforschungsprojekten finden sich z.B. in Altrichter/Posch/Spahn (2018), auf den Fremdsprachenunterricht fokussierte Anleitungen und Beispiele in Burns (2010), Feldmeier (2014) und Wallace (1998).

Aktionsforschung zählt inzwischen zu einem in der Fremdsprachendidaktik anerkannten prototypischen Design. Auffällig ist, dass alle aufgeführten Arbeiten entweder von universitären Wissenschaftler*innen begleitet wurden oder das Aktionsforschungsprojekt Gegenstand der eigenen Qualifikationsschrift war. Insbesondere für Nachwuchswissenschaftler*innen, die parallel als Fremdsprachenlehrkräfte tätig sind, scheint es sich um ein attraktives Forschungsdesign zu handeln, mit dem sie die beiden beruflichen Felder verbinden können.

So stellte sich Jäger (2011) aufgrund der Beobachtung, dass sich viele Lehrkräfte mit der Entwicklung interkultureller Kompetenzen im Englischunterricht schwertun, die Frage, welche Aufgaben sich dazu besonders gut eignen und unter welchen Bedingungen sie ihr Potenzial am besten entfalten können. Dazu entwarf sie unter Rückgriff auf Forschungen und Erfahrungsberichte zum interkulturellen Lernen, zum aufgabenorientierten Ansatz, zur Literaturdidaktik und zur Dramenpädagogik einen theoretischen Rahmen für die Erstellung von Aufgaben. In ihrem Aktionsforschungsprojekt erprobte sie sodann die für den Jugendroman „Bend it like Beckham“ von ihr entwickelten Aufgaben in drei Realschulklassen, wobei sie im ersten Durchgang selbst unterrichtete und aufbauend auf den gemachten Erfahrungen aus diesem ersten sowie dem darauffolgenden Durchlauf die Aufgaben schließlich veränderte. Als Forschungsinstrumente setzte sie Forschungstagebuch, teilnehmende Beobachtung, Video- und Audioaufnahmen der Unterrichtsstunden, die schriftlichen Unterrichtsprodukte und retrospektive Leitfadeninterviews sowie Fragebögen ein (Jäger 2011: 180–189). In der engen Zusammenarbeit mit den beteiligten Lehrkräften, Schüler*innen und den (je nach Zyklus wechselnden) begleitenden Studierenden entstand eine Gemeinschaft von Forscher*innen, die den Prozess des Unterrichtens, der Datenerhebung und -auswertung gemeinsam durchführte bzw. beobachtete und dadurch eine Vielperspektivität sicherstellte, die sich in den dichten Beschreibungen und den detaillierten Analysen der einzelnen Unterrichtssequenzen niederschlägt.

 

4.2.4 Design Research oder Educational Design Research

Im englischsprachigen Kontext wird mit Blick auf Unterrichtsforschung von Educational Design Research oder Design Research in Education gesprochen. Damit wird eine Unterscheidung zu anderen designbezogenen Disziplinen wie Architektur, Informatik usw. angestrebt. In den allermeisten Publikationen wird aber für den Fall, dass der Kontext eindeutig ist, der Bezug zum educational context weggelassen. Daher ist im Folgenden von Design Research (DR) die Rede. Der im deutschsprachigen Raum häufig verwendete Begriff Design-Based-Research soll die Verflechtung der beiden Begriffe „design“ und „research“ veranschaulichen: Das Design wird forschungs- bzw. theoriebasiert entwickelt, die Forschung wiederum wird designbasiert durchgeführt.

Eine der ersten, die den Designbegriff in die Lehr-Lernforschung eingeführt hat, war Brown mit der Idee des „design experiments“ (Brown 1992), später wurde dann von „design studies“ oder „design research“ gesprochen (zur Geschichte des Designbegriffs vgl. Grünewald et al. 2014a, zur Historie des DR-Ansatzes vgl. Bakker 2019: 23–34.). Zugrunde lag das Bedürfnis nach einem Forschungsansatz, der Lernphänomene nicht in Labors, sondern in realen Unterrichtssituationen untersucht. Die Entwicklung eines Designs im DR-Ansatz kann z.B. der systematisch dokumentierten Entwicklung eines Lehr-/Lern-Arrangements entsprechen, bei der Materialien, Werkzeuge, Aufgaben, methodische Entscheidungen und alle anderen dazugehörigen Aktivitäten und Dokumente gegenstandsbezogen so zusammengestellt werden, dass das Ensemble geeignet ist, einen Lernprozess zu initiieren oder einer konkreten Herausforderung aus der Praxis zu begegnen. Schließlich finden sich zahlreiche weitere Bezeichnungen dieses Forschungsansatzes (z.B. fachdidaktische Entwicklungsforschung). Ihnen allen gemein sind die folgenden Chrakteristika (vgl. van den Akker/Gravemeijer/McKenney/Nieveen 2006; Cobb et al. 2003):

 Interventionsorientierung: Design Research hat zum Ziel, unterrichtspraktische Fragestellungen unter realen Bedingungen weiterzuentwickeln, daher sind Interventionen im Forschungsfeld notwendig und wünschenswert.

 Theorieorientierung: Nicht nur die Entwicklung des Designs erfolgt theoriebasiert; auch mit der Umsetzung und Beforschung des Designs wird das Ziel verfolgt (lokale) Theorien über Lernprozesse und Designelemente zu generieren.

 Praxisorientierung: Der Startpunkt eines DR-Projektes kann entweder eine theoretisch begründete Annahme oder eine konkrete, von den Akteur*innen der schulischen Praxis wahrgenommene Problemlage sein. In beiden Fällen zielt DR auf der Basis eines theoretischen Konzepts auf die (Weiter-)Entwicklung von Lehr- und Lernarrangements in der Unterrichtspraxis und die Generierung bzw. Weiterentwicklung eines theoretischen Beitrags. Dieser muss sich in der Praxis bewährt haben (ökologische ValiditätValiditätökologische).

 IterativitätIterativität und Zyklusgebundenheit: Die Design-Konzeption, die Design-Erprobung und die retrospektive Analyse sowie Reflexion erfolgen in iterativen Zyklen.

 Prospektivität und Reflexivität: Dem auf theoretischer Grundlage entwickelten Design liegen Annahmen über den Einfluss des Designs auf den Lernprozess zugrunde. Mit der Analyse und Reflexion der Design-Erprobung werden retrospektiv Abweichungen zwischen den Annahmen und den tatsächlich beobachteten Lernprozessen erkannt; diese können zur Optimierung des Designs beitragen.

In Bezug auf die kontroverse Diskussion um Theorie und Praxis in der Fremdsprachendidaktik ist als besonders wichtiges Merkmal von DR hervorzuheben, dass der Forschungsansatz nicht von der Praxis losgelöst ist, sondern die enge Verzahnung von Theorie und Praxis zum tragenden Merkmal der Methodologie deklariert. Das Ziel ist es, unterrichtspraktische Designlösungen für real existierende Herausforderungen zu schaffen, diese Lösungen einer sorgfältigen Analyse, Reflexion und Überarbeitung zu unterziehen und wesentliche Beiträge zur Lerntheorie zu leisten. Theorie und Praxis werden nicht als getrennte und sequentiell zu bearbeitende Entitäten betrachtet. Vielmehr wird die Umsetzung des Designs in der Praxis als unabdingbar für Theorieentwicklung im Bereich des Lehrens und Lernens gesehen (Lehmann-Wermser/Konrad 2016).

Der iterative Verlauf einer Design Research-Studie nach dem Bremer Modell (Peters/Roviró 2017), das explizit auch eine fremdsprachendidaktische Ausrichtung von DR beschreibt, verläuft in wiedererkennbaren Strukturen (s. Abb. 1): Der dem iterativen Design-Zyklus vorgelagerte Design-Kontext wird definiert als eine Herausforderung in der Unterrichtspraxis, die auf theoretischer Grundlage bestimmt wird, oder als eine aus der unterrichtlichen Praxis beschriebene Problemstellung. Der Design-Kontext definiert also den Lehr-Lern-Kontext und beschreibt diesen unter Heranziehung theoretischer Grundlagen und fachdidaktischer Theorien. Auf dieser Basis erfolgt der Einstieg in den iterativen ProzessProzessiterativer durch die Bestimmung des Design-Gegenstands. Die fortlaufende Strukturierung und Spezifizierung des Design-Gegenstandes enthält alle für die Entwicklung des Lehr-Lern-Arrangements wichtigen Merkmale, die unter Rückbezug auf Theorien ebenso festgelegt werden, wie die Zielsetzung der Studie.

Den nächsten Schritt bildet die Design-Konzeption. Basierend auf dem Design-Kontext und der Spezifizierung des Design-Gegenstands werden Hypothesen zur Wirkung von Design-Elementen auf den Lernprozess formuliert und Design-Prinzipien entwickelt. Diese sind Teil der Theorie zu Lehr-Lernprozessen und bilden wichtige Orientierungen für das entwickelte Design (vgl. Prediger et al. 2012: 454), weisen aber über das spezifische Design hinaus. Die Design-Prinzipien im Sinne von Erkenntnis- und Handlungsprinzipien bilden den Ausgangspunkt für die Übertragbarkeit des Designs auf andere unterrichtliche Siuationen (lokale Theorie). Im ersten Zyklus werden sie meist aus der Theorie abgeleitet, mit fortschreitendem Forschungsprozess werden sie aus den Ergebnissen der Analyse und Reflexion der Design-Erprobung spezifiziert. In weiteren Zyklen erfolgt die schrittweise Optimierung und Ausdifferenzierung des Lehr-Lern-Arrangements. Im letzten Schritt des Zyklus wird die Umsetzung des Designs in Form eines Lehr-Lern-Arrangements vollzogen. Das Design und dessen Umsetzung werden analysiert und reflektiert. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind die Grundlage für das erneute Durchlaufen des Zyklus, so lange, bis eine mehr oder wenige gesättigte Datenlage eintritt und die Design-Prinzipien in immer wieder anderen Lernsituationen funktionieren. Auf dieser Grundlage können dann ein Referenzdesign und eine lokale Theorie (Design-TheorieDesign-Theorie) beschrieben werden, die als Modell in der Praxis umsetzbar sind.

Abbildung 1:

Bremer Modell zum Design Research-Prozess, Bearbeitung Andreas Grünewald

Design Research in der Fremdsprachendidaktik

DR wurde im deutschsprachigen Raum vor allem in der Mathematikdidaktik bekannt. Der DR-Ansatz erfährt eine kontinuierliche Weiterentwicklung beispielsweise in der Fremdsprachendidaktik (Grünewald et al. 2014a, 2014b, 2019; Gödecke 2020). Anleitungen und Beispiele zur Umsetzung der Design Research-Methodologie in der Fremdsprachendidaktik finden sich beispielsweise in Peters/Roviró (2017), Bakker (2018) und McKenney/Reeves (2019).

Als Anwendungsbeispiel wird im Folgenden die DR-Studie von Gödecke (2020, Referenzarbeit, s. Kap. 7) skizziert. Der Design-Kontext dieser Studie bezieht sich auf die Praxisphasen der Fremdsprachenlehrkräfteausbildung, in dessen Rahmen Studierende eigenständig Fachunterricht planen, umsetzen und reflektieren. Da Studierende aufgrund mangelnder Erfahrung oftmals nicht wissen, was und wie sie reflektieren können, entwickelte Gödecke (2020) im Rahmen ihrer DR-Studie ein e-Portfoliokonzept (= Design-Gegenstand), das Französisch- und Spanischstudierende dazu anleitet, fachspezifische Reflexionsprozesse systematisch zu vollziehen. Das e-Portfolio wurde umgesetzt, empirisch untersucht (= Design-Erprobung) sowie zyklisch weiterentwickelt. In seiner finalen Version (= Referenzdesign) besteht es aus Aufgaben, die fachdidaktisches Wissen und Können in Bereichen wie Differenzierung, Diagnose oder Spracherwerb fördern und in Prozesse der Unterrichtsplanung, -umsetzung und -reflexion eingebunden sind. Darauf aufbauend formuliert Gödecke (ebd.) gemäß des DR-Ansatzes auf der Forschungsebene eine lokale Theorie zu gegenstandsspezifischen Lernprozessen (= Reflexionsprozessen); der theoretische Beitrag der Studie besteht demnach in der Definition fachspezifischer Reflexionskompetenz und der Entwicklung eines dazugehörigen Reflexionsmodells (= lokale Theorie). Die Studie zeigt exemplarisch, dass DR als methodologischer Rahmen offen ist für unterschiedliche Forschungsverfahren und vielfätige methodische Arrangements.

4.2.5 Fazit

Die jeweils hohe Anzahl an Studien, die methodisch auf die hier vorgestellten komplexen Forschungsdesigns zurückgreifen, deutet darauf hin, dass es sich hierbei um für fremdsprachendidaktische Forschung besonders attraktive methodologische bzw. methodische Rahmungen handelt. Dies könnte mit bestimmten Spezifika fremdsprachendidaktischer Forschung (s. Kap. 2) zusammenhängen: So ist es mit FallstudieFallstudien besonders gut möglich, die Komplexität fremdsprachlicher Lehr-/Lernprozesse zu berücksichtigen. Auch scheint dieses Design der Tatsache entgegenzukommen, dass fremdsprachendidaktische Qualifikationsarbeiten i.d.R. als Einzelprojekt geplant und durchgeführt werden. In Fallstudien werden zumeist mehrere Fälle (Subjekte, Lerngruppen, institutionelle Kontexte) vorgestellt, so dass auf diese Weise nicht nur die Vielschichtigkeit, sondern auch die Vielperspektivität fremdsprachendidaktischer Realitäten abgebildet werden kann.

Das FSTForschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) als Ansatz zur Erforschung der Binnensicht von Subjekten spiegelt zum einen die hohe Bedeutung, die den Akteur*innen fremdsprachlicher Lehr-/Lernprozesse als Subjekten bzw. Individuen in der fremdsprachendidaktischen Forschung zukommt. Zum anderen ermöglicht das Forschungsprogramm wie der Ansatz der Fallstudien, die Komplexität und Unterschiedlichkeit subjektiver Vorstellungen sichtbar zu machen. Die enge Variante des FST erlaubt darüber hinaus, das Handeln der untersuchten Personen in den Blick zu nehmen, und bietet damit eine – wenn auch nicht unumstrittene – Möglichkeit Theorie und Praxis zu verbinden.

Dies ist ebenfalls das Anliegen der AktionsforschungAktionsforschung, wobei dieser Ansatz bewusst über das Verstehen von Praxis hinausgeht und explizit auf ihre (forschende) Veränderung abzielt. Dies geschieht ebenfalls in Form von Fallstudien, wobei den im Lehr-/Lernprozess handelnden Akteur*innen eine Schlüsselrolle zukommt. Häufig geht es um das Beobachten, Erfassen und Verändern methodischer Entscheidungen des unterrichtlichen Handelns. Zudem wird in diesem Ansatz – wie auch im Educational Design Research – das zentrale Anliegen jeglicher fremdsprachendidaktischer Forschung, direkt oder indirekt auf eine Verbesserung des Fremdsprachenlernens hinzuwirken, unmittelbar sichtbar.

Im Educational Design Research werden Theorie und Praxis als nicht trennbare Entitäten angesehen. Im Mittelpunkt stehen die Optimierung von Lernprozessen und das Innovieren von Unterricht durch die Entwicklung lokaler Theorien. Maßgeblich ist hierfür die enge Zusammenarbeit von Forscher*innen und Praktiker*innen.

› Literatur

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