Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

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4.1.5 OrganisationBelegeOrganisation der und ÜberprüfbarkeitBelegeÜberprüfbarkeit der der BelegeBelege

Wie die verschiedenen Belegtypen gesammelt, organisiert und/oder katalogisiert werden müssen, hängt nicht zuletzt von den Forschungstraditionen ab, denen die Studie verpflichtet ist, und den jeweiligen Forschungsverfahren. Möglichkeiten des DatenmanagementDatenmanagements werden im Kapitel 5.3 „Aufbereitung und Analyse von Dokumenten, Texten und Daten“ dieses Handbuchs in den jeweiligen Teilkapiteln angesprochen.

Eine klare Organisation der BelegeBelegeOrganisation der ist nicht nur aus forschungspraktischen Gründen von großer Wichtigkeit, sondern schafft auch die Voraussetzung dafür, dass die Auswahl von Texten und Dokumenten von anderen Forschenden nachvollzogen, dass Daten überprüft werden bzw. als Grundlage weiterer Forschungen, etwa in Metastudien (s. Kap. 4.5), genutzt werden können. Sofern es sich um wissenschaftliche Primär- und Sekundärtexte und um offizielle Dokumente handelt, garantiert die genaue bibliographische Angabe die Überprüfbarkeit. Weniger klar ist die Sachlage für halboffizielle und vor allem für private Dokumente. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, die Belege unter Berücksichtigung forschungsethischer Prinzipien (s. Kap. 4.6) als Anhänge zu den Forschungsarbeiten zugänglich zu machen.

Besondere Aufmerksamkeit verlangen qualitative und quantitative Daten. Sie müssen nicht nur für das jeweilige Projekt organisiert werden, sondern sollten im Sinne der Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis (DFG 2019), zu der nicht zuletzt der Umgang mit Forschungsdaten gehört, gesichert und aufbewahrt werden. Wie die dort formulierten Empfehlungen und Leitlinien im Einzelnen in die Praxis umgesetzt werden, hängt von den Regeln ab, die sich Forschungsinstitutionen, Universitäten, Fachbereiche oder Institute gegeben haben. Verpflichtende Strukturen und Formen der Datenarchivierung existieren in Deutschland nicht (s. Klump, o.J.).

› Literatur

Bateson, George (1973). Steps to an Ecology of Mind. Collected Essays in Anthropology, Psychiatry, Evolution and Epistomology. London: Granada Publishing.

Bonnet, Andreas (2012). Von der Rekonstruktion zur Integration: Wissenssoziologie und dokumentarische Methode in der Fremdsprachenforschung. In: Doff, Sabine (Hg.). Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen. Methoden. Anwendung. Tübingen: Narr, 286–305.

DFG (2019). Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Kodex. Bonn: Deutsche Forschungsgemeinschaft. [http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/rechtliche_rahmenbedingungen/gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf] (16.06.2021).

Freitag-Hild, Britta (2010). Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik. ‚British Fictions of Migration‘ im Fremdsprachenunterricht. Trier: WVT.

Holliday, Adrian (2012). Doing and Writing Qualitative Research. 2nd edition. Los Angeles: SAGE.

Klump, Jens (o.J.). Wissenschaftliche Primärdaten. In: Nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: Göttingen, Kapitel 15, 54–63. [http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_275.pdf].

McCulloch, Gary (2011). Historical and Documentary Research in Education. In: Cohen, Louis/Manion, Lawrence/Morrison, Keith (Hg.). Research Methods in Education. 7. Auflage. London: Routledge, 248–255.

O’Leary, Zina (2014). Doing Your Research Project. 2nd Edition. Los Angeles: SAGE.

Schart, Michael (2003). Projektunterricht – subjektiv betrachtet. Eine qualitative Studie mit Lehrenden für Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren [Referenzarbeit, s. Kap. 7].

Zydatiß, Wolfgang (2002). Leistungsentwicklung und Sprachstandserhebungen im Englischunterricht. Methoden und Ergebnisse der Evaluierung eines Schulversuchs zur Begabtenförderung: Gymnasiale Regel- und Expressklassen im Vergleich. Frankfurt: Peter Lang.

4.2 Prototypische Forschungsdesigns

Daniela Caspari/Andreas Grünewald


Wie in der Einleitung zu Kapitel 4 erwähnt, bedingen bestimmte Forschungsentscheidungen einander, während andere voneinander weitgehend unabhängig sind. So stellt die Wahl einer bestimmten Forschungstradition eine richtungsweisende Vorentscheidung für geeignete Erhebungs- und Auswertungsverfahren dar, die dann je nach Forschungsfrage und Gegebenheiten ausgewählt und miteinander kombiniert werden können. Auch innerhalb der empirischen Forschungstradition stellt die Wahl eines bestimmten Paradigmas (qualitativ – quantitativ – mixed methods) eine Vorentscheidung für die Auswahl der verwendbaren Forschungsinstrumente dar (z.B. Fragebogen nur mit geschlossenen Fragen versus Fragebogen mit teiloffenen und offenen Fragen; quantitative versus qualitative Inhaltsanalyse). Im Laufe der Zeit hat sich insbesondere innerhalb der quantitativ-empirischen Forschungstradition eine Reihe von festen Elementen und Abfolgen herausgebildet, die sich für bestimmte Zielsetzungen besonders gut eignen, z.B. für experimentelle Forschung, Evaluationsforschung oder Implementationsforschung. Eine solche Kombination bestimmter Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungsverfahren im Kontext eines bestimmten Forschungsansatzes bzw. für eine bestimmte Zielsetzung wird auch als komplexes Forschungsdesign bezeichnet. In der qualitativen Forschungstradition gibt es im Rahmen bestimmter Forschungsansätze ebenfalls solche festgelegten Kombinationen, z.B. bei der Grounded Theory oder der Dokumentarischen Methode (s. Kap. 5.3.3 und 5.3.4).

In diesem Kapitel werden vier Forschungsdesigns vorgestellt, die als komplexe, relativ fest gefügte Ensembles einen forschungsmethodologischen und forschungsmethodischen Rahmen für bestimmte Zielsetzungen und Absichten bieten, ohne sich eindeutig dem qualitativen oder quantitativen Paradigma zuzuordnen. Diese vier unterschiedlichen Designs stehen innerhalb der pädagogischen und fachdidaktischen Forschung für ganz unterschiedliche Absichten:

1 FallstudieFallstudien verfolgen das Ziel, einzelne Personen, Gruppen oder Institutionen in ihrer Komplexität zu erfassen. Sie gehen davon aus, dass sich in diesen Einzelfällen allgemeinere Strukturen manifestieren.

2 Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) ist ein theoretischer und methodologischer Ansatz, mit dem individuelle Kognitionen und Argumentationen von Menschen erhoben, rekonstruiert und – in der weiten Fassung des Programms – an der Realität überprüft werden können.

3 Die AktionsforschungAktionsforschung bietet Praktiker*innen ein zyklisches Verfahren, um alleine oder in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen oder Forscher*innen ihren Unterricht systematisch zu erforschen und im Prozess der Erforschung zu verändern. Dabei stehen häufig unterrichtspraktische Fragen im Mittelpunkt.

Educational Design Research (DR)Educational Design Research (DR), im deutschsprachingen Kontext häufig als Design-based-research bezeichnet, ist ein methodologischer Rahmen, der darauf ausgerichtet ist, Erkenntnisse in Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse zu gewinnen und Unterricht zu innovieren. Im Fokus stehen einerseits die Qualitätssteigerung von Unterricht und das Verändern der Unterrichtspraxis durch die zyklische Entwicklung, Erprobung und Analyse von innovativen Verfahren, Materialien oder ganzen Lernumgebungen. Gleichzeitig verfolgt der DR-Ansatz immer auch die empirisch gestützte Entwicklung (lokaler) Theorien.

In der forschungsmethodischen und -methodologischen Literatur gibt es weder einen festen Oberbegriff noch eine einheitliche Einordnung für diese Ansätze, man findet sie z.B. unter „styles of educational research“ (Cohen/Manion/Morrison 2011) oder unter research design issues“ (Nunan/Bailey 2009). Häufig werden sie mit „approach“ bzw. „research approach“ (Hitchcock/Hughes 1995; Heighman/Croker 2009; Nunan/Bailey 2009) bezeichnet. Unter ForschungsansatzForschungsansatz bzw. approach versteht Lamnek (2016: 285–286) eine vielschichtige methodische Vorgehensweise, die methodologisch zwischen einem Paradigma und einer konkreten Erhebungstechnik angesiedelt ist. Der hier gewählte Begriff „Forschungsdesign“ soll die Gesamtheit und das funktionale Zusammenspiel der für die Erreichung des Forschungsziels notwendigen Einzelelemente betonen; der Begriff „prototypisch“ wurde deswegen gewählt, weil die Designs wesentliche Ziele pädagogischen bzw. fachdidaktischen Forschens verfolgen und beispielhaft in einem Forschungsdesign umsetzen. Daher ist mit diesem Kapitel auch keinesfalls eine vollständige Darstellung solcher „besondere[r] Forschungsansätze“ (Feldmeier 2014: 255) beabsichtigt. Vielmehr soll an vier in der fremdsprachendidaktischen Forschung häufig verwendeten Forschungsdesigns auf diese methodologische Besonderheit aufmerksam gemacht werden.

4.2.1 Fallstudie

Fallstudien (engl. case studies) stehen in der Tradition enthnografischer Forschungsansätze. Während sie in den deutschsprachigen Erziehungswissenschaften bishlang eher ein „Mauerblümchendasein“ fristen (Lamnek 2016: 285), kommt ihnen in den Untersuchungen zum Erst- und Zweitsprachenerwerb sowie in der englischsprachigigen erziehungswissenschaftlichen Forschung seit den 1970er Jahren eine große Bedeutung zu.

 

Bislang gibt es keinen einheitlichen Begriffsgebrauch (Fatke 2013: 161, vgl. auch die Zusammenstellung unterschiedlicher Definitionen in Nunan/Bailey 2009: 161). Zentrales Merkmal ist die Konzentration auf einzelne Einheiten wie Menschen, Gruppen oder Organisationen, d. h. Individuen in einem sozialwissenschaftlichen Sinn (Lamnek 2016: 287).

Innerhalb des quantitativen Forschungsparadigmas können Fallstudien vor oder nach einer quantitativ orientierten Studie zur Exploration, zur Entwicklung von Hypothesen, zur Operationalisierung sowie zur Illustration oder zur Überprüfung der Praktikabilität ihrer Ergebnisse eingesetzt werden (Lamnek 2016: 289–297).

Als eigenständige Forschungsmethode ist das Haupteinsatzgebiet von Fallstudien jedoch die qualitative, d. h. explorativ-interpretative Forschung (s. Kap. 3.3). Man geht davon aus, dass sich in Einzelfällen über das ihnen Spezifische hinaus generellere Strukturen manifestieren, so dass sich „[a]us dem Besonderen eines Einzelfalls […] stets noch anderes von allgemeiner Relevanz ableiten [lässt], als nur das, was dem Theoretiker in seinen kategorialen Blick gelangt“ (Fatke 2013: 167). Als Vorteile gelten insbesondere der hohe Grad an Vollständigkeit und die Tiefe der Analyse, die Integration vielfältiger Sichtweisen und Interpretationen sowie die Möglichkeit, dass die Leser*innen im dargestellten Fall ihre Wirklichkeit wiedererkennen und daraus Erkenntnisse gewinnen können (vgl. Nunan/Bailey 2009: 166–167). Wichtig ist daher eine vielschichtige, offene Herangehensweise, wobei die Methodentriangulation zugleich eine relative Gewähr bietet, Methodenfehler vergleichend zu erkennen bzw. zu vermeiden (vgl. Lamnek 2016: 286). Grundlage der Forschung ist die gezielte Auswahl des Falls bzw. der Fälle (typische Fälle vs. gezielt abweichende oder extreme Fälle, vgl. auch Kap. 4.3). In Studien mit mehreren Fällen folgt der individuellen Auswertung häufig ein FallvergleichFallvergleich mit dem Ziel der Erfassung der überindividuellen Phänomene sowie einer Typisierung (vgl. Lamnek 2016: 304, zur Typenbildung vgl. auch Kap. 5.3.6).

Fallstudien in der Fremdsprachendidaktik

Auch in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik erfreut sich der Einsatz von Fallstudien großer Beliebtheit. Neben den vielen Studien zum Zweit- und Fremdsprachenerwerb existiert eine Fülle von kleineren und größeren Untersuchungen, die 2021 in der Datenbank des ifs (Informationszentrum Fremdsprachenforschung) als „Fallstudie“ klassifiziert wurden. Diese Beliebtheit dürfte nicht nur daran liegen, dass dieses Design eine Möglichkeit darstellt, der Faktorenkomplexion des Lehrens und Lernens von Sprachen gerecht zu werden, sondern vor allem daran, dass „die Einzelfallstudie als elementarer Baustein jeder qualitativen Studie anzusehen ist, denn eine qualitative Befragung von dreißig Personen etwa besteht aus dreißig Einzelfallstudien, die sich der gleichen Erhebungstechnik bedienen und analytisch miteinander verbunden sind“ (Lamnek 2016: 298). Häufig werden auch einzelne Fälle aus einer umfangreicheren (Interview-)Studie vorab veröffentlicht.

Für die Auswahl der Beispiel aus der Fremdsprachendidaktik wurde ein engeres Verständnis von Fallstudie zugrunde gelegt: Kriterium ist die mehrmethodische Untersuchung unterschiedlicher Konstituenten eines oder mehrerer komplexer Fälle. Beispiele hierfür sind u.a. die Studien von Biebricher (2008, Referenzarbeit, s. Kap. 7), Freitag-Hild (2010), Gießler (2018), Grünewald (2006), Kocher (2019), Peuschel (2012), Prokopowicz (2017), Rauschert (2014), Schubert (2013) und Steininger (2014).

Grünewald (2006) konzipiert seine Untersuchung zur subjektiv wahrgenommenen Wirkung verschiedener Computeranwendungen im Anfangsunterricht Spanisch aufgrund der zugrunde gelegten konstruktivistischen Auffassung von Fremdsprachenlernen (ebd.: 21–53) als Fallstudie. Um den Motivationsverlauf und den selbst eingeschätzten Lernfortschritt von Schüler*innen aus drei neunten Klassen (n=60) zu erheben, verwendet er unterschiedliche Instrumente: Eingangsfragebogen, strukturiertes Lerntagebuch mit Motivationskurven, Abschlussfragebogen und Leitfadeninterviews mit 15 ausgewählten Schüler*innen. Grünewald versteht die Falldarstellung als „Methode“, die bereits mit der Datenaufbereitung und der Fallanalyse beginnt (vgl. ebd.: 167–168). Daher verfolgt die Auswertung der Daten mit Hilfe des Transkriptionsprogramms MAXQDA das Ziel, jeden einzelnen Fall möglichst individuell zu erfassen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurden die Kategorien aus dem Material entwickelt und es wurden zu jedem bzw. jeder Lerner*in zusätzlich zu den Daten aus den Interviews die Daten aus den anderen Untersuchungsinstrumenten mit kodiert. Ausgewählt wurden schließlich sechs Fälle (zu den Auswahlkriterien vgl. ebd.: 151–152), die auf jeweils gut 20 Seiten dargestellt und in einer vergleichenden Synopse zusammengestellt werden. Die in Form von „zusammenfassenden Thesen“ dargestellten Ergebnisse beruhen ausschließlich auf diesen sechs Fällen. In der abschließenden Reflexion kommt Grünewald zu dem Schluss „dass methodisch kontrollierte Einzelfalldarstellung[en] mehr können, als Theorien zu veranschaulichen oder zu überprüfen. Sie können auch mehr als nur Hypothesen für weitere […] Forschung generieren: Sie tragen zur Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und damit letztendlich zur Theoriebildung bei“ (ebd.: 316).

Die Studie von Rauschert (2014) ist ein Beispiel für ein Forschungsdesign, das Fallstudie und Aktionsforschung (s. Abschnitt 3) miteinander verknüpft. Ausgehend von dem zuvor nur in der Pädagogik bekannten Unterrichtsansatz des Service Learning setzt sich die Arbeit mit der Frage auseinander, wie im Englischunterricht in der gymnasialen Mittelstufe durch Projektarbeit, die fachspezifische Ziele und Inhalte mit sozialem Engagement verbindet, interkulturelle und kommunikative Kompetenzen gefördert werden können. Auf der Basis von Byrams Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (Byram 1997) und dem Leitgedanken des Service Learning gestaltet die Verfasserin ein Projekt in einer 10. Klasse, in dessen Rahmen die Schüler*innen in Zusammenarbeit mit indischen Schüler*innen ein Magazin zum Thema „Happiness in India and Germany“ erarbeiten und produzieren, dessen Erlös einer indischen Schule zugute kommt.

In dieser Studie stellt die deutsch-indische Projektgruppe den Einzelfall dar, der in den einzelnen Projektphasen mit unterschiedlichen Formen der Datenerhebung untersucht wird: erstens ein Fragebogen im Pretest-Posttest-Format zur Feststellung interkultureller Fähigkeiten, Kenntnisse sowie Einstellungen, zweitens drei Tests zur Feststellung der Interpretationsfähigkeit der deutschen Schüler*innen anhand von Videointerviews, drittens eine (simulierte) Pressekonferenz, viertens eine freie Textproduktion (Portfolio) und schließlich eine schriftliche Abschlussbefragung ein Jahr nach dem Projekt. Alle Formen der Datenerhebung werden im Hinblick auf die Gütekriterien empirischer Forschung genau analysiert. Der eingesetzte Fragebogen wurde sowohl mit einer großen Stichprobe pilotiert als auch einem Expertenrating unterworfen. Dadurch konnte das Projekt in seinen unterschiedlichen Zielsetzungen mit quantitativen und qualitativen Forschungsverfahren untersucht werden, wobei ein vielschichtiges Bild des Projektes und der an ihm Beteiligten entsteht, das an eine dichte Beschreibung im Sinne Geertz‘ (1987) erinnert.

Rauschert diskutiert den action research cycle anhand ihres eigenen Projekts (Rauschert 2014: 161–166). Dabei reflektiert sie ihre Rollen als Forscherin und Lehrerin und setzt sich mit kritischen Einschätzungen dieses Forschungsansatzes auseinander. Somit wird deutlich, dass die Wahl des forscherischen Vorgehens getragen ist von genauer Kenntnis des Ansatzes in seinen Schwächen und Stärken, von nachvollziehbaren Überlegungen zur Passung von Forschungsthema, Fragestellungen und Methode und von (selbst-)kritischer Reflexion der eigenen Rollen.

4.2.2 Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)

Das zentrale Ziel qualitativer Forschung ist die Erhebung der Innen-Innensicht bzw. BinnensichtBinnensicht der Forschungspartner*innen. Dazu gibt es eine Reihe von Konzepten und Zugängen, z.B. die Erforschung von Einstellungen (attitudes), Überzeugungen (beliefs), Wissen (knowledge) oder persönlichen Konstrukten (personal constructs) bzw. Konzepten (conceptions). In der deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Forschung wurde der vergleichsweise weit gefasste integrative Ansatz der subjektiven Theorien besonders populär.

Hauptvertreterin dieses Ansatzes im deutschsprachigen Raum ist eine Gruppe um Norbert Groeben, die in den 1970er und 80er Jahren das Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) (Groeben et al. 1988, s. im Folgenden auch Scheele/Groeben 1998) entwickelte. Dieses theoretisch und methodisch ausgereifte, anspruchsvolle Modell geht von der sog. „Strukturparallelität“ des Denkens aus, d. h. davon, dass Forscher*innen und Forschungspartner*innen prinzipiell die gleichen Denkstrukturen und -prozesse verwenden, die zum Aufbau von Subjektiven Theorien führen. Damit werden relativ stabile Denkinhalte und -strukturen bezeichnet, die sich auf die eigene Person, auf andere Personen und die übrige Welt beziehen können. Sie können sowohl aus bewussten wie auch aus impliziten, dem Bewusstsein der Personen nicht zugänglichen Kognitionen bestehen und weisen eine zumindest implizite Argumentationsstruktur auf. In Analogie zu wissenschaftlichen Theorien dienen sie u.a. dazu, Situationen zu definieren, Sachverhalte zu erklären, Vorhersagen zu treffen oder Handlungsentwürfe und -empfehlungen zu konstruieren. Im FST wird Subjektiven Theorien zudem eine zumindest potenziell handlungsleitende Funktion zugeschrieben. In der sog. „engen Begriffsexplikation“ werden zwei weitere Anforderungen an Subjektive Theorien gestellt: Sie müssen im „Dialog-Konsens“ zwischen Forscher*in und Forschungspartner*in rekonstruierbar sein, d. h. es soll durch eine nachträgliche kommunikative Validierung sichergestellt werden, dass die erhobene Subjektive Theorie adäquat verstanden und rekonstruiert worden ist. Zudem soll durch eine „explanative“ oder Handlungsvalidierung festgestellt werden, ob die rekonstruierte subjektive Theorie auch tatsächlich handlungsleitend und damit als sog. objektive Theorie gültig ist. In dieser weiten Explikation vermag das FST zur „Überwindung des unfruchtbaren Gegensatzes von sog. qualitativer und quantitativer Forschung beizutragen“ (Grotjahn 1998: 34).