Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik

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4.6 Forschungsethik



Michael K. Legutke/Karen Schramm










4.6.1 Begriffsklärung



Der Gegenstandsbereich der ForschungsethikForschungsethik umfasst Prinzipien und Regeln, die das Handeln der Forschenden leiten sollen. Er befasst sich mit Fragen wie: Was darf ich als Forschender? Was ist erlaubt? Wem bin ich verantwortlich? (Bach/Viebrock 2012). Obwohl empirische Studien in besonderer Weise ethischen Ansprüchen Rechnung tragen müssen, wie wir darlegen werden, unterliegen alle Typen von Forschung, egal welcher Forschungstradition sie zuzuordnen sind, ethischen Codesethischer Code. Küster (2011: 139) schlägt vor, den Komplex Ethik in der Fremdsprachenforschung unter zwei Perspektiven in fünf Handlungsfelder zu strukturieren. Er unterscheidet eine „prudentielle PerspektiveprudentiellePerspektiveprudentielle Perspektive“ mit den beiden Handlungsfeldern (1) „Verantwortung des Forschers vor und für sich selbst“ und (2) „Verantwortung des Fremdsprachenforschers gegenüber seinem privaten Umfeld“ sowie eine „moralische PerspektivemoralischePerspektivemoralische Perspektive“. Zur letzteren gehört (3) die „Verantwortung des Fremdsprachenforschers gegenüber der

scientific community

“. Diese zeigt sich u.a. in der Sorgfalt und Vertrauenswürdigkeit des Forschers im Umgang mit anderen Forschungen und Quellen, in der Ehrlichkeit im Umgang mit Positionen und Forschungsergebnissen, der Strenge der Arbeitsweisen und Darstellung sowie der Transparenz der Argumentationen, der Integrität und Lauterkeit des wissenschaftlichen Arbeitsprozesses. Zur moralischen Perspektive gehören ferner (4) die „Verantwortung des empirischen Fremdsprachenforschers gegenüber den unmittelbar Beforschten (quantitative Forschung) bzw. den am Forschungsprozess unmittelbar Beteiligten (qualitative Forschung und Handlungsforschung)“ (Küster 2011: 139) und schließlich (5) die „Verantwortung des Fremdsprachenforschers gegenüber gesellschaftlichen und universitären Institutionen und deren Anforderungen“ (Küster 2011: 139). Die Handlungsfelder 3 und 4 werden in diesem Beitrag genauer bestimmt. Das fünfte Handlungsfeld ist u.a. Gegenstand des Kapitels 2 dieses Handbuchs.



Nationale wie internationale Fachgesellschaften aus den Natur- und Sozialwissenschaften haben Ethik-Kodizesethischer Code entwickelt, die Forschenden eine Grundorientierung geben und deren Prinzipien und Regeln sich auch für die Praxis der Fremdsprachenforschung fruchtbar machen lassen.1 Zu den Grundprinzipien, die in diesen Kodizes in unterschiedlichen Graden der Konkretisierung erscheinen, gehören: das Prinzip der Schadensvermeidung, das Prinzip des Nutzens bzw. des Mehrwerts von Forschung, der Respekt vor anderen Menschen sowie das Prinzip der Redlichkeit (vgl. Kitchener/Kitchener 2009: 13–16; Bach/Viebrock 2012). Im Folgenden werden wir die Implikationen solcher Prinzipien für verantwortungsvolles Handeln in der Fremdsprachenforschung verdeutlichen.





4.6.2 Gestaltung von ForschungsbeziehungForschungsbeziehungen



Wesentliches Merkmal empirischer fremdsprachendidaktischer Forschung ist ihr sozialer Charakter, denn sie ist abhängig von und situiert in den Beziehungen des Forschers zu Personen und deren Umfeld (z.B. Kinder mit Migrationshintergrund mehrerer Grundschulen einer Großstadt, Erwachsene über 60 einer Kreisvolkshochschule, Lehrer und Lehrerinnen mehrerer Bundesländer). Aus diesem Umstand ergeben sich Verantwortlichkeiten und Ansprüche gegenüber den Personen und ihren Handlungskontexten auf der einen Seite und gegenüber der

scientifc community

 auf der anderen Seite.



So stellt sich nicht nur die Frage, wie der Forscher Zugang zu dem ForschungsfeldForschungsfeldZugang zum finden kann und welche Regeln dabei zu beachten sind (z.B. Forschungserlasse der Kultusministerien der Länder), sondern auch, wie ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis entwickelt wird, das für den anvisierten Forschungsprozess tragfähig ist (vgl. dazu Holliday 2007: 75–104). Die Personen(gruppen) haben Anspruch, dass ihre Interessen geschützt sind und ihre Privatsphäre respektiert wird, dass sie über das Vorhaben, über mögliche Belastungen1 und die Nutzung der Daten (s. Kapitel 4.6.3 und 4.6.4) informiert werden. Arbeitsbündnisse können dann besondere Produktivität entfalten, wenn es gelingt, Formen der Gegenseitigkeit zu entwickeln, die von den am Forschungsprozess beteiligten Personen als gewinnbringend wahrgenommen werden können, wenn es also gelingt, ein Verhältnis des Gebens und Nehmens zu etablieren. Als Beispiele für das forscherseitige Geben sind neben einer möglichen Bezahlung von Untersuchungsteilnehmenden etwa das Versenden der Forschungsergebnisse oder das Angebot von Fortbildungen zu den Forschungsergebnissen zu nennen.2 Im Hinblick auf das forscherseitige Nehmen ist beispielsweise zu reflektieren, dass es angesichts der von den Forschungspartnern investierten Zeit und Mühe nicht gerechtfertigt erscheint, Daten zu erheben, die anschließend nicht ausgewertet werden. Auch wird immer häufiger thematisiert, dass die Forschungspartner (und nicht wie bisher zumeist der Forschende) als Eigentümer der Daten zu konzeptualisieren seien und ihnen damit das Recht der Auswahl von Daten für Analyseprozesse zukomme.



Die ethische Forderung nach TransparenzTransparenz der Ziele, Verfahren und Ergebnisse des Vorhabens bringt allerdings eine doppelte Herausforderung für die Forscher mit sich. Denn zum einen bedarf die Fachsprache der Wissenschaft, die die Beteiligten in der Regel als unzugänglich wahrnehmen, der angemessenen Übersetzung in die Alltagsprache. Verständnis muss erarbeitet und ausgehandelt werden (Holliday 2007: 145–152). Das Dilemma sprachlicher Vermittlung zwischen dem Forscher und den Forschungspartnern einerseits und andererseits den Anforderungen, die an die Veröffentlichung der Ergebnisse von Seiten der Wissenschaft gestellt werden, thematisiert die Referenzarbeit von Schart (2003: 51–52).



Ferner stellt sich die Frage, wie viel TransparenzTransparenz aus ethischen Gründen nötig und aus forschungsmethodischen Anforderungen möglich ist, ohne das Vorhaben selbst zu gefährden. Wenn Forschungspartnern aus Gründen des Forschungsdesigns bestimmte Informationen vorenthalten oder sie getäuscht werden, ist von Seiten der Forschenden explizit zu reflektieren, ob dies für das Design tatsächlich unabdingbar ist und ob den Teilnehmenden dadurch in psychologischer Hinsicht Schaden wie beispielsweise Stress oder Unbehaglichkeit entsteht. In der

Debriefing

-Phase einer solchen Studie sollten die Verantwortlichen dann gewissenhaft dafür Sorge tragen, dass die Teilnehmenden über die Täuschung und die Gründe für die Täuschung aufgeklärt werden (

dehoaxing

dehoaxing) und dass sie jegliche, durch die Studie verursachte unangenehme Gefühle abbauen können (

desensitizing

desensitizing), beispielsweise indem man unerwünschtes Verhalten oder unangenehme Gefühle auf eine Situationsvariable statt auf die Person des Forschungspartners zurückführt oder indem man verdeutlicht, dass das Verhalten oder die Gefühle der Forschungspartner so erwartbar waren (Johnson/Christensen 2008: 116–117).



Besondere Aufmerksamkeit verlangt schließlich die Phase des Projekts, wenn der Forscher das Feld wieder verlässt und damit die Beziehung beendet. Dieser FeldrückzugFeldrückzug muss bewusst als Beendigung einer Beziehung gestaltet und den Teilnehmenden erklärt werden. Rallis/Rossman (2009: 278) erörtern in diesem Zusammenhang das Bild des Verführens und Sitzenlassens: „The image is that you seduce the participants into disclosing their worldviews, then abandon them when you have gotten what you wanted – data“. Auch gehen viele Forscher davon aus, dass den Beteiligten unbedingt die Ergebnisse der Forschung bekannt zu machen seien. Andere wiederum erkennen darin die Gefahr eines „Verletzungsrisiko“ (Miethe 2010: 933); so reflektiert beispielsweise Viebrock (2007) an einem Beispiel aus der Fremdsprachendidaktik, inwieweit ihr Versuch der kommunikativen Validierung schmerzhaft für die betroffene Forschungspartnerin war.



Da der Forscher mit dem Eintritt in das Feld und mit dem Aufnehmen und Unterhalten der Beziehungen, dies gilt in besonderem Maße bei qualitativen Studien, durch seine Präsenz nolens volens den Forschungsprozess mit prägt und damit das Forschungsvorhaben selbst verändert, wobei Forschungsfragen neu justiert, konkretisiert und oftmals modifiziert werden (Holliday 2007), erwächst eine besondere Verantwortung gegenüber der

scientific community

, diesen Forschungsprozess, die Rolle des Forscher und die Dynamik der Beziehungen transparent zu machen (Freeman 2009).





4.6.3 Freiwilligkeit der TeilnahmeFreiwilligkeit der Teilnahme



Ein zentrales datenschutzDatenschutzrechtliches und damit gesetzliches Erfordernis empirischer Untersuchungen ist, dass Forschungspartner freiwillig an einer Studie teilnehmen. Forscher müssen deshalb ihre Forschungspartner vor einer Untersuchung über das geplante Vorgehen detailliert informieren und sich deren Teilnahmebereitschaft schriftlich bestätigen lassen. Dies betrifft insbesondere Ziele, Zeitdauer, Procedere, mögliche Nach- und Vorteile für die Forschungspartner, Maßnahmen zur Einhaltung gesetzlicher Datenschutzbestimmungen sowie Ansprechpartner bei rechtlichen und inhaltlichen Fragen (vgl. dazu genauer Mackey/Gass 2005; Johnson/Christensen 2008). Den Forschungspartnern ist ausreichend Gelegenheit zu geben, dazu Fragen zu stellen bzw. zu klären.



Essentiell ist dabei, dass die Forschungspartner keinerlei Nachteile bei Nicht-Teilnahme befürchten und dass sie keinerlei Bedrängnis zur Teilnahme verspüren, wie dies beispielsweise der Fall wäre, wenn Forschungspartner dem Fortschritt der Wissenschaft nicht im Weg stehen wollen und sich deshalb der Autorität des Forschers unterordnen, wenn Vorgesetzte ausdrücklich die Teilnahme ihrer Lehrerschaft wünschen, wenn Lehrpersonen ihre Schülerschaft um EinwilligungEinwilligung bitten oder wenn Eltern bei Nicht-Teilnahme ihrer Kinder Nachteile für diese in der Schule befürchten. Forscher stehen in der Verantwortung, proaktiv Maßnahmen gegen derartigen sanften oder unbeabsichtigten Druck zu ergreifen (beispielsweise mit der Lehrerin abzusprechen, dass sie bei der Datenerhebung nicht anwesend ist).

 



Die informierte EinwilligungserklärungEinwilligungserklärung sollte grundsätzlich auch auf die Tatsache aufmerksam machen, dass die Teilnahme an der Studie jederzeit (während und auch nach der Datenerhebung) ohne weitere Erklärung zurückgezogen werden kann; zu diesem Zweck sollte der Forscher die entsprechenden Kontaktinformationen bereitstellen. Darüber hinaus müssen die Forschungspartner über die weitere Verwendung der Daten informiert werden. Dazu gehört, dass sie vor ihrer informierten Einwilligungserklärung erfahren, wie lange die Daten verwahrt werden, wer Zugang zu den Daten hat und in welcher Form die Daten in Publikationen oder Vorträgen präsentiert werden.



Darüber hinaus sind ethische Prinzipien auch dann zu bedenken und in den entsprechenden Publikationen zu thematisieren, wenn Zweifel bestehen, inwieweit die Forschungspartner in der Lage sind, die Einwilligungserklärung zu verstehen. Dies ist in der Fremdsprachenforschung in sprachlicher Hinsicht insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Migranten von Bedeutung, denen die entsprechenden Einwilligungserklärungen bei entsprechenden Zweifeln in ihrer Erstsprache vorgelegt oder mündlich in der Erstsprache erläutert werden sollten. Doch auch konzeptuelle Verständnisschwierigkeiten schutzbedürftiger Gruppen wie beispielsweise schriftunkundiger Zweitsprachenlerner, Kinder, dementer oder geistig behinderter Personen sind ggf. zu reflektieren und angemessen zu berücksichtigen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind darüber hinaus ebenfalls die Eltern um ihre Einverständniserklärung zu bitten; bei Untersuchungen in Schulen ist beim entsprechenden Kultusministerium eine Genehmigung zu erwirken, was in der Regel einen längeren zeitlichen Vorlauf von mehreren Monaten erfordert.



Noch virulenter sind solche ethischen Problemlagen häufig bei InternetforschungInternetforschungen, bei denen schwerer zu beurteilen ist, ob die Forschungspartner die Informationen zum Forschungsvorhaben tatsächlich verstanden haben und ob sie in der Lage oder alt genug sind, ihre Einwilligung zu erklären. In solchen Fällen gewinnen nach Eynon/Fry/Schroeder (2008) Bemühungen um eine verständliche Sprache und ggf. auch online-Verständnistests besondere Bedeutung. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, dass Beobachtungsstudien in virtuellen Welten wie

Second Life

 oder bei der Teilnahme an Chatgroups mit derselben ethischen Reflexion wie auch in der realen Welt anzugehen sind (ebd.); auch für das

Debriefing

 ist bei Internetforschung besondere Sorge zu tragen (Johnson/Christensen 2008: 126).





4.6.4 VertraulichkeitVertraulichkeit der Daten



Ebenfalls gesetzlich geregelt ist in den meisten (Bundes-)Ländern, welche Anforderungen an die Vertraulichkeit der Daten zu stellen sind. Eine wichtige Unterscheidung ist in diesem Zusammenhang zwischen AnonymisierungAnonymisierung und PseudonymisierungPseudonymisierung zu treffen. Anonymeanonym Daten liegen dann vor, wenn dem Untersuchungsteam die Zuordnung von Daten zu Namen unmöglich ist (bspw. beim Einsatz nummerierter Fragebögen ohne Erhebung von Namen). Pseudonymisierung bedeutet hingegen, dass dem datenerhebenden Forscher die Namen der Forschungspartner bekannt sind, diese aber bei der Aufbereitung der Daten durch PseudonymePseudonym ersetzt werden, sodass weder bei der Bearbeitung der Daten noch bei der Präsentation der Ergebnisse die Identität der Forschungspartner bekannt wird.1



Die Referenzarbeit von Ehrenreich (2004: 457) illustriert den Einbezug der Forschungspartnerinnen in die Pseudonymisierung der Transkripte. Die Autorin gibt den interviewten Fremdsprachenassistentinnen neben der Korrektur inhaltlicher Fehler hinaus auch die Möglichkeit, über die von der Autorin vorgenommene Pseudonymisierung2 hinaus auch bestimmte Wörter zu neutralisieren oder zu streichen. Fürsorglich weist sie im Sinne eines Schutzes der Forschungspartnerinnen auch darauf hin, dass niemand aufgrund der für die Mündlichkeit charakteristischen Satzbrüche und anderer Phänomene der Mündlichkeit an der eigenen Ausdrucksfähigkeit zweifeln solle.



Pseudonymisierung stellt insbesondere bei der Arbeit mit Bild- und Videomaterial eine Herausforderung dar, da arbeitsaufwändige Verpixelungen oder Balken über Gesichtern die Identitäten von Forschungspartnern unter Umständen nicht hinreichend verdecken, möglicherweise aber sogar die Datenauswertung behindern. So ist es bei EinwilligungserklärungenEinwilligungserklärung hinsichtlich videographischer Fremdsprachenforschung insbesondere von Interesse, den Forschungspartnern alternative Präsentationsweisen der audiovisuellen Daten (von der Begrenzung auf pseudonymisiertePseudonymisierung Transkripte bis hin zu Filmvorführungen bei Vorträgen auf wissenschaftlichen Konferenzen und in der Lehreraus- und -weiterbildung) anzubieten und ihr schriftliches Einverständnis einzuholen.



Ethisch zu reflektieren ist auch der Wunsch einiger Forschungspartner, ihre Identität zu benennen, um auf diese Weise ihren Forschungsbeitrag zu würdigen. Wie Miethe (2010: 931–932) ausführt, ist bei De-Anonymisierungde-anonymisiert jedoch insbesondere zu bedenken, inwieweit die Betroffenen, vor allem Kinder, die Reichweite einer solchen Entscheidung absehen können und inwieweit damit auch andere Personen wie Familienmitglieder oder Kollegen de-anonymisiertde-anonymisiert werden.



Ebenfalls reflexionsbedürftig erscheint bei InternetforschungInternetforschung beispielsweise das Zitieren von Postings in Diskussionsforen, da diese im Internet unmittelbar aufgefunden werden können und möglicherweise die Identität der Beforschten preisgeben; auch die sichere Datenübertragung bei Befragungen bzw. der mögliche Zugriff Dritter auf die Daten muss Internetforscher in besonderer Weise beschäftigen (vgl. Eynon/Fry/Schroeder 2008). Da bei Internetforschung keine klaren nationalen Grenzen gegeben sind und somit rechtliche Grauzonen entstehen, erscheint in diesen Fällen die ethische Reflexion durch das Forscherteam in besonderer Weise geboten (s. ebd.).





4.6.5 Wissenschaftliches FehlverhaltenFehlverhalten



Neben dem Betrug wie beispielsweise dem Fälschen von Daten oder dem Manipulieren von Ergebnissen sind als wissenschaftliches Fehlverhalten auch solche Fälle zu bezeichnen, in denen der Umgang mit gefälschten Daten von Kollegen bewusst übersehen wird, bestimmte (widersprüchliche) Daten gezielt zurückgehalten werden oder das Forschungsdesign auf Druck des Geldgebers verändert wird (Johnson/Christensen 2008: 104; s. Kapitel 2).



Bei Publikationsaktivitäten ist im Hinblick auf wissenschaftliches Fehlverhalten zum einen die Frage der Autorenschaft von besonderer Relevanz. Autorenschaft gebührt denjenigen, die entscheidend zur Entwicklung und Durchführung des Forschungsprojekts beigetragen haben; besondere Sensibilität ist diesbezüglich bei einem hierarchischen Gefälle der Beteiligten bzw. bei Kooperationen von etablierten Forschern mit Nachwuchswissenschaftlern angebracht. Zum anderen steht der PlagiarismusPlagiarismus immer wieder im Mittelpunkt der universitären und der öffentlichen Diskussion, da der Diebstahl geistigen Eigentumsgeistiges Eigentum einen grundlegenden Verstoß gegen die ethischen Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens sowie auch gegen das Urheberrecht und damit ein strafbares Vergehen darstellt, das rechtliche Konsequenzen nach sich zieht (Ackermann 2003; Aeppli/Gasser/Gutzwiller/Tettenborn 2010: 57).





4.6.6 Fazit



Die hier erörterten Handlungsmaximen sind nicht als abzuarbeitender Regelkatalog misszuverstehen. Vielmehr sollen sie die Sensibilität für die Implikationen forschenden Handelns fördern. Forschende sind gehalten, sich immer wieder neu der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu werden. Abweichungen von Prinzipien sind im Kontext konkreter Forschungsprojekte nicht zu vermeiden; solche Abweichungen bedürfen jedoch der genauen Begründung und der kritischen Abwägung, die auch den Rat von Experten mit einbezieht (vgl. Denscombe 2010: 77). Macfarlane (2009) entwickelt seine Forschungsethik auf der Grundlage von sechs Tugenden. Zu diesen gehört neben Mut, Respekt, Entschlossenheit, Ernsthaftigkeit und Bescheidenheit die Schlüsseltugend der Reflexivität, die Fähigkeit Abstand zu nehmen, zu fragen, ob ich als Forscherin, als Forscher meinen Verantwortlichkeiten gerecht werde und wie ich mein Handeln begründe. Es ist genau jene Tugend, der wir mit diesem Kapitel das Wort reden.



› Literatur



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Empirisches wissenschaftliches Arbeiten. Ein Studienbuch für die Bildungswissenschaften.

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Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen: Grundlagen, Methoden, Anwendung

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Auslandsaufenthalt und Fremdsprachenlehrerbildung.

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Viebrock, Britta (2015).

Forschungsethik in der Fremdsprachenforschung. Eine systematische Betrachtung

. Frankfurt/Main: Lang.



» Zur Vertiefung empfohlen





Cohen, Louis/Manion, Lawrence/Morrison, Keith (2011).

Research Methods in Education

. Hoboken: Taylor and Francis, 75–104.





Das Kapitel „The ethics of educational and social reseach“ gibt einen sehr umfassenden Überblick sowohl zu grundsätzlichen Fragen der Forschungsethik (zusammengefasst in einem Modell forschungsehtischer Parameter auf S. 77) als auch zu praktischen Erfordernissen wie Zugang zum Feld und Forschu