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Gamet

Hans Jürgen Kugler: Poseidons Tränen

Der Morgennebel zerrann. Im Frührotschein blau schimmernde Sphären über dem Ozean - Wasser, das sich im Wasser träumt, geronnen zu einem Kondensat aus Licht und Energie.

Fluide Fantasien – grenzenlos, unbegreifbar, ALLüberwindend und Grund allen Lebens. Resultat negativer Entropie.

Poseidon wandte sich ab. Sein Werk war getan, die Transformation abgeschlossen, der Prozess angestoßen. Die Quantenmatrix beendete den Programmablauf und ging auf Stand-by. Die Sphären schwebten regungslos über der Bucht. Eine weitere Generation war geboren, blau schillernde Tränen, zum Aufbruch bereit. Wieder ein Planet erfolgreich infiziert. In Bruchteilen von Äonen werden abionische Verbindungen zu immer komplexeren organischen Molekülen verschmelzen; unwiderruflich bilden sich variierende, autoreplizierende chemische Informationssysteme, Molekülketten verhaken sich zu verschlungenen Strukturen, stabilisieren neu gewonnene Substanzialität, Atmungsketten pulsieren im Elektronenfluss – kurz: Leben entsteht. Und Leben, einmal entstanden, will leben, will immer mehr Leben, will überleben. Also tötet es – für das eigene Leben, für seine gesteigerte Intensität. Das Leben ist unausrottbar, hat es erst einmal gezündet. Nicht der Tod ist sein Todfeind, sondern das Nichts. Und das findet sich nirgends – vielleicht einmal in einer unendlichen Zukunft, einer unvorstellbaren Spanne Zeit, gemessen in Jahrmilliarden, wenn der Himmel zurückfällt in Finsternis, die Sterne umflutend in seinem Verdikt. Wenn kein sichtbares Auge mehr wacht in der Tiefe der endgültigen Nacht; auch Sterne verblühen, wenn ihre Zeit gekommen ist.

Doch jetzt noch nicht. Noch wachen die Tränen Poseidons regungslos über den Wassern, gebären Leben, Zukunft und Hoffnung auf bessere Zeiten.

Poseidon erschien das alles sinnlos. Wozu Leben erschaffen, das sich selbst zerstört, immer und immer wieder und jedes Mal aufs Neue. Ein zum Scheitern verurteiltes Projekt, das sich unaufhörlich perpetuierend ständig weiter fortpflanzt. Alles Leben ist fortwährendes Leiden, eine Kettenreaktion des Schmerzes. Ein unauslöschliches Feuer, das sich selber nährt. Da wäre es doch sinnvoller, es gleich sein zu lassen. Besser nicht zu sein, als falsch zu sein.

Jetzt kann nur noch Humor helfen, dachte Poseidon und ließ dröhnend ein wahrhaft homerisches Lachen ertönen - und es regnete Feuer und Asche auf den Planeten.


Der Höllenmond

Jörg Weigand: Die andere Welt

»Meister, ich habe eine Frage!«

Abrupt wurde Li T’ai-p’o aus seiner morgendlichen Meditation am Ufer des T’ung-t’ing-Sees gerissen.

»Was ist?« Er war verärgert, denn diese Stunde allein mit der Natur war ihm heilig. Normalerweise reagierte Li T'ai-p'o nicht so heftig auf eine Frage seiner Schüler; doch jeder unter ihnen wusste, wie wichtig ihm gerade diese kurze Zeit der Besinnung war. Nun hatte Kuang Ling-ling dagegen verstoßen; er verdiente eigentlich nicht, dass ihn der Meister so barsch anfuhr, denn er war zwar erst seit Kurzem hier am See, dennoch gehörte er bereits zu den Gelehrigsten und Wissbegierigsten.

T’ai-p’o bereute bereits seine harte Replik, daher deutete er neben sich: »Setz dich und sage mir, was du auf dem Herzen hast!«

Kuang Ling-ling stammte aus einer alten Beamtenfamilie, die in der südlichen Hauptstadt einen guten Namen und viel Einfluss besaß. Die Mitglieder dieses Clans waren absolut kaisertreu; jeder zweite männliche Spross machte innerhalb des Militärs Karriere, der Rest mehrte als Kaufleute die Besitztümer der Familie.

Nur Ling-ling war aus der Art geschlagen, wie sein Vater mit Bedauern feststellen musste, als sein Erstgeborener sich an den T’ung-t’ing-See verabschiedete, um sich einem seltsamen Eigenbrötler anzuschließen, über den man die absonderlichsten Dinge hörte. Der Sohn freilich fand Meister Li durchaus nicht seltsam oder sonderbar. Er hatte sich innerhalb kürzester Zeit eingelebt und war sehr zufrieden, dass Li auf alle Fragen intensiv einging, die ihm seine Schüler stellten.

Nachdem er seinen Lehrer derart aus seiner Gedankenwelt gerissen hatte, wagte der junge Mann nicht, die Frage zu stellen, die ihn gerade besonders bewegte. Meister Li spürte die Befangenheit und verstand, dass er die Initiative ergreifen musste.

»Nun, sag schon, was du für ein Anliegen hast!«

Trotz des Entgegenkommens seines Mentors zögerte Ling-ling, wagte aber schließlich dennoch, das Problem vorzutragen, mit dem er sich seit Tagen beschäftigte:

»Im ›Klassiker der geheimnisvollen Orte‹, das Ihr, Meister, uns zur Lektüre empfohlen habt, sind seltsame Örtlichkeiten erwähnt, die sich nicht auf dieser Welt befinden sollen, sondern im Jenseits, außerhalb unserer Wahrnehmung. Was hat es damit auf sich?«

Li T’ai-p’o kannte den Klassiker, den einstmals ein taoistischer Klosterabt verfasst hatte, sehr gut. Dass er dessen Lektüre empfohlen hatte, war in der Absicht erfolgt, seine Anhänger ein wenig von der Nabelschau zu lösen, in die so mancher zu fallen drohte. Dass dies aber nunmehr Ling-ling so sehr beschäftigte, machte ihn nachdenklich.

»Was genau willst du?«, fragte der Meister, dem es von Anfang an darum gegangen war, seinen Schülern zu helfen – bei allen Problemen, gleichgültig, worum es sich handelte.

»Ich möchte eine solche Welt einmal sehen«, sagte Ling-ling und Meister Li sah ihm an, dass er es ernst meinte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so etwas gibt. Falls aber doch, dann will ich das mit eigenen Augen anschauen!«

Meister Li überlegte, was er antworten sollte. Interesse an Unbekanntem und Neugier auf Neues waren Eigenschaften, die er dennoch zu schätzen wusste. Andererseits wollte er seine Schüler auch vor enttäuschenden Negativerfahrungen schützen.

»Sicherlich hast du in diesem Klassiker gelesen …«

Ling-ling nickte.

»… dann weißt du auch, dass es eine Möglichkeit gibt. Doch sie ist nicht jedem zugänglich.«

»Ich weiß, Meister, diese Götterpilze sollen helfen, eine Reise des Geistes zu unternehmen und diese Welten zu sehen.«

»Ich werde dir helfen«, versprach Li T'ai-p'o. »Mein Freund Su, der taoistische Eremit am Grünrot-Berg, hat mir verraten, wo es solche Pilze gibt. Beziehungsweise, wo diese Pilze in kleinen Mengen zu finden sind.«

»Oh, bitte, Meister! Wollt Ihr mir das nicht verraten …«

Meister Li zögerte nur kurz, dann sagte er: »Du findest den violetten Rettichhelmling am Fuße des nördlichen Felsplateaus jenseits des Sees. Und dann musst du Folgendes beachten.«

Er sah sich um; kein anderer seiner Schüler sollte das hören. »Und halte dich genau an die Anweisungen. Der Pilz selbst entscheidet, was du siehst und wohin dich diese Reise führt. Nun hör genau zu!«

Kuang Ling-ling war für einige Tage verschwunden, doch während die anderen Schüler sich wunderten oder gar sorgten, spielte auf Meister Lis Gesicht nur ein kleines Lächeln, wenn die Rede auf den Abwesenden kam. Bis Ling-ling wieder in ihrer Runde auftauchte, als sei nichts gewesen.

Meister Li freilich fiel auf, dass der junge Mann nachdenklicher als vor seinem Verschwinden wirkte. Er konnte sich natürlich auch irren, sagte er sich, bis Ling-ling am Abend vor seiner Hütte stand.

»Darf ich eintreten, Meister?«

Das klang fast verzagt, gleichzeitig aber auch entschlossen. Seltsam, dachte Li und bat seinen Schüler herein.

»Ich denke, du kannst mir etwas erzählen.«

Ling-ling saß zunächst schweigend, ehe es in einem Wortschwall aus ihm herausbrach:

»Ich habe mich genau an Eure Anweisungen gehalten, Meister, habe nur einen Pilz bei hellem Mondschein gepflückt und ihn anschließend klein gehackt meiner Reismahlzeit zugefügt. Ich habe das Gericht einen ganzen Tag lang ruhen lassen und es anschließend verzehrt. Was ich dann erlebt habe …«

Er verstummte und konnte sich offenbar nur mühsam zwingen, weiter zu reden.

»Nie wieder will ich so etwas sehen!«

»Was hast du denn gesehen?«

»Ich sah eine Welt … Wie kann es das geben? Eine Welt, ganz eingetaucht und geformt in die kaiserlichen Farben, in die Farben unseres T’ien-tse, unseres verehrungswürdigen Himmelssohnes. Eine Welt ganz in Gelb. Ausschließlich in Gelb. Gelb wie Schwefel. Entsetzlich.«

»Gelb ist eine Farbe der Weisheit und des Glücks. Ist es nicht wundervoll, dass es eine solche Welt gibt?«, fragte Li.

Kuang Ling-ling sah ihn skeptisch an.

»Gelb und Gold sind dem Kaiser vorbehalten. Wer als Bürger diese Farbe trägt, vergeht sich gegen göttliche Gebote. Gelb ist auch das Symbol der Macht. Und die ist des Kaisers. Es ist Blasphemie, sich mit Gelb zu schmücken, das haben mir meine geliebten Eltern beigebracht. Und eine ganze Welt in Gelb – das geht gar nicht.«

Er verstummte. Meister Li wartete geduldig.

»Nie wieder«, sagte Ling-ling, »will ich solche Welten sehen, die unseren verehrten Himmelssohn derart verhöhnen.«

Meister Li blieb stumm.


Donnas Kaschemme II


Donnas Kaschemme

 

Monika Niehaus: Hunter’s Planet

»Wie findet ihr es?« Black Mary, Tauranerin und nach terranischen Maßstäben elf bis zwölf Jahre alt, hatte es als blinder Passagier der Rosinante in Donna Kaschemme verschlagen.* Nun hielt sie einen eleganten Flakon in der Hand und wedelte uns den Duft zu.

»Wow, riecht wie ein ferengisches Freudenhaus!«, konstatierte K'Xara, die nachtschwarze K'zin-Kriegerin mit dem Widdergehörn und dem roten Brusttattoo.

»Woher weißt du, wie es in derartigen Etablissements duftet, Freundin meiner Nächte?«, wollte Little Wong, ihr schmächtiger Gefährte aus dem Shanghai-Imperium, wissen. »Ich finde es durchaus attraktiv!«

Donna, deren roter Irokesenkamm wippte, während sie frische Gläser abfüllte, schnupperte ebenfalls: »Könnte mir gefallen! Was meinst du, Willi?«

Der Wurmlochscout und Skipper der Rosinante zog den Flakon heran und schnüffelte: »Die Kopfnote besteht aus Hyazinthe und rosa Pfeffer, die Herznote aus Jasmin und Orange, die Basisnote aus Moschus, Patschuli und Castoreum …«

»Willi, du Schuft!« Mary entriss ihm das Fläschchen. »Du hast das Etikett gelesen!«

»Mit so einem Zinken ist das kaum nötig«, grinste Quoxx, der reiche Händler aus dem Kuiperbelt. »Aber wie kommst du in den Besitz dieses bestimmt sündhaft teuren Parfüms, junge Dame?«

Mary strich sich die schwarzen Locken aus der Stirn und lächelte. »Ein Geschenk für geleistete Dienste!«

»Rabenaas hatte eine Idee …« Die K'zin-Kriegerin bleckte ihre strahlend weißen Zähne. Diesen Kosenamen hatte sie der Tauranerin nach einer Pokerpartie auf der Rosinante verliehen.

Quoxx sah Willi fragend an. Willi drehte sein leeres Glas. Der Kuiperbelter seufzte und machte Donna ein Zeichen, eine frische Runde Bier zu servieren.

Willi nahm einen tiefen Zug. »Nun, wir befanden uns auf dem Weg nach Gamer’s Planet, um diese Ausreißerin wieder der Obhut ihres liebenden Vaters zu überstellen, der uns für unsere Babysitterdienste« – Mary schnaubte empört – »ein stattliches Handgeld versprochen hatte. Unterwegs überredete uns dieser Plagegeist zu einem kleinen Abstecher zum Pferdekopfnebel, den sie unbedingt sehen wollte … nun, die Folge war, dass wir in einen heftigen Magnetsturm gerieten. Der Bordcomputer spielte verrückt, ich musste auf Handsteuerung umstellen, und wir schafften es mit Müh’ und Not zum nächsten Klasse-M-Planeten mit Sauerstoffatmosphäre …«

Die Rosinante schlitterte mit einem schrillen Knirschen über den felsigen Boden und kam dann mit einem Ruck zum Stehen. Mit einigen heftigen Rammstößen öffnete K'Xara die verklemmte Tür, und wir traten ins Freie.

Wir waren am Eingang eines Tals gelandet, das sich hinter uns zur Schlucht verengte. Farne bedeckten die Wände der Schlucht, durch die sich ein Bach schlängelte, der in einem kleinen See mündete. Ein schillerndes Insekt, vierflügelig und lang wie eine Hand, schwirrte in Zickzackflug übers Wasser. Die Bachufer waren von einem lichten Wald aus Laubbäumen gesäumt, an deren Ästen kürbisgroße, an Lampions erinnernde Gebilde hingen. Hoch über dem havarierten Raumschiff kreiste ein krächzender Trupp fremdartiger Vögel, deren Silhouetten sich gegen den Abendhimmel abhoben.

Als die Sonne hinter dem Horizont verschwand, wurde es schlagartig dunkel, und wir verschoben weitere Erkundungen auf den nächsten Tag. Eine Weile mühte ich mich noch mit dem Bordcomputer ab, aber der stellte sich ebenso tot wie der Antrieb.

Wir wussten nicht, wo wir uns befanden. Wir konnten keinen Hyperraumkontakt aufnehmen. Und ohne Ersatzteile würden wir nicht wieder von hier wegzukommen. Mit einem Satz, unsere Lage war beschissen.

Wir gingen schlafen.

Mitten in der Nacht wurden wir von einem seltsamen Geräusch geweckt. Es klang, als raspele jemand mit einer Stahlfeile an den Stelzen der Rosinante. Dann ächzte das Raumschiff ein wenig, und in der Einstiegsluke, die wir der Schwüle wegen nur mit einem Netz verschlossen hatten, zeichnete sich gegen das Mondlicht ein massiger Schatten ab. Wir sprangen aus unseren Kojen, und K'Xara richtete ihre Taschenlampe auf den Besucher. In der Öffnung zeigte sich ein großer runder, plüschiger Kopf, aus dem uns zwei kleinen Augen anstarrten.

Das Geschöpf war offenbar genauso erschrocken wie wir. Es stieß ein Grunzen aus, dann verschwanden Kopf und Pfoten, und wir hörten ein Plumpsen sowie ein hastiges Getrampel.

Wir drängten uns um die Lukenöffnung und spähten hinaus. »Das ist nicht nur einer, das ist ein ganzer Trupp!«, flüsterte K'Xara. Im Strahl der Lampe konnten wir eine Handvoll plumpe, massige Formen ausmachen, die im Halbkreis auf ihren Hinterbeinen hockten. Bis auf zwei Meißenzähne, die deutlich über das Kinn hinausragten, wirkten sie nicht besonders bedrohlich. Nachdem sie uns ebenso verblüfft gemustert hatten wie wir sie, stieß das größte Exemplar einen Pfiff aus und machte kehrt. Seine Gefährten folgten ihm, und kurz darauf hörten wir, wie die schweren Körper ins Wasser eintauchten. Ein Klatschen mit dem Schwanz auf die Wasseroberfläche, dann waren sie verschwunden.

»Was war das?«, fragte Mary mit großen Augen. »Etwas aus dem Märchenbuch?«

Little Wong schüttelte den Kopf. »Ich denke, Riesenbiber.« Er hockte sich nieder und ließ die Metallspäne rund um die angeknabberte Stelze des Raumschiffs durch die Finger gleiten. »Und ihre Nagezähne sind offenbar in bestem Zustand!«

»Anscheinend nicht die einzigen Riesen hier …« Die K'zin-Kriegerin wies auf den Rand der Schlucht. Dort hoben sich mehrere Schattenrisse mit ausladenden Stoßzähnen gegen den mondhellen Hintergrund ab.

»Elefanten?«, fragte Mary verblüfft.

Wie zur Bestätigung hob eines der Tiere den Rüssel und trompetete so laut, dass die Rosinante vibrierte.

»Mammuts!«, korrigierte Little Wong. »Und die Silhouetten am Himmel trugen wohl keine Federn, sondern Lederschwingen …!«

»Mammuts, Flugsaurier und Riesenbiber …« Ich pfiff leise durch die Zähne. »Es gibt wohl nur einen Ort im ganzen Alphaquadranten, wo man so etwas findet!«

Wir waren auf Hunter’s Planet gestrandet, Big Bobbys privatem Jagdparadies für Superreiche. Das war keine gute Nachricht, denn Big Bobby gehört zu den miesesten Gaunern, die ich kenne – und ich kenne eine ganze Menge übler Typen.

Am nächsten Morgen machte ich mich daran, die Schäden, die unser Kahn erlitten hatte, genauer in Augenschein zu nehmen. Es hätte schlimmer kommen können, aber wir brauchten Ersatzteile, um den Antrieb der Rosinante und vor allem den Bordcomputer wieder flottzumachen.

Die anderen hatten sich inzwischen am See umgesehen. Die Riesenbiberkolonie bestand aus mehreren Burgen, die sich über die Wasseroberfläche erhoben. Die Tiere ließen sich von uns nicht weiter stören und bewegten sich, Baumstämme schleppend, behäbig zwischen dem Waldrand und ihrer Siedlung hin und her. Es schien sie nicht zu stören, dass wir ein paar Fische angelten. Mary hatte sogar ihren Bikini angezogen, obwohl es da oben noch kaum etwas zu halten gab, wie K’Xara spottete, und war ein paar Runden im See geschwommen.

Wir waren gerade dabei, unsere Fischbeute zum Raumschiff zu schaffen, als einer der Riesenbiber einen schrillen Pfiff ausstieß und untertauchte. Die anderen Biber folgten ihm eilig.

Da die Biber kaum kleiner als ein terranischer Schwarzbär waren, fragten wir uns, was sie derart erschreckt hatte. Die Nachmittagssonne stand inzwischen so niedrig, dass der Boden der Schlucht zwischen Raumschiff und See im Schatten lag. Und dort im Schatten bewegt sich etwas …

Dicht an den Boden gedrückt, näherten sich uns ein Dutzend Geschöpfe mit katzenhafter Grazie.

»Säbelzahntiger!«, flüsterte Little Wong.

Ich zog meine Laserpistole.

»Beim Auerochsenpimmel, lass das Ding stecken!« Die K'zin-Kriegerin drängte mich zurück. »Wenn wir einen seiner kostbaren Klontiger killen, haben wir bei Big Bobby völlig verschissen.«

Und an Mary gewandt: »Schnell! Dein Oberteil!«

Verblüfft gehorchte die Kleine.

Inzwischen hatten sich die Säbelzahntiger auf etwa fünfzig Schritt genähert. Sie wirkten ebenso hungrig wie misslaunig, und die Härchen in meinem Nacken sträubten sich.

K’Xara bückte sich und hob einen Kiesel auf.

»Spielst du jetzt David gegen Goliath, meine schwarze Venus?«, erkundigte sich Little Wong interessiert. »Bei einem ganzen Rudel von Gegnern vielleicht keine so gute Idee …«

Die K’zin-Kriegerin lächelte grimmig. »Wir werden uns Verstärkung holen!«

Sie legte den Kiesel in eine Mulde des Oberteils, schwang die improvisierte Schleuder um den Kopf und schleuderte das Geschoss dann auf sein Ziel. Der Kiesel traf einen der größten Lampions mit voller Wucht. Einen Moment schwankte das Gebilde wild hin und her, dann fiel es zu Boden und zerplatzte direkt vor den Füßen der Säbelzahntiger.

Ohne Zögern stürzten sich die die wütenden Hornissen auf die vermeintlichen Angreifer. Die Raubkatzen, eben noch ihrer Beute sicher, heulten auf, schlugen mit den Pranken nach den Quälgeistern und bleckten ihre Zahndolche, doch gegen diesen Gegner waren sie machtlos. Panisch ergriffen sie die Flucht und jagten in die Schlucht zurück. In kaum einer Minute war der ganze Spuk verschwunden, und die aufgescheuchten Insekten machten sich daran, ihr Nest zu reparieren.

K’Xara reichte Mary ihr Oberteil zurück und grinste uns an.

»Du hast nicht nur ein schmückendes Gehörn, Freundin meiner Lenden, sondern auch einen klugen Kopf!«, lächelte Little Wong und hob ihre Hand an seine Wange. »Dennoch finde ich, dass es langsam ungemütlich wird. Ich denke, wir sollten so rasch und unauffällig wie möglich wieder von hier verschwinden.«

»Zu spät!« Ich wies auf die sich nähernde Späherdrohne. »Unser Gastgeber hat uns offenbar entdeckt …«

Die Drohne umkreiste die Rosinante mehrmals und ließ sich schließlich auf dem Dach nieder. Der Holobildschirm klappte aus, und darauf erschien Big Bobbys übellauniges Gesicht. Mit seinem rosigen Kahlkopf, den Hamsterbacken, der kleinen Nase und dem Schmollmund erinnerte er an ein überdimensionales Baby, wären da nicht diese kieselharten Augen gewesen.

Er musterte uns abschätzig. Wie potenzielle Kunden sahen wir wohl nicht aus. Entsprechend rüde war sein Ton. »Wer seid ihr? Was macht ihr hier? Hab’ ich eure Visagen nicht schon mal gesehen?«

»Wir sind friedliche Reisende und durch einen Magnetsturm gezwungen worden, hier notzulanden …«, entgegnete ich höflich.

»Dann macht euren verdammten Kahn wieder flott und verschwindet!«

»Das würden wir gern, aber ohne die nötigen Ersatzteile wird das so schnell nichts, und die Gegend scheint recht unsicher zu sein …«

Big Bobby näherte sich den Holoschirm so weit, dass man jede Pore seinen wütenden Gesichts sehen konnte: »Wagt nicht einmal daran zu denken, meine kostbaren Säbelzahntiger anzurühren! Die sind für zahlende Gäste reserviert!«

»Mit einem kleinen Kredit für die nötigen Reparaturen wären wir viel schneller wieder aus dem Weg!«, versuchte ich, an die Vernunft des Dicken zu appellieren.

»Ein Kredit? Ein KREDIT?« Big Bobby schien inzwischen kurz vor einem Schlaganfall zu stehen. »Ich werde euren Schrottkahn konfiszieren und abwracken. Und ihr könnt versuchen, am Raumport einen barmherzigen Skipper zu finden, bei dem ihr eure Rückreise abarbeiten könnt.«

Bevor ich protestieren konnte, hatte sich Mary vor den Holoschirm geschoben. »Vielleicht können wir uns ja doch einigen …«

Der Dicke glotzte einen Augenblick, dann machte er eine gereizte Handbewegung: »Misch dich nicht ein, Rotznase! Wer bist du überhaupt?«

»Ich bin Black Mary, Tochter von Black Angus …« Sie strich ihre Locken zurück, sodass ihre Hörneransätze sichtbar wurden, unverkennbare Zeichen ihrer tauranischen Herkunft.

Big Bobby runzelte die Stirn. »Deinem Vater gehört das Black Hole?«

Mary nickte. »Und eine ganze Menge anderer Spielhöllen auf Gamer’s World. Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie vor nicht allzu langer Zeit zu Gast bei uns …«

Die Augen des Dicken verengten sich zu Schlitzen. »Ja, und ich habe deinem Daddy am Roulettetisch ganz schön die Hosen runtergezogen …«

»Wenn ich mich weiterhin recht erinnere« – Mary lächelte honigsüß – »hatten Sie damals eine recht spärlich bekleidete Glücksfee auf dem Schoß, so eine üppige Rothaarige – da gibt es ein paar hübsche Aufnahmen, die Sie vielleicht gern als Andenken hätten …« Sie ließ den Satz in der Luft hängen.

 

Big Bobby holte tief Luft. »Das ist Erpressung!« Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen, und er kniff die Augen zusammen: »Wenn du seine Tochter bist, warum pumpst du Angus dann nicht direkt an?«

»Nun …« Mary lächelte weiter, doch es war klar, dass sich die Rädchen in ihrem Kopf verzweifelt drehten. Wenn der Dicke herausfand, dass unsere Hyperraumkommunikation ausgefallen war, war ihr Bluff geplatzt und wir ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. »Ich möchte Daddy da gerne heraushalten …« Sie stockte.

»… weil er ihr den Arsch versohlen würde!«, sprang Little Wong in die Bresche. »Denn dieser Rotschopf ist inzwischen Mistress Angus!«

Die Kleine nahm den Faden sofort auf. »Daddy wäre bestimmt genauso ungehalten wie Mistress Bobby, wenn diese Bilder an die Öffentlichkeit gelangten. Und wenn Black Angus rot sieht …« Sie schüttelte nur den Kopf.

Big Bobby schnaufte und ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern. »Ich lasse euch Ersatzteile schicken!«, stieß er schließlich zwischen den Zähnen hervor.

Mary setzte ihr schönstes Lächeln auf. »Eine weise Entscheidung, Sir. Sobald wir Hunter’s Planet verlassen haben, sind die Aufnahmen so gut wie gelöscht!«

Der Dicke öffnete den Mund, als wolle er noch etwas sagen, entschied sich aber eines Besseren. Der Holoschirm verdunkelte sich, und die Drohne entschwand so leise, wie sie gekommen war.

Erst als sie verschwunden war, erlaubte ich meinen weichen Knien nachzugeben und setzte mich. »Das alles war ein Bluff, nicht wahr?«

»Big Bobby ist nicht sehr helle!« Mary kräuselte ihre kleine Nase verächtlich. »Und mit einem Walross wie Big Berta im Ehebett wäre es ein Wunder, wenn er die Gelegenheit nicht genutzt hätte …«

»Und die Beschreibung der Dame?«, erkundigte sich Little Wong neugierig.

Die Kleine grinste. »An educated guess. Big Bob steht auf Kurven, und was die Haarfarbe angeht, konnte er sich sicherlich nicht mehr genau erinnert, so wie er seinen Gewinn damals begossen hat.«

»Die Aufnahmen gibt es also gar nicht?«, wollte K'Xara wissen.

»Bislang noch nicht, ist aber eigentlich eine gute Idee, findet ihr nicht?«

Die K’zin-Kriegerin warf ihren Kopf mit dem schweren Gehörn in den Nacken und lachte lauthals. »Rabenaas!«

»Wir schafften es, die Rosinante zum Raumport von Hunter's Planet zu bugsieren, der zum Glück ganz in der Nähe lag. Mit den Ersatzteilen gelang es uns rasch, den Kahn wieder flottzumachen und zu starten«, schloss Willi seine Erzählung, nahm einen tiefen Schluck und strich sich den Schaum von den Lippen.

»… aber weil wir so weit vom Ziel abgekommen waren, reichten die Energiereserven nur für den Rückflug nach Terra!«, ergänzte Mary. Sie klang nicht besonders unglücklich darüber.

Donna stellte ihr frisch gefülltes Tablett auf den Tisch und ließ ihren Blick von Willi über K’Xara zu Little Wong gleiten. »Ihr habt die Kleine nicht bei ihrem Vater abgeliefert, ihr müsst Big Bob die Ersatzteile bezahlen, und Willis alter Kahn hat noch ein paar Kratzer mehr abgekriegt – und trotzdem strahlt ihr wie eine klingonische Mondkatzen im Fischladen. Warum?«

Little Wong grinste. »Diese junge Dame hatte da eine Idee. Während Willi die Reparatur der Rosinante überwachte, haben wir drei die Biberkolonie am See besucht.« Er angelte sich ein frisches Glas von Donnas Tablett. »Wie ihre kleinen terranischen Artgenossen markieren die Riesenbiber ihr Revier mit einem Sekret aus ihren Analdrüsen, und das nicht zu knapp. Jedenfalls hatten wir beim Abheben von Hunter’s Planet ein Dutzend Eimer voll dieser braunen Paste gesammelt – Bibergeil, in Fachkreisen Castoreum genannt …«

»Daddy jammerte immer darüber, was ihn die Parfüms seiner Freundinnen kosteten. Das Zeug wird für die teuersten Luxusmarken gebraucht, und die Händler haben es uns praktisch aus den Händen gerissen.« Sie schnupperte am Flakon und warf ihren Reisegefährten einen unschuldigen Blick zu. »Das Parfüm hat übrigens noch keinen Namen … Was haltet ihr von ›Black Mary‹?«

»Mir würde ›Rabenaas‹ besser gefallen«, konterte K'Xara boshaft und ließ ihre Zähne blitzen.

Mit Feuereifer stürzten sich alle Gäste der Kaschemme in die Diskussion, und bald herrschte ein heilloses Stimmengewirr.

»Warum nicht ›Bella Donna‹?«, meinte Little Wong, als alle irgendwann Atem holen mussten. »Darin steckt nicht nur die Essenz schöner Frauen, sondern auch ein wenig Tollkirschenwahn, ein Schuss Verrücktheit, wie ihn jedes gute Parfüm braucht …«

Einen Moment lang herrschte Stille, dann brandete tosender Beifall auf.

»Vorschlag einstimmig angenommen!« Willi grinste die Wirtin an.

»Das heißt wohl, die nächste Runde geht aufs Haus!«, seufzte Donna. »Ihr nutzt meine Gutmütigkeit schamlos aus.« Aber geschmeichelt war sie doch.

Wie so oft floss das Bier, noch immer das Beste in diesem Teil des Alphaquadranten, in Strömen, wenn sich Mary auch bitter beklagte, dass Donna ihr nur Malzbier zugestand. Und wie so oft wurde es eine lange Nacht.

Irgendwann rückte Mary näher an ihre Reisegefährten heran. »Quoxx und ich haben eben überlegt, ob es sich nicht lohnen würde, ins Parfümgeschäft einzusteigen. Vielleicht sollten wir nächstes Mal wieder einen kleinen Abstecher nach Hunter’s Planet …«

Weiter kam sie nicht. Willi hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das nächste Mal, junge Dame, liefern wir dich direkt und ohne Umwege bei deinem Vater ab!«

»Daddy wird sich natürlich freuen!«, versicherte ihm die Kleine. »Bei der blöden venusianischen Kuh, die er unbedingt heiraten musste, bin ich mir allerdings nicht so sicher. Wenn sie mich nun schlecht behandelt …« Sie warf den dreien durch lange Wimpern einen Blick zu.

»Rabenaas!«, wiederholte K'Xara voll Inbrunst.

Little Wong lächelte so undurchdringlich wie immer und nahm noch eine Nase von dem neuen Duft.