Failing Schools

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Aus der Reihe: Wissenschaft konkret
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Kritik der wohlfahrtsstaatlichen Bildungspolitik

Die am marktwirtschaftlichen Steuerungsparadigma orientierte Kritik wohlfahrtsstaatlicher Bildungspolitik baut auf dem Vorwurf auf, dass Letztere die soziale Gleichheit über das Leistungsprinzip stelle und deshalb die Problematik des individuellen Scheiterns ebenso wie die des Systemversagens tabuisieren müsse.

Im Folgenden soll diese Kritik der wohlfahrtsstaatlichen Bildungspolitik anhand von zwei Beispielen rekonstruiert werden: Zum einen handelt es sich um die Black Papers, die im Zeitraum von 1968 bis 1977 in Großbritannien erschienen, zum anderen um die Expertise A Nation at Risk, die im Auftrag der Reagan-Administration erarbeitet und 1983 der amerikanischen Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Die Black Papers

Von 1968 an erschienen in unregelmäßigen Abständen fünf als Black Paper etikettierte Aufsatzsammlungen, die dem Anspruch nach dazu dienten, einen »Fight for Education« zu führen. Der Kampfrhetorik dieser Texte zufolge habe die Bildungspolitik der Labour-Regierungen dazu geführt, dass »excellence in education« inzwischen als »undemocratic« gelte (Cox & Dyson, 1968, S. 1). Zum Zweck der Gleichmacherei seien Prüfungsanforderungen reduziert oder ganz abgeschafft, die Zugänge zu höherer Bildung von nahezu allen selektiven Hürden befreit und die Curricula in ein beliebiges Sammelsurium verwandelt worden. Dahinter stehe das falsche Credo, dass Kinder und Jugendliche von Natur aus lernbegeistert seien und deshalb keinem Erfolgsdruck ausgesetzt werden dürften. Die Folge sei eine Nivellierung, unter der vor allem die begabten Kinder zu leiden hätten. Gesamtschulen würden von Labour einseitig zum Nachteil der Grammar Schools und der privaten Eliteschulen gefördert – die sozialdemokratische Bildungspolitik ziele darauf, den Eltern letztlich keine Alternative zu lassen. Das Forcieren des comprehensive schooling sei aber letztlich Ausdruck eines schlechten Gewissens: Wären die Gesamtschulen wirklich gut, brauchten sie die Konkurrenz der Grammar Schools und der Privatschulen nicht zu fürchten. Die wohlfahrtsstaatliche Bildungspolitik rufe einen Geist der Stagnation hervor, weil die »inverted snobbery« der Gleichmacherei keine Dynamik vertrage (Cox & Dyson, 1968, S. 3).

Die Grammar Schools und die privaten Schulen gelten den Kritikern nicht nur als ein »necessary aspect of our liberties« (Cox & Dyson, 1969, S. 14) und Verkörperung der »moral and cultural values of European civilisation« (Cox & Dyson, 1970, S. 11); sie seien insbesondere auch deshalb wichtig, weil sie für Wettbewerb sorgten und einen hohen »standard of achievement« (Cox & Dyson, 1969, S. 14) definierten und insofern den Angelpunkt einer meritokratischen Gesellschaft bildeten (Cox & Dyson, 1970, S. 11). Nur durch strenge Examinierung sei sicherzustellen, dass und in welchem Umfang sie diesem Standard genügten. Den Eltern müssten bessere Möglichkeiten geboten werden, zwischen Bildungsangeboten zu wählen. Bei der höheren Bildung sei vorzusehen, dass Institutionen, deren Angebot sich nicht als attraktiv und hochwertig genug erweise, geschlossen würden (Cox & Boyson, 1975, S. 5). Das gelte nicht nur für den Tertiär-, sondern auch für den Sekundarbereich: »Schools that few wish to attend should be closed and their staff dispersed. The building could be reopened by a young head, a church or some other body capable of developing a school responsive to parental demand« (Cox & Boyson, 1977, S. 9).

Der pädagogischen Beliebigkeit solle durch nationale Minimalstandards ein Ende gesetzt werden, denen alle Kinder und Jugendlichen gerecht werden müssten, deren Intelligenzquotient über siebzig Punkten liege (Cox & Boyson, 1975, S. 4). Es sei Sache der Schulinspektion, das Erreichen der Standards zu überprüfen, wobei literacy und numeracy im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten (Cox & Boyson, 1977, S. 8).

Bei den Black Papers geht es nicht um das Versagen einzelner Schulen, vielmehr wird ein bestimmter Schultyp mit einem Versagensvorwurf konfrontiert: Die Comprehensive School ist demnach die Verkörperung einer Ordnung, die fälschlicherweise die Gleichheit über die Leistung gestellt und deshalb unweigerlich zu einem kulturellen Niedergang geführt habe.

A Nation at Risk

Im amerikanischen Fall wurde die bildungspolitische Krisendiagnose durch die Expertise A Nation at Risk aus dem Jahr 1983 zugespitzt, die von einer durch Ronald Reagan eingesetzten »National Commission on Excellence in Education« erarbeitet wurde: Würde sich, heißt es da, eine Besatzungsmacht daran machen, das Bildungssystem der USA zum Zwecke der Demoralisierung und geistigen Abstumpfung der Bevölkerung einzusetzen, könnte sie kaum verheerendere Wirkungen erzielen, als sie die Amerikaner ohne äußeren Zwang selbst erzielt hätten. Die Lernresultate in den öffentlichen Schulen seien so katastrophal, dass die USA um ihren Status als führende Wirtschaftsmacht fürchten müsse: »We have, in effect, been committing an act of unthinking, unilateral educational disarmament« (NCEE, 1983, S. 167).

Um die Konkurrenzfähigkeit des amerikanischen Bildungssystems wiederherzustellen, werden in dem Dokument mehrere Vorschläge gemacht. Die Lehrerbildung solle durchgängig akademisiert werden, die Besoldung solle leistungsorientiert erfolgen. Die Schülerinnen und Schüler sollten mit hohen Standards konfrontiert und das Erreichen der Ziele durch geeignete Tests sichergestellt werden. Diese Standards sollten sich auf ein Curriculum beziehen, das auf Kernkompetenzen ausgerichtet ist – im Unterschied zum bestehenden Curriculum, das den Schülerinnen und Schülern so viel Wahlmöglichkeiten biete, dass das Wesentliche vernachlässigt werde. »In effect, we have a cafeteria style curriculum in which the appetizers and desserts can easily be mistaken for the main courses. […] This curricular smorgasbord, combined with extensive student choice, explains a great deal about where we find ourselves today« (NCEE, 1983, S. 179).

Wiewohl der Nachdruck auf wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit liegt, wird doch ausdrücklich darauf insistiert, dass das Bildungssystem allen Kindern die Chance auf die volle Entfaltung ihrer Anlagen bieten müsse – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht. Support brauche es in diesem Sinne für Benachteiligte wie für Hochbegabte.

Die Expertise A Nation at Risk ist das Grunddokument des Standards Movement: Performanz ist ein durchgehender Bezugspunkt – sowohl bei den Leistungen der Schülerinnen und Schüler als auch bei denen der Lehrpersonen. Die Optimierung soll beim Curriculum, bei der Definition von Leistungsanforderungen und bei deren Überprüfung ansetzen. Der Horizont der Überlegungen konzentriert sich dezidiert auf das bestehende System der öffentlichen Schulen: Die Frage der Bildungsgutscheine wird ebenso ausgespart wie die der Privatisierung. Allerdings ist das Bekenntnis zum System öffentlicher Schulen insofern doppelbödig, als das System als Ganzes mit einem Versagensvorwurf konfrontiert wird.

Standards und Leistungstests als Detektoren für Organisationsprobleme

Die Kritik an der wohlfahrtsstaatlichen Bildungspolitik wurde im Laufe der Achtziger- und Neunzigerjahre in England wie in den USA in neoliberale Reformen umgesetzt. Diese Reformen weisen einen gemeinsamen Kern auf – den Gedanken, dass systematische Leistungsmessungen als bildungspolitische Evidenz genutzt werden müssen, um Verfallserscheinungen zu bekämpfen.

Value for Money

Der Thatcherismus steht für die Strategie, im Bereich der öffentlichen Verwaltung entweder direkt durch Privatisierung für marktwirtschaftliche Konkurrenz zu sorgen oder aber durch Deregulierung marktähnliche Verhältnisse zu schaffen, in denen Anbieter sich als Leistungserbringer bewähren müssen. In Anknüpfung an die Black Papers führte dies im Bildungsbereich dazu, dass mit dem National Curriculum für England und Wales (1988) ein Rahmen geschaffen wurde, der den Vergleich von Bildungsinstitutionen aufgrund einheitlicher Maßstäbe ermöglichen soll. Aus standardisierten Leistungstests gewonnene Kennzahlen sollen den Eltern ein Urteil erlauben, ob mit ihren Steuergeldern ein Bildungsangebot geliefert wird, das ihren Anforderungen entspricht. Das Kalkül geht dahin, dass die Kennzahlen den Eltern bei freier Schulwahl die Chance bieten, bei nicht überzeugenden Werten einen Abwanderungsdruck auf die Schulen auszuüben – sei es, dass im Rahmen des öffentlichen Bildungsangebots eine Alternative gewählt, sei es, dass eine Privatschule favorisiert wird (Thatcher, 1993, S. 570, 590–599). Die von John Major als politischem Zögling und Nachfolger von Margaret Thatcher vorgelegte Citizen’s Charter bekräftigte diesen Gedanken: Eltern sind in diesem Verständnis als Konsumenten öffentlicher Dienstleistungen anzusehen, die sie durch ihre Steuern finanzieren und bei denen sie ein Anrecht darauf haben, dass sie für ihr Geld einen reellen Gegenwert erhalten (Cabinet Office, 1991). Vor diesem Hintergrund prüft das National Audit Office alle Schulen nach der Formel »Value for Money« (Quesel, 2011, S. 181).

Ein National Curriculum Test (SAT) erfüllt nach dieser Logik nicht nur eine diagnostische Funktion im Hinblick auf den Lernstand einzelner Schülerinnen und Schüler, er dient auch der Standortbestimmung für die einzelne Schule und übernimmt eine Monitoringfunktion für das nationale Bildungssystem. Die Operationalisierung des Konzepts der »Failing School« ist vor diesem Hintergrund denkbar einfach: Eine Schule hat versagt, wenn sie in Ranglisten wiederholt auf den hinteren Plätzen zu finden ist. Die league tables,7 die in den Massenmedien publik gemacht werden, haben in dieser Perspektive einen dreifachen Sinn: Sie folgen dem Belohnungsprinzip, weil sich die Marktchancen von leistungsstarken Schulen weiter verbessern, sie geben anderen Schulen Impulse, den eigenen Output zu steigern, und sie strafen die Schlusslichter dadurch, dass sie an den Pranger gestellt werden. Bei der Beurteilung der Effekte dieser Steuerungsstrategie ergeben die empirischen Evidenzen kein klares Bild: Von den einen wird der Effekt dieser Strategie positiv eingeschätzt – gerade auch im Hinblick auf die Chancen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen (Bradley & Taylor, 2010). Für andere weisen die empirischen Belege darauf hin, dass von der marktorientierten Steuerung eher Kinder aus wohlhabenden Verhältnissen profitieren; es zeige sich bislang nicht, dass durch diese Steuerung das Leistungsniveau gesteigert werde (Machin & McNally, 2011).

 

Sind die Rankings bisher von den Medien vorgenommen worden, ermöglicht das Bildungsministerium8 seit 2012, dass professionelle und private Nutzerinnen und Nutzer mittels einer interaktiven Website anhand verschiedener Kriterien selbst Rankings zusammenstellen. Zu den Kriterien gehören neben den Testresultaten auch Angaben zu Absenzen, zu sozialer Benachteiligung und speziellem Förderbedarf. Bei den Testresultaten besteht die Möglichkeit, Vergleiche zu anderen Schulen und zum nationalen Durchschnitt herzustellen. Darüber hinaus werden die Testresultate so aufbereitet, dass sie über den value added Aufschluss geben: In diesem Sinne ist die Erfolgsbilanz einer Schule nicht auf absolute Zahlen zu reduzieren, sondern anhand der Erwartungswerte zu relativieren, die sich aufgrund der Ausgangslage der Schule ergeben. Entscheidend ist, ob die Schulen Wissenszuwächse erzielen, die diesem Erwartungswert entsprechen.9

Gleichwohl ist die Prozedur davon abhängig, dass ein politisches Benchmarking erfolgt: Sowohl auf der Primar- als auch auf der Sekundarstufe muss für einen bestimmten Prozentsatz von Schülerinnen und Schülern ein bestimmter Lernerfolg nachgewiesen werden. Waren es unter Labour 55 Prozent der Kinder, die am Ende der Primarschule Level 4 in Mathematik und Englisch erreichen mussten, hat die konservativ-liberale Cameron-Clegg-Regierung diesen Prozentwert auf 60 Prozent erhöht. Beim Abschluss der Sekundarstufe I müssen statt vorher 30 nun 35 Prozent der Jugendlichen fünfmal Prädikat »C« oder besser erreichen. Sowohl auf der Primarstufe als auch auf der Sekundarstufe I müssen die Schulen sich zudem daran messen lassen, dass sie nicht hinter dem nationalen Niveau der Lernzuwächse zurückbleiben. Die Heraufsetzung der Erfolgskriterien bettet der zuständige Minister Michael Gove in eine Rhetorik des Strebens nach Weltspitze ein, die nicht frei von Pathos ist: »… we cannot allow our children to be left behind in the global race to the top.«10

Der von den nationalen Leistungstests für die Schulen ausgehende Erfolgsdruck, so hält ein Select Committee on Children, Schools and Families des Unterhauses in einem Statement aus dem Jahr 2008 fest, habe nicht nur positive Konsequenzen: Es bestehe die Gefahr, dass das Curriculum zusehends verarme, weil testrelevanten Themen eine unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit geschenkt werde. Mit dem teaching to the test gehe die Gefahr einher, dass die pädagogische Kompetenz der Lehrpersonen entwertet werde. Außerdem könne es dazu kommen, dass die guten und sehr guten wie auch die ganz schwachen Schülerinnen und Schüler vernachlässigt würden: Im Hinblick auf das Erreichen der kritischen Schwelle sei es möglich, dass Schulen sich übermäßig stark auf borderline pupils konzentrierten. Trotz dieser Gefahren sei es aber geraten, am System nationaler Leistungstests festzuhalten, weil sich dieser Kontrollmechanismus positiv auf die Unterrichtsqualität auswirke. »We consider that the weight of evidence in favour of the need for a system of national testing is persuasive and we are content that the principle of national testing is sound. Appropriate testing can help to ensure that teachers focus on achievement and often that has meant excellent teaching, which is very welcome.«11 Es sei allerdings sinnvoll, lokale Rechenschaftslegung, nationales Monitoring und schülerbezogene Diagnostik voneinander zu trennen und mit verschiedenen Assessments zu erfassen.

Dieser Hinweis ist nicht zuletzt im Hinblick auf das General Certificate of Secondary Education (GCSE) als Abschluss der Sekundarstufe I von Gewicht: Die Prüfungen für diesen Abschluss erstrecken sich nicht allein auf die Quantifizierung der individuellen Schülerleistungen, sondern auch auf ein Assessment der Lehrpersonen und das Ranking der Schulen, das in den league tables zum Ausdruck gebracht wird. Verstärkt durch die Konkurrenz von mehreren Testagenturen, führt die Kombination dieser Elemente dazu, dass sich eine Tendenz zur Noteninflation bemerkbar macht. Diese ist zum einen daran ablesbar, dass die englischen Schülerinnen und Schüler bei internationalen Leistungsvergleichsstudien keine analoge Entwicklung zeigen; zum anderen wird sie dadurch verdeutlicht, dass die Schulinspektion hinsichtlich der Entwicklung der Schulqualität zu ernüchternden Resultaten kommt (Quesel, 2011, S. 188f.). Der öffentlichen Wirkung des Benotungsrituals ist schwer zu begegnen: Niemand glaubt an die stetige Verbesserung der Leistungen, jedoch gerät die Verschärfung der Maßstäbe schnell zum Skandal – sodass ein probater Ausweg darin zu bestehen scheint, kurzerhand das bestehende Zertifikat durch ein neues zu ersetzen.12

Zu den Ursachen der Inflation gehört auch, dass sich bei Lehrpersonen eine starke Tendenz zeigt, Bewertungsspielräume zugunsten ihrer Schülerinnen und Schüler auszureizen – wobei sie sich mitunter in eine Grauzone begeben, in der die Bewertung nicht mehr als seriös bezeichnet werden kann. Dabei entsteht die Doppelbödigkeit, dass für die eigene Schule in Anspruch genommen wird, sich noch im Bereich legitimer pädagogischer Fürsorge zu bewegen, bei anderen Schulen aber Manipulationen vermutet werden. Das für die Überwachung der Prüfungsverfahren zuständige Office of Qualifications and Examinations Regulation (Ofqual) kommt in einer Metaevaluation zu dem ernüchternden Befund, dass der Druck der Versagensthematik die Lehrpersonen in eine zutiefst widersprüchliche Position bringe, die es bei grenzwertigen Schülerleistungen nahezu unmöglich mache, sich an die Professionsethik zu halten: »While no school that we interviewed considered that it was doing anything untoward in teaching and administering these GCSEs, many expressed concerns that other nearby schools were overstepping the boundaries of acceptable practice. It is clearly hard for teachers to maintain their own integrity when they believe that there is a widespread loss of integrity elsewhere. No teacher should be forced to choose between their principles on the one hand and their students, school and career on the other« (Ofqual, 2012, S. 11). Damit wird auf der Ebene der nationalen Aufsicht konstatiert, dass das bestehende System der leistungsorientierten Steuerung einen korrumpierenden Effekt haben kann. Verschiedene Studien untermauern den Verdacht, dass die nationalen Leistungstests in England nicht reliabel sind (Dixon, Hood & Wilson, 2010; Leckie & Goldstein, 2009).

Die in der Metaevaluation von Ofqual (2012) angedeutete Problematisierung repräsentiert allerdings keinen handlungsleitenden politischen Konsens: So argumentiert das Riots Communities and Victims Panel, das eingesetzt wurde, um eine Welle von gewalttätigen Ausschreitungen im August 2011 aufzuarbeiten, dass die Leistungsmessungen in Schulen weiter intensiviert werden müssten – und dies gerade im Interesse der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen. Es bedürfe »sharper incentives«, damit die Schulen sich entschiedener dem Wohl des leistungsschwächsten Fünftels der Schülerinnen und Schüler annehmen; durch mehr Transparenz und eine stärkere schulische Rechenschaftspflicht hinsichtlich des schriftsprachlichen Kompetenzerwerbs sei sicherzustellen, dass kein Kind die Schule ohne »basic levels of literacy« verlässt (RCVP, 2012, S. 60). Im Sinne des Konzepts »Value for Money« schlägt das Panel deshalb vor, dass Schulen, die nicht in der Lage sind, Kindern erfolgreich die Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben zu vermitteln, Bußgelder bezahlen sollen, die die Kosten der Nachbeschulung durch einen anderen Anbieter abdecken (RCVP, 2012, S. 60). Übersehen wird bei dieser Argumentation, dass die Erhöhung des schulischen Erfolgsdrucks nicht nur auf den Leitungs- und Lehrpersonen lastet: Der Stress wird sich auch bei den Kindern und Jugendlichen bemerkbar machen, wobei fraglich ist, ob sich dadurch das sozial erwünschte Verhalten verstärkt.

Das Standards Movement in den USA

In den USA entwickelte sich vor dem Hintergrund von A Nation at Risk eine Bewegung für die Implementierung von Bildungsstandards, deren Grundforderung lautete, dass die Curricula der öffentlichen Schulen als kohärentes Ganzes auf der Grundlage von messbaren Leistungsanforderungen durchstrukturiert werden müssten, die konkret und spezifisch zum Ausdruck bringen, über welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler auf einer bestimmten Stufe verfügen. Anders als in England verliefen in den USA die Vorstöße zur Einführung eines nationalen Curriculums in den 1990er-Jahren im Sande.

Das führte allerdings nicht zum Scheitern des Standards Movement: Im Laufe des Jahrzehnts verpflichteten sich praktisch alle Bundesstaaten dieser Philosophie, die durch den National Education Summit von 1996 zum Ausdruck gebracht wurde.

In der Rhetorik des Gipfels ist zwar nicht von einem nationalen Lehrplan die Rede, wohl aber von einem »common core« schulischen Lernens, der in anspruchsvollen Standards zum Ausdruck gebracht werden müsse (NES 1996, S. 14). Der Gipfel folgte der Diagnose von A Nation at Risk mit der Forderung, dass sich die Restrukturierung der Curricula auf einen Kern von traditionellen Lernfächern beziehen müsse: Englisch und Literatur, Mathematik und Naturwissenschaft sowie Geschichte und Geografie (NES 1996, S. 14). Die Kompetenzen sollten anhand von Tests überprüft werden, die an der kriterialen Norm der Lernzielerreichung ausgerichtet sind und nicht an der sozialen Norm des relativen Leistungsniveaus innerhalb der Bezugsgruppe – obgleich das Problem der sozialen Benachteiligung bei der Implementierung der Standards nicht ausgeklammert wird. Die Tests müssten in die Benotung eingehen und insofern einen Ernstfall für die Schülerinnen und Schüler darstellen. Es sollten aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler zur Rechenschaft gezogen werden: Bei den Tests müssten mittelbar auch die Leistungen von Lehrpersonen und Schulleitungen auf dem Prüfstand stehen. Die Rechenschaftslegung zur Leistungsfähigkeit sei mit einem Anreizsystem zu verbinden, das gute Schulen belohne und schlechten Schulen sowohl Support als auch Druck beschere. Die Staaten müssten intervenieren, wenn Schulen »persistently fail to improve student performance« (NES 1996, S. 14).

Der National Education Summit von 1996 war als Begegnung von Politik und Wirtschaft angelegt: Die eine Seite wurde durch die Gouverneure zahlreicher Bundesstaaten, die andere Seite durch die Chefs von großen Unternehmen repräsentiert. Das Motto »Standards Mean Business« (NES 1996, S. 15) ist in dieser Hinsicht ziemlich aussagekräftig: Von guter Bildung sei letztlich nur dann zu reden, wenn es sich auch um ein gutes Geschäft handelt. Dass im Laufe der Verhandlungen immer wieder auf die fortschrittliche Rolle neuer Technologien hingewiesen wurde, mag auch damit zusammenhängen, dass der Gipfel am Hauptsitz von IBM durchgeführt wurde.