Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage

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3. Die Anfänge des Bekenntnisses zu Jesus

Die Frauen und Männer, die nach dem Kreuzestod Jesu als erste an ihn und an seine Auferweckung glaubten, gehörten zum Volk Israel, sie waren Juden. Die Bezeichnung »Christen« gab es noch nicht; es wurde auch nicht eine neue Religion namens »Christentum« gegründet, weder von den Aposteln noch gar zuvor von Jesus selber. Der Glaube an Jesus trennte die Glaubenden zunächst nicht vom übrigen Judentum; sie waren im Gegenteil davon überzeugt, dass es der Gott Israels war, der den gekreuzigten Jesus nicht im Tode gelassen, sondern auferweckt hatte. Innerhalb des Volkes waren sie eine kleine Minderheit; aber sie hofften darauf, dass sich die anderen Juden ihrem Glauben anschließen würden, weil sie davon überzeugt waren, mit ihrem Glauben an Jesus in der Kontinuität der Geschichte des Gotteshandelns an Israel zu stehen.[19] Vermutlich aber sahen sie sich recht bald auch als eine besondere Gruppe mit einer eigenen Identität, denn die Entscheidung für oder gegen den Glauben an Jesus betraf ja den einzelnen Menschen. Die Frage, wann es zu einer Trennung der an Jesus Glaubenden vom (übrigen) Judentum kam, lässt sich kaum beantworten – die Entwicklung dürfte örtlich und zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen sein. Jedenfalls sahen sich die Glaubenden auch als eine eigene Gemeinschaft, und so nannten sie sich »die |26|Gemeinde Gottes« (ἡ ἐκκλησία τοῦ θεοῦ). Die geläufige Übersetzung des Wortes ἐκκλησία mit »Kirche« ist nicht falsch; sie darf aber nicht missverstanden werden: ἐκκλησία bezeichnet im Griechischen die »Volksversammlung«, in der griechischen Bibel (LXX) bezeichnet das Wort das Volk Israel als die »(Volks-)Versammlung Gottes«.[20] Möglicherweise waren die in Apg 6f. erwähnten »Hellenisten« (6,1), also die mit Stephanus verbundenen griechisch sprechenden Jesusgläubigen in Jerusalem, die ersten, die diesen Begriff auf sich selber anwandten.[21] Gemeint war natürlich noch nicht eine überörtliche kirchliche Organisation und schon gar nicht gab es Gebäude, die als »Kirchen« hätten bezeichnet werden können.[22]

Der Glaube an Jesu Auferweckung entstand vermutlich in Jerusalem.[23] Aber dann entwickelte sich der Gedanke, dieser Glaube sei nicht auf das Volk Israel allein bezogen; zum Glauben an die Auferweckung Jesu gehört die Taufe, man wird also nicht als »Christ« geboren, sondern man wird es durch die Taufe »auf den Namen Jesu Christi«.[24] Nach einigem Zögern gingen Jesusgläubige auch zu den »Völkern«, den »Heiden«. Die Darstellung der Begegnung des Petrus mit dem römischen Hauptmann Cornelius (Apg 10), die zur Taufe der Gruppe um Cornelius führt, schildert den Beginn der »Heidenmission« als Folge der den beiden Männern widerfahrenen wunderbaren Vision und Audition. Das hat sicher legendarische Züge, aber klar ist, dass allmählich Gemeinden entstanden, denen Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft angehörten. Diese Gemeinden wurden nun auch von außen als eigenständige Größen |27|wahrgenommen; ein Indiz dafür ist die fast beiläufig formulierte Notiz in Apg 11,26, in der syrischen Großstadt Antiochia seien die Jesusgläubigen, Juden wie Nichtjuden, erstmals als Χριστιανοί, als »Christianer«, bezeichnet worden. Das ging vermutlich auf die römischen Behörden zurück und geschah, folgt man dem chronologischen Aufriss der Apostelgeschichte, vermutlich in den 40er Jahren.[25] Dabei verdankt sich die Bezeichnung Χριστιανοί offensichtlich der Tatsache, dass die jüdischen Jesusgläubigen von Jesus als vom »Messias« sprachen, griechisch: χριστός, und dass die griechisch sprechenden »heidnischen« Gläubigen diese Bezeichnung Jesu übernommen hatten.[26] Die Wortverbindung »Jesus Christus« ist eigentlich eine Kurzformel für den Satz: »Jesus ist der Christus«; aber da das Wort χριστός im nichtjüdischen Bereich nicht mehr als Titel des im Volk Israel erhofften endzeitlichen Retters (»der Messias«, »der Gesalbte«) verstanden wurde, ergab sich daraus eher so etwas wie ein Beiname Jesu.[27]

Die so entstandenen Gemeinden, denen auf Grund der Taufe Juden und Nichtjuden angehörten, waren vom Judentum unterschieden[28] – vielleicht weniger wegen ihres Bekenntnisses als vor allem wegen ihrer daraus resultierenden Praxis. Wenn die Glaubenden von der Auferweckung Jesu durch Gott sprachen, dann war der Gott Israels gemeint; die jüdischen heiligen Schriften wurden gelesen, aber sie wurden nun auf das mit Jesus verbundene Geschehen bezogen, man las diese Schriften aus »christlicher« Perspektive. Zumindest die Nichtjuden unter den Jesusgläubigen vollzogen aber nicht die Beschneidung, sie feierten offenbar auch nicht den Sabbat,[29] und |28|sehr wahrscheinlich hielten sie sich auch nicht in vollem Umfang an die biblischen Speisegebote,[30] wodurch sie sich von den toratreuen Juden unterschieden. Diese Praxis konnte innerhalb »gemischter« Gemeinden zu Konflikten führen, wie die von Paulus in Gal 2,11–14 geschilderte Szene zeigt:[31] In der Gemeinde in Antiochia hatte Petrus mit nichtjüdischen Gemeindegliedern gemeinsame Mahlzeiten eingenommen, diese Gemeinschaft dann aber unter äußerem Druck[32] aufgekündigt, worin Paulus einen fundamentalen Widerspruch zur »Wahrheit des Evangeliums« sah (Gal 2,14). Es gab eine heftige Kontroverse zwischen Paulus und Petrus, und es kam möglicherweise zur Spaltung der Gemeinde; über den Ausgang des Konflikts erfahren wir allerdings nichts.

Die Jesusgläubigen, die »Christen«, bringen ihre Identität zum Ausdruck durch ihr Bekenntnis, dass der gekreuzigte Jesus von Gott auferweckt und von Menschen gesehen worden war.[33] Dabei wird Jesu Auferweckung nicht als ein Mirakel verstanden, vergleichbar etwa den Auferweckungen verstorbener Menschen, von denen alt- und neutestamentliche, aber auch heidnische Wundererzählungen sprechen. Der gekreuzigte, gestorbene und begrabene Jesus ist nicht einfach »wieder lebendig« geworden, sondern Gott hat ihn auferweckt und »erhöht«,[34] wie in Anlehnung an Ps 110,1 gesagt wird. Der Psalmist spricht vom Sitzen des Königs »zur Rechten Gottes« (V. 1), aber diese Aussage wird nun auf die Erhöhung Jesu hin gedeutet. Der durch Gottes Handeln erhöhte Jesus wird von den Glaubenden als »der Messias/Christus«, oder als »der Herr« oder als »der Sohn Gottes« bezeichnet.

|29|Diese und weitere auf Jesus bezogene Hoheitstitel sind allerdings nicht neu, sondern sie haben eine Vorgeschichte. Dabei kann der häufig gebrauchte Titel ὁ Χριστός, »der Gesalbte«, eigentlich nur im jüdischen Kontext verstanden werden – gemeint ist der kommende Messias aus der Nachkommenschaft des Königs David, der das Volk Israel befreien wird.[35] Der Titel »Herr«, κύριος, ist dagegen in der jüdischen und in der nicht-jüdischen Antike sehr weit verbreitet, sowohl im religiösen wie auch im politischen Raum.[36] Die Bezeichnung »Sohn Gottes« findet sich in einigen alttestamentlichen Texten als bildlich zu verstehende Bezeichnung des Königs;[37] aber auch der römische Kaiser heißt »Sohn Gottes«, seitdem Octavian als Adoptivsohn des nach seinem Tod vergöttlichten Caesar als divi filius Augustus bezeichnet wurde. Die Christen bezogen solche Hoheitstitel auf Jesus, und dabei stand für sie fest, dass diese Titel und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen allein Jesus zukommen.

Das Bekenntnis »Jesus ist der Sohn Gottes« gilt unabhängig von der Antwort auf die Frage, ob sich Jesus selber als Sohn Gottes verstanden und so bezeichnet hat. Der Satz »Jesus war der Sohn Gottes« hätte ja, selbst wenn er historisch einer Selbstaussage Jesu entsprechen sollte, die Vergangenheit im Blick; dagegen bezieht sich der Satz »Jesus ist der Sohn Gottes« nicht auf die Vergangenheit, und er soll auch nicht etwas historisch Beweisbares aussagen. Vielmehr bringen die Glaubenden auf diese Weise zum Ausdruck, dass sie im Leben und in Tod und Auferweckung Jesu das Handeln Gottes erkennen und dass der gekreuzigte und von Gott auferweckte Jesus derjenige ist, auf dessen Botschaft von Gott sie vertrauen.

In den urchristlichen Schriften, die später das Neue Testament bilden, wird das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes auf ganz unterschiedliche Weise gedacht und ausgesprochen. In den Evangelien des Matthäus und des Lukas ist der Gedanke der Gottessohnschaft Jesu mit der Vorstellung verbunden, Gott sei in einem quasi |30|»biologischen« Sinn der Vater Jesu und seine Mutter sei bei der Geburt ihres ersten Kindes Jungfrau gewesen; dabei liegt aber diesen Texten, anders als in der griechischen Mythologie, der Gedanke einer »Zeugung« Jesu durch Gott, der in der Rolle eines Mannes gesehen wäre, ganz fern.[38] Für das Johannesevangelium besteht Jesu Beziehung als »der Sohn« zu Gott als dem »Vater« schon vor aller Zeit; Johannes spricht von Jesu Präexistenz und von Jesu Kommen in die Welt, ohne Jesu Geburt auch nur zu erwähnen; in Joh 6,42 sagen die Ἰουδαĩοι sogar, dass sie Jesu Vater und Mutter kennen, ohne dass diese Aussage vom Evangelisten korrigiert wird.[39] Das Markusevangelium, das älteste der Evangelien, erzählt, wie Jesus bei seiner durch Johannes den Täufer vollzogenen Taufe von Gott die Anrede hörte: »Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe« (1,11). Auch Markus erwähnt Jesu Geburt nicht, aber er spricht ohne Vorbehalt von den Geschwistern Jesu (3,31–35; 6,3). Der Glaube an Jesu Gottessohnschaft ist offensichtlich nicht von der Vorstellung einer übernatürlichen Zeugung und Geburt abhängig.

Paulus schreibt in Röm 1,3f., Jesus stamme »nach dem Fleisch aus Davids Samen« und sei »eingesetzt als Sohn Gottes in Macht gemäß dem Heiligen Geist aufgrund der Auferstehung von den Toten«. Die Bezeichnung »Sohn Davids« ist eine Messiasbezeichnung, die hier besagt, dass sich die jüdische Hoffnung auf den kommenden Messias in Jesus erfüllt hat. Die Aussage »eingesetzt zum Sohn Gottes aufgrund der Auferstehung von den Toten« besagt, dass Jesus in seiner Auferstehung eine neue Würde erhalten hat. Das ist insofern ein erstaunlicher Satz, als Jesus für Paulus eigentlich nicht zum Sohn Gottes »wurde«, sondern immer schon »der Sohn Gottes« war, vor aller Zeit und über alle Zeiten hinweg. Paulus spricht in Röm 1,3a von Jesus als von »seinem«, also Gottes »Sohn«, und in V. 4b nennt er »Jesus Christus« ausdrücklich »unseren Herrn«. Möglicherweise spielt Paulus mit den für ihn ungewöhnlichen Aussagen in Röm 1,3b.4a auf ihm eigentlich fremde Vorstellungen an; vielleicht vermutet er, dass die Adressaten in Rom diese Aussagen kennen, denen er durch die von |31|ihm formulierte Rahmung die in seinen Augen »richtige« Deutung gibt, ohne ihnen ausdrücklich zu widersprechen.[40]

 

Ob Jesus selber vom Glauben an seine Person gesprochen und ein Bekenntnis zu ihm erwartet hat, lässt sich angesichts der Quellenlage nicht sicher sagen. Im Matthäus- und im Lukasevangelium wird eine Selbstaussage Jesu überliefert, die vermutlich aus der von beiden Evangelisten benutzten Logienquelle Q stammt und die in der Fassung von Lk 12,8f. so lautet: »Jeder, der sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer aber mich verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.« Die Bezeichnung »Menschensohn« meint in Anknüpfung an Dan 7,14 mit der darauf folgenden apokalyptischen jüdischen Tradition eine Gestalt, die am Ende aller Zeiten vom Himmel kommen und Gericht halten wird;[41] jenes Logion sagt also, das im Endgericht ergehende Urteil werde abhängig sein vom Bekenntnis bzw. Nicht-Bekenntnis zu Jesus. Ähnliches wird in Mk 8,38 gesagt. Ob Jesus in dieser Weise von einem Bekenntnis zu seiner Person gesprochen hat, ist umstritten;[42] jedenfalls sind die Menschen, die an Jesus glauben, davon überzeugt, dass ihr Glaube und ihr Bekenntnis zu Jesus im kommenden Endgericht die entscheidende Rolle spielen wird, und das bringen sie durch die Jesus zugelegte Eigenaussage zum Ausdruck.

4. Bekenntnisaussagen in den Briefen des Apostels Paulus

Der Apostel Paulus überliefert in seinen Briefen, den ältesten uns erhaltenen Schriften des Urchristentums, unterschiedliche Bekenntnissätze, von denen einige hier kurz dargestellt werden sollen.

|32|1. In den Kapiteln 9–11 des Römerbriefs schreibt Paulus eingehend über die Beziehung des Volkes Israel zum Glauben an Jesus Christus. Paulus war Jude, oder, wie er selber von sich sagt, »Israelit« (11,1), und sein Problem ist die Frage, warum das Volk Israel in seiner Mehrheit die Christusbotschaft nicht annimmt. Er schreibt in diesem Zusammenhang in 10,3, dass »sie«, die nicht an Jesus glaubenden Israeliten, Gottes Gerechtigkeit nicht erkannt und stattdessen die eigene Gerechtigkeit aufzurichten versucht und sich also der Gerechtigkeit Gottes nicht untergeordnet haben. Das erläutert Paulus in V. 4 mit dem Satz: »Christus nämlich ist das Ende des Gesetzes (τέλος νόμου[43]) zur Gerechtigkeit für jeden Glaubenden (εἰς δικαιοσύνην παντὶ τῷ πιστεύοντι)« (V. 4), und dies wiederum erläutert er (V. 5–8), indem er zwischen der »Gerechtigkeit aus dem Gesetz« und der »Gerechtigkeit aus dem Glauben« unterscheidet. Mose habe von der Gerechtigkeit aus dem Gesetz geschrieben, dass wer sie, also die Gebote, tut, »in ihnen leben« werde (V. 5: Μωϋσῆς γὰρ γράφει τὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ τοῦ νόμου ὅτι ὁ ποιήσας ἄνθρωπος αὐτὰ ζήσεται ἐν αὐτοῖς[44]); aber »die Gerechtigkeit aus Glauben« (V. 6: ἡ δὲ ἐκ πίστεως δικαιοσύνη) »sagt« (οὕτως λέγει), man brauche nicht in den Himmel und nicht in die Unterwelt zu steigen (V. 7),[45] sondern es gelte: »Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen« (V. 8a).[46] Für den biblischen Text ist dieses gesprochene »Wort« (ῥῆμα) ebenfalls die Tora; Paulus aber bezieht die Aussage auf »das Wort vom Glauben, das wir verkündigen« (τοῦτ’ ἔστιν τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ κηρύσσομεν, V. 8b).[47]

Das erläutert Paulus nun in V. 9 in zwei Sätzen, die vom Bekennen bzw. vom Glauben sprechen: »Wenn du mit deinem Munde bekennst: Jesus ist der Herr, und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet (σωθήσῃ).« Im ersten dieser Sätze geht es um das »Bekennen« (ἐὰν ὁμολογήσῃς κτλ.), ausgesagt in dem Satz: »Herr ist Jesus« (κύριος Ἰησοῦς). Dieser Satz wird mit dem Munde (ἐν τῷ στόματί σου) bekannt, das Bekenntnis wird also offen |33|ausgesprochen und so von anderen gehört. Der zweite Satz bringt die Aussage des Glaubens zum Ausdruck (καὶ πιστεύσῃς κτλ.): »Gott hat ihn – also Jesus – auferweckt von den Toten« (ὁ θεὸς αὐτὸν ἤγειρεν ἐκ νεκρῶν). Dass man »in seinem Herzen« an Jesu Auferweckung glaubt (πιστεύσῃς ἐν τῇ καρδίᾳ σου), setzt die Vorstellung vom Herzen als dem Sitz des Verstandes und des Verstehens voraus.[48] Zwei Aspekte sind in der Glaubensaussage enthalten, ohne dass sie ausgesprochen werden: Der Gott, der Jesus auferweckt hat, ist der Gott Israels, der eine, einzige Gott. Und der von den Toten auferweckte Jesus war wirklich tot.[49] Glauben, so fügt Paulus dann in V. 10 hinzu, führt zur Gerechtigkeit, also zur Annahme durch Gott (καρδίᾳ γὰρ πιστεύεται εἰς δικαιοσύνην), Bekennen führt zur (endzeitlichen) Rettung (στόματι δὲ ὁμολογεῖται εἰς σωτηρίαν); dafür wird in V. 11 ein Bibelzitat aus Jes 28,16 angeführt (πᾶς ὁ πιστεύων ἐπ’ αὐτῷ οὐ καταισχυνθήσεται – »jeder, der auf ihn vertraut, wird nicht beschämt werden«).

Das Bekenntnis »Herr ist Jesus« und der Glaubenssatz »Gott hat ihn von den Toten auferweckt« sind in dieser Form vermutlich nicht nach außen gerichtete Aussagen; die uns erhaltenen Briefe des Paulus richten sich durchweg an Menschen, die bereits für den Glauben an Jesus Christus gewonnen worden sind, und so haben solche Sätze wie in Röm 10,9 eher die Funktion, den bereits vorhandenen Glauben knapp zusammenfassend zur Sprache zu bringen. In seiner missionarischen Predigt etwa auf der Agora in Korinth oder auf dem Markt in Ephesus wird Paulus nicht solche kurzen Formeln vorgetragen haben; andererseits wissen wir nicht, in welcher Weise er bei seiner Missionsbotschaft gepredigt hat.[50]

Die Menschen, die an die Auferweckung Jesu glauben und ihn als den »Messias/Christus« oder den »Sohn Gottes« bzw. als den »Herrn« bekennen, sehen sich in ein neues Welt- und Selbstverständnis geführt; sie gehen Wege, die den bisher von ihnen für richtig |34|gehaltenen religiösen Traditionen zumindest teilweise widersprechen. Sie glauben, dass Gott dem Menschen seine Sünde, also seine Gottferne, ja geradezu seine Gottlosigkeit, nicht anrechnet, sondern sich dem Menschen gnadenvoll zuwendet.[51] Und sie sind davon überzeugt, dass diese Botschaft jedem Menschen gilt – unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk oder zu einer sozialen Gruppe und auch unabhängig vom Geschlecht: »Hier ist nicht Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, nicht männlich und weiblich, sondern ihr seid alle Einer in Christus Jesus«, schreibt Paulus in Gal 3,28.

Möglicherweise hätte Jesus eine solche Aussage nicht unterschrieben. Aber manche Überlieferungen in den Evangelien könnten doch dafür sprechen, dass die hier bei Paulus sichtbar werdende Tendenz dem Denken und Handeln Jesu nicht allzu fern steht. Das gilt etwa für die Erzählung von der Heilung der Tochter einer syro-phönizischen, also heidnischen Frau (Mk 7,24–30)[52] oder auch für Jesu kritische Aussagen über die religiöse Bedeutung von Rein und Unrein (Mk 7,1–16); aber es lässt sich nicht sicher sagen, welche dieser Überlieferungen historisch auf Jesus selber zurückgehen.

In Röm 10 fügt Paulus dem Schriftzitat in V. 11 (s. oben) die Aussage hinzu (V. 12), es bestehe kein Unterschied zwischen »dem Juden« und »dem Griechen«;[53] denn, so erläutert er, »es ist derselbe Herr über alle, der reich macht alle, die ihn anrufen«, womit die Differenz zwischen Juden und Nichtjuden als aufgehoben gilt. Paulus unterstreicht das (V. 13) mit dem Zitat von Joel 3,5: »Jeder, der den Namen des Herrn (τὸ ὄνομα κυρίου) anruft, wird gerettet werden.«[54] Der Prophet spricht von dem nahe bevorstehenden Ende des Kosmos und dem damit verbundenen Gerichtstag (3,4: »Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt«), und dann folgt die Verheißung: »Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden«, was sich natürlich auf die Anrufung des Gottes Israels bezieht. In |35|Röm 10,13 ist dagegen Jesus dieser »Herr« – wer ihn anruft und sich so zu ihm bekennt, wird im Gericht bewahrt werden, schreibt Paulus, und das gilt für jeden Menschen, unabhängig von seiner jüdischen oder nicht-jüdischen Herkunft. Aus dem mit Christus verbundenen Geschehen folgt für Paulus die allen Menschen zugesagte Universalisierung der Gottesbeziehung. Daraus leitet er seinen Auftrag ab, die Botschaft von Jesus Christus in der ganzen Welt bekannt zu machen, und daher nennt er sich in Röm 11,13 ausdrücklich »Apostel der Völker« (εἰμι ἐγὼ ἐθνῶν ἀπόστολος). Zugleich aber hofft er (V. 14), auf diese Weise Menschen aus seinem eigenen Volk »eifersüchtig« zu machen (εἴ πως παραζηλώσω μου τὴν σάρκα) und so »einige von ihnen zu retten« (καὶ σώσω τινὰς ἐξ αὐτῶν). Welches Geschick diejenigen erwartet, die sich nicht »retten« lassen (wollen), sagt Paulus nicht.

Das Bekenntnis »Herr ist Jesus« meint, dass Jesus »der Herr« ist, niemand sonst. Dieses Bekenntnis steht also im Widerspruch zu allen anderen Bekenntnissen, die sich auf einen »Herrn« oder auf eine »Herrin« beziehen. In 1 Kor 8,5 schreibt Paulus, zwar gebe es in der Welt »viele Götter und viele Herren«,[55] »aber«, so fährt er in Anspielung auf das »Schema Jisrael« fort, »für uns ist nur ein Gott (ἡμῖν εἷς θεός), der Vater, von dem her alles ist und wir auf ihn hin, und ein Herr Jesus Christus (εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστός), durch den alles ist und wir durch ihn«.[56]

2. Zu Beginn des ausführlich von der Auferstehung der Toten sprechenden Kapitels 1 Kor 15 erinnert Paulus die korinthischen Christen an das ihnen von ihm verkündigte εὐαγγέλιον, die »gute Botschaft«; er hatte sie selber empfangen und weitergegeben, und er zitiert sie nun offensichtlich im Wortlaut (1 Kor 15,3b–5):

|36|»Christus ist gestorben für unsere Sünden gemäß der Schrift,

und er ist begraben worden,

und er ist auferweckt am dritten Tage gemäß der Schrift,

und er ist erschienen dem Kephas, danach den Zwölf.«

Dieses formelhafte Bekenntnis spricht vom Tod und von der Auferweckung Jesu, und es verbindet diese Aussagen jeweils mit einer Deutung: Christus[57] ist gestorben »für unsere Sünden«, d.h. Jesu Tod kommt den Menschen zugute, weil ihre Verfehlungen gegenüber Gott durch diesen Tod vergeben werden;[58] dies gilt »gemäß der Schrift«, also entsprechend der biblischen Überlieferung, ohne dass dazu ein bestimmter Text zitiert wird oder auch nur anklingt.[59] Der dann folgende Hinweis auf das Begräbnis unterstreicht, dass Jesus wirklich tot war.[60] Zu der Aussage »er ist auferweckt«[61] gehört die Zeitangabe »am dritten Tag«, die in den Evangelien häufig begegnet, bei Paulus aber nur hier belegt ist; wieder folgt ein Verweis auf »die Schrift«, wobei auch hier offenbar kein bestimmter Text im Blick ist.[62] Die abschließende Aussage, der Auferstandene sei »dem Kephas erschienen, danach den Zwölf« entspricht dem vorangegangenen Verweis auf das Begrabensein des Gestorbenen, und sie unterstreicht so die Gewissheit des Auferstehungsglaubens. Mit den Erscheinungen des Auferstandenen beginnt der Glaube an Jesu Auferweckung und zugleich die Geschichte der Kirche. Wie der zweimalige Hinweis, dies sei geschehen »gemäß der Schrift«, zeigt, kommt es der hier zitierten |37|Formel offenbar auf die Einsicht an, dass das Christusereignis und die biblische (alttestamentliche) Überlieferung aufeinander bezogen sind.

Zu der Formel in 1 Kor 15,3b–5 gibt es eine narrative Parallele in der »Emmauserzählung« Lk 24,13–34: Zwei zuvor in dem Evangelium nicht genannte Jünger begegnen auf dem Weg nach Emmaus dem auferstandenen Jesus; sie erkennen ihn nicht, sondern sie »informieren« ihn auf seine entsprechende Frage über Jesu Kreuzigung und über ihre Enttäuschung darüber. Daraufhin erfahren sie von dem ihnen Unbekannten, dass »der χριστός dies alles leiden und dann in seine Herrlichkeit eingehen musste« (V. 26), und das wird »aus der ganzen Schrift« belegt (V. 27).[63] Am Abend erkennen sie dann ihn beim Brotbrechen, woraufhin er verschwindet. Die Jünger kehren nach Jerusalem zurück (V. 33), und dort wird ihnen von den anderen Jüngern ganz unvermittelt gesagt: »Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen« (V. 34). Das passt nicht in den Erzählzusammenhang, der in V. 35 weitergeht; es entspricht auch nicht der vorangegangenen Ostergeschichte des Lukas, der zufolge zuerst Frauen und dann auch Petrus am leeren Grab gewesen waren, Jesus aber nicht gesehen hatten (Lk 24,1–12). Die als Formel gestaltete Aussage, der auferstandene Jesus sei zuerst dem Petrus erschienen, ist offenbar schon sehr früh entstanden, und sie wurde als solche von Lukas in seinen Erzähltext eingefügt. Im Matthäus- und im Johannesevangelium sind es Frauen, die am Grab als erste den Auferstandenen sehen. Vermutlich sind diese Erscheinungserzählungen später entstanden als die Petrus-Überlieferung; aber gerade dann wird deutlich, dass die Gemeinde im Zusammenhang der Osterüberlieferung ausdrücklich auch von Frauen sprechen wollte. Im literarisch ältesten »Ostertext« Mk 16,1–8 kommen die Frauen zum leeren Grab, wo sie aus dem Munde eines »weißgekleideten Jünglings« die Botschaft von der Auferweckung des gekreuzigten Jesus erhalten (Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον· ἠγέρθη – »ihr sucht Jesus, den gekreuzigten Nazarener: er ist auferweckt worden«, V. 6), verbunden mit der Ankündigung der Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa (V. 7). Da eine solche Erscheinung dann aber nicht erzählt wird, richtet sich |38|die Botschaft des »Jünglings« direkt an die Leserinnen und Leser des Markusevangeliums, denn es heißt abschließend ausdrücklich, dass die Frauen schweigen und niemandem etwas sagen (V. 8).[64]

 

3. Wie sah die christliche Mission unter den »Heiden« aus? Paulus schreibt in 1 Thess 1,8–10, nicht nur in Makedonien und in Achaja, sondern »überall« sei bekannt, auf welche Weise der Glaube nach Thessalonich gekommen war: »Ihr habt euch hingewandt zu Gott, weg von den Götzen, um zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten seinen Sohn vom Himmel her, den er auferweckt hat von den Toten und der uns rettet vor dem kommenden Gericht« (V. 9b.10). Hier wird deutlich, dass im nicht-jüdischen Umfeld der Christusglaube verbunden war mit der Abkehr von den bisher verehrten, nun aber als falsch erkannten Gottheiten und der Hinwendung zu dem einen, einzigen Gott, dem Gott Israels. Was eine solche Konversion in einer »heidnischen« Stadt konkret bedeutete, brauchte Paulus den Adressaten nicht zu schreiben, denn das wussten sie ja selber am besten. Vermutlich hatten sie aus ihren Wohnungen die Götterbilder und -altäre entfernt, und sie nahmen auch nicht mehr teil an den offiziellen städtischen Kultfeiern. Das dürfte zu erheblichen Problemen geführt haben. Die für das jüdische Volk charakteristische alleinige Verehrung des einen Gottes wurde im Römischen Reich toleriert; aber die »heidnischen« Frauen und Männer, die die Christus-Botschaft angenommen hatten, wurden nicht Juden; sie hatten sich von ihren bisherigen Göttern getrennt, sie gehörten aber nicht zum jüdischen Volk, und so wurden sie zu Fremden in der eigenen Heimat. Es kam, wie Paulus in 1 Thess 2,14 schreibt, zu Verfolgungen durch die eigenen Landsleute.

Für Christen ist mit dem Glauben an den einen Gott die Hoffnung auf das Kommen »seines Sohnes vom Himmel her« verbunden, der »uns retten wird vor dem kommenden Gericht« (1 Thess 1,10); darin ist die Botschaft von der Auferweckung und Erhöhung Jesu indirekt mitgesagt. Im Endgericht werden die Menschen vor Gott Rechenschaft ablegen über das eigene Leben; die Zusage des |39|rettenden Handelns Christi ist also die Einladung, in diesem Gericht auf Jesus zu vertrauen. Dieser Glaube und diese Hoffnung bestimmt die ganze Existenz des Menschen und bedeutet eine neue Ausrichtung des ganzen Lebens. Damit verbunden ist dann die Hoffnung, dass Gott, der Jesus auferweckt hat, auch die verstorbenen Menschen auferwecken wird; dadurch, so schreibt Paulus in 1 Thess 4,13–18, unterscheiden sich die Glaubenden von den anderen Menschen, »die keine Hoffnung haben«.

4. Einige Jahrzehnte später fordert der unter dem Namen des »Paulus« schreibende Verfasser des 1. Timotheusbriefs den »Timotheus« und damit zugleich alle seine Leser auf, der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld und der Sanftmut nachzujagen (6,11).[65] Es heißt dann weiter (V. 12): »Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist, und der du bekannt hast das gute Bekenntnis (ὡμολόγησας τὴν καλήν ὁμολογίαν) vor vielen Zeugen.« Christus Jesus selber hat ja, so schreibt der Autor, das gute Bekenntnis bezeugt vor Pontius Pilatus (V. 13), und »so sollst auch du das Gebot unbefleckt, untadelig halten bis zum Erscheinen (μέχρι τῆς ἐπιφανείας) unseres Herrn Jesus Christus«. Jetzt gehören Bekenntnis und Gebot unmittelbar zusammen; das geht nicht zuletzt auf die gegenüber der Zeit des Paulus veränderte historische Situation zurück: Die Zahl der Gemeindeglieder ist gewachsen, die Erwartung des nahen Gerichts tritt zurück, die Kirche braucht und erhält festere Strukturen, nicht zuletzt »Ämter«. Die Glaubenden richten sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein, und das bringt die Gefahr einer möglicherweise zu großen Anpassung mit sich; darum ruft der Verfasser seine Leser dazu auf, die Ordnung der Gemeinden und auch die Ordnung des persönlichen Lebens dauerhaft zu wahren und zu achten.[66]