Das Mainzer Schloss

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Abb. 18: Potsdam, Stadtschloss, Ansicht um 1700, Kupferstich (Amsterdam, Rijksmuseum)

Abb. 19: Die Wiener Hofburg in einer Ansicht des 18. Jahrhunderts, Gesamtanlage mit der alten staufischen Kastellburg (sog. Schweizerhof) und dem Leopoldinischen Trakt, Ausschnitt aus einer Ansicht Wiens von Joseph Daniel Huber, 1769–1772 (Albertina, Wien)

Abb. 20: Salzdahlum, Residenzschloss, Ansicht um 1700, Kupferstich (Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett)

DAS ANFÜGEN VON LANGGESTRECKTEN FLÜGEL - BAUTEN ALS MUSTER FÜR SCHLOSSERWEITERUNGEN IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT

Nachdem die architekturgeschichtliche Bedeutung oder, um in der höfischen Terminologie der Frühen Neuzeit zu sprechen: der architekturgeschichtliche „Rang“ des Mainzer Kurfürstenschlosses geklärt werden konnte, gilt die abschließende Frage der konkreten baulichen Gestalt, die der Neubaumaßnahme in Mainz zugrunde lag. Denn anders als beim Aschaffenburger Schloss Johannisburg, das nur wenige Jahre vorher, ab 1604, die vorhandene ältere Burganlage nahezu vollständig dem Erdboden gleichmachte und nur noch den mittelalterlichen Burgturm im Neubau bewahrte, wurde in Mainz die nach der Mainzer Stiftsfehde von 1461/1462 ab 1477/1478 errichtete und ab 1556 nach Kriegszerstörungen umfassend erneuerte Martinsburg weitgehend unangetastet belassen und stattdessen von Süden her ein neuer Flügel an die spätmittelalterliche Burg angebaut (Taf. 1). Dass dieser Verzicht auf einen weitgehenden Abriss der Martinsburg sich nicht einfach mit ökonomischen Gründen erklären lässt, sondern vermutlich dem politischen Symbolcharakter der alten Bischofsburg geschuldet war, belegt ein Blick auf die bereits gezeigte Wiener Hofburg (vgl. Abb. 11).31 Schon im 17. und 18. Jahrhundert wollten eine Reihe namhafter Architekten, darunter so klangvolle Namen wie Fischer von Erlach und Lukas von Hildebrandt, die bestehende, im Kern noch stauferzeitliche Hofburg abbrechen, um an ihre Stelle ein Prachtschloss zu setzen, dessen imperiale Ausmaße selbst Schloss Versailles in den Schatten gestellt hätten. Doch nichts geschah. Jeder Kaiser, von Leopold I. über Kaiserin Maria Theresia bis hin zu Joseph II. ließ sich zwar immer wieder verlockend schöne Entwurfszeichnungen vorlegen, doch der vor ihnen in Gestalt der Pläne ausgebreiteten Verführung zu einem radikalen Bruch mit dem Altüberlieferten erlagen sie nie. Stattdessen ließen sie an die mittelalterliche Hofburg moderne langgestreckte und prachtvoll durchfensterte Flügelbauten anbauen, als Erstes um 1665 den sogenannten Leopoldinischen Trakt (Abb. 22), ganz so, wie es auch bei der Mainzer Martinsburg geschah!32

Wie lässt sich dieses Verhalten selbst kaiserlicher Bauherren, denen es ganz sicher nicht an finanziellen Ressourcen für komplette Neubauten gemangelt hat, erklären? Wie die Quellen zeigen, ist das im deutschen Reich, aber auch in den anderen europäischen Territorien der Frühen Neuzeit übliche Verfahren, traditionsreiche Schlossbauten nur in seltenen Fällen für Neubaumaßnahmen komplett abzureißen, vor allem dem familien- oder institutionengeschichtlich geprägten Verständnis von Schlossarchitektur geschuldet.33 So waren Schlossbauten – wie auch Ahnengalerien und fürstliche Sammlungen – Teil der adligen „Erinnerungskultur“34 und hatten Anteil am dynastischen oder institutionellen Gedechtnuß.35 In diesem System des dynastischen oder institutionellen Gedechtnuß wurde das Schloss wie ein architektonischer Körper – beispielsweise eines Erzstiftes – verstanden.36 Als ob die Mauern des alten Schlosses eine materielle Hülle, eine Art architektonischer corpus für den von alters her bestehenden Familien- oder Institutionenverband bilden sollten, wurden sie in der Regel bei Neubaumaßnahmen zwar verjüngt und aufgefrischt und auch mit Neubauten ergänzt, doch nie vollkommen zerstört. Man könnte auch von einer besonderen Form adeliger bzw. fürstlicher Denkmalpflege sprechen und hierin eine wichtige Grundlage der modernen staatlichen Denkmalpflege erkennen!

Mit diesen Prämissen der adelig-fürstlichen Erinnerungskultur lässt sich auch die Bewahrung der Mainzer Martinsburg erklären, wobei in Mainz noch der besondere Symbolcharakter als Erinnerung an die Mainzer Stiftsfehde von Bedeutung gewesen sein dürfte.37 Die überlieferten Quellen machen darüber hinaus sogar explizit deutlich, dass die alte Martinsburg das architektonische Sinnbild für die mit dem Erzbistum und Erzstift verbundene Landesherrschaft war, deren Rechte nach damaliger Rechtsauffassung materiell mit der Burg als Mittelpunkt des Territoriums verbunden waren.38 So betitelt ein gedrucktes Gratulationsschreiben, das anlässlich des Mainzer Stadteinzugs des neuen Erzbischofs Lothar Friedrich von Metternich-Burscheid am 13. März 1673 erschien, das steinnern Schloß/ zu Mayntz ahm Rhein=Strom als Schmuck deß Landes, in dessen Mauern in Gestalt des Erzbischofs das Liecht deß Ertzstifftes […] wohnt.39 Und nach der Aufhebung des Erzbistums durch Napoleon wies 1819 der Historiker Franz Joseph Bodmann – mit Blick auf die Inbesitznahme der Martinsburg durch einen neuen Fürstbischof als Höhepunkt der zeremoniell bedeutsamen Inthronisationsfeierlichkeiten – darauf hin, dass die feyerliche Überantwortung dieser […] Burg […] das Symbol der Besitzergreifung der gesammten erzstift. Landen, und der Stadt Mainz gewesen war.40

Ungeklärt bleibt allerdings, weshalb sowohl in Mainz als auch in Wien bei den an die alten Burganlagen angefügten Neubauten die Form der auffällig langgestreckten Flügelbauten gewählt wurde. In Mainz sind es zwei Flügel: der unter Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau 1628 begonnene Südostflügel und der unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim 1687 begonnene und erst sehr spät, 1752, unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein vollendete Nordwestflügel. Der Grund für die Errichtung langgestreckter Flügelbauten ist in neuen, gegenüber dem 15. und 16. Jahrhundert deutlich veränderten Raumansprüchen zu sehen, die nicht nur die Größe der Räume betraf, sondern vor allem auch deren Abfolge. Raumgröße und Raumabfolge wiederum waren nicht einfach nur dem Wunsch nach mehr Platz und Komfort geschuldet, sondern besaßen ihre Ursache in der repräsentativen und zeremoniellen Funktion eines Residenzschlosses als Regierungs- und Verwaltungsgebäude für den Fürsten und seine Regierung, bei nichtgeistlichen Fürstenherrschaften auch noch für die Familie des Fürsten. Und nicht zu vergessen ist die Funktion als Empfangsgebäude und Gästehaus für mehr oder minder hochrangige (Staats-)Gäste, die je nach Rang und Titel angemessen empfangen und unter Umständen auch für mehrere Nächte untergebracht werden mussten.41 Vor allem im 17. Jahrhundert hatte sich der Raumbedarf für diese vielfältigen Funktionen enorm gesteigert, was insbesondere den Bereich der Empfänge, Audienzen und der Unterbringung der Gäste betraf. Hier mussten die deutschen Fürsten sich seit dem 17. Jahrhundert zunehmend an den Maßstäben des französischen Königshofes und seines Zeremoniells sowie Protokolls orientieren, selbst wenn die jüngere Residenzenforschung nachweisen konnte, dass die deutschen Fürstenhöfe das französische Vorbild nur in eng begrenztem Umfang übernahmen.42 Im Vergleich zu den Ansprüchen des französischen Hofes wie sie in Paris oder später in Versailles zelebriert wurden, blieben die deutschen Höfe – selbst des Kaisers in Wien – immer noch bescheiden!

Abb. 21: Bamberg, Neue Residenz, Ansicht vom Domplatz

Abb. 22: Wien, Hofburg mit 1665 angebautem Leopoldinischem Trakt, Kupferstich, Ausschnitt aus Daniel Suttinger: Türkische Belagerung, 1683

Zu den von Frankreich her übernommenen Raumansprüchen gehörte die dort schon seit längerem übliche Einrichtung von mehrräumigen Appartements, die sowohl aus der Aneinanderreihung als auch der Verbindung mehrerer Räume bestanden. Zu den charakteristischen Bestandteilen dieser Appartements gehörten mindestens eine den Haupträumen vorgelagerte Anti-Chambre, ein Vorzimmer, in dem der Fürst beispielsweise seinen Gast – je nach Rang und Status – warten lassen oder ihm entgegenkommen konnte, sowie das Audienzzimmer und ein Kabinettraum. Letzterer war ein besonders exklusiver und zumeist kleinerer Raum, in den nur hochrangige oder besonders umworbene Gäste geführt und dort im Rahmen eines „privater“ gehaltenen Zeremoniells empfangen wurden.43

Über alle diese Räume sollte offensichtlich auch das Mainzer Kurfürstenschloss durch den Anbau zunächst des neuen Südostflügels von 1628 ff. verfügen und dabei nicht nur dem französischen Vorbild folgen, sondern in besonderer Weise auch dem Vorbild des kaiserlichen Hofes in Wien, der das französische Raumsystem bereits adaptiert und dabei zugleich modifiziert hatte. Wie ein Blick auf den aus der Zeit um 1700 überlieferten Grundriss (Taf. 24) des Mainzer Schlosses zeigt,44 befand sich im ersten Obergeschoss des Ostflügels neben dem Gardesaal (Salle des Gardes) und dem für die herrschaftlichen Essen vorgesehenen „Tafelzimmer“ auch das Appartement des Kurfürsten (Abb. 23)45, das, und darauf sei hier ausdrücklich hingewiesen, nicht einfach nur eine Privatangelegenheit war, sondern vor allem staatsrepräsentativen Zwecken diente. Dieses Appartement bestand aus insgesamt sieben Räumen, die sich in eine linke und rechte Raumfolge gliederten. Betreten wir das Appartement – wie es für die Gäste vorgesehen war – vom Tafelzimmer aus, dann betrat man zunächst das Vorzimmer, die Anti-Chambre, um von dort weiter in das Audienzzimmer zu gelangen, sofern der Kurfürst einen dort zu empfangen gedachte. Wer bis ins Audienzzimmer gelangt war, konnte – vorausgesetzt der Rang und die politische Bedeutung waren hoch genug – darauf hoffen, weiter in die Kabinetträume und das kurfürstliche Schlafzimmer vorgelassen zu werden, das nicht nur praktische, sondern auch zeremoniell-repräsentative Aufgaben zu erfüllen hatte. Linkerhand des Schlafzimmers befand sich der Raum für den Kammerdiener, was der französischen „Garderobe“ entsprach. Vom Schlafzimmer aus gelangte man in einen ersten exklusiven Kabinett-Raum, der den Gast zugleich – sofern er dort Zugang erhielt – auf den repräsentativen Höhepunkt dieser Raumfolge vorbereiten sollte: ein „Spiegel-Zimmer“. Entsprechend der damals in Frankreich aktuellen Mode waren die Wände dieses Raumes mit vielen kleinen Spiegeln verkleidet, auf denen, so darf vermutet werden, auf Konsolen wertvolle Stücke aus der Kunstkammer oder aber – in späteren Zeiten – auch ostasiatische Porzellane präsentiert wurden. Und noch eine weitere Auszeichnung erfuhr dieser Raum: Wie auch das benachbarte Oratorium besaß er einen Eckerker, aus dem sich einstmals sicherlich sehr schöne Aussichten auf den Rhein und den Burggraben boten, während man heute aus diesen Räumen auf die mehrspurige Rheinstraße blickt und der Rhein hierdurch und durch die anschließende Uferpromenade nur noch entrückt wahrgenommen werden kann. Ob das Mainzer Spiegelzimmer auch schon 1628 vorgesehen war oder erst eine Veränderung des späten 17. Jahrhunderts darstellt, lässt sich nicht mehr sicher rekonstruieren, da wir über keine Grundrisse des frühen 17. Jahrhunderts verfügen, sondern nur über diejenigen um 1700. Die von Lothar Franz von Schönborn gegründete Spiegelmanufaktur in Lohr kann jedenfalls nicht unbedingt als terminus post quem gelten, wäre es doch für den Fürstbischof möglich gewesen, Spiegelglas aus anderen Manufakturen (so etwa aus Paris) zu beziehen. Neben diesen vor allem zeremoniell genutzten Räumen gab es auch noch ein für Andachtszwecke vorgesehenes Oratorium, das entweder direkt vom Audienzzimmer aus oder über das Spiegelzimmer erreicht werden konnte.

 

Wie sehr es für die Mainzer Kurfürsten notwendig war, die Raumfolgen stets auf einem für die Staatsgeschäfte aktuellen Niveau zu halten, belegt im Übrigen die Planungsvariante eines Grundrisses für das erste Obergeschoss des erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts realisierten Nordflügels. Dieser Grundrissentwurf (Taf. 30) stammt aus einem größeren nicht verwirklichten Projekt von 1749, für dessen zeichnerischen Entwurf Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn verantwortlich zeichnete. Bei diesem Projekt war auch für die Martinsburg ein Neubau vorgesehen, der aber – vermutlich aus den oben genannten Gründen – nie umgesetzt wurde.46 Wer sich in diesen Grundriss vertieft, wird feststellen, dass hier um die Mitte des 18. Jahrhunderts komplette Parade-Appartements vorgesehen waren, die einen Vergleich mit den zeitgleichen Parade-Appartements der kaiserlichen Wiener Hofburg nicht zu scheuen brauchten. Das Parade-Appartement im Nordflügel (Abb. 24)47, dem ein als Kurfürstliches Tafel-Zimmer bezeichneter Raum vorgelagert werden sollte, war als Appartement des Kurfürsten vorgesehen und sollte offensichtlich das ältere Appartement im Ostflügel ersetzen. Im Unterschied zu diesem verfügt das neue, im Nordflügel vorgesehene Appartement nun gleich über zwei Anti-Chambres und zwei Kabinetträume (ein Sommer- und ein Winter-Kabinett) sowie – neben Audienz- und Schlafzimmer – auch über ein eigenes Wohn-Zimmer. Wie auch schon beim Ostflügel kennzeichneten die beiden Kabinett-Räume Eckerker mit entsprechend schönen Ausblicken, die in diesem Fall auf den Schlossgarten ausgerichtet werden sollten.

Abb. 23: Mainz, Martinsburg und neuer Schlossflügel, Grundriss des 1. Obergeschosses, um 1700, Ausschnitt mit dem Appartement des Kurfürsten

Abb. 24: Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, Ausschnitt (kurfürstliches Appartement) aus dem Grundrissplan des 1. Obergeschosses (vgl. Taf. 30) für die nicht realisierte Erweiterung des Mainzer Schlosses, um 1749

Abb. 25: Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn, Ausschnitt (Gäste-Appartement?) aus dem Grundrissplan des 1. Obergeschosses (vgl. Taf. 30) für die nicht realisierte Erweiterung des Mainzer Schlosses, um 1749

Doch nicht nur der gesteigerte Raumaufwand des kurfürstlichen Appartements im Nordflügel fällt bei der Analyse der Entwurfszeichnung von Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn ins Auge (vgl. Taf. 30), sondern auch die Raumfolge des gegenüberliegenden Flügels, der anstelle der mittelalterlichen Martinsburg neu entstehen sollte. Dieser vom Nordflügel durch den Garde-Saal getrennte Bereich des Schlosses (Abb. 25)48 besitzt im Prinzip die gleiche Raumfolge wie das kurfürstliche Appartement, nur sind hier alle Räume hintereinandergeschaltet. Da wir nicht annehmen können, dass der Mainzer Kurfürst gleich über zwei für zeremonielle Anlässe geeignete Appartements verfügte, stellt sich die Frage, wer für dieses zweite Parade-Appartement als Nutzer vorgesehen war. Das Vorhandensein von zwei Parade-Appartements erinnert an die Doppelstrukturen in anderen bedeutenden fürstbischöflichen Residenzen, wie das kurz zuvor nach Plänen von Balthasar Neumann und Lukas von Hildebrandt erbaute Residenzschloss der Würzburger Bischöfe. Dort existiert neben dem fürstbischöflichen Appartement noch ein solches für den Kaiser. Ich möchte daher auch für Mainz einen hochstehenden Gast, möglicherweise den Kaiser selbst, dessen Stellvertreter im Reich immerhin der Mainzer Kurfürst als Erzkanzler war, zur Diskussion stellen, selbst wenn sich in den Quellen dazu keine entsprechenden Hinweise finden lassen. Doch diese weitreichenden Neubaupläne des Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenesteyn wurden nie realisiert, und so fand unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein nur der Nordflügel zwischen 1750 und 1752 zu seiner Vollendung. Als neues Gästeappartement könnte daher das bisherige Appartement des Kurfürsten im Ostflügel genutzt worden sein.

Die alte Martinsburg hingegen blieb auch die folgenden Jahrzehnte als Sinnbild und architektonische Verkörperung des Mainzer Erzstifts bestehen und sollte zuletzt unter Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal im späten 18. Jahrhundert sogar nochmals aufwendig im Inneren umgebaut49 und auf diese Weise den Anforderungen der beiden letzten in Mainz amtierenden und residierenden Kurfürsten – nach Friedrich Karl Joseph von Erthal folgte noch Karl Theodor von Dalberg, bevor Napoleon das Erzstift auflöste – angepasst werden. Erst nach der Aufhebung des Mainzer Kurfürstentums im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und nach der Umwandlung des Mainzer Residenzschlosses in ein Zollfreilager unter Napoleon war das Schicksal der Martinsburg besiegelt und musste 1809 der Anlage eines Zollfreihafens am Rhein weichen.

ANMERKUNGEN

1 Helmut Kohl am 6. November 2000 im Gespräch mit dem Journalisten Heinrich Wefing, zit. nach: Wefing, Heinrich: Kulisse der Macht. Das Berliner Kanzleramt. Stuttgart / München 2001, S. 22.

2 Entsprechend den Notizen Heinrich Wefings aus der Pressekonferenz vom 14. Dezember 1994, zit. nach Wefing 2001 (wie Anm. 1), S. 22.

3 Alberti, Leon Battista: Zehn Bücher über die Baukunst. Ins Deutsche übertragen, eingeleitet und mit Anmerkungen und Zeichnungen versehen durch Max Theuer. Wien / Leipzig 1912, S. 13.

4 Ebd.

5 Il est nécessaire […] que la qualité de leur palais puisse servir à contenir les peuples dans l’obéissance qu’ils leur doivent, sans toutefois qu’il soit nécessaire de construire pour cela une forteresse, mais seulement d’observer que les entrées ne puissent estre facilement abordées et que toute la structure imprime le respect dans l’esprit des peuples et leur laisse quelque impression de leur force (Clément, Pierre (Hg.): Lettres, Instructions et mémoires de Colbert, 8 Bde. Paris 1861–1882, hier: Bd. 5, Nr. 19, S. 240).

6 Moser, Friedrich Carl von: Teutsches Hof-Recht in zwölf Büchern. 2 Bde. Frankfurt / Leipzig 1754/1755, hier: Bd. 1 (1754), S. 274.

7 S. hierzu den Bericht über die Belagerung von 1552 aus der Chronik des Prädikanten Markus Sebander über die Geschichte der Dreikönigskirche. In: Jung, Rudolf Ernst J. (Bearb.): Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen der Reformationszeit. Nebst einer Darstellung der Frankfurter Belagerung von 1552. (Quellen zur Frankfurter Geschichte, 2), Frankfurt am Main 1888, S. 402–417, hier: S. 414. S. zur Belagerung und Zerstörung von Mainz auch die Neuhaus’sche Chronik über die Belagerung von 1552. In: Ebd., S. 432–467.

8 Eine frühe, recht detaillierte Ansicht zeigt die Mainzer Stadtansicht von Franz Behem in dessen Meyntzischen Almanach von 1565. Zur Stadtansicht s. Dobras, Wolfgang (Red.): Gutenberg. aventur und kunst. Vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution. Ausst. Kat. Mainz 2000, S. 32–33.

9 Merian, Matthäus: Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis, Trevirensis et Coloniensis. O. O. 1646.

10 Zu der 1627/1628 entstandenen und die Schmalseite des Westflügels wiedergebenden Zeichnung s. die Diskussion bei Melville, Ralph / Heberer, Pia: Die Mainzer Martinsburg. Schritte zu ihrer historischen Rekonstruktion. In: Mainzer Zeitschrift, 105, 2010, S. 21–37, hier: S. 25–30. Eine erstmalige eingehendere Besprechung der Zeichnung erfolgte in Roland, Berthold (Hg.): Wenzel Hollar 1607–1677. Reisebilder vom Rhein. Städte und Burgen am Mittelrhein in Zeichnungen und Radierungen. Ausst. Kat. Mainz 1986, S. 114, Kat. Nr. 68. Zu Hollars Zeichnungen von Mainz s. im selben Ausstellungskatalog auch Melville, Ralph: Hollar in Mainz. In: Ebd., S. 29–38.

11 Der Baubeginn für das Kanzleigebäude und die St. Gangolphskirche erschließt sich durch einen Brief des Mainzer Hofbaumeisters Joris Robyn, den dieser am 15. Juni 1575 an Graf Wolfgang von Hohenlohe schrieb. Darin wird davon berichtet, dass beide Bauten begonnen, aber noch nicht über die Fundamente hinausgekommen wären (welche noch zur Zeit nicht auss dem fundament gefürt; zit. nach Freeden, Max H. von: Zum Leben und Werk des Baumeisters Georg Robin. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 11, 1943/1944, Heft 1/2, S. 28–43, hier: S. 41).

12 Das Baudatum ergibt sich auch aus dem Wappenstein im rheinseitigen Sockelmauerwerk, auf dem neben dem Wappen Kurfürst Georg Friedrichs von Greiffenclau die Jahreszahl 1628 erscheint; s. Taf. 13.

13 An dem unteren Ende der Stadt liegt des Churfürstens Schloß/ ist aber nichts sonderlichs. Es ist ein neu Gebäude nechst daran angefangen worden/ aber hernach unausgebauet liegen blieben/ weil man dn [sic] Boden nicht allzu gut befunden hat (zit. nach Moncony, Balthasar de: Des Herrn de Monconys ungemeine und sehr curieuse Beschreibung seiner in Asien und das gelobte Land / nach Portugall / Spanien / Italien / in Engelland / die Niederlande und Teutschland gethanen Reisen, übersetzt von Christian Juncker. Leipzig / Augsburg 1697, S. 747).

14 Er [d. i. der Kurfürst, Anm. des Verf.] will ein neues Schloß an dieser Stelle [d. i. die Zitadelle, Anm. des Verf.] errichten. Daher plant er auch, den unbenutzten Flügel des alten Schlosses hierher zu übertragen. Dessen Errichtung wurde durch den schwedischen Krieg unterbrochen. Es stehen nur die Wände, sehr schön aus jenem roten Stein ausgeführt, der für jene Gegend eigentümlich ist und sich gut meißeln läßt (zit. nach Arens, Fritz: Mainz im Jahre 1660. In: Mainzer Zeitschrift, 39/40, 1944/1945, S. 41–54, hier: S. 47).

 

15 Es fehlen hierzu sämtliche schriftlichen Quellen. Ursula Zahler hat vor vielen Jahren in ihrer Dissertation über das Mainzer Schloss den Aschaffenburger Bürger und Hofzimmermann Matthias Abel als Architekten bzw. Baumeister vorgeschlagen; vgl. Zahler, Ursula: Das Kurfürstliche Schloss zu Mainz. Studien zur Bau- und Stilgeschichte. (Saarbrücker Hochschulschriften, 8), St. Ingbert 1988 [zugl. Diss. Univ. Saarbrücken 1988], S. 86–89. Immerhin war Abel im fraglichen Zeitraum am Mainzer Kurfürstenhof tätig und wurde 1628 zunächst zum Hofwerkmeister und 1630 auch zum kurfürstlichen Baumeister ernannt. Zuvor war er mit Bauangelegenheiten beim Aschaffenburger Schloss des Mainzer Erzstifts und Erzbischofs beschäftigt. Inwiefern er aber auch für den Entwurf des neuen Schlossflügels verantwortlich zeichnete oder doch nur die Bauausführung zu beaufsichtigen hatte, muss beim derzeitigen Kenntnisstand reine Spekulation bleiben.

16 Vgl. den Beitrag von Lorenz Frank in vorliegendem Band sowie den in Anm. 17 genannten Aufsatz von Frank.

17 Lorenz Frank rekonstruiert für den Erweiterungsbau von 1628 neben den an der Südseite befindlichen beiden Eckerkern auch an der zum Schlosshof gelegenen Nordseite einen Eckerker, der damit – zum Schlosshof bzw. der Stadtseite hin – ein vollkommen symmetrisches Fassadenbild ergeben hätte (s. S. 21, Abb. 5). Vgl. (allerdings ohne weitere Diskussion dieser Rekonstruktion hinsichtlich möglicher Befunde) Frank, Lorenz: Das Kurfürstliche Schloss in Mainz. In: Burgen und Schlösser in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. (Forschungen zu Burgen und Schlössern, 8), München / Berlin 2004, S. 135–146, hier: S. 138, Abb. 4.

18 Zum bauarchäologisch gesicherten Bauzustand von 1687 ff. s. Frank, Lorenz: Ergebnisse der bauhistorischen Untersuchungen am ehemaligen Kurfürstlichen Schloß in Mainz. In: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz. Jahresberichte, 47–51, 1992– 1996, S. 66–86, hier: S. 81 sowie Frank 2004, S. 140–144.

19 Jahn, Gunther: Der kurmainzische Hofkavalierarchitekt Anselm Franz Reichsfreiherr von Ritter zu Groenesteyn 1692– 1765. (Genealogie und Landesgeschichte, 29), Frankfurt am Main 1977, S. 236–237, Nr. 49; Pelgen, Franz Stephan: Johann Friedrich Karl von Ostein und die Baufortschritte am Kurfürstlichen Schloss in Mainz. In: Mainzer Zeitschrift, 104, 2009, S. 49–54, hier: S. 51–53. Als Termin für das Richtfest ist der 17. April 1752 überliefert (Jahn 1977 (wie Anm. 19), S. 236–237, Nr. 49).

20 Die zuletzt von Pelgen 2009 anhand einer archivalisch belegten Aussage des damaligen Bauverwalters geäußerte Annahme, dass im Zuge der Vollendung des Nordwestflügels die alte Martinsburg abgerissen werden sollte und sich die für den 26. Juli 1752 überlieferte Grundsteinlegung daher auf den zum Rhein hin verlängerten Nordwestflügel nach dem Plan Anselm Franz Ritter zu Gronesteyn bezogen habe, entbehrt sehr wahrscheinlich der Grundlage. Denn wie Christian Katschmanowski in seiner kürzlich erschienenen Dissertation mit guten Argumenten darlegen konnte, bezieht sich die Aussage des Bauverwalters, dass der alte giepfell abgebrochen werden sollte (s. Jahn 1977 (wie Anm. 19), S. 237) nicht auf die Martinsburg, sondern auf die Küchenbauten (Kuchel Stuben und Speisgewölb). Diese befanden sich am nördlichen Ende des Südflügels (vgl. den in Taf. 24 wiedergegebenen Grundrissplan von ca. 1680) und standen dort sowohl der Vollendung der östlichen, zum Rhein bzw. zur Martinsburg hin gelegenen risalitartig vorspringenden Schmalseite des ab 1749/1750 weitergebauten Nordwestflügels als auch der Vollendung der rheinseitigen Fassade des 1675–1678 nach Norden verlängerten Südflügels im Wege. Vor diesem Hintergrund stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine Realisierung des Gronesteyn’schen Plans überhaupt je ernsthaft von dem damaligen Kurfürsten Johann Friedrich Carl von Ostein vorgesehen war oder ob dieser Plan – wie so viele andere Architektenpläne für barocke Schlossbauten – nicht eher als Planspiel und weniger als Ausführungsplanung zu bewerten ist. S. hierzu Katschmanowski,Christian: Die Stadt als Raum des Fürsten? Zur Baupolitik der Mainzer Kurfürsten in ihrer Residenzstadt ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. (Residenzforschung. N. F.: Stadt und Hof, 7), Ostfildern 2020, S. 111–112.

Die Annahme, dass die Martinsburg im Zuge der Neubauplanungen von 1749 ff. und 1760 ff. nicht nur durch die entwerfenden Architekten, sondern auch von Seiten der Kurfürsten „zum Abbruch bestimmt“ war, findet sich zuletzt auch in der grundsätzlich zutreffenden, den aktuellen Forschungsstand resümierenden Darstellung von Karn, Georg Peter: Martinsburg und Kurfürstliches Schloss. Die Mainzer Residenz zwischen Konzept und Kontinuität. In: 800 Jahre Veste Oberhaus. Mächtig prächtig! Fürstbischöfliche Repräsentation zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Ausst. Kat. Passau. Regensburg 2019, S. 351–359, hier: S. 356. Demgegenüber sollte in der Forschung stärker der Konflikt beachtet werden, der sich bei solchen höfischen Neubauplanungen geradezu zwangsläufig zwischen den Idealen einer theoriegeleiteten Architekturgestaltung sowie der Realität pragmatischer, von symbolischen, politisch-juristischen und historiografischen Aspekten bestimmten fürstlichen Baupolitik ergab (s. hierzu u. a. Müller, Matthias: Warum die Könige von ihren Architekten beim Schloßbau so viel Rücksicht auf die Geschichte forderten. In: Jussen, Bernhard (Hg.): Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. München 2005, S. 326–349).

21 Zum Hortus Palatinus s. zuletzt Hanschke, Julian: Ein unbekannter Lageplan des Heidelberger Schlosses und des Hortus Palatinus von 1689. Neue Erkenntnisse zum Ausbauzustand des Heidelberger Schlosses sowie des Hortus Palatinus im 17. Jahrhundert. In: Die Gartenkunst, 30, 2018, Heft 1, S. 29–38.

22 S. hierzu Völkel, Michael: Das Bild vom Schloß. Darstellung und Selbstdarstellung deutscher Höfe in Architekturstichserien 1600–1800. (Kunstwissenschaftliche Studien, 92), München / Berlin 2001, S. 37–41.

23 Ebd., S. 28–37.

24 S. hierzu auch die Ergebnisse eines langjährigen Forschungsprojekts an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Karner, Herbert (Hg.): Die Wiener Hofburg 1521–1705: Baugeschichte, Funktion und Etablierung als Kaiserresidenz. (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg, 2), Wien 2014.

25 Trouet, Dorothe: Die Modernisierung des Trierer Kurfürstlichen Palastes unter Johann Philipp von Walderdorff (1756– 1768) und seinem Architekten Johannes Seitz. In: Hahn, Stephanie / Sprenger, Michael H. (Hgg.): Herrschaft – Architektur – Raum. Festschrift für Ulrich Schütte zum 60. Geburtstag. Berlin 2008, S. 147–164.

26 Zum Neubau des Kurfürstlichen Residenzschlosses in Koblenz-Ehrenbreitstein s. zuletzt Fachbach, Jens: Schönheit ohne Ziererei und Pracht ohne Prunk. Das Koblenzer Schloss als Residenz des aufgeklärten geistlichen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1739–1812). In: Ausst. Kat. 800 Jahre Veste Oberhaus Passau 2019 (wie Anm. 20), S. 341–349.

27 Vgl. weiter oben mit Anm. 5 u. 6.

28 Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel, Inv. Nr. IH 102. S. hierzu Harms, Wolfgang (Hg.): Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Bd. 2: Historica. (Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfbüttel), München 1980, S. 352–353, Nr. II, 199; Brandt, Bettina: Germania und ihre Söhne. Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne. (Historische Semantik, 10), Göttingen 2010, S. 51.

29 S. hierzu Völkel 2001 (wie Anm. 22), S. 87–95.

30 Zu Lothar Franz von Schönborn und seiner Bedeutung als politischer Akteur und kunstinteressierter Mäzen s. die Beiträge in Hartmann, Peter Claus (Hg.): Die Mainzer Kurfürsten des Hauses Schönborn als Reichserzkanzler und Landesherren. (Mainzer Studien zur neueren Geschichte, 10), Frankfurt am Main u. a. 2002.

31 Müller, Matthias: Von der Burg im Schloss! Das Mainzer Schloss und die Revision eines entwicklungsgeschichtlichen Denkmodells. In: Felten, Franz Josef (Hg.): Befestigungen und Burgen am Rhein. (Mainzer Vorträge, 15), Stuttgart 2011, S. 91–121.

32 Zu den Hintergründen s. ausführlich und mit weiterer Literatur: Müller, Matthias: Der Anachronismus als Modernität. Die Wiener Hofburg als programmatisches Leitbild für den frühneuzeitlichen Residenzenbau im Alten Reich. In: Dmitrieva, Marina / Lamprecht, Karen (Hgg.): Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen im frühmodernen Staat. (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropas, 10), Stuttgart 2000, S. 313–329; ders.: Warum die Könige von ihren Architekten beim Schloßbau soviel Rücksicht auf die Geschichte forderten. In: Jussen, Bernhard (Hg.): Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit. München 2005, S. 326–349. S. auch grundlegend Lorenz, Hellmut: „… Im alten Style glücklich wiederhergestellt …“. Zur repräsentativen Rolle der Tradition in der Barockarchitektur Mitteleuropas. In: Wiener Hofburg. Neue Forschungen. (Sonderdruck. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 51, 1997, Heft 3/4), S. 475– 483; ders.: Die Wiener Hofburg im 18. Jahrhundert. Legitimation durch Tradition. In: Kampmann, Christoph / Krause, Katharina / Krems, Eva u. a. (Hgg.): Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700. Köln 2008, S. 96–106. Zum aktuellen Stand der Baugeschichte s. Karner 2014 (wie Anm. 24).