Das Mainzer Schloss

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In dieser Hinsicht versteht sich der vorliegende Band nicht als abschließendes Resümee, sondern auch als Anregung für die weitere Erforschung der Kurmainzer Residenz und ihrer Geschichte. Darüber hinaus wäre zu wünschen, dass die Ergebnisse des Kolloquiums auch in die aktuellen Planungen der Stadt Eingang finden werden – in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ein herausragendes Kulturdenkmal, das als Zeugnis für einen der bedeutendsten fürstlichen Regierungs- und Verwaltungssitze des Alten Reichs weit über Mainz hinaus historischen Wert besitzt.

Georg Peter Karn | Matthias Müller


VOM ZUFLUCHTSORT DES ERZBISCHOFS UND DES DOMKAPITELS ZUR KURFÜRSTLICHEN RESIDENZ

Das Mainzer Schloss und seine Baugeschichte

Lorenz Frank

Das Mainzer Schloss präsentiert sich heute als fast freistehende Zweiflügelanlage, die weitgehend isoliert in der Stadt steht und keine Beziehung zu ihrer Bebauung zu nehmen scheint. Dass seine annähernd 650-jährige Entstehungs- und Veränderungsgeschichte jedoch ganz eng mit der Entwicklung der Stadt Mainz erfolgte, möchte der folgende Text erläutern.1

DER BAUPLATZ

Nach dem Ende der Zweiten Mainzer Stiftsfehde im Oktober 1463, durch die die Mainzer Bürger fast alle Freiheitsrechte verloren hatten, sollte der sogenannte Grinsturm am nördlichen Ende des rheinseitigen Abschnitts der Mainzer Stadtmauer als Zufluchtsort für den Mainzer Erzbischof Adolf II. von Nassau (1461–1475) und das Domkapitel in den sich anschließenden Auseinandersetzungen mit den Mainzer Bürgern dienen.2 Sein unterlegener Konkurrent und späterer Nachfolger Diether von Isenburg (1459–1462 und 1475–1482) erwarb Grundstücke um den Turm herum, um dort nach dem Aufstand der Mainzer Bürger im August 1476 eine Burg3 zu errichten. Dies erfolgte in den Jahren 1478 bis 1480.

Vom rheinseitigen Abschnitt der Mainzer Stadtmauer aus römischer Zeit haben sich oberirdisch keine Reste erhalten. Von der romanischen Stadtmauer ist außer dem Erdgeschoss des Eisenturms nichts Erkennbares übriggeblieben. Erst die gotische Stadtmauer ist in Resten noch an mehreren Stellen im Stadtbild erkennbar. Insbesondere der vermutlich im Jahr 1355 (d) erbaute Holzturm4, der bis auf sein steiles Walmdach erhalten ist, lässt die Gestalt der gotischen Stadtmauer nachvollziehen. Der sechsstöckige Torturm wird über dem Erdgeschoss und auf halber Höhe jeweils von einem Gesims gegliedert sowie auf seinen vier Kanten durch kleine Türmchen mit Gliederungen aus Backstein akzentuiert. Auch der leider nicht genauer datierte obere Teil des Eisenturms, der die gleichen Fensterformen wie der Holzturm zeigt, weist jeweils ein Gesims über seinem romanischen Erdgeschoss und auf halber Höhe auf. In beiden Türmen sind die Obergeschosse durch eine in die Ecke geschobene Spindeltreppe miteinander verbunden.

Der nördliche Turm der Martinsburg wurde ebenfalls, soweit uns dies von historischen Abbildungen bekannt ist, von zwei Gesimsen gegliedert, die in ihren Höhen von den Gliederungselementen der restlichen Burg abwichen. Die älteste Abbildung von Gottfried Mascop aus dem Jahr 1575 (Abb. 1; vgl. Taf. 19)5 dürfte als seinen oberen Abschluss ein steiles Walmdach zeigen. Auf den jüngeren Abbildungen ist dies nicht erkennbar, jedoch sitzen auf den vier Kanten Türmchen, deren Gliederung sehr den Backsteingliederungen am Holzturm ähnelt. Und von den ältesten Grundrissplänen der Burg wissen wir, dass seine Obergeschosse über eine Spindeltreppe miteinander verbunden waren. Es liegt daher die Annahme nahe, dass der Zufluchtsort Grinsturm beim Bau der Burg erhalten blieb und in die Burg integriert wurde.

Südlich des besprochenen Turms knickt der Rheinflügel der Burg leicht nach Westen vom Rhein weg, was zunächst verwundert. Aufgrund der historischen Stadtpläne von Mainz wird jedoch deutlich, dass der rheinseitige Abschnitt der Stadtmauer an seinem nördlichen Ende zum Rhein hin abknickt. Es ist daher anzunehmen, dass der Rheinflügel der Burg dem Verlauf der gotischen Stadtmauer folgte oder sie sogar einbezog.

DIE SPÄTMITTELALTERLICHE MARTINSBURG

An den vermutlich integrierten Grinsturm am nördlichen Ende des rheinseitigen Abschnitts der Stadtmauer ließ der Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg in den Jahren 1478 bis 1480 die spätmittelalterliche Martinsburg anfügen, die offensichtlich den rheinseitigen Stadtmauerverlauf berücksichtigte. Die Burg wurde bei einem verheerenden Brand in der Nacht vom 2. zum 3. März 1481 zerstört und in der Folgezeit wiederhergestellt.

Abb. 1: Mainz, Martinsburg, Ansicht von Osten, Stadtplan von Gottfried Mascop 1575 (Ausschnitt)

Nach einer erneuten Zerstörung der Anlage durch den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach während des Aufstandes der deutschen Reichsfürsten gegen Kaiser Karl V. im Jahr 1552 ließ der Mainzer Erzbischof Brendel von Homburg (1555–1582) die Burg wiederaufbauen. Da über die Martinsburg ausschließlich historische Abbildungen Auskunft geben (Abb. 2), lassen sich keine Aussagen treffen, was noch spätmittelalterlicher Bestand war und was im 16. Jahrhundert verändert wurde. Lediglich ein Zwillingsfenster der Burg, das sich im Erdgeschoss des Rheinflügels im Schloss erhalten hat, zeigt die Wappen des Mainzer Erzbischofs Brendel von Homburg und des Domkapitels.

Abb. 2: Martinsburg, Ansicht von Norden, Zeichnung von Wenzel Hollar vor 1631

Die Martinsburg bestand aus einem annähernd L-förmigen Hauptbau mit einem nördlichen Burghof und einer westlichen Vorburg. Burghof und Vorburg waren von Wirtschaftsbauten, Mauern und Türmen umgeben. Der dicht am Rheinufer errichtete Hauptbau besaß an beiden Enden und an der Knickstelle Turmbekrönungen, die sich möglicherweise an den Formen des Grinsturms aus dem 14. Jahrhundert orientierten. Er bezog seine Verteidigungsfähigkeit vor allem aus einem hohen Sockelgeschoss auf der Rheinseite. Die Mauern von Burghof und Vorburg hingegen waren zusätzlich durch einen wasserführenden Graben gesichert, der von einem Bach gespeist wurde. Nur an einer Stelle führte eine Brücke über den Burggraben zu einem großen Platz, der die Burganlage von der Stadt trennte. In ihrer Konzeption entsprach die Martinsburg einer spätmittelalterlichen, auf Verteidigung angelegten Niederungsburg, die sich sowohl nach außen als auch zur Stadt hin sichern ließ.6

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind bereits Tendenzen zu einer Residenzbildung erkennbar. Unmittelbar nach dem Wiederaufbau der Burganlage wurde im Jahr 1555 mit der Errichtung eines Kanzleigebäudes südlich von ihr begonnen. An dessen Südseite wurde in den Jahren 1570 bis 1581 die Schlosskirche St. Gangolph angefügt.7 Einen Abschluss fanden diese Baumaßnahmen durch die Errichtung eines Zeughauses mit einer Münzprägestelle im Jahr 1603. Wenngleich diese Bauten bereits den Charakter einer Mainzer Residenz verstärkten, so befanden sie sich dennoch außerhalb des Burggeländes. Von einer zusammenhängenden Anlage kann folglich noch keine Rede sein.8

Wichtige Informationen für das Verständnis der späteren Veränderungen an der Martinsburg bietet eine Zeichnung Wenzel Hollars von 1627, welche die Hofansicht der Burg zeigt (Abb. 3). Deutlich erkennbar sind die Westseite des Hauptgebäudes mit den Erdgeschossfenstern, von denen eines bis heute erhalten blieb, und die sich südlich anschließende Mauer der Vorburg. Im Hintergrund erscheinen ein Torbau zum Burghof und mehrere Wirtschaftsgebäude nördlich davon schemenhaft.

DAS NEUZEITLICHE SCHLOSS

Eine erste Veränderung ihres spätmittelalterlichen Erscheinungsbilds erfuhr die Martinsburg durch das Anfügen eines weitgehend freistehenden Schlossgebäudes an die Südwestkante der Burg. Dieses wurde ab 1628 vom Mainzer Erzbischof Georg Friedrich von Greiffenclau zu Vollrads (1626–1629) begonnen und bis 1631 unter dem Mainzer Erzbischof Anselm Casimir Wambolt von Umstadt (1629–1647) weitgehend fertiggestellt, jedoch nicht unter Dach gebracht. Den Baubeginn hält eine Inschrift mit der Jahreszahl 1628 am rheinseitigen Fundament im Bereich des ursprünglichen Grabens fest (Taf. 13). Das Datum der Vollendung dieser Arbeiten kennzeichnen Inschriften mit der Jahreszahl 1631 auf Brüstungsfeldern der Kantenerker an seinem südlichen Ende (Taf. 18).

Das neue Schlossgebäude war mit seinen drei Geschossen und acht Fensterachsen von Anfang an als Solitär geplant und sollte die vornehmen Repräsentationsräume für den Erzbischof aufnehmen (Abb. 4). Neben den beiden Erkern an seinen Südost- und Südwestkanten dürfte er aufgrund der Baubefunde einen entsprechenden Erker an seiner Nordwestkante aufgewiesen haben, während er mit seiner Nordostkante an die Martinsburg ansetzte.9

 

Abb. 3: Martinsburg, Ansicht von Westen, Zeichnung von Wenzel Hollar, 1627/1628

Abb. 4: Martinsburg mit neuem Schlossgebäude, Rekonstruktionsversuch der Grundrisse von Erd- und 1. Obergeschoss nach 1631

Für seine Errichtung wurde der Mauerzug der Vorburg, der sich südlich an den Hauptbau anschloss, niedergelegt. Der Hauptbau selbst wurde kaum verändert, vermutlich wurden lediglich Durchgänge zwischen beiden Bauteilen hergestellt (Abb. 5).10 Das neue Schlossgebäude ersetzte den Mauerzug der Vorburg, ragte jedoch leicht in den vorhandenen Burggraben hinein. Die südliche Mauer der Vorburg wurde bis an den Neubau herangeführt und damit die Ummauerung der Vorburg geschlossen. Der wasserführende Graben wurde nun auch auf der Rheinseite des neuen Schlossgebäudes verlängert (Abb. 6; vgl. Taf. 21)11.

Abb. 5: Schlossgebäude, Ansicht von Westen, Visualisierung des Zustands nach 1631

Abb. 6: Martinsburg mit neuem Schlossgebäude, Vogelschauansicht von Mainz von Matthäus Merian, 1637 (Ausschnitt)

Folglich blieb die Burganlage trotz der Errichtung des neuen Schlossgebäudes in ihrer Verteidigungsfähigkeit vollkommen unverändert. Die Vorburg behielt weiterhin ihre geschlossene Ummauerung samt dem wasserführenden Graben. Der durch seine Fassadengestaltung sicherlich schwieriger zu sichernde Neubau erhielt sowohl durch sein hohes Sockelgeschoss als auch durch die Erweiterung des Wassergrabens auf der Rheinseite eine Sicherung, sodass die Verteidigungsfähigkeit der Vorburg insgesamt erhalten blieb.12

Zeitgleich sollte durch einen geplanten, aber erst später ausgeführten Verbindungsgang zwischen dem neuen Schlossgebäude und dem Kanzleigebäude der funktionale Zusammenhang der einzelnen Residenzbauten verstärkt werden. Dieser Verbindungsgang hätte den Burggraben auf mehreren Pfeilern ruhend überbrückt. Vermutlich wurde er jedoch nicht fertiggestellt, da ein Kupferstich aus dem Jahr 1669 lediglich einige Pfeiler zeigt (Taf. 20).13 Der Mainzer Erzbischof Damian Hartard von der Leyen (1675–1678) ließ das Schlossgebäude in den Jahren 1675 bis 1678 vollenden und abweichend vom ursprünglichen Konzept um acht weitere Fensterachsen in derselben Flucht nach Norden erweitern, wobei hofseitig die ursprüngliche Fassadengliederung weitergeführt, die feldseitige Mauer aber zurückversetzt ausgeführt wurde (Abb. 7). Von diesem Erweiterungsbau haben sich die acht Fensterachsen auf der Hofseite des Rheinflügels erhalten. Auch die hofseitigen Marmorportale des so entstandenen Rheinflügels gehören zu dieser Bauphase (Taf. 15).

Abb. 7: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Rekonstruktionsversuch der Grundrisse von Erd- und 1. Obergeschoss nach 1678

Abb. 8: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Grundriss des Erdgeschosses, um 1680 (Ausschnitt)

Abb. 9: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Grundriss des Obergeschosses, um 1680 (Ausschnitt)

Die Erweiterung verband nun das Schlossgebäude mit älteren Wirtschaftsbauten am nördlichen Rand der Vorburg, die bisher durch einen Torbau mit dem Hauptbau der Martinsburg verbunden waren (Abb. 3). Da hierdurch der Zugang zum eigentlichen Burghof versperrt wurde, musste eine Durchfahrt im Erdgeschoss des Erweiterungsbaus vorgesehen werden. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Schlossgebäudes wurde auch das turmbekrönte westliche Ende des Hauptgebäudes der Burg niedergelegt, um an dieser Stelle größere Räume und ein Treppenhaus anzulegen. Dies zeigt deutlich ein Kupferstich der Martinsburg mit dem erweiterten Schlossgebäude.14 Diesen Bauzustand geben ebenfalls zwei Grundrisspläne (Abb. 8, 9; vgl. Taf. 23, 24)15 wieder, die bisher in die Zeit um 1700 datiert wurden. Dass sie tatsächlich etwa 20 Jahre älter sein dürften, werden die folgenden Überlegungen zeigen.

Die beiden Grundrisspläne dürfen nicht als Bau- oder Bestandspläne missverstanden werden, vielmehr handelt es sich um eine Beschreibung der einzelnen Raumfunktionen, was auch für die restlichen Bereiche der Burg gilt. Dennoch ist deutlich erkennbar, dass durch die Erweiterung des neuen Schlossgebäudes weder der Bereich der Ummauerung des Burghofs noch die Mauerzüge und Türme der Vorburg beseitigt wurden. Dies lässt Rückschlüsse auf die Verteidigungsfähigkeit der Anlage zu. Trotz des Abbruchs des turmbekrönten westlichen Endes des Hauptbaus, der natürlich dessen Struktur schwächte, behielten die eigentliche Burg weitgehend und die Vorburg vollkommen ihre bisherige Verteidigungsfähigkeit. Mehr noch als die Errichtung des neuen Schlossgebäudes um 1630, betraf dessen Erweiterung nach 1675 nur den inneren Bereich der Burganlage. Lediglich die Vollendung des Verbindungsgangs zum Kanzleigebäude und zur Schlosskirche geht darüber hinaus.

Dass die Erweiterung des Schlossgebäudes über den tatsächlich ausgeführten Bereich im Innern der Burganlage hinausgehen sollte, zeigt der Baubestand an der Ansatzstelle des heutigen Nordflügels an den Rheinflügel im Bereich des Hofs. Hier endet der Erweiterungsbau an seinem nördlichen Ende mit einer zweifachen Stufung: Die Werksteine beider Stufen gehören eindeutig zu seinem Mauerwerk, wie an ihren Lagerfugen erkennbar ist. Folglich war an dieser Stelle bereits ein Nordflügel vorbereitet, jedoch nicht ausgeführt worden.

Unter Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim (1679– 1695) wurde dann der Anbau eines zweiten Flügels rechtwinklig an das nördliche Ende des bereits errichteten Rheinflügels vorbereitet, aber nicht ausgeführt. Davon zeugen die erhaltenen Fundament- und Sockelreste unter dem heutigen Nordflügel des Schlosses, welche an der Nordwestkante die Jahreszahl 1687 tragen (Taf. 17). Das westliche Ende dieser Fundamente zeigt mit der Diagonalstellung des Sockels eine ähnliche Gestaltung wie das südliche Ende der Fundamente unter dem Renaissanceflügel. Sie dürften damit ähnliche Kantenerker wie die Südfassade vorbereiten haben. Interessanterweise sparen die angelegten Fundamente den Bereich der älteren Wirtschaftsbauten am nördlichen Ende des rheinseitigen Schlossflügels aus, sodass diese mit Sicherheit zum älteren Bestand der Martinsburg gehörten.

Zwei wichtige Beobachtungen ergeben sich aus einem Vergleich der Lage der 1687 angelegten Fundamente (Abb. 7) mit den älteren Lageplänen der Vorburg (Abb. 8; Taf. 23). Für den geplanten Nordflügel des Schlosses hätten nicht nur die älteren Wirtschaftsbauten und der Mauerzug am nördlichen Ende der Vorburg, sondern auch der nördliche Turm im stadtseitigen Bereich der Ummauerung der Vorburg abgebrochen werden müssen. Folglich dürften die gezeigten Pläne nicht um 1700 entstanden sein, da sie einen Zustand vor der Anlage der Fundamente des geplanten Nordflügels zeigen.16 Wichtiger noch ist die Beobachtung, dass mit der Anlage der Fundamente die Verteidigungsfähigkeit der Vorburg und damit der gesamten Anlage aufgegeben werden musste. Damit unterscheidet sich diese Maßnahme deutlich von der Erweiterung des Schlossgebäudes, welche die Sicherheit der Gesamtanlage nicht in Frage stellte. Mithin ist erst in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts die Verteidigungsfähigkeit der Burg für den geplanten repräsentativen Ausbau des Kurfürstlichen Schlosses aufgegeben worden.

DER BAROCKE AUSBAU DER RESIDENZ

Den Plan, einen zweiten nördlichen Schlossflügel zu errichten, griff erst Franz Anselm Freiherr von Ritter zu Groenesteyn um 1749 auf (Abb. 10; vgl. Taf. 28–31).17 Seine Planungen sahen vor, an den bestehenden Schlossflügel einen Nordflügel anzubauen, der sich in seiner Fassadengestaltung, insbesondere mit den Risaliten der Hofseite und den Kantenerkern, an die Formen des Rheinflügels anlehnen sollte. Darüber hinaus wurde geplant, die Martinsburg vollkommen niederzulegen und an ihrer Stelle um den Burghof herum drei weitere Flügel um einen geschlossenen Schlosshof anzubauen. Auch diese sollten sich in ihrer Gestaltung, insbesondere durch die Übernahme der Kantenerker, am älteren Schlossflügel orientieren. Auf der Nordseite, wo der Nordflügel und der nördliche Flügel des Burghofs aneinanderstoßen, wäre eine sehr lange Schaufassade entstanden, die lediglich durch einen Mittelrisalit gegliedert werden sollte (Taf. 27). Der Erdgeschossbereich dieses Mittelrisalits sollte eine dreiachsige Durchfahrt aufnehmen. Diese Pläne, die ein repräsentatives Schloss mit den Grundformen der spätmittelalterlichen Burg kombinieren sollten, wurden nicht realisiert. Der Abriss der Martinsburg und die Errichtung der drei Schlossflügel um den ehemaligen Burghof erfolgten ebenfalls nicht.

Der Mainzer Erzbischof Johann Friedrich Carl von Ostein (1743–1763) ließ von 1750 bis 1752 auf den älteren Fundamenten den Nordflügel des Schlosses errichten. Auf der Hofseite orientiert sich der Bau stilistisch an der Fassadengliederung des Renaissancebaus, während er ansonsten eine eigene, spätbarocke Gestaltung findet (Taf. 8, 10). Die Fertigstellung des Nordflügels kennzeichnen zwei Inschriften an den attikaartigen Aufsätzen der Stirnseiten, deren Chronostichon auf das Jahr 1752 verweist (Taf. 16). Der geplante Abriss der Martinsburg fand allerdings wiederum nicht statt, sodass auf der Rheinseite des Mainzer Schlosses immer noch die spätmittelalterliche Burg stand.

Zeitgleich mit der Errichtung des Nordflügels erfolgte der weitere Ausbau der Residenz (Taf. 46). Seit der Anlage einer Wasserleitung ab 1724, die mit der Aufstellung des Neubrunnens 1726 abschloss, entstand eine Residenzstadt im sogenannten Bleichenviertel. Unmittelbar an den Schlossbereich schlossen sich zunächst militärische Bauten wie der Marstall, dann adelige Höfe wie die Eltzer Höfe und zuletzt bürgerliche Wohnhäuser an. Südlich der Schlossanlage entstand in unmittelbarer Nähe zur Schlosskirche St. Gangolph in den Jahren 1749 bis 1756 der Neubau von St. Peter. Auch an der Rheinfront erfuhr die Residenz durch den Neubau der Deutschordenskommende südlich der Schlosskirche zwischen 1730 und 1740 sowie des Neuen Zeughauses südlich davon zwischen 1738 und 1740 eine bedeutende Erweiterung (s. S. 159, Abb. 12). Die barocke Deutschordenskommende, das sogenannte Deutschhaus, das aus einem Hauptgebäude (Corps de Logis), einer Kapelle und einem Verwalterhaus bestand, konnte erst durch einen Grundstückstausch zwischen dem Mainzer Erzbischof Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1729–1732), der zugleich Ordensmeister war, und dem Deutschen Orden erfolgen.18

DER VERLUST DER RESIDENZFUNKTION

Der bis ins frühe 19. Jahrhundert erhaltene Zusammenhang des Mainzer Schlosses mit den restlichen Residenzbauten und der Residenzstadt ging unter der napoleonischen Besatzung weitgehend verloren. So wurde 1807 zunächst die Kanzlei niedergelegt und im selben Jahr auf der Westseite der Zweiflügelanlage ein vermutlich vom französischen Architekten Eustache St.-Far entworfener, eingeschossiger Flügel als Zollmagazin errichtet, der den Schlosshof endgültig von der sich westlich anschließenden Residenzstadt abriegelte. 1809 erfolgte schließlich der endgültige Abbruch der Martinsburg und 1814 die Niederlegung der Schlosskirche St. Gangolph (Taf. 50, 51).

 

Abb. 10: Kurfürstliches Schloss, Grundrissplan des Obergeschosses für die Erweiterung der Schlossanlage, 1749

Die Verlängerung der Großen Bleiche bis zum Rhein in hessischer Zeit trennte das Schloss vom Deutschhaus und vom Neuen Zeughaus ab, sodass ihr ursprünglicher baulicher Zusammenhang endgültig verloren ging.

Die starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg sowie die Bautätigkeit in der Nachkriegszeit hatten zur Folge, dass das Mainzer Schloss heute nur noch eingeschränkt im Zusammenhang mit den erhaltenen Residenzbauten wie dem Deutschhaus und dem Neuen Zeughaus sowie mit der einstigen Residenzstadt und ihren erhaltenen Bauten wie dem Marstall wahrgenommen wird.