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Die Liebesbriefe der Marquise

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Glauben Sie mir, Frau Marquise: im Augenblick der höchsten Not hat Gott selbst Frankreich den Retter gesendet!

Ich habe in der Zeit meines Aufenthalts alles versucht, um meiner Überzeugung Anhänger zu gewinnen; aber leider hat sich das Gift des Unglaubens wie eine Seuche verbreitet, und selbst die ersten Diener des Staates und der Kirche nicht verschont.

Wie mir Graf Chevreuse erzählte, scheint jedoch die Königin lebhaftes Interesse für die Wunder Cagliostros zu haben. Als er ihr auf meine Veranlassung von seinen Leistungen berichtete, rief sie mit leuchtenden Augen: »Er macht Brillanten!« und klatschte wie ein glückliches Kind in die Hände dabei. Leider ist es mir jedoch noch immer nicht gelungen, eine persönliche Audienz durchzusetzen, von der so viel abhängen würde. Der Einfluß der Gräfin Polignac ist stärker denn je; sie weiß ihn mit wahrhaft infernalischer Klugheit für sich und ihre Familie auszunutzen, was nichts anderes bedeutet, als daß sie die Rohans und ihre Anhänger fern hält. Ich hatte gehofft, der Königin bei dem Einweihungsfest des kleinen Theaters von Trianon den Grafen im geheimen vorstellen zu können, aber die Späheraugen der Partei Polignac verhinderten geschickt jede Annäherung.

Wie bedauerte ich an einem zauberhaften Abend wie diesem, Sie, schönste Marquise, nicht unter uns zu wissen. Das kleine goldstrotzende Theater, das von außen ganz den Charakter eines Tempels, von innen den eines liebesschwülen Boudoirs besitzt, ist der passendste Rahmen für das graziöse Spiel unserer reizenden Königin. Sie war eine Soubrette, der man es glauben kann, daß der Liebhaber, den Herr von Vaudreuil mit dem natürlichsten Feuer spielte, aus unbefriedigter Sehnsucht wahnsinnig werden kann. Das Stück des Herrn Sedaine – der König und der Bauer – ist freilich etwas schlüpfrig und nicht allzu reich an Geist, aber das entzückende Spiel all der erlauchten Komödianten ließ schließlich alles verzeihlich erscheinen. Strahlend vor Stolz nahm die Königin die Huldigungen des illustren Publikums entgegen. Die neuen chinesischen Laternen verbreiteten ein magisches Licht im nachtdunklen Park, als das Theater sich wieder öffnete; man strömte hinaus, man suchte und fand sich.

»Und draußen auf dem Meer wird inzwischen mit Menschenleben um die Zukunft Frankreichs gespielt,« hörte ich einen Offizier neben mir sagen, einen der vielen, die mehr und mehr vergessen haben, daß es zur Treue gegen den Monarchen gehört, sich auch seinen unrichtigen Maßnahmen kritiklos zu beugen.

Ich sollte bald darauf noch ein Beispiel für den herrschenden Geist der Aufsessigkeit kennen lernen: Der Herzog von Chartres gab zu Ehren seiner geistreichen Freundin Frau von Genlis ein Nachtfest im Park von Monceau, das mit einer Wasserfahrt auf bekränzten Gondeln schließen sollte. Kaum hatte die ganze Gesellschaft Platz genommen, als sich herausstellte, daß sämtliche Ruderer betrunken waren. Erschrocken drängte alles hinaus. In diesem Augenblick sagte ein kleiner Kapitän laut zu unserem edlen Gastgeber: »Wir Franzosen machen auf dem Wasser anscheinend stets dieselben schlechten Erfahrungen.« »Und trotzdem sehen Sie, welch schönen Sieg wir erringen,« entgegnete der Herzog lächelnd und wies auf die Gruppen ängstlicher Damen, die sich zitternd in die Arme hilfsbereiter Herren schmiegten. Laharpe, der Unvermeidliche, ließ sich die Gelegenheit zu einer poetischen Improvisation natürlich nicht entgehen, wobei er Frau von Genlis als Venus, den Herzog als Mars feierte und es nur, – aus übertriebener Bescheidenheit! – unterließ, sich selbst als Adonis vorzustellen.

In wenigen Wochen kehre ich nach Straßburg zurück. Sollte Graf Cagliostro meinen dringenden Bitten, mitzukommen, noch Gehör schenken, so hoffe ich nicht nur für mich, sondern vor allem für Sie, teuerste Marquise, auf eine im höchsten Sinne bedeutungsvolle Zeit.

Marquis Montjoie an Delphine
Straßburg, den 15. September 1780.

Meine liebe Delphine. Rohan hat nicht zu viel gesagt. Ich bin aufs äußerste überrascht von dem Erlebten und glaube darnach zu den größten Erwartungen berechtigt zu sein. Ich brauche Ihnen wohl kaum noch zu versichern, daß der Gedanke, meine körperlichen Kräfte zurückzugewinnen, und mein Vermögen, wenn nicht zu vergrößern, so doch zu erhalten, mit dem Wunsche, Ihnen nicht beschwerlich zu fallen, und Sie mit dem Glanz zu umgeben, für den sie geschaffen sind, so innig verschwistert ist, daß er fast identisch erscheint. Seit der großen Tragödie unseres Hauses, unter der ich Sie zusammenbrechen sah, habe ich immer darnach getrachtet, Sie wieder froh zu sehen. Nichts würde mir größere Freude bereiten, als Ihre Wünsche erfüllen zu können, nichts bekümmerte mich mehr, als daß die schwierigen, finanziellen Verhältnisse mich daran zu verhindern vermöchten. Der Graf Cagliostro hat mich dieser Sorge entrissen; es bleibt nur die eine noch drückendere, daß Sie wunschlos neben mir her gehen. Ich muß die Vergangenheit zu Rate ziehen, um zu wissen, was wenigstens damals Ihr Interesse heraufrief. Ich habe Gartenkünstler und Architekten engagiert, um Park und Pavillon durch sie vollenden zu lassen, und hoffe wenigstens auf ein zustimmendes Kopfnicken.

Und nun habe ich eine Bitte an Sie. Ich legte dem Grafen die eine schwerwiegende Frage vor, ob ich noch auf einen Erben hoffen dürfte. Er behauptet, sie beantworten zu können, wenn er Sie gesehen hat. Diesem Wunsche Folge zu leisten, ist seit Jahren der erste Wunsch, den ich Ihnen ausspreche. Sie haben mir selbst das Zeugnis ausgestellt, daß ich sie behandle wie ein väterlicher Freund. Beweisen Sie mir jetzt die Dankbarkeit, die Sie mir so oft versichert haben.

Kardinal Prinz Louis Rohan an Delphine
Straßburg, den 26. September 1780.

Die Sorge um Sie, teuerste Frau Marquise, verfolgte mich bis in meine Träume. Lassen Sie mich umgehend wissen, wie Sie den fürchterlichen – leider durch Ihre eigene Schuld fürchterlichen Abend überstanden haben. Wie konnten Sie nur den Zustand der Entrücktheit, in dem der Graf sich befand, so jäh unterbrechen, so daß er wie ein Toter zu Boden stürzte?! Ist der Gedanke, noch ein Kind bekommen zu können, Ihnen so schrecklich, daß er jenen Aufschrei äußerster Verzweiflung auslösen mußte? Wollen Sie die ehelichen Pflichten nicht mehr anerkennen, Pflichten, die leider auch unter dem korrumpierenden Einfluß antichristlicher Moral auf den Schutthaufen der Vergangenheit geworfen werden?

Mit dem hoheitsvollen Lächeln eines Überlegenen ging der Graf über den aufregenden Moment hinweg. Als er aber dann unter dem zauberhaften Licht der schwebenden Flamme aus Ihrem eigenen Ring Tropfen flüssigen Goldes, aus Ihrem eigenen Halsband schimmernde Edelsteine fallen ließ, und der Marquis und ich dem Wunder mit andächtigem Staunen zusahen, warum sprangen Sie auf und griffen in die Glut, so daß ihre weiße Hand sich mit roten Brandwunden bedeckte; warum warfen Sie einem Manne, der unser aller Wohltäter werden kann, Ihr »Schwindler!« entgegen?!

Als ich heute früh den Grafen begrüßte, – sein Aussehen bestätigte mir diesmal mehr als seine Worte, daß er das Alter Mose erreicht hat –, sprach er in Ausdrücken warmer Anteilnahme von Ihnen. Wir alle wollen Ihr Bestes, schönste Frau, und ich hoffe, Sie werden mich und den Grafen empfangen, wenn wir uns im Laufe dieses Tages bei Ihnen melden lassen. Vergessen Sie nicht, daß Ihre Weigerung auch Ihrem Herrn Gemahl der Hilfe eines Menschen berauben dürfte, von dem er alles erwartet.

Graf Cagliostro an Delphine

Frau Marquise! Sie wollen mich nicht empfangen. Es scheint Ihnen unbekannt zu sein, daß alles, was mich betrifft, nicht vom Willen eines Sterblichen abhängt.

Der Marquis ist ohne mich ruiniert und Sie seine lebenslänglich Gefangene.

Auf Schloß Froberg sehen wir uns wieder.

Graf Guibert an Delphine
Paris, am 15. Dezember 1780.

Meine teure Frau Marquise! Ihre Mitteilung enthielt für mich nichts Neues. Ganz Paris ist erfüllt vom Ruhm Cagliostros, den die Einen für einen geschickten Taschenspieler, die Andern für einen Zauberer halten. Daß der Kardinal Rohan ihm verfallen ist, daß der Marquis Montjoie in Straßburg ein Laboratorium einrichtete, um die Kunst des Goldmachens von dem mysteriösen Fremden zu erlernen, – das ist das Tagesgespräch in den Salons, und Cagliostro kann sicher sein, mit dem Ruhm, der ihm jetzt vorangeht, Paris zu erobern. Eine Gesellschaft, die zu Madame Bontemps strömt, um sich aus dem Kaffeesatz wahrsagen zu lassen, die an Stelle geistreicher Konversation Sitzungen mit Somnambulen treten läßt, ist reif für diesen Propheten. Würden unsere Philosophen sich wohl die Mühe gegeben haben, den Glauben zu vernichten, wenn sie geahnt hätten, daß sie dadurch nur dem Aberglauben die Wege bereiten?! Je mehr die Furcht vor der Wirklichkeit wächst, desto mehr flüchten die Feigen in das Reich phantastischer Träume.

Sie werden vom Mißerfolg meiner Tragödie »Der Tod des Cajus Gracchus« gelesen haben. Der Ernst erschreckte das Publikum; es verträgt den Witz, ja die Satire, es lacht über sich selbst und über unsere politischen Zustände, wenn man sie ihnen auch in Form der drastischsten Karikaturen vorführt, aber es wird nie verstehen wollen, daß die Komödie im Grunde ein Trauerspiel ist.

Herr Necker scheint alle Mittel seiner Weisheit erschöpft zu haben, ohne es vor der Öffentlichkeit zugeben zu wollen. Herrn Linguet, der in seiner Zeitschrift nicht aufhört, die Maßnahmen des Generalkontrolleurs lächerlich zu machen, ist zwar in der Bastille Gelegenheit geboten worden, für seine literarischen Sünden Buße zu tun, aber jedermann weiß –, er selbst am genauesten –, daß der Hof seine gepfefferten Aufsätze mit Vergnügen liest. Ich bin kein Anhänger der steifen Würde Herrn Neckers, noch weniger der geistreichelnden Charakterlosigkeit des Herrn Linguet, der nur Leute zu blenden vermag, die des Tageslichts ganz und gar entwöhnt sind, aber angesichts der Möglichkeit der Verabschiedung Neckers kann ich mir nicht verhehlen, daß, wer auch sein Nachfolger sein mag, er sicher nur noch unfähiger sein wird, Frankreich vor dem Ruin zu retten.

 

Ist es nicht auch ein Zeichen bedenklichen Niedergangs, daß ich an die reizendste aller Marquisen schreibe, als wäre sie ein alter Diplomat? Wahrhaftig, der Franzose verlernt es, in seinem Klub- und Kaffeehausleben mit schönen Frauen Konversation zu machen. An Stelle der Kunst der Unterhaltung tritt der schlechte Stil der Journale oder der rohe Jargon der Grisetten.

Der Dienst, schönste Frau, führt mich in nächster Zeit nach dem Elsaß. Sie würden sich einer geistigen Lebensrettung rühmen können, wenn Sie mir auch nur für wenige Tage Aufnahme gewähren. Allein die Hoffnung, Sie zu sehen, Ihre kleine Hand ehrfürchtig an die Lippen ziehen zu dürfen, entreißt mich schon der morosen Stimmung. Die Gegenwart vergessen, indem man sie genießt, ist schließlich die beste Philosophie.

Graf Guibert an Delphine
Paris, am 20. März 1781.

Teuerste Delphine. Wie ich Adam beneide! Er wurde zwar gleich mir nach einer Zeit, die zeitlos war, darum so lang wie die Ewigkeit und so kurz wie ein Augenaufschlag, aus dem Paradiese vertrieben –, aber er hatte doch die verbotene Frucht genossen!

Habe ich Ihnen nicht wochenlang treu gedient? sogar das Grauen vor dem unheimlichen Gast Ihres Hauses überwunden, um Ihnen im Kampf gegen diese Riesenspinne beizustehen, die unsichtbar ihre Fäden um Sie zieht.

Habe ich in Ihren neuen Parkanlagen nicht den Obergärtner, beim Ausbau Ihres Pavillons nicht den Architekten gespielt, wobei ich die süße Hoffnung nährte, daß diese Grotten und Lauben, daß diese rosiggoldene Venusmuschel mir einmal mehr zu bieten hätte als künstlerischen Genuß?

Unser Jahrhundert ist ein mit den köstlichsten Gütern reich beladenes Schiff, das einem fremden Erdteil zusteuert, um, vom Orkan getrieben, an seinen Felsen zu zerschellen. Aber mag all sein Reichtum dabei zugrunde gehen, wenn nur gerettet wird, was zur höchsten Blüte sich entfaltete: die Kunst der Liebe. Und Sie, geboren zu ihrer Hüterin, wollen ihr jetzt schon treulos sein? Heißt das nicht, den Barbaren die Zukunft überlassen? Sollten nicht gerade wir, die Kinder einer sterbenden Epoche, noch jede Glücksmöglichkeit erschöpfen, damit sie im rotglühenden Glanze des Abendrots untergeht, und nicht unter grauem Himmel und kühlen Regentränen?

O, es ist bitter für den Grafen Guibert, als Ersatz für die Liebe über Liebe philosophieren zu müssen! Ich würde ganz darauf verzichten, ich würde vor allem Ihren Wunsch, Ihnen nicht von Gefühlen, sondern von Literatur und Politik zu erzählen, unerfüllt lassen, wenn nicht Ihre leuchtenden Augen, Ihr roter Mund, Ihre kleinen weichen Hände, Ihre reizende mit holder Koketterie gekleidete Gestalt mich überzeugt hätten, daß Sie mit den politisierenden Damen des Palais-Royal nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Einer Delphine Montjoie werden diese Dinge nicht zum Lebensinhalt; sie dienen ihr nur, um ihren Geist zu entfalten, ihre Empfindung zu vertiefen, wie Blumen und Bänder, Seidengewebe und Edelsteine ihr dienen, um ihren Reiz zu erhöhen.

In diesem Sinne ergebe ich mich sogar in das Schicksal eines bloßen Chroniqueurs.

Von Neckers Rechenschaftsbericht, den schon alle Welt in Händen hat, brauche ich Ihnen kaum noch etwas zu sagen. Er ist das, was ich von einem Manne, der Klugheit, aber keine Größe besitzt, erwartete: eine geschickte Verschleierung der Tatsachen, ein Ablenken des Unwillens über eine allgemeine Mißwirtschaft auf die Häupter von wenigen Mitschuldigen. Das Volk, oder vielmehr diejenigen Kreise, die sich heute als Volk zu bezeichnen lieben, – Advokaten, Zeitungsschreiber, Krämer und deklassierte Aristokraten –, jubelt, die Parlamentsräte, die Intendanten und Generalpächter, denen Necker einige Wahrheiten sagt, sind empört. Es wird sich wahrscheinlich wieder einmal zeigen, daß in der Politik nicht die Mehrheit der Menschen, sondern die Macht des Geldes den Ausschlag gibt, um so mehr, als die Königin des Sparens müde ist und Necker zu Fall bringen wird, wenn nicht der Graf Cagliostro sich sehr beeilt, auch ihr die Kunst des Goldmachens zu lehren.

Sie sehen: meine Gedanken kehren trotz allen Sträubens immer wieder zu dem »Meister« zurück. Niemand konnte ihm skeptischer, ja feindseliger gegenübertreten als ich, vor allem, seit ich sah, wie er den Marquis und den Kardinal zu bloßen Werkzeugen seines Willens gemacht hat, und wie sehr Sie um seinetwegen litten. Trotzdem –, ich bin außerstande, ihn kurzerhand als einen raffinierten Betrüger abzutun. Er hat mir Dinge aus meiner Vergangenheit gesagt, die nur ich wissen konnte; er hat Prophezeihungen ausgesprochen, die nicht in die Rubrik billiger Träume zu verweisen sind; er hat Saiten in mir zum Klingen gebracht, die mir früher wie bloße Rudimente kindlicher Geistesbeschaffenheit erschienen und von denen ich glaubte, daß die Voltaire und die Holbach sie längst zerrissen hätten.

Wissen Sie noch, wie ich am letzten Abend vor dem Pavillon über den »Goldmacher« zu scherzen versuchte, um Ihre Angst zu zerstreuen? Keine Wolke trübte den strahlenden Himmel; purpurn senkte sich der Sonnenball. Da fiel auf einmal ein langer dunkler Schatten über den Rasen vor uns bis zum Teich; die Schwäne schlugen mit den Flügeln, Sie zogen fröstelnd das weiße Tuch um die Schultern – Cagliostro war vorübergegangen.

Ich wollte, Sie wären in Paris, teuerste Frau!

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, am 25. Mai 1781.

Meine liebe Delphine! Kaum hier angekommen, bin ich Zeuge eines »umwälzenden Ereignisses« geworden, – genau wie Cagliostro es vorausgesagt hat. Ein neuer Beweis, der seinen Eindruck auf Sie nicht verfehlen dürfte!

Necker erhielt seine Demission, nachdem alle Welt zum Dank für die erstaunliche Leistung eines Plus von zehn Millionen im Staatsschatz mindestens seine Standeserhöhung und seine Ernennung zum Minister erwartet hatte. Sie wissen, daß er mich den Genfer Bankier nie vergessen ließ, daß ich aber zugleich großes und, wie sich herausstellte, berechtigtes Vertrauen in seine Geschäftsklugheit gehabt habe. Leider war er den Herren Finanziers und Generalpächtern, die immer mehr das große Wort führen, je mehr sie unsere Güter, unser Vermögen, unsere Bildung sich aneignen und sogar den König dadurch zu täuschen versuchen, viel zu klug. Sie sind es in der Tat, die Necker gestürzt haben. Wie stark muß ihr Einfluß sein, daß dergleichen geschehen konnte.

Ich war Sonntag inmitten der Stadt, als die Nachricht sich verbreitete. Alles war aufs äußerste konsterniert. Die Promenaden, die Cafés waren im Augenblick überfüllt, aber es herrschte überall eine fast beängstigende Stille. Man sah sich vielsagend an, man drückte einander teilnehmend die Hand, als stünde man vor einer allgemeinen Katastrophe. In den nächsten Tagen entwickelte sich eine förmliche Völkerwanderung nach Saint-Quen, wohin Necker und seine Familie sich sofort zurückgezogen hatten. Man bemerkte die Herzöge von Orléans, von Chartres, von Choiseul und Richelieu, sogar den Erzbischof von Paris, und sah darin eine offene Parteinahme wider den König, die von neugierigen Massen vielfach lebhaft applaudiert wurde.

Am Abend kam es in der Comédie Française zu turbulenten Szenen. Man gab La partie de chasse de Henri IV. Bei den Worten des Herzogs von Bellegarde »sprechen Sie mit Respekt von einem so großen Minister!« brach das Publikum in minutenlange Bravo-Rufe aus, und bei dem Ausruf Heinrichs IV. »die Grausamen! Wie konnten sie mich um diesen Mann betrügen!« weinte alles.

In der Oper kam es am selben Abend zu einem lärmenden Auftritt, als ein Kavalier seiner Freude über den Rücktritt Neckers allzulauten Ausdruck gab, und Herr von Bourboulon, dessen Broschüre den Generalkontrolleur wegen seines Rechenschaftsberichts der Fälschung zieh, kann sich öffentlich nicht sehen lassen, ohne insultiert zu werden. »Nun ist Frankreich verloren,« hörte ich auf offener Straße einfache Leute tränenden Auges zu einander sagen.

Ich kann nicht leugnen, daß ich Ähnliches empfinden würde, wenn ich nicht in letzter Zeit zu neuen Hoffnungen mich berechtigt glaubte, von denen ich nur bedauern kann, daß sie nicht auch die Ihren sind. Herr von Saint-James war nicht wenig verblüfft, als ich einen Teil meines Kapitals kündigte; er warnte mich vor Schwindlern, woraus ich entnahm, daß mein Verkehr mit Cagliostro nicht unbekannt geblieben ist, aber, meiner Abmachung mit dem Grafen getreu, habe ich mit keiner Silbe erwähnt, was ich nun schon Dutzende von Malen mit eigenen Augen sah: daß ein Louisd'or sich in der Glut des geheimnisvollen Feuers verdoppelte und verdreifachte. Ich habe bei Gelegenheit des Besuches auch Ihren Wunsch erfüllt und Ihr kleines Kapital aus dem Geschäft zurückgezogen. Ich hoffe, Sie werden es in ein paar Boutons für Ihre rosigen Ohren oder in eine Kette um Ihren weißen Hals verwandeln –, andernfalls würde mir diese Laune der schönen Marquise nicht ganz verständlich sein. Fast soviel als es ausmacht, habe ich bereits für Sie ausgegeben: Spitzen, Seidenstoffe, Hüte und Häubchen für Ihre reizende Person, entzückende kleine Möbel für den Pavillon – Ihren goldenen Rahmen – gehen heute nach Froberg ab.

Werden Sie jemals wieder daran denken, sich für mich zu schmücken, meine liebe Delphine? Sie haben keinen Liebhaber, – obwohl ich nur der Gatte bin, glaube ich, es behaupten zu können! – würden Sie nicht, versuchsweise, einmal mit mir vorlieb nehmen?! Ich heiratete Sie, weil Sie mich entzückten, Ihre junge Schönheit meiner Eitelkeit schmeichelte. Aber jetzt, Delphine, werbe ich um Sie, weil ich Sie liebe. Ich bin kein schmachtender Anbeter; ich kann Sie nicht einmal mit der ergreifenden Geschichte meiner Gattentreue rühren. Treue ist eine bourgeoise Tugend, die nach Frondienst schmeckt. Aber ich werde vermögen, was kein anderer vermag: Ihnen alle Herrlichkeit der Welt zu Füßen zu legen.

Marquis Montjoie an Delphine
Paris, am 3. Juni 1781.

Meine Liebe! Die Nachricht von Ihrer Abreise nach Spa, die Mitteilung von dem längeren Besuch, den Sie nach dem Badeaufenthalt Ihrer Freundin Clarisse machen wollen, – eine Freundschaft, der Sie sich gerade jetzt zu erinnern belieben! – ist die deutlichste Antwort auf meinen letzten Brief.

Ich kann warten! Der Meister sagte mir, als wir die letzte Sitzung miteinander hatten: sie kommt wieder. Ich glaube ihm. Erholen Sie sich, amüsieren Sie sich, lassen Sie Dutzende von Männern zu Ihren Füßen schmachten. Mir soll es recht sein, denn – Sie kommen wieder!

Graf Guy Chevreuse an Delphine
Versailles, am 18. Juli 1781.

Soeben erfahre ich von meiner Schwester, daß Sie, Holdseligste, endlich einer Einladung nach Chateau Larose folgen wollen. Sie ist entzückt; ich bin es noch mehr; und meine Neugierde kennt vollends keine Grenzen, denn die Marquise Delphine ist ein Rätsel, das einem Mann, der das Geheimnis »Weib« ganz zu ergründen geglaubt hatte, immer aufs neue zu lösen übrig bleibt.

»Die Marquise Montjoie hat den Schleier genommen,« wußte die kleine Lamballe noch vor einem Jahre mit dem himmlischsten ihrer Augenaufschläge zu berichten. Ich erschrak. Aber meine Phantasie arbeitete bereits an der entzückendsten aller Klosterentführungen.

»Die reizende Delphine ist des Grafen Cagliostro Adeptin,« erzählte wenige Monate später der Baron Wurmser bewundernd, als ob Sie es noch nötig gehabt hätten, das Zaubern zu lernen. Ich war empört. Und mein Entschluß stand fest, den Hexenmeister zu entlarven, um ihm sein Opfer entreißen zu können.

»Wissen Sie, wer der Marquise Montjoie einziger Liebhaber ist?« lachte Herr von Vaudreuil, als er im vorigen Winter in Straßburg gewesen war, »der Herr Marquis!« Ich war verzweifelt. Denn nun erst schienen Sie mir verloren.

Und jetzt erfahre ich von Ihrem Hofstaat in Spa, zu dem der Marquis nicht gehört, – denn ich sehe ihn in Paris im Gefolge Cagliostros –, von Ihrer bevorstehenden Ankunft in Larose – allein!

Versailles ist tot, seitdem der Zustand der Königin uns zur Tugend zwingt. Aber selbst wenn es im höchsten Glanze strahlt, selbst wenn alle Marmorgöttinnen seiner Gärten lebendig geworden wären, nur um mich zu umarmen, – Larose erschiene mir, von Delphine bewohnt, als der Himmel auf Erden – vorausgesetzt, daß es nicht der der Heiligen und der Erzengel, sondern der der Houris und der Grazien ist.

 

Ich werde kurz vor Ihnen in Larose eintreffen, um nicht nur des Vorzugs zu genießen, die holde Delphine aus dem Wagen heben zu können, sondern um auch der Erste zu sein, der Ihnen das neueste gesellschaftliche Ereignis von Paris zu berichten vermag: die Eröffnung des Hotels Dervieux in der rue Chantereine, eines Meisterwerks von Bellanger. Die jüngste und schönste Dienerin Terpsichores wird dank der Gunst des Prinzen von Soubise seine Herrin sein, und ich rühme mich, sie entdeckt zu haben. Daß sie schön ist, wird die Marquise Montjoie mir glauben; wer könnte, der Sie kennt, mit einem anderen Maßstab messen, als dem Ihren? Für den Geist der Kleinen zeugt dies Bonmot: Ein junger Mann bewarb sich um sie. Sie wies ihn ab. Er kam immer wieder; schließlich schrieb er flehend: »Gewähren Sie mir nur als Almosen Ihre Gunst.« Sie erwiderte auf rosigem billet-doux-Papier: »Ich bedaure lebhaft, mein Herr, ich habe schon meine Armen.« Sie werden mir zugeben, schönste Frau, daß Guy Chevreuse, dank der Erziehung durch Sie, auf der Höhe seines guten Geschmacks geblieben ist.

Je mehr die Gelehrten sich über die Entdeckungen neuer Wunder der Chemie und der Physik den Kopf zerbrechen und ihrer Unsterblichkeit die Genüsse ihrer Sterblichkeit opfern, desto mehr fühle ich es als heilige Pflicht, der gräßlich ernsthaft werdenden Menschheit Quellen der Freude zu erschließen, auch wenn mein Dank dafür in nichts besteht, als im jus primae noctis. Das ist lateinisch, schönste Frau; ich lernte die drei Worte, in denen sich meine ganze Kenntniß der klassischen Sprache erschöpft, von Herrn von Beaumarchais und bitte Sie, sie sich von ihm –, der mit uns in Larose und mein gefährlichster Nebenbuhler sein wird! – erklären zu lassen.

Übrigens wird noch eine dritte Schülerin von L'Abbaye aux Bois unter den Gästen sein: Die Prinzessin d'Hénin. Es wird also an Beweisen dafür nicht fehlen, daß trotz Rousseau und seiner jüngsten Nachfolgerin in der Predigt von der freien und naturgemäßen Kindererziehung der Madame d'Epinay die des Klosters noch immer die beste ist, sie gab uns die reizendsten, die vorurteilslosesten, die liebenswertesten Frauen. Mit einer Grazie ohnegleichen hat sich die Prinzessin in das Verhältnis ihres Gatten zu Mademoiselle Arnould gefunden. Als eine Tugendhafte aus dem Salon Necker sie kürzlich bedauern wollte, sagte sie achselzuckend: »Was wollen Sie?! Mir sind Männer, die nichts zu tun haben, antipathisch. Der Prinz hat doch nun wenigstens eine Beschäftigung.« »Hat er denn keinen andere?« frug die Tugendhafte malitiös. »Bei mir jedenfalls nicht!« antwortete lächelnd die Prinzessin.

Ich greife schleunigst nach Siegellack und Petschaft, ich gerate ja fast in die Gefahr, meinen Witz noch vor unsrer Begegnung zu erschöpfen, und wollte ihn doch, als Strahlenbündel verpackt, nach Larose mitnehmen, um in blendender Gloriole vor Ihnen, Holdseligste, dazustehen.

Herr von Beaumarchais an Delphine
Paris, den 11. Oktober 1781.

Wer Larose mit Paris vertauscht, ist weit mehr ein Sträfling, als wer die Freiheit der Hauptstadt mit den Ketten der Bastille vertauschte. Ich sitze vor dem Schreibtisch, statt vor der schönsten Frau Frankreichs, ich schaue durch trübe Scheiben auf Häusermauern, statt durch grüne Blätter auf blauen Himmel, und – Schrecken aller Schrecken! – ich lese Figaros Streiche einem Haufen hirnloser Komödianten vor, statt der fine fleur der Pariser Gesellschaft. Noch klingt mir Ihr perlendes Lachen im Ohr, – als ein gellender Mißton drängt sich die Kritik hochmögender Kollegen dazwischen, die zwar nichts besser machen, aber alles besser wissen wollen.

Es gibt Leute unter ihnen – à la Demoines, der der Dubarry Tugendkränze flocht und Ludwig XVI. so lange versichert hat, daß er ein Genie ist, bis er es selber glaubt –, die angesichts meiner Komödie um die Sicherheit des Staats und um die guten Sitten der Pariser zittern. Ich tröste mich; denn noch haben alle, die ihre Feder zum Schwerte schliffen, den Vorwurf ertragen müssen, daß sie Zustände schaffen, während sie lediglich den Mut hatten, deren Vorhandensein aufzudecken. Wie die ängstlichen Bedenken literarischer Streber mir bestätigen, daß mein Stück gut ist, so bestätigt mir der lebhafte Beifall, den seine Vorlesung bei dem alten Kanzler Maurepas vor einer Gesellschaft ehrwürdiger Kirchenfürsten fand, daß Figaro recht hat, mit der Narrenpeitsche auf die Almavivas einzuschlagen. Oder finden Sie nicht, daß sogar ein simpler Barbier dunkler Herkunft sich erlauben kann, die Gesellschaft zu verachten, die den Aussatz, an dem sie leidet, bloß – komisch findet?!

Sie haben recht, klügste aller Marquisen: Beaumarchais und Figaro sind identisch, – »Herr da und Knecht dort, wie es dem Glücke gefällt,« – und ich meine alle Maurepas, für die Frankreich nur da ist, damit sie Minister sein können, und alle Rohans, die mir die Herausgabe der Werke Voltaires verbieten und damit Voltaire selbst glauben vernichtet zu haben, wenn Figaro zu Almaviva sagt: »weil Sie ein großer Herr sind, meinen Sie ein großes Genie zu sein. Adel, Vermögen, Rang, Würden, all das macht stolz. Aber was haben Sie geleistet für so viel Herrlichkeiten? Sie haben sich nur die Mühe genommen, geboren zu werden! Im übrigen ein Alltagsmensch, während ich, im dunklen Haufen verloren, nur um mich fortzubringen, mehr Witz und Wissen aufwenden mußte, als man in den letzten hundert Jahren verbraucht hat, um den Staat zu regieren.«

Sie haben aber unrecht, wenn Sie sagen: Figaro wird die Bühne nie betreten. Er wird, Frau Marquise, er wird! Schon habe ich Madame Campan eine Abschrift meiner Komödie in die Hände gespielt und sie hat sie dem König und der Königin vorgelesen. »Das ist abscheulich! Das ist unanständig!« hat Ludwig XVI. nicht aufgehört zu versichern. »Man wird das Stück nicht aufführen,« hat er mit der ganzen Autorität des absoluten Monarchen hinzugefügt. Ist das nicht ein Riesenerfolg, eine sichere Gewähr für die Aufführung?! Der König will nicht, daß Figaros Hochzeit gespielt wird; ich aber schwöre, sie wird gespielt werden und wäre es auf dem Chor von Notre-Dame!

Das Antichambre will in den Salon, Frau Marquise, und Figaro reißt zu dem Zweck die Flügeltüren auf.

Sie glauben mir nicht? Sie weisen mich wieder darauf hin, mit welcher Begeisterung die Geburt des Dauphin begrüßt worden ist, wie »das Volk« Vivat schrie, wie »das Volk« den Namenszug des Neugeborenen als Broschen und Busennadeln trägt. Was ist »das Volk?!« Einmal ein Haufe märchenseliger Kinder, die in jedem Prinzlein einen Erlöser verzauberter Prinzessinnen sehen, das andere Mal eine Herde blutdürstiger Raubtiere, die Tauben mit derselben Gier verschlingen, wie Wildkatzen.

Sie wünschen noch ein Pariser Ragout? Cagliostro macht glänzende Geschäfte. Er ist, bei Gott, ein großer Erzieher, denn er beweist, daß man nur die Frechheit haben muß, Glassplitter für Edelsteine auszugeben, um alle Narren – d.h. die Mehrheit – glauben zu machen, daß sie es wirklich sind.

Die Redoute chinoise ist im Beisein der besten Gesellschaft eröffnet worden. Ein Variété, wo man Dirnenlieder singt und Vagabundengeschichten erzählt, eine Bildungsanstalt also, die bestimmt ist, in den Theatern für »das Volk« Platz zu machen. Die Übersättigten kehren bekanntlich immer zum Schweinefett als zu einer Delikatesse zurück.

Die Muse Rétifs de la Bretonne ist wieder einmal kläglich niedergekommen. Für ein Siebenmonatskind ist das Kleine recht lebhaft, und dabei von einer Natürlichkeit –! Zeigten seine älteren Geschwister nur den völlig feigenblattlosen Körper, so geht das jüngste so weit, auch seine primitivsten Funktionen blos zu stellen. Sein Erfolg ist selbstverständlich enorm. Ist das am Ende ein Beweis für unser Greisentum? An Exhibitionen berauschen sich immer nur Zeugungsunfähige.

Übrigens ist Herrn Rétif in dem Chevalier Choderlos de Laclos ein gefährlicher Konkurrent erstanden. Seine »Liaisons dangereuses« sind ein graziöses Büchlein, und wie Rétif der Rousseau der Gosse ist, so dürfte Laclos der Rétif der guten Gesellschaft werden.