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Friedrich Arnold Brockhaus - Erster Theil

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Die Zahlung der Kaufsumme hatte contractmäßig erst elf Tage nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 1. April, zu erfolgen, und da Johannes Müller diese Frist streng einhielt, so verzögerte sich Brockhaus' Abreise wieder.

Er schreibt mit Bezug darauf an Bornträger:

Ich sitze wie auf Nadeln. Denken Sie sich meine Stimmung und rechten Sie noch über Worte! Meine Empfindungen für Sie kennen Sie!

Heute sind zehn Dreispänner von Amersfoort hier durchgekommen, die nach Amsterdam gingen, um dort morgen für Leipzig zu laden. Ich habe selbst mit ihnen gesprochen. Wären nun unsere Sachen schon fertig, so könnten sie mit versandt werden!

An Hempel in Altenburg richtet er in dem bereits mehrfach erwähnten Briefe vom 30. März folgende Worte, die am besten seine Stimmung nach dem endlichen Abschlusse der amsterdamer Angelegenheiten wiedergeben:

Gebe Gott, daß ich endlich zur Ruhe komme und aufs neue thätig und nützlich wirken kann! Meine Sehnsucht nach dieser Ruhe und dieser neuen fruchtbringenden Thätigkeit ist unaussprechlich!

Am 1. April mittags konnte er endlich Amsterdam verlassen. Sein nächstes Ziel war Münster, wohin sein Bruder Gottlieb mit den Kindern von Dortmund kommen wollte, da Brockhaus wegen des Hiltrop'schen Processes Bedenken tragen mußte, jetzt seine Vaterstadt zu betreten. Er reiste über Arnheim, um seinen frühern Associé Mallinckrodt zu besuchen, und mußte dort wider Willen trotz seiner Ungeduld einen ganzen Tag bleiben, weil durch ein Versehen des Postillons sein Mantel in Amersfoort liegen geblieben war. So kam er einen vollen Tag später, als er gewollt, am 3. April abends, in Münster an. Dort fand er nur zwei seiner Kinder, Friedrich und Karoline, während die drei andern, Auguste, Heinrich und Hermann, in Dortmund zurückgeblieben waren.

Und noch ein anderer, größerer Schmerz sollte ihn hier treffen: die Nachricht von dem Tode seines Vaters! Dieser war am 26. März in seinem zweiundsiebzigsten Lebensjahre gestorben, und Gottlieb hatte es seinem Bruder tags darauf gemeldet, doch war der Brief wol nicht mehr rechtzeitig in Amsterdam eingetroffen. Dieser Trauerfall und die daraus hervorgehende Störung in den Familienverhältnissen waren wol auch die Ursache, daß weder die drei andern Kinder noch sein Bruder nach Münster kamen.

In jenem Briefe schrieb Gottlieb:

Lieber Bruder! Ich habe Dir eine Nachricht zu melden, welche Dein Herz auf das tiefste zerreißen wird. Unser guter, redlicher Vater ist seit gestern Morgen nicht mehr unter uns. Er starb mit Ruhe und Fassung; seine Leiden waren kurz. Wir haben Alles angewendet, um das Leben des guten Greises zu retten, sein Arzt, der Herr Krupp, ist in der Zeit mit mir fast nicht von seinem Bette gewichen, allein leider blieben alle unsere Bemühungen fruchtlos.

Noch gestern vor acht Tagen befand er sich recht wohl und war den ganzen Tag über besonders heiter, aß den Mittag noch mit vielem Appetit, trank den Nachmittag wie gewöhnlich seinen Thee und geht darauf nach dem Balken, um das Malz nachzusehen, weil wir brauen wollen. Hier sinkt er plötzlich nieder; ein Glück, daß gerade Jemand bei ihm war; mit Mühe wird er von oben heruntergetragen und legt sich darauf zu Bett, wo er sehr über Seitenstiche klagte. Wir ließen gleich unsern Arzt rufen, der ein Brustfieber prophezeite, welches auch den folgenden Tag eintrat, wozu sich bald noch andere bedenkliche Umstände gesellten.

Gern wäre der gute Vater noch bei uns geblieben, und er schied sehr ungern von dieser Welt. Ich habe indeß die Beruhigung, daß wir ihn immer mit Liebe behandelt, ihn in den vielen Krankheiten, die er in den letzten Jahren erduldet, mit Sorgfalt verpfleget und seine, den meisten alten Leuten anklebende Laune mit Nachsicht gern und willig ertragen haben. Er fühlte dieses auch oft sehr tief, da er sah, wie gern wir Alles gaben, um sein Alter so froh wie möglich zu machen.

Bei den vielen Unruhen, welche mich jetzt wegen dem Todesfalle unsers Vaters umgeben, ist es mir nicht wohl möglich, Dir heute mehr schreiben zu können; nur so viel, daß Dein Heinrich wohl und munter ist und gut lernt.

Daß Du wohl, glücklich und zufrieden leben mögest, wünsche ich von Herzen; Keiner in der Welt kann und wird daran innigern Antheil nehmen als

Dein treuer Bruder
G. Brockhaus.

In einem flüchtigen Briefe von Brockhaus an Bornträger aus Münster vom 5. April heißt es:

Ich hatte gehofft, auch die andern Kinder hier zu finden, allein die Freude war mir nicht gewährt. Noch hatte ich den Schmerz, hier auch den Tod meines vortrefflichen Vaters zu erfahren! Gestern habe ich mich hier verweilt. Heute geht's nun weiter, und ich hoffe bis Montag (8. April) in Altenburg zu sein. Von da also mehr.

Nun adieu. Ich danke Ihnen für alles Liebe und Gute!

Brockhaus nahm die beiden Kinder, die nach Münster gekommen waren, Friedrich und Karoline, gleich mit nach Altenburg, um daselbst, wie er längst gewünscht hatte, endlich wieder einen eigenen Hausstand zu begründen; die andern Kinder blieben einstweilen noch in Dortmund. Am 11. April schreibt er an Bornträger aus Altenburg, daß er glücklich dort angekommen sei.

Am 23. April reiste er für einige Tage nach Leipzig, kehrte am 28. nach Altenburg zurück, fuhr aber schon am 30. wieder nach Leipzig, um auf der Buchhändlermesse seine Angelegenheiten ganz in Ordnung zu bringen. Hier blieb er drei Wochen lang, bis zum 20. Mai, und hatte die Freude, seinen Zweck endlich der Hauptsache nach zu erreichen.

In welcher Weise dies geschah, sei in der Kürze und ohne in Details einzugehen mitgetheilt.

Die Berührung dieser Angelegenheit ist eine schmerzliche Pflicht für den Verfasser, als einen Enkel des Geschilderten; sie ist aber eben seine Pflicht, der er sich als gewissenhafter Biograph nicht entziehen kann und nicht entziehen will, und sie wird ihm dadurch wesentlich erleichtert, daß er gleichzeitig den für seinen Großvater höchst ehrenvollen Ausgleich der Angelegenheit mittheilen kann. Es sei also offen gesagt: daß Brockhaus sich in dieser Zeit genöthigt sah, mit seinen Gläubigern für sie mit größern oder geringern Verlusten verbundene Vergleiche abzuschließen, daß er aber später, sobald seine sich günstiger gestaltenden Verhältnisse es ihm erlaubten, freiwillig allen, trotz ihrer in aller Rechtsform ausgesprochenen Verzichtleistung, den damaligen Verlust mit Zurechnung aller Zinsen ersetzt hat: ein in der buchhändlerischen und überhaupt in der kaufmännischen Welt nicht eben häufig vorkommender Fall.

Einen eigentlichen Accord proponirte Brockhaus seinen Gläubigern nicht, sondern ließ ihnen zwischen zwei Modalitäten die Wahl: entweder sollten die Forderungen ein für allemal ausgeglichen werden, theils durch baare Zahlung (ein Drittel), theils durch Waaren (ein Drittel in Verlagswerken, ein Drittel in gangbaren Werken fremden Verlags aus dem amsterdamer Sortimentslager), oder sie sollten vollständig, aber nach und nach in Terminen, baar bezahlt werden. Die Mehrzahl der Gläubiger, besonders die Verlagsbuchhändler, wählten die erstere, andere, namentlich Buchdrucker und einige größere Verleger, die zweite Alternative, worüber die Verhandlungen sich theilweise noch bis zum Frühjahr 1812 hinzogen. Zu den Baarzahlungen wurde der größte Theil der aus dem Verkauf des amsterdamer Geschäfts gelösten Summe verwendet.

Brockhaus' Commissionär in Leipzig für den Verlag war bis gegen Ende 1810 die Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch gewesen, während die Buchhandlung W. Rein & Comp. die Expedition an das amsterdamer Sortimentsgeschäft besorgt hatte. Infolge seiner Differenzen mit der erstern Handlung wollte Brockhaus in dem Circular über den Verkauf seines Geschäfts an die Hofräthin Spazier die Rein'sche Buchhandlung als neuen Commissionär nennen, allein der Besitzer der letztern, Wilhelm Rein, war mit dem von Brockhaus beabsichtigten Arrangement nicht einverstanden und wollte deshalb die ihm übersandten Circulare, in denen er bereits als Commissionär genannt war, nicht ausgeben. Der von Brockhaus nach seiner Abreise von Leipzig mit Vertretung seiner dortigen Interessen beauftragte Professor Dr. Dabelow (der für ihn auch am 16. Juli 1810 ein Gutachten wegen des Hiltrop'schen Prozesses verfaßte) hatte sich ohne Brockhaus' Vorwissen an den Buchhändler Karl Heinrich Reclam (mit dem Brockhaus 1808 einen heftigen Streit gehabt hatte, weil er mit dessen Besorgung seiner Commission unzufrieden gewesen war) um Rath gewandt. Zu Brockhaus' Ueberraschung hatte Reclam diesen Rath »in sehr verständiger Form gegeben, und soll er bei dieser Gelegenheit überhaupt durchaus keine Animosität gezeigt haben«, wie Brockhaus an Bornträger schreibt. Reclam erklärte sich selbst zur Wiederübernahme der Commission bereit. Außer ihm boten sich dafür noch zwei andere leipziger Firmen an: Karl Cnobloch und Mitzky & Co. Brockhaus entschied sich für letztere Firma, die im November 1810 die Commission übernahm und bis Ende 1811 besorgte. Die Buchhandlung Mitzky & Co. wurde zu dieser Zeit an einen bisher in derselben arbeitenden Gehülfen, Wilhelm Engelmann, verkauft, der dieselbe am 20. December 1811 übernahm und unter seiner eigenen Firma fortsetzte; dieser besorgte von da an auch Brockhaus' Commission.

Die Buchhandlung, mit welcher es Brockhaus am schwersten wurde, zu einer Einigung zu gelangen, war die Firma Johann Friedrich Gleditsch, die, wie eben erwähnt, bis zu diesem Zeitpunkte Brockhaus' Commissionär gewesen war. Der Besitzer derselben, Karl Friedrich Enoch Richter, war es, der, wie früher mitgetheilt, zuerst streng gegen Brockhaus auftrat und dadurch dessen Abreise nach Altenburg veranlaßte, indem er den Ersatz für einen ihm von Brockhaus auf sein amsterdamer Geschäft gegebenen und dort durch ein Zusammentreffen von Umständen nicht eingelösten Wechsel in der dringendsten Weise verlangte. Brockhaus hat über Richter's damaliges Auftreten selbst Folgendes niedergeschrieben:

 

Er schlug die inständigsten Bitten, nur einen Posttag zu warten, ab; er wies alles accomodement durchaus von der Hand und verlangte auf den folgenden Tag baare und nur baare Zahlung. Herr Enoch Richter war die alleinige und einzige Ursache meiner Entfernung von Leipzig, weil er schlechterdings auf der Stelle in Geld befriedigt sein wollte.

Von Altenburg aus wurden weitere Unterhandlungen zwischen Brockhaus und Enoch Richter eingeleitet. Letzterer wollte gegen Abtretung des Verlagsrechts der »Urania« seine eigene Forderung und zugleich die des Bankiers Christian Friedrich Richter als ausgeglichen betrachten. Brockhaus war dazu auch bereit, zumal Enoch Richter ihm dafür eine ihn selbst überraschende hohe Summe bot. Indeß reute Enoch Richter dieses Anerbieten wieder, und er verlangte nun auch noch Abtretung des »Conversations-Lexikon«! Darauf konnte und wollte Brockhaus nicht eingehen. Nach langen Verhandlungen wurde endlich im Herbst 1811 eine Verständigung auf andern Grundlagen abgeschlossen. Enoch Richter konnte es sich dabei aber nicht versagen, Brockhaus' Auseinandersetzungen über ihre Verständigung als »schöne Phrasen« zu bezeichnen, was diesen am 8. December 1811 zu folgender Antwort veranlaßte:

Da von meinen Briefen Copie genommen wird, so habe ich mit der größten Resignation diesen letzten nochmal überlesen, und ich muß mir selbst das Zeugniß geben, daß ich endlich kein Wort darin habe zu finden vermocht, was jene Bezeichnung und Charakteristik verdiente, und ich kann dessen auch um so gewisser sein, da in meiner Seele nichts liegt, was diesen Charakter trüge, auch überhaupt es mein Wesen nur zu wenig ist, Phrasen zu machen, da ich alle Verhältnisse um mich her immer nur zu sehr in Wahrheit auffasse und mich darüber ausspreche. Da mir als Mensch dieser Ihr Vorwurf sehr schmerzhaft gewesen, so ist dies der einzige Punkt, gegen den ich in Ihrem Briefe reclamire, indem ich Ihnen die Versicherung gebe, daß der sonstige Inhalt mich befriedigt hat ... Weiter weiß ich nichts, und so wäre unsere Fehde doch nicht in Unehre geendet! Ich wünsche Ihnen alles Gute.

In spätern Jahren veränderten sich die Verhältnisse der beiden Männer und ihrer Firmen nicht unwesentlich; wir können nicht umhin, auf zwei solcher Momente kurz hinzuweisen.

Im Jahre 1819 hatte Brockhaus Veranlassung, aus Leipzig, derselben Stadt, in der sich die altberühmte Gleditsch'sche Buchhandlung seit ihrer Begründung befand, an den Besitzer derselben, Enoch Richter, der ihn acht Jahre vorher so hart behandelt und aus jener Stadt vertrieben hatte, als Besitzer einer weit jüngern, aber inzwischen zu immer größerer Bedeutung gelangten Buchhandlung, zu schreiben: er könne ihm weder mit Kasse noch mit fremden Papieren »aushelfen« (wegen der damals herrschenden Handelskrisis) und habe ihm die frühern 3000 Fl. nur »aus Gefälligkeit« überlassen. Jener hatte sich also schon zum zweiten male um Unterstützung an ihn gewandt.

Und eine noch eigenthümlichere Fügung des Schicksals ist es, daß die Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem ihr Besitzer, Enoch Richter, hatte liquidiren müssen, einige Jahre darauf mit dem größten Theile ihrer umfassenden Verlagswerke für eine ansehnliche Kaufsumme in den Besitz der Firma F. A. Brockhaus überging und Enoch Richter in den letzten Jahren seines Lebens von dieser literarisch beschäftigt wurde!

Enoch Richter war übrigens ein intelligenter Buchhändler und überhaupt ein begabter Mann. Von ihm rührt die Idee zu der großen »Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste« von Ersch und Gruber her, die seit 1818 in dem Gleditsch'schen Verlage erschien und mit diesem 1831 von der Firma F. A. Brockhaus erworben wurde. Ferner bearbeitete er 1830 für letztere das »Vollständige Handwörterbuch der deutschen, französischen und englischen Sprache«, welches so großen Beifall fand, daß es 1870 in neunter umgearbeiteter Auflage erscheinen konnte. Richter starb in Hamburg am 15. October 1831, und dies war gerade der Tag, an dem die Gleditsch'sche Buchhandlung das Eigenthum der Firma F. A. Brockhaus wurde!

Die Gleditsch'sche Buchhandlung (über deren Geschichte einige Angaben hier wol am Platze sind) war 1693 von Johann Friedrich Gleditsch in Leipzig gegründet worden, nachdem derselbe schon seit 1681 die Buchhandlung von Johann Fritsch geleitet hatte. Nach seinem Tode (26. März 1716) von einem Sohne fortgeführt, kam sie später in den Besitz von Wilhelm Heinsius (bekannt durch das von ihm begründete und herausgegebene, später ebenfalls in den Verlag von F. A. Brockhaus übergegangene »Allgemeine Bücher-Lexikon«); 1805 von Enoch Richter angekauft, wurde sie Ende 1827, als dieser sich genöthigt sah, zu liquidiren, von Johann Friedrich Schindler übernommen, nach dessen Tode (15. December 1828) von seiner Tochter Anna Therese, verehelichten Dr. Hahn; diese trat sie am 14. April 1830 an Christian Reichenbach's Erben & Compagnie ab, worauf sie endlich, wie bereits erwähnt, am 15. October 1831 an die Firma F. A. Brockhaus überging. Von letzterer wurde die alte Firma Johann Friedrich Gleditsch, nachdem sie unter diesem Namen ihres Begründers 138 Jahre lang bestanden und zu den angesehensten deutschen Buchhandlungen gehört hatte, nicht weiter fortgeführt, sondern deren Verlag (mit Ausnahme einiger vorher bereits an andere Verlagshandlungen verkauften Werke) mit dem ihrigen vereinigt.

Fast so schwer wie mit Enoch Richter war für Brockhaus eine Verständigung mit dem Bankier Friedrich Christian Richter, der mit ihm während der letzten Jahre in lebhaftem geschäftlichen und selbst in freundschaftlichem Verkehr gestanden hatte, wenn auch, wie die von uns früher mitgetheilten Briefe zeigen, vorübergehend Störungen darin eingetreten waren.

Der jetzt zwischen Beiden geführten Correspondenz verdanken wir folgenden Brief, der Brockhaus' ganze Lage in dieser Periode mit manchen bisher noch nicht erwähnten Details klar darlegt, am 21. April 1811 aus Altenburg an den frühern Freund gerichtet:

Zwischen meinem Bevollmächtigten, Herrn Friedrich Ferdinand Hempel hier, und Ew. Wohlgeboren haben seit dem vorigen October schriftliche mich betreffende Unterhaltungen stattgehabt, die mir sämmtlich zur Kenntniß gekommen sind.

In dem letzten Briefe, womit Ew. Wohlgeboren ihn beehrt haben, erklärten Sie sich auf die Anfrage, ob Sie geneigter seien, Ihre Forderung an mich auf Termine zu setzen und sie dann ganz zu empfangen, oder ob Sie es vorzögen, mit der Lage der Dinge angemessenen Aufopferungen eine sofortige Liquidation zu erhalten: daß Sie auf jenes nie eingehen würden, wohl aber in Erwägung der Umstände sich zu diesem verstehen dürften. Eine gleiche oder ähnliche Antwort ging von allen übrigen Creditoren ein.

Die Aufgabe war also jetzt, Fonds zu finden, um dem Ansinnen und dem Drange der Creditoren zu begegnen. Der Natur der Verhältnisse wegen mußten die Creditoren sämmtlich und auf einmal befriedigt werden, und es war demnach ein bedeutendes Kapital nothwendig. Wären die Creditoren gleich nach der Michaelismesse dem Vorschlage des Herrn Hempel beigetreten, mir provisorisch für eine gewisse Zeit Ruhe zu lassen und persönliche Sicherheit zu garantiren, wogegen er sich dann verpflichten wolle, ein den Umständen angemessenes Kapital durch Negociation herbeizuschaffen, so würden die Creditoren einerseits schneller sein befriedigt worden, sie würden gewiß bessere Bedingungen als jetzt erhalten haben, und für mich wären die schweren Aufopferungen nicht nöthig gewesen, die ich nachher zu machen bin gezwungen worden. Die respectiven Creditoren wiesen jenen gutgemeinten Vorschlag, der Alles vielleicht geeinigt hätte, von der Hand, und so wie für sie selbst mit, so entstanden auch für mich aus seiner Verwerfung sehr unangenehme Resultate. Einzelne von den Creditoren suchten mich gerichtlich zu verfolgen, woraus odiose und kostbare Processe entstanden. Hierdurch und durch die Heftigkeit und die Leidenschaft, womit wieder Andere sich gegen mich erklärten, wurde das Vertrauen, das man gegen mich und meine Angelegenheiten gezeigt hatte und welches Vertrauen mir jene Fonds würde verschafft haben, geschwächt! Das schwere neue häusliche Unglück, das durch die fürchterliche Krankheit der Frau Hofräthin Spazier, die in jener Periode nach einem heftigen Nervenfieber ihres Verstandes beraubt wurde, mich traf und mich in namenlosen neuen Jammer stürzte, kam hinzu, um jedes Vertrauen zu meiner äußern Lage, da ohnehin das Geschäft jetzt ganz in Stockung gerieth, also täglich schlechter wurde, vollends zu zernichten!

Bei diesem neuen Stande der Dinge blieb nichts Anderes übrig als Concurs, der aber den Creditoren Alles entzogen hätte bei der Priorität meiner Kinder, oder schnelle Aufopferung von allen concurrirenden Theilen (den Creditoren, von mir und den Vormündern der Kinder), wenn wenigstens Etwas gerettet, jene nicht Alles verlieren und ich nicht ganz zu Grunde gehen sollte.

Pflicht der Menschlichkeit verbot es mir indessen, meine Freundin in ihrem schrecklichen Zustande zu verlassen. Das habe ich auch damals nicht gethan, trotz allen Gefahren, die mich umringten, obgleich gegenwärtig unsere Verhältnisse gänzlich getrennt sind. Erst als ich die arme unglückliche Frau nach einiger Genesung in Begleitung ihrer Schwester, der Gattin Jean Paul Richter's, nach Berlin zu ihrem Vater zurückgebracht hatte, konnte und durfte ich mich wieder mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen! Wie sehr sich solche aber verschlimmert hatten, bedarf keiner Ausführung!

In diesen Zeitpunkt ohngefähr oder etwas früher fällt Herrn Hempel's obengedachte Anfrage und auch Ihre Antwort, und wir haben jetzt den Stand- und Zeitpunkt wieder, von dem mein heutiges Schreiben oben ausging.

Bei der Unmöglichkeit also, außer in mir selbst anderwärts Fonds zu finden, blieb Nichts weiter übrig, als sich solche zu jedem Preise und mit jeder Aufopferung durch Verkauf von Eigenthum zu verschaffen. Ich beschloß demnach, die Sortimentshandlung in Amsterdam loszuschlagen, und ich reiste zu diesem Endzweck Anfang März von Altenburg nach Amsterdam. Meine dortige Bilanz, die ich Ihnen vorlegen kann, wie ich Ihnen Alles, was ich sage, durch Documente zu beweisen im Stande bin, hatte im November noch einen Ueberschuß von 30000 Fl. (nominell, obgleich Alles ordentlich geschätzt und inventirt) dargeboten. Allein sowol durch die jetzige Lage Hollands, da drei Viertel des Nationalvermögens seit zwölf Monaten nach und nach verschwunden ist, da alle öffentlichen Anstalten, Universitäten, Institute &c., denen ihre Fonds sämmtlich auf Nationalpapieren beruhen, durch die Tiercirung der Zinsen unfähig sind zu zahlen und zu kaufen, da endlich die eigentlichen Nahrungsquellen dieses Landes durch die jetzigen Maßregeln versiegt sind, — so war, wie man erwarten mußte, jetzt dort Alles entwerthet.

Meine Handlung war ohnehin seit dem November größtentheils in Stockung gerathen und unterbrochen worden; dagegen waren die Unkosten fortgegangen; schwere Abgaben waren zu leisten gewesen, drückende Einquartierungen hatten stattgehabt; mein und der Handlung Credit war infolge aller Störungen zernichtet; mehrere Gläubiger auch dort hatten alle disponibeln Kräfte durch ihren Druck ausgesogen.

Jeder Billige und Verständige wird einsehen, wie unter solchen Verhältnissen der Kapitalwerth meines dortigen Eigenthums seit sechs Monaten mußte geschwächt worden sein, wie er täglich mehr schwinden mußte, und welche Aufopferungen ich werde zu machen gezwungen gewesen sein, um dasjenige, was noch dort war, schnell oder vielmehr auf der Stelle gegen gleich baare Zahlung oder doch solche Garantien, auf welche ich baare Fonds negociiren könnte, zu realisiren! Ich habe aber alle diese Aufopferungen nicht gescheut und nicht scheuen dürfen, und so habe ich mit einem reellen Verluste von wenigstens 20000 Fl. dort ein Kapital gerettet, das ich jetzt bei meiner Zurückkunft aus Holland auf der Stelle meinen Creditoren hier anbiete!

Zwar gehört dies Kapital streng genommen meinen Kindern, und wenn ich auf das Aeußerste hinauf- oder hinausgetrieben werde, so wird es auch nur ihnen. Ich persönlich gehe dann zwar unter, und man erreicht dann darin das, was man oft nur zu wollen geschienen hat oder gesucht; aber Jene, die armen verwaisten Kinder, thun es doch nicht. Ich sage, das Kapital gehört streng genommen zwar diesen, allein die Hoffnung, daß, einmal gründlich debarrassirt von allen Störungen und Hindernissen, es mir gelingen werde, durch neue Thätigkeit wieder zu erwerben, was jetzt dahingegeben wird, hat mich den Entschluß fassen lassen, es darauf zu wagen, jetzt alles Disponible nur hinzugeben, um nur zu neuer und geregelter Thätigkeit zurückkehren zu können!

 

Was wir bei dieser Lage der Umstände anzubieten und zu geben im Stande sind, haben wir auch Ew. Wohlgeboren durch Herrn Mitzky anbieten lassen.

Es ist Niemand, der es schmerzhafter fühlt als ich selbst, wie schwer jedem einzelnen Creditor die Aufopferung fallen muß, die ich ihm zumuthe. Aber hier ist einmal kein anderes Mittel. Jetzt ist nicht mehr da. Und es wird nie mehr da sein als jetzt. Jedem Creditor muß die Wahrheit dieser Anführungen in die Augen springen.

Nur von dem, was vom Verlagsgeschäft nach und nach spärlich eingeht, und weiter von zu hoffender fremder Unterstützung soll und kann das neue Leben begonnen werden. Kann ich aber über Jenes anticipirend verfügen? Kann ich diese einmal begehren oder suchen oder annehmen, solange das Alte nicht vorab geordnet ist?

Gelingt es mir dagegen, einst neue Kräfte zu erhalten, so wird mein Ehrgefühl mich von selbst bestimmen, das aus eigenem Motive nachzuholen, was jetzt aufgeopfert wird.

Ew. Wohlgeboren haben mündlich und schriftlich gegen Hempel sich mit Härte und Wegwerfung, ja selbst mit Beschimpfung über mich ausgedrückt. Ich antworte darauf nur: Ich habe es nicht verdient!

Alles, was geschehen, ist durch das Gedränge der gebietendsten Ursachen veranlaßt worden. Ich habe durch unverschuldete Verluste, durch äußere Ursachen, die weder vorherzusehen noch zu berechnen waren, schwere Verluste gehabt. Tod und Krankheit hat meine moralischen und meine physischen Kräfte lange gelähmt.

Alles, was ich Ihnen je in vertrauten Stunden gesagt, Ihnen in vertrauten Briefen geschrieben, ist wahr gewesen. Ich habe Ihnen nie ein wesentliches Wort gelogen. Ueber den einen speciellen Vorwurf, den Sie mir direct und indirect gemacht, kann ich mich rechtfertigen.

Werfen Sie jetzt noch einen Stein auf mich!

Das Einzige, worüber ich mir Vorwürfe mache, wozu aber Sie nicht das Recht haben, waren meine Verhältnisse zu einer geistreichen und liebenswürdigen Frau, deren eigene Verhältnisse zur Welt mir aber unbekannt waren. Aber diese haben auch nur von mir dürfen entdeckt werden, um eine Verbindung für immer in dem Augenblick aufzuheben, wo es mein Gefühl für Menschlichkeit und die Gesetze der Ehre erlaubten!

Ich komme jetzt zur Hauptsache. (Folgen detaillirte Vorschläge.)...

Wer Geschäfte kennt und die Erfahrung hat wie Sie, der weiß, daß ein einmal stockendes Geschäft täglich schlechter wird. Bewilligte man mir im October provisorische persönliche Ruhe und Sicherheit, so konnten und würden wir gewiß weit bessere Offerten machen wie jetzt. Schlägt man diese jetzigen abermalen aus, so werden die, welche wir über sechs Monate machen können, von neuem in derselben Progression schlechter sein! Dies ist mathematisch nothwendig.

Ich will es nicht versuchen, Sie durch irgend weitere und andere Mittel, als es die vorstehend gegebene einfache Exposition aller Verhältnisse gewesen ist, überreden und bestimmen zu wollen! Sie sind zu einsichtsvoll, um nicht die Lage der Dinge zu würdigen, und zu edel, um mich zur Verzweiflung treiben und vindicativen Gesinnungen Gehör geben zu wollen. Sollten Sie einen unserer Vorschläge annehmen, so wird der Betrag nach Regulirung der Rechnung augenblicklich nach empfangener Nachricht, die Sie gefälligst Herrn Mitzky mittheilen wollen, baar angewiesen oder bezahlt.

Dieser Brief blieb nicht ohne Erfolg, und Richter nahm in der Hauptsache die ihm gemachten Vorschläge an.

Brockhaus hatte so nach der Rückkehr von der leipziger Ostermesse des Jahres 1811 zum ersten male nach langer Zeit die Beruhigung, wieder festen Fuß fassen zu können. Die Regelung einiger anderer Rechnungsverhältnisse (namentlich mit der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Tübingen, Friedrich Vieweg in Braunschweig und Heinrich Gräff in Leipzig) zog sich noch bis zur Ostermesse 1812 hin, ohne indeß den Wiederbeginn seiner Thätigkeit zu stören.

Daß aber Brockhaus seines (auch in dem eben mitgetheilten Briefe gegebenen) Versprechens eingedenk war und dasselbe im vollsten Sinne des Wortes einlöste, zeigt der von einem angesehenen leipziger Advocaten unterm 15. März 1820 an Brockhaus' frühere Creditoren in dessen Auftrage gerichtete Circularbrief, welcher der Zeit vorgreifend gleich hier folgen möge:

Ich bin von Herrn Brockhaus hier mit einem Auftrage beehrt worden, dessen ich mich hierdurch mit besonderm Vergnügen entledige.

In den Jahren 1811-1812 kam, wie Sie sich erinnern werden, das Geschäft unter der Firma: Kunst- und Industrie-Comptoir in Amsterdam, aus Ursachen mancherlei Art in die unangenehme Lage, seine Creditoren um Nachsicht bitten zu müssen. Diejenigen derselben, welche diese Nachsicht zugestanden, wurden innerhalb eines Jahres vollständig befriedigt. Ein anderer Theil, wozu auch Ew. Wohlgeboren gehörten, lehnte diese Nachsicht ab und zog die ihnen gegebene Alternative vor, gegen gleich baare Zahlung einen Theil ihrer Forderungen freiwillig aufzuopfern.

Zur Findung der hierzu erforderlichen Fonds wurde das Sortimentsgeschäft der gedachten Firma für die Summe von 7000 Gulden und mit einem Verluste von wol 30000 Gulden verkauft, ein Umstand, den ich wie den, daß die im Laufe von 1811 nachgelieferten und während 1810 theilweise zurückgehaltenen Journale vom Jahre 1810 am Ende nicht mehr in Holland, das in der Zwischenzeit die französischen Gesetze bekommen hatte, eingeführt werden konnten und sämmtlich confiscirt wurden, welches einen Verlust von abermals gegen 5000 Gulden an Journalcontis nach sich zog, zur richtigen Beurtheilung der damaligen Verhältnisse mir besonders deshalb anzuführen erlaube, weil dieses amsterdamer Sortimentsgeschäft und was damit verbunden, eigentlich den Kindern erster Ehe des Herrn Brockhaus hätte zugewendet werden müssen, Herr Brockhaus es aber verlangte, daß es auf diese Weise verwendet wurde.

Herr Brockhaus war der Chef der gedachten Firma sowie der alleinige bekannte Eigenthümer derselben gewesen. Nach dieser Stockung hörte die alte Firma auf, und das Geschäft wurde unter dem Namen des Herrn Brockhaus und von jetzt an für seine alleinige Rechnung fortgesetzt.

Es war von jeher die Absicht des Herrn Brockhaus, jene Nachlasse, ob sie gleich freiwillig zugestanden waren und eine einjährige Nachsicht sie ganz überflüssig gemacht und auch jenes Geschäft gerettet hätte, unter günstigern Umständen nachzuberichtigen, und er hat auch diejenigen, welche ihm eine höhere moralische Verbindlichkeit zu haben schienen, successive längst beseitigt und vollständig liquidirt.

Gegenwärtig, nachdem auch seine Kinder erster Ehe vorab für jene Verluste beim Verkauf des amsterdamer Geschäfts vollständig von ihm entschädigt worden sind, hat er infolge jener Absicht sich entschlossen, diejenigen Nachlasse, welche in gedachten Jahren der Firma des Kunst- und Industrie-Comptoirs zugestanden und die noch nicht von ihm ersetzt worden, ohne Ausnahme und mit den Zinsen, vom 1. Januar 1813 an gerechnet, sämmtlich nachzuliquidiren, und ich bin in Gemäßheit dieses Vorsatzes beauftragt, Ew. Wohlgeboren, welche sich in diesem Fall befinden, über den damaligen Abschluß der Rechnung mit dem Kunst- und Industrie-Comptoir um einen Abzug in duplo zu ersuchen.

Ich habe diese Notification folgenden Handlungen zu machen (folgen die betreffenden Namen), indem diese, soviel Herrn Brockhaus bewußt, die einzigen sind, gegen welche noch Verbindlichkeiten der gedachten Art zu erfüllen wären. Da Herrn Brockhaus es beehrgeizt, daß auch Niemand jetzt übergangen bleibe, so wünscht er, daß, im Fall Ihnen noch Jemand bekannt sei, der hier nicht genannt ist und sich im gleichen Falle befinde, Sie diesen veranlassen möchten, sich mir zu erkennen zu geben.

Weil diese Angelegenheit sich nicht durch die Handlungsbücher des Herrn Brockhaus ziehen läßt, sondern von ihm privatim liquidirt wird, so wollen Ew. Wohlgeboren Ihre Mittheilungen darüber nebst den schon gedachten Auszügen auch nicht direct an Herrn Brockhaus, sondern an mich adressiren, wie Sie denn auch durch mich späterhin nach erfolgter Verification die Valuta erhalten werden ...

Herr Brockhaus theilt Ihnen zugleich seinen aufrichtigen Wunsch mit, daß, was zwischen Ihnen und ihm in jener Vergangenheit liege, und das, wo man sich gegenseitig möge oder könne gekränkt haben, rein und völlig vergessen sei oder es werde.

Er ersucht Sie, ihm dieselben wohlwollenden und freundschaftlichen Gesinnungen zu widmen, welche er gegen Ew. Wohlgeboren zu hegen vollkommen geneigt ist.

Dieses Schreiben bildet wol den würdigsten und versöhnendsten Abschluß der Sturm- und Drangperiode in Brockhaus' Leben und bedarf keines weitern Commentars von unserer Seite; wir versagen uns deshalb auch die Wiedergabe der ebenso große Ueberraschung als Befriedigung zeigenden Antworten, die darauf von allen Seiten eingingen.