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Aus meinem Leben. Zweiter Teil

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Die Bildung einer neuen Fraktion werde nur den Gegnern der Arbeitersache nützen. Dieselben würden aufs neue über diese Spaltung jubeln und darauf hinweisen, daß die Arbeiter zur Leitung ihrer Angelegenheiten unfähig, als Partei ungefährlich seien, da sie trotz aller prinzipiellen Uebereinstimmung sich nicht einigen könnten, sondern rein formeller und persönlicher Bedenken wegen sich gegenseitig zerfleischten. Ein weiterer zwingender Grund für die Einigung sei die Verhütung der Zersplitterung der geistigen und materiellen Kräfte der Arbeiter. An beiden litten die Arbeiter keinen Ueberfluß. Je mehr Fraktionen, je mehr Verwaltungen müßten geschaffen werden. Diese kosteten Geld, und so würden die sauer erworbenen Groschen der Arbeiter allein durch diesen Verwaltungsapparat aufgezehrt. Statt die Gelder zur Bekämpfung der Bourgeoisie und der Reaktion zu verwenden, bekämpfe man sich gegenseitig, die nicht im Ueberfluß vorhandenen geistigen Kräfte würden in diesem selben Kampfe verbraucht und aufgerieben, ohne Nutzen für die Gesamtheit. Wohl sei mir bewußt, daß man hauptsächlich zwei Bedenken gegen die Verschmelzung habe. Das eine sei unser angebliches Bündnis, wohl gar Verquickung mit der Volkspartei, das andere unsere Organisation, die man als eine zu wenig einheitliche ansehe. Beide Einwände beruhten auf Vorurteilen, durch diejenigen geschickt verbreitet und in die Massen eingepflanzt, welche aus einer Berührung der Arbeiter mit dem demokratischen Bürgertum für ihre eigene Stellung fürchteten (Schweitzer, Mende) und unter der Firma: „Kampf gegen die radikale Bourgeoisie“, ihr Einverständnis mit der Reaktion verbergen wollten. Volkspartei und sozialdemokratische Arbeiterpartei seien zwei vollständig getrennte Parteien, jede habe ihr eigenes Programm und ihre eigene Organisation. Was das Programm unserer Partei betreffe, so brauchte ich es nicht weiter zu entwickeln, da man es ja nahezu wörtlich auch diesem Kongreß zugrunde gelegt, unser Programm gehe aber in seinem ersten Teile noch weiter, indem es das internationale Programm in schärfster Fassung enthalte und klar und scharf seine Stellung auch zum bestehenden Staate formuliere. Die „Volkspartei“ sei insofern mit uns einverstanden, als sie unsere politischen Forderungen und auch einige unserer sozialen (Normalarbeitstag, Verbot der Kinderarbeit) in ihrem Programm habe, also ein gewisses Stück Weg neben uns hergehe. Sie in den Punkten zu bekämpfen, in denen sie gleicher Meinung mit uns sei, sei Torheit; selbstverständlich würden wir ihr aber überall da entgegentreten, wo Differenzen zwischen ihr und uns beständen, also vorzugsweise auf dem sozialen Gebiet. Die Volkspartei sei, das wüßten wir genauer als jeder andere, eine Partei, die aus vermiedenen Elementen zusammengesetzt sei. Sie bestehe aus großdeutschen konstitutionellen Monarchisten, bürgerlichen Republikanern und einer kleinen Zahl von Leuten, welche im wesentlichen auch unser soziales Programm anerkennten, letztere seien indes sehr in der Minderheit. Einig sei die Volkspartei in dem Kampfe gegen die großpreußischen Tendenzen, den Militarismus und Zäsarismus und bekämpfe von diesem Standpunkt aus mit uns auch die uns feindlich gesinnte Fortschritts- und nationalliberale Partei. Wir ständen also zur Volkspartei in keinem anderen Verhältnis, als es sich aus der Natur der beiderseitigen Standpunkte von selbst ergebe. Habe doch Lassalle dasselbe der Arbeiterpartei gegenüber der Fortschrittspartei im Jahre 1863 angeraten, ja Lassalle habe sogar an mehreren Stellen seiner Schriften über „Verfassungswesen“ sich selbst als Mann der Volkspartei bezeichnet. Ebenso haltlos wie die beständigen Vorwürfe über unser Verhalten zur Volkspartei seien die Einwendungen gegen unsere Organisation. Lebten wir in Deutschland in einem freien Staat, dann verstünde sich von selbst, daß wir nur praktische Gründe bei Entwerfung einer Organisation im Auge zu behalten hätten. Deutschland sei aber kein Freistaat, sondern bestehe aus Staaten, die zum größten Teil sehr reaktionär seien, und in denen die Macht der Gesetze sich unliebsamen Volksorganisationen sehr fühlbar mache. Die Auflösung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Sachsen, die Schließung der vielen Gemeinden in Preußen, der Beschluß des preußischen Obertribunals gegen den schleswig-holsteinischen Wahlverein, der eine ähnliche Organisation gehabt habe wie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, die neuesten Vorgänge in Bayern bewiesen, wie das Gesetz jederzeit die Organisation vernichten könne. Hätte Schweitzer die Urteile der Untergerichte über seinen Verein durch alle Appellinstanzen verfolgt, das Obertribunal hätte zweifellos die Organisation als ungesetzlich anerkannt und wäre damit das Verbot des Vereins für Preußen ausgesprochen worden. Schweitzer habe sich davor gehütet, und wenn sein Verein dennoch existiere, dann habe er dies einzig und allein der Gunst zu verdanken, deren er sich notorisch von seiten des Berliner Polizeipräsidiums und der Regierung zu erfreuen habe. Wir müßten eine Organisation schaffen, die mit der Einheitlichkeit zugleich die formelle Unabhängigkeit der Parteimitglieder an den einzelnen Orten vor dem Gesetz möglich mache. Die Einheitlichkeit der Partei sei gewahrt in dem von der Partei gewählten und in seinen Machtbefugnissen scharf begrenzten und zugleich kontrollierbaren Parteiausschuß, wodurch jede „Führerschaft“ beseitigt und der Herrschaft einer einzelnen Person ein für alle Mal ein Ende gemacht sei; ferner in regelmäßigen Steuern, die monatlich jedes Parteimitglied leistet; und endlich in dem Parteiorgan, das Eigentum der Partei sei, zu Privatzwecken also nicht benutzt werden könne. Durch diese Einrichtungen sei also die Möglichkeit einer kräftigen Agitation zur Verbreitung der Partei und die Geltendmachung des Parteiwillens in allen Fragen gegeben. In den Lokalvereinen könnten die Parteigenossen die Parteiangelegenheiten in der ungehindertsten Weise besprechen und die lokale Agitation betreiben, ohne daß das Gesetz eingreifen könne. Daß die von uns angenommene Organisation wirklich und nicht bloß in der Einbildung gut sei, beweise, daß trotz aller Verfolgungen, welche die Partei vom ersten Tage ihres Bestehens zu erdulden gehabt habe, die Organisation noch nicht angetastet worden sei, weil man es einfach nicht könne. Mit einer Organisation, wie sie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein habe, würden wir längst zugrunde gerichtet worden sein.

Habe die Polizei das Urteil des Obertribunals auf den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein nicht angewandt, so kennzeichne das mehr als alles andere das gute Einvernehmen des Chefs des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit der preußischen Polizei. Wir hätten uns einer solchen Gönnerschaft nicht zu erfreuen, wollten sie auch nicht haben, müßten also unsere Organisation so einrichten, daß sie gegen polizeiliche Uebergriffe sicher sei. Die Form sei übrigens für uns Nebensache, die Hauptsache sei das Prinzip und seine Anwendung. Wir gehörten nicht zu denen, die als Orthodoxe die äußere Form über die Sache setzten, wir hielten die Organisation keineswegs für unverbesserlich. Jedes Mitglied der Partei könne seinen Einfluß für Aenderung derselben geltend machen, und gelänge es ihm, die Majorität hierfür zu gewinnen, dann sei der Wille derselben entscheidend; die ganze Verfassung der Partei sei mit einem Worte demokratisch.

Ich hatte mit meinen Ausführungen kein Glück. Die Einberufer stießen sich an unserer Stellung zur Volkspartei, die man, gerade weil sie ein radikales Programm habe, als gefährlich am schärfsten bekämpfen müsse. Auch passe ihnen unsere Organisation nicht.

In dem Bericht, den ich in Nr. 10 des „Volksstaat“ von 1870 veröffentlichte, führte ich noch aus:

Ich ergriff wiederholt das Wort und widerlegte die aufgestellten Bedenken, sah aber sehr bald ein, daß alles Reden unnütz sei, da man einmal fest entschlossen war, eine vierte Arbeiterfraktion mit dem ganzen bureaukratischen Apparat einer solchen zu konstituieren. Ich erklärte darauf, daß ich mein Mandat als erledigt betrachte und an den öffentlichen Verhandlungen nur insofern noch teilnehmen würde, um eine Erklärung über meine Stellung zu dem Kongreß abzugeben.

Als kurz darauf die öffentliche Versammlung wieder aufgenommen wurde, legte ich die Gründe dar, die mich verhinderten, weiter an den Verhandlungen mich zu beteiligen. Zugleich benutzte ich diese Gelegenheit, um nochmals öffentlich die Vorurteile entschieden zurückzuweisen, die noch als Erbstück Schweitzerscher Erziehung gegen unsere Partei in der Versammlung vorhanden sein möchten. Nachdem ich geendet, zog ich mein Mandat zurück und verließ mit unseren Parteigenossen den Saal.

War die mir offiziell übertragene Mission auch als gescheitert zu betrachten, so habe ich dennoch die moralische Ueberzeugung von Augsburg mitgenommen, daß die Masse der Arbeiter es müde ist, sich kleinlicher persönlicher oder formeller Bedenken wegen gegenseitig in die Haare zu geraten. Die Arbeiter begreifen, daß nur in festem Zusammenhalten, in der Vereinigung aller Kräfte die Gewähr des Sieges für sie liegt, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht trotz der jetzt konstituierten vierten sozialdemokratischen Fraktion der Zeitpunkt sehr nahe herangekommen wäre, wo der vollständige Eintritt in die sozialdemokratische Arbeiterpartei stattfinden wird.

Die hier ausgesprochene Hoffnung erfüllte sich rasch. Bereits im Juni fand auf dem Stuttgarter Kongreß eine Verständigung und der Uebertritt der bayerischen Fraktion in unsere Partei statt. Auf meiner Rückreise von Augsburg hielt ich in München eine Volksversammlung ab, in der als Zuhörer der damals zwanzigjährige Georg v. Vollmar anwesend war, wie er mir gelegentlich erzählte.

Der Monat Januar 1870 war für mich noch insofern von besonderem Interesse, als der Rat der Stadt Leipzig beschloß, dem Arbeiterbildungsverein den Rest der städtischen Unterstützung von 200 Taler jährlich zu entziehen, weil der Verein sich für das Eisenacher Programm erklärt hatte. Die Stadtverordneten beschlossen wenige Tage darauf nach einer heftigen Debatte mit 27 gegen 16 Stimmen, dem Beschluß des Rats beizutreten. An demselben Abend wählte mich der Verein wieder mit 121 gegen 20 Stimmen zu seinem Vorsitzenden.

 
* * * * *

Die Agitation zur Ausbreitung der Partei wurde seit Eisenach von uns in ganz Deutschland mit allen Kräften betrieben. Unter den zahlreichen Versammlungen, die auch ich abhielt, waren zwei in Plauen im Vogtland gegen Dr. Max Hirsch dadurch von besonderem Interesse, daß der Inhalt meiner Reden zu einer neuen Anklage gegen mich wegen Verbreitung staatsgefährlicher Lehren Veranlassung gab. Als dann noch vor Erledigung dieser Anklage das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund Geltung erlangte, das diese Bestimmung des sächsischen Strafgesetzes nicht enthielt, wurde das Material in dem nachher eingeleiteten Hochverratsprozeß wider mich verwertet. Diese Versammlungen, die an zwei Abenden hintereinander stattfanden, weil in der ersten die Debatte nicht zu Ende kam, endeten mit einer vollständigen Niederlage Dr. Max Hirschs, der damals Vertreter für den Plauener Wahlkreis im norddeutschen Reichstag war. Zwei Jahre zuvor war ich Dr. Max Hirsch auch in seiner Vaterstadt Magdeburg entgegengetreten und hatte ihm hier ebenfalls eine große Niederlage beigebracht. In einer späteren Magdeburger Versammlung, in der ich Schweitzers Treiben scharf kritisierte, warf ein fanatischer Zimmerer ein Bierglas nach mir, das hart an meinem Kopf vorbeiflog und an der Wand zerschellte. Wäre ich getroffen worden, so würde ich höchst wahrscheinlich einen Schädelbruch davongetragen haben. Diese Zeilen wären dann wohl nicht geschrieben worden. Das waren eben Liebenswürdigkeiten, mit denen sich damals die feindlichen Brüder traktierten.

* * * * *

Der Stuttgarter Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei war von uns auf den 4. bis 7. Juni einberufen worden. Anwesend waren 74 Delegierte. Unter den Gästen befand sich auch Eduard Vaillant mit seinem Freunde Dr. Mülberger, deren Bekanntschaft ich damals machte. Nach den Bestimmungen der norddeutschen Bundesverfassung mußten Ende August 1870 die Neuwahlen zum Reichstag stattfinden – die nachher der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges verhinderte – und so war die Frage der Taktik bei den Wahlen ein Hauptthema in den Verhandlungen. Liebknecht und ich, die wir über die praktische Beteiligung im Parlament in Meinungsverschiedenheiten geraten waren, worüber ich noch an anderer Stelle berichte, hatten uns auf folgende Resolution verständigt:

„Die sozialdemokratische Arbeiterpartei beteiligt sich an den Reichs- und Zollparlamentswahlen lediglich aus agitatorischen Gründen. Die Vertreter der Partei im Reichstag und Zollparlament haben, soweit es möglich, im Interesse der arbeitenden Klasse zu wirken, im großen und ganzen aber sich negierend zu verhalten und jede Gelegenheit zu benutzen, die Verhandlungen beider Körperschaften in ihrer ganzen Nichtigkeit zu zeigen und als Komödienspiel zu entlarven.

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei geht mit keiner anderen Partei Allianzen oder Kompromisse ein, dagegen empfiehlt der Kongreß bei den Wahlen zum Reichstag und Zollparlament da, wo die Partei einen eigenen Kandidaten nicht aufstellt, solchen Kandidaten ihre Stimmen zu geben, die wenigstens in politischer Hinsicht wesentlich unseren Standpunkt einnehmen. Namentlich empfiehlt der Kongreß in den Bezirken, wo die Partei von Aufstellung eigener Kandidaten absieht, von anderen Parteien aufgestellte wirkliche Arbeiterkandidaten zu unterstützen.“

Werth-Barmen beantragte, die Nichtbeteiligung an den Wahlen auszusprechen; die Resolution sei inkonsequent. Dieser Antrag wurde abgelehnt und unsere Resolution angenommen.

Darauf kam die Grund- und Bodenfrage zur Verhandlung, für die ich Berichterstatter war. Die von mir vorgeschlagene Resolution lautete:

„In Erwägung, daß die Erfordernisse der Produktion wie die Anwendung der Gesetze der Agronomie – wissenschaftlichen Bewirtschaftung des Bodens – den Großbetrieb beim Ackerbau erheischen und, ähnlich wie in der modernen Industrie, die Einführung von Maschinen und die Organisation der ländlichen Arbeitskraft notwendig machen, und daß im allgemeinen die moderne ökonomische Entwicklung den Großbetrieb im Ackerbau erstrebt; – in Erwägung, daß demgemäß bei dem Ackerbau wie bei der Großindustrie die allmähliche Verdrängung der kleinen und mittleren Eigentümer durch die Großbesitzer vor sich geht, das Elend und das Abhängigkeitsverhältnis der weitaus größten Mehrzahl der Ackerbaubevölkerung zugunsten einer kleinen Minorität stetig zunimmt und dies den Gesetzen der Humanität und Gerechtigkeit zuwiderläuft; – in Erwägung, daß die produktiven Eigenschaften des Bodens, die keine Arbeit erheischen, das Material aller Produkte und aller brauchbaren Dinge bilden: spricht der Kongreß die Ansicht aus, daß die ökonomische Entwicklung der modernen Gesellschaft es zu einer gesellschaftlichen Notwendigkeit machen wird, das Ackerland in gemeinschaftliches Eigentum zu verwandeln und den Boden von Staats wegen an Ackerbaugenossenschaften zu verpachten, welche verpflichtet sind, das Land in wissenschaftlicher Weise auszubeuten und den Ertrag der Arbeit nach kontraktlich geregelter Uebereinkunft unter die Genossenschafter zu verteilen. Um die vernünftige und wissenschaftliche Ausbeutung des Grund und Bodens zu ermöglichen, hat der Staat die Pflicht, durch Einrichtung entsprechender Bildungsanstalten die nötigen Kenntnisse unter der ackerbautreibenden Bevölkerung zu verbreiten.

Als Uebergangsstadium von der Privatbewirtschaftung des Ackerlandes zur genossenschaftlichen Bewirtschaftung fordert der Kongreß, mit den Staatsdomänen, Schatullengütern, Fideikommissen, Kirchengütern, Gemeindeländereien, Bergwerken, Eisenbahnen usw. zu beginnen, und erklärt sich deshalb gegen jede Verwandlung des oben angeführten Staats- und Gemeinbesitzes in Privatbesitz.“

Der Schlußsatz der Resolution wurde mehrfach angefochten, man solle nicht ins Detail gehen. Schließlich aber wurde der Resolution zugestimmt.

Da um jene Zeit in Wien der Hochverratsprozeß gegen die Führer der österreichischen Arbeiter, Oberwinder, Andreas Scheu, Johann Most usw. bevorstand, ferner die österreichische Regierung die Führer der Arbeiterbewegung mit fanatischem Haß verfolgte und der „Sozialdemokrat“ fortfuhr, Liebknecht als Agenten der österreichischen Regierung anzugreifen, schlug folgende Resolution vor:

„Der Kongreß erklärt, daß die österreichische Regierung durch ihre Haltung gegenüber der Arbeiterbewegung und durch die aller Menschlichkeit hohnsprechende Behandlung der eingekerkerten Arbeiter sich den Haß und die Verachtung der Arbeiter aller Nationen erworben hat.“

Die Resolution wurde unter stürmischem Beifall des Kongresses angenommen.

Als Kongreßort für das Jahr 1871 wurde Dresden gewählt.

Schweitzers Ende

Während die geschilderten Vorgänge sich zutrugen, setzte der „Sozialdemokrat“ seine Angriffe mit ungeschwächten Kräften und ohne Bedenken über die Wahl der Kampfmittel gegen uns fort. So war es zum Beispiel jetzt bei ihm Sitte geworden, daß er beständig Artikel aus dem nationalliberalen „Frankfurter Journal“, das ein Organ unserer Partei sei, abdruckte und gegen uns verwertete. Die Verlogenheit konnte kaum weitergetrieben werden. Aber es kam noch besser.

Unter dem Datum des 3. Juli veröffentlichte der „Volksstaat“ einen Aufruf des Braunschweiger Ausschusses, worin dieser aufforderte, die Vorbereitungen zu den Reichstags- und Zollparlamentswahlen zu treffen, wobei er entsprechend den Beschlüssen des Stuttgarter Kongresses darauf hinwies, daß in Wahlkreisen, in denen wir selbst keinen Kandidaten aufstellten, zu erwägen sei, ob nicht dem Kandidaten einer anderen Arbeiterpartei mit unseren Stimmen zum Siege verholfen werden könne. Der Braunschweiger Ausschuß ahnte damals nicht, daß schon am Tage vorher, den 2. Juli, in einer Vorstandssitzung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Hannover Schweitzer Anträge eingebracht hatte, denen der Vorstand seine Zustimmung erteilt hatte, die folgendermaßen lauteten:

„1. Bei der engeren Wahl zwischen einem Reaktionär (Konservativen) und einem Liberalen: Stimmabgabe für den Liberalen.

2. Bei der engeren Wahl zwischen einem Reaktionär und einem Volksparteiler (Ehrlichen, womit er uns meinte): Stimmenthaltung.

3. Bei der engeren Wahl zwischen zwei Liberalen: Stimmabgabe für den weitergehenden Kandidaten.

4. Bei der engeren Wahl zwischen einem Liberalen und einem Volksparteiler (Ehrlichen): Stimmabgabe für den Liberalen.“

Die ersten drei Punkte waren einstimmig, der vierte gegen vier Stimmen angenommen worden.

Man kann sich die Empörung vorstellen, die uns ergriff, als wir diesen Beschluß lasen, den wir als eine Infamie ersten Ranges ansahen. Es war klar, daß Schweitzer und Tölcke den fanatischen Haß der Vorstandsmitglieder gegen uns benutzt hatten, um diesen infamen Beschluß, der die der Bismarckschen Politik am feindlichsten gegenüberstehende Partei traf, durchzusetzen. Richter-Wandsbeck hat später erklärt, er habe gegen den Antrag gestimmt, weil er gewußt, daß Schweitzer ihn im Auftrag der Regierung gestellt habe. Ich lasse das dahingestellt sein. Zweifellos entsprach aber dieser Beschluß den Wünschen Bismarcks, und das genügte.

Sobald der Beschluß in unseren Reihen bekannt wurde, erließ der Braunschweiger Parteiausschuß unterm 11. Juli einen Aufruf, in dem es hieß: „daß ungeachtet jenes Beschlusses unsere Parteigenossen, wo dies im Interesse der Arbeitersache liege, den Kandidaten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins unterstützen sollten, treu dem Gedanken, daß die Organisation dazu da sein solle, die Einigung aller sozialdemokratischen Arbeiter zu ermöglichen“. Im weiteren hieß es alsdann:

„Dem Herrn v. Schweitzer aber, der in der gehässigsten und verwerflichsten Weise Arbeiter gegen Arbeiter, Sozialdemokraten gegen Sozialdemokraten zu hetzen sucht, sind wir um der Arbeitersache verpflichtet, mit aller Energie entgegenzutreten. Daher fordern wir die Parteigenossen in Barmen-Elberfeld, dem klassischen Boden für diesen Kampf, auf, die nötigen Schritte in dieser Richtung ohne Säumen zu tun; die Partei ist schuldig und verbunden, die allgemeine Bewegung von einem Menschen zu säubern, der, unter dem Deckmantel einer radikalen Gesinnung, bisher im Interesse der preußischen Staatsregierung alles getan hat, dieser Bewegung zu schaden. Die Partei wird den Genossen in Barmen-Elberfeld zur Seite stehen. Nun kräftig vorwärts!“

Am 13. Juli mußte der „Sozialdemokrat“ bekanntmachen, daß sein Format verkleinert werden müsse, weil die verlangten 500 neuen Abonnenten nicht gekommen seien. Das war die Antwort auf die prahlerische Ankündigung am Schlusse des Vorjahres, das Format des Blattes zu vergrößern. Die Zahl habe sich kaum um 100 vermehrt. Bald darauf mußte aber sowohl der „Sozialdemokrat“ wie der „Volksstaat“, der Ende März 1870 2000 Abonnenten hatte, weitere Raumbeschränkungen eintreten lassen. Es brach plötzlich der Deutsch-Französische Krieg aus, der von beiden Fraktionen zahlreiche Parteigenossen unter die Waffen rief, andere durch hereinbrechende Arbeitslosigkeit brotlos machte.

Auf die Ursachen und die Entwicklung dieses Krieges komme ich in anderem Zusammenhang zu sprechen. Liebknecht und ich betrachteten denselben als einen solchen, an dem Napoleon und Bismarck gleichmäßig schuldig seien, und enthielten uns bei der verlangten Kriegsanleihe der Abstimmung, was wir durch eine Erklärung zu den Akten des Reichstags motivierten. Anders Schweitzer und Genossen. Nach Schweitzer war der Krieg nicht nur ein Krieg gegen das deutsche Volk, sondern gegen den Sozialismus. Und jeder Deutsche, der sich dem Friedensbrecher entgegenwerfe, kämpfe nicht nur fürs Vaterland, sondern auch gegen den Hauptfeind der Ideen der Zukunft, für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Den Sozialismus mit dem Kriege in Verbindung zu bringen, war zwar grandioser Blödsinn, aber in jener aufgeregten Zeit, in der der größte Unsinn geglaubt wurde, wenn er sich gegen uns richtete, lag Methode in diesem Verhalten.

Mitten in die Kriegswirren traf die Nachricht aus Wien ein, daß Oberwinder, Andreas Scheu, Most und Papst wegen Hochverrats, ersterer zu sechs Jahren, die anderen zu fünf bis drei Jahren Zuchthaus, verschärft für jeden durch einen Fasttag im Monat, verurteilt worden seien. Außerdem wurde für Oberwinder und Most die Ausweisung aus den österreichischen Ländern nach verbüßter Strafe ausgesprochen. Die übrigen Angeklagten wurden zu geringeren Strafen verurteilt. Ein Hauptanklagepunkt war die Beteiligung am Eisenacher Kongreß (Oberwinder und Scheu) und die Anerkennung des Eisenacher Programms, das nur durch Gewalt durchgesetzt werden könne.

 

An der Hatz, die jetzt gegen uns seitens fast der gesamten Presse wegen unseres Verhaltens im Reichstag inszeniert wurde, beteiligte sich der „Sozialdemokrat“ in hervorragendem Maße, der uns „Landesverräter“ und ähnliche schöne Titel anhängte. Damit nicht genug, sandte Schweitzer verschiedene seiner Agitatoren nach Leipzig, die dort die Massen gegen uns aufhetzen sollten. Zunächst kam Hasenclever, dessen Versammlung durch ein Plakat angekündigt wurde, in dem es hieß: „Sämtliche Arbeiter, Bürger und Bewohner der Stadt werden zu dieser Versammlung freundlichst eingeladen. Während unsere Truppen im Felde stehen, scheint eine öffentliche Kundgebung des echt deutschen Sinnes unserer Einwohnerschaft einzelnen undeutschen Elementen gegenüber, die sich auch hier bemerklich machen, dringend geboten. Der Bevollmächtigte des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.“

Hasenclever machte aber schlechte Geschäfte; wir hatten die Mehrheit in der Versammlung, und so wurde die von uns vorgeschlagene Resolution angenommen. Weit schlimmer ging es in der Versammlung zu, in der nach ihm Wolf-Hamburg und Armborst-Stettin sprechen sollten. Hier kam es sofort zu tumultuarischen Szenen, die bald in ein Handgemenge ausarteten, dem der erschreckte Wirt durch Ausdrehen der Gasflammen ein Ende bereitete. Als wir nach der Versammlung in unserem Vereinslokal uns zusammenfanden, kam die Kunde, die Schweitzerianer seien nach Liebknechts Wohnung gezogen, um diesem die Fenster einzuwerfen. Im Sturmschritt eilten wir auf dem kürzesten Wege nach Liebknechts Wohnung, kamen aber leider einige Minuten zu spät. In der Tat waren Liebknecht eine Anzahl Fensterscheiben eingeworfen worden, und war dadurch Frau Liebknecht, die ahnungslos in der Stube saß und ihrem ersten Sprößling die Brust reichte, aufs tiefste erschreckt worden. Voll Zorn eilten wir den Attentätern nach und erreichten sie in der Nähe der inneren Stadt, worauf sie regelrecht verprügelt wurden. Kurz darauf meldete der „Sozialdemokrat“ die Heldentat seiner Anhänger mit den Worten:

„Der Volkszorn gegen das landesverräterische Treiben der Volkspartei hat einen Ausbruch gefunden. Liebknecht sind die Fenster eingeworfen worden.“

Einige Tage später hatten mir eine Anzahl Studenten eine ähnliche Ovation zugedacht. Zu dem Fenstereinwurf sollte noch eine Katzenmusik kommen. Zum Glück wohnte ich hinten im Hofe im Hause eines Großkaufmanns. Sobald der Hauswart erfuhr, was die eines Abends heranziehenden Studenten beabsichtigten, schloß er rasch das Tor; so mußten sie unverrichteter Sache abziehen.

Alle diese Hetzereien, die weiter aufzuzählen sich nicht lohnt, erregten derart meine Wähler, daß diese, meist arme Teufel, sich veranlaßt sahen, mir einen silbernen Lorbeerkranz, begleitet von einem Uhlandschen Sinngedicht, zu überreichen. Würde ich von dieser Absicht eine Ahnung gehabt haben, ich hätte ihre Ausführung verhindert.

Ende August 1870 machte Tölcke im „Iserlohner Kreisblatt“ bekannt, daß er vorläufig die Politik an den Nagel gehangen und sich als Volksanwalt niedergelassen habe. Damit war eine der festesten Säulen Schweitzers geborsten. Aber jetzt trat auch im „Sozialdemokrat“ plötzlich eine Schwenkung ein, der Draht nach oben war offenbar zerrissen. Der Krieg mit seinen ununterbrochenen Siegen der deutschen Waffen führte Süddeutschland und fast das gesamte Bürgertum Norddeutschlands zu den Füßen Bismarcks. Selbst in den Kreisen der süddeutschen Volkspartei feierte der Chauvinismus wahre Orgien. Jetzt konnte ein Schweitzer Bismarck mehr schaden als nützen; es hatte keinen Zweck mehr, ihn zu halten.

Am 31. August wendete sich der „Sozialdemokrat“ gegen eine gewaltsame Annexion von Elsaß-Lothringen. Anfang September, nach der Gefangennahme Napoleons, sprach er sich für Abschluß eines Waffenstillstandes und gegen den Gedanken einer Wiedereinsetzung Napoleons aus. Genau also wie wir im „Volksstaat“. Am 14. September veröffentlichte der „Sozialdemokrat“ einen Leitartikel, in dem er sich gegen die stehenden Heere aussprach und sich dabei auf Gneisenau berief.

Als er die Verhaftung August Geibs in Hamburg meldete, der das Schicksal des Braunschweiger Ausschusses teilte, dessen Mitglieder man mit Ketten gefesselt nach der Festung Lötzen geschleppt hatte, bemerkte er ingrimmig: Liebknecht und Bebel, die andere für sich die Kastanien aus dem Feuer holen ließen, befänden sich als Haupthetzer in Sicherheit. Er brauchte nicht allzulange zu warten, und seine Sehnsucht nach unserer Verhaftung wurde gestillt. Als dann auch Johann Jacoby und Herbig-Königsberg verhaftet und ebenfalls nach Lötzen geschleppt wurden, wendete sich jetzt der „Sozialdemokrat“ gegen diese Verhaftung. Anfang November 1870 meldete das Blatt, daß Petzold-Leipzig, einer seiner fanatischsten Anhänger, aus dem Vorstand des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins ausgetreten sei. Er wollte von Schweitzer nichts mehr wissen.

Für den 24. November war der Reichstag wieder einberufen worden, um unter anderem über eine neue Geldbewilligung für Fortsetzung des Krieges zu beschließen. Jetzt kündigte der „Sozialdemokrat“ an, daß diesmal die Abgeordneten der Partei gegen die Geldbewilligung stimmen würden. Der Krieg, der anfangs ein Verteidigungskrieg gewesen, sei jetzt zu einem Eroberungskrieg geworden. Er war also nunmehr auch hierin auf unserem Standpunkt. Bei den außerordentlich heftigen Debatten, die Liebknecht und ich beständig im Reichstag provozierten, verhielten sich Schweitzer und Genossen vollkommen schweigsam, sie griffen mit keinem Worte in die Debatte ein. Nur als Liebknecht in einer Rede sich gegen die Unterstellung wandte, wir seien mehr die Freunde Frankreichs als Deutschlands, und bemerkte: Ich will lieber der gute Bruder des französischen Volkes als der gute Bruder des Schurken Napoleon sein, rief Schweitzer ein lautes Bravo! Bravo! dazwischen. Das war die einzige Aeußerung, die er in den Kriegsdebatten machte.

Am 17. Dezember wurden Liebknecht, Hepner (der Mitredakteur des „Volksstaat“) und ich in unseren Wohnungen polizeilich überfallen, und nachdem eine Durchsuchung unserer Wohnungen stattgefunden hatte, wurden wir für verhaftet erklärt und in Untersuchungshaft abgeführt. Wir waren also, da die Untersuchungshaft bis Ende März 1871 dauerte, während des Wahlkampfes, der nach Neujahr einsetzte, vollständig lahmgelegt, das verhinderte aber Herrn v. Schweitzer nicht, am 8. Januar im „Sozialdemokrat“ nochmals die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins darauf hinzuweisen, daß der Beschluß des Vereinsvorstandes vom 2. Juli des verflossenen Jahres betreffend ihr Verhalten bei engeren Wahlen sich gegen uns, die Eisenacher Ehrlichen, richte. Das brachte dieser Mensch fertig, während wir in strengster Einzelhaft hinter Schloß und Riegel saßen und Staatsanwalt und Richter einen Hochverratsprozeß gegen uns zusammenbrauten.

Aber die Leipziger Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins besaßen zuviel Ehrgefühl und Klassenbewußtsein, um diesem Winke zu folgen; sie machten mit unseren Parteigenossen gemeinsame Sache, indem sie mich als Kandidaten für Leipzig aufstellten. Auch weigerte sich eine Anzahl Kandidaten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, eine Erklärung zu unterschreiben, worin sie sich in ihrer Taktik bei einer engeren Wahl gegen uns festlegen sollten. Herr v. Schweitzer hatte wieder einmal den Bogen überspannt.