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Aus meinem Leben. Erster Teil

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I. Es sollen periodisch, in der Regel alljährlich, freie Vereinigungen von Vertretern der deutschen Arbeitervereine stattfinden, um durch einen lebendigen persönlichen Austausch von Ansichten und Erfahrungen unter den Arbeitern selbst das Verständnis ihrer wahren Interessen zu erweitern und diese Erkenntnisse in immer ausgedehnteren Kreisen zur Anerkennung zu bringen.

II. Gegenstand der Verhandlungen ist alles, was auf die Wohlfahrt der arbeitenden Klassen von Einfluß sein kann.

III. Zutritt zu den Versammlungen haben die Vertreter von deutschen Arbeitervereinen, welche sich als solche auf dem Vereinstag durch schriftliche Vollmacht legitimieren. Ausnahmsweise können auch Vertreter freier Arbeiterversammlungen zugelassen werden, wenn der ständige Ausschuß, dem überhaupt die Prüfung der Vollmachten obliegt, sie zuläßt. Verweigert der Ausschuß die Zulassung, so ist Appellation an den Vereinstag gestattet. Jeder Verein kann einen oder mehrere bis zu fünf Abgeordneten senden, hat aber bei Abstimmungen nur eine Stimme. Jeder Abgeordnete kann nur einen Verein vertreten. Die Vereine, welche an einem Vereinstag teilgenommen haben, werden jedesmal brieflich eingeladen. Gleichzeitig wird die Einladung in möglichst vielen Blättern, jedenfalls aber in der „Deutschen Arbeiterzeitung“ in Koburg und in dem Frankfurter „Arbeitgeber“ veröffentlicht. Jeder Verein, welcher sich auf dem Vereinstag vertreten läßt, hat einen Beitrag von zwei Taler für jeden Vereinstag zu bezahlen. Denselben Beitrag haben diejenigen Vereine zu leisten, welche zwar keinen Vertreter entsenden, doch aber alle Berichte und Drucksachen zugesandt haben wollen.

IV. Jeder Vereinstag wählt einen ständigen Ausschuß von zwölf Mitgliedern, welcher mit der Besorgung nachfolgender Geschäfte beauftragt ist: 1. Der Ausschuß bestimmt Ort und Zeit des nächstfolgenden Vereinstags, sofern darüber von der letzten Versammlung nicht ausdrücklich beschlossen worden ist, und trifft die nötigen Vorbereitungen an dem Orte der Zusammenkunft. 2. Er erläßt die Einladungen und Bekanntmachungen, nimmt die Anmeldungen entgegen, fertigt die Eintrittskarten aus, empfängt die Beiträge, bestreitet die Ausgaben und führt die Rechnungen darüber. 3. Er stellt eine vorläufige Tagesordnung auf und bestellt nach Maßgabe derselben die Berichterstatter und bildet die vorberatenden Kommissionen vorbehaltlich der Bestätigung oder Abänderung der Beschlüsse des Vereinstags. 4. Er sorgt in der Zwischenzeit bis zum nächsten Vereinstag für die Förderung der Zwecke und die Ausführung der Beschlüsse des Vereinstags. 5. Der Ausschuß ernennt seinen Vorsitzenden und bestimmt über die Verteilung der Geschäfte unter seine Mitglieder; er legt dem Vereinstag die Rechnungen zur Prüfung und Genehmigung vor. Die Sitzungen des Ausschusses finden immer am Wohnort des jeweiligen Vorsitzenden statt. Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist die Einladung sämtlicher, die Mitwirkung von wenigstens sieben Mitgliedern und die einfache Majorität der Abstimmenden erforderlich. Die Beschlußfassung kann auch auf schriftlichem Wege erfolgen. Eintretende Lücken ergänzt der Ausschuß und wenn die beschlußfähige Anzahl nicht zu erlangen sein sollte, der Präsident.

V. Die Geschäftsordnung für die Verhandlungen des Vereinstags wird von demselben festgesetzt.

VI. Der Vorsitzende des Ausschusses leitet bei den Vereinstagen die Verhandlungen, bis die Versammlung ihren Präsidenten erwählt hat.

VII. Die Sitzungen des Vereinstags sind öffentlich.

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In den ständigen Ausschuß wurden unter anderen gewählt: Sonnemann, Max Wirth aus Frankfurt a.M., Eichelsdörfer-Mannheim, Dittmann-Berlin usw. Die Seele dieser neuen Organisation wurde Sonnemann, der die Sekretärarbeiten und die eigentliche Leitung übernahm.

Die Mittel, die dem Ausschuß aus der Organisation zur Verfügung standen, waren sehr unbedeutend, und selbst den geringen Beitrag von zwei Taler pro Jahr zahlten viele Vereine nicht. Opfer für einen gemeinsamen Zweck zu bringen, dafür waren damals die antisozialistischen Arbeitervereine nicht zu haben, darin unterschieden sie sich sehr unvorteilhaft von den Lassalleanern. Weil die Mittel fehlten, wandte sich der Ausschuß im Laufe des Sommers an den Nationalverein und erhielt von diesem 500 Taler, die auch in den nächsten zwei Jahren gezahlt wurden. Ebenso wandte sich Sonnemann persönlich an eine Reihe großer Unternehmer, um von diesen Mittel zu erhalten. Aber die Abneigung gegen alles, was Arbeiterverein heißt, war schon damals instinktiv bei unseren Bourgeois vorhanden, und so flossen von dieser Seite die Beiträge sehr spärlich.

Hier möchte ich auf einen Vorfall zu sprechen kommen, der sich zwar erst im übernächsten Jahre (Sommer 1865) abspielte, aber vierzig Jahre später in der „Kölnischen Zeitung“ in einer für mich ungünstigen Weise auszunutzen versucht wurde.

In Sachsen war der Kampf gegen die Anhänger Lassalles besonders heftig. Die für jene Zeit hochentwickelten industriellen Verhältnisse in Sachsen schienen für die sozialistischen Ideen einen besonders günstigen Boden zu bieten. Um aber die Agitation betreiben zu können, fehlten uns die Mittel. Was immer wir für Agitation aufbrachten, es langte nicht, obgleich die Redner elend bezahlt wurden. So setzten sich eines Tages Dr. Eras und Schriftsteller Weithmann – ein Württemberger, der eine katilinarische Existenz führte – hin und verfaßten ein überschwenglich gehaltenes Schreiben an den Vorstand des Nationalvereins, in dem sie um Geld für die Agitation gegen die Lassalleaner baten. Ich wurde erst nachträglich von dem Schreiben verständigt und gab auf ihr Ansuchen meine Unterschrift, außerdem unterzeichneten Eras und Weithmann. Die „Kölnische Zeitung“, die dieses Schreiben und mein Dankschreiben für die empfangenen 200 Taler – nicht 300, wie sie behauptete – vor einigen Jahren veröffentlichte, sprach die Vermutung aus, alle drei Unterschriften rührten von mir. Gegen diese Verdächtigung muß ich mich entschieden verwahren. In dem Dankschreiben führte ich aus, daß wir namentlich Literatur für die Vereine zu beschaffen beabsichtigten, und könnte der Vorstand des Nationalvereins in der Beziehung seinen Einfluß bei den Buchhändlern geltend machen, daß sie uns diese billig überließen. Daß er die Unterstützung gewährte, zeige, daß er mehr Interesse für die Bewegung habe, als man ihm verschiedenseitig vorwerfe. Das Geld wurde indes namentlich zu Agitationsreisen verwandt; es wurde aber sehr sparsam ausgegeben, denn als Ende 1866 und Anfang 1867 die Agitation für die Wahlen zum norddeutschen Reichstag einsetzte, waren von den 200 Talern noch 120 vorhanden, die jetzt ihre Verwendung fanden. Das war allerdings eine Verwendung, die nicht vorgesehen war. Aber von 1865 bis 1866 änderte sich eben die Situation, und trat hüben und drüben eine so rasche Wandlung in den Ansichten ein, daß nur noch sehr wenige auf dem alten Standpunkt stehen blieben. Der Nationalverein litt unter dieser Wandlung am allermeisten, der von da ab in rascher Auflösung begriffen und tatsächlich längst tot war, als er im Herbst 1867 offiziell seine Auflösung beschloß. Daß wir die 200 Taler erhalten hatten, ärgerte viele. Es war namentlich Dr. Hans Blum, der das nicht verwinden konnte. Er hielt sich ganz besonders verpflichtet, bei der Wahlagitation mir entgegenzutreten und mir zum Vorwurf zu machen, daß wir jenes Geld angenommen hätten. Er mußte aber die Entdeckung machen, daß all seine Mühe, mir zu schaden, vergeblich war.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich feststellen, daß ich niemals Mitglied des Nationalvereins war, wie mehrfach behauptet worden ist. Damit drücke ich keine Gegnerschaft gegen denselben zu jener Zeit aus, aber neben all den großen materiellen Opfern, die mir meine Stellung und Tätigkeit in der Arbeiterbewegung auferlegten, auch noch einen Beitrag für den Nationalverein zu zahlen, schien mir überflüssig, denn mein Einkommen war ein sehr schmales. Ich begnügte mich, um mit Schulze-Delitzsch zu reden, „geistiges Ehrenmitglied“ des Nationalvereins zu sein.

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In Leipzig empfand man das Bedürfnis, als Gegengewicht gegen das Auftreten Lassalles und gegen die Agitation seiner Anhänger einen Hauptschlag zu führen. Ich erhielt also den Auftrag, mich mit Schulze-Delitzsch wegen einer Versammlung in Verbindung zu setzen. Dieser erklärte sich dazu bereit. In seiner Antwort setzte er mir auseinander, daß wir in Sachsen besonders aufpassen müßten, die sächsischen Arbeiter hätten schon 1848 und 1849 Neigung für kommunistische und sozialistische Ideen gehabt. Im Laufe des Januar 1864 kam Schulze-Delitzsch nach Leipzig.

Es war vereinbart worden, daß ich die Versammlung mit einer Begrüßung Schulzes eröffnen und alsdann zum Vorsitzenden gewählt werden sollte. Aber ich hatte Pech. Ich eröffnete die Versammlung, die von 4000 bis 5000 Personen besucht war, blieb aber mitten in der Eröffnungsrede – die ich einstudiert hatte – elend stecken. Mein Temperament war mit meinen Gedanken durchgegangen. Ich hätte vor Scham in den Boden sinken mögen. Das Ende war, daß nicht ich, sondern Dolge zum Vorsitzenden gewählt wurde. Ich gelobte mir jetzt, nie mehr eine Rede einzustudieren, und bin gut damit gefahren. Schulze-Delitzsch besaß kein angenehmes Organ, auch war sein Vortrag trocken und seinem Inhalt nach nicht geeignet, Begeisterung zu erwecken. Er brachte für viele eine Enttäuschung. Die Entwicklung nach links hielt er nicht auf.

Den Beschluß des Frankfurter Vereinstags, die Gründung von Gauverbänden zu betreiben, versuchten wir in Sachsen zu verwirklichen. Da aber die bestehende Gesetzgebung dem im Wege stand, suchten wir bei dem Ministerium Beust um Genehmigung nach. Auf einer Landesversammlung, die im Sommer 1864 unter meinem Vorsitz tagte, kam das Schreiben des Herrn v. Beust zur Verlesung, wonach der Minister den Gauverband gestatten werde, wenn die Vereine sich verpflichteten, sich weder mit politischen und sozialen, noch überhaupt mit öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Darauf beantragte ich folgende Resolution, die einstimmig angenommen wurde:

 

„Die sächsischen Arbeitervereine danken für das Gnadengeschenk des Herrn v. Beust und ziehen es vor, von der Gründung eines Gauverbandes abzusehen.“ Eine zweite Resolution, lautend: „Die versammelten Deputierten fordern die sächsischen Arbeiter auf, mit aller Energie für die Beseitigung des bestehenden Vereinsgesetzes einzutreten“, wollte der überwachende Polizeibeamte nicht zur Abstimmung kommen lassen, weil dieses eine politische Handlung sei. Ich geriet darüber mit ihm in eine scharfe Auseinandersetzung, fügte mich aber unter Protest, als er mit der Auflösung der Konferenz drohte.

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Am 31. August 1864 trug der Telegraph die Kunde durch die Welt, daß Ferdinand Lassalle an den Folgen eines Duells in Genf verschieden sei. Der Eindruck, den diese Nachricht hervorrief, war ein tiefer. Der weitaus größte Teil seiner Gegner atmete auf, als wenn er von einem Alp befreit sei; sie hofften, daß es nunmehr mit der von ihm hervorgerufenen Bewegung zu Ende gehen werde. Und in der Tat schien dieses anfangs so. Nicht nur zählte sein Verein bei seinem Tode trotz riesenhafter Arbeit erst wenige tausend Mitglieder, diese gerieten sich auch alsbald untereinander in die Haare. Dann hatte Lassalle unbegreiflicherweise in dem Schriftsteller Bernhard Becker, den er als seinen Nachfolger im Präsidium des Vereins empfohlen hatte, einen Mann gewählt, der in keiner Richtung seiner Aufgabe gewachsen war.

Daß aber auch manche Gegner der Bedeutung Lassalles gerecht wurden, dafür spricht ein Artikel in der Ende 1862 gegründeten Koburger „Allgemeinen Arbeiterzeitung“, die von dem Rechtsanwalt Dr. Streit in Koburg, dem Geschäftsführer des Nationalvereins, ins Leben gerufen worden war. Dieselbe hatte bisher, wenn auch maßvoll, Lassalle bekämpft, das hielt sie aber nicht ab, ihm einen ehrenvollen Nachruf zu widmen, an dessen Schluß es hieß:

„Ein Teil der liberalen Partei und der liberalen Presse, derselbe Teil, der ihn am bittersten und dennoch mit dem wenigsten Recht angefeindet, eben diejenigen, welche seine Keulenschläge am meisten verdienten, mögen jetzt im stillen seines Todes sich freuen. Wir beklagen den Tod eines Gegners, den nur Ungerechtigkeit oder Beschränktheit sich erlauben mag, mit dem gewöhnlichen Maße zu messen.“

Bekanntlich trieb die Gräfin Hatzfeldt, die langjährige intime Freundin Lassalles, mit der Leiche des verstorbenen Freundes einen förmlichen Kultus, indem sie dieselbe zwecks Abhaltung von Totenfeiern durch ganz Deutschland führen wollte, ein Plan, der ihr, auf Intervention von Lassalles Angehörigen, behördlicherseits durchkreuzt wurde. Auf die Nachricht, daß die Leiche Lassalles Mannheim passieren werde, schrieb Eichelsdörfer an Sonnemann einen Brief, dem ich die folgenden Stellen entnehme, weil sie zeigen, wie bereits einzelne auf unserer Seite die Situation ansahen.

Der Brief lautete:

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„Lieber Freund Sonnemann!

Die Leiche Lassalles wird am Freitag, wie mir Reusche aus Genf telegraphiert, dahier eintreffen und auf das Dampfboot verbracht. Mögen wir ihm im Leben gegenübergestanden haben, wir waren doch in der Hauptsache einig, der großen Masse unseres Volkes zu helfen, und ich glaube, wir haben inzwischen gelernt, daß ohne allgemeines Stimmrecht und dadurch herbeigeführte Umgestaltung der jetzigen staatlichen Zustände auf eine durchgreifende Hilfe nicht zu rechnen ist. Vielleicht wäre der jetzige Moment ein günstiger, daß von unserer Seite etwas geschähe, um eine Vereinigung der beiden Strömungen auf Grund eines entsprechenden Programms herbeizuführen und damit dem dahingeschiedenen Kämpen ein Denkmal zu setzen. Etwas mehr Mäßigung auf der anderen und etwas mehr Entschlossenheit auf unserer Seite könnte dazu führen und der Sache nur nützen, da die Philisterhaftigkeit des jetzigen tonangebenden Liberalismus doch getrieben werden muß, wenn sie vorwärts dem Ziele entgegengehen soll. Es ist dies eine Ansicht von mir, die ich nicht ermangle, Dir mitzuteilen und Deine Ansicht zu hören, um sodann unsere Freunde vielleicht zu einem Schritte zu veranlassen, der unter Umständen von weittragenden Folgen sein – im gegenteiligen Sinne nichts schaden kann.

Auch habe ich das unbestimmte Gefühl, daß wir in Leipzig2 doch zu energischen Beschlüssen geführt werden: da einmal alles auf die Prinzipien drängt und wir uns wohl denselben nicht entgegenstellen. Halbheit und Verschwommenheit nützen zu nichts; sie taugen nicht einmal dazu, für die richtige Lösung vorzubereiten…. Ich werde mich der Aufgabe nicht entziehen können, der Leiche Lassalles das Geleite zu geben. Einige Freunde werden dasselbe tun. Ich weiß nicht, ob ich den Verein dazu einladen soll, da es mißverstanden werden könnte, da viele Leute nicht verstehen und noch mehrere nicht verstehen wollen, daß man Lassalle anerkennen kann, ohne vollständig mit ihm einig zu gehen.“ Schließlich bittet er Sonnemann, ihm seine Ansicht mitzuteilen.

In einer Nachschrift heißt es: „Würde es Dir als Präsident der Arbeitervereinigung nicht anstehen, hierher zu kommen und dem Gegner die Ehre zu geben? Wenn Du dieses willst, telegraphiere, worauf ich Dir alsdann die Zeit des Eintreffens der Leiche, sobald ich es weiß, ebenfalls übermitteln werde.“

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Was Sonnemann auf diesen Brief antwortete, ist mir nicht bekannt, jedenfalls wurde der Vorschlag Eichelsdörfers nicht berücksichtigt. Es mußte noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, ehe ähnliches, wie Eichelsdörfer wollte, erfüllt wurde. Nachdem der ständige Ausschuß auf den Antrag des Gewerblichen Bildungsvereins zu Leipzig beschlossen hatte, dort den nächsten Vereinstag abzuhalten, machte die Koburger Arbeiterzeitung dagegen Opposition. Es sei ausgeschlossen, daß in dem von Herrn v. Beust regierten Sachsen die Abhaltung eines Vereinstag möglich sei, und sie eröffnete über den Beschluß die Debatte. Die einzigen Vereine, die sich der Koburger Arbeiterzeitung anschlossen, waren die badischen, die auf ihrem Vereinstag in diesem Sinne votierten. Gewisse Bedenken gegen die Abhaltung eines Vereinstags in Sachsen waren berechtigt, denn die Abhaltung desselben lag auf Grund des sächsischen Vereinsgesetzes ganz in den Händen des Herrn v. Beust, der Regen oder Sonnenschein gewähren konnte.

Um es nicht zum Regnen kommen zu lassen, trugen wir der Situation insoweit Rechnung, daß der ständige Ausschuß sich auf unser Ansuchen bereit erklärte, die Wehrfrage, als eine eminent politische, nicht auf die Tagesordnung des Vereinstags zu setzen. Das Lokalkomitee für die Vorbereitungen wurde durch je zwei Mitglieder des Vereins Vorwärts, des Gewerblichen Bildungsvereins und des Fortbildungsvereins für Buchdrucker, außerdem durch Professor K. Biedermann und ein Ausschußmitglied der Polytechnischen Gesellschaft gebildet. Der Vorsitz wurde mir übertragen. Herr v. Beust ließ lange auf die nachgesuchte Entscheidung warten, endlich erfolgte sie in zustimmendem Sinne. Der Vereinstag wurde nunmehr auf den 23. und 24. Oktober einberufen und als Tagesordnung festgesetzt: 1. Freizügigkeit. 2. Genossenschaftswesen, und zwar a. Konsumvereine, b. Produktivgenossenschaften. 3. Ein gleicher Lehrplan für die Bildungsvereine. 4. Wanderunterstützungskasse, deren Gründung von den vielen jungen Arbeitern in den Vereinen verlangt wurde. 5. Altersversicherung. 6. Lebensversicherung. 7. Regulierung des Arbeitsmarktes, also Arbeitsnachweis. 8. Arbeiterwohnungen. 9. Wahl des ständigen Ausschusses.

Das war für zwei Tage Beratung eine sehr reiche Tagesordnung, deren Erledigung nur dadurch möglich wurde, daß die Berichterstatter vorher Gutachten und Resolutionen veröffentlichten und Berichte und Reden kurz waren. Die Gründlichkeit beider ließ in der Regel viel zu wünschen übrig.

Vertreten waren 47 Vereine, darunter allein 8 aus Leipzig, und 3 Gauverbände: badisches Oberland, Württemberg und Maingau. Es gab damals in Leipzig neben dem Fachverein der Buchdrucker auch noch einen solchen der Maurer und der Zimmerleute. Außerdem hatten die Lassalleaner unter Leitung Fritzsches rasch drei weitere Fachvereine gegründet, und zwar einen Zigarrenarbeiter-, einen Schneider- und einen Schmiedegesellenverein. Unter den Delegierten befanden sich zum erstenmal Dr. Friedrich Albert Lange, Vertreter des Duisburger Konsumsvereins, und Dr. Max Hirsch für den Magdeburger Arbeiterbildungsverein. Ferner war anwesend als Gast Professor V.A. Huber, der konservative Vertreter der Genossenschaftsidee.

Die Versammlung wählte Bandow-Berlin zum ersten Vorsitzenden, Dolge und mich zu seinen Stellvertretern. Im Namen der Stadt begrüßte der Bürgermeister Dr. Koch die Versammlung. Gleich bei dem ersten Punkte der Tagesordnung: Freizügigkeit, kam es zu einem Krach mit Fritzsche und zu tumultuarischen Szenen durch seine Anhänger, die die Tribünen des Saales (Schützenhaus) stark besetzt hatten. Fritzsche erklärte im Sinne Lassalles, daß man über die Freizügigkeit nicht mehr debattiere, sondern sie dekretiere, dagegen müsse man das allgemeine Wahlrecht verlangen. Er sprach sehr provokatorisch und fand damit demonstrativen Beifall bei seinen Anhängern. Gegen diese Methode erhoben die Delegierten lebhafte Proteste. Bei dieser Gelegenheit bewunderte ich Friedrich Albert Langes Vermittlertalent, womit er Erfolg hatte. Ein energisches Eingreifen von meiner Seite, als Vorsitzender des Lokalkomitees, schaffte auch Ruhe auf den Galerien. Am nächsten Tage kam es nochmals zu einer lebhaften Szene, als Fritzsche verlangte, noch zum Worte zugelassen zu werden, nachdem bereits der Schluß der Debatte angenommen worden war. Als ihm das Wort verweigert wurde, protestierte er gegen den herrschenden Terrorismus und legte sein Mandat nieder. Die Beschlüsse des Vereinstags waren von keinem großen Belang. Fr. Albert Lange, der über Konsumvereine referierte, zeigte sich als ein glänzender Redner. In den ständigen Ausschuß wurden gewählt: Bandow, Bebel, Dr. M. Hirsch, Lachmann-Offenbach, Lange, Martens-Hamburg (ein ehemaliger Weitlingianer, von dessen Kommunismus aber nichts mehr zu spüren war), Reinhard-Koburg, ehemaliges Parlamentsmitglied für Mecklenburg, Sonnemann, Staudinger-Nürnberg, Stuttmann-Rüsselsheim, Weithmann-Stuttgart und Max Wirth-Frankfurt a.M.

2Leipzig war als Ort für den nächsten Vereinstag bestimmt.