Karawane

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Kapitel 3

Milliarden an US-Dollars wurden in den letzten Jahren ausgegeben, um die Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern- trotzdem hat sich die Kriminalität weiter erhöht und viele Amerikaner fragen sich besorgt, ob es überhaupt möglich ist, sie unter Kontrolle zu kriegen ....

Patrick V. Murphy, ein ehemaliger Polizist in Washington und New York sagt: “Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken. Es gibt viel Instabilität in unseren Städten. Solange es Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, zerrüttete Familien, Alkoholismus, Drogenkriminalität und psychologische Probleme gibt, werden wir Kriminalität haben.”

U.S. News & World Report

10. Juni 1974

* * *

Kriminalität dient für viele Menschen als Mittel, um mit einer komplexen Gesellschaft zurechtzukommen, die ihre Grenzen überschritten hat. Ich gehe davon aus, dass unsere Kultur sich in ihrem letzten Aufbäumen gegen ihren Untergang krampfhaft versuchen wird, ein rigoroses System von “Recht und Ordnung” durchzusetzen. Alles was von der Norm abweicht, wird Gegenstand schwerster Unterdrückung, da die Gesellschaft verzweifelt versuchen wird am Leben zu bleiben.

Die wahre Tragödie sind hier aber die Nachwirkungen auf die Gesellschaft nach dem Zusammenbruch. Die eingeträufelte Unterdrückung wird noch weiterbestehen, wie der Fuß eines Frosches, der noch weiter tretet, obwohl der Körper schon lange gestorben ist.

Peter Stone

World Collapse

***

Peter verbrachte die Nacht zusammen mit Honon in der Kabine des gepanzerten Fahrzeuges. Sie sprachen noch eine Weile miteinander und verglichen die Erfahrungen, die sie bei ihrer Reise durch das Land gemacht hatten. Peter erfuhr, dass Honon das Land bereits seit vier Jahren regelmäßig durchquert und bereits viele dieser Karawanen geführt hat. Das Bild, das er zeichnete, war nicht sehr rosig. Elend, Hunger und Zwietracht waren in den USA allgegenwärtig. Plagen hatten bis jetzt noch keine Opfer gefordert., aber die Zustände in den Städten verschlechterten sich in dem Maße, dass die sanitäre Versorgung wohl zusammenbrechen werden würde, was zu einer Verbreitung von Seuchen führen würde.

“Irgendwie,” sagte Honon, “ist es ein glücklicher Umstand, dass der Zusammenbruch weltweit stattgefunden hat. Hätten die jüdischen Guerillas vor fünf Jahren nicht ihren Krieg in Russland angefangen, dann hätten die Russen wahrscheinlich unsere Schwäche zu ihrem Vorteil genutzt und wären hier einmarschiert. Aber mit den Juden im Land und den Chinesen an der Grenze und einer zunehmenden Ressourcenverknappung, geht es ihnen noch schlechter als uns.

Die Schmerzen in Peters Arm und die Anstrengungen des letzten Tages forderten am Ende ihren Tribut von Peter. Er lehnte sich in dem ledernen Sitz zurück und hatte seinen besten Schlaf seit langer Zeit.

Honon rüttelte Peter an seiner guten Schulter und weckte ihn kurz nach Sonnenaufgang auf. Raus aus den Federn,” sagte er gut gelaunt. “Es ist Zeit fürs Frühstück— und auch Zeit, um die restlichen Leute kennen zu lernen, mit denen Sie diese Reise verbringen werden.

Peter stieg aus dem Fahrzeug aus und sah zum ersten Mal die komplette Karawane. Die ersten beiden Fahrzeuge waren gepanzert— und nach all dem was Honon über die Zustände im Land gesagt hatte, konnte Peter ihm nur zustimmen, dass die Karawane für alles mögliche gerüstet sein muss. Als nächstes in der Reihenfolge war ein großer Wohnwagen um den sich eine große Gruppe versammelt hatte. Hinter dem Wohnwagen waren ein blau-weißer VW-Bus und dahinter drei weitere Autos, alles Kleinwagen. Das muss nach einer ziemlich interessanten Parade aussehen, dachte sich Peter amüsiert.

Als Peter sich mit Honon dem Wohnwagen näherte, konnte Peter die Blicke der anderen spüren. Sie müssten bereits von ihrem neuen und berüchtigtem Mitglied gehört haben. Er fragte sich, wie viele ihn bereits hassen würden.

“Kommt alle her”, rief Honon. Die Unterhaltungen verstummten. “Ich möchte euch unseren Neuzugang vorstellen, Peter Stone. Ich glaube, wir sind ihm viel Dankbarkeit schuldig, denn er war es, der unsere Leute dazu antrieb was zu tun. Ohne ihn gäbe es kein Kloster und keine Pläne für das Raumschiff. Bitte vergesst nicht ihm zu zeigen, wie dankbar wir ihm sind.”

Peter war über diese Vorstellung überrascht und noch überraschter als die Leute genauso taten wie Honon ihnen auftrug. Zuerst waren sie etwas zurückhaltend und unsicher, aber sie kamen dann in kleinen Gruppen, um ihn zu begrüßen und ihn in der Karawane willkommen zu heißen. Männer und Frauen kamen, um ihm die Hand zu schütteln und Kinder lächelten ihn strahlend an.

“Tut mir Leid, ich kann nicht hier bleiben und dich allen anderen vorstellen,” sagte Honon. “Ich muss noch schnell mein Frühstück einnehmen und dann zusehen, dass ich uns einen Schuhmacher hole.”

“Einen Schuhmacher?”

“Ja, das Kloster hat einen guten Mann empfohlen. Er lebt in Central L.A.” Er sah die Überraschung in Peters Gesicht und erklärte es ihm. “Schau, wenn du eine Kolonie besetzen willst, dann versuchst du die hellsten Köpfen aufzutreiben, die es gibt. Aber ich sage es dir jetzt schon, dass das so nicht klappen würde. Ein paar Eierköpfe— sogar sehr viele Eierköpfe— werden benötigt, klar, aber man kann keine Welt aufbauen nur mit Ärzten und Atomphysikern. Wenn die Rohre zum ersten mal streiken, dann hätten sie ein Riesenproblem. Ich muss auch Leute rekrutieren, die bei einem Pioniereinsatz nützlich sind. Leute die bereits wissen, wie man das produziert, was wir benötigen werden. Da wo du hingehen wirst, gibt es keine Fabriken, die Kleidung in Massen anfertigen. Du brauchst gute Handwerker, die gute Schuhe von Grund auf anfertigen können. Auf dieser Reise befindet sich ein Sammelsurium an Leuten, das ist richtig; aber wir versuchen die Menschheit zu retten und die Menschheit an sich ist ein Sammelsurium. Denk mal darüber nach.”

Honon stieg in den Wohnwagen und kam einen Moment später mit einer Feldflasche, zwei großen Stücken Weizenkuchen und ein paar getrockneten Früchten wieder raus. “Wir sehen uns etwas später”, sagte er zu Peter. “Lerne in der Zwischenzeit die anderen kennen. Ich glaube du wirst feststellen, dass sie eine ziemlich gute Truppe sind.” Er ging zum ersten gepanzerten Fahrzeug, nahm ein Motorrad aus dem Laderaum und fuhr Richtung Stadt.

Während Peter zusammen mit den anderen in der Frühstücksschlange stand, kamen andere Mitglieder der Karawane und stellten sich ihm vor. Er traft Dominic und Gina Gianelli aus Oakland, ein Pärchen Mitte dreißig. Dom, wie der Mann es bevorzugte genannt zu werden, war Tischler und “ein American Football Fan. Aber es sieht nicht so aus, als ob es noch allzu viele Spiele in der nächsten Zeit geben wird.” Peter konnte dem nur zustimmen. Die Gianellis hatten fünf Kinder, alle zwischen zwei und zehn Jahre alt; obwohl er ihnen alle vorgestellt wurde, hatte er Probleme sie sich zu merken,außer Mary, dem achtjährigen Mädchen, dass ihm und Honon letzte Nacht Essen gebracht hatte.

Er lernte Bill und Patty Lavochek aus San Luis Obispo kennen. Die Lavocheks, beide Mitte zwanzig, waren seit vier Monaten verheiratet und betrachteten das Ganze als ein aufregendes Abenteuer— und als eine gute Möglichkeit ein neues Leben anzufangen. Bill, ein Mechaniker, war sich sicher, dass seine Fähigkeiten in dem Kloster und der neuen Welt gefragt sein würden.

Peter lernte auch Harvey und Willa Parks kennen. Harv, Besitzer einer Klempnerei aus San Francisco, war ein kleiner, abgebrühter Mann Ende dreißig. Er war schroff im Umgang, hatte aber ein freundliches Gemüt. Willa war zehn Jahre jünger als Harv. Sie war eine leise, schüchterne Frau, die alles effizient und ohne sich zu beschweren tat was ihr aufgetragen wurde. Sie hatten zwei Kinder, eine siebenjährige Tochter und einen vierjährigen Sohn.

Kurz bevor Peter an der Reihe war, kam die Ärztin, Sarah Finkelstein, um sich nach seinem Arm zu erkundigen. Er sagte ihr, dass er etwas steif sei, aber funktionsfähig. Sie sagte ihm dann auch, dass er ihr Bescheid geben soll, sollten sich weitere Probleme ergeben.

Am Ende der Schlange stand ein japanisches Pärchen, dass die Essensausgabe machte, Charlie und Helen Itsobu, beide Anfang dreißig. Charlie war mit allem rund um das Kochen beauftragt, weil er professioneller Koch war — um genau zu sein, war er Chefkoch in einem japanischen Restaurant, welches mal zu Peters Favoriten gehörte. Peter erkannte wie talentiert Charlie eigentlich sein muss— ein Mann so jung wie er steigt in kulinarischen Kreisen eigentlich nicht so schnell so hoch auf — und lobte ihn. Charlie lächelte und entschuldigte sich dafür, dass das Essen nicht so elegant war, wie das was Peter gewöhnt sei. Er steckte Peter ein zusätzliches Stück Weizenkuchen zu und zwinkerte ihn an.

Als Peter sich vom Wohnwagen entfernte, winkten ihm die Gianellis zu und deuteten ihm sich zu ihnen zu setzen und gemeinsam mit ihnen das Essen einzunehmen. Peter machte das mit Freude; es war viel zu lange her, seit er sich in solcher Gesellschaft befand und er berauschte sich an der Kameradschaft. Als Peter sich hinsetzte schlug Kudjo ihm auf den Rücken, sie tauschten Höflichkeiten aus, und dann nahm Kudjo ein zweites Motorrad aus dem Laderaum des ersten gepanzerten Fahrzeuges und fuhr davon. “Wo fährt er hin?” fragte Peter.

“Oh, er ist unser Aufklärer,” erklärte ihm Dom Gianelli. “Er fährt voraus, schaut sich die Dinge an und geht sicher, dass der Weg sicher ist. Das hat er auch gestern getan, als ihr euch über den Weg gelaufen seid.”

 

Peter nickte. “Das ergibt Sinn”

“Er ist ein guter Mann, dieser Kudjo. Er wäre ein wirklich guter Footballspieler gewesen,darauf wette ich. So wie er aussieht, ein natürlicher Wide Receiver.”

“Habt ihr was dagegen, wenn ich mich zu euch setze?” fragte eine weibliche Stimme von hinten. “Ich kann mir diese außerordentliche Chance einen passenden Junggesellen kennenzulernen nicht entgehen lassen.”

“Nur zu,” antwortete Gina Gianelli lächelnd.

Das Mädchen, das sich neben Peter hinsetzte, war klein und etwas untersetzt und hatte strähnige braune Haare und große Puppenaugen. Ihr markantestes Merkmal aber war ihre Nase, welche ihr ganzes Gesicht dominierte und drohte fast das ganze Gesicht einzunehmen. “Ich bin Marcia Konigsburg, 24 und unverheiratet. Nicht dass ich dich für eine Hochzeit absondere, aber ich glaube es ist gut, solche Sachen gleich bekannt zu machen. Ich entwerfe Kleidung für Boutiquen und auch ein paar Theaterkostüme. Ich glaube das ist auch der Grund wieso Honon mich darum gebeten hat mitzukommen — wo auch immer wir ankommen werden, wir werden jemanden brauchen, der die richtige Kleidung für die richtigen Anlässe anfertigen kann.

Peter mochte sie sofort. Sie war von der freundlichen und anhänglichen Sorte, dessen liebenswürdiger Charme den ersten Eindruck von Einfachheit übertraf. “Weißt du, ich habe dein Buch gelesen,” fuhr sie fort.

“Ah, also bist du diejenige.”

“Hey, du hast sogar Humor” Ja, es hat mich ziemlich beeindruckt. Ich war im zweiten Studienjahr im College und ich glaube, dass mich so ziemlich alles beeindruckt hat. David Hume, Aleister Crowley und du, ihr wart meine drei Favoriten.”

“Das macht uns zu einem ziemlich seltsamen Trio.”

“Wenn es dich irgendwie tröstet, meine Freunde haben mir alle gesagt, dass ich keinen Geschmack hätte. Das ist die Sorte von Leuten mit denen ich mich abgebe— verrückt, sie alle.”

Peter fühlte plötzlich ein seltsames Gefühl in seinem Nacken, als ob ihn jemand beobachten würde. Er drehte sich um und sah wie ein Mädchen ihn von der Seite eines Autos aus beobachtete. Sie war jung, schlank, blond und ihre Erscheinung war von fast engelhafter Unschuld. Als er sich aber umdrehte sie anzusehen, starrte sie in eine andere Richtung und tat so, als ob sie nichts bemerken würde. Er zuckte mit seinen Schultern und widmete sich wieder der Unterhaltung.

Marcia hatte nicht mal seine Unaufmerksamkeit bemerkt und redete ein bisschen über den Zusammenbruch der formellen Bildung, den sie selbst miterlebt hatte.

“Und es war genauso wie du es gesagt hattest— der Unterricht hatte immer weniger mit der Realität zu tun, nicht weil nicht versucht wurde den Unterricht relevant zu halten, sondern weil sich die Realität von ihm entfernt hatte.” Ihre Wortwahl war fast die gleiche wie aus seinem Buch; sie musste es auswendig gelernt haben.

Dom Gianelli winkte einem langen Mann in einem weißen Strickhemd und schwarzen Hosen. “Vater Tagon,” rief er, “kommen sie doch rüber und setzen sie sich zu uns!”

Der Mann kam und nahm die Einladung an. “Warte bis du diesen Typen kennen lernst, “ sagte Dom zu Peter. “Er wird dir sicherlich ein paar Gegenargumente liefern können.”

Der Neuzugang war ein großer und dünner Mann Ende dreißig. Er hatte eine Adlernase, braune Augen und eine hohe Stirn, die immer mehr durch zurückgehenden Haarwuchs freigelegt wurde. “Hi,” sagte er und beugte sich Richtung Peter und bot ihm seine Hand an. “Ich bin Jason Tagon.”

“Habe ich richtig gehört? Dom hat sie “ Vater” genannt?”

“Er hätte mich auch “ Doktor” nennen können— ich habe einen Doktortitel in Astronomie. Aber es stimmt, ich bin ein Priester. Titel zählen aber nicht mehr soviel heutzutage und ich bevorzuge es Jason genannt zu werden.”

Peter nickte und speicherte diesen Fakt in seinem Gedächtnis ab, das schnell voll wurde von alle den neuen Namen und Gesichtern. “Dom hatte auch gemeint dass sie Gegenargumente für mich hätten.”

“Das hat er ein bisschen zu stark ausgedrückt. Ich kann nicht gegen ihre Vorhersagen argumentieren — sie sind ja wie man sieht wahr geworden. Es ist ihre Einstellung, die mich stört.”

“Zur katholischen Kirche?”

Jason lächelte. “Das ist ein kleiner Teil davon. Sie sagten— mal sehen ob ich es zitieren kann — ‘die katholische Kirche hat mehr als jede andere Organisation in der Geschichte dazu beigetragen, die Entwicklung der Menschheit zu verzögern.’ “

“Ich hoffe sie nehmen das nicht zu persönlich; Tatsache ist, dass die katholische Kirche länger als jede andere Organisation in der Geschichte vorhanden ist . Alle Organisation werden schlussendlich irgendwann bis zu einem gewissen Grad unterdrückerisch — irgendwann erreichen sie in ihrer Existenz den Punkt, an dem sie zu Selbsterhaltung wechseln und nicht mehr der Erfüllung ihrer ursprünglichen Pflichten nachkommen. Ich habe gegen die bürokratischen Strukturen geschrieben, nicht gegen Katholiken selbst.”

“Das habe ich auch gemerkt. Aber wir Katholiken werden mit dem Gedanken erzogen, dass die Kirche keine Fehler begehen kann und dafür geohrfeigt zu werden, schmerzt trotzdem. Aber das war nicht mein kompletter Einwand. Als geweihter Sprecher Gottes konnte ich nicht anders als zu dem Gefühl zu kommen, dass Sie Ihn komplett ignoriert haben.

“Als geweihter Agnostiker,” konterte Peter, “konnte ich nicht anders denken, als dass das Übernatürliche eine entbehrliche Variable in meinen Kalkulationen war. Ich habe mich hauptsächlich mit der sozialen Ökologie beschäftigt. Die Regeln wurden vor langer Zeit von Gott selbst bestimmt— sollte er tatsächlich existieren — und ich konnte keine Änderungen in den Grundregeln voraussehen, sobald der Zusammenbruch beginnt. Ich habe mich ausschließlich mit Menschen auseinander gesetzt.”

“Und Sie haben die Möglichkeit einer göttlichen Intervention außen vor gelassen.”

“Sagen wir es so, ich hätte sie willkommen geheißen, aber ich habe nicht darauf gezählt.”

“Und was ist mit dem Versuch das Weltall zu Kolonialisieren?”

“Wenn Sie versuchen zu behaupten das sei göttliche Intervention, dann werde ich das nicht widerlegen können. Aber genauso wenig können Sie widerlegen, dass es sich hierbei vielleicht auch einfach nur um die Arbeit von hingebungsvollen und genialen Menschen handelt.”

“Touché.” Jason lächelte.

Peter überkam wieder das selbe Gefühl beobachtet zu werden. Er sah sich um und sah wie das blonde Mädchen ihn von ein paar Meter Entfernung anstarrte. “Wer ist das?” fragte er die Leute um sich herum.

“Das ist Risa Svenson,” antwortete Marcia. “Wir haben sie in Monterey aufgesammelt. Ein wirklich seltsames Mädchen, wenn du mich fragst.”

“Seltsam? Inwiefern?”

“Im Grunde genommen ist sie nur schüchtern,” antwortete der Priester. “Das und ihr junges Alter trennen sie etwas von uns. Sie ist ein wirklich netter Mensch.”

“Ich würde gerne zu ihr hingehen und ein bisschen mit ihr reden. Vielen Dank, dass ihr mit mir zusammen gefrühstückt habt. Ich hätte wirklich Interesse daran unsere Diskussion etwas später fortzuführen, Jason.”

Er stand auf und ging zu dem Mädchen, das so tat als ob es sie ihn nicht bemerken würde. “Entschuldige wenn ich frage, aber wieso starrst du mich an?”

Sie schaut zu ihm auf, überrumpelt. “Ich habe nicht —”

“Doch, hast du. Es stört mich nicht wirklich, aber ich würde gerne wissen wieso.”

Sie öffnete ihren Mund, um eine Entschuldigung loszuwerden, aber schloss ihn wieder und sagte, “ Du bist halt einfach so berühmt und ich wollte dich einfach mal ansehen. Ist das so falsch?”

“Nein, ich bin eher beruhigt, dass du mich nicht als das Monster wahrgenommen hast, welches du dachtest, das ich sei.”

Peter konnte von der Reaktion ihres Gesicht darauf schließen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. “Ich habe nicht wirklich gedacht, dass du ein Monster wärst,” sagte sie beeilt.

“Nein, sicher nicht.”

“Aber ich habe so viele schlechten Sachen über dich gehört —”

“Hast du überhaupt mein Buch gelesen?”

“Nein, ich war etwas zu jung. Ich habe dafür aber die TV- Sendungen gesehen. Ich habe es nicht gemocht — es kam mir so negativ und deprimierend vor.”

“Es war deprimierend und negativ und es hat mir auch nicht gefallen. Aber was kann man gegen die Wahrheit machen? Wenn du versuchst sie irgendwo in einer Ecke zu vergraben, gräbt sie sich wieder raus und kommt zu dir zurück und beißt dich in den Fuß.”

“Alles ist.... Ich weiß nicht. Ich will nur fühlen, dass es für die Welt Hoffnung gibt, irgendwo. Und dein Buch hat den Menschen das Gefühl gegeben, dass es keine gibt.”

“Die Situation war da und für alle zu sehen. Ich war nur derjenige, der das Licht angemacht hat. Es hat nichts gebracht — die Leute haben einfach ihre Augen geschlossen und sind trotzdem über die Zukunft gestolpert. Ich habe nur über die Fakten berichtet.”

“Fakten sind nicht genug,” sagte das Mädchen. “Wir brauchen auch Träume.”

“Wie alt bis du?”

Das Mädchen schaute ihn defensiv an. “19, wieso?”

“Als ich 19 war, habe ich gerade meinen Bachelor in Soziologie erhalten. Die Leuten haben mich für eine Art Genie gehalten und ich bin durch ein beschleunigtes Collegeprogramm gegangen. Damals hatte ich Träume, gute sogar. Ich würde alle Probleme auf der Welt lösen und alles wieder ins Lot bringen, damit wir alle in Frieden leben könnten.” Er zuckte mit seinen Schultern. “Und dann passierte etwas — vielleicht bin ich einfach nur erwachsen geworden, ich weiß es nicht. Aber in nur ein paar Jahren wurden alle meine Träume zu Alpträumen. Die Welt befand sich im seligen Zustand auf den Weg in die Hölle und niemand wollte auch nur ein verdammtes Ding dagegen unternehmen. Ich habe versucht zu schreien, ich habe versucht die Bremsen zu ziehen, aber alle haben mich ignoriert. Ist es daher verwunderlich, dass ich mich hoffnungslos gefühlt habe?” Sehr zu seinem Verdruss stellte er fest, dass er Tränen in den Augen hatte. Das hat mir gerade noch gefehlt, zusammenzubrechen und vor einem wildfremden Menschen anfangen zu weinen, dachte er sich. Er fragte sich aber auch zur gleichen Zeit wieso sie ihn so dermaßen beeinflusste, dass er weinen wollte.

Aber zu seiner Überraschung milderte sich ihre Haltung ihm gegenüber sofort. “Tut mir Leid,” sagte sie und fasste ihm sanft an seinem Arm. “Ich hatte keine Ahnung. Es hört sich wirklich traurig an, dass all deine Träume so sterben mussten.”

“Kratze an einem Zyniker und du wirst einen desillusionierten Optimisten vorfinden.”

“Armes Baby,” sagte sie und blickte ihn mit riesigen blauen Augen an. “Willst du darüber reden?”

Sie setzten sich an die Böschung des Freeways und bevor er sich versah, erzählte Peter diesem seltsamen, wunderschönen Mädchen seine Lebensgeschichte.

* * *

Ein paar Stunden nach der Mittagszeit kehrte Honon zurück. “Kein Glück gehabt,” sagte er den Leuten und erklärte Peter im Privaten, “Du wirst verstehen wie es ist, da bin ich mir sicher. Da ist ein Typ mit einer Frau und zwei Kindern. Er hat eine Arbeit, die ihn noch für die kommenden Jahre gefragt sein lassen wird — die Leute werden immer Schuhe brauchen und der Vorrat in den Schuhläden wird nicht ewig anhalten. Wieso sollte er seine ganze Familie entwurzeln und sich auf ein wildes Unterfangen wie dem unseren einlassen? Ich kann ihm nicht wirklich Schuld geben — manchmal muss man schwierige Entscheidungen treffen. Du und ich, beide ohne Verbindlichkeiten, haben Glück. Wir können alles zusammenpacken und gehen wann wir wollen. Sei vorsichtig welche Verantwortungen du auf dich nimmst.”

“Und was machen wir jetzt?” fragte Peter.

“Wir fahren weiter. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und ich habe keine wichtigen Angelegenheiten mehr in LA zu erledigen. Sobald Kudjo mit seinem Aufklärungsbericht zurückkommt und jeder dann in sein Auto einsteigt, können wir losfahren.”

Kudjo kam nach einer halben Stunde zurück. Er sagte, dass der Freeway bis zur Ostseite der Stadt frei sei und es nicht den Anschein hatte, als ob irgendwelche Gangs Ärger machen würden. Nach diesem Bericht stieg jeder in sein Auto. Honon, der mit jedem Auto per Walkie-Talkie verbunden war, gab die Anweisung und die Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Peter fuhr auf Honons Einladung mit ihm im führenden Fahrzeug mit.

 

Die Autos bewegten sich mit gemächlichen 40 Meilen pro Stunde auf der rechten Spur des Freeways entlang. Ganz selten überholte sie ein anderes Auto. Verglichen mit dem was früher auf dem Freeway unterwegs war, kamen sie nur an wenig Verkehr vorbei. Interstate 5 ging entlang der nördlichen Ecke der Stadt durch einst üppige Hügel, die jetzt von Hütten und verlassenen Industriegebieten gesäumt waren. Als sie so fuhren, erzählte Honon persönliche Anekdoten; es waren so viele und sie waren so schillernd, dass Peter sich dazu entschloss, nur die Hälfte von ihnen Glauben zu schenken.

Sie hatten gerade 25 Meilen zurückgelegt und gerade eben den Pasadena Freeway hinter sich gelassen, als Honon in den Seitenspiegel blickte und einen tiefen Pfeifton von sich gab. “Oh oh, Probleme.”

“Was ist los?” wollte Peter gerade fragen; dann sah er die blinkenden roten Lichter auf dem Motorrad, welches sich ihnen entlang der Karawane näherte und er wusste was los war.

Am Anfang des Zusammenbruchs stieg die Kriminalitätsrate weit über alle vorstellbaren Grenzen. Eine verängstigte Öffentlichkeit hatte nach Taten gefordert, welche am Ende in eine gestärkte Polizei und harte Strafen mündete. Sie dachten, dass Unterdrückung die Ordnung, die sie in ihrem Leben brauchten, wiederherstellen würde— und das tat sie auch für eine Weile. Aber es war wie als ob man einen Verband um den ersten Lepraflecken binden würden.

Der Zusammenbruch der Regierung bedeutete auch, dass man die Gehälter der Polizei nicht mehr auszahlen konnte, aber es bedeutete nicht zwangsläufig das Ende der “Durchsetzung des Gesetzes”. Die Polizeiuniform war überall respektiert und gefürchtet, und die Männer die sie trugen, lernten schnell, dass die Uniform und ihre Pistolen ihnen alles geben konnten, was auch immer sie wollten. Öffentliche Beschützer wurden zu öffentlichen Raubtieren; Polizisten waren heute nichts weiter als Banditen in Uniform.

Honon kam der Anweisung des Polizisten nach und fuhr Rechts ran. Die anderen Autos in der Karawane folgten seinem Beispiel; es war das Wichtigste zusammen zu bleiben. Honon nahm einen lädierten Geldbeutel aus seiner Hosentasche. “Ich hoffe, dass er nur Geld möchte und wir uns wieder auf den Weg machen können,” sagte er zu Peter. “Wenn er mehr will, dann haben wir ein Problem.”

Der Polizist schlängelte sich bis zu Honons Tür durch. Er war nur ungefähr1,70m groß, sah aber zäh und drahtig aus. Er behielt seine Brille an und trug seine schwarze Lederjacke als stünde er direkt im Dienste Gottes. Sein Pistolengurt war geöffnet und die Pistole war bereit in jeder Sekunde gezogen und abgefeuert zu werden. “Was istn hier los?” fragte er.

“Ein paar Freunde und ich sind nur durch die Stadt gefahren,” sagte Honon gelassen. “Ist ja nicht verboten, oder?”

“Das werden wir noch sehen. Wo kommen Sie her?”

“San Francisco”

“Wo gehts hin?”

“San Diego”

“Wieso?”

“Wieso nicht? Der Ort scheint mir so gut wie jeder andere zu sein.”

Der Polizist dachte darüber nach. “Kann sein. Obwohl ich gehört habe, dass die Lage dort nicht unbedingt sehr gut sein soll.”

“Die Lage ist nirgendwo gut, also dachten wir uns, dass wir uns gleich einen der schlechten Orte aussuchen können.”

“Ich mag keine Stoners,” sagte der Polizist. “Machen nur Probleme, alle von ihnen. Ich versuche einen friedlichen Sektor zu betreiben und das kann ich nicht mit all den Stonern die hier durchlatschen und Sand aufwirbeln. Ich mag insbesondere keine Stoner in Gruppen. Wenn einer schon schlecht ist, dann ist eine Gruppe schlimmer. Sie sind zu langsam gefahren.”

“Wie bitte?”

“Können sie das Schild dort nicht sehen? Die Geschwindigkeitsbegrenzung liegt bei 55 Meilen pro Stunde auf den Freeways. Sie sind 40 gefahren.”

“Wir sind auf der rechten Spur gefahren und es gab keinen Verkehr. Wir haben gedacht, dass das kein Problem wäre.”

“Für mich schon,” antwortete der Polizist. Also, wir haben hier sieben Fahrzeuge, das macht dann sieben bewegliche Verstöße. Haben Sie eine Lizenz für diese Parade?”

“Ich dachte nicht, dass wir eine benötigen würden.”

“Mehr als fünf Fahrzeuge gelten als Parade. So ist das Gesetz.” Peter hatte seine Zweifel daran, aber er überließ es Honon sich mit dem Polizisten auseinander zu setzen— er hatte anscheinend bereits schon davor mit solchen Problemen zu tun gehabt.

“Haben all diese Leute Führerscheine?” fragte der Polizist als nächstes.

“Ja, sicher tun sie das,” antwortete Honon ohne zu zögern.

Der Polizist hielt kurz inne. Wahrscheinlich überlegte er sich gerade, ob es sich lohnen würde, seine Zeit und Kraft dafür auf zuwenden, den Konvoi abzuschreiten und jeden einzelnen Fahrer nach seinem Führerschein zu fragen. Er entschied schlussendlich das zu überspringen — er hatte bereits genug Verstöße gesammelt. Er zog einen offiziell aussehenden Notizblock aus seiner Hüfttasche und schrieb in es rein. “Mal sehen, das macht sieben Fälle von Verkehrsbehinderung und einmal das Anführen einer Parade ohne Erlaubnis. Das macht 350 Dollar Bußgeld.”

Peter schnappte nach Luft als er das hörte, aber Honon blinzelte nicht mal mit den Augen. Der große Mann reichte in aller Ruhe mit seiner Hand in seinen Geldbeutel und holte sechs 50 Dollar Scheine, zwei Zwanziger und einen Zehner raus. “Das sollte reichen,” sagte er.

Der Polizist starrte auf das Geld im Geldbeutel. “Wo haben sie das alles her?”, fragte er. “Haben Sie eine Bank ausgeraubt oder so?”

“Wir haben unsere Ersparnisse zusammengelegt, um diese Reise machen zu können”.

Der Polizist schaute nach hinten auf den Wohnwagen. “Haben Sie Essen dort drinnen?”

“Nicht viel, nein. Es langt gerade für uns bis zum nächsten Tag oder so.”

Der Polizist fuhr mit seiner Hand an seiner Hüfte und legte sie auf den Griff der Pistole. Die Finger zuckten nervös. “Steigen Sie langsam aus und führen Sie mich hin. Ich will das selbst sehen.”

Als Honon ausstieg, ging der Polizist etwas nach hinten zurück. Offensichtlich hatte er nicht bemerkt, dass der Mann mit dem er sprach so groß und stark war. Er wollte nichts riskieren. Er zog seine Pistole und hielt sie lässig an seiner Seite. “Gehen Sie vor und versuchen Sie keine Tricks. Ich habe Sie den ganzen Weg über im Auge.”

Honon bewegte sich entlang der Autos. Der Polizist folgte ihm mit zwei Schritten Abstand. Gerade als er die Kabine des zweiten gepanzerten Fahrzeuges passierte, öffnete Kudjo die Tür schlagartig und stellte sich zwischen Honon und dem Polizisten. Honon duckte sich unter dem Truck und im gleichen Moment zog der überraschte Polizist seine Pistole und feuerte sie ab. Sein Schuss prallte an der kugelsicheren Tür ab und traf ihn in seinem Bauch. Die Pistole fiel aus seiner Hand, als er wie betäubt auf den Boden fiel.

“Hey, Mann,” rief Kudjo zu Honon, “du kannst von dort unten raus kommen. Der Typ wird momentan niemanden wehtun.”

Honon kroch wieder unter dem Auto hervor, während die anderen Mitglieder der Karawane, inklusive Peter, herbeieilten um zu sehen was passiert war. “Ich dachte du würdest aus dem Auto springen und ihn zusammenschlagen”, sagte John Gianelli, zehn Jahre alt.

“Das hätte zu viel Energie gebraucht,” erklärte Honon. “Es ist immer besser deinen Gegner gegen sich selbst kämpfen zu lassen. Die meisten werden das dann auch machen. Vergiss das nicht.” Er bückte sich und entfernte den Pistolengurt des Polizisten, steckte die Pistole wieder in den Gurt und übergab beides Peter. “Hier, ein Geschenk für dich — eine .38mm, spezielle Anfertigung für die Polizei. Weißt du wie man sie benutzt?

Nicht wirklich,” gab Peter zu.

“Du wirst das wahrscheinlich noch lernen bevor diese Reise vorbei ist. Ich glaube ich habe noch etwas Munition für die Pistole im Laderaum des ersten Trucks.”

Peter nahm die ihm angebotenen Gegenstände mit Ungewissheit entgegen. “Was machen wir jetzt?”

“Wir konfiszieren sein Motorrad und dann machen wir uns hier aus dem Staub. Es besteht immer die Möglichkeit, dass einige seiner Freunde hier in der Gegend sind und ich will nicht hier sein, wenn sie den Ursprung des Schusses herausfinden wollen.”

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