Karawane

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Aber dann wiederum, was hatte er zu verlieren? Falls das ein Hinterhalt sein sollte, was konnten sie denn von ihm stehlen, außer seinem Fahrrad, einer Decke und praktisch fast wertloses Geld? Für solch eine ausgeklügelte Falle wäre das viel zu wenig. Und davon mal abgesehen, hätte Wilson ihn auch gleich sofort ausrauben können, wenn er gewollt hätte. Die ganze Angelegenheit war rätselhaft.

Peter schob sein Fahrrad über die Rampe und stellte es neben der Brücke ab.

Er saß im Dunkeln und wartete. Verkehr auf dem Freeway war aufgrund der Treibstoffknappheit kaum mehr vorhanden— innerhalb einer Stunde sah er nur zwei Autos und sie flitzen an ihm vorbei ohne überhaupt zu verlangsamen. Er fragte sich, ob die Leute auf die er wartete bereits an ihm vorbeigefahren sind ohne ihn bemerkt zu haben, oder ob sie überhaupt noch kommen würden. Das Ganze könnte ein großer und unverständlicher Witz sein.

Du bist ein Dummkopf, sagte er zu sich selbst. Hörst in deinem Alter auf Geschichten über das Nimmerland. Du würdest wahrscheinlich auch die Golden Gate Bridge kaufen, wenn sie dir jemand anbieten würde. Aber er blieb, weil er nirgends woanders hingehen konnte.

Und nach wahrscheinlich einer weiteren Stunde sah er, wie sich aus nördlicher Richtung Scheinwerfer näherten. Sie bewegten sich viel langsamer als die anderen Autos, die an Peter vorbei rasten und als sie näher kamen, konnte Peter eine komplette Autokolonne ausmachen. Das Auto ganze vorne hielt kurz vor der Brücke an und fuhr an den Straßenrand. Die Autos hinter ihm folgten seinem Beispiel.

Ein Scheinwerferlicht auf dem Auto blendete ihn in sein Gesicht. “Mr Smith?” fragte eine fremde Stimme

“Ja”, antwortete er.

“Steigen Sie ein, wir hatten gehofft, dass Sie hier sind. “Möchten Sie Abendessen?”

Kapitel 2

“Erste Klasse Postzustellung so schlecht wie nie,” behauptete das Wall Street Journal. Als Beispiel des Problems dient ein Postsack, welcher letzten Monat in Prince George’s County, Md, verschwand, was vielen Anwohnern Kopfzerbrechen bereitete. Mrs. Ernest Drumheller, welche in Clinton, Md, lebt, sagte, dass sie aus ihrem Urlaub zurückkehrte und feststellen musste, dass ihr Telefon abgeschaltet wurde, da der Scheck mit dem sie ihre Telefonrechnung begleichen wollte, nicht bei der Telefongesellschaft angekommen ist. Sie musste 10$ bezahlen um ihr Telefon wieder benutzen zu können. Einige Kunden der People’s National Bank in Clinton stornierten Zahlungen, welche sie per Scheck vornehmen wollten, aus Angst, dass die Schecks sich in den verloren gegangenen Säcken befanden.

Los Angeles Times

Mittwoch 11. September 1974

* * *

Kommunikation ist eine der drei Hauptpfeiler jeder Zivilisation. Menschen und Organisation können nur in dem Umfang miteinander interagieren, wie sie miteinander kommunizieren können. Wenige oder gar keine Kommunikation bedeutet Verdacht, Hass und Konflikt. Im gleichen Maße wie Kommunikation sich erhöht und verbessert, wird das Fremde weniger Furcht einflößend und ein friedliches Miteinander möglich.

Zu den Zeiten der antiken Griechen, stellte der Stadtstaat die verwaltbare Größe dar. Die Größe wurde daran gemessen, wie weit ein Mann an einem Tag zurücklegen konnte. Das wiederum stellte sicher, dass niemand mehr als ein Tag von den aktuellen Geschehnissen entfernt war. Angrenzende Stadtstaaten mit denen nur gelegentliche und gleichzeitig auch nur zeitliche sehr verzögerte Kommunikation stattfand, wurden mit Misstrauen behandelt.

Heute findet Kommunikation an jedem Ort der Welt praktisch sofort und ohne zeitliche Verzögerungen statt Dieser Umstand hat uns dabei geholfen, eine weltumspannende Zivilisation zu errichten. Aber indem wir dieses Netzwerk so schnell aufgebaut hatten, haben wir uns auch dementsprechend schnell dabei übernommen. Wie bei einem Gummiband, das viel zu weit nach hinten gezogen wurde, wird der Rückschlag schnell und schmerzhaft sein...

Peter Stone

World Collapse

***

Als Peter sich dem ersten Auto näherte, war er überrascht als er sah, dass es sich dabei um ein gepanzertes Fahrzeug von der Art handelte, welche auch bei Geldtransporten von Banken und Geschäften zum Einsatz kamen. Das Auto war quadratisch , grau und kauerte teilnahmslos und verdächtig vor ihm hin. Seine Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wurden von seinem Dachscheinwerfern geblendet. Aber er konnte erkennen, dass es sich bei dem zweiten Fahrzeug im Konvoi auch um ein gepanzertes Fahrzeug handelte. Die anderen Fahrzeuge waren nur dunkle Schemen; Peter konnte nicht sagen um wie viele es sich handelte, oder wie sie aussahen.

Eine drahtige Figur stieg aus dem zweiten Fahrzeug aus, um ihn an der Tür des ersten Fahrzeuges zu begrüßen. Es war Kudjo Wilson. “Freut mich, dass du gekommen bist”, sagte er und öffnete die Mitfahrertür des Fahrzeuges. “Lass uns mit der Vorstellung beginnen”.

Er steckte seinen Kopf in die Kabine. “Honon, das ist mein Kumpel, Peter. Peter, darf ich dir den ehrenwerten, erhabenen und unermesslichen Israel Baumberg vorstellen”.

Im Innern der Kabine war eine batteriebetriebene Lampe, die genug Licht ausstrahlte, damit Peter den Mann ausmachen konnte, welchem er vorgestellt wurde. Sogar im Sitzen war Israel Baumberg ein stattlicher Mann mit breiten Schultern und sehr kräftigen Armen. Im Stehen musste er mindestens zwischen 1.90m oder 1,95m sein. Sein Haar war glatt, schwarz und und hatte eine kurzgeschnittene Frisur, die fast ein Topfhaarschnitt war. Sein Gesicht war faltig und verwittert. Es sah mehr nach gegerbtes Leder aus als nach Fleisch. Es war nicht einfach in dem schwachen Licht die Hautfarbe auszumachen, aber Peter ging auf Grundlage seiner Beobachtungen davon aus, dass der Mann dunkelhäutig war. Ein automatisches Gewehr und eine Maschinenpistole befanden sich beiläufig neben ihm.

“Willkommen zu unserer Karawane, Mr Smith. Steigen Sie ein.” Als Peter einstieg, beobachtete ihn der Mann im dunklen Licht. “Oder sollte ich sagen, Mr Stone? Das ist eine unerwartete Ehre”.

Peter verzog das Gesicht. Dass er erkannt wurde, gefiel ihm nicht; zu viele Leute hegten ihm gegenüber keine guten Gefühle. Aber er stieg in die Kabine und nahm Platz.

“Zeigen Sie mir Ihren Arm”, fuhr der Mann fort. “Kudjo hat mir gesagt, dass Sie ihn sich verletzt haben”. Er begutachtete vorsichtig die Wunde. “Es schaut nicht sehr schlimm aus, aber wir wollen unterwegs keinen unangenehmen Überraschungen erleben, also sollten wir uns besser darum kümmern. Kudjo, könntest du nachsehen ob Sarah gerade zur Verfügung steht? Und wenn du schon dabei bist, seh’ bitte nach wie es mit dem Abendessen steht”.

“Jawoll, Boss”, Kudjo parodierte das Grinsen der ehemals unterwürfigen schwarzen Diener. Er bewegte sich den Konvoi entlang, um die Anweisungen auszuführen.

“Guter Mann, der Kudjo. Sie hatten Glück ihm zu begegnen. Er war früher ein verdeckter Polizist der Drogenabteilung der St. Louis Police. Besser bekommt man sie nicht hin. Und bevor Sie fragen, mein Vater war Jude und meine Mutter indianischen Ursprungs und ich bevorzuge es mit meinem indianischen Namen, Honon, angesprochen zu werden. Er bedeutet “Bär”. Das ist erstmal genug über mich für den Moment. Irgendwelche Fragen?”

“Ja — was ist all das hier?”

“Das”, Honon streckte seine Hand aus, um die Kolonne hinter seinem Fahrzeug mit einzubeziehen, “ist eine Karawane, die Kudjo und ich anführen. Wir sind gerade dabei von hier nach dort zu fahren”.

“Ich weiß wo hier ist, aber wo ist ‘dort’?”

“Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen gleich erzählen werde. Wir sind von San Francisco aus gestartet und haben uns der kalifornischen Küste entlang bewegt. Sie haben sehr viel Glück. dass Sie uns getroffen haben; wir sind von der Route 101 abwärts gekommen und hätten diesen Bereich überhaupt nicht befahren, aber ein Erdbeben hat die Straße südlich von Ventura komplett zerstört. Wir mussten zur 138 zurück und durch Santa Paula auf die Interstate 5, was genau da ist, wo wir uns gerade befinden. Wir werden hier für heute Nacht wohl unser Lager aufschlagen und morgen weiterfahren”.

In diesem Moment steckte eine Frau ihren Kopf durch die offene Tür der Passagierseite. Sie sah aus, als ob sie in ihren 40ern wäre. Sie hatte grau-blonde Haare und ein etwas volles Gesicht. “Ich habe gehört, dass du jemanden hättest, der eine Behandlung benötigt”, sagte sie zu Honon.

“Stimmt. Peter, dass ist Dr. Sarah Finkelstein. Sie kümmert sich um unsere Kranken während unserer Reise. Sarah, ich möchte dir den berüchtigten Peter Stone vorstellen”.

Peter zuckte wieder bei der Vorstellung. Die Ärztin schaute in kritisch von oben nach unten an. “So so. Der Mann, der am Ende Recht hatte. Ist das ein Trost für Sie?

“War es nie”

“Glaube ich auch nicht. Also, sehen wir uns mal an was Sie hier haben.” Sie untersuchte seine Wunde leise vor sich hin redend. “Ist Ihre Tetanusimpfung aktuell?”, fragte sie.

“Ich habe mich seit Jahren nicht mehr dagegen impfen lassen”.

“Ich weiß, eine blöde Frage, aber alte Gewohnheiten wird man nur schwer wieder los. Sie werden auch keine von mir bekommen; ich habe keinen Impfstoff mehr. Es schaut aber nicht allzu schlimm aus. Ich werde die Wunde säubern und sie bandagieren. Sie werden etwas steif sein, aber sie werden überleben. Ich habe noch eine Frage an Sie. Sie wird zwar etwas persönlich sein, aber sie ist notwendig. Haben Sie irgendwelche Geschlechtskrankheiten?”

 

Peter war von ihrer Offenheit überrascht, aber antwortete mit Nein. “Gut,” sagte sie. “Wir müssen versuchen unsere Brutpaare gesund zu halten.” Ohne weitere Erklärungen begann sie effizient und leise an seinem Arm zu arbeiten und ließ danach Peter und Honon alleine.

“Bevor ich mit der ganzen Geschichte anfange”, sagte Honon, “gibt es da ein paar Fakten, die Sie zum besseren Verständnis benötigen”. Sie sind bestimmt mit den Fortschritten im Bereich der Kryotechnik und der Kryostase vertraut”.

Peter nickte. “Ich hatte sie in meinem Buch erwähnt”.

“Ja, das stimmt. Verzeihen Sie mir bitte, ich vergaß; es ist eine Weile her, dass ich Zeit hatte das Buch noch einmal zu lesen. Soweit ich mich erinnere, waren Sie nicht des Lobes über sie”.

“Sie waren verschwendete Mühen, ein vergeblicher Griff nach Unsterblichkeit. Was für mögliche Vorteile würde es denn geben, jemanden nach fünfzig Jahren von heute an aufzuwecken, wenn alle Zeichen darauf hindeuteten, dass die Welt bis dahin bereits genug Schwierigkeiten haben wird die Wenigen zu versorgen, die noch vorhanden sind? Menschen aus der Vergangenheit wären vollkommen hilflos in einer neuen, von Hungersnot, Dürre, Krieg und Plagen gebeutelten, Welt. Das Geld und das Talent, dass in die Forschung gesteckt wurde, hätte man woanders besser gebrauchen können.”.

“Mag sein,” sagte Honon, “aber es könnten auch Effekte vorhanden sein, die auch Sie nicht vorhergesehen haben”.

“Zum Beispiel?”

“Nicht so schnell. Haben Sie schon mal von einem Stern namens Epsilons Eridani gehört?”

“Tut mir Leid, Astronomie war noch nie mein Gebiet”

“Meines auch nicht. Aber Glücklicherweise gab es ein paar, die daran interessiert waren. Vor einigen Jahren, bevor das Raumforschungsprogramm komplett auseinander fiel, führten sie ein Experiment durch, welches sie Sternparallaxe nannten- fragen sie mich nicht nach einer Erklärung was das ist, ich habe keine- und sie entdeckten, dass Epsilon Eridiani eine Reihe Planeten besitzt, genau wie unsere eigene Sonne. Es war eine interessante Entdeckung, aber die Welt hatte dringendere Probleme und nahm daher fast keine Notiz.

“Und fast zur gleichen Zeit schrieb ein Mann ein Buch. Es war ein großes Buch, ein mächtiges Buch und es machten sehr vielen Leuten Angst. Es ging um das Ende der Zivilisation und der Rückkehr des Barbarentums aufgrund von Überbevölkerung, erschöpften Rohstoffvorkommen und einem Zusammenbruch aller Kräfte, die uns zusammen hielten. Die meisten wurden deswegen wütend, weil das eine Tatsache war, vor der sie Angst hatten —”

“Sagen Sie bloß,” murmelte Peter.

“— aber einige wurden auch nachdenklich. Die Ausführungen des Autors waren unwiderlegbar, aber diese nachdenklichen Leute wollten immer noch nicht das Ende der Zivilisation sehen. Also begannen sie über Alternativen nachzudenken.”

“Das tat ich ja auch, und ich wurde dafür gehasst. Sicher, meine Gedanken waren radikal, aber ich habe mich mit einer Krisensituation auseinander gesetzt. Meine Pläne hätten vielleicht nicht geklappt, aber sie wären nicht schlimmer gewesen als die Hölle in der wir uns gerade befinden.”

Honon zuckte mit den Schultern. “Wer kann das schon sagen? Wie dem auch sei, diese nachdenklichen Leute sahen wie Ihnen die Abneigung entgegen schlug und entschieden sich dazu ihrer eigenen Arbeit im Geheimen nachzugehen. Einige von ihnen waren sehr einflussreich, einige hatten sehr viel Geld und ein paar Wenige hatten beides”.

“Das ist immer hilfreich.”

“Sie bauten also ihr eigenes Raumschiff —”

Peter schnappte nach Luft. “Hey, einen Moment bitte. Ich glaube ich habe hier was verpasst. Was soll das sein, das mit dem Raumschiff ?”

“Denken Sie mal darüber nach; benutzen Sie Ihren scharfen Verstand. Wenn die Erde bereits aufgebraucht wurde, dann hätte die Zivilisation woanders wohl eine bessere Chance, wenn sie weiterbestehen und wachsen will, stimmts? Und wo soll das sein? Kein Planet in unserem Sonnensystem kann eine ganze Zivilisation beherbergen, ohne dass diese über enorme Technologie verfügen müsste. Damit bleiben uns nur noch die Sterne übrig— insbesondere Epsilon Eridani”.

Peter wollte gerade was sagen, als ein kleines Mädchen an der Tür des Fahrzeuges klopfte. Sie hatte dunkle Harre und war nicht älter als acht oder neun Jahre. “Mister Honon”, sagte sie, “ich habe Abendessen für Sie und den anderen Herrn”.

“Danke, Mary”. Honon streckte seine Hand aus dem Fenster und nahm von ihr zwei Schüssel entgegen. “Vorsicht,” sagte er zu Peter als er ihm eine Schüssel reichte. “Sie sind heiß.” Das kleine Mädchen ging wieder dahin zurück von wo sie herkam.

Die Konsistenz des Inhaltes der Schüssel bewegte sich zwischen Suppe und Eintopf. Es waren Kartoffel, Bohnen,Erbsen, Karotten, Sojabohnen und sogar kleine Hühnerstücke drinnen — für heutige Standards ein bunte Mischung. Peters Magen meldete sich lautstark bei ihm, dass er seit dem dürftigen Frühstück nichts mehr zum Essen hatte. Er nahm den Löffel, den Honon ihm anbot und führte etwas von dem Essen in seinem Mund und schmeckte die Geschmackskombination ab. “Sie essen ziemlich gut”, sagte er.

“Danke. Wie bereits gesagt, wir versuchen die Zivilisation am Leben zu erhalten und gutes Essen ist eines ihrer besseren Aspekte. Wir tun was wir können, wenn wir unterwegs sind, aber sogar das hier ist bei weitem kein ausgeglichenes Essen.”

“Es gibt Leute, die für das hier töten würden.”

Honon seufzte. “Ich weiß. Sie haben es schon ein paar Mal versucht. Deswegen bevorzugen wir es auch, dass gepanzerte Fahrzeuge den Konvoi anführen. Reisen ist heutzutage nicht mehr etwas, dass man aus Jucks und Dollerei mehr macht.”

Beide Männer aßen für eine Weile in Stille mit der Erkenntnis, dass ihre Mahlzeit buchstäblich ein Schatz in dieser verödeten Welt war. Peter war als Erstes fertig und lehnte sich zufrieden zurück.

“Vielen Dank. Das war das beste Essen, dass ich seit Wochen hatte.”

“Möchten sie mehr? Ich könnte nach einem Nachschlag für sie verlangen.”

“Ich möchte Ihre Vorräte nicht auf brauchen—”

“Wir haben genug für die nächste Zeit. Der ganze Laderaum des Fahrzeuges hinter uns ist voll mit tief gefrorenen und getrockneten Sachen.”

Peter war sehr versucht aber entschied sich dazu abzulehnen. “Ich möchte mich nicht zu sehr an einen guten Lebensstil gewöhnen,” sagte er. “Situationen können sich so schnell ändern.”

Honon nickte. “Das stimmt, aber das hält mich nicht davon ab gut zu leben, solange ich kann. Das habe ich gelernt, als ich gehütet habe. Man überlebt schlechte Zeiten und macht sie in den guten Zeiten wieder gut.”

“Sie waren also Viehtreiber?”

“Ich war so ziemlich alles. Holzfäller, Lastwagenfahrer, Forstaufseher, Landarbeiter, Tischler, Tellerwäscher— ich mag es andauernd etwas Neues zu machen.”

“Und jetzt sind Sie Wagenmeister.”

“Yep. Wissen Sie, so wie ich das sehe, muss man sich immer auf etwas hinbewegen. Reisen ist nicht genug; man muss ein Ziel vor den Augen haben”.

“ Und Ihr Ziel sind die Sterne?”

“ Nicht sofort. Zuerst muss ich diese Leute zum Kloster bringen.

“Wohin?”

“So nennen wir unsere kleine Kolonie. Da während des Mittelalters die Klöster das Wissen aufbewahrten und am Leben erhielten, dachten wir uns, dass wir unsere Basis nach ihnen nennen würden. Es hat keinerlei religiöse Bedeutung, das kann ich Ihnen versichern; wir sind alle ziemlich tolerant. Es ist so schon schwierig genug heute zu überleben, da müssen wir nicht auch noch alte Vorurteile wiederbeleben.”

“Das hindert die meisten Leute nicht. Fanatismus scheint momentan einen Höchststand erreicht zu haben,” sagte Peter verbittert.

Honon zuckte mit den Schultern. “Es interessiert mich nicht wirklich, ob sie sich gegenseitig umbringen. So wie ich das sehe, kann die Menschheit nur besser werden, wenn die Fanatiker aus dem Genpool entfernt werden.”

“Wo ist dieses Kloster?”

“Oh, es ist irgendwo da draußen.” Honon winkte mit seiner Hand Richtung Osten. “Ich kann leider nicht genauer sein. Es ist ein Geheimnis und das aus gutem Grund. Wir leben viel zu gut, als das wir alle Leute von außerhalb aufnehmen könnten. Wenn sie wüssten wo wir sind, dann würden sie kommen und uns auseinander nehmen. Deswegen kann ich den Leuten in der Karawane auch nicht sagen wo genau wir hingehen— das ist für den Fall, dass einer uns verlässt oder von uns getrennt wird. So können sie niemandem etwas verraten.

“Aber wenn Sie eine interstellare Kolonie planen, dann müssen Sie doch ziemlich viele Leute haben—”

“Beim letzten Mal waren es fast 5000.”

Peter pfeifte. “Aber es ist doch unmöglich so viele Leute zu verstecken”-

“Wir kriegen das schon hin,” Honon lächelte.

“Aber allein schon so viele Menschen von der Erde zu bringen, ist schon ein Problem für sich. Wie wollen Sie das machen?”

“Es kommt ja auch nicht jeder mit. Einige von uns haben eine sentimentale Bindung zu dieser alten Welt und möchten hier bleiben und sie rehabilitieren, so weit uns das möglich ist. Ungefähr 3000 werden diese Reise antreten.”

“Aber auch wenn, die benötigte Treibstoffmenge—”

“Im letzten Jahr des Raumforschungsprogrammes gab es eine Entwicklung, die unbemerkt an der Presse vorbeigegangen ist, als sie damit beschäftigt war über Kriege, Engpässe und ähnlichem zu berichten und zwar: Nuklearer Antrieb. Er lässt einen sehr schwere Lasten mit nur geringem Aufwand transportieren. Es wurde bisher noch nicht im bemannten Kampf getestet, aber Feldversuche verliefen sehr viel versprechend.

“Ich tue jetzt nicht so, als ob ich Raumfahrtingenieur wäre, aber ich erinnere mich daran, mal eine Planetarium Show gesehen zu haben, in der gesagt wurde, dass es tausende von Jahren dauern würde, um von hier zum nächsten Stern zu fliegen. Sie können nicht erwarten, dass die Kolonisten so lange leben werden— allein schon das Essen für 3000 Menschen würde mehrere Raumschiffe füllen.”

“Diese Zahlen, so wurde mir gesagt, basieren auf Annahme konstanter Geschwindigkeit. Was der nukleare Antrieb uns aber bietet ist konstante Beschleunigung— ein zehn tausendstel eines “gee” um genau zu sein. Ich weiß, das hört sich nicht nach viel an, aber es summiert sich. Die letzten Schätzungen gehen davon aus, dass man die Reise in nur 650 Jahren schaffen kann.”

“Aber auch dann—”

“Erinnern Sie sich daran, was ich vorher über die Kälteschlaftechniken gesagt habe? Die Kolonisten werden kurz vor Abflug eingefroren und, mit Ausnahme der Schiffsbesatzung, nicht mehr aufwachen bis sie ihr neues Zuhause erreicht haben. Wir sparen so Vorräte und Platz, da wir nicht genügend Platz für so viele Menschen zur Verfügung haben.”

Peter war für einen kurzen Augenblick still und dachte über die Möglichkeiten nach. “Entweder sind Sie verrückt,” sagte er schließlich,”oder der hoffnungsloseste Träumer den ich kenne.”

“Von beidem ein bisschen, hoffe ich mal. Wir leben in einem sehr aufgeklärten und traumlosen Zeit und schauen Sie in welchem Chaos wir uns gerade befinden. Es gibt nichts vernünftigeres als versuchen am Leben zu bleiben, was genau das ist, was alle da draußen versuchen. Für sie ist es eine Vollzeitbeschäftigung. Sie haben keine Zeit für Träume. Und als Ergebnis führen sie ein Leben am Rande des Überlebens und es wird schlimmer. Ich für meinen Teil bestehe darauf öfters in den Himmel zu schauen und mich zu fragen, ob die Dinge besser sein können. Fantasie mag zwar etwas verrückt sein, aber kein intelligentes Wesen kommt lange ohne sie aus.

“Davon abgesehen,” ergänzte er und zeigt anklagend mit seinem Finger Richtung Peter, “Sie sind der letzte der Kritik üben sollte. Glauben Sie bloß nicht, dass ich nicht hinter Ihrer zynischen Maske blicken kann, die Sie wie ein griechischer Tragiker tragen. Mark Twain antwortete auf seine alten Tage immer auf den Vorwurf er sei ein Pessimist, dass er ein Optimist sei, der nicht angekommen sei. Hätten Sie nicht idealisiert, hätten Sie die Welt nicht so gesehen wie sie hätte sein sollen, dann hätte Sie in ihrem Buch nie all Ihr Feuer und die Wut, die sie gespürt hatten, verpacken können.”

“Wirklich?” Fragte Peter amüsiert und mit erhobener Augenbraue. Viele haben versucht ihn anhand seines Buches psychisch zu analysieren. Alle mit unterschiedlichem Erfolg.

“Ein Zyniker ist ein frustrierter Optimist. Man muss zuerst Ideale haben, damit man enttäuscht darüber sein kann, dass sie nicht erreicht wurden. Sie, Peter Stone, sind ein Erbauer von Utopien, aber ohne gute Versorgung mit Baumaterial.”

 

“Und deswegen wollen Sie, dass ich mitkomme— weil ich ein Versager bin und Sie mir eine weitere Chance geben wollen? Entschuldigen Sie wenn ich ein Zyniker bin, aber das glaube ich nicht.”

Honon schüttelte seinen Kopf. “In keinster Weise. Ich will der Menschheit eine weitere Chance geben und ich denke, dass Sie dabei helfen könnten. Sie denken über soziale Phänomene nach. Sie sehen Alternativen wo andere blind sind, und sie scheuen sich nicht davor öffentlich darüber zu sprechen. Wir brauchen jemanden mit einem guten Auge für Alternativen und einen Sozialkritiker, wenn wir es schaffen wollen. Da haben Sie es— die Grundregeln und die Arbeitsbeschreibung. Ich brauche eine Antwort von Ihnen, eine Zusage von Ihnen auf der Stelle, weil ich werde nicht mehr in diese Gegend kommen. Wollen Sie den Job?”

Peter zögerte nicht einmal. “Also die Bezahlung ist miserabel, aber die Randbedingungen scheinen in Ordnung zu sein. Wenn Sie mir einen Teil des Traumes abgeben, denke ich mal, dass ich ihn schlucken kann”