Mit Dem Wind

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Ich habe gefunden, was ich wollte. So wie es aussieht, kann man nichts auspacken. Es gibt nur dich, unsere Truhen und mich.“

„Sehr wohl. Ich werde versuchen, zumindest eine Schüssel oder ein wenig Wasser für Sie zum Waschen zu bekommen“, antwortete Hannah, die einen missbilligenden Ausdruck in ihrer sonst sanften Miene zeigte.

Anjou nickte und Charles kam herein, als die Zofe ging.

Kapitel Zwei

„Wie geht es dir bisher?“, fragte Charles.

Anjou seufzte höhnisch. „Es waren erst zwei Stunden, Charles!“

„Ich wollte lediglich ein wenig Konversation machen.“ Er lachte leise. „Willst du während der ganzen Reise in dieser winzigen Kabine bleiben?“

„Ich glaube, das werde ich. Der Kapitän schätzt meine Anwesenheit offensichtlich nicht an Bord“, sagte sie mit für sie ungewöhnlicher Gereiztheit.

„Mach dir keine Gedanken wegen Edward. Er hatte seit Jahren keinerlei Kontakt zu wirklichen Damen.“

„Das ist vermutlich auch das Beste“, murmelte sie.

„Wie auch immer, du kannst nicht wochenlang in dieser Kabine bleiben.“

„Du solltest von allen Leuten am besten wissen, dass ich kein Problem damit habe, allein zu sein.“

„Stimmt, aber es gibt schon einen Grund dafür, dass es den Begriff „Lagerkoller“ gibt. Du kannst nicht für über einem Monat in einem kleinen, dunklen Zimmer ohne Fenster bleiben.“

Sie verzog ihren Mund. „Vielleicht gehe ich mit dir umher, wenn der Kapitän schläft.“

„Das könnte schwierig werden. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so wenig schläft wie Edward Harris. Wie auch immer, ich werde versuchen, es dir angenehm zu machen. Ich kann nicht behaupten, dass ich dem mit Freuden entgegensehe, nach allem, was er am Ufer gesagt hat, aber er ist im Grunde ein guter Mensch - ich kenne ihn seit der Schule. Er hatte es nicht leicht, daher ist seine schroffe Art schon verständlich.“

„Was meinst du damit?“, fragte Anjou mit unglaublicher Neugierde, was den gutaussehenden Kapitän anging, auch wenn es sie geärgert hatte, wie er sie behandelte. Sie beobachtete Menschen genau, was sie auf ihre schüchterne Art zurückführte. Er war definitiv ein Gentleman, auch wenn er es gut verbarg. Warum hatte sie sich anfangs in seiner Gegenwart wohl gefühlt?

„Ich meine, er kommt aus einer erstklassigen Familie, aber sein nutzloser Vater hat das ganze Vermögen der Familie durchgebracht. Er ging von zuhause fort, um seine Geschwister finanziell zu versorgen, und hat ein beachtliches Vermögen erwirtschaftet. Die meisten Leute meiden ihn deshalb.“

„Die Engländer vielleicht. Die Franzosen würden ihm Beifall klatschen.“

„Falls sie sich die Mühe machten, ihn zu fragen, bevor sie ihm den Kopf abschlagen. Egal, ich werde zurückkommen, sobald Edward ein wenig schläft.“ Charles drehte sich zum Gehen um, aber hielt inne. „Falls du zufälligerweise auf ihn triffst, denk daran, was ich dir gerade gesagt habe.“

„Natürlich. Ich werde mich vermutlich eher ducken und den Mund halten. “

Er lächelte und klopfte zweimal auf die Kabinentür, bevor er sie hinter sich schloss.

Anjou dachte an ihre Unterhaltung mit Lady Easton vor einiger Zeit, als sie zuerst mit der Idee gespielt hatte, sich selbst auf die Suche nach Aidan zu machen.

„Ich muss gestehen, die Reise ist sehr lang“, hatte Lady Easton gesagt. „Wir waren auf einem sehr großen Schiff, dass nicht schnell fuhr. Es gab Tage, an denen wir uns überhaupt nicht bewegten, wie es schien! Ich habe gehört, dass es einige neu entwickelten Schiffe gibt, die die Reise in unter einem Monat schaffen! Ich glaube, sie sind kleiner, aber es wäre eine Überlegung wert. Wir hatten eine kleine Kabine mit einem Wohnzimmer, das der Kapitän normalerweise für seine Familie benutzt, obwohl sie während des Krieges nicht reisten. Ich weiß nicht, wie es auf anderen Schiffen aussieht.“

„Ich kann mir einen ganzen Monat auf einem Schiff nicht vorstellen“, hatte Anjou mit Grauen gesagt. „Ich kann kaum die kurze Fahrt über den Kanal aushalten.“

„Ich finde die Fahrt über den Kanal auch sehr oft unangenehm“, gestand Lady Easton mitleidig. „Es scheint immer raue See zu herrschen. Zum Glück werde ich nicht seekrank. Mein Bruder und meine Schwester hingegen schon, und meine Zofe!“ Sie lachte, als sie sich daran erinnerte. „Armes Ding - sie war fast die ganze Reise über in ihrer Koje.“

„Ich habe mehr Angst als alles andere, glaube ich.“

„Die meisten Menschen finden, dass sie sich daran gewöhnen und es nach einem Tag oder zweien besser geht.“

„Womit kann man sich die Zeit vertreiben?“

„Ich habe den größten Teil der Reise damit verbracht, Lord Eastons Kriegswunden zu versorgen. Ich würde das keinem empfehlen“, scherzte Lady Easton. „Ich würde allerdings Medizin mitnehmen, wenn ich noch einmal ginge, und ich würde meine alte Heimat gerne bald wieder besuchen. Ich würde einige Dinge einpacken, sechs Bücher bestimmt, und jedes mehrere Male lesen. Viele Frauen nähen, spielen Karten, führen Tagebuch oder spielen ein Instrument.“

„Ich lese sehr gerne und ich kann nähen. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, meine Bratsche mitzunehmen.“

„Der Kapitän auf unserem Schiff hatte eine Vorliebe für kulinarische Köstlichkeiten und wir waren gut mit Lebensmitteln ausgestattet. Du musst deine Erwartungen herabschrauben, aber das gleiche Mahl alle drei Tage war schon ermüdend.“

„Ich habe mir über das Essen gar keine Gedanken gemacht. Auf dem Land nimmt man es als gegeben hin.“

„Ja, in der Tat! Ich glaube, frisches Wasser war der größte Luxus, das fehlte mir am meisten. Wohin nach Amerika möchtest du denn gehen?“

Anjou hatte niemandem außer ihren Eltern von ihrer Ehe erzählt, darauf hatten sie bestanden. Sie begründeten es damit, dass Aidan zuerst lebend zurückkehren sollte. Es machte für sie keinerlei Sinn.

„Ich glaube, ich würde gerne nach Washington gehen“, antwortete sie vage.

„In die Hauptstadt? Das ist in der Nähe meiner Heimat, gegenüber dem Fluss in Virginia.“

„Ja, ich habe davon gehört.“

Lady Easton sah nachdenklich aus. „Darf ich fragen, warum du gehen willst, wenn du Angst vor der Überfahrt hast? Du musst mir nicht antworten, wenn ich zu aufdringlich bin.“

Anjou zögerte und hatte Schwierigkeiten, die Fassung zu bewahren.

„Ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich niemandem etwas sage.“

„Dann brauchst du das auch nicht. Wie auch immer, ich bestehe darauf, dass du in meinem Haus bleibst, während du dort bist. Ich werde meiner alten Zofe Josie schreiben, die jetzt dort die Haushälterin ist. Ihr Ehemann, Buffy, war Eastons Offiziersbursche in der Armee. Er ist unser Diener. Sie werden dir gerne mit allem helfen, was du brauchst.“

„Mit allem?“, fragte sie überrascht.

Lady Easton nickte. „Natürlich.“

„Darf ich noch erst mit meinen Eltern reden, bevor Sie einen Brief senden? Ich muss sie davon überzeugen, dass sie mich gehen lassen.“

„Du beabsichtigst aber nicht allein zu gehen, oder?“, fragte Lady Easton mit warnender Stimme.

„Ich hatte vorgehabt, meine Zofe mitzunehmen.“

Lady Easton schüttelte den Kopf. „Kommt nicht in Frage. Du darfst nicht allein gehen. Ich bin nur mit meiner Zofe hergekommen, weil es nicht anders ging. Wir versuchten, einem Krieg zu entkommen, und obwohl ich meine Familie hatte, die mich in England erwartete, waren wir dennoch mit Konsequenzen der Gesellschaft konfrontiert. Ich weiß nicht, warum du gehen möchtest, aber ich nehme an, du hast deine Gründe dafür. Die Amerikaner sind wunderbare Menschen, aber einer Engländerin gegenüber könnten sie misstrauisch sein, speziell einer, die unverheiratet ist und allein reist. Du hast niemanden dort, der dich in Empfang nimmt, und du kannst dich nicht allein in gesellschaftlichen Kreisen bewegen.“

„Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht“, gab Anjou zu.

„Ich war jung, als wir von dort weggingen, und ich bin seitdem nur einmal wieder zurückgekehrt, aber ich gehe davon aus, dass sich diesbezüglich nicht viel verändert hat. Ich war ein ziemlicher Wildfang in jungen Jahren, und wenn mich mein Vater nicht beschützt hätte, hätte ich sehr gelitten. Ich würde vorschlagen, dass du deinen Vater mitnimmst, wenn er sich darauf einlässt.“

„Ich glaube kaum“, flüsterte Anjou niedergeschlagen.

„Vielleicht deinen Bruder?“, schlug Lady Easton vor.

„Vielleicht.“ Bei diesem Vorschlag flackerte ein wenig Hoffnung in ihr auf.

„Darf ich dir etwas im Vertrauen sagen?“, fragte sie.

Anjou nickte.

„Meine Schwester Sarah lebt dort allein. Sie wollte England für eine Zeitlang verlassen.“

„Wird ihr die Störung viel ausmachen?“

„Nein. Es waren schon andere Besucher dort. Das Haus ist groß genug, so dass sie sich zurückziehen kann, wenn sie will.“

„Ich verstehe. Ich selbst bevorzuge es meist allein zu sein.“

Lady Easton nickte. „Das dachte ich mir. Sarah erholt sich von dem gewaltsamen Tod ihres Ehemanns. Es geschah kurz vor Weihnachten.“

„Lady Abernathy?“, fragte Anjou erstaunt, während sie versuchte, sich an die Gerüchte zu erinnern, die sie gehört hatte. Sie war sich der Verbindung nicht bewusst gewesen, obwohl es gut möglich war, dass ihre Mutter es erwähnt hatte.

„Eben diese. Die Einzelheiten des Duells und der schmutzigen Affären sind unglücklicherweise nur zu bekannt.“

„Das tut mir leid zu hören. Ich werde sie nicht belästigen.“

„Ich sage dir das auch nur, damit du ihr keine unnötigen Fragen stellst. Sie würde auch keine passende Anstandsdame sein, da sie sich nicht in der Gesellschaft bewegt.“

 

„Nein, natürlich nicht“, stimmte Anjou zu.

„Lass es mich wissen, wenn du dich entschieden hast. Es wird einige Zeit dauern, bis ein Brief bei ihnen ankommt.“

„Ich muss meinen Bruder davon überzeugen, mich zu begleiten, und natürlich meine Eltern. Ich fürchte, dass diese Hindernisse einfacher zu überwinden sind als meine eigenen Ängste.“

„Nur Mut, meine Liebe. Du musst darüber nachdenken, was passieren kann, wenn du gehst, und natürlich auch, wenn du nicht gehst.“

„Ja, das werde ich tun. Vielen Dank, Lady Easton.“

„Gern geschehen. Und bitte, nenn mich Elly.“

Elly hatte ihr mehr geholfen, als Anjou sich hätte vorstellen können. Abgesehen von den Worten, die sie letztlich anstachelten, eine Entscheidung zu treffen, hatte sie ihr alle nur denkbaren medizinischen Dinge geliehen, Kleidung, Stiefel, Ingwerkekse und Bücher, die ihr bei der Reise helfen sollten. Anjou hatte auch einige Näharbeiten mitgenommen und ihre Bratsche, um sich die Zeit zu vertreiben. Wenn sie sich einmal an die Bewegungen des Schiffes gewöhnt hatte, war sie sicher dankbar für die ganzen Ratschläge.


„So kann man es fast aushalten“, meinte Charles, als er sich bewundernd in der Kapitänskajüte umsah und seine Hand über die Mahagoniverkleidung gleiten ließ, mit der die drei Fensterscheiben eingefasst waren, die nach Achtern hinausgingen. Es fühlte sich schon fast wie zuhause an. „Danke, dass du mich aufgenommen hast.“

„Es ist die meiste Zeit mein Zuhause. Es ist klein, aber ich komme zurecht. Danke, dass du bei der Takelage mitgeholfen hast“, erwiderte Edward, der sah, wie Charles seine wunden Hände rieb.

„Ich sollte keine Gewohnheit daraus machen. Sonst sehe ich hernach noch aus wie du“, scherzte Letzterer.

„Segeln ist nichts für Gentlemen, das steht fest. Du kannst hier schlafen“, sagte Edward und zeigte auf eines von zwei Betten, die an der Wand der Kabine standen. Ein schmaler Schreibtisch und ihre Truhen vervollständigten die Ausstattung. Der angrenzende Raum war ein kleiner Salon, wo der Kapitän und seine Maaten ihre Mahlzeiten einnahmen. Auf der anderen Seite des Schotts lagen zwei kleine Kabinen. In einer waren die Maaten untergebracht und in der anderen Anjou und Hannah. Sie waren noch kleiner als die Hälfte dieser Kajüte, die nicht größer als drei mal drei Meter war, inklusive der Kojen. Die Ladung nahm bei einem Handelsschiff den meisten Platz ein, obwohl einige Schiffe auch luxuriöse Unterkünfte für gut zahlende Passagiere hatten. Unter der Besatzung gab es sogar eine Rotation, da beim Wachwechsel die Hängematten geteilt wurden. Segeln war ein Unternehmen, das vierundzwanzig Stunden dauerte, etwas, was Charles nie so bewusst war, bis er es aus nächster Nähe erlebte. Seit er auf dem Schlachtfeld gewesen war, hatte er sich nicht mehr so verausgabt.

„Ich bin neugierig“, begann Edward, als er es sich bequem gemacht hatte. „Deine Schwester erwähnte, dass sie dieses Schiff ausgesucht hat.“

Charles nickte. „Sie hat sich oft mit Lady Easton über ihre Reise unterhalten. Sie war der Meinung, dass sie es nicht sechs oder mehr Wochen auf See aushalten könnte, daher ging sie die Zeitungen durch und fand dabei dein Schiff.“

„Obwohl es schmeichelhaft ist, kann ich nicht garantieren, dass es eine schnelle Reise wird. Es kommt immer auf das Wetter an, und wenn du meine Männer jetzt fragtest, würden sie dir bestimmt sagen, dass ihre Anwesenheit unsere Reise verflucht.“

„Eine Reise auf dem Postschiff hätte sicherlich länger gedauert und sie hat Angst, auf einem Schiff zu sein.“

„Eine wunderbare Kombination“, sagte Edward bissig. „Ich habe meine Männer gewarnt, damit sie sie in Ruhe lassen.“

„Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein wird“, sagte Charles, der sich unsicher war, ob er ihm sagen sollte, dass sie beabsichtigte, ihre Kabine nicht zu verlassen.

„Ich hatte damit gerechnet, dass sie ihre Kabine sieht und mich dann aus meiner wirft, wie es die meisten Damen getan hätten“, spottete er.

„Meine Schwestern sind härter im Nehmen, als es den Anschein hat. Anjou hält sich meist von Fremden fern und wird es jetzt erst recht tun, da sie weiß, dass du mit ihrer Anwesenheit nicht einverstanden bist. Sie wird sich verstecken.“

„Willst du damit sagen, dass sie mich während der ganzen Überfahrt meiden will?“ Edward brach in ein röhrendes Gelächter aus.

„Sie mag schüchtern sein, aber sie ist auch sehr dickköpfig“, erklärte Charles.

„Das könnte unterhaltsamer sein als alles andere der vergangenen Jahre“, sagte Edward und klopfte mit seinem Glas auf die Karte, die auf seinem Schreibtisch lag.

„Nur die Ruhe, Kapitän“, sagte Charles ein wenig verteidigend, als er sich fragte, was sein Freund im Hinblick auf seine Schwester plante.

„Keine Sorge, mein Freund. Ich werde ihr nichts tun. Sie könnte sich verletzen ...“

„Da bin ich aber beruhigt“, sagte Charles mit einem Seitenblick auf seinen Freund.

„Mein Koch konnte auf diese Reise nicht mitkommen, da er sich um einen erkrankten Verwandten kümmern muss. Ich hatte überlegt, ob sie sich vielleicht in der Kombüse nützlich machen könnte. Außer, dir schmeckt, was der Stewart zusammen rührt.“

Charles verzog angewidert das Gesicht. „Ich kann mir vorstellen, dir schmeckt es noch weniger als mir, wenn ich mich an deinen Geschmack richtig erinnere.“

„Mach dir um die Versorgung mit Getränken keine Sorgen - es ist lediglich das Essen, das in genießbare Form gebracht werden sollte.“ Edward nahm eine Flasche Rum aus seinem Schrank und goss etwas davon in zwei Gläser.

„Es beunruhigt mich eher zu wissen, dass der Kapitän des Schiffs sich während der gesamten Reise betrinkt.“

„So schlimm ist es nicht, aber noch bevor die Woche zu Ende ist, wirst du mich um einen Drink bitten“, versicherte ihm Edward und gab ihm sein Glas. „Ich besteche die Mannschaft mit ihren täglichen Rationen. Ich wette, dass auch du darum betteln wirst.

Charles streckte ihm die Hand entgegen, um die Wette anzunehmen.

„Ich würde auch darum wetten, dass ich es schaffe, deine Schwester aus ihrer höllischen Kiste heraus und aufs Wasser zu locken.“

„Abgemacht. Aber bei der Unternehmung werde ich dir nicht helfen.“

„Ich wäre auch sehr enttäuscht, wenn du es tätest“, bemerkte er mit hinterhältigem Grinsen. „Wenn deine Schwester so schüchtern ist, wie in aller Welt hat sie Gardiner dazu gebracht, sie zu heiraten? Im ersten Jahr in Eton hat er doch kaum zehn Worte hervorgebracht.“

„Erstklassig beobachtet“, sagte Charles. „Ich habe mich das auch schon mehrfach gefragt. Allerdings war er oft bei mir in den Ferien.“

„Dieser schlaue Fuchs“, sagte Edward anerkennend, als er an seinem Glas nippte. Er lehnte sich gegen die Wand und stellte sein Bein auf eine der Truhen.

„Vielleicht kannst du diese Information ja selbst aus Anjou herausbekommen, da du dich ja für clever genug hältst, sie herauszulocken“, schlug Charles vor.

„Ich kann von Glück reden, wenn sie mich nicht in kleine Stücke hackt, bevor die Reise vorbei ist.“

„Nicht nur dich allein!“

„Sind deine anderen Schwestern auch so schön?“

„Aye. Sie sind eineiig, das ist wirklich ein Fluch! Wie auch immer, um die beiden lebhafteren können sich meine Eltern kümmern.“

„Wie wirst du mit der verfahren, die du hast?“

„Ich werde mein Bestes geben, damit sie Gardiner findet. Nachdem er vom Kriegsministerium für tot erklärt wurde, sendete mein Vater Privatdetektive aus, die nach ihm suchen sollten. Aber sie kamen mit leeren Händen zurück.“

„Und deine Schwester glaubt, dass sie mehr Erfolg haben wird als sie?“, entgegnete Harris und hob dabei zweifelnd eine Augenbraue.

„Sie glaubt, dass es möglich ist, dass er verletzt wurde und nicht wiederzuerkennen ist.“

„Ich nehme an, das ist im Bereich des Möglichen, wenn auch nur entfernt“, gestand Harris, während er den Alkohol in seinem Glas schwenkte.

„Wir wissen, dass er mit dem gleichen Schiff übersetzte wie Easton.“

„Zu dem Zeitpunkt war der Krieg schon fast beendet“, merkte Edward an.

„Ja, Easton ist während des großen Feuers in Washington City verletzt worden und weiß nicht, was mit Gardiner danach passierte.“

„Also werdet ihr die Suche auf die Region zwischen Baltimore und Alexandria beschränken? Gegen Ende gab es nur wenige Tote an der Ostküste. Weiß man, seit wann er als vermisst gilt?“

„Nur, dass es nach Washington passiert sein musste. Deshalb werden wir auch in River‘s Bend bleiben.“

„River‘s Bend ist schön, besonders jetzt, da es wieder aufgebaut wurde. Vielleicht, eines Tages ...“

„Denkst du darüber nach, die Seefahrt aufzugeben?“, wollte Charles wissen.

„Ursprünglich war sie nur Mittel zum Zweck. Ich habe einige sehr fähige Maaten, denen ich die täglichen Aufgaben überlassen kann. In ihren Briefen fleht mich meine Mutter ständig an, endlich sesshaft zu werden.“

Charles stöhnte mitfühlend. „Wie meine auch. Wir sind doch gerade erst einmal dreißig!“

„Ich kann mir nicht vorstellen, auf Dauer vor Anker zu gehen. Mir graust es vor der Langeweile des Alltags.“

„Ich habe es bislang auch noch nicht geschafft. Ich nehme an, wenn diese Angelegenheit hier erledigt ist, werde ich wohl nach einer sinnvollen Ablenkung suchen müssen.“

„Momentan hast du definitiv eine“, bemerkte Edward.

„Allerdings. Hoffentlich wird es mehr als nur ein schöner Urlaub. Ich fürchte, dass sie irgendwie enttäuscht sein wird.“

„Es gibt nur wenig Hoffnung für ein gutes Ende, Charles. Wenn Aidan noch er selbst wäre, würde er schon vor langer Zeit wieder nach Hause gekommen sein.“

„Ja“, antwortete Charles mit langem Gesicht. „Ich weiß, dass er entweder nicht gefunden werden will, oder aber sich sehr verändert hat. Der Aidan, den wir kannten, hätte Anjou niemals freiwillig im Stich gelassen.“

„Wer würde das schon?“, sagte Edward leise, während er aus dem schmalen Fenster der Kabine sah.

Kapitel Drei

Anjou fühlte sich an diesem Morgen nicht besonders gut. Während der ersten Tage hatte sie tatsächlich unter Seekrankheit gelitten, obwohl es besser geworden war, wie Elly ihr gesagt hatte. Aber die vorherige Nacht war rau gewesen; sie konnte kaum einschlafen, da ihr Körper immer gegen die Wand der Kabine geworfen wurde. Hannah schwang auch in ihrer Hängematte hin und her, und es gab auch diese dauernden Geräusche - es schien, als würde die Arbeit der Seeleute nie enden. Ständig wurden Befehle gebrüllt, die von der Mannschaft wiederholt wurden, gefolgt von einem immerwährenden Singsang, der hin und her ging. Sie hatte schnell gelernt, dass „Hauptsegel einholen“ bedeutete, dass das Schiff bald wenden würde, und sie richtete sich darauf ein, damit sie nicht umhertaumelte, sondern sich festhielt.

Anjou wünschte sich nichts sehnsüchtiger, als aus der Kabine zu laufen und zu sehen, warum sie hin und hergeworfen wurden. Aber ihre Angst würde dadurch nicht geringer werden und sie hätte vermutlich ihrer größten Angst gegenübergestanden, nämlich als Futter für die Monster aus der Tiefe zu enden. Sie hatte von Hannah erfahren, dass ihre Kabine direkt neben der des Kapitäns lag - wo auch ihr Bruder war - und sie zog sich die Decke über den Kopf, anstatt nachzusehen, was passierte.

Nachdem der Sturm vorüber war, fiel sie in einen unbeständigen Schlaf, in dem sie von Aidan träumte. Er war von Gebäuden und Soldaten umgeben, es gab Geschrei und Rauch. Sie konnte sehen, wie jemand ein Gewehr über seinen Kopf hielt ... und in diesem Moment wachte sie auf.

Die vier Tage, in denen sie in der Kabine blieb und nichts außer Haferschleim aß, begannen an ihr zu zehren. Sie betete, dass ihnen der Wind gewogen war und die Reise so schnell wie möglich endete! Sie hatte jedes Schiff, mit dem sie reisen konnte, genauestens studiert und hatte diesen Schoner aufgrund seines Rufes gewählt, einer der schnellsten und windschnittigsten zu sein. Allerdings waren sie immer noch den Gnaden des Wetters ausgesetzt. Sie war entschlossen, sich unter Kontrolle zu halten, aber sie musste bald den Himmel sehen und frische Luft atmen. Wollte dieser nervtötende Kapitän eigentlich nie schlafen? In ihren Gedanken wurde er immer mehr zu einem Unhold, je mehr Zeit verging.

Charles besuchte sie mehrmals am Tag, um mit ihr Karten zu spielen, was die Langeweile ein wenig zerstreute. Aber er hatte noch keine Gelegenheit gefunden, zu der Kapitän Harris schlief und sie wach war. Es kam ihr fast vor, als würde der Kapitän von ihrem Vorhaben wissen und mit Absicht wach bleiben. Sie wusste, dass es albern war, so etwas überhaupt zu denken, aber vielleicht hinterließ diese hölzerne Kiste ohne frische Luft und Tageslicht doch langsam ihre Spuren bei ihr.

 

Sie ließ den Haferschleim von ihrem Löffel fallen und dachte, sogar ich könnte etwas Besseres kochen. Dennoch, obwohl sie noch nie eine Reise gemacht hatte, bei dem sie einen Ozean überquerte, wurde ihr bewusst, dass es vielleicht nichts anderes gab, was man kochen konnte.

Ihr gelüstete nach einem weichgekochten Ei, knusprigem Speck und frischen, warmen Scones, direkt aus dem Ofen. Sie warf den Löffel in die Schüssel - sie musste aufhören, sich selbst zu quälen. Eine weitere Erinnerung an Aidan stieg in ihr auf - sie hatte ihn an jenem Morgen vor langer Zeit heimlich getroffen, und er hatte ihr nicht nur gezeigt, wie man angelt, sondern auch, wie man den Fisch zubereitet.

„Jetzt nehmen Sie den Fisch bei den Kiemen, damit er sich nicht mehr bewegt, und entfernen vorsichtig den Haken.“

Sie starrte ihn ausdruckslos an.

„Nur zu“, ermutigte er sie.

Sie berührte mit einem zitternden Finger den Fisch, der daraufhin in alle Richtungen zuckte und zappelte, worauf hin sie erschrak.

Aidan lachte leise. „Ich werde es diesmal nicht für Sie tun.“

Anjou verzog frustriert ihr Gesicht, ergriff den Fisch und nahm ihn vom Haken, wie Aidan es ihr gezeigt hatte. Allerdings warf sie ihn danach so schnell wie sie nur konnte angeekelt auf den Boden.

„Immerhin ein Anfang“, sagte er amüsiert. „Jetzt müssen Sie ihn kochen.“

Er nahm einen der Fische, den er gefangen hatte, und zeigte ihr, wie sie ihn vorbereiten musste. Er gab ihr ein Messer und sie folgte seinem Beispiel, obwohl sich ihr Magen regelrecht umdrehte. Sie war entschlossen ihm zu zeigen, dass sie es konnte. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie sei ein Feigling.

Er legte den vorbereiteten Fisch in eine Pfanne und stapelte einige Äste, die er für ein Feuer gesammelt hatte. Er zog Schlagstahl und Zunder aus einem kleinen Beutel und zündete das Holz an. Es gab eine kleine blaue Rauchwolke, gefolgt von winzigen orangefarbenen Flammen, die am Zunder leckten.

„Wo haben Sie das alles gelernt?“, fragte sie.

„Von meinem Großvater. Er war Soldat und davon überzeugt, dass alle Männer wissen sollten, wie man allein zurechtkommt.“

„Ich nehme an, dass das für einen Soldaten wichtig zu wissen ist.“

„Vielleicht auch für die Frau eines Soldaten“, sagte er mit scheuem Lächeln.

Wie sanft und freundlich Aidan doch war. Nicht so ein brutaler Mann wie dieser Kapitän Harris! Wenn man es zusammenzählte, hatte sie weniger als zwei Wochen mit Aidan verbracht. Wie gut hatte sie den Mann, den sie geheiratet hatte, wirklich gekannt? Wie viele ihrer Gefühle waren ein Produkt ihrer eigenen Wünsche und Träume?

Mit ihrem jungen Herzen hatte sie sich nach ihm gesehnt, sie hatte Angst um ihn gehabt, ihn betrauert und beklagt, aber dennoch kannte sie ihn kaum. Würde sie ihn heutzutage überhaupt wiedererkennen?

Sie klammerte sich verzweifelt an die Erinnerungen, in denen sie beide noch Kinder waren - obwohl das auch nur wenige waren. Sie konnte sich nicht länger an sein Gesicht oder seinen Geruch erinnern, ohne dass sie ein Bild von ihm sah, oder seine vier Briefe.

Wie naiv sie doch gewesen war! In den vergangenen vier Jahren hatte sie die gehobene Gesellschaft mit Abstand betrachtet und ihr wurde bewusst, dass sie vollkommen ahnungslos war, als sie geheiratet hatten. Wie auch immer, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätten, sich täglich zu sehen und kennenzulernen, hätten sie es zweifelsohne durchgestanden.

Aber wie würde es sein, wenn sie ihn fände? Hatte er sich bewusst dagegen entschieden, zu ihr zurückzukehren? Etwas tief in ihrem Herzen sagte ihr, dass er nicht tot war, was sie noch mehr fürchtete, als wenn er es wirklich wäre.

Hör auf damit, schimpfte sie mit sich selbst. Du kannst nicht deine eigenen Gedanken gegen ihn vergiften. Dennoch, sagte ihr Verstand, du kannst der Sache auch nicht unvorbereitet entgegentreten. Was, wenn er entstellt oder verkrüppelt ist? Er würde nicht wollen, dass sie ihn so sähe. Vielleicht beging sie einen Fehler, aber es würde nicht richtig sein. Nein, sie musste endlich Frieden in ihrem Herzen haben. Jetzt war es zu spät, um umzukehren - sie war bereits mitten auf dem Ozean.

Anjou war froh, dass niemand wusste, dass sie verheiratet war. Sie war nicht davon überzeugt, dass viele es verstehen würden, falls sie zurückkam und nicht Trauer tragen würde, wo sie doch bereits ihre ganze Jugend mit Tränen und Trauer verbracht hatte. Es war ein Kampf zwischen Schuld und der Qual, den Aufmerksamkeiten charmanter junger Männer zu widerstehen, die ansonsten eine passende Partie für sie wären, während sie sich gleichzeitig fragte, ob es nicht sinnlos sei. Ihre Eltern hatten ihr die Ehe erlaubt, als sie ihnen keine andere Wahl gelassen hatte. Aber sie hatten sie schnell dazu ermutigt, ihr Leben wie gehabt weiterzuführen, als das Kriegsministerium ihn als im Kampf gefallen erklärte; speziell nachdem drei Jahre vergangen waren, in denen es keine Hinweise darauf gab, dass er in Gefangenschaft war.

Es erschien ihr immer noch unwirklich. Einerseits kam sie sich vor wie in einem Märchen aus einem ihrer Tagträume. Andererseits fühlte es sich an, als würde sie immer noch darauf warten, dass er zu ihr zurückkäme.


„Sie ist wirklich stur. Irgendwann muss ich schlafen“, sagte Edward, ohne dabei jemanden direkt anzusprechen.

„Wer ist stur?“, fragte Charles, obwohl er die Antwort schon wusste.

„Wir hatten jetzt Haferbrei zu jeder Mahlzeit. Wenn das so weiter geht, haben wir alle Skorbut, bevor die Reise zu Ende ist.“

„Dann solltest du meine Schwester um Hilfe bitten, obwohl ich keine Ahnung, wie gut sie sich eignet.“

„Noch nicht.“

„Bist du zufrieden damit, ständig Brei zu essen?“

„Lange genug, um zu sehen, wie du auf dem Boden kriechst.“

Charles lachte. „Das erinnert mich an unsere erste Woche in der Schule. Keiner wollte petzen, daher aßen wir eine Woche lang Haferschleim. Sie hatten es nicht gewagt, uns mehr davon zu geben, da sie Angst hatten, dass unsere Eltern davon Wind bekämen.“

„Damals war es lustig“, sagte Edward. „Ich brauche jetzt vernünftiges Essen.“

„Ich kann mich noch nicht einmal erinnern, was für ein Streich es war ...“, sagte Charles.

„Es war Gardiner. Er hatte Belchers Schubladen ausgeleert, nachdem Belcher ihn wegen eines Papieres schikaniert hatte, das er sich weigerte, für ihn zu schreiben. Und jetzt essen ich wieder seinetwegen eine Woche lang Haferschleim.“

„Tut mir leid, alter Junge, aber das kannst du ihm diesmal nicht anhängen. Das ist deine eigene Dickköpfigkeit.“

Edward grunzte.

„Du verlässt dich ziemlich stark darauf, dass Anjou kochen kann. Was, wenn sie die Küche in Brand setzt?“

„Sie kann kochen. Ich weiß es einfach.“

„Wie du meinst. Ich hoffe, dir fällt etwas ein, bevor die Vorräte schlecht werden.“

„Das hoffe ich auch.“

„Warum legst du dich nicht etwas hin? Du wirkst ausgezehrt.“

„Ich fühlte mich ausgezehrt. Ich glaube, ich werde mich ein wenig ausruhen. Das Meer ist im Moment ruhig genug.“


Anjou hörte ein Klopfen an der Kabinentür.

„Anj? Aufwachen!“, flüsterte Charles laut von der anderen Seite der Vertäfelung.

„Was gibt es, Charles?“, fragte sie, als sie die Tür öffnete, nachdem sie schnell einen Morgenmantel übergeworfen hatte.

„Er schläft endlich. Beeil dich.“

Sie griff nach ihrem Umhang und eilte ihm hinterher über den Niedergang und durch die Luke auf das Deck. Sie atmete so viel frische Luft ein wie nur möglich und streckte ihr Gesicht dem klaren Himmel und der Sonne entgegen.

„Das ist lächerlich“, sagte Charles, als er sie beobachtete.