Die wichtigsten Biologen

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Hans Spemann

(27.6.1869–12.9.1941)

Den Übergang von einer rein beobachtenden Naturkunde zu einer Wissenschaft, die Fragen stellt und experimentell beantwortet, hat Hans Spemann durch seine sorgsam geplanten Untersuchungen entscheidend geprägt. Für seine grundlegenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungsgeschichte der Tiere, der Ontogenese, hat er im Jahr 1935 als bis dahin zweiter Biologe den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhalten.

Am 27. Juni 1869 kam Sohn Hans als erstes von fünf Kindern der Familie Spemann in Stuttgart zur Welt. Sein Vater, Johann Wilhelm Spemann, hatte einen großen Verlag für Kunst- und schöngeistige Literatur. In den gutbürgerlichen Kreisen achtete man sehr auf eine hervorragende Erziehung der Kinder, teilweise unterstützt durch einen Privatlehrer. Hans war ein guter Schüler und kann sich nach dem Abitur, 1888 am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart, und einer Lehre im väterlichen Geschäft im Herbst des Jahres 1891 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg für das Medizinstudium einschreiben. (Passage verschoben) Nach dem Physikum verließ er Heidelberg und wechselte nach München, um dort sein Studium fortzusetzen. Die klinische Medizin war nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Immer mehr erwachte in ihm das Interesse an der Biologie, speziell an der Entstehung und der Entwicklung tierischen Lebens. Auf Anraten seiner Münchener Dozenten bemühte er sich im Frühjahr 1894 bei Professor Theodor Boveri in Würzburg, einem wegen seiner experimentellen Arbeiten auf dem Gebiet der Embryologie schon mit 32 Jahren sehr angesehenen Wissenschaftler, mit Erfolg um ein Thema für eine Doktorarbeit. Um die Familie seiner Frau nicht zu kompromitieren, soll er eine Dissertation über die Entwicklung der Geschlechtsorgane beim Bandwurm abgelehnt und stattdessen die Entwicklung des parasitischen Fadenwurms (Strongylus paradoxus) als Thema gewählt haben. 1895 wurde er in Würzburg promoviert. (Passage hierher verschoben) Ein Jahr darauf, im Frühsommer 1896, heiratete er seine Jugendliebe, Klara Binder. Das Paar hatte drei Söhne und eine Tochter. Ein Lungenspitzenkatarrh zwang ihn zu pausieren. Den Winter 1896/97 verbrachte er in Sanatorien in den Schweizer und Italienischen Alpen.

Nach seiner Habilitation im Frühjahr 1898 wurde er Privatdozent am Würzburger Zoologischen Institut. Er arbeitete weiterhin eng mit Boveri zusammen, widmete sich der Lehre und sammelte zudem wertvolle Erfahrungen auf dem administrativen Sektor der Hochschule. In dieser Würzburger Zeit vollzog er den Wechsel von der rein deskriptiven Arbeit zur experimentellen entwicklungsphysiologischen Methodik. Als Versuchstier erschienen ihm Frösche und Molche besonders geeignet, da sie neben guter Verfügbarkeit transparente Eihüllen besitzen, so daß er die Auswirkungen seiner experimentellen Eingriffe in die Embryonalentwicklung von Anfang an unmittelbar verfolgen konnte. Er entdeckte, daß sich schon in einem sehr frühen Stadium der Keimesentwicklung eine Zellregion, die er wegen Farbe und Form den »Grauen Halbmond« genannt hat, zu einer Art Steuerungszentrale entwickelt, ohne die eine geordnete Entwicklung des Keimlings unterbleibt. Seine Arbeiten weckten das Interesse der Mediziner, die sich mit Hilfe der von Spemann gewonnenen Erkenntnisse weitergehende Einblicke in die Entstehung siamesischer Zwillinge beim Menschen versprachen. Fast zehn Jahre mußte er warten, bis an den Universitäten des Deutschen Kaiserreiches endlich wieder eine Professur für Zoologie oder vergleichende Anatomie zu besetzen war. 1908 erhielt er den Ruf als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Zoologie und vergleichende Anatomie in Rostock. Lehre und Verwaltungsaufgaben ließen wenig Zeit für die weitere Forschungen; so war er schließlich froh, daß er im Herbst 1914 als zweiter Direktor an das neu gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin-Dahlem wechseln konnte. Hier konnte er sich wieder ganz seiner Forschung widmen. Immer präziser wurden seine Vorstellungen über die Steuerungsvorgänge bei der Bildung der einzelnen Organe und über das koordinierende Zusammenwirken einzelner Zellregionen bei der weiteren Ausdifferenzierung des Embryos.

Der erste Weltkrieg brachte zunehmend Einschränkungen für den Forscher. Begonnene Arbeiten mussten unvollendet abgebrochen werden, weil Mitarbeiter an die Front eingezogen wurden, und die räumliche Situation wurde immer beengter, weil das Militär Arbeitsräume für ihre kriegswichtigen Forschungen in Beschlag nahm.

Nach dem Ende des Krieges verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Strömungen in Deutschland, Unruhen und Straßenkämpfe in Berlin behinderten seine Arbeit. In dieser Situation nahm Spemann im Frühjahr 1919 den Ruf in das ruhigere Freiburg dankbar an. Dort konnte er sich endlich wieder der Lehre widmen, die ihm in Berlin mehr und mehr gefehlt hatte. In Freiburg nahm er eine große Zahl von Doktoranden an. In seiner wissenschaftlichen Arbeit erreichte er jetzt den Durchbruch zu einem weltweit beachteten Entwicklungsphysiologen. Er wurde Mitherausgeber einer angesehenen Fachzeitschrift, lud Kollegen aus aller Welt zu Fachkongressen nach Freiburg, erhielt zahlreiche Ehrungen und war ein begehrter Gastredner. Allein dreimal wurde er zu Vorträgen in die USA eingeladen. Daneben machte er die Bildung breiter Bevölkerungsschichten zu seiner zweiten wichtigen Aufgabe, da er das unterschiedliche Bildungsniveau in der Bevölkerung mit Sorge betrachtete. Er wurde Vorsitzender der neu gegründeten Volkshochschule in Freiburg und engagierte sich besonders für die Jugend, führte die Gruppenarbeit ein und bildete Diskussionsforen.

Als sich die politischen Verhältnisse in Deutschland nach 1918 abermals änderten, blieb er zurückhaltend und wurde wegen seiner nicht genehmen politischen Haltung von den Nationalsozialisten schon im Jahr 1933 als Vorsitzender der Volkshochschule abgesetzt. Er blieb sich treu, vermeidete in seinen Briefen den obligatorisch gewordenen Hitlergruß, unterzeichnete statt dessen seine Schreiben weiterhin mit »Hochachtungsvoll« und half nach Kräften jüdischen Schülern und Kollegen. Als er im Jahr 1935 für sein wissenschaftliches Werk den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhielt – er sei durch die Verleihung des Preises wohl bekannter, aber nicht gescheiter geworden –, nutzte er die Popularität eines frisch ernannten Nobelpreisträgers im darauffolgenden Jahr auf dem zoologischen Kongreß in Freiburg, um entgegen der Zeitströmung unter dem Hinweis auf den völkerverbindenden Charakter der Naturwissenschaften noch einmal für die Unabhängigkeit der biologischen Wissenschaften einzutreten.

Spemann sollte das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland nicht mehr miterleben. Er starb nach immer häufiger auftretenden Erkrankungen am 12. September des Jahres 1941 an Herzversagen.

Werke

Spemann, H., 1936: Experimentelle Beiträge zu einer Theorie der Entwicklung. Berlin, 296 S.

Spemann, H, 1943: Forschung und Leben. Stuttgart, 344 S.

Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet, Chevalier de Lamarck

(1.8.1744–28.12.1829)

Der Name dieses französischen Wissenschaftlers fällt regelmäßig im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie, die später von Darwin (1809–1882) und Wallace (1823–1913) entwickelt worden ist. Lamarcks Theorie der Transformation der Arten wird allgemein auf die Vererbung erworbener Eigenschaften reduziert. Unerwähnt bleibt meist, dass er in seiner Transformationstheorie die Spontanentstehung von Leben annimmt. Die spontan entstandenen Lebensformen besäßen demnach den einfachsten Bauplan. Dieser wird im Laufe der Zeit zunehmend komplexer, so dass das höchstentwickelte Wesen – der Mensch – der Theorie nach die älteste Lebensform der Erde darstellen muss.

Es wäre wahrlich zu kurz gegriffen, würde man diese Theorie als das Hauptwerk des Wissenschaftlers Lamarck hervorheben, obwohl seine Bekanntheit heute darauf beruht. Die Bedeutung dieses Mannes ergibt sich vielmehr daraus, dass er als Begründer der modernen Biologie gelten kann, der dieser Wissenschaft nicht nur ihren heute gebräuchlichen Namen Biologie gab, sondern auch die Einteilung des Tierreichs in seine Stämme und Klassen in ihren Grundzügen anlegte.

Als elftes Kind der Eheleute Marie-Francoise de Fontaines de Chuignolles und Philippe Jacques de Monet de la Marck wurde Jean-Baptiste am 1. August 1744 in einem kleinen Ort in der Picardie im Nordwesten Frankreichs geboren. Die Familie gehörte dem niederen Adel an und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Der Vater bestimmte für Jean-Baptiste den Beruf eines Geistlichen. Nur widerwillig begann der Elfjährige seine Schulausbildung am Jesuiten-Kolleg im benachbarten Amiens. Er verließ es sofort, als sein Vater 1759 starb und meldete sich freiwillig zur Armee. Er wollte Offizier werden wie seine Brüder und wie es auch der Tradition der Familie entsprach. Mit großer Tapferkeit beteiligte er sich am Siebenjährigen Krieg (1756–1763) und wurde nach Kriegsende an der Mittelmeerküste stationiert. Der Militärdienst ließ ihm ausreichend Zeit, sich mit der Natur, den Pflanzen und Tieren eingehend zu beschäftigen. Eine Verwundung zwang ihn 1768, die Armee zu verlassen. Er ging nach Paris, hielt sich mit verschiedenen Jobs über Wasser und begann schließlich 1770 Medizin zu studieren. Er brachte das Studium nicht zum Abschluss. Allerdings verschaffte es ihm Zugang zu den bedeutendsten Gelehrten jener Zeit. Kein geringerer als Jean-Jaques Rousseau (1712–1778) soll ihn ermutigt haben, seine beeindruckenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Pflanzenkunde in einem Buch zusammenzufassen. In dem Comte de Buffon (1707–1788) fand er einen einflussreichen Gönner, der dafür sorgte, dass sein Manuskript in drei Bänden auf Staatskosten gedruckt wurde. Es erschien 1779 unter dem Titel Flore françoise. Comte de Buffon war es auch zu verdanken, dass Lamarck daraufhin in die Botanische Klasse der Pariser Académie des Sciences aufgenommen wurde und sich ab 1881 als Correspondant des Jardin des plantes bezeichnen durfte. Mit einem regelmäßigen Einkommen waren diese Ehrentitel jedoch nicht verbunden. Das änderte sich erst 1788 mit der Ernennung zum Kustos am Jardin des Plantes. Seine wohlklingende Berufsbezeichnung lautete nun Botaniste du roi avec le soin et la garde des herbiers.

 

Zusätzliche Einnahmen bescherten ihm die Mitarbeit an zwei großen naturkundlichen Werken. Zur achtbändigen Encyclopédie méthodique: botanique steuerte er die ersten drei Bände bei, die 1783 bis 1785, 1785 bis 1786 und 1789 bis 1792 herausgegeben wurden. Gleichzeitig arbeitete er am Tableau encyclpédique et méthodique des trois règnes de la Nature mit. Das sechs Bände umfassende Werk erschien zwischen 1791 und 1823.

Ende der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts änderten sich für ihn die Umstände entscheidend. Zunächst starb 1788 sein Förderer, der Comte de Buffon, dann begann ein Jahr später die Französische Revolution. Sie führte zu grundlegenden Veränderungen, von denen Lamarck profitieren konnte. Auf Beschluss der Nationalversammlung wurden der Jardin des Plantes, die königliche Ménagerie und das königliche Naturalienkabinett 1793 zum Muséum National d’Histoire Naturelle de Paris zusammengeführt. Lamarck wurde zum Professor ernannt und war fortan für die Insekten und Würmer zuständig. Étienne Geoffroy de Saint-Hilaire (1772–1844) übernahm die Zuständigkeit für die Säugetiere, Vögel, Reptilien und Fische. Es ist viel darüber spekuliert worden, warum der durch seine Arbeiten ausgewiesene Botaniker nicht in seinem Fachgebiet zum Zuge kam. Die Animaux sans Vertèbres, die wirbellosen Tiere, wie er die ihm zugeordneten Tiergruppen zusammenfasste, waren ihm nicht völlig fremd, da er ein ausgewiesener Kenner und Sammler von Muscheln war. Das von ihm erwartete zusammenfassende Werk über diese Tiergruppe erschien allerdings nie, trotz gegenteiliger Beteuerungen seinerseits.

Mit seiner Anstellung als Professor erhielt Lamarck so etwas wie einen Traumjob: eine gut dotierte, sichere Anstellung und die Freiheit von Forschung und Lehre. Er hielt gut besuchte Vorlesungen, ordnete die in seiner Abteilung zusammengekommenen Sammlungen und schrieb bedeutende Bücher.

Das erste Werk in seiner neuen Position war eine ordnende Zusammenfassung des Wissens über »seine« Tiergruppen. Système des animeaux sans vertèbres erschien erstmals 1801. Er arbeitete und publizierte weit über sein eigentliches Fachgebiet hinausgehend. Die Themen seiner Veröffentlichungen und zusammenfassenden Bücher reichen von der Physik, der Chemie und der Geologie bis hin zur Meteorologie. Anerkennung und Beachtung fand er jedoch im Wesentlichen nur auf dem Gebiet der wirbellosen Tiere.

Ganz im Sinne seines verstorbenen Gönners Buffon, hielt er kritische Distanz zu den Schriften Linnés und versuchte die Vielfalt der existierenden sowie der nur fossil überlieferten Lebensformen entwicklungsgeschichtlich zu interpretieren. Seine Untersuchungen zur fossilen Weichtierfauna des Pariser Beckens leiteten ihn zu der Überzeugung, dass Arten sich im Laufe der Zeit weiter entwickeln und höhere Organisationsstufen erreichen. Dabei spielen Einflüsse aus der Umwelt der Tiere eine entscheidende Rolle. Umfassend legte er diese Gedanken 1809 in seinem Buch Philosophie zoologique vor. Die Transformationstheorie geht allerdings von der falschen Ansicht aus, dass Leben spontan entstehen kann und sich dann zu höheren Lebensformen entwickelt. Die Höhe der Entwicklungsstufe einer Art wäre folglich das Abbild ihres geologischen Alters. Der Mensch als höchstentwickelte Lebensform müsse daher auch die älteste sein. Das Buch fand jedoch nicht die von ihm erhoffte Anerkennung. Vielmehr sah er sich nun zunehmend missverstanden und verfolgt. Verbittert zog er sich mehr und mehr zurück.

Die Histoire Naturelle des Animaux sans Vertèbres bildete den krönenden Abschluss seines wissenschaftlichen Schaffens. Die siebenbändige Ausgabe erschien ab 1815 und war 1822 abgeschlossen.

Als seine Professur 1818 endete, war er vollends zum schrulligen Außenseiter und Einzelgänger geworden. Erblindet und mittellos starb er von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet am 28. Dezember 1829 in Paris. Lamarck war viermal verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Mit seiner Transformationstheorie nahm er die Evolutionstheorie von Darwin und Wallace nicht vorweg, obwohl er darin, ausgehend von spontan entstandenen einfachsten Lebensformen die allmähliche Entwicklung zu immer komplexeren Wesen postulierte. Abgesehen davon, dass er den Entwicklungsprozess nicht plausibel erklären konnte und in seiner möglicherweise gegebenen »Hilflosigkeit« dann von der Vererbung erworbener Eigenschaften sprach, ist es die von ihm zum Prinzip erhobene Zielgerichtetheit der Entwicklung, durch die sich seine Transformationstheorie von der Evolutionstheorie unterscheidet. Den von Lamarck postulierten Trieb zur Vervollkommnung ersetzt die Evolutionstheorie durch das zufallsgesteuerte Wirken von Mutation und Selektion. Dennoch betonte Charles Darwin, dass er sich mit dem Werk Lamarcks intensiv auseinander gesetzt hat.

Werke

Lamarck, J.-B. P. A. de, 1779: Flore Francaise ou descriptions succinctes de toutes les plantes qui croissent naturellement en France, disposées selon une nouvelle methode d’analyse, et precedees par un expose des principes élementaire de la botanique. Paris, 2.600 S.

Lamarck, J.-B. P. A. de, 1801: Système des animaux sans vertèbres ou tableau géneral des classes, des ordres et des genres de ces animaux. Paris, 432 S.

Lamarck, J.-B. P. A. de, & Candolle, A. P. de, 1806: Synopsis plantarum in flora Gallica descriptarum. Paris, 432 S.

Lamarck, J.-B. P. A. de, 1809: Philosophie Zoologique ou Exposition des considérations relatives à l’histoire naturelle des animaux. Paris, 2 Bde., ca. 800 S.

Lamarck, J.-B. P. A. de, 1815–22: Histoire Naturelle des Animaux sans Vertèbres: présentant les caractères généraux et particuliers de ces animaux, leur distribution, leurs classes, leurs familles, leurs genres et la citation des principales espèces qui s’y rapportent: précédée d’une introduction offrant la détermination des caractères essentiels de l’animal, sa distinction du végétal et des autres corps naturels, enfin, l’exposition des principes fondamentaux de la zoologie. Paris, 6 Bde., ca. 4.000 S.

Lamarck, J.-B. P. A. de, Mirbel, B., Brisseau, Ch.-F. de & Buffon, G. G. L. L. Comte de, 1830: Histoire naturelle des Végéteaux classées par Familles. Paris, 15 Bde., ca. 6.500 S.

Karl Ernst von Baer

(17. 2.1792–16.11.1876)

Zweifelsohne gehört Karl Ernst von Baer zu den Vätern der klassischen Embryologie. Seine Suche nach Grundmustern in der Keimesentwicklung veranlasste ihn, bei einer Vielzahl von Tiergruppen eigene Untersuchungen zur Embryonalentwicklung vorzunehmen. Dabei machte er grundlegende Entdeckungen und formulierte verschiedene Gesetzmäßigkeiten, die von nachfolgenden Forschern großenteils in ihrer Gültigkeit bestätigt bzw. um weitere Fakten erweitert wurden. Er isolierte und beschrieb erstmals das Ei eines Säugetiers und machte sich zudem als Anthropologe einen Namen mit der Standardisierung der Schädelvermessung beim Menschen.

Karl Ernst von Baer kam am 17. Februar 1792 in Piibe im heutigen Estland zur Welt. Er besuchte die Mittelschule in Tallinn und schrieb sich nach dem Ende der Schulzeit an der Universität Dorpat (heute Tartu) zum Studium der Medizin ein. Als sich der Zar 1812 zum Eintritt in den Krieg gegen Napoleon entschied, meldete sich der 20-jährige Baer freiwillig zum russischen Heer, dem er bis zum Rückzug Napoleons aus Russland angehörte. Baer nahm sein Medizinstudium wieder auf und beendete es im folgenden Jahr erfolgreich mit der Promotion. Noch im gleichen Jahr reiste er nach Berlin, um seine praktischen Medizinkenntnisse zu vertiefen. Schließlich konnte er in Wien als Arzt an verschiedenen Kliniken arbeiten. Mit dem festen Entschluss, praktischer Arzt zu werden, war er nach Wien gekommen, doch bald regten sich Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Zu viele andere Interessen in der Anthropologie, in der Ethnologie und in der Biologie locken ihn. Schließlich verließ er Wien, und reiste 1814 zu Ignaz Döllinger (1770–1841) nach Würzburg, einem anerkannten Lehrer der vergleichenden Anatomie. Unter dessen Anleitung studierte er die Baupläne von Würmern, Insekten sowie anderen wirbellosen Tieren und verglich sie miteinander. Hier wurde sein grundsätzlicher Arbeitsansatz deutlich, vom einzelnen Untersuchungsergebnis grundlegende Regeln abzuleiten und durch Vergleiche vieler Einzelergebnisse übergeordnete Grundmuster herauszuarbeiten. Fast vier Jahre blieb er in Würzburg, dann konnte er wieder an die Ostseeküste zurückkehren. Er wurde 1819 Prosektor in Königsberg und noch im gleichen Jahr Ordinarius für Zoologie. Es begann eine sehr erfolgreiche Zeit als Hochschullehrer. In seinen Vorlesungen behandelte er die Anatomie der wirbellosen Tiere, die er in Würzburg ausgiebig studiert hatte. Er begann sich für die embryonale Entwicklung der Tiere zu interessieren und hielt Vorlesungen über die Entwicklung des Haushuhns, in die auch seine eigenen ergänzenden Beobachtungen einflossen. Als er gebeten wurde, den embryologischen Teil für das Handbuch der Physiologie zu schreiben, vertiefte er sich in das Studium der vergleichenden Embryologie der Wirbeltiere. Seine Studienobjekte waren zunächst Frösche und Salamander, dann auch Eidechsen. Er entdeckte Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Ablauf der Embryonalentwicklung und konnte schließlich mehrere verschiedene Entwicklungstypen unterscheiden. Dann wandte er sich den Säugetieren zu, über deren Entwicklung bis dahin wenig bekannt war. Vor allem die Frage, ob auch bei dieser Tiergruppe die Entwicklung mit einem Ei beginne, wurde im beginnenden 19. Jahrhundert in der Fachwelt noch immer kontrovers diskutiert. Baer war es vorbehalten, diese strittige Angelegenheit 1828 endgültig zu klären, indem er ein unbefruchtetes Ei aus dem Eierstock eines Hundes isolierte. Noch im selben Jahr wurde er als ordentliches Mitglied in die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Wegen der besseren Arbeitsbedingungen blieb er in Königsberg. Dort erschien kurz darauf der erste Band seiner Entwickelungsgeschichte der Thiere, in dem er das gesamte Wissen der Zeit über die Entwicklung des Kükens im Ei zusammenfasste und mit den seine Arbeit kennzeichnenden grundsätzlichen Schlussfolgerungen abschloss. Ein großes Werk, das jedoch in der Fachwelt nicht die ihm gebührende Anerkennung fand. Schließlich musste er erfahren, dass auch sein Rang als Entdecker der Eizelle von Säugetieren öffentlich infrage gestellt wurde. Trotz tiefer Enttäuschung setzte er seine wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Embryologie fort. Er wollte die wichtigsten Entwicklungstypen im Tierreich beschreiben. Säugetiere, Echsen, Frösche und Fische standen im Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Daneben wurden auch Wachstum und Entwicklung von Pflanzen erforscht. Unermüdlich arbeitete er an seinem großartigen Forschungsziel, doch die selbst gestellte Aufgabe erwies sich als zu gewaltig. Aus gesundheitlichen Gründen musste er klein beigeben.

Wieder wurde er als Mitglied in die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg gewählt. Dieses Mal nahm er an und zog 1834 mit seiner Frau und seinen sechs Kindern nach St. Petersburg. Seine hohe Verschuldung ließ nur ein bescheidenes Leben zu. Unter anderem machte er sich in St. Petersburg als Bibliothekar der Auslandsabteilung der Akademie verdient. Er ordnete den Buchbestand der Bibliothek, die in Anerkennung seiner Arbeit noch heute Baer-Bibliothek heißt. Wissenschaftlich versuchte er neue Erkenntnisse in der Embryonalentwicklung zu gewinnen, indem er abnorme und monströse Verläufe dokumentierte. 1837 konnte er den zweiten Band seines Werkes Über Entwickelungsgeschichte der Thiere veröffentlichen. Die als krönendes Werk geplante Beschreibung der Embryonalentwicklung des Menschen musste er unvollendet aufgeben. Er wandte sich stattdessen der Embryonalentwicklung der wirbellosen Tiere zu, reiste ans Mittelmeer, sammelte Seeigel, Seesterne und Seescheiden und beschrieb deren Entwicklungsgang. Auch diese Studien blieben unveröffentlicht und Baer kehrte der Embryologie endgültig den Rücken zu. Er beschäftigte sich von nun an mit Geographie und Anthropologie.

 

1867 endete für Baer die Zeit in St. Petersburg. Er kehrte in seine Heimat Estland zurück. Mit einer stattlichen Leibrente war er nun frei von allen Geldsorgen und konnte sich voll und ganz seinen Interessen widmen. Die Evolutionstheorie des Engländers Charles Darwin, die in dieser Zeit für große Aufregung sorgte, lehnte er strikt ab. Sie greife seiner Meinung nach zu kurz. Nach seiner Überzeugung als Wissenschaftler, der sich intensiv mit der Embryologie beschäftigt hat, gebe es auch eine innere Selektion, die den Verlauf der Entwicklung einer Art vom Ei zum Jungtier beständig optimiere. Es existiere ein von innen heraus gesteuertes Streben nach Perfektion und Vollkommenheit, so dass die Selektion im Sinne Darwins für ihn als nachrangig zu bewerten war. Mit ähnlichem Ansatz entwickelte rund 100 Jahre später der Senckenberger Wissenschaftler Wolfgang Friedrich Gutmann (1935–1997) die sogenannte Frankfurter Evolutionstheorie.

Eine Gesetzmäßigkeit, die Baer aufgrund seiner umfangreichen Untersuchungen erkannte, nutzte Darwin (1809–1882) später zur Untermauerung seiner Evolutionstheorie. Er nannte sie das Gesetz der Keimähnlichkeit. Mit seinen Darstellungen zur Embryonalentwicklung scheint Baer auch das Biogenetische Grundgesetz von Ernst Haeckel (1834–1919) in seinen Grundzügen vorweggenommen zu haben. Doch im Gegensatz zu Haeckel deutete Baer seine embryonale Typenlehre nicht vor dem Hintergrund der Evolutionslehre und wies Haeckels Theorien mit polemisierender Gegenargumentation zurück.

Karl Ernst von Baer starb am 16. November 1876 nach kurzer Krankheit in Dorpat, drei Monate vor seinem 85. Geburtstag.

Anlässlich der Feier seines 50-jährigen Doktorjubiläums stiftete die Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg ihm zu Ehren den Baer-Wissenschaftspreis für die beste Arbeit auf dem Gebiet der Biologie.

Sein Hauptwerk wurde zur Grundlage der Vergleichenden Embryologie.

Werke

Baer, K. E. v., 1828: Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Bd. I. Königsberg, 217 S.

Baer, K. E. v., 1828: Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Bd. II. Königsberg, 315 S.

Baer, K. E. v., 1862: Welche Auffassung der lebendigen Natur ist die richtige? Und wie ist diese Auffassung auf die Entomologie anzuwenden? Berlin, 57 S.

Baer, K. E. v., 1873: Historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaften beantwortet. St. Petersburg, 385 S.

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