Eringus - Freddoris magische Eiszeit

Текст
Автор:
Из серии: Eringus #3
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Eringus - Freddoris magische Eiszeit
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit

Tagebuch eines unsäglichen Winters

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Vorwort

Die letzten Jahre

Ein letzter Wille

Beata

Wahr gesagt?

Kleyberch – auf ewig geheimnisvoll und wundersam

Unwahr gesagt?

Ein großer Verlust

Schlimmer geht immer

Erste Maßnahmen

Das Tagebuch beginnt

Der Turmbau

Zum Ende des Winnemonats

Brachet

Heuert

Ernting

Scheiding bis Mitte Gilbhart

Ein Drache wird zum Tier

Eine unvergessliche Vermählung

Freddoris Freuden

Höchst edler Baumfäller

Wer ist denn Gilgoy ald Albitus ?

Eringus macht Schluss

Das neue Jahr

Zeit der Wunder

Impressum neobooks

Impressum

Texte und

Umschlag: © Copyright by Rainer Seuring

Titelbild: Collage auf der Basis des Bildes

Winter-Russia-City-Park von Pexels.com

Verlag: Rainer Seuring

Bulaustr.1

63450 Hanau

derdracheeringus@gmail.com

www.derdracheeringus.jimdo.com

Für die Beratung bedanke ich mich bei den Fachleuten für Wetter und Natur, denen ich wesentliche Anregungen verdanke. Die magischen Kräfte des Alben aber waren stärker, als jegliche vernünftige Erklärung.

Vorwort

Heute werde ich Ihnen von einem unsäglich langen Winter von 300 Tagen berichten. Ich hör Sie schon rufen: „Das gab es doch gar nicht!“

Ihr Standpunkt ist nicht verkehrt und doch auch nicht richtig.

Natürlich stimmt es, dass kein Wissenschaftler von heute irgendwelche Anhaltspunkte dafür hat. Es war kein Vulkanausbruch, es war keine klimatische Störung, es war überhaupt nichts Natürliches, das solch einen Winter hervor gebracht hat.

Die Bäume von damals gibt es leider nicht mehr. In ihren Ringen hätte man den Beweis finden können. Die alten Dokumente geben auch nichts her. Keiner hat etwas verzeichnet; außer einem.

Schauen Sie doch einmal in Anton Pilgrams Untersuchungen über das Wahrscheinliche der Wetterkunde durch Vieljährige Beobachtungen oder lesen Sie auf Seite 154 in der Chronik der Seuchen in Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgängen in der physischen Welt und in der Geschichte der Menschen von Friedrich Schnurrer. Sie beziehen sich auf Toaldo, der darüber schrieb. Mit diesem war eine meiner Vorfahrinnen näher bekannt, die ihm damals die ganzen Ereignisse berichtete. Und die muss es ja wissen, schließlich ist das das Wissen von Beata, der Urmutter von uns, den Drachenkindern. Sie hat es damals selbst erlebt.

Und weil dieser lange Winter nicht natürlich sondern magisch verursacht wurde, ist das heute nicht mehr nachweisbar.

Der Winter ist auf 620/621 n. Chr. datiert. Doch haben sich die Ereignisse schon lange zuvor angebahnt; nämlich bereits im Winter 618/619 n.Chr.

Aber lesen sie selbst.

Die letzten Jahre

Bevor die Geschichte erzählt wird, sei ein Blick in die Vergangenheit erlaubt. Es möchte vielleicht sein, der Zusammenhang ginge verloren.

Der Drache Eringus, Herr über das Chynzychtal vom Quell bis zur Mündung im Maynes, hat sein Problem bezüglich des Götterglaubens noch nicht lösen können. Die Begegnung mit dem Elben hat ihn zwar gezwungen, seine strikt verneinende Haltung aufzugeben, doch der logische Schluss daraus, dass es doch Götter geben muss, will ihm nicht gefallen. Seien es die jahrtausende alten Erfahrung seiner Vorfahren oder fehlende zwingende Beweise oder was auch immer. Irgendetwas sträubt sich in ihm zu sagen: Ja, Götter gibt es. Im Moment steht dem Drachen kein, in seinen Augen, kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung. Also ist die Angelegenheit erst einmal zur Seite geschoben. Er hat Zeit und irgendwann wird ein weiteres Steinchen kommen, das er in das Mosaik des Wissens einbauen kann. Vielleicht sieht er dann klarer.

Seit Eringus durch Magda seine Herrschaft über das Flusstal zwischen Spechtshardt und Vogelsberch auch den hier lebenden Menschen deutlich gemacht hat, hat sich ein gewisses „normales“ Verhältnis entwickelt. Normal heißt: Man geht sich so gut es geht aus dem Weg. Die Menschen wissen um den Drachen und dass der Drache einem etwas tun kann, er aber bisher noch nichts gemacht hat und man nicht unbedingt zu ihm hin muss. Es hat sich aber auch ein Gefühl der Sicherheit entwickelt. Dieses Gefühl beruht aber wohl eher auf einem Missverständnis. Grundsätzlich hält sich Eringus aus den Angelegenheiten der Menschen heraus. Es kam allerdings sehr vereinzelt vor, dass er aus Neugier, während Streitigkeiten mit den Boiern im Spechtshardt, wohl versehentlich recht tief über die Menschen flog, was eben jene Boiern derart erschreckte, dass ihnen die Lust auf Streit verging. Aus Sicht der Menschen im Tal war dies natürlich sehr von Nutzen, obwohl für solch kriegerischen Beistand eher die Zwerge der Steinenaue zur Verfügung standen. Von denen später mehr.

Die Menschen, vor allem jene, die mit diesen Verhältnissen im Chynztal groß wurden, haben sich also an das Vorhandensein eines Drachen gewöhnt. Nicht oft wurde man seiner ansichtig, obwohl er doch 15 und einen halben Fuß hoch war. Zwischen den Baumriesen der damaligen Zeit war da aber immer noch gut, sich zu verstecken; auch bei solcher Größe. Kam man ihm dann doch einmal auf Rufweite nahe, so fiel man nicht mehr in Ohnmacht, so wie früher. Man grüßte artig ehrerbietig und ging seiner Wege. (Ein bedenkliches Gefühl, war wohl trotzdem immer mit dabei.)

Mit Halblingen und Zwergen kam man dann doch schon eher zurecht. Zwar konnte man nicht in die Dörfer der Halblinge, doch das sah man ein. Das Missverhältnis in den Größen zwang die Menschen einfach, draußen zu bleiben. Nur allzu leicht wäre an den kleinen Hütten der nur etwas über drei Fuß großen Wesen ein Schaden geschehen. Doch draußen auf dem Feld und im Wald sah man die Halben gerne. Immer gaben sie sachkundigen Rat. Stets gab es gute Ernten, wenn sich so ein kleiner Meistergärtner um Probleme kümmerte. Eifersüchtig wurden die Weisheiten der Halben im Chynzychtal gehütet. Die Erfolge in Ackerbau und Waldwirtschaft wollte man nicht mit anderen Bauern im weiteren Umland außerhalb des Tales teilen.

Auch mit den etwa einen Fuß größeren Zwergen gab es nur wenig Schwierigkeiten und falls doch, konnten die Zwerge solche Zwistigkeiten schnell beilegen. Sie waren halt die Stärkeren, aber davon machte man herzlich wenig Gebrauch. Dies war vom König verboten und man hielt sich daran, soweit möglich. Mancher Halbwüchsige unter den Menschen musste ab und an doch mal sein Mütchen kühlen. Blaue Flecke und schmerzende Knochen aber waren gute Lehrmeister. Das gab es sogar schon, als die Zwerge vor sehr langer Zeit noch von einem Großkönig regiert wurden und das gemeinsame Reich bis weit über den Wettergau hinaus reichte.

Untereinander hat sich bei den Menschen nichts geändert. Mord und Totschlag, Lug und Trug, Raub und Habgier waren nicht aus der Welt. Man kümmerte sich einen Dreck um die große Weltpolitik, das war Sache des Königs Chlothar II. Selbst die hier ansässigen Grafen hielten sich da möglichst heraus.

 

Graf Guntbert von Lanczengeseze verstarb ja leider schon im Jahre 601 an einer schweren Lungenerkrankung, die niemand zu heilen vermochte.

Von seinem Weib, der Gräfin Hildgard, ward seit der Flucht vor dem Scheiterhaufen nichts mehr vernommen. Zwar munkelt man, sie sei nach wie vor in der Nähe ihres Sohnes Hermann, doch gefunden hat man sie nicht. Vielleicht ist die vermeintliche Nähe doch wohl etwas weiter.

Graf Buodo ist leider auch nicht mehr unter den Lebenden. Verstorben ist er ohne fremdes Zutun, doch unter Umständen, die wenig ehrbar scheinen. Lästermäuler äußern hinter vorgehaltener Hand, er habe sich zu Tode gesoffen, weil er nach Guntberts Ableben für zweie trank. Ohnmächtig musste seine Familie diese Entwicklung mit ansehen. Sein Sohn hat das Erbe angetreten und obwohl dieser mit Hermann viel Zeit der Jugend verbrachte, herrscht nicht ein ähnliches Verhältnis, wie zwischen den Vätern. Die Beziehungen der jungen Grafen sind ein wenig eingeschlafen.

Hermann ist jetzt Herr auf Lanczengeseze. Sein Weib, eine ehemalige Küchenmagd aus Buodingen, hat ihm zwei Kinder geschenkt. Ein Mägdelein, noch zu Lebzeiten Guntberts, und einen Knaben zwei Jahre später. Dieser verstarb leider, bevor er noch ein Jahr alt war. Er hat des Nachts einfach aufgehört zu atmen. Danach hat es für die Gräfin nicht mehr sein sollen, ein Kind zu empfangen. Seit jener Zeit wird die Tochter von ihrem Vater sehr männlich erzogen und ihr ganzes Wesen hat mit der Zeit das Weibliche innen wie außen abgelegt.

Von örtlich größerer Bedeutung aber ist die Entwicklung Magdas zu nennen. Zusammen mit Karl, ihrem, von Zwergenkönig Sigurd angetrauten, Gemahl, hat sie sich zunächst auf dem kleinen Gut, das ihr von Hermann als Wiedergutmachung für erlittene Notzucht überlassen wurde, nieder gelassen. Schon im folgenden Jahr kamen die Zwillingsknaben Odo und Rudwin zur Welt. Es folgten Magnus und Markward drei Jahre später. Bis dahin konnten Karl und Magda ihr Vieh prächtig vermehren. Weil viele Menschen sich nicht in den Berg zu den Zwergen trauten, wickelte vornehmlich Magda die meisten Geschäfte für die Grafen und freien Bauern ab, die sich solch teure Anschaffungen leisten konnten. Die metallenen Ackergeräte waren begehrt, denn sie waren weitaus haltbarer als das, was die Menschen selbst herstellen konnten. Solchen Handel ließ sich Magda gut entlohnen. Ebenso vermittelte sie Gespräche mit den Halblingen, war sie doch, abgesehen von ihrer ersten Tochter Beata, die Einzige, die ein Halblingsdorf betreten konnte und durfte.

Auch aus den zunehmenden Händlerzügen auf der Straße zogen die Beiden großen Gewinn. Gerne hielt man Einkehr in Magdas Schenke oder nahm sogar Herberge des Nachts. Weit über die Grenzen des Chynzychtals schon reichte der gute Ruf, den sich Karl und Magda verdienten. Sie wurden so vermögend, dass sie weiteren Grund hinzu erwerben und nun eine ganze Hufe ihr Eigen nennen konnten. Vor zwei Jahren dann starb Karl bei einem Unfall. Eine grobe Unachtsamkeit beim Baumfällen kostete ihn das Leben. So lernte die kleine Methildis nie ihren Vater kennen, als sie vier Monate später das Licht der Welt erblickte. Mit Hilfe der großen Jungen konnte Magda ihr Gut erhalten. Not kannte die Familie nicht.

Auch wenn der Umgang mit Eringus im Laufe der Zeit stets geringer wurde, verblieb ihr doch der Ruf der Botschafterin, den sie sich einst in Lanczengeseze erworben hatte. Ihre Kinder gehen mit dem Drachen so um, wie alle anderen auch. Sie hören zwar gerne die Geschichten, die ihre Mutter von dieser Zeit zu erzählen weiß, doch eine besondere Beziehung zu Eringus entsteht dadurch nicht. Aber stolz sind sie alle auf ihre Mutter. Sie war und ist nun mal etwas Besonderes.

Natürlich sind die vergangenen Jahre nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Nicht nur die Schwangerschaften haben ihr Äußeres verändert, auch die schwere Arbeit trug ein gutes Stück dazu bei. Heute ist sie deutlich fülliger aber auch weiblicher als früher. Das Haar ist grau geworden, der Rücken macht zunehmend Probleme. Sie ist nicht mehr ganz so gewandt, doch wen wundert das. Trotzdem wagt es keiner, sich mit ihr anzulegen. Ihr Kampfstock ist ihr ständiger Begleiter und sie weiß ihn immer noch gut zu nutzen. Sogar einen Bären hat sie damit in die Flucht gejagt. Ein sehr derber Hieb auf die Schnauze war für das Tier so unangenehm, dass es lieber das Weite suchte. Kein Wunder, übt sie doch täglich, so wie es ihr von Melisande beigebracht worden ist. Schon viele Bäume hat sie mit ihrem Stock als vermeintliche Angreifer geschlagen. Und bei der Baumobsternte ist so ein langer Stab stets ein gutes Hilfsmittel. Der morgendliche Rundlauf um das Gut dauert zwar immer länger, doch wird Magda nicht müde, auch diese Übung täglich fort zu führen.

Beata ist auch etwas Besonderes für ihre Halbgeschwister. Nicht nur, weil sie von einem anderen Vater stammt und unter gewaltsamen Umständen gezeugt wurde. Nicht nur, weil sie von einem Drachen beatmet und ins Leben geholt oder weil sie von einer Zwergenamme gesäugt wurde, während Magda doch die weiteren Kinder später selbst stillen konnte. Und auch nicht nur, weil sie eigentlich immer nur ab und an zu Besuch kam und ansonsten dort lebte, wo sie gerade lernte. Nein, es war ihr ganzes Wesen, das sie vollständig verschieden machte. Doch das Wichtigste: Man hatte sich trotzdem lieb, denn ein innigliches Band der Zusammengehörigkeit erfüllte alle. Jeder Besuch von ihr war eine große Freude.

Wer an dieser Stelle auf gar keinen Fall vergessen werden darf ist Ob; Verzeihung Frieder. Für einen Halbling ist er jetzt schon als ein alter Mann zu bezeichnen. Tiefe Falten haben sich in sein wettergegerbtes Gesicht gegraben. Seine Zähne sind schlecht geworden, die Haare sind ausgefallen. Langsam werden die Augen trüb, doch der Geist ist wach geblieben. Seit Magda ihn damals aus seiner geistigen Umnachtung heraus geholt hat, hat er sein Lieblingswort >Ob< nur noch zum Spaß und stark betont benutzt. „Ob eine Amsel auch ein fliegender Fisch ist, gleich einer Ente?“, fragte er einmal in Anspielung auf die merkwürdigen Auslegungen der Fastenregeln der Mönche in St. Wolfgang. Dort vertrat man die Meinung, Vögel und Fische stünden gleich, denn sie wurden von Gott am gleichen Tag erschaffen. Also sei es erlaubt, zu Fastenzeiten nicht nur Fisch, sondern auch Geflügel zu verspeisen. „Ob ich mir eine Bestattung durch den Leichenschmaus sparen kann?“, war wohl die unmöglichste Frage, die er jemals stellte und letztens, als ihm wieder einmal schmerzlich sein Alter bewusst wurde, fragte er: „Ob für mich die Zeit langsamer verging, weil ich mich schneller bewegte?“. Bedauernd musste er nämlich einsehen, dass er Magda bei ihren Läufen nicht mehr begleiten konnte, wo es ihm doch früher ein Leichtes war, der Frau davon zu laufen.

Treulich hat er Magda und Karl in allen Lebenslagen beigestanden. Dank ihm waren die Ernten der beiden die Besten weit und breit. Mit seiner natürlichen Begabung hat er für jedes Pflänzlein ein glückliches Händchen. Für die Kinder war er allein schon durch seine körperliche Größe der Spielkamerad schlechthin und als diese größer wurden, übernahm er gerne die Rolle des Vertrauten und Freundes genauso gut wie er Lehrer sein konnte.

Zu seiner Familie im Dorf Lindenbach ist er nicht wieder zurückgekehrt. Nach der Teilung und der Gründung von Erlenbusch war allen klar, dass seine Aufgaben im Leben andernorts lägen. Irgendwie war der monatliche Zauber auch davon überzeugt, Frieder sei kein Mitglied der Gemeinde mehr und funktionierte weiterhin. Auch wenn er an dieser Zeremonie nicht mehr teilnahm. Natürlich war er öfters dort zu Besuch, auch wenn die Anlässe nicht immer fröhlich waren, wie bei der Beisetzung von Linda Malve, welche nur kurz nach ihrem Gatten Adalbert Eichenlaub verstarb.

Weitere besonders berichtenswerte Ereignisse gab es bei den Halblingen nicht. Das unscheinbarste, doch allgegenwärtigste Völkchen ging seiner ihm zugedachten Aufgabe nach und kümmerte sich nach wie vor äußerst liebevoll und verständig um Baum und Strauch, Kraut und Rübe. Allerdings waren die Arbeiten etwas umfangreicher geworden, benötigten die Bauern doch jede Menge Unterstützung und Belehrung, was Ackerbau und Waldwirtschaft anging. Ansonsten war ein Jahr wie das andere. In absoluter Regelmäßigkeit wurden die Monatsfeste gefeiert. Manch einer würde es als eintönig beschreiben, doch die Halben waren es zufrieden.

Bei den Zwergen war der schmerzlichste Verlust Melisande, die Mutter König Sigurds. Im letzten Winter ist sie noch vor dem Julfest friedlich eingeschlafen. In einer denkwürdigen Zeremonie wurde sie in der Familiengruft tief im Berg bestattet. Rombold Steinschloß war nun der Älteste in der Festung.

Die einschneidendste Veränderung hingegen war der Zuzug der Zwerge aus Kleyberch. Eringus hatte diese echten Überlebenden des großen Krieges ja rein zufällig bei einem Ausflug gefunden und kämpft seither damit, die Umstände des Überlebens in eine vernünftige Logik zu betten. Jade, die Traumfee, drängt ihn zwar bei jeder passenden Gelegenheit, dies als ein göttliches Werk und sich (also Eringus) als göttliches Werkzeug zu akzeptieren, da entsprechend einer Weissagung, wenn man dies so nennen will, die Zusammenführung der Zwerge geschah, aber so schnell ändert ein Drache nicht seinen Standpunkt. Nicht ohne absolut felsenfeste Beweise.

Wie zu erwarten war, wurden die Kleyberch-Zwerge allesamt tief getroffen als sie erfuhren, dass ein jeder von ihnen weit über 800 Jahre alt ist. Monate vor der großen Schlacht war die Festung Kleyberch Ziel eines Angriffs der Alben und ihrer Schergen. Keiner überlebte, außer ihnen. Sie fielen in einen geheimnisvollen Schlaf, aus dem sie erst im Jahre 591 wieder erwachten. Sie sehen sich bis heute nicht in der Lage, dies anders als mit göttlichem Wirken zu erklären. Gemeinsam mit den Zwergen der Steinenaue werden regelmäßig Dankesfeiern zu Ehren Gabbros, dem Zwergengott, abgehalten.

Bis der Umzug nach Steinenaue erfolgte, vergingen aber noch vier Jahre. Jahre, in denen der Kontakt zueinander immer mehr verstärkt wurde. Dankwart Hammerfest, der Anführer, kam immer öfters her, um sich und die anderen Zwerge mit dem Wissen der Neuzeit zu versorgen. Aufmerksam studierte man das Buch Utz wider die Alben und arbeitete das Geschehene nach und nach auf. Oft begleitete ihn sein „Findelkind“ Anschild Kleyberch, dem einzigen Zwerg, von dessen Herkunft keiner etwas wusste und den Dankwart unvermittelt vor dem tiefen Schlaf in den Arm gedrückt bekam. Dieser war nun ein stattlicher junger Mann von inzwischen 30 Jahren, der offensichtlich großen Gefallen an Prinzessin Carissima, König Sigurds Tochter, gefunden hat.

Es gab teilweise ganz gewaltige Unterschiede in der Lebensweise zwischen den Kleyberchern und den Steinenauern. Die Überlebenden lebten nach der Weise, wie sie vor über 800 Jahren üblich und vom Großkönig vorgeschrieben war. Viele Diskussionen wurden geführt, bei denen sich die Königsmutter Melisande stark auf die Seite der Kleybercher stellte. Sehr zum Leidwesen ihres Sohnes, welcher massiv die moderne Lebensweise verteidigte. Da die Kleybercher sich einfügen wollten, wurde so mancher Kompromiss zu ihrem Nachteil geschlossen. Diese Absprachen sollten aber nicht von langem Bestand sein.

Auch der Ortswechsel selbst zog sich leidlich in die Länge, schließlich ging es nicht nur darum, ein paar Gewänder zu packen und los zu stiefeln. Alles Großvieh musste die weite Strecke getrieben werden, während das Federvieh, in Käfige oder Körbe verladen, auf Wagen transportiert werden konnte. Die Vorräte, in Sack oder Kiste oder gebündelt, wurden auf gleiche Weise nach Steinenaue geschafft. Auch wenn es nur 145 Zwerge waren, die auf Wanderschaft gingen, so war der Tross trotzdem gewaltig und musste geteilt werden. Die schnelleren Wagen waren nach wenigen Tagen angekommen. Der Viehtrieb aber dauerte doch deutlich länger.

König Sigurd war selbst in Kleyberch dabei, als nach dem Auszug die Steinenauer ihre Neugier befriedigen und schauen mussten, wie man so in einer fast völlig zerstörten Festung hausen konnte. Das Erstaunen war groß als man erkannte, wie viel Platz durch Gabbros Vorsehung eingeräumt worden war. Doch die Überraschung der Kleybercher war noch weitaus größer, nachdem weitere ihnen unbekannte Hallen entdeckt und geöffnet werden konnten. Unter anderem fand man die Halle der Lehren und Historie, wie der Eingangstür entnommen werden konnte. Der Zugang war durch herabgestürzte Felsbrocken nur gering versperrt. Die Kleybercher waren sich absolut sicher, auch an dieser Stelle ihre Behausung erforscht und keinen Zugang gefunden zu haben. Die Geschehnisse in und um Kleyberch wurden immer geheimnisvoller. Die Freude über den Fund in der Halle war sehr groß. In Eisenbach, der Festung des letzten Großkönigs Manegold Schmiedehammer, befand sich die große Bibliothek der Zwerge, mit allen Büchern und Schriftrollen über die Vorgeschichte der Zwerge, ihrer Herkunft und Wanderschaften. Alles, was die Geschichtsschreiber festhalten sollten oder wollten, Regeln und Vorschriften und Gesetze, aber auch Rezepte und Handwerksgrundlagen. Die ältesten Aufzeichnungen waren sogar noch auf Stein gemeißelt. Diese waren allesamt durch die Explosion im großen Krieg verloren gegangen. Nun aber zeigte sich, dass eben jener Großkönig wohl viele Schreiberlinge eingesetzt hatte, um Abschriften fertigen zu lassen. Es fand sich auch das Buch der Weissagungen von Gilbret Steinschleifer, dem Seher von der Höch. All diese Bücher wurden damals nach Kleyberch geschafft, wo sie nun gefunden werden konnten. Warum ausgerechnet nach Kleyberch, einem der kleinsten Vorposten, und nicht in eine größere und sichere Zwergenburg ist unklar. Auch darin vermutet man Gabbros großen Plan für sein Volk. (Eringus hat darob nur den Kopf geschüttelt. Es ist allzu leicht, alles als göttliches Wirken zu bezeichnen, meint er. Man braucht nicht nach einem vernünftigen Grund suchen, um es zu erklären.)

 

Der Fund dieser Schriften führte jedoch dazu, dass die zuvor geschlossenen Kompromisse hinfällig waren. Nun lagen die klaren Verhaltensmaßgaben des letzten Großkönigs vor und diese Anordnungen behalten solange Gültigkeit, bis sie von einem anderen Großkönig aufgehoben werden. Sehr zu König Sigurds Missfallen fand sich unter anderem auch tatsächlich eine Vorschrift über körperlichen Ertüchtigungen, deren sich ein wehrfähiger Zwerg zu befleißigen hat. Die darin geschilderten Aufgaben waren noch deutlich höher in der Anforderung als das, was Melisande seinerzeit als Prüfung für Magda erfunden hatte. Nicht nur König Sigurd stöhnte. Es zeigte sich sehr schnell, dass die Kleybercher in kämpferischer Hinsicht den Zwergen der Steinenaue weit überlegen waren. Sie lebten nach diesen Vorschriften und waren deshalb im Vorteil. Es gab den einen oder anderen Steinenauer Zwerg, der sich wünschte, die Kleybercher wären nie auf der Bildfläche erschienen. Es war anstrengend, nach alten Vorschriften zu leben.

Bis heute wurden zwar noch einige Untersuchungen in Kleyberch vorgenommen, doch gefunden wurde nichts mehr.

Bei der Aufzeichnung der Kleybercher Zwerge in die Namenslisten der Steinenaue stellte sich heraus, dass in keinem Fall eine verwandtschaftliche Beziehung nachzuweisen ist. Dies hätte auch durchaus zu größten Komplikationen führen können. Man stelle sich vor, man stehe überraschender Weise vor demjenigen oder derjenigen, die vor Jahrhunderten die eigene Großmutter oder den Großvater gezeugt hätte und eben dieser Urahn wäre, wegen des langen Schlafes, dann auch noch jünger als man selbst. Ein schier unvorstellbares, aber absolut nicht unmögliches Ereignis. Doch, wie gesagt, man fand keinerlei familiäre Bande. Das hatte aber für Rombold Steinschloß die unangenehme Wirkung, dass er der Letzte seiner Familie blieb.

Zwischen 607 und 610 hatte König Sigurd mehr Vermählungen vorzunehmen, als die letzten 200 Jahre zusammen geschlossen worden waren. Das „frische Blut“, der Kleybercher wurde sehr gerne aufgenommen. Dabei machte der geringe Altersunterschied von über 800 Jahren keine Probleme, war diese Zeit doch verschlafen worden und weder Körper noch Geist gealtert.

Jetzt gilt es nur noch ein paar Worte über die kleine Traumfee Jade zu verlieren. Es ist wirklich nicht viel. Sie freut sich ihres Lebens, ist kein bisschen vernünftiger geworden und liebt es, Eringus mit allem, was mit Göttern zu tun hat, zu ärgern. Im Übrigen geht sie ihrer gegebenen Aufgabe nach und schenkt den Menschen hier und da schöne Träume. In letzter Zeit allerdings ist sie doch etwas stärker abgelenkt und nicht nur geistig abwesend. Sie ist schwirrig, wie sie selbst es nennt und sucht einen Partner zwecks Vermehrung. Nachdem sie aber bis dato noch keine andere Traumfee getroffen hat ist die Aussicht, eine männliche Variante dieses Völkchens zu finden, verschwindend gering. Das lässt sie aber nicht verzweifeln. Irgendwann wird schon einer kommen, meint sie.