Soziologische Kommunikationstheorien

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Sprache als solche ist aber kein Erzeugnis der menschlichen Tätigkeiten. Dies ist nur bei den bestimmten Sprachen der Fall, den National- oder Volkssprachen, den Soziolekten oder Dialekten. Sie sind das Produkt der Kommunikation in menschlichen Gemeinschaften. Die Sprache als solche, also Sprach- und Sprechfähigkeit, ihre organische und intellektuelle Ausstattung, ist eine anthropologische Eigenschaft. Sie ist den Menschen in der gleichen Weise natürlich und vorgegeben wie die Instinkte den Tieren. Die Sprache dient der menschlichen Verständigung, aber Verständigung ist nicht ihr vornehmster Zweck. Dieser besteht darin, dass sie den Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen zu einem sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck verhilft und ihrerseits Gedanken, Wahrnehmungen und Empfindungen bewirken und anregen kann. Diese drei Zwecke, die Verständigungsfunktion, die Ausdrucksfunktion wie die Wirkfunktion, sind nur gemeinsam zu verwirklichen. Sprache dient der Weltaneignung wie der Weltorientierung. Sie tritt zwischen die Menschen und die Dinge, sie schafft Distanz und damit die Möglichkeit, dass sich die Menschen von dem direkten Bezug zu den Dingen lösen und Vernunft ausbilden können. Welt ist dem Menschen nur dann verfügbar, wenn sie eine in Sprache verwandelte Welt ist (vgl. v. Humboldt 1829 / 1994: 151). Es gibt keine sprachlose Welt. Sprache vermittelt zwischen der Subjektivität der Menschen und der Objektivität der Welt, sie ist Mittlerin zwischen Mensch und Welt. Von daher ist die menschliche Sprachfähigkeit, die Fähigkeit, Inneres und Äußeres, Gedanken und äußere Gegenstände durch ein sinnliches Medium zu erzeugen, welches zugleich das Werk der Menschen wie auch Ausdruck der Welt ist. Nicht zufällig fällt hier das Wort ›Medium‹, und nicht zufällig hat dieses Medium der Sprache die Bedeutung der ›Mitte‹ – das Wort Medium hat traditionell die beiden Bedeutungen Mittel und Mitte. Wir müssen es an dieser Stelle leider bei dieser knappen Exposition der Humboldt’schen Sprachphilosophie belassen. Wenn man aber diese Begrifflichkeiten, die Humboldt über die Vermittlung durch Herder von Aristoteles übernahm, in die heutige soziologische Fachsprache übersetzt, dann wird ihre Aktualität gerade für die Soziologie offenkundig. Viele Gegensatzpaare, mit denen die Soziologie zu kämpfen hat wie diejenige von Handlung und Norm, von Handlung und Kultur, von Handlung und Wissen, wurden von Humboldt auf einem anderen Felde schon analysiert und auch seine Lösungen für eine Aufhebung dieser Dichotomien stehen hinter dem Niveau der heutigen Soziologie keinesfalls zurück.

1.5 Kommunikation als Semiose

Im Mittelpunkt der Semiotik von Charles Sanders Peirce steht nicht das singuläre Zeichen, sondern der semiotische Prozess oder kurz die Semiose. Nach Peirce stellt ein Zeichen eine triadische Relation dar, die einen Interpretationsprozess auslöst. Semiose ist der Prozess, durch den ein Zeichen auf seinen Interpreten einen Effekt ausübt. Kommunikation – diesen Terminus selbst wählt Peirce nicht – zwischen Menschen ist eine Form eines solchen semiotischen Prozesses. Die menschliche Kommunikation stellt aber nur einen Teil eines die gesamte Natur und Kultur umfassenden semiotischen Prozesses dar.

Was versteht Peirce nun unter Zeichen? Manches Mal bezeichnet er Zeichen als eine triadische Relation von Repräsentamen (oder Zeichen im engeren Sinn), dem Objekt, wofür das Repräsentamen steht, und dem Interpretanten, der sich auf die Relation von Objekt und Repräsentamen bezieht. In diesem Sinne sind Zeichen eine dreifache Verbindung zwischen dem Zeichen (im engeren Sinne), der bezeichneten Sache und dem Interpretanten. Manches Mal bezeichnet er auch nur das Repräsentamen oder Zeichen im engeren Sinne als Zeichen. Oder wie er selbst schreibt:

»Ein Zeichen oder ein Repräsentamen ist ein Erstes, das in einer solchen genuinen triadischen Relation zu einem Zweiten, das sein Objekt genannt wird, steht, dass es fähig ist, ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, zu bestimmen, und zwar dahingehend, dieselbe triadische Relation zu seinem Objekt anzunehmen, in der es selbst zu diesem selben Objekt steht […].« (Peirce 1987, Bd. 2: 274 (CP 2.274), zit. nach Schönrich 1999: 20)

Zeichen stellen eine Relation dar oder sie sind Element einer Relation. Und diese Relation ist eine dreifache von Repräsentamen, Interpretant und Objekt. Repräsentamen sind die beobachtbaren Dinge, die sich auf etwas beziehen, Objekte sind die Dinge, die durch ein Repräsentamen repräsentiert werden, Interpretanten stellen das interpretierende Bewusstsein dar, welches die Bezeichnungsrelation von Repräsentamen und Objekt interpretiert. Ein Zeichen liegt nur in einer solchen triadischen Relation vor, also immer und nur dann, wenn die Bezeichnungsrelation von Repräsentamen und Objekt von einem Interpretanten interpretiert wird.

Semiose ist ein endloser Prozess, in welchem Zeichen in Zeichen übersetzt werden. Denn ein Zeichen ist darauf angewiesen, dass es von einem Interpretanten bestimmt wird, der von einem weiteren Interpretanten wiederum als Repräsentamen identifiziert wird und somit Glied einer weiteren triadischen Relation ist. Ein Zeichen kann niemals alleine stehen, sondern ist nur Zeichen in einem Zeichenprozess, der immer wieder neue triadische Glieder generiert. Wenn man Kommunikation als einen semiotischen Prozess interpretiert, dann werden natürlich auch die ›Empfänger‹ und ›Sender‹ Glieder in diesem Prozess – sie werden zu Zeichen.

Von besonderer Relevanz in dieser Zeichensystematik ist die mittlere Spalte, da hier ein sehr vielseitiger Begriff auftaucht, der für die Soziologie von besonderer Relevanz ist. Symbole stellen nach Peirce eine Unterklasse von Zeichen dar, und zwar solcher Zeichen, deren Bedeutung auf Konventionalität bzw. auf Gewohnheit zurückzuführen ist. Ein Symbol ist ein Zeichen, dessen Eignung, das zu repräsentieren, was es repräsentiert, allein aus der Tatsache resultiert, dass es eine Regel, eine Gewohnheit oder gar eine Disposition gibt, dass das Zeichen so interpretiert wird. Wichtiger noch als die Konventionalität ist, dass das Symbol in einer Sprachgemeinschaft nach einer allgemeinen Regel gebraucht wird. Peirce hebt damit den Gewohnheits- oder Gesetzesaspekt hervor, der für die Interpretation von etwas als Symbol konstitutiv ist. In der Soziologie trifft man hingegen häufiger einen Symbolbegriff an, der auf die Konnotativität des Symbols verweist. Zeichen werden zu Symbolen, wenn sie neben ihrer primären Bedeutung eine sekundäre, konnotative Bedeutungsebene aufweisen.


Abb. 1.4: Die Systematik der Zeichen nach Peirce

1.6 Sprache und Sprechen

Der Einfluss von Ferdinand de Saussure auf die gesamte Wissenschafts- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts kann schwerlich überschätzt werden. Er selbst war maßgeblich beeinflusst von einem der großen Gründerväter der Soziologie, nämlich von Émile Durkheim. Saussure fasst die Semiologie als Wissenschaft von den Zeichen als Zweig einer übergeordneten Sozialpsychologie. Die Sprache nimmt unter den Zeichensystemen eine herausragende Stellung ein; sie ist das komplexeste Zeichensystem, da es auf völlig arbiträren Zeichen beruht und damit den semiologischen Prozess in besonderer Weise kenntlich machen kann.

Der Einfluss von Durkheim wird in einigen der folgenden Punkte deutlich, mit denen Saussure die Merkmale der Sprache beschreibt (nach Wunderli 1981):


(1)Sprache ist eine soziale Institution;
(2)Immutabilität: Die Sprachzeichen sind für die Individuen unveränderlich;
(3)Völlige Arbitrarität;
(4)Die Sprachzeichen sind nur durch das Sprachsystem bestimmt;
(5)Produktivität: Mit einem begrenzten Zeicheninventar lassen sich unbegrenzt viele Nachrichten produzieren;
(6)Akustische Manifestation der Zeichen.

Von besonderer Bedeutung ist die These von der völligen Arbitrarität sprachlicher Zeichen. Auch moderne soziologische Zeichentheorien legen sie zugrunde. Nach Saussure weisen Zeichen eine bilaterale, dyadische Struktur auf. Das Zeichen bezeichnet ein Ganzes, welches ein Signifikat und einen Signifikanten enthält. Der Signifikant ist das Lautbild, das Signifikat die Vorstellung. Das Zeichen ›Fußball‹ weist also zum einen das phonetische Lautbild Fußball, zum anderen die Vorstellung eines Fußballes auf.

Die These von der Arbitrarität von Zeichen betrifft nun nicht, wie häufig unterstellt, den Zusammenhang von Zeichen und Referenzobjekt – dieser Zusammenhang ist von Saussures dyadischer Zeichenlehre nicht erfasst. Zeichen sind deshalb arbiträr, weil jeglicher Zusammenhang zwischen Signifikant und Signifikat, dem Lautbild und der Vorstellung nicht natürlich, d. h. konventionell ist. Es gibt beispielsweise keinen sachlichen, sondern nur einen konventionellen Grund, die Vorstellung eines Fußballes, also das Signifikat, mit dem Lautbild / fußball/, also dem Signifikanten, in einem Zeichenelement zusammenzustellen.

»Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, können wir dafür auch einfacher sagen: Das sprachliche Zeichen ist beliebig. So ist die Vorstellung ›Schwester‹ durch keinerlei innere Beziehung mit der Lautfolge / schwester / verbunden, die ihr als Bezeichnung dient; sie könnte ebensowohl dargestellt sein durch irgendeine andere Lautfolge [….].« (Saussure 1967: 79; Hervorh. weggel.)

 

Abb. 1.5: Saussures Bilateralität des Zeichens (nach Nöth 2000: 74)

Arbiträr heißt auch nicht, dass der Zusammenhang zwischen dem Bezeichneten und dem Bezeichnenden ein willkürlicher wäre. Das ist nach Saussure völlig ausgeschlossen, denn die Sprache ist trotz aller Konventionalität den Individuen vorgegeben und sozial verbindlich. Zeichen sind soziale Tatsachen. Signifikat und Signifikant müssen also als kollektive Vorstellungen bzw. als kollektive Lautbilder betrachtet werden. Wenn die Bezeichnung, also der Signifikant, hinsichtlich der Vorstellung, also des Bezeichneten, auch als arbiträr oder frei gewählt erscheint, so ist sie in Bezug auf die Sprachgemeinschaft unveränderlich. Es ist auf den ersten Blick natürlich erstaunlich, dass Saussure aus der Definition des Zeichens jeglichen Verweis auf den Gegenstand, auf den das Zeichen referiert, tilgt. Sprachliche Zeichen verbinden nicht eine Sache, ein Objekt mit einem Namen, so wie dies traditionell in der Semiotik gedacht wurde, sondern sie verbinden nach Saussure eine Vorstellung mit einem Lautbild. Mit dieser These wird Saussure zum Begründer der strukturalistischen Wissenschaftsauffassung, denn sie besagt, dass Zeichen nur intern, innerhalb des Systems der Zeichen in Differenz zu anderen Zeichen (anderen Signifikaten und Signifikanten) gebildet werden. Die Bezugnahme auf ein Referenzobjekt ist nicht konstitutiv, da erst Zeichen vorliegen müssen, damit wir in der ansonsten amorphen Welt Objekte unterscheiden können. Das Signifikat ist nach Saussure auch nicht Ausdruck einer mentalen Vorstellung, einer Idee, die vor den Zeichen schon vorhanden sein könnte, sondern es erschließt sich nur aus dem Spiel der Differenzen im System der Sprache. Die Bedeutung von Zeichen ist also weder auf mentale noch auf reale Objekte zurückzuführen. Sie verdanken sich ihrer Stellung im System aller anderen Zeichen einer Sprache.

Die Auffassung der Sprache als ein in sich geschlossenes, auf intern konstituierten Differenzen aufruhendes System von Zeichen führt dazu, dass Saussure der Sprachwissenschaft einen genuinen Gegenstand gibt. Es ist die Sprache, nicht das Sprechen. Es ist die Sprache im Sinne der ›langue‹, die synchron in ihren Strukturen und Formen zu beschreiben ist. Die ›parole‹ im Sinne des Sprechens oder allgemein im Sinne eines jeglichen Gebrauchs der Sprache wird aus dem Focus der Sprachwissenschaft ausgeschlossen. Damit wurde zum ersten Mal ein Prinzip formuliert, welches auch für die Soziologie eine weit über die Sprache hinausgehende Relevanz hat. Die Sprache wird als ein in sich geschlossenes Bedeutungs- und Regelsystem aufgefasst, das Sprechen hingegen als eine pure Anwendung dieses Systems. In der Folge konnten dann auch andere ›Systeme‹, in erster Linie die ›Kultur‹ als Realität sui generis konzipiert werden. Saussures dyadische Semiologie hat in der Soziologie wesentlich stärkeren Einfluss gehabt als die triadische Semiotik von Peirce.

1.7 Sprache als Organon

Karl Bühlers Organonmodell der Sprache ist Ausgangspunkt vieler soziologischer und kommunikationswissenschaftlicher Überlegungen. Das Organonmodell stellt die drei verschiedenen Funktionen dar, die ein sprachliches Zeichen haben kann:


Abb. 1.6: Das Organonmodell der Sprache nach Karl Bühler

(modifiziert nach Bühler 1934 / 1982:28)

Lassen wir zunächst einmal Bühler selbst zur Sprache kommen. Die semantischen Funktionen des Sprachzeichens bestehen in folgenden:

»[Das Sprachzeichen, R. S.] ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen.« (Bühler 1934 / 1982: 28; Hervorh. weggel.)

Bühler konzipiert sprachliche Zeichen als ›organon‹, mit dessen Hilfe ein Sender einem Empfänger etwas über etwas mitteilen kann. Sie werden also aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive konzipiert und weisen entsprechend drei Relationen oder Dimensionen auf. Sie sind als Symptom anzusehen, weil ein Sender sich ihrer bedient, um etwas auszudrücken, sie tragen einen Signalcharakter, weil sie einen Empfänger beeinflussen oder gar steuern sollen, und sie sind schließlich Symbol deshalb, weil sie über Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt informieren, sich auf sie beziehen, sie repräsentieren oder wie immer man diese Funktion genauer definieren will. Zeichen oder allgemein kommunikative Ausdrücke dienen also dazu, Intentionen eines Sprechers zum Ausdruck zu bringen, Sachverhalte darzustellen und Beziehungen mit einem Adressaten einzugehen.

1.8 Funktionen von Kommunikation

Die Kommunikationstheorie des Linguisten und Semiotikers Roman Jakobson ist seit der Rezeption durch den Strukturfunktionalismus für die Soziologie eine maßgebliche Inspirationsquelle. Linguistik als die Wissenschaft von der Erforschung verbaler Kommunikation und Semiotik als die auf die Linguistik übergreifende Wissenschaft von der Erforschung jeder beliebigen Zeichenbotschaft sind nach Jakobson nur Teilgebiete einer allgemeinen Kommunikationswissenschaft, die er als ›Sozialanthropologie mit Ökonomie‹ bezeichnet. Diese hat jeglichen zwischenmenschlichen Tausch von Informationen und Waren zum Gegenstand (vgl. Jakobson 1973: 36). Als Vertreter der Soziologie ist man natürlich geneigt, diesen übergreifenden, integrativen Status seiner Wissenschaft zuzusprechen.

Das Kommunikationsmodell von Jakobson stellt einer Erweiterung des Organon-Modells von Bühler dar. Er beschreibt es folgendermaßen:

»Der SENDER sendet eine BOTSCHAFT an einen EMPFÄNGER. Um wirksam sein zu können, benötigt die Botschaft einen KONTEXT, auf den sie sich bezieht (›Referent‹ in einer anderen, etwas ambigen Terminologie): Dieser Kontext muss dem Empfänger verständlich sein und entweder verbaler oder verbalisierbarer Art sein. Ferner gibt es einen KODE, der vollständig oder zumindest teilweise dem Sender und Empfänger (oder i. a.W. dem Kodierer und dem Dekodierer der Botschaft) gemeinsam sein muss. Schließlich ermöglicht es ein KONTAKT, ein physikalischer Kanal und eine psychologische Verbindung zwischen dem Sender und dem Empfänger, dass beide in Verbindung treten und die Kommunikation aufrechterhalten.« (Jakobson / Halle 1960: 353, zitiert nach Nöth 2000: 105)

Jakobsons Kommunikationstheorie hat den Vorteil, dass sie die Funktionen, die Kommunikation haben kann, sorgfältig und differenziert zu bestimmen und diese verschiedenen Kommunikationsformen zuzuordnen vermag. Dabei übernimmt er das Dominanzprinzip von Bühler, welches besagt, dass Kommunikationen zwar multifunktional sind, aber nur jeweils eine Funktion in einer spezifischen Kommunikation dominant ist. Eine Funktion ist jeweils dominant, die anderen treten in den Hintergrund, können aber ihrerseits die dominante ablösen. Jakobson benennt folgende Funktionen (nach Nöth 2000: 105 f.):

 Referentielle Funktion: Diese dominiert, wenn die Kommunikationsteilnehmer auf den Kontext, den Referenten gerichtet sind (Beispiel: deskriptive Texte, Nachrichten etc.);

 Expressive oder Emotive Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Einstellung des Senders zum Text oder zur Rede geht und weniger um deren Inhalt (Beispiel: Emphasen etc.);

 Konative Funktion: Diese dominiert, wenn es primär um einen Appell an den Empfänger der Botschaft geht (Beispiel: Aufrufe, Befehle etc.);

 Phatische Funktion: Diese dominiert, wenn es um die Herstellung von gemeinschaftlichen Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern geht (Beispiel: Grußformeln etc.);

 Metalinguistische Funktion: Diese dominiert, wenn es um eine Kommunikation über die Kommunikation und deren Sprache geht (Beispiel:»Was meinst du?« etc.);

 Poetische Funktion: Diese dominiert, wenn die Einstellung der Kommunikationsteilnehmer in erster Linie auf die Botschaft selbst gerichtet ist.

1.9 Syntax, Semantik und Pragmatik

Endgültig seit Charles Morris (1938) werden drei Dimensionen von Zeichen oder Symbolen unterschieden. Zeichen oder Symbole beziehen sich auf außersprachliche oder sprachliche Gegenstände, sie referieren oder verweisen auf etwas, sie bedeuten etwas. Dies ist die semantische Dimension. Entsprechend analysiert die Semantik die Bedeutung von Zeichen oder Symbolen. Diese beziehen sich aber nicht nur auf etwas, sondern sie stehen auch in Relation zu anderen Zeichen. So können, wie wir alle wissen, z. B. nur bestimmte Zeichen miteinander kombiniert werden, um grammatisch korrekte und verständliche Aussagen zu produzieren. Eine Aussage wie z. B. ›Peter Doris London reisen und‹ würde von keinem ›native speaker‹ des Deutschen als grammatisch korrekte Aussage bewertet werden. Diese Dimension wird als syntaktische bezeichnet. Dementsprechend untersucht die Syntax oder Syntaktik die Regeln, nach denen Zeichen in unterschiedlichen Sprachen miteinander kombiniert werden können. Die dritte Dimension schließlich betrifft die Beziehung zwischen den Zeichen und den Zeichenbenutzern. Es handelt sich um die pragmatische Dimension. Die Pragmatik untersucht, wie Zeichen von Zeichenbenutzern verwendet werden oder was die Zeichenbenutzer mit bestimmten Verwendungsweisen intendieren.


Abb. 1.7: Dimensionen sprachlicher Zeichen nach Morris

1.10 Hermeneutik und Kommunikation

Nach der sprachphilosophischen Tradition, wie sie hier durch Wilhelm von Humboldt repräsentiert wird, und der semiotischen bzw. semiologischen Tradition, wie sie durch Peirce und Saussure, Jakobson und Morris vertreten wird, kommen wir nun zur dritten großen Theoriegruppe, der Hermeneutik. Die Hermeneutik als die Kunst des Verstehens oder die Lehre der Interpretation ist eine sehr alte Wissenschaft, die sich im Zusammenhang mit der Exegese vormals religiöser, dann der vertexteten Kommunikation im Allgemeinen ausbildete. In all ihren vielen verschiedenen Spielarten ist die Hermeneutik eine Reaktion auf die Nichteindeutigkeit der Bedeutungsstruktur schriftlich verfasster Texte. Hermes, in der antiken Götterwelt der Überbringer und Künder von Botschaften, war bewandert in der Kunst der Interpretation und Übersetzung von kryptischen Zeichen. Er galt als Erfinder von Sprache und Schrift.

Die Hermeneutik hat natürlich vielfach Umbrüche erfahren. Auf eine antike und eine jüdische Hermeneutik folgte eine mittelalterliche, christlich geprägte Hermeneutik, deren Lehre von dem vierfachen Schriftsinn als exemplarisch angesehen werden kann. Die Heilige Schrift, so die Überlegung, weist verschiedene Sinnschichten auf. Die erste Stufe befasst sich mit dem ›Cortex‹, der Oberflächenstruktur von Texten. Sie zu erfassen ist Aufgabe der Grammatik (littera) und der Semantik (sensus), die sich mit dem wörtlichen und historischen Sinn der Aussagen beschäftigt. Die Tiefenstruktur von Texten (Nucleus), in welcher sich erst der spirituelle Sinn manifestiert, liegt in drei Arten vor, im tropologischen Sinn, der auf den Sinn der Schrift für das Leben jedes einzelnen Gläubigen zielt, im allegorischen Sinn, der auf Christus und die Kirche gerichtet ist, und im anagogischen Sinn, der sich auf die himmlischen Mysterien und das Leben im Jenseits bezieht.

Die moderne Hermeneutik beginnt im 19. Jahrhundert mit Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey im Übergang von einer theologischen zu einer philologischen Hermeneutik. Beide befassen sich intensiv mit der Zirkularität des Verstehens. Diese wird als ›hermeneutischer Zirkel‹ bezeichnet und stellt neben anderen Postulaten eines der wesentlichen Argumente der Hermeneutik in der Begründung einer von den Methoden und Erkenntniszielen der Naturwissenschaften deutlich unterschiedenen Geisteswissenschaft dar. Es gibt den Zirkel in zwei Varianten. Die erste Variante macht darauf aufmerksam, dass sich die Bedeutung eines Teils immer nur im Gesamtkontext eines Ganzen erschließt und das Ganze nur aus seinen Teilen verstanden werden kann. Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nur aus dem Zusammenhang des Satzes und die des Satzes nur aus der Kenntnis der einzelnen Worte. Damit sind die logischen Verfahren, mit denen die Naturwissenschaften arbeiten, nämlich der Deduktion als dem logischen Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere und der Induktion als dem logischen Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine, auf dem Gebiete des hermeneutischen Verstehens eben nicht anwendbar. Verstehen ist weder Induktion noch Deduktion.

 

Die zweite Variante des hermeneutischen Zirkels hebt darauf ab, dass jedes Verständnis eines Textes von einem Vorverständnis abhängt. Jede Interpretation ordnet einen Text in ein Vorverständnis des Textes ein. Passt es, so müssen weder Vorverständnis noch Textverständnis revidiert werden. Widerspricht die Interpretation hingegen gewissen Erwartungen, so ist der Interpret gehalten, sein Vorverständnis oder sein Textverständnis zu revidieren.

Die Hermeneutik versteht sich nicht als Kommunikationstheorie. Weshalb haben wir sie als eine der maßgeblichen Referenztheorien einer jeden soziologischen Kommunikationstheorie angeführt? Nun, alle diese Kommunikationstheorien sehen eine Position des Interpreten vor, ob als Empfänger oder Rezipient, als ›Verstehensakt‹ oder ›Schema‹. Kommunikationstheorien müssen also darüber Auskunft geben können, wie ›Verstehen‹ verstanden werden kann, und in all den Positionen, die wir behandeln werden, wird implizit oder explizit der hermeneutische Zirkel in der einen oder anderen Variante eine maßgebliche Rolle spielen. Aber sicherlich gilt auch: Kommunikationstheorien können sich nicht auf hermeneutische Theorien reduzieren, Kommunikation erschöpft sich nicht im Verstehen.

1.11 Sprachsoziologie und Soziolinguistik

Zwischen der Sprachsoziologie und der Soziolinguistik lässt sich kaum differenzieren, zu eng sind beide Subdisziplinen miteinander verwoben (vgl. Dittmar 1980, Grimshaw 1987, Hymes 1974 u.1979, Murray 1998). Der zentrale Untersuchungsgegenstand der Linguistik ist die Sprache als ein abstraktes System, ihre grundlegende Untersuchungseinheit ist der Satz, vornehmlich der Aussagesatz. Der Gegenstand der Soziolinguistik geht über diese Ebene hinaus. Ihr Untersuchungsgegenstand sind nicht einfache Sätze, sondern Satzfolgen und Aussagesequenzen in Gesprächen und Konversationen. Je nach wissenschaftlicher Ausrichtung spielen auch weitere soziale Kontexte des Sprechens eine große Rolle. Das Sprechen wird in seinen Wechselbeziehungen zu bestimmten sozialen Positionen oder sozioökonomischen Kategorien wie Klassen, Geschlecht, Generationen oder Ethnien bestimmt. Wie macht sich zum Beispiel die Zugehörigkeit von Menschen zu unterschiedlichen sozialen Klassen oder ethnischen Gruppen in deren sprachlichen Performanzen und Kompetenzen bemerkbar und, vice versa, wie wirken sich diese unterschiedlichen Performanzen und Kompetenzen auf die Reproduktion gesellschaftlicher Differenzierungen aus? Besonders bekannt sind die Arbeiten von Basil Bernstein (vgl. Bernstein 1972) zu den klassenabhängigen Sprachcodes oder von William Labov (vgl. Labov 1982) zu den Sprachstilen unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Werden solche Variablen wie sprachliches Verhalten einerseits, soziale Kategorien andererseits aufeinander bezogen, so kann man von einem variablensoziologischen Ansatz in der Soziolinguistik sprechen – er stellt soziale Strukturen und sprachliche Performanzen oder Kompetenzen als unabhängige und abhängige Variable (manchmal auch in umgekehrten Rollen) in ein Verhältnis. Davon ist der interpretative Ansatz zu unterscheiden, dem insbesondere Dell Hymes (vgl. Hymes 1979) Untersuchungen zu einer ›Ethnografie der Kommunikation‹ bzw. einer Ethnografie des Sprechens und John J. Gumperz (vgl. Gumperz 1982a) interaktionale Soziolinguistik zuzuordnen sind. Diesen geht es nicht um Relationen und Korrelationen zwischen sozialen Strukturen und sprachlichem Verhalten, sondern sie fassen die soziale Welt selbst als eine kommunikative, sprachliche Welt auf. Die soziale Wirklichkeit ist keine außersprachliche, und die Sprache selbst ist keine asoziale. Sie untersuchen, wie durch kommunikatives Handeln soziale Strukturen produziert und reproduziert werden – und vice versa. Einen entsprechenden Gestaltwechsel vollzieht auch die Sprachsoziologie im engeren Sinne von einem älteren, kulturalistisch geprägten Ansatz (vgl. Weisgerber 1931), der Sprache als kulturelle Objektivation auffasst, über einen von der Soziologie von Talcott Parsons beeinflussten Ansatz (vgl. Fishman 1972), der das Verhältnis von Sprache einerseits, Handeln und Verhalten andererseits zum Forschungsgegenstand hat, zu solchen Ansätzen, die Sprechen als ein soziales Handeln konzipieren. Die verschiedenen soziolinguistischen bzw. sprachsoziologischen Ansätze reichen also von kompetenztheoretisch orientierten Ansätzen wie etwa demjenigen von Labov, die von der kommunikativen Bedeutung sprachlicher Merkmale abstrahieren und Sprachäußerungen mit sozialen Merkmalen der Sprecher korrelieren bis hin zu interaktionistischen Positionen, die in der Sprache ein Mittel zur Herstellung sozialer Ordnung erblicken und das Herstellen dieser Ordnung im Medium der Sprache und des Sprechens aufzeigen wollen (vgl. Schwitalla 1992). Auf den folgenden Seiten stellen wir diese Ansätze kurz im Einzelnen vor:

Soziosemantische Ansätze werden durch die berühmten Arbeiten von Basil Bernstein repräsentiert. Bernstein unterscheidet zwei Weisen des Sprachverhaltens, ein kontextabhängiges, partikularistisches, in seinen Möglichkeiten restringiertes sprachliches Verhalten, und ein universalistisches, elaboriertes. Diese werden in Beziehung zu einer dualistisch aufgefassten Sozialstruktur gesetzt, die sich in eine Arbeiter- und eine Mittelschicht aufgliedert. Bernstein formuliert kausale Hypothesen über den Zusammenhang beider Faktoren. Dabei greift er auf den Begriff des Codes zurück, der in etwa der ›langue‹ im Sinne Saussures entspricht. Neben einem allgemeinen Code einer Nationalsprache gibt es verschiedene Sub- oder Sprechercodes, die diesen allgemeinen Code verwenden. Die Differenzen zwischen den verschiedenen Sprechercodes sind darauf zurückzuführen, dass die Individuen bzw. Gruppen vornehmlich in Prozessen der primären Sozialisation unterschiedliche Selektionen aus dem allgemeinen Code treffen. Bernstein stellt in seinen Untersuchungen die Codes der Arbeiter- und der bürgerlichen Mittelschicht gegenüber. Die Mitglieder der Arbeiterschicht verfügen vornehmlich nur über einen restringierten Code, die Mitglieder der Mittelschicht hingegen vornehmlich über einen elaborierten Code. Der restringierte Code wird im Vergleich zu dem elaborierten Code als defizitär aufgefasst. Ein früherer Aufsatz (vgl. Bernstein 1961) stellt folgende Eigenschaften des elaborierten und des restringierten Codes heraus:

Der elaborierte Code ist z. B. gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften:

 Das, was gesagt wird, wird durch die Syntax und Grammatik genau reguliert.

 Häufiger Gebrauch von Präpositionen.

 Häufiger Gebrauch des Personalpronomems der 1. Person Singular.

 Unterschiedliche Auswahl aus einer Reihe von Adjektiven und Adverbien.

 Grammatisch komplexe Satzkonstruktionen, besonders durch die Verwendung von Konjunktionen und Nebensätzen.

Der restringierte Code hingegen weist folgende Merkmale auf:

 Kurze, grammatisch einfache Sätze, die häufig unvollendet bleiben.

 Einfacher Gebrauch von Konjunktionen.

 Geringer Gebrauch von untergeordneten Sätzen.

 Starrer und begrenzter Gebrauch von Adjektiven und Adverbien.

 Dominanz impliziter Bedeutungen.

Untersuchungen in der Tradition der korrelativen Soziolinguistik stellen bestimmte soziale Faktoren mit bestimmten sprachlichen Verhaltensmustern in Beziehung. Für diese Tradition stehen in erster Linie die Arbeiten von William Labov (vgl. Labov 1980a, 1980b u. 1982). Labov stellt statistische Untersuchungen über die Zusammenhänge zwischen den Sprachstilen einerseits, sozialen, askriptiven Merkmalen wie der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Alterskohorten, Geschlechts- und Schichtzugehörigkeiten andererseits an, um anhand von so genannten Variablenregeln die Soziolekte zu identifizieren, mithilfe derer sich Sprecher in spezifischen Situationen miteinander verständigen. Im Unterschied zu Bernstein vertritt Labov nicht die Auffassung, dass die unterschiedlichen Soziolekte auf unterschiedliche kognitive Vermögen schließen lassen. Er stellt der Defizithypothese Bernsteins die Differenzhypothese entgegen. Die korrelative Soziolinguistik ist nicht an der kommunikativen Bedeutung von sprachlichen Elementen interessiert, sondern an den differenten Sprachstilen von Sprechern unterschiedlicher Sprachvarianten.