Gefährliche Liebschaften

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Fünfunddreißigster Brief
Der Vicomte von Valmont an die Frau von Tourvel

Man muß Ihnen gehorchen, gnädige Frau. Man muß Ihnen beweisen, daß bei allem Üblen, das Sie in mir zu glauben sich gefallen, mir doch genug Zartgefühl übrig bleibt, daß ich mir keinen Vorwurf erlaube, und genug Mut, daß ich mir die schmerzlichsten Opfer auferlege. Sie befehlen mir Schweigen und Vergessen – gut. Ich werde meine Liebe zum Schweigen zwingen, und werde, wenn es möglich ist, die grausame Art, mit der Sie meine Liebe aufnahmen, vergessen. Ohne Zweifel gab mir das Verlangen, Ihnen zu gefallen, nicht auch das Recht dazu, und ich bekenne auch, daß meine bedürftige Bitte um Ihre Nachsicht kein Recht bedeutete, diese Nachsicht zu beanspruchen. Aber Sie betrachten meine Liebe als eine Beleidigung und vergessen, daß, wenn meine Liebe ein Unrecht wäre, Sie zugleich ihre Ursache und Entschuldigung sind. Sie vergessen auch, daß ich, gewöhnt, Ihnen mein Inneres zu vertrauen, auch da, wo mir dieses Vertrauen hätte schaden können, Ihnen die Gefühle, von denen ich voll war, nicht verbergen konnte – und was das Werk meines guten ehrlichen Glaubens war, betrachten Sie als ein Werk der Verwegenheit. Zum Lohn für meine aufrichtigste, zärtlichste und ehrerbietigste Liebe halten Sie mich von sich fern. Und sprechen sogar von Ihrem Haß ... Wer würde sich über eine solche Behandlung nicht beklagen? Aber ich unterwerfe mich; ich leide und beklage mich nicht; Sie schlagen und ich bete an. Durch eine unbegreifliche Macht, die Sie über mich haben, sind Sie die unumschränkte Herrin meiner Gefühle; und wenn Ihnen meine Liebe allen Widerstand leistet, wenn Sie sie nicht zerstören können, so ist es, weil sie Ihr Werk ist und nicht das meine.

Ich verlange keine Gegenliebe, mit der ich mir nie schmeichelte. Ich erwarte nicht einmal dieses Mitleid, das mich das Interesse, das Sie mir manches Mal zeigten, hoffen ließ. Aber Ihre Gerechtigkeit darf ich fordern.

Ich erfahre von Ihnen, gnädige Frau, daß man versucht hat, mir in Ihrer Meinung über mich zu schaden. Wenn Sie den Ratschlägen Ihrer Freunde gefolgt wären, hätten Sie mich nicht einmal in Ihre Nähe kommen lassen, – das sind Ihre eigenen Worte. Wer sind denn diese geschäftigen Freunde? Ohne Zweifel haben diese strengen und unbeugsamen und so tugendhaften Menschen nichts dagegen, genannt zu werden und werden sich nicht in ein Dunkel verstecken, das sie mit den gewöhnlichen Verleumdern zusammenbrächte; dann blieben mir allerdings ihre Namen wie ihre Vorwürfe unbekannt. Bedenken Sie aber, gnädige Frau, daß ich ein Recht darauf habe, sowohl das eine wie das andere zu wissen, da Sie mich danach beurteilen. Man verurteilt nie einen Beschuldigten, ohne ihm sein Verbrechen zu nennen, ohne ihm seine Ankläger zu bezeichnen. Ich verlange keine andere Gnade und verpflichte mich zum voraus, mich zu rechtfertigen und meine Verleumder zu zwingen, zu widerrufen.

Wenn ich vielleicht aus dem nichtigen Klatsch der Menge, an der mir wenig liegt, mir zu wenig gemacht habe, so halte ich das nicht auch so mit Ihrer Achtung; und wenn ich mein Leben daran setze, sie zu verdienen, so werde ich sie mir nicht ungestraft rauben lassen. Und diese Achtung wird mir um so wertvoller, als ich ihr ohne Zweifel diese Bitte, die Sie an mich zu stellen fürchten, verdanken werde, und die mir, wie Sie sagen, ein »Recht auf Ihre Dankbarkeit« gäbe. Ah! weit davon entfernt, Dank zu verlangen, werde ich glauben, Ihnen welchen schuldig zu sein, wenn Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen zu dienen. Beginnen Sie doch damit, mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem Sie mir sagen, was Sie von mir wünschen. Wenn ich es erraten könnte, würde ich Ihnen die Mühe ersparen, es mir zu sagen. Fügen Sie doch dem Vergnügen, Sie zu sehen, noch dieses Glück hinzu, Ihnen dienen zu dürfen, und ich würde stolz auf Ihre Nachsicht sein. Wer kann Sie daran hindern? Ich hoffe, nicht die Furcht vor meinem Nein? Das könnte ich Ihnen nie verzeihen. Und das ist's doch nicht, daß ich Ihnen Ihren Brief nicht wiedergebe? Ich wünschte mehr als Sie, daß ich seiner nicht mehr bedürfte. Aber daran gewöhnt, Sie sanft und gütig zu glauben, finde ich Sie nur in diesem Briefe so wie Sie scheinen wollen. Wenn ich den Wunsch aussprach, Sie nachgiebig zu stimmen, so sehe ich aus dem Brief, daß Sie eher hundert Meilen zwischen sich und mich legen wollten; und wenn alles an Ihnen meine Liebe rechtfertigt und steigert, so sagt mir Ihr Brief wieder, daß Sie sich dadurch beleidigt fühlen; und wenn ich Sie sehe, scheint mir diese meine Liebe das Höchste, und ich muß Ihren Brief lesen, um zu fühlen, daß sie nur eine schreckliche Qual ist. Sie verstehen jetzt, daß es mein größtes Glück wäre, Ihnen diesen Brief zurückzugeben, aber ihn von mir zurückverlangen, hieße mich berechtigen, das nicht mehr zu glauben, was darin steht. So hoffe ich, Sie zweifeln nicht an meiner Bereitwilligkeit, ihn Ihnen zurückzuschicken.

Auf Schloß . . ., den 21. August 17..

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Sechsunddreissigster Brief
Der Vicomte von Valmont an die Frau von Tourvel (von Dijon datiert)

Jeden Tag nimmt Ihre Strenge zu, gnädige Frau, und wenn ich es sagen darf, so scheinen Sie weniger das Unrecht als die Nachsicht zu fürchten. Nachdem Sie mich verurteilten, ohne mich zu hören, fühlten Sie wohl, daß es Ihnen leichter sein dürfte, meine Gründe nicht zu lesen, als darauf zu antworten. Sie nehmen meine Briefe mit Hartnäckigkeit nicht an, Sie schicken sie mir voll Verachtung zurück, Sie zwingen mich, schließlich zur List meine Zuflucht zu nehmen, und das in einem Augenblick, wo ich kein anderes Ziel kenne, als Sie von meiner ehrlichen Aufrichtigkeit zu überzeugen. Die Notwendigkeit meiner Verteidigung muß aber wohl genügen, mein Mittel zu entschuldigen; von der Aufrichtigkeit meiner Gefühle überzeugt, glaubte ich mir diese kleine List erlauben zu dürfen. Ich wage auch zu glauben, daß Sie mir das verzeihen und nicht darüber erstaunt sein werden, daß die Liebe erfinderischer ist, sich zu zeigen, als die Gleichgültigkeit, sich zu verbergen. Erlauben Sie mir also, gnädige Frau, daß ich Ihnen mein Herz völlig enthülle. Es gehört Ihnen, und es ist nur billig, daß Sie es kennen.

Als ich hier ankam, war ich weit davon, das Schicksal zu ahnen, das mich erwartete. Ich wußte nicht, daß Sie hier wären, und aufrichtig, wie ich bin, bemerke ich noch, daß, wenn ich es auch gewußt hätte, davon meine Ruhe nicht verwirrt worden wäre. Nicht, daß ich mich nicht vor Ihrer Schönheit wie natürlich gebeugt hätte; aber gewohnt, nur Begierden zu empfinden und mich denjenigen nur zu überlassen, die die Hoffnung ermutigt, kannte ich die Qualen der Liebe nicht.

Sie waren Zeuge, wie Frau von Rosemonde mich bat, zu bleiben. Ich hatte schon einen Tag mit Ihnen verbracht, und gab mich – oder glaubte es wenigstens – nur diesem doch so natürlichen und so legitimen Vergnügen hin, aufmerksam zu einer liebenswürdigen und verehrten Verwandten zu sein. Die Art, wie man hier lebt, weicht sehr von der mir gewohnten ab, aber es kostete mich keine Mühe, mich hineinzufinden, und ohne mich viel um die Ursache zu kümmern, die diese Veränderung in mir hervorrief, meinte ich, es läge das nur in der leichten Beweglichkeit meines Charakters, von der ich, wie ich glaube, schon einmal mit Ihnen sprach. – Als ich Sie unglücklicherweise – und warum muß es denn ein Unglück sein? – besser kennen lernte, sah ich bald, daß dieses entzückende Gesicht, das mir zuerst auffiel, der geringste Ihrer Vorzüge ist. Ihre himmlische Seele überraschte und bezauberte die meine. Ich bewunderte die Schönheit, und ich betete die Tugend an. Ohne den Gedanken, Sie zu besitzen, beschäftigte ich mich damit, Sie zu verdienen. Ich bat um Ihre Nachsicht für meine Vergangenheit und bemühte mich um Ihren Beifall für meine Zukunft. Ich suchte ihn in Ihren Worten, spähte nach ihm in Ihren Blicken, in denen ein so schlimmes Gift ist und ein um so schlimmeres Gift, als es sich ohne Absicht mitteilte und ohne Argwohn aufgenommen wurde. Da erkannte ich die Liebe. Aber wie war ich weit davon, mich darüber zu beklagen! Entschlossen, sie in einem ewigen Schweigen zu begraben, gab ich mich ohne Angst und ohne Zurückhaltung diesem köstlichen Gefühle hin. Jeder Tag vergrößerte ihr Reich. Bald wurde das Vergnügen, Sie zu sehen, zum Bedürfnis. Gingen Sie einen Augenblick fort, so wurde mein Herz traurig, hörte ich Sie kommen, so zitterte es vor Freude. Ich lebte nur noch durch Sie und für Sie. Aber ich rufe Sie zum Zeugen: entkam mir je im Scherz oder im ernsthaften Gespräch ein Wort, das das Geheimnis meines Herzens verraten hätte?

Da kam ein Tag, der mein Unglück beginnen sollte, und durch einen unbegreiflichen Zufall gab eine nichts als anständige Handlung dazu den Anlass. Ja, gnädige Frau, bei jenen armen Leuten, denen ich geholfen hatte, gaben Sie sich diesem edlen Mitgefühle hin, das selbst die Schönheit noch verschönert und die Tugend noch erhöht, und verwirrten Sie mein Herz, das schon zu viel Liebe berauschte. Sie erinnern sich vielleicht, wie mit mir selbst beschäftigt ich auf unserem Rückweg war. Ah, ich versuchte ein Gefühl zu unterdrücken, das schon stärker war als ich selbst!

Nachdem ich in diesem ungleichen Kampfe meine Kräfte erschöpft hatte, war es ein Zufall, den ich nicht voraussehen konnte, der mich mit Ihnen allein ließ. Und da unterlag ich ... Mein allzu volles Herz konnte weder seine Worte noch seine Tränen zurückhalten. Aber ist das denn ein Verbrechen? Und wenn es eines ist, bin ich nicht schon bestraft genug durch die Qualen, die ich leide?

Von einer hoffnungslosen Liebe verzehrt, rufe ich Ihr Mitleid an und finde nur Ihren Haß. Ohne anderes Glück, als das, Sie zu sehen, suchen Sie meine Augen gegen meinen Willen, und ich zittere davor, Ihren Blicken zu begegnen. In dem schrecklichen Zustand, in den Sie mich gebracht haben, lebe ich die Tage damit hin, meinen Schmerz zu verbergen, und die Nächte, mich ihm hinzugeben – während Sie ruhig und friedlich von diesen Qualen nur wissen, um ihnen die Ursache zu sein und sich darüber zu freuen. Und doch sind Sie es, die sich beklagt, und ich bin der, der sich entschuldigt.

 

Hier ist, gnädige Frau, der getreue Bericht von dem, was Sie mein Unrecht nennen, und den Sie besser den Bericht meines Unglückes nennen sollten. Eine reine und aufrichtige Liebe, eine Ehrerbietung, die sich nie verleugnete, eine vollständige Ergebenheit – das sind die Gefühle, die Sie mir gaben. Ich hätte mich nicht gescheut, sie der Gottheit selbst darzubringen. Sie, die Sie ihr schönstes Ebenbild sind, folgen Sie ihrem Beispiel der gütigen Nachsicht. Denken Sie an meine Leiden und denken Sie, daß ich zwischen Verzweiflung und höchster Glückseligkeit stehe und daß das erste Wort, das Sie sprechen werden, mein Schicksal auf ewig entscheiden wird.

Auf Schloß . . ., den 23. August 17..

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Siebenunddreissigster Brief
Frau von Tourvel an Frau von Volanges

Ich füge mich den Ratschlägen Ihrer Freundschaft, gnädige Frau, weil ich gewohnt in allem Ihre Meinungen zu billigen glaube, daß sie immer der besten Überlegung entspringen. Ich gebe selbst zu, daß Herr von Valmont wirklich sehr gefährlich sein muß, wenn er gleichzeitig das scheinen kann, was er hier ist und das sein, als was Sie ihn schildern. Aber sei das wie immer, ich werde ihn von mir fernhalten, weil Sie es wünschen, oder ich werde wenigstens mein möglichstes dazu tun, denn oft werden die im Grunde einfachsten Dinge verfänglich durch die Form.

Seine Tante um die Beschleunigung seiner Abreise zu bitten, scheint mir immer noch untunlich; es wäre das für sie wie für ihn in gleicher Weise unhöflich.

Ich könnte mich auch nicht ohne Widerstreben zur Abreise entschließen, denn abgesehen von den Gründen, die meinen Mann betreffen und die ich Ihnen schon mitgeteilt habe, würde ich voraussichtlich mit meiner Abreise Herrn von Valmont nur die Möglichkeit geben, mir nach Paris zu folgen; und seine plötzliche Rückkehr nach Paris, für die man den Grund doch sicher bei mir suchte, wäre mir doch noch unangenehmer als dieses zufällige Zusammentreffen auf dem Lande und bei einer Dame, von der man weiß, daß sie seine Verwandte und meine Freundin ist.

Es bleibt mir so kein anderer Ausweg, als von ihm selbst zu verlangen, daß er abreist. Ich fühle, daß das schwer zu machen ist; da ihm aber, wie mir scheint, etwas daran liegt, mir zu beweisen, daß er in Wirklichkeit mehr Ehrenhaftigkeit besitzt, als man in ihm vermutet, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß es mir gelingt. Es ist mir sogar ganz recht, ihm das selbst zu sagen und so eine Gelegenheit zu haben, zu sehen, ob die anständigen Frauen, wie er immer behauptete, sich wirklich nie über ihn zu beklagen Grund hatten und haben werden.

Wenn er, wie ich es wünsche, geht, so wird das auch wirklich nur Rücksicht für mich sein; denn ich weiß, daß er die bestimmte Absicht hatte, den größten Teil des Herbstes hier zu verbringen. Lehnt er ab und bleibt er, so ist es für mich immer noch Zeit, selbst abzureisen, und ich verspreche Ihnen das.

Das ist, glaube ich, alles, gnädige Frau, was Ihre Freundschaft von mir verlangt hat, und ich beeile mich, dem zu entsprechen und Ihnen zu beweisen, daß ich trotz der »Wärme«, mit der ich Herrn von Valmont verteidigt habe, doch nicht weniger geneigt bin, die Ratschläge meiner Freundin nicht nur anzuhören, sondern auch zu befolgen.

Auf Schloß . . ., den 25. August 17..

38
Achtunddreissigster Brief
Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont

Gerade bekomme ich Ihr großes Briefpaket, mein lieber Vicomte. Wenn das Datum stimmt, hätte ich es vierundzwanzig Stunden früher erhalten müssen, aber so oder so – nähme ich mir die Zeit, es zu lesen, so bliebe mir keine, darauf zu antworten. Ich bestätige Ihnen daher bloß den Empfang und sprechen wir von was anderem. Nicht als ob ich Ihnen von mir nichts zu erzählen hätte. Der schöne Herbst läßt fast keine Menschenseele in Paris, und so bin ich seit einem Monate von einer Solidität – zum Umkommen: jeder andere als mein Chevalier wäre meiner Beständigkeit schon müde. Da ich also untätig sein muß, amüsiere ich mich mit der kleinen Volanges – und von ihr will ich Ihnen erzählen.

Sie haben mehr verloren als Sie ahnen, daß Sie sich dieses Kindes nicht annehmen wollen! Die Kleine ist nämlich wirklich entzückend, hat weder Charakter noch »Grundsätze« – danach können Sie sich denken, wie angenehm und nett ihre Gesellschaft ist. Gefühl? Nein, das wird nie ihr Fall sein, aber Sinne, ja, die hat sie und wie lebhafte! Ohne Geist und ohne Raffinement hat sie doch so eine Art natürlicher Falschheit, wenn man so sagen kann, die mich manchmal erstaunt, und mit der sie um so mehr Erfolg haben wird, als ihr Gesicht das Bild der Unerfahrenheit und Naivität ist. Sie ist sehr verliebter Natur, und ich amüsiere mich manches Mal darüber; ihr kleines Köpfchen erhitzt sich mit einer unglaublichen Leichtigkeit und sie ist dann um so reizender, weil sie nichts, aber gar nichts von all dem weiß, was sie so gern wissen möchte. Es überkommt sie da eine Ungeduld, die sehr amüsant ist; sie lacht, sie ärgert sich, sie weint und dann bittet sie mich mit einer wirklich verführerischen Aufrichtigkeit um meine Belehrung. Ich bin wirklich beinahe eifersüchtig auf den, dem dieses Vergnügen aufbehalten ist.

Habe ich Ihnen schon gesagt, daß ich seit vier oder fünf Tagen die Ehre ihres Vertrauens genieße? Sie erraten wohl, daß ich zuerst die strenge Frau markierte, aber als ich bemerkte, daß sie mich mit ihren unvernünftigen Gründen überzeugt zu haben glaubte, tat ich, als nähme ich sie für vernünftige, und sie ist natürlich überzeugt, daß sie diesen Erfolg ihrer Beredsamkeit verdankt. – Diese Vorsicht war nötig, um mich nicht zu kompromittieren. Ich erlaubte ihr also zu schreiben und zu sagen »ich liebe«, und verschaffte ihr am selben Tage ein natürlich »zufälliges« Tête-à-Tête mit ihrem Danceny. Aber der ist noch so blöde, daß er nicht einmal einen Kuss bekam. Doch macht er schöne Verse! Mein Gott, wie sind doch die geistreichen Leute dumm! Und der da ist es in einer Weise, die mich noch in Verlegenheit bringen wird; denn ihn kann ich doch nicht führen, schon seinetwegen nicht!

Jetzt wären Sie mir sehr von Nutzen. Sie sind mit Danceny gut genug befreundet, um sein Vertrauen zu gewinnen, und wenn Sie dieses einmal haben, könnten Sie ihn etwas auf die Beine bringen. Treiben Sie doch Ihre Nonne ein bißchen zur Eile; denn ich will nicht, daß Gercourt davon verschont bleibt; übrigens sprach ich gestern von ihm zu der Kleinen, und habe ihn ihr so gut beschrieben, daß sie ihn nicht mehr hassen könnte, wenn sie schon zehn Jahre seine Frau wäre. Ich habe ihr aber doch auch sehr viel von der ehelichen Treue gepredigt; nichts kommt meiner Strenge in diesem Punkte gleich. So sorge ich auf einer Seite um den guten Ruf meiner Tugend, den ein zu viel Eingehen auf die Liebesangelegenheiten der Kleinen zerstören könnte, und mehre auf der anderen Seite den Haß, mit dem ich ihren künftigen Mann beglücken will. Und dann hoffe ich ihr damit begreiflich zu machen, daß es ihr nur während ihrer kurzen Mädchenzeit erlaubt ist, von der Liebe Gebrauch zu machen, und so wird sie sich schneller entschließen, nichts von dieser kostbaren Zeit zu verlieren.

Adieu, Vicomte. Ich will jetzt Toilette machen und dabei Ihren Briefband lesen.

Paris, den 27. August 17..

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Neununddreissigster Brief
Cécile Volanges an Sophie Carnay

Ich bin traurig und unruhig, meine liebe Sophie. Und ich habe fast die ganze Nacht geweint. Nicht als ob ich im Augenblick nicht sehr glücklich wäre, aber ich seh' es voraus, es wird nicht dauern.

Gestern war ich mit Frau von Merteuil in der Oper. Wir sprachen viel von meiner Heirat, und ich hörte nichts Gutes darüber. Es ist der Graf von Gercourt, den ich heiraten soll, und zwar im Oktober. Er ist reich, vornehm und Oberst in einem Husarenregiment. – Bis dahin ist alles ganz gut. Aber zuerst einmal ist er alt. Denk Dir, er ist mindestens sechsunddreißig! Und dann, sagt Frau von Merteuil, ist er ein Sauertopf und streng, und daß sie fürchtet, ich würde nicht glücklich mit ihm sein. Ich habe es ganz deutlich gemerkt, daß sie das ganz sicher weiß und daß sie es mir nur nicht sagen wollte, um mich nicht zu betrüben. Sie hat mich fast den ganzen Abend darüber unterhalten, was für Pflichten die Frauen gegenüber ihren Männern hätten, und dann gibt sie zu, daß Herr von Gercourt gar nicht liebenswürdig ist und sagt, ich müßte ihn dennoch lieben. Hat sie mir aber nicht auch gesagt, daß ich, einmal verheiratet, den Chevalier von Danceny nicht mehr lieben dürfte? Als ob das möglich wäre! Aber ich versichere Dir, ich werde ihn immer lieben. Siehst Du, eher würde ich mich gar nicht verheiraten. Soll sich dieser Herr von Gercourt einrichten wie er will, ich habe ihn nicht gerufen. Er ist jetzt in Korsika, und das ist sehr weit weg von hier, und ich möchte, er soll zehn Jahre dort bleiben. Wenn ich nicht Angst hätte, ins Kloster zurück zu müssen, so würde ich Mama sagen, daß ich diesen Mann nicht mag; aber das Kloster wäre doch noch schlimmer. Du siehst, ich bin in einer schrecklichen Verlegenheit. Ich fühle, daß ich Herrn von Danceny noch nie so geliebt habe wie jetzt, und wenn ich bedenke, daß mir nur noch ein Monat bleibt, das zu sein, was ich jetzt bin, so kommen mir immer gleich die Tränen in die Augen. Mein einziger Trost ist die Freundschaft mit Frau von Merteuil. Sie hat so ein gutes Herz, und sie fühlt all meinen Kummer mit mir, und sie ist so lieb, daß, wenn ich bei ihr bin, ich fast gar nicht mehr an die schreckliche Sache denke. Dann ist sie mir auch sehr nützlich, denn das wenige, das ich weiß, verdanke ich nur ihr und sie ist so gut, daß ich ihr alles sage, was ich denke, ohne mich zu schämen. Wenn sie findet, daß etwas nicht recht ist, zankt sie mich auch mal, aber das tut sie so lieb, und dann küsse ich sie so von Herzen, bis sie nicht mehr bös ist. Sie kann ich wenigstens lieben soviel ich Lust habe, ohne daß dabei was Schlimmes ist und das macht mir viel Freude. Wir sind jedoch übereingekommen, daß wir vor den Leuten uns nicht so zeigen, wie wir uns lieben, besonders nicht vor Mama, damit sie wegen Danceny nichts denkt. Ich versichere Dir, wenn ich immer so leben könnte wie jetzt, würde ich sehr glücklich sein. Nur dieser ekelhafte Herr von Gercourt ...

Aber ich mag Dir nicht mehr darüber schreiben, denn ich würde wieder traurig werden. Statt dessen werde ich lieber an den Chevalier Danceny schreiben und ihm nur von meiner Liebe erzählen und nichts von meinem Kummer sagen, denn ich will ihn nicht traurig machen.

Adieu, meine liebe Freundin. Du siehst wohl, daß Du Unrecht hattest, Dich zu beklagen, und daß ich, auch noch so beschäftigt, wie Du sagst, doch immer so viel Zeit übrig habe, Dich zu lieben und Dir zu schreiben.

Paris, den 27. August 17..

[Wir unterdrücken in der Folge Briefe von Cécile Volanges und Danceny, da sie weder interessant sind noch Begebenheiten mitteilen. C. D. L.]