Soziologie der Migration

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In der Tat scheint die expandierende Mobilität der Menschen die Vorstellung zu begünstigen, kulturelle Produkte und Praktiken nicht mehr ortsgebunden zu sehen. Die einstige Denkweise, dass man eigene territoriale und kulturelle Wurzeln verlieren könnte, verblasst. Die Globalisierung der wirtschaftlichen und politischen Bedingungen scheint somit zur Erosion der räumlich gebundenen sozialen Welten (spatially bounded social worlds) und zur Entstehung von sozial konstruierten Räumen (z.B. der Westen) zu führen. In einer Zeit der Ent-Territorialisierung werden Räume und Orte gemacht (spaces and places are made), erdacht (imagined) und erzwungen (enforced). Selbst die Identität der Menschen wird frei von der territorialen Gebundenheit (the deterritorialization of identity), wie dies z.B. bei den Migranten, Staatenlosen, Flüchtlingen der Fall ist (vgl. Akhil Gupta, James Ferguson, 1992, 9-11, 17-18). Der Fluss der globalen Kultur (global cultural flow) begünstigt die Schaffung von imaginären Welten (imagined worlds), die aus mehreren sich voneinander getrennt entwickelnden und entterritorialisierenden (deterritorialization) Landschaften (z.B. ethoscape, technoscape, finanscape, mediascape, idioscape) bestehen. Eine der bedenklichen Folgen dieser Entwicklung könnte die Möglichkeit sein, dass ein erdachtes „Heimatland“ in einer Medienlandschaft erzeugt wird (a invented homeland), das zur Entstehung einer Ideenlandschaft führt, die wiederum eine ideologisch gefärbte Ethnolandschaft ins Leben ruft (vgl. Arjun Appadurai, 1990, 6-10). Dabei darf jedoch die auffällige Paradoxie nicht übersehen werden, dass die Globalisierung in ihrer Kehrseite von der Renaissance des territorial gebundenen Nationalismus begleitet wird.

Das Phänomen der Transmigranten und des Transnationalismus war bisher nur in den USA ein aktuelles Forschungsthema. Das einzigartige Migrationssystem, das zwischen den USA, Mexiko, den Philippinen und den karibischen Ländern aufgrund ihrer engen gegenseitigen kolonialgeschichtlich bedingten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert entstanden ist, hat mit der Globalisierung der Wirtschaft die Erscheinung des neuen Typus der Transmigranten begünstigt. Transnationale Migration ist damit als regional begrenzte neue Form der Migration zu betrachten, die zur globalen Diversifizierung der Migrationsformen beiträgt.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von den Forschungen der Transmigranten in den USA gewonnen werden, sind daher nicht uneingeschränkt auf andere Länder und Regionen übertragbar. Die vorliegenden empirischen Forschungsarbeiten versuchen die Existenz der Transmigranten durch die Untersuchung der Pendelbewegungen von mexikanischen Arbeitsmigranten in den Großraum New York, die größtenteils aus illegalen Arbeitern (indocumentado) bestehen, zu begründen (vgl. Ludger Pries, 1998, 136, 143-144). Diese Begründung ist jedoch für den europäischen Kontext kaum vorstellbar, weil solche Pendelbewegungen illegaler Arbeitsmigranten aufgrund der generell restriktiven Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik der europäischen Aufnahmeländer kaum möglich sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die neuen Forschungsansätze zur transnationalen Migration in den USA für den europäischen Migrationskontext irrelevant sind. Europäische Forschungen können davon viele Anregungen erhalten, um ähnliche Phänomene (z.B. Urlaubsreisen von Arbeitsmigranten und deren Kinder in ihre Heimatländer und transnationale Lebensformen als mögliche Folgen der Freizügigkeit der Bewegungen von Personen innerhalb der EU) untersuchen zu können.

1.6 Globalisierung der Migrationsbewegungen und Diversifizierung der Migrationsformen seit 1945

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nimmt das Ausmaß der Migrationsbewegungen weltweit stetig zu und erfasst die gesamten Weltregionen, so dass heute kaum eine Region von dieser Entwicklung unberührt bleibt. Heute leben bereits mehr als 200 Mio. Menschen weltweit außerhalb ihrer Herkunftsorte (vgl. IOM, 2008, 2). Die flächenmäßige und quantitative Ausweitung der Migrationsbewegungen haben inzwischen so sehr weltumspannende Dimensionen erreicht, dass man von einer Globalisierung der Migrationsbewegungen bzw. von einem „age of migration“ spricht (vgl. Stephen Castles, Mark J. Miller, 1993, 3). Parallel dazu treten grundlegende Veränderungen in der Fließrichtung der Migrationsbewegungen auf. Die einseitig fließenden Migrationsbewegungen aus den sog. Aus- zu den Einwanderungsländern werden zunehmend durch rotierende bzw. zirkulierende Migrationsbewegungen abgelöst. Viele Länder sind heute gleichzeitig Aus- und Einwanderungsländer. Wirtschaftliche Sektoren und Wohnräume, aus denen Menschen emigrieren, werden durch die nachrückenden Immigranten wieder gefüllt und substituiert. Dabei nehmen Art und Weise der Migrationsbewegungen immer differenziertere Formen an, so dass von einer Diversifizierung der Migrationsformen gesprochen werden kann. Im Folgenden werden die seit 1945 eintretenden unterschiedlichen internationalen Migrationsformen (Arbeitsmigration, Familienzusammenführung, Flüchtlinge, Migration von Studierenden, Migration ethnischer Minderheiten, illegale Migranten) skizziert, um die quantitativen und qualitativen Veränderungen der weltweiten Migrationsbewegungen in der zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des neuen Jahrhunderts exemplarisch aufzuzeigen. Im Bereich der Binnenmigration treten ebenfalls alle Migrationsformen auf, die mit denen der internationalen Migration vergleichbar sind, so dass hier auf eine gesonderte Betrachtung verzichtet wird. Damit sollen jedoch weder das zunehmende Ausmaß noch die äquivalente Bedeutung der Binnenmigrationen ignoriert werden.

1.6.1 Arbeitsmigration

Es ist bekannt, dass die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung die Nachfrage nach Arbeitskräften bestimmt. Wenn der Mehrbedarf an Arbeitskräften in einer wachstumsorientierten Wirtschaft durch das Angebot des heimischen Arbeitsmarktes nicht voll befriedigt werden kann, wird die Nachfrageseite alles unternehmen, den Fehlbedarf durch Arbeitskräfte des ausländischen Arbeitsmarktes auszugleichen. Damit entstehen theoretisch Arbeitsmarktbedingungen, die die grenzüberschreitende Migration von Arbeitskräften notwendig machen. Diese bleibt jedoch zunächst theoretisch, weil die faktische Einwanderung von Arbeitsmigranten neben deren Bereitschaft die Öffnung des Arbeitsmarktes voraussetzt, die von der Arbeitsmarktpolitik des Aufnahmelandes administrativ getragen werden muss.

Die Arbeitsmarktpolitik und die strukturellen Bedingungen der Wirtschaft zu erhöhter Nachfrage nach Arbeitskräften sind somit zwei entscheidende Determinanten der Arbeitsmigration. Sie sind sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart für die unterschiedlichen Formen der freiwilligen und ezwungenen Arbeitsmigration verantwortlich.

Der in der Mitte des 17. Jahrhunderts beginnende Sklavenhandel im Rahmen der expansiven Kolonialpolitik der europäischen Länder in Afrika und Asien hat bis Mitte des 19. Jahrhunderts schätzungsweise 15 Mio. Afrikaner als Sklaven nach Nordamerika verschifft, um sie dort als Arbeitskräfte im Bergbau (Gold- und Silberminen) und auf Plantagen (Anbau von Zuckerrüben, Tabak, Baumwolle, Kaffee) einzusetzen. Mit der Abschaffung des Sklavenhandels gegen Ende des 19. Jahrhunderts (1805 Abschaffung des Sklavenhandels durch die britische Regierung, 1865 Sklavenemanzipation in den USA, 1888 Ende des transatlantischen Sklavenhandels mit der Abschaffung der Sklaverei in Brasilien) haben die europäischen „Kolonialherren“ das System der Vertragsarbeiter (indentured worker) eingeführt. Von 1834 bis 1941 sind schätzungsweise 12 bis 37 Mio. „indentured workers“ (oft „coolies“ genannt), die sich zur Vorfinanzierung der Reisekosten vertraglich zur Arbeit für mehrere Jahre verpflichteten, vom indischen Subkontinent nach Nordamerika, in die Karibik und nach Südostasien gebracht worden, um dort in Bereichen eingesetzt zu werden, die vormals Sklaven vorbehalten waren (vgl. Imanuel Geiss, 1988, 124, 333-335; Stephen Castles, Mark J. Miller, 1993, 48-49; Peter Stalker, 1994, 9-13).

Die Einwanderung von Arbeitsmigranten in größerer Zahl ist auch in der deutschen Geschichte nicht neu. Man kennt bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts russische und polnische Wanderarbeiter in der Großlandwirtschaft der ostelbischen Junker. Die Junker hatten aus wirtschaftlichen Interessen heraus die polnischen und russischen Wanderarbeiter den deutschen Arbeitern vorgezogen. Wegen ihrer bescheidenen Ansprüche und ihrer unsicheren Rechtslage konnten sie flexibel eingesetzt oder entlassen werden. Der wirtschaftliche Aufbau des Ruhrgebietes im 19. Jahrhundert ist ebenfalls auf die nach 1869 einsetzende Masseneinwanderung polnischer Arbeiter (ca. 500.000) zurückzuführen, die aus Masuren und aus den Provinzen Westpreußen, Ostpreußen, Polen und Schlesien kamen (vgl. Wilhelm Brepohl, 1948, 102-104; Rene´ König, 1985, 16-21). Neben den polnischen Einwanderern „arbeiteten und lebten 1910 1,2 Mio. Ausländer im Deutschen Reich, von denen die Hälfte aus Österreich-Ungarn stammten“ (Friedrich Heckmann, 1992, 19). Es ist bekannt, dass das nationalsozialistische Regime in Deutschland Millionen von „Fremdarbeitern“ aus Polen zwangsrekrutiert hat, um sie in der Kriegswirtschaft einzusetzen. „Im Sommer 1944 befanden sich 7,8 Mio. ausländische Arbeitskräfte auf Arbeitsstellen im Reich: 5,7 Mio. Zivilarbeiter und knapp 2 Mio. Kriegsgefangene. Insgesamt wurden zu dieser Zeit Menschen aus fast 20 europäischen Ländern im Reich zur Arbeit eingesetzt“ (Ulrich Herbert, 1992, 361).

Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende wirtschaftliche Wachstumsphase in den westeuropäischen Industrieländern hat zur erhöhten Nachfrage nach Arbeitskräften geführt, die durch den heimischen Arbeitsmarkt nicht voll abgedeckt werden konnte. Die gezielte Anwerbung von ausländischen Arbeitnehmern aus südeuropäischen und mediterranen Ländern (Spanien, Portugal, Italien, Jugoslawien, Griechenland, Türkei, Algerien, Marroko, Tunesien) war die Folge. Dadurch hatten die traditionellen Aufnahmeländer von Migranten in Europa (Belgien, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg, Niederlande, Schweiz, Schweden) von 1950 bis 1982 insgesamt 8 Mio. Immigranten zu verzeichnen. Die Gesamtzahl der Immigranten in diesen Ländern stieg von 3,1 auf 11,2 Mio. an (vgl. Denis Maillat, 1987, 39). Damit fand von 1950 bis 1974 eine erst nach dem Zweiten Weltkrieg auftretende neue innereuropäische Arbeitmigration aus dem Süden in den Nordwesten statt.

 

Die gegen Ende 1973 beginnende Energiekrise hat eine radikale Wende in der Arbeitsmarkt- und Ausländerpolitik der europäischen Industrieländer herbeigeführt. Sie verhängten einen generellen Anwerbestopp für „Gastarbeiter“ (ein mißverständlicher und irreführender Begriff, weil deren soziale Situation der Bedeutung des Wortes nicht entspricht), machten die Grenzen gegen unkontrollierte Zuwanderung dicht und gingen zu einer restriktiven Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik über. Seitdem wird in allen europäischen Industrieländern, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die Zuwanderung von Arbeitsmigranten nicht erlaubt. Ein Beispiel dieser Ausnahmen stellt die umstrittene Green-Card-Verordnung der Bundesregierung von August 2000 dar, nach der bis zu 20.000 IT-Spezialisten aus Drittändern angeworben werden sollten, um den Mangel in der deutschen Wirtschaft zu beheben. Die Bundesregierung gewährte den IT-Fachleuten befristete Aufenthaltserlaubnis bis zu 5 Jahren und erlaubte ihnen mit ihrer Familien die Einreise. Aufgrund fehlender Resonanz konnten jedoch bis Juli 2003 lediglich 14.876 Arbeitsgenehmigungen im Rahmen dieser Verordnung (IT-ArGV) erteilt werden. Eine weitere Ausnahme ist in den osteuropäischen Werkvertrags- und Saisonarbeitern zu sehen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt der Mitgliedländer der EU für einen befristeten Zeitraum erlaubt wird. Im Jahr 2006 waren in Deutschland 320.400, in Italien 70.200, in Frankreich 16.200 und in Großbritannien 15.700 Saisonarbeiter beschäftigt (vgl. IOM, 2008, 83). Mit diesen Ausnahmen ist die politische Intention verbunden, den osteuropäischen Arbeitnehmern Erfahrungen auf einem Arbeitsmarkt der Europäischen Union zu ermöglichen. Sie sollen dadurch einen positiven Beitrag zum Aufbau der Wirtschaft in ihrem Herkunfsland leisten, gleichzeitig soll der Migrationsdruck auf die EU gemindert werden (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, 2001, 52).

Innerhalb der EU findet derzeit eine temporäre Migration von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedländern nach Großbritannien und Irland statt. Großbritannien, Irland und Schweden haben bei der Osterweiterung der EU ihren Arbeitsmarkt für die Arbeitskräfte der neuen Mitgliedländer geöffnet. Dagegen halten Deutschland, Österreich, Belgien und Dänemark an der in den Beitrittsverträgen (16. April 2003) vereinbarten Übergangszeit von 7 Jahren fest, die die Masseneinwanderung von billigen Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedländern verhindern soll. Zwischen dem 1. Mai 2004, an dem die Beitrittsverträge für die EU-Osterweiterung in Kraft getreten sind, und dem 31. März 2007 sind allein in Großbritannien 630.000 Anträge auf Arbeitserlaubnis registriert worden. Die Arbeitskräfte aus Polen hatten den größten Anteil daran (65 %), gefolgt von Arbeitsmigranten aus Litauen und der Slowakei mit einem Anteil von jeweils von 10 %. 82 % von ihnen waren im Alter von 18 und 34 Jahren. Der Frauenanteil betrug 43 % (vgl. IOM, 2008, 87, 457). Die Nachfrage der westeuropäischen Industrieländer nach billigen Arbeitskräften geht jedoch aufgrund der jüngsten Wirtschaftskrise (Finanzmarkt- und Bankenkrise) rapide zurück. Gleichzeitig führt der Bauboom in den neuen Mitgliedländern, insbesondere in Polen, zur Arbeitskräfteknappheit, so dass die Löhne dort steigen. Bereits 2007 hat die polnische Regierung eine Politik zur Rückwanderung ihrer ausgewanderten Arbeitskräfte eingeleitet, um den heimischen Arbeitskräftemangel zu beheben. Die Abwertung der britischen Währung und die damit verbundene Verschlechterung der Wechselkurse führten zu sinkenden Ersparnissen der osteuropäischen Arbeitsmigranten und unterstützen die Remigrationspolitik ihrer Heimatländer, so dass ihre Remigration wahrscheinlicher wird (vgl. OECD, 2009, 60).

Eine weitere Weltregion, deren Wirtschaft aufgrund ihrer geringen Bevölkerung und knappen heimischen Arbeitskräfte weitgehend auf ausländische Arbeitsmigranten angewiesen ist, ist die persisch-arabische Golfregion mit ihren 6 GCC-Staaten (Gulf Cooperation Council States: Barain, Kuwait, Oman, Quatar, Saudi Arabien, Vereinigte Arabische Emirate). Die Energiekrise 1973 und die Verteuerung des Ölpreises haben zu erhöhter Nachfrage nach Arbeitskräften in diesen Ländern geführt, zu deren Befriedigung keine weiteren heimischen Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Die steigende Bildungsbeteiligung und die veränderte Lebensweise in diesen Ländern, die durch den zunehmenden materiellen Wohlstand induziert wurden, haben zu einem Rückgang der ohnehin knappen Arbeitskräfte im produktiven Bereich geführt. Eine Entlastung des Arbeitsmarktes durch die erhöhte Erwerbsbeteiligung der Frauen konnte auch nicht erwartet werden.

Die Folge war eine Masseneinwanderung ausländischer Arbeitnehmer aus den benachbarten arabischen Ländern (Jordanien, Palästina, Ägypten, Jemen, Libanon, Sudan) und aus süd- und ostasiatischen Ländern (Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Indonesien und Phillipinen). Bis 1975 kamen 80 % aller temporären Arbeitsmigranten dieser Region aus den arabischen Ländern, deren Gesamtzahl 1,8 Mio. erreichte. Ab 1976 trat eine sprunghafte Zunahme der Arbeitsmigranten aus Südasien ein. Allein die Zahl der Arbeitsmigranten aus Pakistan stieg von 200.000 im Jahr 1976 auf 1,25 Mio. im Jahr 1979. Nach dem Zweiten Golfkrieg (1991), der mit der Invasion der irakischen Truppen in Kuwait begonnen hatte, hatten die GCC-Staaten begonnen, die Arbeitsmigranten aus den benachbarten arabischen Ländern, die während des Krieges den Irak politisch unterstützt hatten, auszuweisen und durch die aus Ägypten und Süd- und Ostasien zu ersetzen. Die Arbeitskräfte aus asiatischen Ländern sind nicht nur billiger als die arabischen, sondern auch bereitwilliger, die schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Sie sind leicht zu identifizieren und ihre Integration in die arabische Kultur (z.B. durch die Heirat) ist fast ausgeschlossen. Nach Schätzungen leben derzeit insgesamt 12,8 Mio. Ausländer in den GCC-Staaten, davon 3,5 Mio. aus den arabischen Ländern, die nicht dem GCC angehören. Der Rest kommt aus Süd- und Ostasien. Die Ausländer machen 36 % der gesamten Wohnbevölkerung dieser Staaten aus. Die Hälfte der Ausländer leben in Saudi Arabien. Der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung der Vereinigten Arabischen Emirate beträgt sogar 71 %. Die GCC-Staaten bilden nach den USA und Europa die drittgrößten Aufnahmeländer der Arbeitsmigranten der Welt. Dabei ist die Steigerungsrate der asiatischen Frauenarbeitskräfte, die in den privaten Haushalten als „domestic workers“ Anstellung finden, besonders hoch. Ihre Zahl ist von 1 Mio. im Jahr 1990 auf 3,7 Mio. im Jahr 2005 gestiegen (vgl. UNESCWA, 2007, 4-6).

Die überaus große Zahl der Arbeitsmigranten in den GCC-Ländern führt zum demographischen Ungleichgewicht, so dass z.B. der Anteil der Einheimischen an den gesamten Arbeitskräften nur 8,7 % in den Vereinigten Arabischen Emiraten, 14,1 % in Quatar und 50 % in Saudi Arabien beträgt. Damit sind die Wirtschaftsleistungen der GCC-Länder weitgehend von den Arbeitsmigranten aus Asien abhängig. Eine unmittelbare Folge davon ist die hohe Arbeitslosigkeit der jungen Schul- und Hochschulabgänger, die freiwillig arbeitslos bleiben, weil sie auf gut bezahlte Arbeitsstellen im öffentlichen Sektor warten. Zwischen 2001 und 2004 stieg diese Zahl in den Vereinigten Arabischen Emiraten von 2,3 auf 3.0 %, in Barain von 2,5 auf 3,1 %, in Saudi Arabien von 5,9 auf 6 % und in Oman von 5 auf 7,1 %. Eine weitere Folge besteht darin, dass die gesamte Produktivität der einheimischen Arbeitskräfte kontinuierlich sinkt, weil die Investitionen im Finanzmarkt die direkten Investitionen in produktiven lokalen und regionalen Projekten bei weitem übersteigen. Der jährliche Produktivitätsverlust zwischen 1980 und 2000 betrug in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2,9 % und in Saudi Arabien 2,5 %. Es kommt der jährliche Kapitalabfluss von 24 Mrd. US-Dollar hinzu, die die Arbeitsmigranten pro Jahr in ihre Heimat überweisen. Vor diesem Hintergrund hat das Arbeitsministerium in Saudi Arabien 2003 ein Projekt der „nationalization of the labour force“ initiiert, um die ausländischen Arbeitskräfte, die im Bereich von Banken und Finanzen beschäftigt sind, durch Einheimische zu ersetzen. Dadurch sollte die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte um 20 % reduziert werden (vgl. UNESCWA, 2007, 6-7, 40).

Die asiatisch-pazifische Region erlebte seit 1950 eine bisher beispiellose wirtschaftliche Wachstumsentwicklung. Sie begann zuerst in Japan in den 1950er Jahren und erfasste in den 1960er Jahren die sog. Schwellenländer: Republik Korea, Taiwan, Hongkong und Singapur. Diese Länder wurden in englischer Sprache unter der Bezeichnung NIEs - Newly Industrializing Economies — zusammengefasst. In den 1970er Jahren begann auch in Indonesien, Malaysia und Thailand die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung. In den 1980er Jahren trat in China ein stetiges wirtschaftliches Wachstum ein. Eine Gemeinsamkeit in der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder bestand darin, dass sie aufgrund ihrer niedrigen Industrialisierung und knappen Kapitalakkumulation erst mit der Industrialisierung arbeitsintensiver Produktionsbereiche (z.B. Textil und Bekleidung, Schuhe, Leder, Spielzeug) begonnen haben, um zunächst die im Überschuss vorhandenen ungelernten Arbeitskräfte für die Produktion zu nutzen und die dadurch erzielten Kostenvorteile in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln. Die Kosten- und Wettbewerbsvorteile der Vorreiterländer gingen jedoch in dem Maße verloren, wie die nachrückenden Länder nach gleichem Muster ihre Industrialisierung forcierten (vgl. OECD, 1996, 16).

Die schrumpfenden Wettbewerbsvorteile und die Verknappung der billigen und geringqualifizierten Arbeitskräfte haben die Schwellenländer veranlasst, rechtzeitig die Umstellung ihrer Wirtschaft von den arbeits- zu kapitalintensiven Produktionsbereichen vorzunehmen. Die Folge war der steigende Bedarf an Kapitalinvestitionen und höher qualifizierten Arbeitskräften. In den ost- und südasiatischen Ländern trat dadurch ein Strukturwandel des Arbeitsmarktes ein, der die Länder dazu führte, im politischen und wirtschaftlichen Bereich enger miteinander zu kooperieren. Dadurch sollte die Wirtschaft zur Liberalisierung des Kapital-, Waren-, Informations- und Technologieverkehrs insgesamt dereguliert werden. Die Zusammenschlüsse der asiatischen Länder in Organisationen, wie AFTA (Asian Free Trade Area), APEC (Asia Pacific Economic Cooperation) und ASEAN (Association of South East Asian Nations) sind konkrete Ergebnisse der genannten Kooperationen.

Die wichtigsten Folgen dieser Entwicklung waren und sind die regionale Integration der asiatischen Länder und die globale Mobilität ihrer Arbeitskräfte. Aufgrund der realen Unterschiede in Lohnniveau und Marktchancen der einzelnen Länder nahmen die direkten Investitionen der Schwellenländer innerhalb Asiens zu. Wo aber Kapital zur Investition floss, floss auch ein Strom von Managern, Technikern und hochqualifizierten Arbeitskräften mit. Die Folge war die wachsende Arbeitsmigration innerhalb Asiens und über seine Grenzen hinaus.

Die Gesamtzahl der asiatischen Arbeitsmigranten wird derzeit auf etwa 25 Mio. geschätzt. Zwischen 2000 und 2005 waren davon schätzungsweise 7,5 Mio. in Südzentralasien (Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch, Sri Lanka, Iran, ), 6,5 Mio. in Ostasien (Hongkong, Japan, Südkorea, China, Makao) und 5,6 Mio. in Südostasien (Singapur, Malaysia, Thailand, Phillippinen, Kambodscha, Indonesien, Brunei, Myanmar, Laos, Vietnam) beschäftigt. Damit findet die Migration asiatischer Arbeitskräfte überwiegend innerhalb Asiens statt (vgl. IOM, 2008, 439).

Dabei scheint der Strom von Arbeitsmigranten intensiv zwischen den Ländern Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand und Singapur einerseits und zwischen der Volksrepublik China, der Republik Korea, Hongkong, Formosa und Japan andererseits zu zirkulieren. Besonders auffällig ist die Entwicklung, dass die Migration von Frauen, die als Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich (z.B. Hotel, private Haushalte, Unterhaltungssektor) eingesetzt werden, zunimmt, so dass man von der Feminisierung der Migration spricht (vgl. P. Wickramasekara, 1996, 97-122; Petrus Han, 2003, 60, 192-195).

 

Gleichzeitig wächst in vielen asiatischen Ländern der Mangel an gering-qualifizierten Arbeitskräften, weil die Einheimischen im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung in anspruchsvollere Berufe übergewechselt sind. Der Bedarf an geringqualifizierten Arbeitern, die die sog. 3 D-Arbeiten (dirty, dangerous, difficult/demanding) verrichten, ist bei kleinen und mittleren arbeitsintensiven Betrieben besonders groß, weil diese weder hohe Investitionen vornehmen noch ihre Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagern können.

Die Zahl der asiatischen Vertragsarbeiter, die im Mittleren Osten als temporäre Arbeitsmigranten beschäftigt sind, wird derzeit auf etwa 8,7 Mio. geschätzt. Während die Arbeitsmigranten aus Bangladesch, Indien und Pakistan dort überwiegend in Infrastrukturprojekten eingesetzt werden, sind die Arbeitsmigranten aus Indonesien, Sri Lanka und den Phillippinen weitgehend im Bereich der „Domestic Work“ beschäftigt, so dass der Frauenanteil an den Arbeitsmigranten aus diesen Ländern 60 bis 80 % beträgt. Hier tritt wiederum eine Feminisierung der Arbeitsmigration ein (vgl. IOM, 2008, 443, 446).

Aufgrund der anhaltenden permanenten und temporären Emigration von Arbeitskräften bildet Asien die größte Diaspora in der Welt. 30 bis 40 Mio. Chinesen leben im Ausland. Sie bilden die größte Diapora, gefolgt von der indischen Diaspora mit 20 Mio. Auslandsindern. Danach bildet die phillippinische Diaspora mit 8,2 Mio. Auslandsphillippinen die drittgrößte Diapora. 2007 hatten Indien 27, China 25, Phillippinen 17,2, Bangladesch 6,6, Indonesien 6,1, Pakistan 6 und Vietnam 5,5 Mrd. US-Dollar Geldüberweisungen von ihren ehemaligen und im Ausland arbeitenden Staatsbürgern erhalten. 2007 erreichte die Gesamtsumme der Geldüberweisungen aus dem Ausland für Südzentralasien 45,1, für Südostasien 32,7 und für Ostasien 29,5 Mrd. US-Dollar (vgl. IOM, 2008, 448-449).

Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Arbeitsmigration in Asien auch in Zukunft unvermindert anhalten wird. Allein die Tatsache, dass 2008 in Asien 4,052 Mrd. Menschen (60 % der Weltbevölkerung) leben (siehe Tabelle 8, S. 137) und dort zwei Drittel der Arbeitskräfte der Welt aufgebracht werden, lässt das überaus große Migrationspotential erahnen. Im Zuge der sukzessiv erfolgenden wirtschaftlichen Entwicklungen einzelner Länder und der damit verbundenen immensen Kapitalbewegungen innerhalb Asiens wächst der Bedarf an qualifizierten Fachkräften, die Investition, Technologie und Produktion kontrollieren und beraten. Zwischen 2002 und 2003 haben Malaysia, Singapur und Thailand 60.000 bis 70.000 hochqualifizierte ausländische Fachkräfte aus den G-8-Ländern, Australien und Neuseeland angeworben. Auch Indonesien und die Phillippinen haben jeweils 10.000 hochqualifizierte ausländische Fachkräfte aus Australien und anderen Industrieländern angeworben (vgl. IOM, 2008, 447). Damit wird offenkundig, dass der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften schneller wächst als durch Ausbildung nachgehalten werden kann. Die Humankapitalbildung ist kurz- und mittelfristig nicht möglich.

Nordamerika bleibt nach wie vor der Kontinent, der den größten Teil der weltweiten Migranten aufnimmt. In den USA lebten 2005 38,3 Mio. Migranten, von denen sich 27 % in Kalifornien und 11 % in New York niedergelassen hatten. In Kanada lebten 2005 6,1 Mio. Einwanderer, die 18,9 % der kanadischen Bevölkerung ausmachten. Typisch für Nordamerika ist die Tatsache, dass die Einwanderung aus Mexiko und Südamerika insgesamt 87 % der gesamten Migrationsbewegungen ausmacht. Die größte „South-North-Migration“ der Welt findet damit auf diesem Kontinent statt (vgl. IOM, 2008, 423-425).

Die USA und Kanada haben einerseits ein über Jahrzehnte bewährtes Einwanderungsprogramm, das den Ausländern die Beschäftigungsmöglichkeiten auf der Basis der permanenten Einwanderung (employment-based immigration) einräumt, um das heimische Wirtschaftswachstum und den Arbeitskräftebedarf sicher zu stellen. Beide Länder haben jedoch einen unterschiedlichen arbeitsmarktpolitischen Ansatz bei der Erteilung von Einreiseerlaubnissen. Die USA praktizieren eine nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik (a demand-based system). Danach müssen die ausländischen Arbeitskräfte nachweisen, dass ihre Arbeitsplätze weder durch Einheimische noch durch die in den USA lebenden Ausländer zu besetzen sind. Kanada betreibt dagegen eine angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik (a supply-based point system), die von der Annahme ausgeht, dass das Angebot von qualifizierten Arbeitskräften positive Impulse für Innovation und Wirtschaftswachstum auslösen werden. Die Arbeitsmigranten werden daher nach einem Punktsystem in ihrer Qualifikation bewertet und ausgewählt. Nach diesen arbeitsmarktpolitischen Ansätzen haben beide Länder in der Zeit von 2005 bis 2007 jährlich jeweils die Einwanderung von über 400.000 Arbeitsmigranten zugelassen. Parallel dazu haben die USA durch ihren „The U.S. Immigration Act of 1990“ die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften von jährlich 54.000 auf 140.000 angehoben. Weitere 10.000 Einwanderungsvisa sind für diejenigen vorgesehen, die mindestens 1 Mio. US-Dollar in die Wirtschaft der USA zu investieren bereit sind. Weitere 7.000 Einwanderungsvisa sind für die vorgesehen, die mehr als 500.000 US-Dollar investieren. Die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wird jedoch den wirtschaftlichen Bedingungen angepasst und variiert (vgl. IOM, 2008, 297-299).

Trotz der genannten permanenten Einwanderung von Arbeitskräften besteht in den USA und Kanada Arbeitskräfteknappheit. Zu ihrer Lösung wurde die temporäre Arbeitsmigration eingeführt. In der Zeit von 2004 bis 2005 und von 2005 bis 2006 haben beide Länder jeweils 1,14 Mio. und 1,24 Mio. temporäre Arbeitsmigranten zugelassen. 2005 kamen die meisten temporären Arbeitsmigranten in Kanada aus Frankreich (7.582), Großbritannien (7.263), Deutschland (2.602) und Mexiko (12.610). Die Arbeitsmigranten aus Mexiko wurden überwiegend als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft beschäftigt (vgl. IOM, 2008, 85-87).

Die Wirtschaftskrise von 2008 hat sich negativ auf die Beschäftigungssituation beider Länder ausgewirkt. In den USA sind bis zum Ende 2008 etwa 2,3 Mio. Jobs verlorengegangen, während in Kanada 6,4 % der Arbeitsplätze im Bereich der Bauwirtschaft bis Februar 2009 reduziert wurden. Februar 2009 betrug die Arbeitslosenquote der Einwanderer in den USA 10,5 % (vgl. OECD, 2009, 16-17).

Die drei großen Aufnahmeländer der Migranten in Südamerika sind Argentinien (1,5 Mio. Migranten), Venezuela (1 Mio.) und Brasilien (641.000). Costa Rica mit 130.000 Migranten stellt das viertgrößte Aufnahmeland dar. 2005 wurde die Gesamtzahl der Emigranten aus Südamerika auf 25 Mio. geschätzt, eine Zahl, die 13 % der Migranten der Welt (191 Mio.) ausmachte. Dabei werden die Zielländer der Migranten aufgrund der wachsenden sozialen Netzwerke und spezieller Nachfrage nach Arbeitskräften pluraler. Die Zahl derjenigen, die nach Spanien, Portugal, Italien, Japan und Kanada migrieren, wächst. Die Hauptursachen der wachsenden Migration sind ökonomische Krisen und zunehmende politische Gewalt. Ein Beispiel ist die ökonomische Krise von 2001, die das Migrationsverhalten der Südamerikaner nachhaltig verändert hat. Aufgrund der Krise erlebte z.B. Venezuela, eines der Hauptzielländer der Migranten in Südamerika, einen Migrationsschub in die USA und nach Spanien. Brasilien ist ein weiteres Land, aus dem zunehmend Arbeitskräfte auswandern. 2005 erreichte die Zahl der Immigranten aus Brasilien in den USA 356.000, in Portugal 70.400 und in Japan 302.100. Dabei findet eine starke Feminisierung der Migration statt. Der Frauenanteil an den Migranten aus Südamerika beträgt 54 %. Dies stellt den höchsten Frauenanteil an der internationalen Migration dar. Parallel zu der skizzierten Entwicklung wächst auch illegale Migration von Lateinamerika nach Spanien und Portugal. Die Hauptherkunftsländer der illegalen Migranten sind Ecuador, Kolumbien, Bolivien und Peru. Eine für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region wichtige Tatsache ist jedoch der Kapitaltransfer aus dem Ausland. 2007 haben die Arbeitsmigranten aus Lateinamerika und den karibischen Ländern einen Betrag in Höhe von 60,7 Mrd. US-Dollar in ihre Heimatländer überwiesen (vgl. IOM, 2008, 426-430).

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