Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

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Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht das Forschungsinteresse und die zahlreichen Publikationen von Wilhelm Wittenbruch. Ihm soll daher im Anschluss an den Blick auf die wenigen hier relevanten Fachartikel seit 1970 (2.4.1) ein eigener Abschnitt gewidmet sein (2.4.2), um der Frage nachzugehen, inwieweit sein Gedanke um das „Schulleben“ etwas zur Frage nach einem Proprium Katholischer Grundschule beitragen kann.

2.4.1Katholische Bekenntnisschule in Fachartikeln seit 1970

Seit den 1970er Jahren erschienen einige Fachartikel und Bücher, in deren Titel sich die Begriffe „Konfessionsschule“ oder „Katholische Schule“ finden.165 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass hier Katholische Schulen im engeren Sinne, also Privatschulen gemäß § 7,4 des Grundgesetzes als Schulen in freier Trägerschaft, Untersuchungsgegenstand sind.

Insgesamt lassen sich in diesen Schriften – dies sei vorweggestellt – zwei grundsätzliche Tendenzen ausmachen:

1.Die Veröffentlichung trägt einen eher apologetischen Charakter. In inhaltlicher Hinsicht stellt sie den Versuch einer (wissenschaftlich) begründeten Rechtfertigung der Schulart KGS dar.166

Oder:

2.Spezifische Fachartikel setzen sich mit konkreten Einzelfragen einer KGS auseinander, etwa mit dem Problem der Aufnahme nichtkatholischer Kinder in eine KGS, mit der Frage einer verpflichtenden Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht oder an Schulgottesdiensten.

Diese Einzelfragen forderten in den zurückliegenden Jahren insbesondere die Schulabteilungen der (Erz-)Bistümer zu Reaktionen heraus, die sich um rechtliche Aufklärung und Rechtfertigung der Schulart „Katholische Grundschule“ bemühten. So erschienen einzelne Fachartikel in kircheneigenen Publikationsorganen und/oder auch in Form eigener Broschüren.

An dieser Stelle muss eine Veröffentlichung neueren Datums genannt werden, die aufgrund ihres Verbreitungsgrades von besonderer Relevanz ist: die von den fünf nordrhein-westfälischen (Erz-)Bistümern herausgegebene Broschüre „Die Katholische Grundschule in Nordrhein-Westfalen“167. Diese Publikation verfolgt das Ziel der Information über den (rechtlichen) Status und Stellenwert einer Katholischen Grundschule innerhalb des öffentlichen Schulwesens. Sie will die substanziellen pädagogischen und religionspädagogischen Möglichkeiten dieser Schulart aufzeigen, organisatorische Besonderheiten benennen und verspricht Informationen über den Mehrwert der Bekenntnisgrundschule. Tatsächlich sind wesentliche Teile dieser Broschüre den rechtlichten Aspekten gewidmet, mit einer leserfreundlichen, übersichtlichen Zusammenstellung des rechtlichen Kontextes. Dabei gerät die „Katholische Grundschule“ als staatliche Regelschule allerdings unter den Eindruck einer „Ehrenrettung“, und zwar derart, als müsse nochmals deutlich gemacht werden, dass und wie sich in ihr staatliches Recht realisiert. Die Antworten auf die Frage nach den Chancen dieser Schulart, der sich die Schrift inhaltlich ja stellen will, bleiben allerdings fragmentarisch. So heißt es im Vorwort: „Die Broschüre verdeutlicht, dass Katholische Bekenntnisschulen in der Ausbildung ihres spezifischen Schulprofils eine außerordentlich anspruchsvolle Arbeit leisten und ein unverzichtbares Gut in der – vom Staat ausdrücklich gewollten – Vielfalt der Schullandschaft darstellen.“168 So versucht die Broschüre den „Mehrwert“169 der Katholischen Grundschule darzustellen, der darin bestehe,

a)die Kinder deutlich über den Religionsunterricht hinaus mit „der Frohen Botschaft des Evangeliums vertraut zu machen und sie an ein Leben mit und in der Kirche heranzuführen“,

b)durch eine verbindende Schulgemeinschaft über alle sozialen und nationalen und konfessionellen Unterschiede hinweg einen wichtigen Beitrag für eine aufrichtige Integration zu leisten,

c)in Anerkennung persönlicher Eigenheiten zu gegenseitigem Respekt zu erziehen,

d)das Kind aus dem katholischen Glauben heraus als Mittel- und Ausgangspunkt des pädagogischen Handelns zu sehen sowie

e)sich zu besonderem Engagement zugunsten Benachteiligter verpflichtet zu sehen.

Im Abgleich dieser genannten Aspekte, die nach Aussagen der (Erz-)Bistümer den „Mehrwert“ der Katholischen Grundschule ausmachen, mit den Richtlinien für die Grundschule des Landes NRW aus dem Jahr 2008170 muss allerdings festgestellt werden, dass die Aspekte (b)-(e) keinesfalls einen „Mehrwert“ gegenüber der Gemeinschaftsschule enthalten: Insbesondere das Kapitel 1 der nordrhein-westfälischen Richtlinien zu den „Aufgaben und Ziele(n)“ der Grundschule, das Kapitel 4.4 über die Förderung der Lernentwicklung sowie das Kapitel 4.5 über den erziehenden Unterricht legen die grundlegende Richtung schulischer Bildung und Erziehung in substanzieller Äquivalenz zu den in der Broschüre der (Erz-)Bistümer genannten Aspekten dar: In den Richtlinien wird deutlich benannt, dass es die Aufgabe aller Grundschulen ist, die Entwicklung von Werthaltungen zu unterstützen, dass Freiheit, Toleranz, Verständnis, Verantwortungsbewusstsein für das Allgemeinwohl zentrale Erziehungsziele darstellen und dass auch die religiöse Erziehung zu den wesentlichen Aufgabenbereichen gehört. Jede Grundschule – gleich welcher Schulart – hat die ihr innewohnende soziale, kulturelle, religiöse, ethnische Vielfalt sowie die Diversität der Talente als Chance und Herausforderung in der Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit zu begreifen. Mit den benannten Punkten bestätigen die (Erz-)Bistümer also allenfalls, dass sich die Katholische Grundschule dem staatlichen Auftrag verpflichtet fühlt, was allerdings eine Selbstverständlichkeit sein muss, da es sich ja um eine staatliche Regelschule handelt. Ein „Mehrwert“ der Katholischen Grundschule würde dann allenfalls dadurch erreicht, dass entweder diesem staatlichen Auftrag, dieser Verpflichtung hier in besonderer Weise nachzukommen wäre, also zum Beispiel mehr als die anderen Schularten, was einer komparativen Abwertung der Gemeinschaftsschulen entspräche – oder aber dass im Sinne eines additiv-qualitativen Mehrwertes ein gewisses zusätzliches Alleinstellungsmerkmal zu verwirklichen wäre, was nach Kriterien verlangen würde, die über die üblichen für alle nordrhein-westfälischen Grundschulen geltenden Maßgaben hinausgingen und als solche noch zu benennen wären. Dies aber bleibt hier aus.

2.4.2Wilhelm Wittenbruch: „Inneneinsichten“171

Die Untersuchungen von Wilhelm Wittenbruch – in Kooperation mit Walter Werres (kurz: „Wittenbruch“) – sind im Rahmen dieser Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie in den aktuellen Stellungnahmen der (Erz-)Bistümer immer wieder zitiert und als grundlegender wissenschaftlicher Bezugsrahmen zur konkreten Verfasstheit Katholischer Grundschulen in Nordrhein-Westfalen bis heute herangezogen werden.172

Wittenbruch und Werres unternehmen – wie im Vorwort ihrer Untersuchung angekündigt – den Versuch, das zuletzt aufgezeigte Desiderat zu schließen oder doch zumindest einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Diskurs zu leisten. Ihre Abhandlung stellt dabei sehr richtig eine auffallende „Enthaltsamkeit“ innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion bezüglich der Frage nach der Katholischen Grundschule im Unterschied zur Frage nach der Schule in kirchlicher Trägerschaft fest: „Für katholische Bekenntnisschulen als ‚staatliche Regelschule’ sucht man ähnliche Diskussionen[173] aber vergeblich. Hier ist ein erstaunliches Reflexionsdefizit zu verzeichnen.“174 Ferner stellt er fest, dass es wohl der „damaligen Amtskirche“ kaum an einer tatsächlichen Profilierung dieser Schulform gelegen gewesen sei, wohl weil man insgeheim davon ausgegangen sei, dass diese Schulart keine wirkliche Überlebenschance habe.175 Insgesamt, dies sei im Hinblick auf eine historische Einordnung angemerkt, bezieht sich Wittenbruch in seiner Untersuchung auf die Richtlinienentwicklung und die schließlich 1985 in Kraft gesetzten Richtlinien für das Land NRW.

Im Rahmen dieser Untersuchung interessieren die von Wittenbruch konstatierten Grundzüge Katholischer Grundschulen unter der Fragestellung, ob und inwiefern der Verweis auf „Wittenbruch“ für heutige Katholische Grundschulen (noch) eine Orientierungsmöglichkeit darstellt. Dazu ist der Ansatz – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die inzwischen erfolgte Richtlinien- und Lehrplanrevision zunächst in ihrer vorläufigen Form von 2003 und schließlich verbindlich seit 2008 – auf seine Aktualität hin zu befragen. Die formale Einordnung der Forschungsarbeiten von Wilhelm Wittenbruch in das Kapitel „Historie“ zeigt allerdings bereits an, dass es sich hierbei um einen Ansatz handelt, der nur noch sehr begrenzt auf die heutige Situation Katholischer Grundschulen anzuwenden ist, so dass im Rahmen dieser Arbeit sowohl der historische Ertrag als auch die Grenzen dieses Ansatzes zu untersuchen und aufzuzeigen sind.

 

Zunächst ist nach der methodischen Anlage des Forschungsprojekts „Innenansichten“ zu fragen. Dabei handelte sich um ein empirisches Projekt. Im Rahmen einer „Ideographischen Schulforschung“ befragten Wittenbruch u. a. 1987 insgesamt 108 Schulleiterinnen und Schulleiter und erstellten ferner auf der Grundlage von drei Einzeluntersuchungen drei Porträts Katholischer Grundschulen.

Die Ergebnisse dieser empirischen Studie legte Wittenbruch in seinem Buch „Innenansichten“ dar. Dabei führt er eingangs aus, dass er mit seiner Beschreibung keine „Musterform“ Katholischer Bekenntnisgrundschulen zeichnen wolle. Auch gehe es ihm nicht um einen Diskurs über das „Für und Wider“ dieser Schulart. Vielmehr sei der Ausgangspunkt seiner Überlegungen der gesicherte rechtliche Rahmen dieser Schulart, der – zum Zeitpunkt seiner Untersuchung – auch staatlicherseits nicht zur Disposition stand.

Wittenbruch hob in seiner Untersuchung auf die besondere Bedeutung der Einzelschule als Motor schulischer Entwicklung ab: die aus der Richtlinienkompetenz des Staates und der pädagogischen Freiheit des Lehrers sich ergebende Aufforderung zur Gestaltung eines spezifischen Schulprogramms führe zu einem Handlungsspielraum, der es der Einzelschule ermögliche und sie verpflichte, ihr besonderes Profil inhaltlich zu füllen und zu gestalten.

Diese Bedeutung der Einzelschule176 – als Ausgangspunkt und Motor der Schulentwicklung – haben Wittenbruch u. a. richtig erkannt und dargestellt. Auch stellen sie mit Recht heraus, dass das spezifische Profil einer Grundschule immer das einer „konkreten Schule vor Ort“ sein muss – mit konkreten Lehrerinnen, Kindern und Eltern innerhalb ihres charakteristischen Umfelds. Damit war Wittenbruch 1985 in gewisser Weise „Trendsetter“, denn tatsächlich hat es bei den meisten Grundschulen seit der Richtlinienrevision von 1985 noch eine ganze Zeit gedauert, bis sich diese Sichtweise konkret durchsetzte und in den entsprechenden Schulprogrammen ihren Ausdruck fand.177

In heutigen, aktuellen Diskussionen um Schulentwicklung, Schulprofil und Schulprogramm geht es indessen nicht mehr um die Fragestellung, ob und inwieweit es einen pädagogischen und didaktischen Handlungsrahmen für die Einzelschule gibt. Schulentwicklung und die Ausbildung eines spezifischen Schulprofils heben vielmehr „ab auf die Besonderheit der einzelnen Schule und deren spezielle Angebote für die in ihr lebenden und lernenden Schüler“178. In diesem Rahmen sind Schulprogramme zu sehen als ein fortzuschreibendes Konzept, das getragen ist vom Bestreben der Einzelschule, die Qualität schulischen Lernens zu verbessern. Schulprogramme sind damit im heutigen Verständnis wichtige Instrumente der Qualitätsentwicklung und -sicherung der Einzelschule. Auf diesen Fragenkomplex wird insbesondere im dritten Teil dieser Untersuchung zurückzukommen sein, weil sich hieraus die Frage ableitet, welche Konsequenzen aus dieser Sichtweise für die Entwicklung und Profilierung einer Katholischen Grundschule zu ziehen sind.179

Ein weiterer Aspekt fällt ins Auge: Wittenbruch deutet und verwendet den Begriff „Schulprogramm“ im Sinne einer Auslegung der Richtlinien. Insofern ist der Gedanke der Einzelschulentwicklung von ihm nicht konsequent verfolgt180 worden, sondern verbleibt in gewisser Weise auf der Ebene der Administration.181 Zudem erfährt der von Wittenbruch noch bemühte Begriff des Schullebens heute in der allgemeinen Grundschulpädagogik eine Weiterentwicklung durch den Begriff der Schulkultur, der – neueren Ansätzen zufolge – immer deutlicher als integrativer Ausdruck eines umfassenden, kohärenten und kohäsiven Schulentwicklungsprozesses Verwendung findet. Schulkultur als Sammelbegriff umfasst nach Schorch182 in der Regel die Bereiche „Lernkultur, Erziehungskultur, Organisationskultur“. In den aktuellen Richtlinien von NRW ist zwar der Begriff des „Schullebens“ erhalten geblieben, innerhalb der Qualitätsstandards aber um den Begriff der „Schulkultur“ ergänzt worden.

Einen weiteren Ansatzpunkt profilierter Schulentwicklung sieht Wittenbruch im Aspekt des „Erziehenden Unterrichts“. Er trennt zwischen sachorientiertem Unterricht und sozialem Lernen, woraus sich für ihn ergibt: Sozialorientiertes Lernen macht Schulleben aus, das im Schulprogramm seinen Ausdruck findet. Sein Ergebnis aus den drei genannten Befragungen ist, „daß christliche Pädagogen das fragmentarische Erziehungsprogramm einer staatlichen Schule, die sich ja nur auf jene ‚Elemente der Ethik’ beschränken kann, über die in der pluralistischen Gesellschaft Konsens besteht […] vervollständigen können.“183 Einmal davon abgesehen, dass es auch zum Zeitpunkt der Untersuchung kein geschlossenes katholisches Milieu mit einheitlichem Werte- und Normsystem gegeben hat, bleibt kritisch anzufragen, ob Wittenbruch mit seiner Aussage, die Erziehungskonzepte von Gemeinschaftsgrundschulen seien letztlich bruchstückhaft und gleichsam als unvollständig zu betrachten, Recht hat. Somit konstatiert Wittenbruch einen Mehrwert Katholischer Grundschulen gegenüber der Gemeinschaftsgrundschule.

Wittenbruchs Methode der „Ideographischen Schulforschung“ hat mit Blick auf die Katholischen Schulen in freier Trägerschaft auch heute seine Berechtigung, insofern sie aus der Praxis heraus „Innenansichten“ erlaubt. In Anwendung dieser Methode auf die öffentliche, staatliche Regelschule, die die Katholische Grundschule ja ist, bleiben wohlgemerkt Fragezeichen: So ist etwa anzufragen, inwieweit die Ausgangsfrage seiner Untersuchung, ob eine Katholische Grundschule „zeitgemäß“ ist, dem Gegenstand der Frage, also der KGS als öffentlicher Schule, überhaupt angemessen ist, um daraus dann ggf. Empfehlungen für eine innerschulische Reformarbeit anzubieten.184

Wittenbruchs Intention war es, den „Ist- Zustand“ Katholischer Grundschulen im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinien von 1985 zu untersuchen, um im Ergebnis festzustellen, dass sich Katholische Bekenntnisschulen „neuen Herausforderungen“ nicht verschließen.185 Er knüpft damit implizit an die Ende der 1960er Jahre aufgeworfene Frage an, ob Grundschulen zeitgemäß sind (dazu vgl. Abschnitt 2.4) und ob nicht gerade Katholische Grundschulen besonderen „Entwicklungsbedarf“ haben. Sieht man einmal vom irritierenden zeitlichen Abstand zwischen Frage (1970er Jahre) und Antwort (1987) ab, so muss an dieser Stelle kritisch in Erinnerung gerufen werden, dass Katholische Grundschulen staatliche Einrichtungen sind und in ihnen dieselben Richtlinien und Lehrpläne, schulgesetzlichen Maßgaben, Ausbildungsordnungen etc. Geltung und Anwendung finden. Auch Katholische Grundschulen sind zur Umsetzung der Richtlinien und Lehrpläne verpflichtet, so dass es keine Frage ist, sein kann und sein darf, ob diese überhaupt Realisierung und Anwendung finden. Die Dienstpflichten der Lehrpersonen machen keine Unterschiede zwischen Lehrenden an Katholischen Grundschulen und Gemeinschaftsgrundschulen. Zu fragen ist vielmehr, was denn – positiv gewendet – heute eine Grundschule katholischer Prägung ausmacht. Diese Antwort bleibt Wittenbruch schuldig. Er hat richtig erkannt, dass die Frage nach „Auftrag und Gestalt“ Katholischer Grundschulen ein Desiderat bildet. Konsequent legt er sein Augenmerk auf die Einzelschule, ohne für diese allerdings Orientierungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Vielmehr entdeckt er in den drei Schulporträts Zeugnisse, die dokumentieren, „wie christliche Lehrerinnen und Lehrer die ‚Kurzformeln’ der Richtlinien […] aus ihrem pädagogischen Grundverständnis heraus im Hinblick auf eine konkrete Schule auslegen und in dem Spannungsverhältnis zwischen den Forderungen, die sich aus der ‚Gegenwart des Kindes’ ergeben, und den Forderungen, die die ‚Zukunft der Gesellschaft’ stellt, Unterricht und Schulleben an einer Bekenntnisschule gestalten“186. So ist festzuhalten: die Untersuchung von Wittenbruch steht im Modus einer Momentaufnahme mit geringer Halbwertzeit. Als solche ist sie innerhalb dieser Studie als zeithistorisches Dokument richtig eingeordnet und gewürdigt.

2.5Erkenntnisse

In gewisser Weise hat Wittenbruch in seiner Untersuchung „Innenansichten“ schon selbst richtig festgestellt, dass die wissenschaftliche Reflexion der Schulart KGS, ihre Legitimation und die Herausarbeitung ihrer Propria, bis heute ein Desiderat darstellt. Der Beitrag „Bericht zur ‚Situation der Grundschule‘: Katholische Grundschule im Spannungsfeld ‚Staat – Kirche –Gesellschaft‘ von Gerhard Fuest innerhalb des Buches „Innenansichten“ zeigt auf: „Letztlich hängt die Zukunft der staatlichen Bekenntnisschule in NRW entscheidend davon ab, ob es den Lehrern und Erziehern in Eigenverantwortung vor Ort an der einzelnen Schule gelingt, neben einer ständigen und weiterführenden Reflexion über die Theorie katholischer Grundschule glaubwürdig die praktische Erziehungs- und Bildungsarbeit in Gemeinschaft mit den Kindern, den Eltern (und der Kirchengemeinde) in lebendigen Formen zu pflegen, zu entwickeln und weiterzuführen.“187

Die äußere Legitimation einer KGS allerdings, von der Fuest noch ausgehen konnte,188 kann vor dem Hintergrund schwindender gesellschaftlicher Akzeptanz und des Bedeutungsverlustes der Institution Kirche und damit möglicherweise einhergehender staatlicher Bestrebungen zur Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht mehr als gesichert gelten.

So führt der Durchgang durch die Geschichte der Katholischen Bekenntnisgrundschule unter der Frage nach dem Proprium dieser Schulart zu einem immerhin bescheidenen Resultat. Es kann wie folgt gebündelt werden:

•Die Frage nach dem Für und Wider einer konfessionellen Ausrichtung einer staatlichen Regelschule ist der Grundschule quasi in die Wiege gelegt.

•Die Auseinandersetzungen um einen kirchlichen Einfluss auf die Erziehung und Bildung von Kindern im Raum staatlicher Schulen prägten die geschichtliche Entwicklung der Grundschule als Bekenntnisschule. In den Verbänden und politischen Parteien verfügten Katholiken über großen Einfluss bis in die Spitzen politischer Entscheidungsgremien hinein. Die Autorität der Kirche in Politik, Staat und Gesellschaft führte letztlich zur rechtlichen Sicherung der Bekenntnisschule neben der Gemeinschaftsschule. Sie ist, vorsichtig ausgedrückt, gesellschaftspolitisch wohl nicht verschwunden, aber wohl deutlich schwächer ausgeprägt, als sie es insbesondere in den Nachkriegsjahren war.

•Dem Klerus gelang es an zentralen schulhistorischen Schnittstellen, katholische Eltern zu mobilisieren, die über ihr Elternrecht für die Bekenntnisgrundschule stritten. Leschinsky konnte nachweisen, dass Konfessionsschulen letztlich ein Resultat der Wahlmöglichkeit der Eltern für oder gegen eine Bekenntnisschule und der damit verbundenen Möglichkeit, alternativ „bekenntnisfreie“ Schulen zu gründen, sind.189 Dies ergibt sich daraus, dass ihr Besuch vorher eben nicht Resultat einer Entscheidung war. Dies wirft die Frage auf, inwiefern man heute dort von einem impliziten Einverständnis der Eltern ausgehen kann, wo die KGS im Ort / im Stadtteil ein Alleinstellungsmerkmal aufweist.

•Es fehlt der KGS auch historisch an einer religionspädagogischen Grundkonzeption.