Die Katholische Grundschule NRW Öffentliche Grundschule im konfessionellen Gewand

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1.3Methodischer Zugriff und Forschungsstand

Wissenschaftliche grundschulpädagogische Forschung trifft theoretische Aussagen auf eine grundschulische Praxis hin und aus einer grundschulischen Praxis heraus. Die wissenschaftliche Theoriebildung und die grundschulische Praxis bilden dabei ein korrelatives Verhältnis, eine Wechselbeziehung von Theorie und Praxis.18 Aufgabe grundschulpädagogischer Forschung ist es daher, „Phänomene der gegenwärtigen wie vergangenen Schulwirklichkeit aufzuklären und bei Problemlösungen mitzuwirken“,19 wie Einsiedler, Götz u. a. in einer Auseinandersetzung zum Selbstverständnis von Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik feststellen.

Die vorliegende Arbeit folgt diesem wissenschaftstheoretischen Ansatz und setzt sich mit der pädagogischen Institution Grundschule auseinander, einer Einrichtung, in der sich lebensgeschichtlich bedeutsame „Enkulturations-, Sozialisations-, Erziehungs- und Unterrichtsprozesse abspielen“.20 Sie kann mit Recht als eine zentrale Sozialisationsinstanz angesehen werden,21 innerhalb derer verschiedene direkte und auch indirekte Einflussgrößen und Erwartungshaltungen auszumachen und anzutreffen sind.22

Die Katholische Grundschule als staatliche Regelschule obliegt nun aber nicht nur diesen alle öffentlichen Grundschulen gleichermaßen prägenden Bestimmungen, Einflüssen und Erwartungen: Sie orientiert sich auch an Grundlagen eines Bekenntnisses, das sich in diesem Fall in der Katholischen Kirche als einer Körperschaft öffentlichen Rechts institutionalisiert.

Es ist also festzuhalten: Die KGS als Gegenstandsbereich stellt wissenschaftstheoretisch ein Phänomen innerhalb der pädagogischen Institution „Grundschule“ dar. Mit dem Begriff des Phänomens im allgemeinen Sinn sind hier komplexe Zusammenhänge eines Gegenstandes bezeichnet, deren Erforschung noch aussteht.23 Methodologisch greift diese Studie damit also auf eine „Phänomenologie“ zurück, worunter mit Friedrich W. Kron „die wissenschaftliche Untersuchung komplexer Gegebenheiten, also von Phänomenen der Lebenswelt in Bezug auf das, was ihnen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zugrunde liegt“24, zu verstehen ist.

Innerhalb dieser Studie werden demgemäß methodische Grundregeln einer pädagogischen Phänomenologie25 angewandt, und zwar in der Weise, wie sie von Friedrich Kron in ein siebenschrittiges Regelwerk überführt wurde. Forschungsmethodisch rekurriert diese Untersuchung auf einzelne Aspekte dieses phänomenologischen Leitfadens. Allerdings wird dieser Leitfaden nicht in seiner systematischen Reihung aufgegriffen, sondern im Sinne eines methodischen Kanons. Dieses auf sechs Module zusammengefasste Regelwerk ermöglicht eine Komplexitätsreduktion des Phänomens Katholische Grundschule durch:

•eine präzise Beschreibung des erkenntnisleitenden Interesses,

•Abgrenzungen von anderen Phänomenen (hier insbesondere der GGS),

•Rekonstruktion der geschichtlichen Zusammenhänge und Wurzeln der KGS,

•eine tunlichst genaue Deskription der staatlichen und kirchlichen Grundlagen und Grundsätze dieser Schulart,

•eine tunlichst genaue Deskription eines wissenschaftlichen Selbstverständnisses einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik im Hinblick auf das Phänomen KGS sowie

•die Herausarbeitung der Grundstruktur und der Bedeutung der Akteure auf dem Hintergrund gesellschaftlicher und anthropologischer Bedingungszusammenhänge.

Notwendig ist dabei insgesamt – aufgrund der verschiedenen wissenschaftlichen Verortungen der anzusprechenden Aspekte und Teilbereiche – ein interdisziplinärer Zugriff im Rückgriff auf relevante Einzeldisziplinen in Form einer textanalytischen Annäherung. Hier wird auf eine Hermeneutik der Textauslegung als „Spezialfall der Hermeneutik“26 zurückgegriffen, „denn das hermeneutische Verstehen macht den Kern des Erfassens von Erziehungswirklichkeit aus, dem phänomenologische Bestandsaufnahme und dialektisches Reflektieren zugeordnet sind“27. Konkret wird hier von historischen Texten und Quellen (Teil I), rechtlichen, theologischen und pädagogischen Grundlagentexten (Teil II) die Rede sein, ohne deren Verstehen und Auslegen eine Klärung der Frage nach den Propria einer KGS nicht möglich ist.28

Von welcher Literaturlage kann dabei ausgegangen werden? Betrachtet man die KGS NRW als Phänomen innerhalb des bundesdeutschen Schulsystems, so stößt man auf eine äußerst dünne Literaturlage „neueren“ Datums: In den 1970er Jahren befasste sich Wilhelm Wittenbruch gemeinsam mit Walter Werres29 in einer Studie explizit mit Fragestellungen einer Katholischen Grundschule. Ferner ist in diesem Zusammenhang das „Handbuch Katholische Schule“, ein von Rainer Ilgner30 herausgegebenes fünfbändiges Werk, bemerkenswert, in dem sich Wissenschaftler in einem multidisziplinären Zugriff verschiedener Facetten Katholischer Schule zuwenden. Allerdings liegt der Fokus in dieser – wie auch diverser anderer – Literatur eindeutig auf der Katholischen Schule in freier Trägerschaft. Nur in einigen Nebenbemerkungen wird – zudem eher selten einmal – auch auf die KGS Bezug genommen. So zeigt sich insgesamt, dass zwar die Katholische Schule als Schule in freier Trägerschaft regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war und ist, nicht aber die KGS. Weil es sich bei der KGS aber um ein Einzelphänomen besonderer Art handelt, der Staat Träger dieser Schulform ist, ist eine unreflektierte Subsumierung unter den Begriff „Katholische Schule“ wissenschaftlich unzulässig und ein Rückgriff auf diese Literatur nur in zu begründenden Einzelaspekten redlich und damit möglich.

Da es Ziel und Aufgabe dieser Untersuchung ist, die nordrhein-westfälische Grundschule in der Schulart einer Katholischen Grundschule historisch zu rekonstruieren, ihren gegenwärtigen Zuschnitt multiperspektivisch zu beschreiben, sie zu proprialisieren und schließlich zu performieren, richtet sich der Blick auf Teilbereiche31 einer Grundschulpädagogik: Befragt wird das grundschulische Handlungsfeld auf seine Akteure hin, auf die dahingehend relevanten grundschulpädagogischen, religionspädagogischen und theologischen Grundfragen und Grundlagen und auf die Aufgaben und Ziele einer grundschulischen Bildung und Erziehung. Ein – hinsichtlich dieser notwendigerweise zu untersuchenden Teilaspekte einer Grundschulpädagogik und Religionspädagogik – gezielter Blick auf die Literaturlage lässt in allen Einzelfragen einen unübersichtlichen Theorienüberschuss, eine große Komplexität innerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion und eine ebenso unüberschaubare Literaturlage erkennen. Die Herausforderung besteht nun darin, zu unumgänglichen wissenschaftlich begründeten Abgrenzungen und Einschränkungen innerhalb der Einzelthemen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen hinsichtlich der Akteure und Handlungsebenen von Grundschule zu finden. Der dazu notwendige Einsatz eines „wissenschaftstheoretischen Filterapparats“ ergibt sich aus der Fokussierung auf die Frage nach den Propria, den Spezifika einer KGS. Diese erkenntnisleitende Maxime bestimmt, markiert und begründet die Auswahl der Literatur sowie die notwendigen Zuschnitte und Eingrenzungen in den jeweiligen Teilbereichen.

1.4Aufbau der Studie

Die Studie ist insgesamt auf drei Teile hin angelegt:

Der erste Teil beschäftigt sich mit einer historischen Rekonstruktion des Phänomens „Katholische Grundschule“. Zu fragen ist nach den geschichtlichen Wurzeln der KGS als Grundschule innerhalb der Entwicklung des deutschen Schulsystems insgesamt und spezifisch nach ihrer nordrhein-westfälischen Schulgeschichte. Die Studie konzentriert sich auf die Fragestellung möglicher historischer Absichten der beiden Einflussgrößen Staat und Katholische Kirche mit Blick auf Wesen, Gestalt und Substanz (Propria) einer KGS. Dazu wird eine historische Einteilung vorgenommen, insofern insgesamt vier Phasen ihrer Geschichte Betrachtung finden: die Gründungsphase in der Weimarer Republik,32 ihre Nachkriegsentwicklung, sodann ihre Emanzipationsphase in den ausgehenden 1960er Jahren und schließlich ihre Etablierungsphase, die bis in die Gegenwart reicht.

Innerhalb dieser historischen Rekonstruktion sucht diese Studie nach den geschichtlichen Bau- und Konstruktionsplänen, den politischen, kirchenpolitischen, theologischen und gesellschaftlichen Bedingungen ihres Aufbaus und geht so den zeithistorischen Grundlagen einer auf Konfessionalität ausgerichteten Grundschule nach, um abschließend nach deren Bedeutung für die Gegenwart Katholischer Grundschule zu fragen.

Den Bedingungslagen Katholischer Grundschule der Gegenwart wird sich der zweite Teil dann eingehend widmen. Dabei trifft man in diesem Feld auf zwei Rechtsträger, die in ihrem und für ihren jeweiligen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich über eine eigene Jurisdiktion verfügen, also spezifische gesetzliche Grundsätze erlassen und freilich auch miteinander Vereinbarungen treffen. Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass in Deutschland keine Staatskirche besteht (§ 137 Abs. 1 GG), staatliches Recht also da seine Grenzen findet, wo es um innere Angelegenheiten der Kirchen, hier signifikant der Katholischen Kirche, geht. Als Körperschaft öffentlichen Rechts (vgl. § 140 GG) also obliegt der Katholischen Kirche im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Erlassung einer eigenen Rechtsordnung. Dieses Wechselspiel zwischen staatlicher und kirchlicher Jurisdiktion im Hinblick auf eine religiöse Bildung und Erziehung von Kindern im Bereich der KGS findet eine spannende Schnittstelle in der Frage nach dem vorrangigen Elternrecht (Art. 6 des Grundgesetzes) und der damit verbundenen Pflicht zur Erziehung der Kinder auf dem Hintergrund einer staatlichen Schulpflicht. Deshalb kommt der Frage nach den Elternrechten besondere Bedeutung zu.

 

Grundsätzlich unterscheidet diese Untersuchung zwischen dem Recht zur Erziehung und Bildung und dem Recht des Kindes als Rechtsträger auf Erziehung und Bildung. Daher wird den Kinderrechten in einem eigenen Abschnitt nachgegangen.

Dem rechtlichen Begründungs- und Bezugsrahmen schließt sich das vierte Kapitel an, welches sich – in Orientierung an eine eigenständige Grundschulpädagogik, wie sie sich in den ausgehenden 1960er Jahren durchsetzte – theologischen, pädagogischen und religionspädagogischen Grundsachverhalten und Grundlagentexten einer grundschulischen Erziehung und Bildung widmet. Die Grundschulpädagogik, die, im Bild gesprochen, die Operationsbasis dieser Studie bildet, stellt eine eigene wissenschaftliche Richtung dar, die sich den besonderen Lern- und Entwicklungsbedingungen von Grundschulkindern und den spezifischen Bedingungen, Aufgaben und Funktionen der Grundschule verpflichtet weiß und die von einer allgemeinen Schulpädagogik und Unterrichtsdidaktik zu unterscheiden ist. Aus dieser Grundannahme heraus ist im Sinne einer phänomenologischen Annäherung an eine Katholische Grundschule nach deren institutioneller Verortung innerhalb ihrer beiden Bezugsgrößen Staat und Kirche zu fragen. Hier richtet sich das Augenmerk zunächst auf zentrale Texte des II. Vatikanischen Konzils, dem wohl wichtigsten und entscheidendsten Großereignis der jüngeren Geschichte der Katholischen Kirche. In den zentralen Konstitutionen „Lumen Gentium“ und „Gaudium et Spes“ trifft die Katholische Kirche wesentliche Aussagen über ihr Selbstverständnis, ihren Auftrag und ihre Sendung, ihr Verhältnis zur Welt sowie zu anderen Konfessionen und Religionen. Dabei geht es in dieser Untersuchung keineswegs um eine allgemeine Darstellung dieser Texte. Vielmehr betrachtet diese Abhandlung die Konzilstexte auf der Folie „Katholische Grundschule NRW“ und arbeitet heraus, unter welchem genuinen Verständnis der Katholischen Kirche sich der Auftrag der KGS, nämlich „Unterricht und Bildung auf der Grundlage des Bekenntnisses“ zu gestalten, normativ realisieren muss.

Da die KGS keine Privatschule darstellt, sondern als staatliche Einrichtung den jeweiligen Bildungsprogrammen verpflichtet ist, werden in einem nächsten Schritt die aktuellen Richtlinien des Landes NRW deskribiert, dekonstruiert und interpretiert. In Bekenntnisschulen sind diese auf der Grundlage des jeweiligen Bekenntnisses zu lesen und auszulegen. Auf der Suche nach Propria der KGS werden im Rahmen dieses Kapitels die aktuellen Richtlinien daher daraufhin befragt, ob und in welcher Weise die „Grundsätze des Bekenntnisses“ zu einer Interpretation der Richtlinien beitragen können und auch müssen.

Die Grundschule als pädagogisches Handlungsfeld weiß sich ihren Akteuren als Handlungsträgern verpflichtet, denn natürlich sind es die Menschen auf der Meso- und Mikroebene von Schule, welche die pädagogische Gestalt einer Katholischen Grundschule maßgeblich bestimmen und prägen. Somit stellen sich die sehr wesentlichen Fragen nach einer „Anschlussfähigkeit“ der bislang erarbeiteten Grundlagen wissenschaftlicher Theorien und Theoriefelder einer Grundschulpädagogik an die zentralen Akteure. Dazu bedarf es zunächst einer Klärung der Begriffe „Person“, „Subjekt“ und „Identität“, weil es sich hierbei um anthropologische und theologische Grundkategorien handelt, die aus christlicher Sicht konstitutiv sind für ein Verständnis vom Menschen und die diesem Akteursverständnis zugrunde liegen.

Damit ist das phänomenologische Substrat Katholischer Grundschule erarbeitet und sind grundschulpädagogische und religionspädagogische Grundlagen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene für ein genuines Verständnis umfassend gelegt.

Im dritten Teil dieser Untersuchung werden die aus der rekonstruierten Historie resultierenden und die aus der Deskription der rechtlichen, theologischen, religionspädagogischen und grundschulpädagogischen Grundlagen gewonnenen Erkenntnisse in eine Performation Katholischer Grundschule überführt und damit die sie bestimmenden Propria und vorrangigen Optionen in ein handlungsbezogenes Modell eingebunden. Dabei wird auch nach den notwendigen Ressourcen und Ressourcengebern zu fragen sein, da die Antworten auf das, was (Propria) und wie (vorrangig optional) eine KGS normativ sein sollte und muss, auf allen Ebenen von Grundschule und mit Blick auf ihre Bezugsgrößen Staat, Kirche und Wissenschaft tief- und raumgreifend voraussetzungsvoll sind. Diese Studie stellt sich insgesamt der Herausforderung einer wissenschaftlichen, also theoretischen Untersuchung, deren Ergebnisse sich allerdings im Verständnis einer Grundschulpädagogik an einem für Katholische Grundschulen erkennbaren Theorie-Praxis-Verhältnis messen lassen sollen und müssen. Theologisch erweist sich dann an der KGS auch der Praxischarakter einer Theologie, sofern „es ihr gelingt, christliche Glaubenspraxis im Kontext gelebter Religion zu sehen“33 und – zielperspektivisch – die gegenwärtigen Herausforderungen einer KGS im Licht der Bibel und der kirchlichen Überlieferungen zu reflektieren und in eine Praxis grundschulischer Bildung und Erziehung einfließen zu lassen.

So will die hier vorgelegte Arbeit die Geschichte dieser Schulart und ihre Situation heute aufarbeiten, um auf diese Weise sinnvolle, wissenschaftlich begründete Kriterien zu ihrer substanziellen Bestimmung aufzustellen. Erst wenn solche spezifischen Merkmale, Propria Katholischer Grundschule, gefunden sind, lässt sich legitim über ihre Zukunftsfähigkeit nachdenken. Dies muss geschehen im Kontext einer „Grundschultheorie“, von der Ludwig Duncker34 berechtigt die Frage stellt, ob diese überhaupt schon geschrieben ist. Das Nachdenken über die Schulart Katholische Grundschule versteht sich insofern als ein Beitrag dazu.

TEIL IRekonstruktion

Müßiggang, dem Sprichwort nach „aller Laster Anfang“, wird gemeinhin wohl kaum mit dem Begriff „Schule“ in Verbindung gebracht. Und doch gehen die sprachlichen Wurzeln des Wortes „Schule“, griechisch scholé, auf diesen Ursprung zurück: Gemeint war damit zwar nicht eine Zeit des Nichtstuns, wohl aber eine nicht vordefinierte Zeit zweckfreien Tuns. Schule, so verstanden, als Einrichtung des zweckfreien Sich-Zeit-Nehmens für diverse Studien, insbesondere der Philosophie, Mathematik und Theologie, hat mithin eine lange Geschichte mit Wurzeln im antiken Griechenland; die Grundschule hingegen, wie man sie heute in Deutschland vorfindet, weist – was überraschen mag – eine vergleichsweise sehr junge Geschichte auf.

Doch obwohl dem so ist: Eine wissenschaftliche Untersuchung ihrer Wurzeln, die schul- bzw. ideengeschichtlich für sich genommen nun auch wiederum tief greifen und erst manches von dem verständlich machen, worum heute in der schulischen Landschaft gerungen wird, stellt ein Desiderat dar.35 Ihm stellt sich unter der hermeneutischen Voreinstellung, dass „Erziehung und Bildung ohne die geschichtliche Dimension nicht verstanden werden können“36, dieser erste Teil der vorliegenden Studie.

In Eingrenzung des Themas geht es dabei vorzüglich allerdings nur um die auf Konfessionalität ausgerichteten historischen Wurzeln einer Grundschule sowie die mit ihnen verbundenen pädagogischen Absichten und deren Bedingungsgefüge. Denn es ist das Anliegen dieser Studie, herauszuarbeiten, ob und inwiefern ein auf ein Bekenntnis ausgerichtetes, ideengeschichtliches Erbe einer Katholischen Grundschule substanziell ausgemacht werden kann, um im Anschluss daran prüfen zu können, ob und inwiefern dies heutigen grundschulischen Einrichtungen eine Orientierung in der Ausprägung ihres spezifischen Profils geben kann.

2Historische Wurzeln

Mit Karl-Heinz Nave wird eine historische Eingrenzung vorgenommen, die aus der Definition des Begriffs „Grundschule“ ableitbar ist: Die Institution Grundschule ist eine „organisatorisch nicht in wesensverschiedene Institutionen gegliederte (undifferenzierte) Elementarschuleinrichtung eines Staates“37. Von einer Grundschule im Sinne einer für alle Kinder38 verbindlichen, gemeinsamen und verpflichtenden Einrichtung (als Teil der Volksschule) kann somit erst im Kontext der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gesprochen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt besuchten – wenn überhaupt – die Kinder der ärmeren sozialen Schichten die Volksschule, die unter der Aufsicht der Kirche stand. Kinder aus den wohlhabenderen Familien hingegen besuchten diese Schulen in der Regel nicht, sie durchliefen beispielsweise sogenannte Vorschulen, die das Ziel der Vorbereitung auf das Gymnasium verfolgten. Auch Privatunterricht war für Kinder privilegierter Kreise des Adels und des reichen Bürgertums nicht selten.

Die Grundschule von Weimar als Bekenntnisschule wurde trotz des 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan geschlossenen Reichskonkordats, das den Erhalt und die Neuerrichtung von Konfessionsschulen rechtlich absicherte, in dieser Form aufgelöst und schließlich 1941 in eine achtjährige Volksschule überführt.39 Insofern lässt die Zeit des Nationalsozialismus keine deutliche Fokussierung auf den Aspekt einer „Grundschule als Bekenntnisschule“ zu und wird daher schulgeschichtlich in dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dessen Zusammenbruch stellte sich die Frage einer „Bekenntnishaftigkeit und Bekenntnisgebundenheit“ der Grundschule erneut. Die Besatzungsmächte, denen nach dem Krieg an der zügigen Wiedererrichtung der Schulen gelegen war, suchten in dieser Frage nach Lösungen, die man letztendlich in der „Zeit von Weimar“ fand.

1968 schließlich provozierten die Auflösung der Volksschule und die damit verbundene Gründung einer Grundschule innerhalb der Primarstufe und einer Hauptschule innerhalb der Sekundarstufe I des Bildungswesens – als jeweils eigenständige Schulformen – erneut die Frage nach der Bekenntnishaftigkeit einer staatlichen Regelschule.

So ergeben sich nun vier historische Abschnitte, in denen es die Grundschule als Bekenntnisschule zu untersuchen gilt:

•die Grundschule der Weimarer Republik (2.1 und 2.2),

•die Grundschule nach dem 2. Weltkrieg (2.3),

•die Grundschule in NRW von 1968 (2.4) sowie

•die Grundschule in NRW in den Folgejahren bis heute (2.4).