Das Elefantengrab

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Tetu wackelt auf dem Hintern, mit den Füßen voran, aus dem kleinen Nylonzelt. Was für eine Nacht. Der Rücken schmerzt, die Beine sind ihm abgestorben, sein Schädel brummt, kalter Schweiß klebt ihm auf der Stirn; und pinkeln müßte er schon lange.

Halbwegs im Freien, richtet er sich auf und setzt sich unter den Zelteingang, ein mißgelaunter Kloß, der trotzig zu Boden starrt. Er reibt sich die Augen aus, fuchtelt mit seinen Wurstfingern im Gesicht herum, ohne im trüben Dämmerlicht des Morgens irgend etwas zu finden, an dem sein Blick haftenbliebe und ihm das beruhigende Gefühl gäbe, es sei alles nur halb so schlimm, vielleicht ein Traum, der schon bald vergessen sei.

Wolken, am frühen Morgen. Hat die Regenzeit begonnen? Was hat er denn in dieser Einöde verloren, warum ist er überhaupt hier, ist er betrunken? Wäre es möglich, daß er die vielen Bierflaschen ausgesoffen hat? Acht, zehn, zwölf Flaschen, die um eine häßliche Feuerstelle in der Asche stecken? Zwölf Flaschen, er allein?

Tetu schließt die Augen. Irgendwo da unten müssen Sümpfe sein, und in den Sümpfen oder irgendwo dahinter muß ein Gemetzel stattgefunden haben. Ja, jetzt erinnert er sich wieder. Grauenvoll. Quälend, und immer noch einmal, heulten die Motorsägen von Wilderern auf, die Elefanten zersäbelten als wären sie Nichts; Fleischberge, denen man ein Paar Zähne aus dem Maul bricht. Mettler und er saßen im Dunkeln, zum Zuhören verdammt, und tranken Bier, eine Flasche nach der anderen. Dann, nachdem es endlich ruhig geworden war, verkrochen sie sich in ihr Zelt, verzweifelt und erschöpft.

Und jetzt? Mettler ist schon aufgestanden. Er, Tetu, schätzte den Weißen, weil er ihn für einen trägen Menschen gehalten hat, dessen Gelassenheit und Umsicht er liebte, und nun scheint sich Mettler auf der Suche nach Jill Parker in einen kopflosen und übereifrigen Abenteurer zu verwandeln. Es ist noch kaum richtig Tag, und schon hat der Msungu ein Feuer gemacht und Kaffee aufgesetzt. Ja, was soll denn diese Hast?

Mettler sitzt in Mbilas Landrover und bastelt an dessen Funkgerät herum. Mbila scheint das Funkgerät nicht zu benutzen, wenn es nicht überhaupt eine Blindpackung ist, um einen Luxus vorzutäuschen, den Mbila gar nicht braucht. Die Antenne ist abgebrochen, die Kontakte wackeln oder hängen lose aus dem Armaturenbrett, und die Skala der Frequenzen ist derart verstaubt, daß sich die einzelnen Wellenlängen kaum noch entziffern lassen. Doch Mettler kennt den Kasten. Die Anlage in seiner Piper Cup ist auch nicht besser, und nachdem er an den Drähten herumgezogen, sie gesäubert und neu verschraubt hat, beginnt immerhin der Lautsprecher zu rauschen. Mettler verlängert die abgebrochene Antenne mit einem Kupferdraht, den er aus seiner Plastikisolierung schält. Er steckt die beiden Enden des Drahtes in das Antennenstück, verkeilt sie mit einem Hölzchen, und, siehe da, das Rauschen verstärkt sich.

Das Kaffeewasser kocht. Mettler klettert aus dem Wagen und schlendert zur Feuerstelle. Er wünscht Tetu, der immer noch vor dem Zelt hockt, einen guten Morgen, als der Kasten zu knacken beginnt. Eine undeutliche Stimme. Danach eine aufgeregte, ungeduldige, die Mettler nicht versteht, die aber die andere, die undeutliche, plötzlich hellwach rufen läßt: «Was? Was sagst du? Wiederholen bitte, wiederholen.»

Und die Wiederholung, die, immer noch undeutlich, dafür gut gebrüllt, durch den Äther geschickt wird, läßt auch Mettler herumschnellen und zum Auto zurückeilen. Er dreht den Lautsprecher auf, winkt Tetu zu sich und schreit: «Los, ich glaube, sie haben sie, sie haben Jill gefunden.»

Tetu steht brummend auf und wackelt zu Mbilas Landrover hinüber, in dem Mettler vor dem Funkgerät kauert und angestrengt ein Gespräch verfolgt, das unvollständig und schlecht verständlich ist.

«Punkt 81, eine Meile nördlich des Äquators. Over.»

«Auf Buschpfad Richtung Ost. Over.»

«Buschpfad Richtung West. Over.»

«Circa zwei Meilen. Over.»

«Zwei Meilen. Over.»

«Furt Ura Sand River. Over.»

«Ura Sand River. Over.»

«Furt! Ura Sand River. Over.»

«Jaja, Furt. -- Weiter! Over.»

«Etwas oberhalb ...»

«Etwas oberhalb? Das ist ein alter Übergang. -- Wir kommen, sofort. Over.»

«Verstanden. Ihr kommt. -- Landen Ura Sand River. Over.»

«Ja, sehr gut, wir holen euch ab. Over and out.»

«Over and out.»

«Over and out.»

Mettler und Tetu schauen sich an. Tetu runzelt die Stirn und zieht die Schultern hoch. Wie kommt Mettler dazu zu glauben, irgend jemand habe die Forscherin gefunden? Wer landet beim Ura Sand River, wer holt wen ab? Kann das ‹over and out› nicht ebensogut eine Botschaft der Wilderer sein?

Mettler hat bereits die Parkkarte des Mulika Range Nationalparks auf der Motorhaube des Landrovers ausgebreitet. Der Ura Sand River ist ganz in ihrer Nähe, auch Punkt 81. Müßten sie nicht um das südliche Ende des Sumpfes herumfahren, könnten sie in einer halben Stunde dort sein.

Tetu läßt sich von Mettlers Eifer nicht anstecken. Punkt 81, was heißt das überhaupt? Ist das eine Aussicht, eine Straßengabelung, eine Notrufstelle? Und liegt er nicht exakt in der Richtung, aus der gestern Nacht die Schüsse kamen? Punkt 81: Ein Treffpunkt der Wilderer.

Mettler wühlt in Mbilas Landrover und sucht das Fernglas, das, er weiß es genau, zu Mbilas Ausrüstung gehört. Wer demnächst landen will, muß jetzt noch in der Luft sein. Vielleicht erkennt er die Maschine, vielleicht läßt sich so ausschließen, daß es sich bei der Meldung um eine Botschaft der Wilderer handelt? Zwischen Kaugummipapieren und verschütteten Trockenfrüchten findet Mettler das Fernglas, ein gutes, aber verschmutztes Glas, mit dem er sofort den Himmel abzusuchen beginnt. Ohne Erfolg. Im trüben Grau, das über der Steppe lagert und sich mit dem Himmel vermengt, verschmieren Wolkenschwaden und Akazien. Eine Maschine läßt sich nicht entdecken. Und dann erspäht sie Tetu doch. Auch ohne Glas. Auf der anderen Seite des Tals, über den Wäldern am Fluß, kaum mehr als vielleicht fünf, sechs Kilometer entfernt, sinkt ein rot-gelb gestreifter Ballon in die Savanne. Der Ballon der Kiriyaga Lodge, der einer kleinen, zahlungskräftigen Touristengruppe ein exquisites Vergnügen bietet. Und auf einen Kleber hinter der Frontscheibe des Landrovers zeigend, brummt Tetu: «Frühpirsch mit anschließendem Sektfrühstück. -- Dein Funkspruch gilt wohl den Frühstücksköchen der Kiriyaga Lodge.»

Mettler ärgert sich. Immer diese Miesmacherei, diese schlampige Bequemlichkeit, abgestumpft und dickfellig. Er, Mettler, hat keine Lust, hier seine Zeit zu vertrödeln. Wenn der alte Fettarsch ausschlafen will, bitte, soll er doch zu Hause bleiben. Und während Tetu seine Kleider ausklopft, eine Tasse Kaffee schlürft, drängt Mettler zum Aufbruch. Er zieht die Heringe des Zeltes aus dem Boden -- jaja, schau du nur, du trinkst meinen Kaffee. Ich arbeite -- faltet das Oberzelt zu einem Rechteck und schlägt die Plane ein. Schon liegen die Zeltstangen und das Oberzelt auf dem gefalteten Bodentuch, Mettler beginnt, das Ganze zu einer Wurst zu rollen, als er zurückschreckt. Direkt vor seinem Gesicht steht ein grauschwarzer Skorpion, der sich unter der Plane verborgen hielt. Kampfbereit, mit aufgestelltem Stachel, droht er mit klappenden Scheren.

Tetu, der Mettler mürrisch und gereizt zugeschaut hat, schüttelt den Kopf. Was hat er denn jetzt schon wieder? Warum glotzt er wie versteinert in den Sand? Dann erschrickt er ebenfalls. Der Skorpion ist groß, seine Fluchtwege sind versperrt. Wer weiß: Vielleicht reagiert ein Msungu auf das Gift empfindlicher als ein Afrikaner? Tetu läuft zum Wagen, sucht in der Kochkiste mit Vorräten und Kochgeschirr nach einem Glas und schleicht damit zu Mettler. Mit einer raschen Handbewegung stülpt er das Glas über das Spinnentier.

Der Skorpion zuckt zusammen, greift an, stutzt, will fliehen. Das gläserne Gefängnis ist eine Falle, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nachdem er sich ein paar Mal um die eigene Achse gedreht und mit seinen Scheren die Glaswände abgetastet hat, verharrt er in der Mitte seines Gefängnisses. Zwei, drei, vielleicht fünf Sekunden bleibt er stehen, erstarrt in einer eigenartigen Anspannung von Ratlosigkeit und Vorsicht. Dann wölbt er seinen stachelbewehrten Schwanz über seinen Leib, langsam und zögernd, verharrt einen letzten Augenblick und ersticht sich selbst.

Alice erschrickt. Zwei Angestellte des Hotels schleppen die leeren Bierkisten aus dem Getränkelager hinter der Küche in ein Motorboot am Strand. Das Geschepper der leeren Flaschen in den Kästen stört die morgendliche Ruhe, so daß Alice ans Geländer der Terrasse eilt, und ihre Angestellten bittet -- sie ruft die beiden ‹Sünder› beim Namen -- sie sollten leiser sein.

Alice ärgert sich. Sie glaubt zu wissen, daß sie ein gutes Arbeitsklima haben, die Kompetenzen sind klar, ihre Löhne anständig. Umso weniger versteht sie, warum solche Kleinigkeiten, die sie den Leuten schon hundertmal gesagt hat, nicht befolgt werden. Vor allem da sie und Mettler sich bemühen, nicht die Unerreichbaren zu spielen. Im Gegenteil, sie pflegen ein geradezu kameradschaftliches Verhältnis zu ihren Angestellten, von denen sie die meisten schon von früher kennt. Aber das Rafiki ist ein Hotel. Die Gäste sind hier, um sich zu erholen. Sie und Mettler, aber auch ihre Angestellten, haben sich nach den Wünschen der Kunden zu richten und nicht umgekehrt.

Zu keiner Tageszeit vermißt sie Mettler so sehr wie jetzt. Normalerweise bringt ihr Mettler, der vor ihr aufsteht, Kaffee kocht und die Zeitungen holt, eine Tasse ans Bett und legt sich noch ein bißchen zu ihr. Sie besprechen die anfallenden Arbeiten des Tages oder sorgen sich um ihren Sohn Ali. Mettler und Ali verstehen sich nicht gut. Ali ist ohne Vater aufgewachsen, läßt sich von Mettler nichts sagen; Mettler möchte Ali helfen, aber weiß nicht wie. Zur Zeit besucht Ali in der Schweiz ein Internat, damit er später in Luzern oder Lausanne an die Hotelfachschule gehen kann, aber die Briefe, die sie aus der Schweiz erhalten, geben wenig Anlaß zu derart hochfliegenden Plänen.

 

Oft nützen sie die ruhigen Stunden -- wenn nicht gerade Bierkästen verladen werden -- um einander zu verführen, gehen auf Entdeckungsreisen, wie Mettler ihre Liebkosungen nennt. Ein Kindskopf. Und hätte sie nicht die Erfahrung gemacht, daß er sich immer wieder an denselben Überraschungen freut, sie müßte verzweifeln. Oder war das gockelhafte Gehabe, mit dem Mettler sich vor Jill aufspielte, waren seine dümmlichen und gestelzten Schmeicheleien, schon Zeichen der Erschöpfung? War Jills Ironie, mit der sie Mettler behandelte, ein Versuch, sie zu täuschen? Sie kennt das. Weiße Frauen.

Die ‹rote Gazelle›, wie sie Jill heimlich nannte, versteckte sich für ihr Gefühl ein bißchen allzu fadenscheinig hinter einer Süffisanz, die nur schlecht verbarg, was sie von Männern erwartete.

Warum kamen Jill und Wipf nach ihrem Safaridebakel überhaupt noch nach Lamu? Die Beziehung Jills zu Fredi Wipf hielt sie nie für besonders glücklich. Benutzte die Parker Mettler, um sich von Wipf zu lösen? Als Mettler sich schließlich nicht entblödete, Jill auf der Hotelterrasse vor den Gästen den Hof zu machen, gab sie ihm den Ratschlag, er sollte sich die Parker, nachdem er sich so lange vor ihr aufgeplustert hatte, endlich nehmen. Mettler verstrickte sich in eine Flut geschwätziger Erklärungen, die beweisen sollten, daß er dies ja gar nicht wollte. Alice verstand ihn nicht.

Vor gut zwei Monaten tauchte Wipf mit dem Surflehrer Teddy Huber in Lamu auf. Der schneidige Schweizer eroberte Jill in wenigen Tagen, und Alice wunderte sich nicht, als es gerüchtweise hieß, Jill und Teddy würden heiraten. Mettler spielte den Gleichgültigen, Wipf schien einmal mehr getroffen.

Umso weniger versteht sie nun, weshalb Jills Verschwinden Mettler derart aus der Fassung bringt.

Der Holzpfahl Punkt 81 mit den verwitterten Straßenschildern, mitten in einem unberührten Niemandsland, ist ein geradezu grotesker Anblick. Punkt 81. Doch würden die ausgebleichten Wegweiser nicht auf die Straßenkreuzung aufmerksam machen, man würde den Buschpfad vom Hammerkop garden zur Ford Ura Sand river, der hier die etwas breitere Straße Ura gate -- Kiriyaga Lodge kreuzt, kaum entdecken. Nur wer den Park kennt, wird in den schmalen Pfad einbiegen, der von kleinen, weißrosa Blüten -- Papierblumen -- übersät ist, und von dem zu befürchten ist, daß er schon nach wenigen hundert Metern einfach ausgeht, sich im Kraut und Gestrüpp verliert.

Da der Umweg um die Sümpfe weit beschwerlicher war, als Mettler und Tetu angenommen hatten -- die Straße vom Ura Swamp Camp durch den südlichen Zipfel der Sümpfe zum Ura Parktor war in einem schlechten Zustand, da sie offenbar wegen der letzten Überfälle der Wilderer weder benutzt noch gepflegt worden war -- erreichten sie Punkt 81, gut eine Stunde nachdem sie den Funkruf eingefangen hatten.

Mettler und Tetu entdecken eine frische Spur durch die Papierblümchen in Richtung Ura Sand River, und, wider Erwarten, wird die Straße hinter dem Abbruch in die Senke besser. Zwei gut sichtbare Spurrinnen fallen in sanften Schwüngen vom Hochplateau ins Tal, in dem ein schmaler aber kräftiger Baumbestand den Verlauf des Ura Sand Rivers anzeigt. Mächtige, dunkelgrün leuchtende Feigenbäume, dichte Gruppen wilder Dattelpalmen ragen aus dem niederen Gestrüpp des Ufers oder unterbrechen die lichten Wälder der Fieberakazien, Musinen und Zedern, die sich in die Ebene tasten, in der sonst kaum noch Bäume wachsen. Da und dort ein Baobab, eine Kandelabereuphorbie, die auf einem Termitenhügel thront.

Schon von weitem erblicken sie den rot-gelb leuchtenden Ballon der Kiriyaga Lodge, auch einen graubraunen Landrover, und im Ufergebüsch, rotweiß, Jill Parkers Mietfahrzeug. Leute, Männer, die zwischen Landrover und Uferböschung hin- und herlaufen.

«Diese Idioten!»

schimpft Tetu: «Sie machen alles kaputt. -- Hup, hup! Damit die Kerle da unten mit ihrem Humbug aufhören.»

Die krächzende Hupe von Mbilas Landrover unterbricht die Tätigkeit der Männer am Fluß, die nun ihrerseits den Landrover sehen, der, eine gewaltige Staubfahne hinter sich herziehend, den Abhang herunterpoltert, vom Weg abweicht und durch die Steppe auf die Unfallstelle zuschießt. -- Mettler und Tetu springen aus dem Wagen. Tetu schreit: «Was zum Teufel machen Sie da? Hören Sie sofort mit dem verdammten Unsinn auf.»

Und Mettler, nicht weniger aufgeregt, brüllt: «Jill! Wo ist sie? Habt ihr Jill gefunden?»

Die Männer am Ufer haben eine freundlichere Begrüßung erwartet.

«Pole, pole!»

versucht Joseph Mbila, der Manager der Kiriyaga Lodge, das seines Erachtens unangebrachte Geschrei zu dämpfen: «Immer mit der Ruhe. Vielleicht bedankt ihr euch erst einmal bei den Entdeckern von Jill Parkers Wagen. Bei unserem Piloten, Mister Kapur Singh. Und bei Mister Huber aus Mombasa.»

«Bei Huber? Teddy Huber, dem Surflehrer ...»

Mettler und Tetu schauen sich verdutzt nach den Leuten um.

«So ist es, meine Herren. -- Wenn ich denn einmal vorstellen darf, Mister Huber, der Bekannte von Miss Parker. Gestern Abend, kurz nachdem ihr aufgebrochen seid, tauchte Mister Huber in der Lodge auf und verlangte, daß er und Singh in unserem Ballon solange über dem Park schweben, bis die Forscherin gefunden sei. Daß sie gleich bei Ihrer ersten Fahrt wenigstens den Wagen entdeckten, hätte keiner von uns für möglich gehalten. -- Mister Peter Hunt, der Ornithologe unsrer Lodge ...», Mbila zeigt auf einen hochgewachsenen, knochigen Weißen, der eine knappe, steife Verbeugung andeutet, «... Mister Hunt und ich begleiteten den Flug am Boden. -- Ich bin ja froh, daß Ihr unseren Funkruf empfangen habt, auch wenn eine Antwort auf dem alten Ding offensichtlich nicht mehr möglich war, aber ...»

«Und warum habt Ihr Jills Wagen aufgebrochen? Die Spuren zerstört. Warum wartet Ihr nicht, bis die Polizei hier ist?»

unterbricht Tetu den Manager.

«Wir, gar nichts haben wir zerstört. Die Polizei könnte es nicht besser.»

«Das entscheiden doch nicht Sie, mein Herr.»

Die Spuren von Jills Fahrzeug sind auf dem sandigen Boden nicht mehr zu erkennen, die Sträucher um den Wagen zertrampelt, obwohl sich die selbsternannten Hobbydetektive um eine Art Spurensicherung bemühten. Zum einen markierten sie mit frisch geschnittenen Zweigen mehrere Stellen im kurzen Gras der Steppe, zum anderen breiteten sie, weiß der Teufel welcher Strategie folgend, alle Fundsachen aus dem Wagen auf einer Plastikplane aus.

Tetu vermutet: Eine Idee des Surflehrers aus Mombasa. Er kennt diese Art Wasungus, die glauben, Kenia gehöre ihnen, Globetrotter, Hasardeure, Camel-Filter rauchende Helden, die der Meinung sind, sie könnten und dürften Alles. Einheimische sind nichts weiter als Farbtupfer in ihren Abenteuern, mit denen sie sich vor ihren Landsleuten brüsten. Daß so jemand glaubt, er sei dazu berufen, die polizeilichen Ermittlungen zu führen, zumal er mit Sicherheit von der kenianischen Polizei nichts hält, versteht sich von selbst. Und voller Erbitterung sagt er: «Derjenige, der die großartige Idee hatte, Jills Wagen aufzubrechen, möge uns doch bitte erklären, was er sich dabei gedacht hat?»

«Bitte sehr», meldet sich, beleidigt und mit hoher Stimme, der Vogelkundler Hunt: «Wenn die Herren denn so freundlich sind.»

Mettler grinst. Peter Hunt, den er von seinen Besuchen in der Lodge kennt. Ein passionierter Jäger, der die Flinte mit der Kamera vertauschte, Eulen nachsteigt und den Gästen der Kiriyaga Lodge jeden Abend einen faden Lichtbildervortrag hält. Ein dünner Professor auf dürren Stelzen.

Der Mietwagen Jills steckt mit allen vier Rädern unmittelbar hinter der Uferböschung im Sand. Hunt erklärt, daß Jills Wagen, wie er die Sache sehe, über die Böschung geschossen sei wie über eine Schanze.

«Die Räder wühlten sich in den Sand, die Achsen schlugen auf und der Wagen saß fest. Das Auto selbst blieb unbeschädigt, abgesehen von ein paar Kratzspuren auf dem Wagendach, die sich bei genauerem Hinschauen als SOS entziffern lassen, wenn ich auch zu behaupten wage, daß sie nicht von Jill Parker stammen, sondern zu einem früheren Zeitpunkt von irgendwelchen anderen Leuten, die in eine ähnliche Lage gerieten, herrühren, denn, meiner Meinung nach, deutet alles daraufhin, daß Jill Parker sich hier weder auf eine längere Wartezeit einrichtete noch in Gefahr befand. Eine These, die zu belegen ich gerne bereit bin. -- Der Wagen war ordnungsgemäß verschlossen, auch ließen sich in der näheren Umgebung keinerlei Hinweise auf Jill entdecken, zum Beispiel eine Feuerstelle. Interessant dürfte das Folgende sein. -- Wenn ich Sie denn bitten darf, mir ein paar Schritte in den Busch zu folgen.»

Hunt stelzt durch das kurze und spröde Ufergras zu einer der mit Zweigen markierten Stellen. Mit einem schlanken Grasrohr, das er aus dem Gebüsch knickt, deutet er wortlos auf einen kreisrunden Abdruck im Sand, einen gewaltigen Teller mit einem leicht welligen, runden Rand.

«Die Spur eines Elefanten, eines riesigen, schweren Tieres. Eine Fährte, wie ich sie noch nie gesehen habe. In diesem Zusammenhang darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Wachstum eines Elefanten während seines ganzen Lebens nicht aufhört. Ein großer Elefant ist immer auch ein alter Elefant.»

Hunt zeigt mit seinem Grashalm auf einen weiteren Punkt, der vielleicht etwa fünfzig Meter entfernt liegt, und, die kleine Schar seiner Zuhörer erneut um Aufmerksamkeit bittend, stolziert er zum nächsten Ort seiner Indizienkette, die Mettler und Tetu längst begriffen haben. ‹Hannibal was here.›

Mettler benutzt die kurze Unterbrechung, um den Surflehrer aus Mombasa zu begrüßen, Teddy Huber, der trotz seines Erfolges als Entdecker von Jills Wagen einen bekümmerten Eindruck macht. Er gibt ihm die Hand.

«Ich glaube, wir kennen uns.»

Die Anrede in seiner Muttersprache überrascht Huber, er reagiert verunsichert. Seine taubengrauen Augen flackern unwillig, der muskulöse, schöne Körper verspannt sich. Einen kurzen Atemzug lang. Dann lacht er, strahlt, jaha, er kennt so viele Leute. Mettler ist froh, daß Huber ihn nicht einordnen kann, ein Umstand, der ihm nur willkommen ist. Und schmunzelnd stellt er fest: Teddy Huber, blondgelockt und braungebrannt. Ein selten schöner Schweizer.

Der Ornithologe versammelt sein Auditorium mittlerweile vor der zweiten seiner Markierungen, einem fast fußballgroßen Elefantenködel.

«Die Losung eines Elefanten, eines sehr alten Tieres, was nach einer genaueren Analyse der Fäzes zu beweisen wäre. -- Der Speisezettel eines Elefanten beschränkt sich, wenn sich die letzte Generation seiner Mahlzähne aufbraucht, auf immer weniger Arten von Gras und Kräutern. Ein alter Elefant stirbt, weil er verhungert. -- Ich vermute nun, daß Jill Parker, dank einer glücklichen Fügung, wenn ich einmal das Steckenbleiben des Wagens so bezeichnen darf, hier dem alten Bullen Hannibal begegnete und seine Fährte aufnahm.»

Hunt räuspert sich und fährt fort: «Weil ich annahm, daß Jill eine Nachricht im Wagen hinterließ, habe ich angeordnet, den Wagen aufzubrechen. Doch leider scheint Jill Parker die Verfolgung des Elefanten aufgenommen zu haben, ohne einen Hinweis auf ihre Entdeckung zu hinterlassen. -- Wenn ich Ihnen denn nun zeigen darf, was wir im Wagen fanden, und nach welchen Gesichtspunkten wir die Gegenstände auf der ausgebreiteten Plastikbahn aufreihten.»

Tetu gähnt. Er bereut, daß er mit seiner Frage einen derartigen Sermon ausgelöst hat, dem er nun, so scheint es, ohne nicht erneut für unanständig gehalten zu werden, nicht mehr entrinnen kann.

Teddy Huber spielt gelangweilt mit einem Ring an seinem Finger, einem elfenbeinernen Skarabäus, einer Imitation eines altägyptischen Siegelrings. Die Erklärungen Hunts interessieren ihn nicht. Gewäsch eines Tierliebhabers.

«Wir bekommen Besuch», unterbricht er unfreundlich die Ausführungen Hunts und zeigt auf ein panzerartiges Fahrzeug, das den Ura Sand River entlang hoppelt. Der häßliche Safarilaster des Reiseunternehmers Fredi Wipf auf seiner Morgenpirsch. Auf der Ladebrücke hocken, quer zur Fahrtrichtung und nach hinten gestaffelt, Wipfs Abenteurer. Seit Tagen eingestaubt und verschwitzt, auf ihren Sitzen durchgeschüttelt, einzelne mit knallrot verbrannten Gesichtern und Armen. Eine stinkende Schar übermüdeter Leute. Sandbleche, Benzinkanister und Werkzeuge panzern die Seiten des alten Bedfords, während die Schnauze durch einen wuchtigen Rammbock mit Seilwinde verstärkt wurde, der dem Wagen ein insektenähnliches Aussehen gibt.

 

Wipf stoppt den Laster kurz vor dem Ura Sand River, klettert von seinem Fahrersitz und marschiert durchs Gras auf die Männer am Ufer zu. Ein stattlicher Mann in kurzen Hosen. Mitte fünfzig. Eine von Wind und Sonne gegerbte Haut, ein Fuchsgesicht mit einer langen, geraden Nase und eng beieinanderstehenden Augen.

Wipf begrüßt die Männer, die er alle beim Namen nennt, selbst Mettler schüttelt er die Hand, geradezu kameradschaftlich, wozu es eigentlich keinen Anlaß gibt. Einzig Tetu übersieht er, was bei dem großen, grauhaarigen Mann gar nicht so einfach ist. Mettler macht ihn auf sein Versäumnis aufmerksam: «Bevor du glaubst, du müßtest hier das Kommando übernehmen, begrüßt du vielleicht auch unseren Bekannten, den Chef der Kriminalpolizei von Lamu.»

«Oh, Entschuldigung, das war nicht meine Absicht. Robinson Njoroge, alles okay? -- Nun, was ist los, meine Herren, womit kann ich dienen?»

«Wir haben Jills Wagen gefunden.»

Die Nachricht, daß Jill Parker vermißt wird, scheint Fredi Wipf, der von einem zehntägigen Trip an den Turkanasee zurückkehrt, zu überraschen. Er kann seine Verwirrung kaum verbergen, seine Augen irren hilflos von einem zum anderen, dann fragt er tonlos: «Jills Wagen?»

«Ja, gewissermaßen», nickt Mbila, und, obwohl er Wipf und seine Touristen nicht mag, ein Konkurrent, der sich immer wieder als Kritiker seiner Kiriyaga Lodge aufspielt, fügt er tröstend hinzu: «Sie war hinter Hannibal her. Peter Hunt, der Ornithologe unsrer Lodge hat Spuren gefunden. Sie ist eine sehr eifrige Person, ich glaube nicht, daß ihr etwas zugestoßen ist. -- Wir nehmen an, daß sie versucht hat, zu Fuß ...»

«Habt ihr Spuren gefunden, die Uferböschung abgesucht? Wurde die Parkverwaltung informiert, die Polizei, wer außer euch sucht nach Jill?»

«Jawohl. Die Parkverwaltung. Die Polizeistation in Embu, abgesehen davon ist Mister Tetu hier ...»

«Was nützt uns hier ein Beamter aus Lamu, entschuldige Njoroge, aber ist doch wahr. -- Habt ihr versucht, den Wagen aus dem Dreck zu ziehen?»

«Er steckt fest.»

Wipf dreht sich wortlos um und geht zu seinem Wagen zurück. Er befiehlt seinen Touristen, sich festzuhalten, schwingt sich mit einem Satz hinter das Steuer des Bedfords, startet den Motor und fährt langsam auf die Uferböschung zu. Der Lastwagen kracht durch die Büsche, begräbt eine bestimmt an die fünf Meter hohe Fieberakazie unter sich, pflügt sich durch den Sand und rumpelt auf der anderen Seite des Flusses wieder in die Steppe hinaus. Wipf wendet den Wagen und fährt schnurgerade auf Jills Suzuki zu. Millimeter bevor der Bedford in den Fluß kippt, hält Wipf den Wagen an und springt aus der Fahrerkabine des Bedfords. Er löst bei laufendem Motor die Seilwinde und marschiert mit dem Abschlepphaken und Stahlseil zu Jills Wagen, hängt den Haken in die dafür vorgesehene Öse und eilt zum Lastwagen zurück. Er legt, immer in Eile, als ob er unter Zeitdruck stände, bei der Seilwinde einen Hebel um und reißt den Mietwagen aus dem Sand, zieht ihn, trotz der blockierten Räder, durch den Fluß die Böschung hoch bis zu seinem Lastwagen, wo die mittlerweile wieder munteren Touristen Wipfs jüngste Heldentat johlend und begeistert feiern.

Mettler beobachtete fasziniert und verärgert zugleich die verschiedenen Reaktionen Wipfs, um schließlich mehr für sich als zu Tetu zu murmeln, sich für seine mißgünstige Bemerkung schon schämend, bevor er sie richtig formuliert hat: «Großartig, unser Wipf. Der Safariabenteurer, Exrennfahrer, Tierfilmer und Trophäenjäger; der ‹Jäger›, der sich im Busch auskennt und alles kann und weiß.»

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?