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FLXX 6 | Schlussleuchten von und mit Peter Felixberger

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Die Bourgeoisiestücke nacheinander an einem Schaschlikspieß aufreihen.

Für die Arbeitergewürzmischung benötigen wir Fenchelsamen, schwarze Pfefferkörner, Senfkörner, Thymian, Oregano und einen Hauch Chiliflocken. In der Pfanne gemeinsam anrösten und dann direkt auf das Filet auftragen. Keine Angst: Die Arbeitergewürze sind es gewohnt, erhitzt zu werden. Allerdings: Nicht zu stark rösten, sonst verlieren sie ihr demokratiestabilisierendes Aroma.

Zwischengang:

Volkssuppe

Zutaten für zwei Personen:

1 freier und gleicher Wirsing

500 Gramm speckige Kartoffeln, die bereit sind,

ihre Aromamacht vollständig abzugeben

1 richtig vernünftige Stange Lauch

250 Gramm tugendhafter Grünkohl

Gemüsebrühe aus den Arbeitergewürzen

3 Esslöffel wohlgeordnete Butter zum Andünsten

Salz und Pfeffer nach Geschmack

Das Rezept stammt von John Rawls und ist Ausdruck einer neuen emanzipierten Küche, wie man sie heute in ambitionierten Restaurants nicht nur in Großstädten findet. Rawls, der das streng hierarchische Küchenregiment seines Vaters nicht aufrechterhalten wollte, kam nach einigen Lehr- und Wanderjahren in das elterliche Restaurant zurück. Er führte dort eine wohlgeordnete Demokratie ein, in der alle Mitarbeiter die gleiche Freiheit und Gerechtigkeit akzeptieren und anerkennen. Alle kooperieren im Rahmen einer demokratischen Vernunft, die unverrückbar ist. Das, so Rawls, sollte auch auf seine Gerichte zutreffen. Seine Volksküche basiert deshalb auf der Idee, jede Zutat so miteinander zu verketten, dass auch die Schwächsten fortlaufend bessergestellt werden. Es herrscht also eine unbedingte, faire Chancengleichheit aller Zutaten. Selbige erklären sich wiederum bereit, so miteinander zu kooperieren, dass jede Zutat im Rezept noch geschmacklich spürbar ist, aber gleichzeitig dem gesamtsouveränen Geschmack das Zepter übergeben wird. Der Geschmack ist sozusagen nachhaltig integriert, ohne besonderen Wert darauf zu legen, sich grandios selbst entfalten zu wollen.

Wirsing putzen und in Streifen schneiden, vorher den möglicherweise egoistischen Strunk entfernen. Kartoffeln schälen und kurz in die aufgehende Sonne legen. Grünkohl grob hacken, damit aus der Tugend kein Terror ausströmen kann. Den Lauch in gleichmäßig vernünftige Ringe schneiden, in Butter kurz anschwitzen. Nicht zu stark, damit die Vernunft nicht gleich wieder verbrennt. Alles in einen Schmelztiegel und mit Gemüsebrühe aus den Arbeitergewürzen aufgießen. So lange leicht kochen, bis das Gemüse gerade noch bissfest ist. Wenn das Gemüse verkocht, schmeckt die Volkssuppe fad und kann nur mit scharfen und extremen Gewürzkräften wieder reanimiert werden. Achtung: Akute Demokratiegefährdung. Lieber die verkochte Suppe wegschütten und neu zubereiten.