Parodontologie von A bis Z

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Literatur

1. Jepsen S, Caton JG, Albandar JM et al. Periodontal manifestations of systemic diseases and developmental and acquired conditions: Consensus report of workgroup 3 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S219–S229.

2. Yoneyama T, Okamoto H, Lindhe J et al. Probing depth, attachment loss and gingival recession. Findings from a clinical examination in Ushiku, Japan. J Clin Periodontol 1988;15:581–591.

3. Löe H, Anerud A, Boysen H. The natural history of periodontal disease in man: prevalence, severity, and extent of gingival recession. J Periodontol 1992;63:489–490.

4. Müller H-P, Heinecke A, Schaller N et al. Masticatory mucosa in subjects with different periodontal phenotypes. J Clin Periodontol 2000;27:621–626.

5. Khocht A, Simon G, Person P et al. Gingival recession in relation to history of hard toothbrush use. J Periodontol 1993;64:900–905.

6. Levin L, Zadik J. Oral percing: Complications and side effects. Am J Dent 2007;20:340–344.

7. Valderhaug J. Periodontal conditions and carious lesions following the insertion of fixed protheses: a 10-year follow-up study. Int Dent J 1980;30:209–213.

8. Stetler KJ, Bissada NB. Significance of the width of keratinized gingiva on the periodontal status of teeth with submarginal restorations. J Periodontol 1987;58:696–700.

9. Freedman AL, Green K, Salkin LM et al. An 18-year longitudinal study of untreated mucogingival defects. J Periodontol 1999;70:1174–1176.

Diagnostik


Peter Eickholz, Katrin Nickles


Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände9

Einleitung

18 Jahre nach dem letzten Klassifikationsworkshop fand vom 8. bis zum 11. November 2017 in Chicago, Illinois, USA, der von der American Academy of Periodontology (AAP) und der European Federation of Periodontology (EFP) organisierte „World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions“ statt1. Auf dieser Konsensuskonferenz wurde von 110 Experten (Abb. 1), die aus der ganzen Welt zusammengekommen waren, eine neue Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände erarbeitet (Abb. 2)2. Die Klassifikation differenziert auf einer ersten Ebene in die parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände. Bei den parodontalen Erkrankungen und Zuständen wird dann in:

Abb. 1 Auf der Konsensuskonferenz in Chicago wurde von 110 Experten aus der ganzen Welt eine neue Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände erarbeitet: Prof. Tord Berglundh (Göteborg, Schweden) stellt dem Plenum die Klassifikation der periimplantären Erkrankungen und Zustände vor.

Abb. 2 Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände1,2.

 parodontale Gesundheit, Gingivitis und gingivale Zustände,

 Parodontitis sowie

 andere das Parodont betreffende Zustände

unterschieden (s. Abb. 2).

Auch die aktuelle Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems: ICD-10) umfasst parodontale Erkrankungen, deren Bezeichnungen zum Teil erheblich von der parodontologischen Nomenklatur abweichen. Die ICD-10 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellt und im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen sowie herausgegeben. Die Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation. Die ICD-10 wird seit dem 01.01.2000 zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung (§§ 295 und 301 Sozialgesetzbuch V) eingesetzt, insbesondere für die Zwecke des pauschalierenden Entgeltsystems G-DRG (German Diagnosis Related Groups). Für diese Zwecke wird die ICD-10-GM verwendet (GM: German Modification). Diese spezielle Ausgabe der ICD-10 beruht auf der deutschsprachigen ICD-10-WHO-Ausgabe, wurde jedoch für die Zwecke des Sozialgesetzbuches V deutlich verändert3.

Ab dem 01.01.2019 ist zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung die ICD-10-GM Version 2019 anzuwenden. Die parodontalen Erkrankungen sind dem Kapitel XI „Krankheiten des Verdauungssystems“ (K00-K93) zugeordnet und finden sich als Gingivitis und Krankheiten des Parodonts (K05) unter „Krankheiten der Mundhöhle, der Speicheldrüsen und der Kiefer“ (K00-K14)3.

Parodontale Erkrankungen und Zustände
Parodontale Gesundheit, Gingivitis und gingivale Zustände

Erstmals wird in der neuen Klassifikation gingivale Gesundheit definiert (Tab. 1 und 2, Abb. 3a), die auch im durch Parodontitis reduzierten Parodont nach erfolgreicher Behandlung hergestellt werden kann (Tab. 1, Abb. 3b). Beim reduzierten Parodont wird zwischen Zuständen, die nicht durch Parodontitis verursacht wurden wie Rezessionen (Abb. 3c), oder Zustand nach chirurgischer Kronenverlängerung und dem stabilen Zustand nach erfolgreicher Parodontitistherapie unterschieden. Bei Erkrankungen, für die es zwar eine Therapie, aber keine Heilung gibt (z.B. rheumatoide Arthritis, Parodontitis) können die Schwellenwerte, die zwischen Stabilität/Gesundheit und Gingivitis unterscheiden, anders sein als bei Nicht-Parodontitispatienten (Tab. 1). Beim stabilen Parodontitispatienten wird deshalb eine Sondierungstiefe von 4 mm ohne Bluten noch als gingivale Gesundheit bewertet. Bei den Erkrankungen der Gingiva wird zwischen der sehr häufigen plaqueinduzierten Gingivitis (Tab. 3) und den nicht plaqueinduzierten Gingivaerkrankungen (Tab. 4) unterschieden. Ohne effektive Plaquekontrolle werden die Zahnoberflächen schnell bakteriell besiedelt. Aus einer Situation klinischer Entzündungsfreiheit bei vollkommen intakten parodontalen Verhältnissen entsteht spätestens nach einem Zeitraum von 3 Wochen ungehinderter Plaqueakkumulation eine manifeste Entzündung der Gingiva (plaqueinduzierte Gingivitis)4.



Abb. 3a bis c a) Gesundheit im intakten Parodont; b) bei stabilem Zustand nach erfolgreicher Parodontitistherapie; c) im reduzierten Parodont, das nicht durch Parodontitis (hier: Rezessionen) verursacht wurde8.

Tab. 1 Diagnostische Kriterien für gingivale Gesundheit und durch dentale Plaque induzierte Gingivitis4.


Zustand des ParodontsGesundheitGingivitis
Intaktes Parodont
Sondierbarer Attachmentverlustneinnein
Sondierungstiefen (bei Ausschluss von Pseudotaschen)≤ 3 mm≤ 3 mm
Bluten auf Sondieren (BOP)< 10 %ja (≥10 %)
Röntgenologischer Knochenabbauneinnein
Reduziertes Parodont
Kein Parodontitispatient, (z. B. bei fazialen Rezessionen)
Sondierbarer Attachmentverlustjaja
Sondierungstiefen (alle Stellen und bei Ausschluss von Pseudotaschen)≤ 3 mm≤ 3 mm
Bluten auf Sondieren (BOP)< 10 %ja (≥ 10 %)
Röntgenologischer Knochenabbaumöglichmöglich
Erfolgreich behandelter stabiler Parodontitispatient
Sondierbarer Attachmentverlustjaja
Sondierungstiefen (alle Stellen und bei Ausschluss von Pseudotaschen)≤ 4 mm (keine Stelle ≥ 4 mm und BOP)≤ 3 mm
Bluten auf Sondieren (BOP)< 10 %ja (≥ 10 %)
Röntgenologischer Knochenabbaujaja

Tab. 2 Parodontale und gingivale Gesundheit4.

 

A. Klinische gingivale Gesundheit bei intaktem Parodont
B. Klinische gingivale Gesundheit bei reduziertem Parodonti. Stabiler Parodontitispatientii. Kein Parodontitispatient

Tab. 3 Gingivitis – durch dentalen Biofilm induziert4.


A. Allein mit dentalem Biofilm assoziiert
B. Beeinflusst durch systemische oder lokale Risikofaktoreni. Systemische Risikofaktoren (modifizierende Faktoren)(a) Rauchen(b) Hyperglykämie(c) Ernährungsfaktoren(d) Pharmakologische Wirkstoffe (verordnungspflichtig, nichtverordnungspflichtig, Partydrogen)(e) Geschlechtshormone (Pubertät, Menstruationszyklus, Schwangerschaft, orale Kontrazeptiva)(f) Hämatologische Zuständeii. Lokale Risikofaktoren (prädisponierende Faktoren)(a) Faktoren, die zur Retention dentalen Plaquebiofilms beitragen (z. B. überstehende Restaurationsränder)(b) Mundtrockenheit
C. Medikamentös induzierte Gingivavergrößerung

Tab. 4 Gingivale Erkrankungen – nicht durch dentalen Biofilm induziert4.



* systemische Beteiligung oder orale Manifestation systemischer Zustände

Eine Vielzahl spezifischer bakterieller, viraler und mykotischer Infektionen kann sich an der Gingiva manifestieren (Tab. 4).

Die ICD-10 unterscheidet die akute und chronische Gingivitis. Dabei werden die akute nekrotisierende ulzeröse Gingivitis (A69.1) und die Gingivostomatitis herpetica (Herpes simplex; B00.2; s. Tab. 4) in der Systematik nicht den parodontalen, sondern anderen Erkrankungen zugeordnet (Tab. 5)3.

Tab. 5 Gingivitis nach ICD-103.


K05.0 Akute Gingivitis
K05.1 Chronische GingivitisGingivitis (chronica):– desquamativa– hyperplastica– simplex marginalis– ulcerosao. n. A.

Parodontitis
Nekrotisierende Parodontalerkrankungen

Die nekrotisierenden Parodontalerkrankungen haben infektiösen Charakter, aber modifizierende Faktoren, insbesondere eine herabgesetzte Immunantwort, sind entscheidend in der Pathogenese. Mikrobiologisch spielen Spirochäten eine große Rolle, es wurden aber auch P. intermedia, Selemonas- und Fusobacterium-Spezies nachgewiesen. Innerhalb der Läsionen wurden vier Zonen differenziert:

1) die oberflächliche bakterielle,

2) die an neutrophilen Granulozyten reiche,

3) die nekrotische und

4) die spirochätere Infiltrationszone.

Die nekrotisierenden Parodontalerkrankungen (NG: nekrotisierende Gingivitis; NP: nekrotisierende Parodontitis; NS: nekrotisierende Stomatitis; Noma) werden nach folgenden Patientengruppen unterschieden: (a) chronisch, schwer kompromittierte Patienten (HIV-Infektion, AIDS, Immunsuppression, schwere Unterernährung, Virusinfektionen, extreme Lebensbedingungen), (b vorübergehend und/oder moderat kompromittierte Patienten (psychosozialer Stress, Ernährung, Rauchen, Angewohnheiten; Tab. 6). Die Diagnose der nekrotisierenden Parodontalerkrankungen erfolgt nach klinischen Kriterien: Nekrose und Ulkus der Interdentalpapillen (in 94–100 % der Fälle), Zahnfleischbluten (95–100 %), Schmerzen (86–100 %), Ausbildung von Pseudomembranen (73–88 %) und Mundgeruch (84–97 %). Extraorale Symptome sind eine regionäre Lymphadenitis (44–61 %) und seltener Fieber (20–39 %)5. Die ICD-10 listet die akute nekrotisierende ulzeröse Gingivitis unter „Sonstige Spirochätenkrankheiten“ (A65-69) und dort unter „Sonstige Fusospirochätosen“ auf (A69.1)3.

Tab. 6 Nekrotisierende Parodontalerkrankungen (NG: nekrotisierende Gingivitis; NP: nekrotisierende Parodontitis; NS: nekrotisierende Stomatitis; PAR: Parodontium)5,10.


KategoriePatientenPrädisponierende FaktorenKlinischer Zustand
Chronisch schwer immunkompromittierte PatientenErwachseneHIV+/AIDS mit CD4-Zellzahlen < 200 und nachweisbarer ViruslastNG, NP, NS, Noma (mögliche Progression)
Andere schwerwiegende systemische Zustände (Immunsuppression)
KinderSchwere Mangelernährung
Extreme Lebensumstände
Schwere (virale) Infektionen
Temporär und/oder moderat immunkompromittierte PatientenGingivitispatientenUnkontrollierte Faktoren: Stress, Ernährung, Rauchen, HabitsGeneralisierte NG (mögliche Progression zu NP)
Frühere nekrotisierende PAR-Erkrankungen, residuale Krater
Lokale Faktoren: Wurzelengstand, ZahnfehlstellungenLokalisierte NG (mögliche Progression zu NP)
Allgemeine prädisponierende Faktoren für nekrotisierende PAR-ErkrankungenNG (nur selten Progression)
ParodontitispatientenAllgemeine prädisponierende Faktoren für nekrotisierende PAR-ErkrankungenNP (nur selten Progression)

Parodontitis

Bei Belassen der bakteriellen Beläge auf den Zahnoberflächen persistiert die durch den oralen Biofilm induzierte Gingivitis. Dieser Zustand kann bei einigen Menschen über lange Zeiträume unverändert bestehen bleiben, ohne dass es zu Destruktionen kommt, während es bei den meisten später und bei wenigen Menschen früher zur Zerstörungen des Zahnhalteapparats kommt (Parodontitis). Das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen Gingivitis und Parodontitis ist die weitgehend irreversible Zerstörung des Zahnhalteapparats, die als Verlust klinischen Attachments und röntgenologischer Knochenabbau festgestellt wird. Beginn, Ausmaß und Geschwindigkeit der Zerstörung können sich von Person zu Person stark unterscheiden. Von 1970 bis 1985 wurde eine Gruppe von Arbeitern auf einer Teeplantage auf Sri Lanka, die praktisch keine Mundhygienemaßnahmen betrieben und deshalb alle Gingivitis hatten, beobachtet: 11 % entwickelten trotz jahrelang bestehender Gingivitis praktisch keine Parodontitis, während bei 81 % nur moderate parodontale Destruktionen festzustellen waren, die sich erst ab dem 40. Lebensjahr manifestierten. Nur 8 % der Teepflücker zeigten schwere Parodontitisverläufe mit rascher Progression bei erheblichen Gewebezerstörungen und Zahnverlust, die zum Großteil schon bei Heranwachsenden einsetzten und bereits bei jungen Erwachsenen zu erheblichen Zahnverlusten führten6.

Die Parodontitis wird nach Schweregrad und Komplexität in vier Stadien unterteilt (Stadium I bis IV; Tab. 7). Primär sollte dafür klinischer Attachmentverlust (CAL) zugrunde gelegt werden, falls dazu keine Angaben vorliegen, röntgenologischer Knochenabbau (Abb. 4a). Dabei kann das Ausmaß als lokalisiert (< 30 % der betroffenen Zähne), generalisiert (≥ 30 % der betroffenen Zähne) oder Molaren-Inzisiven-Muster (s. „lokalisierte aggressive Parodontitis“) beschrieben werden. Im Unterschied zur Klassifikation von 19997 wird nur approximaler klinischer Attachmentverlust berücksichtigt. CAL aufgrund von Rezessionen, die keine entzündliche Pathogenese haben müssen8, bleiben unberücksichtigt. Für die Berechnung des Ausmaßes wird die Zahl der Zähne und nicht die der Stellen zugrunde gelegt (Tab. 7). Nicht nur CAL und Knochenabbau determinieren den Schweregrad, sondern auch durch Parodontitis eingetretener Zahnverlust. Es ist nicht mehr möglich, eine Parodontitis durch Extraktionen in einen niedrigeren Schweregrad zu transferieren. Sondierungstiefen (ST) spielen wieder eine Rolle und markieren zusammen mit BOP (Bluten auf Sondieren) den Unterschied zwischen einem stabilen Zustand nach erfolgreicher Parodontitistherapie (s. Tab. 3 und 4) und Parodontitis (Tab. 7). Entsprechend der Geschwindigkeit der Gewebezerstörung werden drei Progressionsgrade unterschieden: Grad A: langsame Progression, Grad B: moderate Progression, Grad C: rasche Progression (Tab. 8)9,10.

 



Abb. 4a bis c Patientin im Alter von 24 Jahren mit generalisierter aggressiver Parodontitis18, Parodontitisstadium III (Molaren-Inzisiven-Muster) Grad C. a) Röntgenstatus: Knochenabbau bis ins apikale Wurzeldrittel an den Zähnen 16, 21 und 26 (Stadium III), im Unterkiefer geringerer Knochenabbau bis 50 % der Wurzellänge an Zahn 44, kein Zahnverlust, aber Sondierungstiefen ≥ 6 mm an Zahn 16, Grad-III-Furkationsbeteiligung an Zahn 16 und 26, distal Zahn 16 Knochenabbau 70 % der Wurzellänge (geteilt durch das Lebensalter = 2,9; Grad C). b und c) Klinische Ansicht: keine supragingivale Plaque, Destruktion überschreitet Erwartungen durch Biofilmauflagerungen (Grad C).

Tab. 7 Klassifikation der Parodontitis: Stadien basierend auf Schweregrad, Komplexität sowie Ausmaß bzw. Verteilung (CAL: klinischer Attachmentverlust; ST: Sondierungstiefe; KA: Knochenabbau; FB: Furkationsbeteiligung)1,9,10.


Tab. 8 Klassifikation der Parodontitis: Grade, die biologische Eigenschaften der Erkrankung widerspiegeln, wie Evidenz von oder Risiko für rasche Progression (CAL: klinischer Attachmentverlust; KA: Knochenabbau)1,9,10.


* Spezifische klinische Muster, die Phasen rascher Destruktion und/oder frühes Einsetzen der Erkrankung nahelegen (z. B. Molaren-Inzisiven-Muster; Fehlen eines zu erwartenden Ansprechens auf Standardtherapien zur Infektionskontrolle).

In der ICD-10 kommt Parodontitis noch als Chronische Parodontitis (K05.3) vor. Dazu werden gruppiert: Chronische Perikoronitis, Parodontitis complex, -simplex und -o. n. A. (ohne nähere Angaben). Ferner wird die Diagnose Parodontose (K05.4) aufgelistet. Ausdrücklich wird die „juvenile Parodontose“ eingeschlossen3. Als juvenile Parodontitis wurde ein Großteil der klinischen Bilder vor 1999 bezeichnet, die danach aggressive Parodontitis genannt wurden7. Parodontitis, die bereits bei Kindern und Jugendlichen auftritt, bei der die Zerstörung im Vergleich zum Lebensalter sehr fortgeschritten ist oder mehr Zerstörung festzustellen ist, als der vorhandene Biofilm erklären kann (Abb. 4), werden in der neuen Klassifikation mit einem Grad C gekennzeichnet (hohe Progressionsrate)9,10. Wie kann es sein, dass die ICD-10 für die infektiös-entzündliche Zerstörung des Parodonts eine Wortendung verwendet, die allgemein für degenerative Prozesse verwendet wird (-ose)? In vielen Fällen der Parodontitis mit hoher Progressionsrate besteht ein Missverhältnis zwischen der Menge der bakteriellen Ablagerungen sowie der klinisch sichtbaren Entzündung (Schwellung, Rötung) und dem Ausmaß der Gewebedestruktion. Dies führte dazu, dass der Begriff „Periodontosis/Parodontosis“ zum Teil synonym wie juvenile Parodontitis verwendet wurde11. Darüber hinaus gibt es noch Sonstige Krankheiten des Parodonts (K05.5) und Krankheit des Parodonts, nicht näher bezeichnet (K05.6)3.

Parodontitis als Manifestation von Systemerkrankungen

Viele angeborene (genetische Störungen, z. B. Papillon-Lefèvre-Syndrom)12 oder erworbene Systemerkrankungen wie beispielsweise HIV gehen mit gingivalen (s. Tab. 4) und parodontalen Manifestationen einher. Dabei wird erstmals zwischen Systemerkrankungen, die zu parodontalem Attachmentverlust durch Einfluss auf die parodontale Entzündung (z. B. Defekte der neutrophilen Granulozyten), Erkrankungen der Mundschleimhaut und Gingiva, des Bindegewebes (z. B. Ehlers-DanlosSyndrom Typ IV, VIII), Stoffwechsel- und endokrinen Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) und Erkrankungen unterschieden, die das Parodont unabhängig von der parodontalen Entzündung zerstören (z. B. Langerhans-Zell-Histiozytose; s. nachfolgenden Abschnitt und Tab. 9). Ebenfalls neu ist, dass psychosozialem Stress und Nikotinabhängigkeit eine eigene Rubrik mit entsprechenden ICD-10-Codes eingeräumt wird10,13. Die neutrophilen Granulozyten haben als erste Verteidigungslinie gegen bakterielle Infektionen eine besondere Bedeutung, deshalb gehen Defekte der Zahl oder Funktion dieser Zellen zumeist mit rasch verlaufenden Formen von Parodontitis einher12. Neben vielen seltenen Erkrankungen machen zahlreiche, auch häufigere Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 oder entzündliche Darmerkrankungen in dieser Kategorie die vielfältigen Wechselwirkungen von Parodontitis und Systemerkrankungen deutlich. Die neue Klassifikation listet zu jeder Systemerkrankung den entsprechenden ICD-10-Code auf. In der ICD-10 stehen hier die Grunderkrankungen im Vordergrund (Tab. 9).

Tab. 9 Systemische Erkrankungen und Zustände mit Auswirkungen auf den Zahnhalteapparat13.


KlassifikationErkrankungenICD-10-Code
1Systemische Erkrankung mit wesentlichem Einfluss auf parodontalen Attachmentverlust durch Einfluss auf parodontale Entzündung
1.1Genetische Erkrankungen
1.1.1.Erkrankungen mit immunologischen Funktionsstörungen
Down-Syndrom (Trisomie 21)Q90.9
Leukozyten-Adhäsionsdefekt-SyndromD72.0
Papillon-Lefèvre-SyndromQ82.8
Haim-Munk-SyndromQ82.8
Chediak-Higashi-SyndromE70.3
Schwere Neutropenien
– Kongenitale Neutropenie (Kostmann-Syndrom)D70.0
– Zyklische NeutropenieD70.4
Primäre Immunschwächeerkrankungen
– Chronische GranulomatoseD71.0
– Hyperimmunoglobulin-E-SyndromD82.9
Cohen-SyndromQ87.8
1.1.2.Erkrankungen der Mundschleimhaut und der Gingiva
Epidermolysis bullosa
– Epidermolysis bullosa dystrophicaQ81.2
– Kindler-SyndromQ81.8
PlasminogenmangelD68.2
1.1.3.Erkrankungen der Bindegewebes
Ehlers-Danlos-Syndrom (Typ IV, VIII)Q79.6
Angioödem (C1-Inhibitormangel)D84.1
Systemischer Lupus erythematodesM32.9
1.1.4.Stoffwechsel- und endokrine Erkrankungen
Glykogenspeicher-SyndromE74.0
Gaucher-KrankheitE75.2
HypophosphatasieE83.30
Hypophosphatämische RachitisE83.31
Hajdu-Cheney-SyndromQ78.8
1.2.Erworbene Immundefekte
Erworbene NeutropenieD70.9
HIV-InfektionB24
1.3.Entzündliche Erkrankungen
Epidermolysis bullosa acquisitaL12.3
Entzündliche DarmerkrankungenK50, K51.9, K52.9
Arthritis (rheumatoide Arthritis, Osteoarthritis)M05, M06, M15-M19
2Andere systemische Erkrankungen mit Einfluss auf die Pathogenese parodontaler Erkrankungen
Diabetes mellitus
– Typ 1E10
– Typ 2E11
2Andere systemische Erkrankungen mit Einfluss auf die Pathogenese parodontaler Erkrankungen
Übergewicht (Adipositas)E66.9
OsteoporoseM81.9
Emotionaler Stress und DepressionF32.9
Rauchen (Nikotinabhängigkeit)F17
3Systemische Erkrankungen, die unabhängig von Parodontitis parodontalen Attachmentverlust verursachen können
3.1.Tumore
Primäre Tumorerkrankungen der parodontalen Gewebe
– Orales PlattenepithelkarzinomC03.0-1
– Odontogene TumorenD48.0
– Andere primäre Tumoren der parodonta len GewebeC41.0
Sekundäre metastatische Tumore der parodontalen GewebeC06.8
3.2.Andere Erkrankungen der parodontalen Gewebe
Granulomatose mit PolyangiitisM31.3
Langerhans-Zell-HistiozytoseC96.6
RiesenzellgranulomeK10.1
HyperparathyroidismusE21.0
Systemische Sklerose (Sklerodermie)M34.9
„vanishing bone disease“ (Gorham-Stout-Syndrom)M89.5

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