Agile Schule (E-Book)

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Agile Vorgehensmodelle aus der Softwaretechnik

Kleinster gemeinsamer Nenner der agilen Vorgehensmodelle sind die im Agilen Manifest ausgedrückten Leitgedanken und Werte. Gemeinsam ist ihnen darüber hinaus, dass sie alle empirisch sind, also auf möglichst systematischem und datengestütztem Lernen aus Erfahrungen basieren, und dass damit iterativ, also in kleinen Zeitintervallen Inkremente entwickelt werden, die das Produkt um etwas für den Kunden Nützliches erweitern.

Scrum

Der Begriff «Scrum» steht symbolisch für das Gedränge im Rugby als Analogie für sich in komplexen Situationen erfolgreich selbst organisierende (Produktentwicklungs-)Teams. Besondere Rollen nehmen in Scrum der Product Owner, der im Sinne des Kunden und mit dem Ziel der Wertschöpfungsmaximierung entscheidet, was gemacht wird, und ein Scrum Master, der das Team wo nötig unterstützt, ein. Darüber hinaus beschreibt Scrum eine Reihe von Meetings und Praktiken. Die Selbstverpflichtung des Teams, seine Fokussiertheit sowie Offenheit, Respekt und Mut sind Werte, die besonders betont werden. Scrum stammt aus der Softwaretechnik, wird aber inzwischen auch in anderen Bereichen erfolgreich als Vorgehensmodell für das Projektmanagement verwendet.

Extreme Programming (XP)

XP hat viele Ähnlichkeiten zu Scrum, stellt aber neben Mut und Respekt direkte Kommunikation und Feedback ins Zentrum sowie Einfachheit, welche die Denkweise und den Codierstil der Entwicklerinnen und Entwickler prägt. Von den vielen XP-Praktiken ist Pair-Programming wohl die bekannteste.

Feature Driven Development (FDD)

Die Organisation der Produktentwicklung erfolgt bei FDD dem Namen entsprechend anhand einer Liste von Funktionalitäten, die nach und nach umgesetzt werden. FDD harmoniert, anders als Scrum oder XP, gut mit existierenden klassisch hierarchischen Projektstrukturen. Es erfordert keinen kulturellen Wandel der Unternehmen, hat insgesamt eine deutlich andere Ausprägung, kann aber bei agilen Vorgehensweisen verortet werden.

Verwandte Vorgehensmodelle

Kanban, Lean Management und Design Thinking bringen Ideen aus anderen produzierenden Bereichen, wie etwa der Autoindustrie, in die IT:

Kanban

Ziel des Kanban-Vorgehensmodells ist es, die Wertschöpfungskette eines mehrstufigen Prozesses kostenoptimal mittels Hol-Prinzip (Pull-Prinzip) ohne schwerfällige zentrale Planung zu steuern. Der Prozess wird dazu mithilfe eines Project-Boards und Karten, auf denen die zu erledigenden Aufgaben stehen, visualisiert. Da jeder Wechsel zwischen unterschiedlichen Aufgaben, die ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin quasi parallel bearbeitet, Zeit kostet, legt das Team eine maximale Zahl an Arbeiten fest, die jeder und jede gleichzeitig bearbeiten darf. Bis zu dieser Zahl können die Mitarbeitenden Aufgaben auf dem Board in die Spalte «In Bearbeitung» verschieben. Für Probleme wie beispielsweise Flaschenhälse im Prozess, die so sichtbar werden, überlegt sich das Team Maßnahmen, die es ergreifen will.

Lean Management

Die Methoden des Lean Managements zielen darauf ab, die Prozessorganisationen und das Qualitätsniveau zu verbessern, und sind heute weltweit verbreitet. Im Kern stellt Lean Management eine Unternehmenskultur dar, in der sich alle Tätigkeiten auf den Kunden ausrichten, in der die Teams im Rahmen dieses Unternehmensleitbildes eigenverantwortlich und autonom arbeiten und in der großer Wert auf offene Informations- und Feedbackprozesse gelegt wird, die die Basis kontinuierlicher Verbesserung sind.

Design Thinking

Design Thinking ist ein Ansatz für praktisches und kreatives Problemlösen, der in Projekten und anderen Kontexten, in denen es um Innovation geht, genutzt werden kann. Er stellt eine breite Palette an Methoden zur Verfügung, die sich durch Benutzerorientierung, Visualisierung, Simulation sowie durch iteratives und oft auch durch forschendes Vorgehen auszeichnen.

Wohin geht der Weg?

Während um das Jahr 2000 herum die Mehrheit der agil arbeitenden Teams in der Softwareentwicklung angaben, dass sie sich an Extreme Programming orientieren, war 2017 Scrum die meistgenutzte agile Methode. Je nach Umfrage arbeiten 85 Prozent oder mehr aller befragten Teams in der IT mit «Scrum», wobei jedes Team mit der Zeit sein eigenes Scrum entwickelt. Wie viel Software in den vergangenen Jahren prozentual mit klassischen bzw. mit agilen Vorgehensmodellen entwickelt wurde, ist schwer zu sagen. Ein Trend zeichnet sich jedoch klar ab: In der Softwareentwicklung gibt es kaum noch ein Unternehmen, in dem nicht zumindest einzelne Teams «agile Luft» schnuppern. Laut dem Unternehmen VersionOne, das seit 2006 jährlich eine Umfrage zum Stand agiler Softwareentwicklung durchführt, setzten im Jahr 2018 bereits 97 Prozent aller Unternehmen in der Softwareentwicklung agile Methoden ein. Die meisten amerikanischen IT-Riesen arbeiten agil, aber auch namhafte europäische und deutsche Unternehmen vergeben IT-Aufträge inzwischen bevorzugt an agile Teams und arbeiten selbst daran, agil zu werden. Über die Erfahrungen auf dem Weg dorthin gibt es bis heute einen regen Austausch auf Konferenzen und an «agilen Stammtischen», um auch Neulinge auf dem Weg zum agilen Denken und Handeln zu unterstützen. Für viele gilt in Anlehnung an die als Sprint bezeichneten Iterationen: «Wir sind einfach losgesprintet – und es hat gut geklappt.»

Wie verändert agiles Denken die Arbeit?

Sicherlich kann man hier aus heutiger Sicht viele Auswirkungen beschreiben, die auf die Verbreitung agiler Methoden zurückzuführen sind, und sie lassen sich je nach Fokus unterschiedlich gewichten. Im Folgenden werden deshalb nur exemplarisch zwei ganz unterschiedliche Aspekte aufgegriffen:

Agile Methoden haben sich in der zunehmend komplexen Welt, in der sich die Softwareentwicklung heute bewegt, bewährt. Selbst «einfache» Suchmaschinen sind inzwischen so komplex, dass auch Experten oft nicht mehr vorhersagen können, wie sich eine Änderung im Algorithmus auswirkt. Also formuliert man im Laufe der (Weiter-)Entwicklung Hypothesen, stellt die veränderte Suchmaschine für kurze Zeit online und wertet die Ergebnisse anschließend aus. Validiertes Lernen aus Experimenten ist eine unverzichtbare Methode moderner Softwareentwicklung geworden, die in klassischen Vorgehensmodellen kaum Platz findet. In agilen Methoden stellt die Freiheit zum Experimentieren hingegen einen Wert dar. Validiertes Lernen fügt sich auf natürliche Weise in die iterativ inkrementelle Entwicklung von Produkten mit regelmäßigen Feedbackschleifen ein, in welcher Kunde und Nutzer eine zentrale Rolle einnehmen.

Agile Methoden stoßen in IT-Unternehmen einen kulturellen Wandel an. Dieser Wandel hat in der Softwareentwicklung sichtbar positive Wirkungen gezeigt, sodass sich die Ideen inzwischen (obwohl Lean Management sie bereits Mitte des letzten Jahrhunderts aufgegriffen hat) auch im modernen Management und außerhalb der IT-Branche wiederfinden. Bildlich gesprochen: Schwerfällige Tanker, in denen oben auf der Brücke getrommelt und unten gerudert wird, sind in bewegter See zu träge. Stattdessen setzt man auf viele kleine, autonome Teams in Kanus, die eigenverantwortlich rudern. Die Klammer, die diese Kanus «lose zusammenhält» und Richtung Ziel lenkt, ist die Kommunikation. Statt als feste Rolle wird Führung als temporäre und «dienende» Aktivität gesehen, die jeder und jede von Zeit zu Zeit ergreift. Agile Unternehmen schätzen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sie vertrauen ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement, setzen auf ihre Motivation und sorgen für ein Klima, in dem offen, respektvoll und transparent kommuniziert wird und Erfolge auch gefeiert werden. So macht Arbeit einfach mehr Spaß!

2.2 Agiles Arbeiten – ein Zusammenspiel aus Werten und Praktiken
Agile Werte

Agile Projekte zeichnen sich nicht nur durch den Einsatz verschiedener agiler Methoden aus, auch wenn diese am sichtbarsten sind, wie etwa die vielen bunten Klebezettel an einem Board. Vielmehr basieren agile Projekte auf einer Reihe von Werten, welche die grundlegende Orientierungs- und Entscheidungshilfe für agile Teams auf ihrem selbstgestalteten Weg zum gesetzten Ziel bilden. In Form von konkreten und erprobten Techniken werden die Werte umgesetzt und die agilen Teams bei ihrer Selbstorganisation ideal unterstützt.

Unter Werten werden grundlegende erstrebenswerte Merkmale und Eigenschaften agiler Projekte subsumiert. Typisch positive personenbezogene Wesensmerkmale wie Eigenverantwortung, Zielstrebigkeit, Offenheit und Respekt sind damit korreliert und tragen zu einer positiven Unternehmens- bzw. Schulkultur bei. Als die beiden zentralen Werte agiler Methoden gelten Kommunikation und Einfachheit. Gemeinsam mit den Werten Feedback, Selbstorganisation und Transparenz werden sie nicht nur in der Softwarepraxis gelebt, sondern bilden auch die Basis für die Agile Schule. Darüber hinaus können in agilen Projekten je nach Schwerpunktsetzung auch andere Werte wie bspw. Commitment, Mut oder Fokus wichtig werden.


Abbildung 2.3: Werte, auf die sich die Prinzipien und Methoden der agilen Projektarbeit beziehen

 

Im Folgenden werden die wichtigsten Werte der Agilen Schule genauer charakterisiert:

Kommunikation

Kommunikation ist die Grundlage für gemeinsames Arbeiten und Lernen. In agilen Projekten ist sie die Voraussetzung dafür, dass Wissen regelmäßig und bestmöglich ausgetauscht und innerhalb des Teams verteilt wird. Bei der Übernahme klassischer Vorgehensmodelle wird mitunter auch in Schulen versucht, durch die fließbandartige Abarbeitung von Dokumenten wie Lasten- und Pflichtenheft, Modellen, Klassendokumentationen und Anderem die zwischenmenschliche Kommunikation zu ersetzen. Für agiles Vorgehen ist dagegen die direkte Kommunikation aller Beteiligten zentral. Sie sollte regelmäßig, zielorientiert, offen, ehrlich, und respektvoll erfolgen. Das betrifft auch die Absprachen über (Zwischen-)Ziele und Machbarkeiten im Projekt sowie den Austausch über Einschätzungen, Lösungswege, Entscheidungen und Probleme mit den Teammitgliedern.

Einfachheit

Um Ziele zu erreichen, ist Einfachheit sowohl bei der inhaltlichen Arbeit als auch bei der organisatorischen Durchführung eines agilen Projekts zentral. Dabei ist die Leitfrage des KISS-Prinzips («Keep it small and simple») hilfreich für die Fokussierung auf das Wesentliche: Kann ich es sinnvoll einfacher gestalten? Konkret soll in der inhaltlichen Umsetzung nur das implementiert werden, was für die unmittelbare Zielstellung benötigt wird. Unnötige Details hingegen gefährden den Projektfortschritt. Gibt es mehrere Lösungswege, so ist der einfachere zu bevorzugen; er ist leichter nachzuvollziehen und zu verstehen. Dadurch werden später auch die Fehlersuche, das Erweitern und die Pflege erleichtert. Auch zur Projektorganisation werden nur diejenigen Techniken und Praktiken herangezogen, die einen Mehrwert bieten. Welche das sind, muss abhängig vom konkreten Projekt entschieden werden bzw. kann nach Reflexionsphasen angepasst werden. Beispielsweise kann in der Schule auf Rollen, wie sie in Scrum existieren, weitestgehend verzichtet werden.

Feedback

Feedback ist eine der konstruktivsten Formen der Kommunikation und grundlegend für individuelle und gemeinsame Lern- und Weiterentwicklungsprozesse. In sequenziell verlaufenden Projekten erhalten die Teams erst beim Abschluss ein Feedback. Stärken und Schwächen bei der Planung etwa werden so zwar benannt, aber die Gelegenheit, daraus Gelerntes unmittelbar anzuwenden, wurde verpasst. In agilen Projekten werden die Phasen zyklisch in ↑ Iterationen durchlaufen, um das Zwischenprodukt (↑ Prototyp) schrittweise zu erweitern, woraus sich eine regelmäßige Rückkopplung ergibt. Unmittelbare Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler hat die frühe Rückmeldung auf der Ebene der umgesetzten Lösungen, die sie in agilen Projekten in der Beurteilung der Zwischenprodukte im Review (↑ Reflexion) erhalten. Feedback auf (Selbst-) Steuerungsebene bezieht sich auf die Selbstorganisation und Selbstreflexion des Teams und des Einzelnen und kann ebenso wie Feedback auf der Personalebene in den Retrospektiven (↑ Reflexion) gegeben werden.

Selbstorganisation

In klassischen professionellen Projekten, die in Phasen verlaufen, gibt es Taktgeber: Das Entwicklerteam trifft kaum organisatorische Entscheidungen, sondern setzt lediglich von Vorgesetzten genehmigte Pläne in vorgegebenen Zeiträumen um, weshalb Selbstorganisation nur in begrenztem Umfang erforderlich ist. In Schulprojekten hingegen sind Selbstorganisation und Eigenverantwortung zwar seit jeher gewünscht, in der Umsetzung aber nur schwer zu erreichen, da konkrete, unterstützende Methoden fehlen. Agile Methoden beheben diesen Mangel. Sie helfen den Teams, in einem vorgegebenen Rahmen selbst zu entscheiden, welche Ziele sie sich setzen und wie sie ihre (Lern-)Arbeit inhaltlich und zeitlich gestalten und strukturieren. Da das Vorgehen in agilen Projekten transparent ist, erkennt auch der Agile Coach bzw. die Lehrkraft, welche Art der Unterstützung das jeweilige Team (noch) benötigt, bis die Selbstorganisation tatsächlich gelingt.

Transparenz

Klarheit über die Aktivitäten im Team, offene Kommunikation und aktiver Informationsaustausch sind entscheidend für den Erfolg kollaborativer Arbeit und kooperativen Lernens. Klassische, in Phasen ablaufende Projektarbeit ist vergleichbar mit einem U-Boot, das regelmäßig für längere Zeit abtaucht. Was in dieser Zeit passiert, ist von außen nicht einsehbar. In agilen Projekten hingegen sind Strukturen und Prozesse transparent, für die Teams (von innen) und die Lehrkraft/Projektleiter/Kunden (von außen). Jeder kann die Ziele und Abläufe sehen, da der Projektstand und die aktuellen Tätigkeiten visualisiert werden und so jederzeit auf einen Blick erfassbar ist, wer wann woran arbeitet, was noch zu tun ist und was bereits erledigt wurde. Probleme werden offen angesprochen, Entscheidungen gemeinsam getroffen und Wissen und Informationen werden aktiv untereinander geteilt. Dieses Hineinsehen und Verstehen ist für Schülerinnen und Schüler eine wesentliche Voraussetzung zur Partizipation, und für Lehrkräfte ist es die Basis, auf der sie entscheiden, welche Rolle für sie gerade passend ist: die eines Trainers, eines Coaches oder eines Beobachters. Insbesondere als Beobachter kann die Lehrkraft dank der Transparenz die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler verfolgen und somit ein fundiertes Feedback geben.

Agile Werte durch Praktiken und Techniken zum Leben erwecken

Der agile Prozess gibt einen Rahmen vor, in dem Projekte so strukturiert werden, dass zu jedem Zeitpunkt das Richtige richtig getan wird. Insbesondere mittels verschiedener Praktiken und Techniken zum Visualisieren, Austauschen und Nachdenken werden dabei die Agilen Werte zur Basis des Handelns gemacht.

Visualisieren

Eine zentrale Rolle spielen Praktiken und Techniken, die den Stand und die Aufgaben des gesamten Projekts und insbesondere des aktuellen Zyklus auf einen Blick erfassbar und damit für alle transparent machen. Das Visualisieren erfolgt in der Agilen Schule ebenso wie in professionellen Projekten durch das ↑ Project-Board mit seinen drei Spalten für geplante, in Arbeit befindliche und erledigte Aufgaben sowie durch priorisierte ↑ User-Storys und die Beschreibung damit verbundener Aufgabenpakete in Form von ↑ Tasks, für die Einzelne für alle sichtbar die Verantwortung übernehmen. Die Visualisierung unterstützt die Selbstorganisation, zeigt das Commitment des Teams bzw. der einzelnen Teammitglieder, fordert Einfachheit bei der Planung ein und sorgt für ein fokussiertes Arbeiten.

Austauschen

Ebenso wesentlich ist eine Reihe von Techniken und Praktiken, die den Austausch von Informationen und Wissen unterstützen, wobei sie jeweils nicht nur einen Anlass zur Kommunikation bieten, sondern diese auch strukturieren. So erfolgt der Austausch in der Agilen Schule analog zu professionellen agilen Projekten bspw. vor dem Hintergrund der täglichen Absprachen (↑ Stand-up-Meeting), zum Besprechen des Vorgehens bei der Projektumsetzung im Planungsmeeting (↑ Stand-up-Meeting und andere Besprechungsformen), beim Beschreiben und Diskutieren konkreter Umsetzungen (↑ Pair-Programming), beim Nutzen ↑ kollaborativer Werkzeuge, bei der Beurteilung des entwickelten (Zwischen-)Produkts im Review (↑ Reflexion) sowie bei der Reflexion des Arbeitsablaufs, der Zusammenarbeit und des Umgangs miteinander in der Retrospektive. Jede der Praktiken setzt auf Offenheit und Respekt im Gespräch, aber auch auf den Mut, beispielsweise Fehler anzusprechen und Wünsche zu artikulieren, sowie auf Fokussierung. Die Kommunikation sorgt für Transparenz und Feedback, da Informationen ausgetauscht, Entscheidungen gemeinsam getroffen und fachliche Probleme ebenso wie Stärken und Schwächen des Teams angesprochen werden.

Nachdenken

Der dritte zentrale Aspekt, das Nachdenken, löst insbesondere durch den ↑ iterativen Prozess regelmäßig ein «Inspizieren und Adaptieren» aus. Dieses macht das Team und seine Arbeit agil, indem es ein Lernen aus Fehlern und Erfahrungen unterstützt, ein Verbessern in kleinen Schritten ermöglicht und die Umsetzung von Änderungen begünstigt. Neben den kommunikativen Praktiken (↑ Reflexion in Review und Retrospektive) gehören dazu weitere wie ein konkretes Prüfen und Korrigieren der erreichten Ergebnisse bezüglich der geplanten Ziele (↑ Testen) vor einem Review, ein Überarbeiten der Struktur des Zwischenprodukts (↑ Refactoring), ein Beschreiben des Erreichten (↑ Dokumentation) und ein Überdenken und Ergänzen noch offener Aufgaben und ihrer Priorität.

Die agile Szene drückt das, was für sie Agile Werte und agiles Handeln bedeuten, gern auch in markanten Sprüchen aus (Abbildung 2.4).


Abbildung 2.4: Markante Sprüche aus einem Alltag mit Agilen Werten

Das Agile Schulmanifest

Das Agile Manifest von 2001 gilt als Start für einen Kulturwandel in der Softwareentwicklung. In der Agilen Schule sind Agile Werte essenziell für das Gelingen der Projekte sowie für die individuelle Entwicklung und den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler.

Auf Grund unserer Erfahrungen auf dem Weg zu besseren Projekten haben wir ein Agiles Schulmanifest formuliert (Abbildung 2.5). Es soll dazu anregen, den Wandel auch in der Schule einzuleiten:


Abbildung 2.5: Manifest für einen agilen Wandel in der Schule

2.3 Unternehmen werden agil – Beweggründe und Erfahrungen

Warum werden immer mehr Unternehmen – nicht nur solche aus dem IT-Bereich – agil? Was bedeutet «agil werden» und «agil sein» für sie? Wie gehen sie vor, welche Hürden gilt es zu überwinden und welche Erfahrungen machen sie? Wir, die Autoren, haben nicht die Erfahrung Agiler Coaches, die unterschiedlichste Teams dabei begleitet haben, agiles Denken und Handeln zu lernen, und deshalb aus dem Nähkästchen plaudern können. Wir haben auch nicht erlebt, wie es sich anfühlt, aus einem klassischen Prozess in einen agilen zu wechseln. Aber wir haben Kontakt gesucht zu Profis aus der Praxis und haben insbesondere auf der «Agile Bodensee», der Konferenz für agile Softwareentwickler und Projektentwickler im Bodenseeraum, über mehrere Jahre Einsicht gewonnen in die agile Bewegung. Wir fühlten die Begeisterung und die Lust der Vortragenden, andere Teams zu unterstützen und etwas zu bewegen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen teilten, und wir saßen mit Teams am Mittagstisch, die erst noch agil werden wollten und viele Fragen hatten. Die folgenden Ausschnitte aus Berichten von Praktikerinnen und Praktikern illustrieren die Erfahrungen.

«Einfach losgesprintet» – im agilen Testprojekt

Stefan Kirch und Henning Pautsch berichteten auf der Agile Bodensee 2014 vom Umstieg auf agile Methoden bei der Bauer+Kirch GmbH in Aachen:

Ausgangspunkt des Ausprobierens agiler Methoden war, dass die Erfahrungen im Unternehmen zunehmend eine Ahnung bestärkten, dass die klassische Art, Software zu entwickeln, auf Dauer in eine Sackgasse führen würde. Ein idealer Zeitpunkt, um ein agiles Vorgehen zu erproben, war gekommen, als ein hausinternes Werkzeug neu entwickelt werden musste. Unglücklicherweise erkrankte gerade zu diesem Zeitpunkt der Agile Coach, der das Entwicklerteam begleiten sollte. Was also tun? Zwar finden sich in Büchern und Blogs viele Informationen zum methodischen Vorgehen, aber sie können keine Erfahrungen ersetzen. Um die Gelegenheit nicht verstreichen zu lassen, wollte man es dennoch wagen, und obwohl das Team keinen Coach haben würde, wurde es auf den Weg geschickt. Bald mussten die ersten Entscheidungen getroffen werden: Wie lang sollte ein Sprint (↑ Iteration) dauern, also die Entwicklung von jeweils einem weiteren Inkrement der Software? Eine Woche erschien dem Team zu kurz, vier Wochen zu lang, also entschied es sich kurzerhand für zwei Wochen. Das grundsätzliche Ziel wiederum war klar und einiges ergab sich im Verlauf des Projekts, etwa wie viel das Team in zwei Wochen schafft. Die Anforderungen in Form von ↑ User-Storys wurden elektronisch erstellt, aber das Team wollte sie auch ausgedruckt als Zettel an einem großen, übersichtlichen ↑ Project-Board an einer Wand im Büro haben. Die detaillierten Teilaufgaben (↑ Tasks) wurden der Einfachheit halber nur am Project-Board verwaltet. Dort traf sich das Team auch jeden Morgen für 10 Minuten zum ↑ Stand-up-Meeting, um sich gegenseitig zu informieren.

 

Bereits nach den ersten Sprints war sich das Team einig: Über die anstehenden User-Storys zu sprechen und die Tasks gemeinsam zu planen, bringt alle fachlich voran und liefert qualitativ bessere Entwürfe. Die Besprechungen des jeweiligen Zwischenprodukts (↑ Prototyp) mit dem hausinternen Kunden motivieren: Rückmeldungen wie «Ja, genau so wollte ich das haben» spornen an. Es wurden auch Fehler gemacht, diese waren aber stets mit einem Lerneffekt verbunden. Insgesamt verlief das agile Testprojekt erfreulich erfolgreich, was unmittelbare Auswirkungen auf weitere Projekte nach sich zog. Nicht nur die Entwicklerinnen und Entwickler dieses Teams sprachen sich in neuen Projekten sofort für ein agiles Vorgehen aus, auch andere Kolleginnen und Kollegen äußerten sich interessiert, wenn sie am Project-Board vorbeigingen oder das Team bei der Arbeit erlebten. Ohne genau zu wissen, was da gemacht wurde, sahen sie, dass die Beteiligten eine ganz andere Motivation hatten, und meinten: «Das wollen wir auch!»

Deshalb ist das Fazit von Kirch und Pautsch: «Sprinten Sie einfach los! Sprinten Sie los, wenn Sie motiviert sind und wissen, dass nicht alles von Anfang an perfekt sein wird. Schauen Sie sich an, was Sie falsch gemacht haben und versuchen Sie es beim nächsten Mal besser zu machen – das ist erstaunlich einfach. Sprinten Sie los! Sie werden feststellen, dass Ihr Team mit einer ganz anderen Motivation, mit einer ganz anderen Identifikation an die Sache herangeht!»

«Können wir das auch umsetzen?» – Wie die agile Denkweise alle ansteckt

Robert Misch von gutefrage.net und Sascha Rehbock berichteten auf der Agile Bodensee 2014 über den agilen Wandel im ganzen Unternehmen:

Es begann damit, dass die IT-Abteilung agile Methoden einführte. Schnell wurde das auch für Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen sichtbar: An den Project-Boards mit den bunten Zetteln, an den täglichen Stand-up-Meetings sowie generell an der gesteigerten Motivation. Klar, dass diese Änderungen ihre Neugier weckten. Sie stellten Fragen – und wollten einen ähnlichen Prozess auch für sich einführen. Deshalb organisierten die Agilen Coaches der IT-Abteilung bald auch für andere Abteilungen Workshops, sodass sich die agile Arbeitsweise erst langsam und dann immer schneller im Unternehmen ausbreitete: vom Community-Management über Marketing, Sales und Finances sogar bis in die juristische Abteilung der Unternehmensgruppe. Deren Leiter hatte zwar zunächst noch keine Vorstellung davon, wie agiles Vorgehen in der Rechtsabteilung der Holding aussehen könnte, aber er glaubte daran.

Alle angepassten Prozesse bei gutefrage.net wurden nun iterativ aufgebaut und insbesondere drei agile Praktiken etablierten sich überall: Das Project-Board visualisiert die Arbeit im Team und schafft Transparenz. Damit kann fokussiert gearbeitet werden, es lassen sich wiederkehrende Probleme im Arbeitsablauf identifizieren, Veränderungen planen und deren Wirksamkeit prüfen. In einem täglichen Stand-up-Meeting werden Informationen ausgetauscht und der Tag geplant, und nach jeder Iteration werden Prozesse, Ergebnisse und die Zusammenarbeit in der ↑ Reflexion bewertet und wo nötig Verbesserungen initiiert.

Als wesentlicher Faktor für das Gelingen der agilen Transformation erwies sich, dass alle im Team nicht nur etwas über agile Praktiken erfuhren, sondern verstanden, welche Denkweise dahintersteckt. Da Agile Werte die gesamte Arbeitskultur verändern, war es wichtig, den Teams genügend Zeit für die Umstellung zu lassen. Zuerst wurde eine kleine Änderung eingeführt und begleitet. Daraus entwickelten sich adaptierte Praktiken und die Teams verbesserten sich stetig.

Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach der agilen Transformation besonders zu schätzen gelernt haben, ist unterschiedlich: Das Marketing-Team beispielsweise schätzt die durch das Project-Board gewonnene Transparenz und insbesondere die Priorisierung von Arbeiten: «Wir fangen weniger an, aber dafür wird mehr fertig. Das hilft, sich auf Resultate zu fokussieren.»

Die juristische Abteilung hat das Arbeiten in Paaren eingeführt. Nun ist nicht mehr nur eine einzelne Person als Experte oder Expertin für einen Bereich verantwortlich. Verträge werden nun zu zweit entworfen und gegenseitig begutachtet. «Wenn ich jetzt krank werde oder in den Urlaub gehe», berichtete eine Juristin, «bin ich dank der neuen Arbeitsweise entspannter, weil das Projekt trotzdem weitergeht.» Auch in der Unternehmensgruppe ist die Erfahrung mit der neuen juristischen Abteilung sehr positiv: Anfragen werden nun effizienter und besser bearbeitet. Die Managerinnen und Manager begrüßten zwar die Motivation in agilen Teams, stellten sich aber bald die Frage «Welche Aufgaben bleiben uns denn nun? Braucht es überhaupt noch eine Kontrolle der Arbeitsprozesse?» Es ist verständlich, dass die Idee von selbstorganisierten Teams sie zunächst verunsicherte. Ein Workshop zu «Management 3.0» inspirierte sie jedoch und weckte die Experimentierfreude. Beispielsweise wurde ein sogenanntes Delegation-Board installiert, auf dem alle sehen können, wer welche anstehenden Entscheidungen treffen darf. Für die Teams ist diese Klarheit eine große Hilfe.

«Entscheidend ist der Kulturwandel» – Organisationsentwicklung durch agile Transformation

Stefano Trentini, Leiter des Bereichs Software Engineering bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und Mischa Ramseyer, Agiler Coach bei pragmatic solutions, berichteten auf der Agile Bodensee 2016 über den Beginn einer «agilen Transformation» bei den SBB:

Wie kommt ein konservatives Traditionsunternehmen wie die SBB dazu, in seinem IT-Bereich flächendeckend Agilität einführen zu wollen? Der Handlungsbedarf entstand, weil andere IT-Unternehmen zunehmend kundennäher arbeiten und ihre Produkte immer schneller, kostengünstiger, aber mit konstanter Qualität auf den Markt bringen. Die einzige Möglichkeit, als unternehmensinterner Anbieter von IT-Lösungen in diesem Umfeld konkurrenzfähig zu bleiben, war es, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Entscheidend schien dabei nicht die Wahl eines bestimmten agilen Frameworks, sondern vielmehr ein Kulturwandel. Dieser lässt sich nicht vorschreiben, vielmehr müssen die Beschäftigten mitgenommen werden. Das wurde erreicht, indem dieser Kulturwandel bei den SBB anhand von fünf werteorientierten Prinzipien beschrieben, kommuniziert und zunehmend umgesetzt wurde:

Schaffe Wert und Nutzen! Bei den SBB wurde sehr langfristig und detailliert geplant und jeder Bereich hielt sich stark an seine Pläne. Von dieser planorientierten Steuerung galt es nun zu einer Steuerung zu kommen, die stets dem jeweiligen Projektziel dient und sich am Schaffen von Wert und Nutzen orientiert.

Übernimm Verantwortung! Bisher trafen die Vorgesetzten die Entscheidungen und übernahmen die Verantwortung, weshalb sich die Beschäftigten kaum innovativ einbringen konnten. Als neues Ziel sollen die Mitarbeitenden mit der Zeit befähigt werden, sich auf ihrem Fachgebiet mehr zu trauen und zu lernen, mit Verantwortung umzugehen und vor allem Fehler offen zuzugeben.

Unterstütze Veränderung! Bei den SBB wird ein freundlicher und netter Umgang gepflegt. Das führte in der Vergangenheit aber auch dazu, dass jemand, ehe er Kritik an anderen übte, nach Behelfslösungen suchte. Um Veränderung zukünftig als positiv wahrzunehmen und zu unterstützen, soll sich nun jeder und jede kritisch mit den Ergebnissen der Arbeit auseinandersetzen und somit besser aus Erfahrungen lernen.

Macht’s zusammen! Bisher hatte jede Person eine klar definierte Rolle, die ihre Tätigkeit festlegt und eingrenzt. Zukünftig sollen nun Aufgaben zusammen im Team erledigt werden, ohne Rollen, und die Verantwortung soll dabei gemeinsam getragen werden. Das bedeutet, dass die Teams eine funktionierende Form der Kooperation entwickeln sollen.