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Hüter der Freude

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XIV. KAPITEL

EIN LIEBESZWIST
UND EINE SODA-
WASSERFLASCHE

Das Pyrodrom hatte auf die Dauer nicht zu fesseln verstanden. Der neugierige Schwarm, der nach der Eröffnung eine Zeitlang zu Besuche kam, verebbte allmählich. In den Pausen, während die Musikanten stumpfsinnig in den Noten blätterten, zwängten sich Flurgeräusche und das Kläffen der Gasse in den Saal. Die Damen mit den Federhüten und den hellen Mänteln blieben aus und suchten ihr Glück in renommierteren Lokalen. Nur die Revoluzze hing wie ein Faultier mit den Händen an der Sessellehne. Ihre Stimme, die laut und kategorisch mit den Kellnerjungen schimpfte, duftete drohend nach Branntwein. Sie wartete auf einen Tänzer, aber den spärlichen Gästen fehlte das Animo.

Löwenthran, der nach wie vor einsam die Künstlerecke bevölkerte, hob schnalzend die Finger in die Höhe. Die regungslose Gestalt beim Büfett löste sich aus der Erstarrung.

Nun? – fragte der Meister, als sich die bleiche Glatze vor ihm neigte.

Fuchs verstand ihn. Sein kalter Blick ging durch die Runde und wischte leblos, wie eine Serviette, über die leeren Tische. Er zuckte die Achseln wie einer, der sich ärgert, aber eigentlich nicht beteiligt ist. Die dünnen Muskeln spielten an seinen Kiefern.

Ich bitte Sie! – Da ist so ein vertrotteltes Konsortium. Leuteschinder und Gauner – aber keinen Tau vom Geschäft! Diesen Bambula hab ich gefressen! Ist schon als Kind statt auf Windeln auf Wechselakzepten gelegen, aber ein kristallisierter Idiot! Der glaubt, die Leute lassen sich utzen! Immer hab ich gesagt: Es müssen Chonten herein! Chonten, das ist die Hauptsache! Die Bomba, die Martschini, die Brandstätter! Was liegt daran, wenn wir ihnen einen Gulden für den Abend geben? Aber das Vieh wollte davon nichts wissen. Da hat es immer geheißen: Sie werden's schon machen, Fuchs, lassen Sie's gut sein! Ich bin doch kein Zauberer. Soll ich die Menscher aus meiner Tasche zahlen, damit der Bambula den Profit hat? Jetzt sitzen wir auf dem Trockenen. Hie und da kommt die Wostepp und trinkt ihren Kognak. Um zwölf Uhr macht sie schon den Krakehl, besoffen wie eine Hacke. Sagen Sie selbst, Meister, mit der allein kann ich doch keine Schlacht gewinnen? –

Der Gefragte nickte. Die Gründe leuchteten ihm ein und er bestätigte sie mit einem gedehnten Brummen. Für ihn war das Lokal schon seit längerem erledigt. Fuchs argumentierte logisch. Was hatte dieses Nachtasyl dann überhaupt für einen Zweck, wenn darin das Wichtigste fehlte – die Weiber?

Vorläufig tröstete er sich mit dem Knickebein, den der Knabe servierte. Die Musik machte einen gelangweilten Anlauf, zerfaserte aber gleich wieder in quatschiger Nüchternheit Nur die Geiger strichen den Bogen mit dem überquellenden Gefühl, das sie niemals im Stiche lieft. Für Löwenthran war die verstiegene Hudelei, mit der sie das Programm hinter sich brachten, eine Erfrischung. Das Weltgefühl, mit dem sie in der Kaffeehausecke einander das Stichwort gaben, klang ihm aus dem Geschwätz der Instrumente in die Ohren. Pathetische Schmerzen, eindringliche Bitterkeiten zerflossen in einer süßen Lache. Das armselige Gaudium hüpfte in die Arena, raffte schamlos das Barchentröcklein und versank schmachtend im Mist.

Er schickte den Zigarrenträger mit einer Krone zum Kapellmeister und bestellte »Das verlorene Glück«. Tiefschaufelnd, wühlerisch trug er die Melodie im Kopfe. Wer die spielen konnte, hündisch vor Banalität, mit Rührung besudelt, legte Wunden der Menschheit bloß. Oder gab es vielleicht wirklich so etwas wie eine reine Tragik? Bücher waren gut für die, die sie lesen mußten. Der Dichter lauschte an der Quelle, erhorchte an der Wand, an der das Echo des Weltalls zerbröckelte. Der Glockengießer Heinrich, Faust, Baumeister Sollneß – wo waren sie? –

Der Kapellmeister grüßte zustimmend wie einer, der mit Spässen vertraut ist. Es schmeichelte ihn, daß sich der Herr vom Künstlertisch mit einem Auftrag an ihn wandte. Sein Knebelbart feixte und die fleischigen Augenlider zuckten verständnisinnig. – Das verlorene Glück! – Dienstmädchenmusik für Polyphonkonzerte und ihre Verehrer! Er wußte gut, was einem Künstler gebührte –

Löwenthran sah auf, als man lärmend aus der »Walküre« intonierte. Das blonde Gesicht des Kapellmeisters leuchtete schmalzig und er begriff. Geduldig ergab er sich in den Schrecken und sandte dem vergeudeten Geldstück ein kraftloses Bedauern nach. Ratenweise kamen die Gäste. Manche blieben bei der Türe stehn und maßen den Raum mit feindseligem Erstaunen. Die Revoluzze schnappte zornig und fletschte. Zwei Burschen, die ein paar Tische weiter eine Flasche Bier miteinander teilten, warfen einen zusammengerollten Zettel hinüber. Aber sie spie nur aus und trat das Papier mit dem Fuße in die Pfütze.

In den Jahren, seit Löwenthran aus Literaturgründen die unsoliden Lokale besuchte, hatte er zwei Sorten von Nachtschwärmern kennen gelernt. Die einen, das waren die Vielen, die Mattherzigen, die Gemeinen, die das Bedürfnis fühlten, ihre Gedankenlosigkeit noch nachhaltiger zu zerstreuen. Dann aber gab es einige, die aus einer großen Sehnsucht bummelten. Sie gingen aus der Bar in die Kneipe, um das Wunderbare zu suchen. Er forschte in den Gesichtern der Umsitzenden, aber er fand nur Visagen, flach wie ein Teller,

Neben dem Konzertpodium hatte ein Paar Platz genommen, das langwierige Bestellungen machte. Die Leute im Saale husteten heiter, die Kellner tuschelten untereinander und dienerten lumpig. Ein weißer Spitzenkragen kroch kostbar aus einem aalblauen Kleide. Ein Hals drehte sich spindelig, eine dürre Frisur prunkte mit einer echten Agraffe. Ein Smoking neben ihr gehörte dem Lauskerl, der wütend auf seinem Sessel flegelte. Die zwei hatten sich gezankt und man wartete auf den Aktschluß.

Auch Löwenthran setzte sich zurecht. Die Welt war klein, ein Lachkabinett, wo man beständig den gleichen Symbolen begegnete. Die Tante Blau und der Galan, den sie aushielt, liefen als groteske Akteure herum, schmierige Figuranten eines höheren Willens. Er betrachtete sie von der Seife, während ihr halblautes Geplänkel wehrlose Leidenschaften hämisch bespeichelte. Das Weib war morsch, ihre graue Haut verdickte sich stellenweise zu Blasen. Das Gift des Alters kochte darin und straffte sie unlustig. Der Bengel war rotbäckig, blankgescheuert wie ein Tiroler Apfel. Aber die Schminke und die gebrannten Locken gaben seiner Grimasse etwas Unanständiges.

Die Schadenfreude, die im Saale kicherte, wollte an Löwenthran nicht heran. Eine blasierte Traurigkeit machte ihn nachdenklich. Er empfand keine Gemeinsamkeit mehr mit den Aktionen dieser Umwelt. Fröstelnd vergnügte er sich in seiner Ecke mit einem schnodderigen Zuschauertum. Zum ersten Male seit Jahren vermißte er den idealen Imperativ in den Objekten. Beim Kaffeehaustische hatte er einmal den Dichter einen Quartiermacher Gottes genannt. Aufmerksam überdachte er heute die Phrase. Schlaff, wie das umgestülpte Futter einer leeren Tasche hoben sich die Gesichter zum Licht.

Tante Blau zerstückelte ihren Ärger in einem vorwurfsvollen Gezwitscher. Ihre Gerstenkörner röteten sich weinerlich und ihre Arme klappten in die Falten ihres Kleides. Der geputzte Junge zeigte ihr mit überschlagenen Beinen den Rücken. Sein Lackstiefel glänzte und er lächelte impertinent. Löwenthran folgte der Richtung seines Blickes. Langhaarig, aufgedunsen vom Suff stand dort ein blasser Mensch unter den Geigern. Seine fleckigen Rockschöße spannten sich wie eine Krinoline über dem feisten Podex. Er drückte verschämt seine Geige ans Kinn und liebäugelte mit dem Gaste.

Milatschku, genier dich! – – –

Achtlos griff der Angeredete nach dem Pompadoursack der Plärrenden. Ein Taschenkalender, ein Notizblock, eine Puderquaste flogen zur Seite. Er nahm eine Banknote, faltete sie mit den Fingernägeln und schnipste dem Kerl das Präsent an die Weste – Die Schwarmlinie der Neugierigen rückte näher. Witzworte prasselten in aufgescheuchtes Gelächter. Die Hälse redeten sich und man kam in Stimmung. Ein Herr in Kniehosen und Wickelgamaschen bestellte Champagner.

Das Zwitschern wurde heftiger, bettelte liebevoll. Es zerrte zaghaft an unappetitlichen Erinnerungen, zeterte keifend in einem empörten Falsett. Die Kellnerbuben schwenkten amüsiert mit den Frackschößen. Der Langhaarige verkroch sich mit hängenden Backentaschen hinter seiner Geige. Nur die Revoluzze gähnte schläfrig und beim Büfett stand unbeweglich der lange Schatten mit der dürren Glatze.

Der Bengel, um den der Spektakel sich drehte, trat endlich aus seiner Reserve. Sein ordinäres Profil wandte sich langsam zu seiner Begleiterin und sein Sopran fuhr wie ein Peitschenhieb in ihr Geknautsche. Kusch dich, Cäcilie!

Einen Augenblick schielte die Erschrockene über die Gerstenkörner nach dem Buben. Der schlappe Duft seiner Haarpomade verklebte ihr die Nase und ein roter Nebel verlöschte Ihre entzündeten Augen. Fassungslos, wie das entkettete Belfern eines Tieres, gluckste ihr Jammer.

Bin ich ein Hund, Milatschku? – Bin ich ein Hund – – –?

Das dröhnende Lachen der Galerie plantschte schmutzig, wie ein Kübel mit Unrat, in das Geheule. Von hysterischem Schlucken erstickt, wälzte es sich ekelhaft durch die Spelunke. Es flatterte blökend im Kreise, erbrach sich wimmernd, schleifte lahm und unsinnig durch den Kehricht. Aller Rücksicht entladen, schrie es den unzüchtigen Kummer der Kreatur gegen die Wände.

Löwenthran hatte sich erhoben. Ein kaltes Entsetzen riß ihn empor, trieb ihn ungestüm in den Schacht bodenloser Gefühle. Das Flennen des Weibes torkelte hinterdrein, wühlte und klopfte, spülte Grundwasser aus dem Schlamm. Schauerlich drückte die Luft unbekannter Gewölbe. Er lockerte mit feuchten Fingern den Kragenknopf und lauschte. Ahnungsvoll tobte das Herz. Moderdünste dampften in Schwaden. Das Gelächter schwieg. Die Runde saß steif mit platten Gesichtern, über die der spinnige Schatten der Furcht lief. Die Stimme der Weinenden zauste gräßlich an den Seelen, koppelte Reue und böse Gedanken los, krallte vergebens in den leeren Gehirnen nach Tränen. Der Mann mit dem Sportrock und den Wickelgamaschen zerknüllte sein Taschentuch zu einem Knödel und preßte es an die Zähne. Widerwärtig, wie nach faulem Blut, war ihm der Geschmack des Mitleids auf die Zunge gekommen. Milatschku – Milatschku –!

 

Der rührte sich nicht. Seine Fratze war grau und versteinte unheilverkündend. Mörderisch kroch seine Hand aus dem Ärmel der Manschette und umspannte den Hals der Flasche, aus der er den Whisky mischte. Unbarmherzig spritzte der Strahl. Gnadenlos fuhr er in die Verzweiflung der Vettel, schloß ihr pustend den Mund, stäubte Wasserperlen auf ihre brennenden Sinne. Der nasse Spitzenkragen klatschte um ihre Knochen, als sie besiegt zur Garderobe flüchtete. Der Smokingbengel sah ihr zufrieden nach und suchte dann unbeirrt nach dem Haarigen. Mit schaukelnden Hüften nahte der Schweinkerl. Zierlich nahm er neben seinem Gönner Platz und bestellte die Spezialität des Hauses, einen moussierenden Likör, der im Eistopf gekühlt wurde.

Jäh, nach einer kurzen, aber tiefen Stille, kam den Gästen wieder die Laune. Ein Summen flog irgendwo auf, brummelte heftig zwischen den Köpfen, weckte die Musik, die mit einem Wirbel einsetzte. Nur der Platz, wo der Blaßhäutige gespielt hatte, blieb leer – Löwenthran setzte den Hut auf und zahlte. Breit, wie ein Riß in einer Papierlarve, klaffte der Mund des Kahlköpfigen.

Gute Nächte, Meister!

Undeutlich, im Vorbeigehn, sah er den Geiger mit dem Smoking schmausen. Fuchs begleitete ihn zur Türe.

Jetzt sind sie beisammen, die warmen Brüder! – –

Löwenthran blieb die Antwort schuldig. Eine Übelkeit schob ihn ins Freie. Bei der Toreinfahrt stand der Portier mit gespreizten Beinen und verrichtete seine Notdurft. Ein Windstoß raschelte mit den Zeitungsblättern, die er im Rinnstein gefunden hatte. Eigelb, wie Ochsenaugen in einer Pfanne, schwammen die Sterne in dem entgötterten Himmel.

XV. KAPITEL

EIN GESPRÄCH, BEI DEM
DIE LAMPE NICHT AN-
GEZÜNDET WURDE

Ein goldbunter Vogel flog durch die trübselige Gasse. Es war nur ein Augenblick, aber die rußigen Häuser rumorten mit Fenstern und Türen, stellten sich in den Fußspitzen auf und knacksten. Die Zugluft fuhr durch die zerbrochenen Scheiben aus dem Lichthof und trug den Geruch feuchter Asche und verdorbener Abfälle in den Flur.

Auf der steinernen Treppenspirale blinkerte die Finsternis. Sie war sehr faul und ging auch tagsüber nicht aus dem Hause. Irgendwie war eine dicke Fliege in ihren Bereich geraten. Die war ganz damisch vor Mitteilsamkeit. Aufgeregt stieß sie den Kopf gegen die Wände des Stiegenhauses, wirbelte, brumste unaufhörlich.

Auch Frau Wewerka im dritten Stockwerke hatte den goldenen Vogel gesehn. Schräg über der Flucht der Klosettfenster schwebte er eine Zeitlang, schüttelte Sonnenbrösel aus den Flügeln und glänzte, Frau Wewerka stellte das Bügeleisen auf die Ofenplatte, lief aus der Küche und pochte erhitzt an die Tür ihres Mieters.

Als der Riegel schnappte und sie ins Zimmer einließ, stockte sie kleinmütig. Betreten rollte sie die Schürze zu einem knotigen Bündel.

Ein Vogel? – fragte Römerstern und trat zum Fenster. Bei meiner Seele – beteuerte sie –

Draußen fielen die Schatten der Kamine in die trübselige Casse. Die erste Dämmerung tropfte von den Giebeln und rankte um das Gesimse. Am Rande der Dächer stieg etwas Helles, wundervoll Goldiges in den Himmel auf und brannte eine kleine Minute traumselig unter den Wolken.

Es ist gut, Frau Wewerka, – ich danke Ihnen.

Ihre Pantoffel schlurften beschämt, während sie aus dem Zimmer flüchtete. Sie schabten noch ein Weilchen, trippelten, schmollten, bis auch sie wieder verstummten. Der Abend stieg durch die Fenster und meldete die blaue Stunde.

Bittersüß nahte das Zwielicht Es zupfte die Häkeldecken zurecht, schaukelte über der Sofalehne, malte ein Feuerchen in das Kaffeetuch. Der Sorgenstuhl knisterte und der gläserne Dackel auf der Kommode bekam silberne Ohren. Römerstern feierte Hausandacht. Ein Uhrwerk tickte irgendwo, kratzte mit stahlharten Rädern, grub winzige Erinnerungen aus dem Schweigen. Steinkugeln und bunte Fisolen rollten durch die Welt seiner Kindheit. Herzland tat sich auf, wo Tränen und Bangesein wuchsen. Er dachte an den Tag, wo er die tote Maus begraben hatte. Niemals hatte er später überlauter einen Schmerz verweint. In Nebeltüchern, blutleer, versank ihm das Leben.

Die Knabentreue zu dem schüchternen Tier war sein bestes Gefühl gewesen. Einsam stand es noch immer wie ein Stern über den Jahren. Es lockte, rief ihn zurück und bat ihn. Herzland war schön. Stoppelfelder mit roten Papierdrachen waren darin, die an endlosen Schnüren schwankten, Sommerausflüge flußaufwärts, von denen man heiß und glücklich wiederkehrte, während das Dampfschiff Funken in das Wasser stöberte. Blondkäfer schwärmten über den Rosengärten, Ferien blauten und in den Nächten stand das Grauen wieder auf, von dem die Märchen erzählten.

Zwischen den Schlafanzügen und Tennishosen in seinem Lederkoffer stak ein Päckchen Frauenbriefe. Er suchte die Schriftzüge in seinem Gedächtnis, die sich auf dem Papiere krümmten. Hilflose Buchstaben waren darunter, die sich fiebernd stießen. Alle verlöschten im Uferlosen. Ein verlegenes Bedauern schlich ihnen nach und winkte flüchtig den Abschied. Draußen spulte die Grauluft ihr Garn über die fahlen Scheiben. Ein leuchtendes Pünktchen sprang plötzlich durchs Fenster, tanzte verwirrt vor dem Spiegel und hopste in den geschliffenen Stöpsel des Parfümfläschchens hinein. Dort krabbelte es wie ein verliebtes Würmchen und funkelte.

Sausewind du! – Das gleißt wie ein Hundsbeutel und ich sitze im Dunkel – –

Seine Augen wollten nicht los von dem flirrenden Lichtlein, bis es blässer und hinfälliger glühte und verglomm. Römerstern hatte Sehnsucht nach seinem Herzland.

Die Ampel im eisernen Tragring war noch nicht in Tätigkeit, als Sturmfenster den guten Abend wünschte. Das räubernde Pathos seiner Wojwodenlaune brach in das Gehege, bollerte wie ein Explosionsmotor, knatterte stürmisch. Sein kahler Bart hing wie ein Herbstbusch unter der Nase und triefte von bierehrlichem Geschmunzel.

Sie dichten wohl eine Ballade? –

Er schnaubte heiter, zog knallend die Finger aus den Gelenken, lachte versöhnlich.

Aus stillen Bezirken fand sich der andere in die Wirklichkeit. Er wollte Licht machen, nach Frau Wewerka rufen, gastliche Schnapsbecher bringen lassen. Aber der Ungebärdige hielt ihn beim Rockärmel. Bleiben Sie doch! – Lehrsame Sentenzen leuchten im Finstern. Sie wollten mir eine Mitteilung machen? Römerstern streckte sich in seiner gepolsterten Ecke. Das Unbehagen überrumpelte ihn, das er erlebte, wenn er am Morgen nach dem Nachtschlaf die nackten Sohlen auf die Dielen setzte. Die Unterredung, der er sich ausgeliefert wußte, machte ihn unsicher. Er schob die Zigarettenschachtel in Reichnähe.

Ich habe Ihnen geschrieben, obgleich der Vorfall, um den es sich handelt, kaum der Verschwiegenheit enträt; aber ich glaubte, Sie als Ausnahme mißbrauchen zu müssen –

Die Phrase saß. Sie war straff gewickelt und er hob beim Sprechen die Zäsur heraus, die er im Geiste mit dem Strichpunkt bedachte. Es war mehr als halsbrecherisch, aus einem Abend wie diesem mit beiden Füßen in ein Dilemma zu springen.

In welcher Hinrichtung? – frozzelte Sturmfenster, dem der Humor jede Situation erleichterte.

Sind Sie mal bei der Bomba oben gewesen? – fragte Römerstern, ohne das Späßchen nach Gebühr zu beachten.

Ich bin dort zu Hause – bestätigte jener, zwirbelte Zöpfe aus seinen Bartstoppeln, spreizte die Klauen in den großen Schuhen, die klobig aus den Hosenröhren ragten. Die Unterhaltung nahm eine Wendung, die ihm behagte.

Ich habe gestern um vier Uhr nachmittags Ihre Schwester dort angetroffen.

Hinter den bleifarbenen Fenstertafeln huschte das letzte Licht in die Regentraufe. Ein Schornstein qualmte und goß den dicken Rauch in die Gasse. Der Besuch knöpfte tiefsinnig an seinen Manschetten. Ihre Schwester – sagen Sie? – Hat sie denn eine? – Römerstern erhob sich gepeinigt.

Sie verstehen nicht richtig, Kollega. – Ihre Schwester Sabine vom Neustädter Mädchengymnasium – – –

Die Dunkelheit ist wie das Blut. Millionen von Körperchen wandeln darin, sprudeln geheimnisvoll, singen in der Stille. Nur das beharrliche Uhrwerk klopfte dazwischen, tickelte, scharrte. Sturmfenster haschte in seinem Gehirn nach einem zerknickten Gedanken.

Warum sagt er Kollege zu mir? – besann er sich angestrengt. –

Dann stand er plötzlich kerzengrad dicht vor dem andern. Seine Augen waren weiß und seine Stimme klapperte.

Was reden Sie da? – Um Gotteswillen – – – was reden Sie da? –

Der Fußboden schlingerte wie ein seekrankes Schiff in der Brandung. Ein rhythmisches Gebrüll stieg von unten herauf und rauschte in seinem Kopfe. Fernher, unendlich lang, kam eine schwarze Fahne geflattert. Durch eine helle, sternförmige Lücke sah er geblendet in ein Licht hinein, das sich blitzschnell zu einem Bilde faltete.

Da war die Stube mit der geblümten Tapete, wo es so schummrig wurde im Winter. Die Mutter war fortgegangen und der Schnee machte ein weißes Gitter vor das Fenster. Er saß auf dem Schemel vor dem Ofenloch, wiegte das Binchen auf den Knien und plauschte. Das Feuer surrte hinter der eisernen Klappe und manchmal plumpste ein roter Klumpen durch den Rost in die Asche.

Brüderlein! – sagte das Binchen und in dem Widerschein, der es bestrahlte, sah es fein und kostbar aus wie ein Engel.

Die schwarze Fahne taumelte näher und füllte das Zimmer. Die Lücke verschwand und es wurde ganz finster.

Erzählen Sie! –

Rauh, wie mit Stacheln besetzt, lag seine Zunge. Der Sessel knirschte, als er die schweren Hände auf die Lehne stützte. Er hielt die Angst mit den Fäusten, grub seine Nägel in ihr Fleisch, blutete selbst an den Fingern.

Pausenlos, wie ein Pensum, das man erledigen will, kam der Bericht. Die novellistische Anmut des Sprechers beschränkte mit Vorbedacht ihre Mittel, verteilte nur dürftig die Pointen, servierte bedenkliche Relativsätze vorsichtig in der Klammer. Römerstern kannte das Binchen von einem Ausfluge her, den er im vorjährigen Sommer nach dem Sterntiergarten gemacht hatte. Auf der Waldwiese, zwischen den Röcken ihrer Freundinnen turnte damals der Plumpsack. Er stand beim Zaun und sah zufällig zu, wie sie den hemdärmligen Bruder in die Büsche hetzte. Ihr wuschliger Zopf und ihr bimmelndes Lachen verschönten ihm damals den Sonntag. Er war ihr nachher noch einige Male auf der Straße begegnet, dann lange nicht mehr, erst gestern bei der Bomba.

Verdrossen, auf der Flucht vor Kläglichkeiten, war er da hinaufgeraten.

Hüte dich davor – erklärte er kategorisch – mir eins von den Weibern anzubinden, die du letzthin gebracht hast. Die Professorin ist mir zu mager und die Schneidersfrau aus dem dritten Stock hat schmutzige Wäsche. Hast du nicht endlich mal ein Rautendelein? –

Der Schlafrock wogte erregt über dem Busen der Witwe.

Es sitzt schon drin und wartet auf das Barönchen – Mit dem saueren Speichel des Nachmittagsschläfchens auf der Zunge lispelte sie etwas von zwanzig Gulden. Ihm war es ohnehin egal und er gab ihr den Bettel. Dann ging er hinein, stutzte, rieb sich die Nase. Die Schultasche im Schoß, saß dort die Sabine. Sie rutschte am äußersten Ende des Plüschsofas herum, fitschelte nervös mit den Füßen und äugte. Das Zöpfchen war ihr aufgegangen und baumelte über dem Halse. Er trat zu ihr und band ihr die Masche fester.

Und dann – was haben Sie mit ihr getan? –

Unhörbar fast schnellte die Frage. Sie bohrte sich fest, blieb federnd stecken, zitterte –

Dann hab' ich sie mitgenommen und bis nach Hause geführt – ergänzte er einfach, mit einem leichten Erstaunen in der Stimme.

Und sie? –

Sie riß sich los und lief über die Treppe. Eine Weile blieb alles reglos im Zimmer. Die Uhr, die während des Gespräches geschwiegen hatte, schlotterte plötzlich. Ein Kopf kam durch die Dunkelheit, ein heißer Bart suchte die verschränkten Hände des andern –

Römerstern schrie wie im Schrecken. Eine ungekannte Erschütterung durchbebte ihn, machte ihn unfähig zu sprechen. Er streckte die Arme aus, packte den Knieenden an der Schulter. Und während sie nebeneinanderlehnten, während die Küsse Sturmfensters seine Tränen verzehrten, hatten die zwei Männer eine Vision. Sie sahen sich beide, festgeschmiedet am Erdball, mitten im Unergründlichen. Ringsum bäumten sich Glieder auf, wühlten Seufzer, heulten Verzweifelte. Schiffbrüchig trieben sie mit dem Wrack, stürzten die Nacht empor, hörten das Kielwasser der Ewigkeit rauschen – – –

 

Römerstern war der erste, der sich erhob. Eine leichte Schwäche übermannte ihn, saugte an seinem Herzen, weckte ihn nachsichtig aus der Verwandlung. Du mußt jetzt gehn – mahnte er ungeschickt, half dem Tastenden den Hut von der Erde lesen.

Ein paar Minuten zauderten sie, drückten einander die Hände, suchten nach einem Zuspruch. – Sturmfenster hüstelte, zog seinen Bart, strich seine verrutschte Hose glatt. Noch als er die Türe zum Flurgang aufhielt, blickte er rückwärts.

Sei gut zu ihr! –

Eindringlich empfing er die Mahnung. Seine Füße stapften, entfernten sich schwerfällig über die Treppe. Der oben horchte ein bischen, lächelte in Gedanken. Frau Wewerka! –

Sie kam, stolperte in die Finsternis, machte kichernd das Licht an.

Denken Sie nur – sagte Römerstern und sein Gesicht war ganz dunkel vor Fröhlichkeit – Nun hab' ich den goldenen Vogel doch noch zu sehn bekommen.