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Hüter der Freude

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Als die dringenden Depeschen, die postwendend Hilfe heischten, sich nicht mehr rentieren wollten, setzte er alles auf eine Farbe und verlor. Die Kasinoverwaltung streckte ihm gegen einen Revers die Mittel zur Rückreise vor. Blank aber unverdrossen fuhr er nach Hause. Noch während der Fahrt befaßte er sich mit dem Plane, bei Lea und Ria und ihrer gepriesenen Unterwasche sein Ungemach zu verschmerzen. Heimgekommen erledigte er den Brief, in dem er der Muck Mitteilung machte, daß er die empfangenen Beträge ihrem Konto gutgeschrieben habe. Im übrigen sei in der Sonne des Südens seine Überzeugung gereift, daß er sie nicht mehr liebe, was er gebührend zu ihrer Kenntnis bringe.

VIII. KAPITEL

EIN BERÜHMTER DETEKTIV
MACHT EINE PIKANTE
ENTDECKUNG

Wenn die elektrischen Lampen im Saale aufblitzten, liefen die Stimmen der Leute in planloser Erregung durcheinander. Ungezügelt fingen die Kinder an zu kreischen, die in den ersten Reihen saßen. Die jungen Frauen atmeten schneller und ihre Augen schauten verschämt in die plötzliche Helle. Eine Bewegung flutete vom Orchester in das Parkett, ebbte zurück und stockte vor den Logen. Papierdüten raschelten und beringte Finger tasteten nach den Frisuren, Mit den Lichtern verlosch auch der Lärm und die Geigen begannen zu fiedeln.

Das Programm war ein wundervolles. Kein anderes Kino in der Stadt wirkte mit diesem Zauber. Die tolle Hetzfahrt zappelte mit Gelächter über die Leinwand, gestikulierte und versank. Eine behagliche Lustigkeit rumorte durchs Publikum. Das war der Schwank. Dann zog die Landschaft vorbei, die den alten Herrn die Träume ihrer Jugend wiederbrachte. Der Wasserfall schäumte wie eine Limonade zwischen den Felsen, ein Liebespaar lehnte am Brückensteg und hielt sich umschlungen. Ein Lebensbild zeigte zwei Menschen, die aus Torheit voneinander gingen. Max Linder, der nachfolgte, trocknete die Tränen.

Sturmfenster hatte für sich und Kamille zwei Ecksitze im Mittelgang erworben. Mit dem Eigensinne der Menschen, die mit ihrer Phantasie nicht hauszuhalten vermögen, erwartete er in dem dichtgefüllten Saale beständig eine Panik. Kamille, die in robuster Unbefangenheit solche Schrullen verachtete, überließ ihm gutmütig ihre warmen Hände, die er nervös umklammerte. So saßen sie wie zwei Verliebte zwischen den andern. Wenn der pfiffige Lehmann auftrat, der zum Schluß die verdienten Prügel bekam, wenn die Filmmenschen ungebührliche Dinge verübten, dann lachte sie aus vollem Halse und drückte seine knochigen Finger gegen ihre volle Brust. Sturmfenster studierte im Finstern, während nur die roten Lämpchen bei den Notausgängen eine ungewisse Dämmerung erzeugten, ihr Profil, Es schien ihm grausam und bedeutend zu sein, mehr wie im Licht, wo der Ausdruck die Linien verwischte. Ihre aufgeworfenen Lippen machten einen herrlichen Mund und mit einer ungemischten Bewunderung schielte er nach ihrem Kinne.

Neben ihr, vorgebeugt, in lebloser Aufmerksamkeit, sah er die Reihe dunkler Köpfe. Die Gleichförmigkeit der ungarischen Märsche, die das Orchester spielte, hypnotisierte sie. Ein Räuberdrama aus den Abruzzen rollte vorüber. Kamilla schob ihren Fuß zu seinen Beinen und ihre Hände feuchteten sich. In diesem Augenblicke empfand er ein Wohlgefühl, das ihm die Angst benahm und das fast unmerklich mit Liebe gemengt war. Er stützte sich an ihren mächtigen Leib, in dem das Blut wie in einer großen Maschine pochte. Die aufrührerische Tragik des Räuberstückes entfesselte eine fügsame Zärtlichkeit in ihr, unter der sie schauerte.

Gaudentius – plapperte sie verwirrt, glühend in verheißender Ungeduld.

Sturmfenster spähte mit kalten Augen, die unbeweglich in dem Geflimmer standen, nach der Seele des Films. Große Ereignisse, die steil und unwegsam ins Unbekannte führten, jagten über die Fläche. Wagemutige Taten, die das Leben in die Schanze schlugen, um eine Wette zu gewinnen. Aber er vermißte bei diesen Dingen das Echo ihrer Bedeutung, das sie landeinwärts zu den Geschehnissen des Herzens wies. Dennoch sah er neugierig und betroffen, wie die Zuschauer immer weiter ins Uferlose gerieten. Während die Männer neidisch und verdrossen folgten, kam es wie eine lauschende Bereitschaft über die Frauen. Die kunstlose Spannung eroberte sie mit rücksichtsloser Gewalt. Ein bleichsüchtiges Kind; das wie eine Schülerin der höheren Bürgerschulen gekleidet war, verfiel in ein hysterisches Schluchzen. Eine fettleibige Dame schrie vor Entsetzen, als das Seil zerreißen sollte, an dem der Verbrecher über dem Abgrund baumelte. In tausend kleinen Perlen stand die Erregung auf den Gesichtern. Der scharfe Geruch von verschwitzter Seide kam irgendwoher und blieb zwischen den Stühlen hängen.

Seitwärts, hinter einer schiefen Säule, tauchte der Schädel Bondys neben einem Mädchen auf. Seine wulstige Silhouette zeichnete sich klar auf der belichteten Leinwand. Von seinem Platz aus sah Sturmfenster nur den geduckten Rücken seiner Begleiterin. Ihre Schultern zitterten und sie preßte die Ellbogen gegen die Hüften. Sturmfenster rekapitulierte die Erotika, die ihm aus dem Gedichtbuche Bondys gewärtig waren. Er hatte den sublimen Finessen, die darin zur Geltung kamen, nie seinen Respekt versagt. Nun verstimmte ihn etwas an diesen Strophen, wenn er sie mit der zusammengekauerten Gestalt vor ihm in Verbindung brachte. Der feine Duft der Begehrlichkeit, der den gewählten Reimen entströmte, wurde sauer und penetrant, wenn er sich den Autor als handelnde Person daneben vorstellte. Die Abwehr, die den Ariern der jüdischen Rasse gegenüber im Blute liegt, kam ihm nie so deutlich zum Bewußtsein, als wenn er sich einen semitischen Liebhaber im Augenblicke der Begattung dachte.

Persönlich hatte er Bondy nie recht gemocht, aber seine Verse hatte er gerne gelesen. Die unbeherrschte Lebhaftigkeit, mit welcher der Dichter im Umgang mit den Kollegen mauschelte, stach merkwürdig von der harmonischen Glut seiner Lyrik ab. Sturmfenster hatte oft über diesen Gegensatz gelächelt. Heute kam es ihm vor, als ob er so etwas wie einen Einblick in seine Werkstatt täte. Wie alle heimlichen Dilettanten hatte er immer übertriebene Begriffe von der Geburt eines Kunstwerks gehabt. Nun, während der Schatten drüben näher zu Bondy rückte, vermeinte er ein paar Atemzüge lang den Vortakt einer Zeugung zu erleben. Die klebrige Zusammengehörigkeit übler Begierden mit dem Adel der Kunstform entschleierte sich ihm eine Sekunde. Der Film, den man gerade spulte, verdichtete sich vielleicht nach Stunden zur Eingebung. Die schmatzenden Küsse, mit denen Bondy zu Hause sein Mädchen beschwichtigen würde, waren schon von dem Rhythmus eines Gedichtes geschwellt.

Er überschlug im Geiste seine Bekanntschaften in Künstlerkreisen. Die jungen Leute, die er aus dem Café Portugal kannte, die in ihrer freien Zeit auf die oder jene Weise sich an der Literatur beteiligten, nahmen ihre schöpferischen Kräfte alle vom Weib. Es war ihnen mehr oder weniger nichts anderes als eine geistige Beute, an der sie auch nebenbei ihr körperliches Vergnügen hatten. Sie schroteten und laugten es aus und schnüffelten, wenn die gepeinigten Sinne ratlose Blasen an die Oberfläche trieben. Die Backfische, die sie nach der Musikstunde zu heimlichen Umwegen verführten, die Kellnerinnen, denen sie nachmittags in den Weinstuben unter die Röcke griffen, die tschechischen Verkäuferinnen, die ihnen abends nach Geschäftsschluß gehorsam und hungrig in die Wohnung folgten, sie alle gaben willenlos das kostbarste Material für ihre Bücher. Das Sentiment, die unschuldige Lüsternheit, kapriziöse Situatiönchen waren die Ernte. Die Inspiration mästete sich bis zum Brechen an den Launen und Verkehrtheiten des Geschlechts. Selbst die Besuche bei Gogo waren mitunter nur die Exkursionen fleißiger Notizensammler. Die Liebeslyrik, die direkt aus dem Bordell in die Druckerei geschickt wurde, war im modernen Literaturbetrieb wohl durchaus keine vereinzelte Erscheinung. Die Pause, in der das Orchester im Vorhaus konzertierte, riß ihn aus seinen Gedanken. Er drängte Kamilla zum Büffet, wo es Pschorrbier und belegte Brötchen gab.

Kaviar! schrie sie entzückt und die Leute lachten. Unweit stand Bondy neben seinem Mädchen und putzte mit dem zerknitterten Taschentuche die Brille. Sie war ein dünnes, aber hochbusiges Geschöpf mit falschen Zöpfen und großen Augen.

Servus! – grüßte er schließlich und zwinkerte verschmitzt nach Kamilla.

Wer war denn der Aff? – fragte diese, als das Klingelzeichen sie wieder auf ihre Plätze rief.

Das war ein Dichter. –

Na so was! – machte sie erstaunt.

Drinnen summte eine geheimnisvolle Erwartung. Das Glanzstück des Programms sollte in wenigen Minuten beginnen. Die ziegelroten Plakate vor der Türe, die den Mord im Bluthaus der Banditen veranschaulichten, versprachen Sensationen. Das Licht ging aus, aber ein Schnaufen der Enttäuschung begrüßte die Reklameserie. Endlich verkündete die Schrift: »Der unsichtbare Warner«. Drama in drei Akten und einem Vorspiel. Die Regie der Tragödie verriet eine kundige Hand. Die Mechanik des Mysteriösen verdichtete ihren Reiz zu einer beklemmenden Plastik. Da war ein Bild, das den »Unbekannten« in den Straßen von London zeigte. Der Schlapphut hing ihm ins magere Gesicht und sein Mantel flatterte. Das Grauen schlich ihm nach und machte die regennassen Häuser, an denen er vorbeikam, schrecklich und traurig. Ein Hund lief aus einem Torweg heraus, hob den Kopf und folgte in großen Sprüngen. Sturmfenster fühlte ein Mißbehagen, das seine Nerven wie ein häßlicher Wind durchstöberte. Er nahm seinen Bart in den Mund und biß ärgerlich an den Haaren.

Ein Geräusch machte in stutzig. Es klang wie ein Ächzen, das die verstiegene Magie des Lichtspiels begleitete. Sturmfenster hatte ein Ohr für den Ton, der darin fieberte. Er kannte die Hölle, aus der die Qual dieser Seufzer aufstieg. Langsam wandte er sich um und spähte in die Loge hinter seinem Rücken. Ein unterdrücktes Kichern gurgelte ängstlich, ein Stuhl ward gerückt und die Leute zischten. Das Drama hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der berühmte Detektiv Mr. Stuart Webbs war auf der Szene und durchsuchte den Keller. Dunkel wie ein grundloses Loch gähnte die Leinwand. Nur ein runder Fleck wanderte kreuz und quer und sprühte. Die Blendlaterne, mit der Webbs durch das Gewölbe tappte.

 

Ein hoffnungsloses Gewimmer zerbrach im Finstern und fiel neben Sturmfenster zu Boden. Er drehte den Kopf und gaffte. Der Lichtkegel, den das Diebslicht des Detektivs ins Publikum spuckte, fiel gerade für einen Augenblick in die Loge hinter ihm und umrahmte ein Antlitz. Ein zahnloser Mund unter der spitzigen Nase, ein Vogelnest auf dem lächerlichen Schädel» Brillantgehänge neben dem magern Halse – – Eine rote Stiege schälte sich zögernd aus seiner Verwunderung, ein Vorhang klaffte, eine Frauenstimme röchelte. Verflucht und zugenäht! – Die Weltgeschichte nahm ein Ende. Oder plagten ihn böse Träume? – – Ein Weilchen blakte noch das indiskrete Licht und bestrahlte die Hand, die der Madame Blau die Bluse öffnete. Dann glitt es weiter und blieb stehn: Mr. Webbs hatte die Leiche gefunden. Sturmfenster kämpfte einen besinnungslosen Ekel nieder. Der Akt war zu Ende und der Saaldiener kam mit einer riesigen Spritze und zerstäubte Perolin über den Köpfen der Zuschauer. Die erhitzte Kamilla, der die Essenz auf die Kleider tropfte, entfächelte einen knatternden Sturmwind mit dem Programm. In der Loge hinter ihnen verkroch sich das Vogelnest schamhaft im Hintergründe. Ein Bubenkopf schob sich daneben vor, funkelte frech mit den Augen, leckte an geschminkten Lippen und troff vor Pomade. Sturmfenster kramte in seinem Gedächtnis. Den kannte er doch. Das war doch der Pikkolo aus dem Café Portugal, der im vorigen Winter einem Gaste das Portemonnaie aus dem Pelzrock gefischt hatte. Trug nicht der Rotzbub einen wirklichen Diamanten im Hemdlatz? Krachend schlug er den Klappstuhl zurück und setzte sich wieder. »Der unsichtbare Warner« nahm seinen Fortgang. Aber er war nur mit Widerstreben bei der Sache.

Eine Ratte! Eine Ratte! – murmelte er unablässig und mußte in einem verdeckten Zusammenhange an die Worte Hamlets denken, als er hinter der Tapete den Polonius getötet hatte.

IX. KAPITEL

FUCHS GRÜNDET EINE
ZENTRALE FÜR
LEBEMÄNNER

Überall kamen über Nacht die grünen Zettel zum Vorschein. Die Drogisten, die unter anderem auch Pariser Artikel auf Lager hatten, verklebten damit ihre Fenster und wickelten Seife, Odolflaschen und Zahnbürsten darin ein. Die Friseure steckten sie hinter den Spiegelrahmen neben die Monatskarten ihrer Abonnenten, An den Straßenecken prangten sie zwischen den Kundmachungen des Magistrats, der zu einer allgemeinen Schutzimpfung gegen die Blattern aufforderte. In den Tabaktrafiken und Zeitungsverschleißen hingen sie neben dem Wandkalender, krochen giftig aus Büchern und Zeitschriften ans Licht. Sie überschwemmten die Stadt, kamen mit den Frühstückssemmeln in die Stube, wirbelten durch die Traume der Mittagsschläfer, lagen neben der Abendzeitung auf dem Teiler. Nirgends war man vor ihnen sicher. Sie lauerten unter den Akten im Büro, zierten in den öffentlichen Aborten die Wände. Aufdringlich quälte der Text, der einer bewährten Schnapsreklame entlehnt war. Drei Worte: Fuchs, Inselgasse, Pyrodrom.

Der Name Fuchs war für die Eingeweihten längst zur geläufigen Chiffre des Prager Nachtlebens geworden. Er machte die buntlackierte Herrlichkeit lebendig, die von der Mitternacht bis zum Frühlicht die Lokale bevölkerte. Sein Klang besaß etwas von dem zwiespältigen Anreiz jener Welt, die mit Operettengeklimper und Sinnlosigkeit bis zum Rande gefüllt war. Fuchs, das war einer der Vizekönige aus dem Lande der Eintagskavaliere, das Ideal der Oktavaner, die in der Zehnuhrpause von gefährlichen Abenteuern flüsterten, das Hochziel der Handlungsgehilfen, die in den Stunden zwischen Samstag und Sonntag den Bodensatz der irdischen Genüsse prüften. Fuchs, das war der Gewährsmann einer zuverlässigen Zweideutigkeit, der Berater der Würzen, die der enteilenden Nacht um jeden Preis noch ein letztes Vergnügen erpressen wollten. Ein Herrscher im Reiche der Niederungen hielt er beständig einen Schwärm von Prostituierten in seinem Schleppkreis. Sein kahles Gesicht und sein haarloser Schädel hätten eher für einen Bankdirektor wie für einen Kellner gepaßt. In Wirklichkeit war er ein unumschränkter Gebieter. Er vermittelte intime Gelage, die seinem jeweiligen Chef beträchtliche Summen abwarfen. Er begönnerte die Zaghaften und Neulinge, die in der mondänen Atmosphäre nicht gleich den richtigen Anschluß fanden. Er erteilte Ratschläge, Auskünfte und Adressen. Er war die Seele des Betriebes, von den Unbotmäßigen gefürchtet, von den Klugen umschmeichelt, ein Hahn im Korbe, dem Gäste und Weiber ihren Tribut zollten.

Jahrelang war er Zahlkellner in den verschiedenen Nachtlokalen gewesen. Er hatte die Glanzzeit des Café Mikado miterlebt und hatte den Ruf des russischen Kaffeehauses begründet. Generationen gingen durch seine Hände, junge Leute, die mittlerweile geheiratet hatten, Dirnen, die im Rausche verunglückt oder an der Lues gestorben waren. Sein Lächeln, das den höhnischen Mund zur Grimasse faltete, überdauerte alle. Es war ein argwilliges, von der Verachtung verbranntes Lächeln, das immer gleich blieb und sich nicht wandelte.

Nun war er dabei, ein neues Unternehmen aus der Taufe zu heben. Sein guter Instinkt, maßgebend in Dingen des Hautgout, hatte dafür das Schlagwort »Pyrodrom« gefunden. Im Zentrum der Stadt, eingebettet in der schmalen Zeile des Inselgäßchens, lockte ein buntes Lichtrad zur Einkehr. Ein langbeiniger Portier stand unerschütterlich in der Tiefe des Hausflur und sein ernsthafter Vollbart heischte Vertrauen. Mit einem Eifer, dem viel vom sportlichen Ehrgeiz anhaftete, machte Fuchs sich daran, die Gründung einzuführen. Die grünen Zettel flatterten durch die Stadt und in den Blättern erschienen verschmitzte Notizen. Maskierte Männer in roten Turbans und barbarischen Kostümen rollten eine riesige Trommel über die Fahrbahn, die mit den ominösen drei Worten bespannt war. Unermüdlich war die Propaganda am Werke. Sie belästigte die Passanten, pries die Talente des Künstlerquintetts, fabelte von der Grazie lasziver Balletteinlagen. Sie wisperte von der Gemütlichkeit in den separierten Boxes, die für geschlossene Gesellschaften bereitstanden. Sie war hartnäckig und frech, zäh und erfinderisch. Die Nacht, in der das Pyrodrom den verblüfften Pragern zum ersten Male die Tore öffnete, brachte eine beinahe phantastische Losung ins Haus.

Fuchs sah mit einer sieghaften Gleichgültigkeit in den Trubel. Der Geist mußte wieder einmal die Materie bezwingen. Die Konkurrenz war in die Knie gedrückt und niedergebügelt. Im Umkreis der Stadt konnte sie nirgends das Feld behaupten. Gelangweilt spielten die Geiger in öden Lokalen vor den Gästen. Wo sich sonst hinter den Dampfwolken der Zigaretten das Gelächter versteckte, schliefen die Kellner bei den leeren Tischen. Kein Lackstiefel glänzte, kein Federhut winkte galant. Alle, von den Damen im Hermelinbesatz bis zu den Mädchen im Kopftuch, hatte heute das Pyrodrom gefressen. Da war die Berlinerin mit den berühmten Schenkeln, von der die Sage ging, daß sie vor einem Jahrzehnt eine bekannte Kunstreiterin gewesen sei. Die Rosa Brandstädter aus Brünn, der ihr Samtmantel und der mährische Dialekt, den sie sprach, den Ruf der Melancholie verschafften. Die kleine Anna mit den gelben Haaren und dem Muttermal unter dem linken Auge ging in den Pausen für die Musikanten schnorren. Gleich neben dem Podium versammelte Katusche Wostepp ihren Anhang, ein junges Weib mit derben Kiefern und einer befehlenden Stimme, die den heimischen Schlappak meisterlich tanzte und unter dem Namen »Revoluzze« bekannt war.

Der geräumige Saal ermöglichte trotz dem Zuspruche jene Freizügigkeit, die den nächtlichen Genußplätzen ihre Idylle verleiht. Die weißgestrichenen Wände rochen nach nassem Kalk und auch der Fußboden atmete eine lauwarme Feuchtigkeit. Um eine lange Tafel aus zusammengeschobenen Tischen saß wiehernd ein tschechischer Gesangverein. Zwischen zwei Glatzköpfen, Familienvätern mit Schmerbäuchen und falscher Hemdbrust, die ihre beschmutzten Röllchen vor sich neben das Bierglas stellten, verschönerte Siddy Bomba den Kreis. Sie nippte verärgert ihren »fein Gespritzten« und schnupperte neidisch nach ihrer Schwester hinüber, die rot und zerzaust in ihr Taschentuch lachte. Mimi, mit ihren Backfischmanieren und ihren kurzen Röcken, machte Furore. Ihr Nachbar, ein ältlicher Gemischtwarenhändler, der unter Zuhilfenahme eines kleinen Spiegels sich rastlos in den Zähnen stocherte, spendierte ihr eben einen Melniker Sekt. Siddy rückte verzweifelt mit dem Sessel. Die beiden Philister neben ihr gaben sich sichtlich Mühe, sie zu unterhalten. Es waren zwei alte Kundschaften ihrer Mutter und sie lächelte freundlich.

Im Hintergrunde, in einer aus Messingstangen und Draperien improvisierten Ecke, war ein Raum für die Künstler mit Beschlag belegt. Fuchs schätzte ihren Besuch aus geschäftlichen Rücksichten ungeheuer. Ihre Anwesenheit gab einen undefinierbaren, besonderen Einschlag, den er in seiner Umgebung nur ungern vermißte. Von ihnen ging das nervöse Fluidum aus, das die Stimmung belebte und die Neugier entfachte. Sie brachten eine Art seelischen Parisertums mit sich, das den Leichtsinn vergoldete und die Laune verflüssigen konnte.

Eben bahnte sich Löwenthran einen Weg durch die Leute, die sich vor der Garderobe stauten. Begierig zog er das Aroma der Halbwelt in die großen Nasenlöcher und reckte den Hals aus dem schlottrigen Hemdkragen. Fuchs kam mit andächtiger Miene herbeigestürzt und zelebrierte eine Verbeugung. Guten Abend – Meister!

Löwenthran ließ sich die Anrede huldvoll gefallen. Außer der modernen Komödie, die bislang von allen deutschen Bühnen abgelehnt worden war und augenblicklich in der Schublade seines Schreibtisches von den Mühseligkeiten des Reisens ruhte, hatte er nie etwas geschrieben, geschweige denn veröffentlicht. Sein kritischer Witz und sein beweglicher Verstand verschafften ihm in den literarischen Debatten seiner Freunde eine geistige Ellbogenfreiheit. Aber eigentlich war das Kaffeehaus seine einzige künstlerische Legitimation. Trotzdem kam es ihm nicht in den Sinn, in der Begrüßung eine Ironie zu wittern. Hier, wo die schrillen Violinen einen widerlich süßen Walzer kratzten, wo Oleander und Stachelpalmen die Gäste schon im Hauseingang mit der Suggestion einer unerhörten Pracht überfielen, waren die Perspektiven verschoben. Hier nahm er den Respekt einer ungeborenen Nachwelt vor seinem künstlerischen Ruhme schon heute in Vorschußraten entgegen und fand sich gern und erfreut in die Rolle des verwöhnten Dichters, die Fuchs ihm zuteilte.

Wer ist denn alles hier? – fragte er nach einer Pause wohlüberdachter Gemessenheit.

Fuchs verrenkte die Achseln.

Sie sind bis jetzt der erste, Meister. –

Löwenthran nahm an dem reservierten Tische Platz. Die Mädchen lächelten zu ihm hinüber und grüßten vertraulich. Hierher kam keine, um ihn zu würzen. Der Künstlertisch galt diesen Kreisen immer als Freistatt, die man nur zur Erholung besuchte und wo man den schwarzen Kaffee selbst bezahlen mußte. Maler, Musikanten und Dichter wurden sozusagen mit zur Halbwelt gerechnet und man verkehrte mit ihnen kameradschaftlich ungeniert, wie mit Kollegen einer andern Fakultät. Löwenthran war eigentlich ein bischen geschmeichelt, an dieser Gemeinschaft mit teilzuhaben, und nickte gnädig nach allen Seiten.

Ein Tumult im vorderen Saale verursachte einen Zusammenlauf. Eine Frauenstimme schrie angstvoll und ein rohes Gelächter kollerte zwischen Scheltworten und zerbrochenen Weingläsern über die Dielen. Ein kleiner Mann mit einer roten Krawatte stand aufgeregt zwischen den Umstehenden und wischte sich mit dem Rockärmel das Blut aus dem dicken Schnurrbart.

Sie hat mich gekratzt – das Luder – wiederholte er immer wieder und das beifällige Gemurmel der Herren vom Gesangverein steigerte seine Courage. Was ist denn los? – fragte Löwenthran, der aufgestanden und neben Rosa Brandstädter getreten war. Er hat ihr auf den Hintern gegriffen – gab sie trübselig zur Auskunft und hüllte sich gleichmütig in ihren Mantel.

Die Menge zerteilte sich und Fuchs schob sein unheilverkündendes Profil in den Umkreis. Ein junges Studentlein, kaum dem Gymnasium entlaufen, raffte die Haltung zusammen.

Die Dame ist insultiert worden – ich muß sagen – infam – – –

Das protestierende Getöse des Gesangvereines schwoll zu pathetischer Höhe. Der Student verstummte und verzog die Mundwinkel zum Weinen. An seinem Arm, leblos vor Schreck, hing Fräulein Muck und suchte ihre verrutschte Dekolletage in Ordnung zu bringen. Fuchs stand wie aus Stein gemeißelt als oberste Instanz vor den Beiden.

 

Ich muß doch bitten – und er vibrierte ein wenig in einer zu Unrecht verletzten Entrüstung – ich muß doch zu bedenken bitten, daß Sie in keinem anständigen Lokale sind. –

Ein demonstrativer Beifall belohnte die Entscheidung, die dem gekränkten Empfinden der Gesamtheit entsprach. Eine schadenfrohe Heiterkeit zerrte an der Theaterbluse der Muck und zupfte gefühllos an ihrer Frisur. Der kleine Student, den sie sich irgendwo zu halsbrecherischen Abenteuern gefischt hatte, knickte zusammen.

Muck-Mädel, wie sehen Sie aus? – näselte eine melodische Stimme. Eine Parfümwolke flog, die Pikkolos dienerten, die Gruppe verlor sich respektvoll auf ihren Plätzen.

Römerstern stand erstaunt und sah fragend nach Löwenthran hinüber, der sich mißmutig näherte.

Ein verfluchtes Kaffeehaus – maulte dieser, ohne sich zu erklären.

Römerstern blies dem Gymnasiasten den Zigarettenrauch in die Augen.

Tempus! – spuckte er freundlich, nahm ihm die willenlose Dame aus den geängstigten Händen. Er wuchs, spürte den Herrn in sich, streute den Glanz der Befugnisse.

Einen Sliwowitz! – bestellte er halblaut bei Fuchs, der zerknirscht und devot seinen Kahlschädel beugte. Einen Sliwowitz – zehn Zigaretten und zwanzig Kronen! – – –