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Geschlecht und Charakter

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Die neue Erfahrung, um welche die Untersuchung damit endgültig bereichert ist, wäre aus dem Bisherigen vorherzusagen gewesen. Da Logik und Ethik ausschließlich beim Manne sich geltend machen, so war von vornherein wahrscheinlich, daß die Frauen mit der Ästhetik nicht auf besserem Fuße stehen würden, als mit ihren normierenden Schwesterwissenschaften. Die Verwandtschaft zwischen der Ästhetik und der Logik kommt in aller Systematik und Architektonik der Philosophien, ebenso aber in der Forderung strenger Logik für das Kunstwerk, in höchster Vereinigung in dem Bau der Mathematik und in der musikalischen Komposition zum Vorschein. Wie schwer es so vielen wird, Ästhetik und Ethik auseinanderzuhalten, ist schon erwähnt worden. Auch die ästhetische Funktion, nicht nur die ethische und logische, ist nach Kant eine solche, die vom Subjekte in Freiheit ausgeübt wird. Das Weib aber besitzt keinen freien Willen, und so kann ihm auch nicht die Fähigkeit verliehen sein, Schönheit in den Raum zu projizieren.

Damit ist aber auch gesagt, daß die Frau nicht lieben könne. Als Bedingung der Liebe muß Individualität, und zwar nicht rein und ungetrübt, jedoch mit dem Willen zur eigenen Befreiung von Staub und Schmutz, vorhanden sein. Denn ein Mittelding zwischen Haben und Nichthaben ist Eros; kein Gott, sondern ein Dämon; er allein entspricht der Stellung des Menschen zwischen Sterblichem und Unsterblichem: so hat es der größte Denker erkannt, der göttliche Platon, wie Plotin ihn nennt (der einzige Mensch, der ihn wirklich, innerlich verstanden hat; indes viele seiner heutigen Kommentatoren und Geschichtsschreiber von seiner Lehre nicht viel mehr begreifen als die Ohrwürmer von den Sternschnuppen). Die Liebe ist also in Wirklichkeit keine »transscendentale Idee«; denn sie entspricht allein der Idee eines Wesens, das nicht rein transcendental-apriorisch, sondern auch sinnlich-empirisch ist: der Idee der Menschheit.

Das Weib hingegen, das ganz und gar keine Seele hat, sehnt sich auch nicht, diese geläutert von allem ihr anhaftenden Fremden irgendwo, irgendwann endlich ganz zu finden. Es gibt kein Ideal der Frauen vom Manne, das an die Madonna erinnern würde, nicht der reine, keusche, sittliche Mann wird von der Frau gewollt, sondern – ein anderer.

So ist denn bewiesen, daß die Frau nicht die Tugend des Mannes wünschen kann. Hätte sie in sich ein Unterpfand der Idee der Vollkommenheit, wäre sie irgendwie Ebenbild Gottes, so müßte sie auch den Mann, wie dieser das Weib, heilig, göttlich wollen. Daß ihr dies ganz ferne liegt, ist wiederum nur ein Zeichen für ihren völligen Mangel an Willen zum eigenen Werte, den sie nicht, wie so gerne der Mann, irgendwo außer sich verkörpert denkt, um leichter zu ihm emporstreben zu können.

Ein unauflösbares Rätsel bleibt nur dies, warum gerade die Frau mit dieser vergötternden Liebe geliebt wird, und, mit Ausnahme der Knabenliebe, in welcher indes der Geliebte ebenfalls zum Weibe wird, nicht irgend ein anderes Wesen. Ist die Hypothese nicht allzu kühn, die sich hierüber entwickeln läßt?

Vielleicht hat der Mann bei der Menschwerdung durch einen metaphysischen außerzeitlichen Akt das Göttliche, die Seele für sich allein behalten – aus welchem Motive dies geschehen sein könnte, vermögen wir freilich noch nicht abzusehen. Dieses sein Unrecht gegen die Frau büßt er nun in den Leiden der Liebe, in und mit welcher er der Frau die ihr geraubte Seele wieder zurückzugeben sucht, ihr eine Seele schenken will, weil er sich des Raubes wegen vor ihr schuldig fühlt. Denn gerade dem geliebten Weibe, ja, eigentlich nur ihm gegenüber drückt ihn ein rätselhaftes Schuldbewußtsein am stärksten. Die Aussichtslosigkeit eines solchen Rückgabeversuches, durch den er seine Schuld zu sühnen würde trachten wollen, könnte wohl erklären, warum es glückliche Liebe nicht gibt. So wäre dieser Mythos kein übler Vorwurf für ein dramatisches Mysterium. Aber die Grenzen einer wissenschaftlichen, auch einer wissenschaftlich-philosophischen Betrachtung sind mit ihm weit überflogen.

Was die Frau nicht will, wurde im obigen klargestellt; aber was sie zu tiefst will, und daß dieses ihr innerstes Wollen dem Wollen des Mannes gerade entgegengerichtet ist, soll jetzt gezeigt werden.

XII. Kapitel.
Das Wesen des Weibes und sein Sinn im Universum

»Erst Mann und Weib zusammen machen den Menschen aus.«

Kant.

Immer tiefer ist die Analyse in der Schätzung des Weibes bis jetzt heruntergegangen, immer mehr Hohes und Edles, Großes und Schönes mußte sie ihm absprechen. Wenn sie nun in diesem Kapitel noch einen, den entscheidenden, äußersten Schritt in derselben Richtung zu tun sich anschickt, so möchte ich, zur Verhütung eines Mißverständnisses, schon hier bemerken, worauf ich noch zurückkomme: daß mir wahrhaftig nichts ferner liegt, als dem asiatischen Standpunkt in der Behandlung des Weibes das Wort zu reden. Wer den vorausgehenden Darlegungen über das Unrecht aufmerksamer gefolgt ist, das alle Sexualität, ja noch die Erotik an der Frau begeht, dem wird bereits zum Bewußtsein gekommen sein, daß dieses Buch kein Plaidoyer für den Harem ist, und daß es sich hütet, die Härte des Urteils zu entwerten durch die Forderung einer so problematischen Strafe.

Aber die rechtliche Gleichstellung von Mann und Weib kann man sehr wohl verlangen, ohne darum an die moralische und intellektuelle Gleichheit zu glauben. Vielmehr kann ohne Widerspruch zu gleicher Zeit jede Barbarei des männlichen wider das weibliche Geschlecht verdammt, und braucht doch der ungeheuerste, kosmische Gegensatz und Wesensunterschied hier nicht verkannt zu werden. Der tiefststehende Mann steht noch unendlich hoch über dem höchststehenden Weibe; und doch hat niemand das Recht, selbst das tiefststehende Weib irgendwie zu schmälern oder zu unterdrücken. Durch die völlige Berechtigung des Anspruches auf Gleichheit vor jedem Gesetze wird kein gründlicherer Menschenkenner in der Überzeugung sich beirren lassen, daß zwischen den Geschlechtern die denkbar polarste Gegensätzlichkeit besteht. Was für seichte Psychologen (um von dem menschenkundigen Tiefblick der sozialistischen Theoretiker zu schweigen) die Materialisten, Empiristen und Positivisten sind, kann man abermals hieraus entnehmen, daß gerade aus ihren Kreisen vorzugsweise die Männer gekommen sind und auch jetzt noch aus ihnen sich rekrutieren, welche für die ursprünglich angeborne psychologische Gleichheit zwischen Mann und Weib eintreten.

Aber auch vor der Verwechslung meines Standpunktes in der Beurteilung des Weibes mit den hausbackenen, und nur als tapfere Reaktion gegen die Massenströmung erfreulichen Ansichten von P. J. Moebius bin ich hoffentlich gefeit. Das Weib ist nicht »physiologisch schwachsinnig«; und ich kann auch die Auffassung nicht teilen, welche in Frauen mit hervorragenderen Leistungen Entartungserscheinungen erblickt. Von einem moralischen Aussichtspunkte kann man diese Frauen, da sie stets männlicher sind als die anderen, nur freudig begrüßen, und müßte bei ihnen eher das Gegenteil einer Entartung, nämlich einen Fortschritt und eine Überwindung, zugeben; in biologischer Hinsicht sind sie ebensowenig oder ebensosehr ein Degenerationsphänomen als der weibliche Mann ein solches darstellt (wenn man ihn nicht ethisch wertet). Die sexuellen Zwischenformen sind aber in der ganzen Reihe der Organismen durchaus die normale und nicht eine pathologische Erscheinung, und ihr Auftreten also noch kein Beweis körperlicher Décadence.

Das Weib ist weder tiefsinnig noch hochsinnig, weder scharfsinnig noch geradsinnig, es ist vielmehr von alledem das gerade Gegenteil; es ist, so weit wir bisher sehen, überhaupt nicht »sinnig«: es ist als Ganzes Un-sinn, un-sinnig. Aber das ist noch nicht schwachsinnig, nach dem Begriffe, den man in deutscher Sprache damit verbindet: dem Begriffe des Mangels an der einfachsten praktischen Orientierung im gewöhnlichen Leben. Gerade Schlauheit, Berechnung, »Gescheitheit« besitzt W viel regelmäßiger und konstanter als M, sobald es auf die Erreichung naheliegender egoistischer Zwecke ankommt. Ein Weib ist nie so dumm, wie es der Mann zuweilen sein kann.

Hat nun das Weib gar keine Bedeutung? Verfolgt es wirklich keinen allgemeineren Zweck? Hat es nicht doch eine Bestimmung, und liegt ihm nicht, trotz all seiner Unsinnigkeit und Nichtigkeit, eine bestimmte Absicht im Weltganzen zu Grunde? Dient es einer Mission, oder ist sein Dasein ein Zufall und eine Lächerlichkeit?

Um hinter diesen Sinn zu kommen, muß von einem Phänomen ausgegangen werden, das, so alt und so bekannt es ist, noch nirgends und niemals einer Beachtung oder gar Würdigung wert befunden wurde. Es ist kein anderes als das Phänomen der Kuppelei, welches den eigentlichen, den tiefsten Einblick in die Natur des Weibes gestattet.

Seine Analyse ergibt zunächst das Moment der Herbeiführung und Begünstigung des Sichfindens zweier Menschen, die eine sexuelle Vereinigung, sei es in Form der Heirat oder nicht, einzugehen in der Lage sind. Dieses Bestreben, zwischen zwei Menschen etwas zustande zu bringen, hat jede Frau ausnahmslos schon in frühester Kindheit: ganz kleine Mädchen leisten bereits, und zwar selbst dem Liebhaber ihrer älteren Schwestern, Mittlerdienste. Und wenn der Trieb zu kuppeln auch erst dann deutlicher zum Vorschein kommen kann, wenn das weibliche Einzelindividuum sich selbst untergebracht hat, d. h. nach seiner eigenen Versorgung durch die Heirat: so ist er doch die ganze Zeit über zwischen der Pubertät und der Hochzeit ebenso vorhanden; nur wirken ihm der Neid auf die Konkurrentinnen, und die Angst vor den größeren Chancen derselben im Kampf um den Mann so lang entgegen, bis die Frau selbst ihren Gemahl sich glücklich erobert, oder ihr Geld, die Beziehungen, in welche er nun zu ihrer Familie tritt u. s. w., ihn gekirrt und geködert haben. Dies ist der einzige Grund, aus welchem die Frauen erst in der Ehe mit vollem Eifer daran gehen, die Töchter und Söhne ihrer Bekannten unter die Haube zu bringen. Und wie sehr nun erst das alte Weib kuppelt, bei dem die Sorge für die eigene sexuelle Befriedigung gänzlich in Wegfall gekommen ist, das ist so allgemein bekannt, daß man, sehr mit Unrecht, das alte Weib allein zur eigentlichen Kupplerin gestempelt hat.

 

Nicht nur Frauen, auch Männer werden sehr gerne in den Ehestand zu bringen gesucht, auch von ihren eigenen Müttern, ja gerade von diesen mit besonderer Lebhaftigkeit und Zähigkeit. Ganz ohne Rücksicht auf die individuelle Eigenart des Sohnes ist es der Wunsch und die Sucht jeder Mutter, ihren Sohn verheiratet zu sehen: ein Bedürfnis, in dem man geblendet genug war, etwas Höheres, wieder jene Mutterliebe zu erblicken, von welcher das vorige Kapitel nur eine so geringe Meinung gewinnen konnte. Es ist möglich, daß viele Mütter, sei der Sohn auch gar nicht für die Ehe geschaffen, von vornherein überzeugt sind, ihm durch sie erst zum bleibenden Glück zu verhelfen; aber sicher fehlt sehr vielen selbst dieser Glaube, und jedenfalls spielt allerwärts und immer als stärkstes Motiv der Kuppeltrieb, die gefühlsmäßige Abneigung gegen das Junggesellentum des Mannes, mit.

Man sieht bereits hier, daß die Frauen einem rein instinktiven Drange, der in sie gelegt ist, folgen, auch wenn sie ihre Töchter zu verheiraten suchen. Nicht aus logischen, und nur zum kleinsten Teile aus materiellen Erwägungen entspringen die unendlichen Bemühungen, welche die Mütter zu diesem Zwecke unternehmen, sie geschehen nicht aus Entgegenkommen gegen geäußerte oder unausgesprochene Wünsche der Tochter (denen sie in der speziellen Wahl des Mannes sogar oft zuwiderlaufen); und es kann, da die Kuppelei ganz allgemein auf alle Menschen sich erstreckt und nie auf die eigene Tochter sich beschränkt, hier am wenigsten von einer »altruistischen«, »moralischen« Handlung der mütterlichen Liebe die Rede sein; obwohl sicherlich die meisten Frauen, wenn jemand ihr kupplerisches Gebaren ihnen vorhielte, zur Antwort geben würden: es sei ihre Pflicht, beizeiten an die Zukunft ihres teueren Kindes zu denken.

Eine Mutter verheiratet ihre eigene Tochter nicht anders, als sie jedem anderen Mädchen zum Manne gern verhilft, wenn nur jene Aufgabe innerhalb der Familie zuvor gelöst ist: es ist ganz dasselbe, Kuppelei hier wie dort, die Verkuppelung der eigenen Tochter unterscheidet sich psychologisch in nichts von der Verkuppelung der fremden.

Wie schon öfter das Verhalten des einen Geschlechtes zu gewissen Zügen des anderen als ein brauchbares Kriterium dafür verwendet werden konnte, welche Eigentümlichkeiten des Charakters ausschließlich auf eines beschränkt sind und welche auch dem anderen zukommen60, so kann, während bisher stets das Weib Zeuge sein mußte, daß gewisse, ihm von vielen so gerne zugesprochene Eigenschaften ausschließlich dem Manne angehören, hier einmal durch sein Verhalten der Mann dokumentieren, wie die Kuppelei echt weiblich und ausschließlich weiblich ist: die Ausnahmen betreffen entweder sehr weibliche Männer oder einen Fall, der noch ausführlich wird besprochen werden61. Jeder wahre Mann nämlich wendet sich vom heiratsvermittelnden Treiben der Frauen, selbst wenn es sich um seine eigene Tochter handelt, und er diese gerne versorgt sehen möchte, mit Widerwillen und Verachtung ab und überläßt die Kuppelsorgen überhaupt dem Weibe als sein Fach. Zugleich sieht man hier am klarsten, wie auf den Mann gar nicht die wahren psychischen Sexualcharaktere des Weibes attraktiv wirken, wie sie ihn vielmehr abstoßen, wo sie ihm bewußt werden: indes die rein männlichen Eigenschaften an sich, und wie sie wirklich sind, das Weib anzuziehen genügen, muß der Mann das Weib erst umformen, ehe er es lieben kann.

Die Kuppelei reicht aber bedeutend tiefer und durchdringt das Wesen des Weibes in viel weiterer Ausdehnung, als jemand nach diesen Beispielen, die nur den Umfang des Sprachgebrauches erschöpfen, glauben könnte. Ich will zunächst darauf hinweisen, wie die Frauen im Theater sitzen: stets mit der Erwartung, ob die zwei, wie die zwei Liebesleute »sich kriegen« werden. Auch dies ist nichts anderes als Kuppelei, und um kein Haar von ihr psychologisch verschieden: es ist das Herbeiwünschen des Zusammenkommens von Mann und Weib, wo auch immer. Aber das geht noch weiter: auch die Lektüre sinnlicher oder obscöner Dichtungen oder Romane, die ungeheuere Spannung auf den Moment des Koitus, mit welcher die Frauen lesen, ist nichts, gar nichts als Verkuppelung der beiden Personen des Buches, tonische Excitation durch den Gedanken der Kopulation und positive Wertung der sexuellen Vereinigung. Man halte das nicht für eine logische und formale Analogisierung, man versuche nachzufühlen, wie für die Frau psychologisch beides dasselbe ist. Die Erregung der Mutter am Hochzeitstage der Tochter ist keine andere als die der Leserin von Prévost, oder von Sudermanns »Katzensteg«. Es kommt zwar auch vor, daß Männer solche Romane zu Detumeszenzzwecken gerne lesen, aber das ist etwas prinzipiell von der weiblichen Art der Lektüre Verschiedenes, es geht auf die lebhaftere Imagination des Sexualaktes und verfolgt nicht krampfhaft von Anbeginn jede Verringerung der Entfernung zwischen den beiden Menschen, um die es sich gerade handelt, und wächst nicht, wie bei der Frau, kontinuierlich, in Proportion mit einer sehr hohen Potenz vom reziproken Werte des Abstandes der Personen voneinander. Die atemlose Begünstigung jeder Verringerung der Distanz von dem Ziele, die deprimierte Enttäuschung bei jeder Vereitelung der sexuellen Befriedigung ist durchaus weiblich und unmännlich; aber sie tritt in der Frau ganz unterschiedslos bei jeder Bewegung auf, die ihrer Richtung nach zum Geschlechtsakte führen kann, betreffe sie nun Personen des Lebens oder der Phantasie.

Hat man denn nie darüber nachgedacht, warum die Frauen so gerne, so »selbstlos« andere Frauen mit Männern zusammenbringen? Das Vergnügen, welches ihnen hiedurch bereitet wird, beruht auf einer eigentümlichen Erregung durch den Gedanken auch des fremden Koitus.

Aber die volle Breite der Kuppelei ist auch mit der Ausdehnung auf den Hauptgesichtspunkt aller weiblichen Lektüre noch nicht ausgemessen. Wo an Sommerabenden in dunklen Gärten, auf den Bänken oder an den Mauern Liebespaare eine Zuflucht suchen, dort wird eine Frau, die vorübergeht, stets neugierig, sie sieht hin, indes der Mann, der jenen Weg zu gehen gezwungen ist, sich unwillig abwendet, weil er die Schamhaftigkeit verletzt fühlt. Desgleichen wenden sich die Frauen fast nach jedem Liebespaare, dem sie auf der Gasse begegnen, um und verfolgen es mit ihren Blicken. Dieses Hinschauen, dieses Sichumdrehen ist nicht minder Kuppelei als das bisher unter den Begriff Subsumierte. Was man ungern sieht und nicht wünscht, von dem wendet man sich weg, und sperrt nicht die Augen nach ihm auf; die Frauen sehen darum ein Liebespaar so gern, und überraschen es deshalb am liebsten bei Küssen und weitergehenden Liebesbezeigungen, weil sie den Koitus überhaupt (nicht nur für sich) wollen. Man beachtet nur, wie schon längst gezeigt wurde, was irgendwie positiv gewertet wird. Die Frau, die zwei Liebende miteinander sieht, wartet stets auf das, was kommen werde, d. h. sie erwartet es, nimmt es voraus, hofft es, wünscht es. Ich habe eine längst verheiratete Hausfrau gekannt, die ihr Dienstmädchen, das den Liebhaber eingelassen hatte, zuerst lang in großer Anteilnahme vor der Tür behorchte, ehe sie hineinging, um ihm seine Stellung zu kündigen. Die Frau hatte also den ganzen Vorgang innerlich bejaht, um dann das Mädchen, in passiver Befolgung der ihr überkommenen Schicklichkeitsbegriffe, wenn nicht gar nur aus unbewußter Mißgunst, hinauszuwerfen. Ich glaube freilich, daß auch das letztere Motiv häufig mitspielt, und zur Verdammung der Betroffenen der Neid, der ihr jene Stunden doch nicht allein gönnt, seinen Teil beisteuert.

Der Gedanke des Koitus wird von der Frau stets und in jeder Form, in der er sich vollziehen mag, (selbst wenn ihn Tiere ausführen), lebhaft ergriffen, und nie zurückgewiesen62; sie verneint ihn nicht, empfindet keinen Ekel vor dem Ekelhaften des Vorganges, sucht nicht sofort lieber an etwas anderes zu denken: sondern die Vorstellung ergreift völlig von ihr Besitz und beschäftigt sie unausgesetzt weiter, bis sie von anderen Vorstellungen ebenso sexuellen Charakters abgelöst wird. Hiemit ist ein großer Teil des vielen so rätselhaft scheinenden psychischen Lebens der Frauen sicherlich beschrieben. Das Bedürfnis, selbst koitiert zu werden, ist zwar das heftigste Bedürfnis der Frau, aber es ist nur ein Spezialfall ihres tiefsten, ihres einzigen vitalen Interesses, das nach dem Koitus überhaupt geht; des Wunsches, daß möglichst viel, von wem immer, wo immer, wann immer, koitiert werde.

Dieses allgemeinere Bedürfnis richtet sich entweder mehr auf den Akt selbst, oder mehr auf das Kind; im ersten Falle ist die Frau Dirne und Kupplerin um der bloßen Vorstellung vom Akte willen; im zweiten ist sie Mutter, aber nicht nur mit dem Wunsche selbst Mutter zu werden; sondern an jeder Ehe, die sie kennt oder zustande bringt, ist, je mehr sie der absoluten Mutter sich nähert, desto ausschließlicher ihr Interesse auf die Hervorbringung des Kindes gerichtet: die echte Mutter ist auch die echte Großmutter (selbst wenn sie Jungfrau geblieben ist; man vergleiche Johann Tesmans unübertreffliche »Tante Jule« in Ibsens »Hedda Gabler«). Jede ganze Mutter wirkt für die Gattung insgesamt, sie ist Mutter der ganzen Menschheit: jede Schwangerschaft wird von ihr begrüßt. Die Dirne will die anderen Weiber nicht schwanger, sondern bloß prostituiert sehen wie sich selbst.

Wie sogar die Sexualität der Frauen ihrer Kuppelei noch untergeordnet ist, und eigentlich nur als ein besonderer Fall der ersteren aufgefaßt werden darf, das geht sehr deutlich aus ihrem Verhältnis zu den verheirateten Männern hervor. Nichts ist den Frauen, da sie sämtlich Kupplerinnen sind, so wie der ledige Stand des Mannes zuwider, und darum suchen alle ihn zu verheiraten; ist er aber schon Ehemann, so verliert er für sie auch dann sehr viel an Interesse, wenn er früher ihnen selbst ganz ausnehmend gefallen hat. Auch wenn sie selber bereits verheiratet sind, also nicht mehr jeder Mann zunächst unter dem Gesichtspunkte der eigenen Versorgung in Betracht kommt, und nun, wie man denken sollte, der Ehemann darum nicht mehr geringere Beachtung finden müßte als der andere, Ledige, selbst dann, als ungetreue Ehefrauen, kokettieren die Weiber kaum mit dem Gatten einer anderen; außer wenn sie über diese einen Triumph feiern wollen, dadurch, daß sie ihn ihr abspenstig machen. Hiedurch erst ist ganz bestätigt, daß es den Frauen nur auf die Verkuppelung ankommt; mit Verheirateten wird darum so selten der Ehebruch begangen, weil diese der Idee, welche in der Kuppelei liegt, bereits genügen. Die Kuppelei ist die allgemeinste Eigenschaft des menschlichen Weibes: der Wille zur Schwiegermutter – ich meine den Willen, Schwiegermutter zu werden – ist noch viel durchgängiger vorhanden als der Wille zur Mutterschaft, dessen Intensität und Umfang man gewöhnlich über Gebühr hoch veranschlagt.

Man wird den Nachdruck, der hier gerade auf die Kuppelei des Weibes gelegt wird, vielleicht doch noch nicht ganz verstehen, die Bedeutung, die ihr zugemessen werde, übertrieben, das Pathos der Argumentation unmotiviert finden. Man begreife aber, worum es sich handelt. Die Kuppelei ist dasjenige Phänomen, welches das Wesen des Weibes am weitesten aufschließt, und man muß nicht, wie dies immer geschieht, sie nur zur Kenntnis nehmen und gleich zu etwas anderem übergehen, sondern sie zu analysieren und zu ergründen trachten. Gewiß ist es eine den meisten Menschen geläufige Tatsache, daß »jedes Weib gern ein bißchen kuppelt«. Aber daß gerade hierin und nirgendwo anders die Wesenheit des Weibes liegt, darauf kommt es an. Es läßt sich – nach reiflicher Betrachtung der verschiedensten Frauentypen und Berücksichtigung noch weiterer spezieller Einteilungen, außer der hier bereits durchgeführten, bin ich zu diesem Schlusse gekommen – absolut nichts anderes als positive allgemein-weibliche Eigenschaft prädizieren als die Kuppelei, das ist die Tätigkeit im Dienste der Idee des Koitus überhaupt. Jede Begriffsbestimmung der Weiblichkeit, welche deren Wesen bloß im Wunsche, selbst koitiert zu werden, suchte, die im echten Weibe nichts für echt hielte, als das Bedürfnis vergewaltigt zu werden, wäre zu eng; jede Definition, die da sagen würde, der Inhalt des Weibes sei das Kind oder sei der Mann oder sei beides, bereits zu weit. Das allgemeinste und eigentlichste Wesen der Frau ist mit der Kuppelei, d. h. mit der Mission im Dienste der Idee körperlicher Gemeinschaft, vollständig und erschöpfend bezeichnet. Jedes Weib kuppelt; und diese Eigenschaft des Weibes, Gesandte, Mandatarin des Koitusgedankens zu sein, ist auch die einzige, welche in allen Lebensaltern da ist und selbst das Klimakterium überdauert: das alte Weib verkuppelt weiter, nicht mehr sich, sondern die anderen. Wenn man das alte Weib mit Vorliebe als die Kupplerin sich vorgestellt hat, so wurde ein Grund hiefür schon angeführt. Der Beruf der greisen Kupplerin ist nicht etwas, das hinzukommt, sondern eben dies, was jetzt allein heraustritt und übrig bleibt aus den früheren Komplikationen durch das eigene Bedürfnis: das reine Wirken im Dienste der unreinen Idee.

 

Es sei gestattet, hier kurz zu rekapitulieren, was die Untersuchung nach und nach an positiven Resultaten über die Sexualität des Weibes zutage gefördert hat. Es erwies sich zuerst als ausschließlich, und nicht nur in Pausen, sondern kontinuierlich sexuell interessiert; es war körperlich und psychisch in seinem ganzen Wesen nichts als eben die Sexualität selbst. Es wurde dabei überrascht, daß es sich überall, am ganzen Körper und ohne Unterlaß, von allen Dingen ausnahmslos koitiert fühlt. Und wie der ganze Körper des Weibes eine Dépendance seines Geschlechtsteiles war, so offenbart sich nun die zentrale Stellung der Koitus-Idee in seinem Denken. Der Koitus ist das einzige, allerwärts und immer, von der Frau ausschließlich positiv Bewertete; die Frau ist die Trägerin des Gemeinschaftsgedankens überhaupt. Die weibliche Höchstwertung des Koitus ist nicht auf ein Individuum, auch nicht auf das wertende Individuum, beschränkt, sie bezieht sich auf Wesen überhaupt, sie ist nicht individuell, sondern interindividuell, überindividuell, sie ist sozusagen – man sehe mir die Entweihung des Wortes einstweilen nach – die transcendentale Funktion des Weibes. Denn wenn Weiblichkeit Kuppelei ist, so ist Weiblichkeit universelle Sexualität. Der Koitus ist der höchste Wert der Frau, ihn sucht sie immer und überall zu verwirklichen. Ihre eigene Sexualität bildet von diesem unbegrenzten Wollen nur einen begrenzten Teil.

Der männlichen Höchststellung der Schuldlosigkeit und Reinheit aber, deren Erscheinung jene höhere Virginität wäre, welche der Mann aus erotischem Bedürfnis von der Frau wünscht und fordert, diesem nur männlichen Ideale der Keuschheit ist jenes Streben der Frau nach Realisierung der Gemeinschaft so polar entgegengesetzt, daß es unbedingt als ihre eigentliche Natur sogar durch den dichtesten Weihrauch der erotischen Illusion hindurch vom Mann hätte erkannt werden müssen, wenn nicht noch ein Faktor durch sein Dazwischentreten diese Klärung regelmäßig verhindert hätte. Diesen Umstand, der sich immer wieder einschiebt, um der Einsicht des Mannes in das allgemeine und eigentliche Wesen der Weiblichkeit entgegenzuwirken, dieses komplizierteste Problem des Weibes, seine abgründlich tiefe Verlogenheit, gilt es nun aufzuhellen. So schwierig und so gewagt das Unternehmen ist, es muß schließlich zu jener letzten Wurzel führen, aus der wir sowohl die Kuppelei (im weitesten Sinne, in dem die eigene Geschlechtlichkeit nur ihr hervorstechendster Spezialfall ist) als auch diese Verlogenheit, welche die Begierde nach dem Sexualakt immerfort – vor den Blicken des Weibes selbst! – verhüllt, beide unter dem Lichte eines letzten Prinzipes klar werden emporsprießen sehen.

Alles nämlich, was vielleicht schon wie ein sicherer Gewinn erschienen ist, findet sich nun nochmals in Frage gestellt. Den Frauen wurde keine Selbstbeobachtung eingeräumt: es gibt aber sicherlich Weiber, die sehr scharf vieles beobachten, was in ihnen vorgeht. Die Wahrheitsliebe wurde ihnen abgesprochen; und doch kennt man Frauen, die es auf das peinlichste vermeiden, eine Unwahrheit zu sagen. Das Schuldbewußtsein sei ihnen fremd, wurde behauptet, obwohl Frauen existieren, die sich selbst wegen geringfügiger Dinge die heftigsten Vorwürfe zu machen pflegen, obwohl man von Büßerinnen und ihren Körper kasteienden Weibern sichere Nachricht hat. Das Schamgefühl wurde nur dem Manne belassen: aber muß nicht das Wort von der weiblichen Schamhaftigkeit, von jener Scham, die nach Hamerling sogar nur das Weib kennt, in der Erfahrung irgend eine Grundlage haben, die es ermöglichte, ja begünstigte, daß die Dinge so gedeutet würden? Und weiter: Religiosität könnte dem Weibe fehlen trotz allen »religieuses«? Strenge Sittenreinheit bei ihm ausgeschlossen sein, aller tugendhaften Frauen ungeachtet, von denen Lied und Geschichte melden? Bloß sexuell sollte das Weib sein, die Sexualität allein bei ihm Anwert finden, wo es doch mannigfach bekannt ist, daß Frauen wegen der geringsten Anspielung auf sexuelle Dinge empört sein können, sich, statt zu kuppeln, oft erbittert und angeekelt wegwenden von jedem Orte der Unzucht, ja nicht selten den Koitus auch für ihre Person verabscheuen und ihm viel gleichgültiger gegenüberstehen als irgend ein Mann?

Es ist wohl offenbar, daß es sich in all diesen Antinomien um eine und dieselbe Frage handelt, von deren Beantwortung die letzte und endgültige Entscheidung über das Weib abhängt. Es ist klar, daß, wenn auch nur ein einziges sehr weibliches Wesen innerlich asexuell wäre, oder in einem wahrhaften Verhältnis zur Idee sittlichen Eigenwertes stünde, alles, was hier von den Frauen gesagt wurde, seine Allgemeingültigkeit als psychisches Charakteristikum ihres Geschlechtes sofort unrettbar verlieren müßte, und somit die ganze Position des Buches mit einem Schlage vollkommen hinfällig würde. Jene scheinbar widersprechenden Erscheinungen müssen befriedigend erklärt, und es muß von ihnen gezeigt werden, daß, was ihnen wirklich zu Grunde liegt und so leicht zu Äquivokationen verführt, derselben weiblichen Natur entspricht, die bisher überall nachgewiesen werden konnte.

Man muß zunächst an die ungeheuere Beeinflußbarkeit, besser, nur schlechter zu sprechen, Beeindruckbarkeit der Frauen sich erinnern, um zum Verständnis jener trügerischen Widersprüche zu gelangen. Diese außerordentliche Zugänglichkeit für Fremdes und die leichte Annahme der Ansichten anderer ist in diesem Buche bis jetzt noch nicht genügend gewürdigt worden. Ganz allgemein schmiegt sich W an M vollständig an, wie ein Etui an die Kleinodien in ihm, seine Anschauungen werden die ihren, seine Lieblingsneigungen teilen sich ihr mit wie seine ganz individuellen Antipathien, jedes Wort von ihm ist für sie ein Ereignis, und zwar um so stärker, je mehr er sexuell auf sie wirkt. Diesen Einfluß des Mannes empfindet die Frau nicht als eine Ablenkung von der Linie ihrer eigenen Entwicklung, sie erwehrt sich seiner nicht als einer fremdartigen Störung, sie sucht sich nicht von ihm zu befreien als von einem Eingriff in ihr inneres Leben, sie schämt sich nicht, rezeptiv zu sein: im Gegenteil, sie fühlt sich nur glücklich, wenn sie es sein kann, verlangt vom Manne, daß er sie, auch geistig, zu rezipieren zwinge. Sie schließt sich immer nur gerne an, und ihr Warten auf den Mann ist nur das Warten auf den Augenblick, wo sie vollkommen passiv sein könne.

Aber nicht nur vom »richtigen« Manne (wenn schon von ihm am liebsten), auch von Vater und Mutter, Onkeln und Tanten, Brüdern und Schwestern, nahen Verwandten und fernen Bekannten übernehmen die Frauen, was sie glauben und denken, und sind es froh, wenn in ihnen eine Meinung geschaffen wird. Noch die erwachsenen und verheirateten Frauen, nicht nur die unreifen Kinder, ahmen einander in allem und jedem, als ob das natürlich wäre, nach, von einer geschmackvolleren Toilette oder Frisur, einer Aufsehen erregenden Körperhaltung angefangen bis auf die Geschäfte, in denen sie einkaufen, und die Rezepte, nach welchen sie kochen. Auch dieses gegenseitige Kopieren geschieht ohne das Gefühl, sich hiedurch etwas zu vergeben, wie es wohl sein müßte, besäßen sie eine Individualität, die nur rein ihrem eigenen Gesetze zu folgen strebt. So setzt sich der theoretische Bestand des weiblichen Denkens und Handelns der Hauptsache nach aus Überkommenem und wahllos Übernommenem zusammen, das von den Frauen um so eifriger ergriffen und um so dogmatischer festgehalten wird, als ein Weib eine Überzeugung nie selbsttätig aus objektiver Anschauung der Dinge gewinnt, und also auch nie nach geändertem Aspekte frei aufgibt, nie selbst noch über seinen Gedanken steht, vielmehr immer nur will, daß ihm eine Meinung beigebracht werde, die es dann zähe festhalten könne. Darum sind die Frauen am unduldsamsten, wo ein Verstoß gegen sanktionierte Sitten und Gebräuche sich ereignet, mögen diese Institutionen welchen Inhaltes immer sein. Einen angesichts der Frauenbewegung besonders ergötzlichen Fall dieser Art will ich nach Herbert Spencer mitteilen. Wie bei vielen Indianerstämmen Nord- und Südamerikas, so gehen auch bei den Dakotas die Männer bloß der Jagd und dem Kriege nach und haben alle niedrigen und mühevollen Beschäftigungen auf ihre Weiber gewälzt. Von der Natürlichkeit und Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens sind die Frauen, statt irgend sich unterdrückt zu fühlen, allmählich so durchdrungen worden, daß ein Dakota-Weib dem anderen keinen größeren Schimpf antun und keine ärgere Kränkung bereiten kann, als diese: »Schändliche Frau .... ich habe Deinen Mann Holz in seine Wohnung tragen sehen zum Feueranzünden. Wo war seine Frau, daß er genötigt war, sich selbst zum Weibe zu machen?«

60Ich verweise vor allem auf den Schluß des 9. Kapitels.
61Kapitel 13.
62Die eine scheinbare Ausnahme, die es hievon gibt, findet noch in diesem Kapitel eine gründliche Erörterung.