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Geschlecht und Charakter

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X. Kapitel.
Mutterschaft und Prostitution

Der Haupteinwand, welcher gegen die bisherige Darstellung wird erhoben werden, bezieht sich auf die Allgemeingültigkeit des Gesagten für alle Frauen. Bei einigen, bei vielen möge das zutreffen; aber es gebe doch auch andere …

Es lag ursprünglich nicht in meiner Absicht, auf spezielle Formen der Weiblichkeit einzugehen. Die Frauen lassen sich nach mehreren Gesichtspunkten einteilen, und gewiß muß man sich hüten, das, was von einem extremen Typus gilt, der zwar überall nachweisbar ist, aber oft durch das Vorwalten gerade des entgegengesetzten Typus bis zur Unmerklichkeit zurückgedrängt wird, von der Allgemeinheit der Frauen in gleicher Weise zu behaupten. Es sind mehrere Einteilungen der Frauen möglich, und es gibt verschiedene Frauencharaktere; wenn auch das Wort Charakter hier nur im empirischen Verstande angewendet werden darf. Alle Charaktereigenschaften des Mannes finden merkwürdige, zu Amphibolien oft genug Anlaß bietende Analoga beim Weibe (einen interessanten Vergleich dieser Art zieht später dieses Kapitel); doch ist beim Manne der Charakter stets auch in die Sphäre des Intelligiblen getaucht, und dort mächtig verankert; hieraus wird denn die früher (S. 104) gerügte Vermischung der Seelenlehre mit der Charakterologie, und die Gemeinsamkeit im Schicksale beider, wieder eher begreiflich. Die charakterologischen Unterschiede unter den Frauen senden ihre Wurzeln nie so tief in den Urboden hinab, daß sie in die Entwicklung einer Individualität einzugehen vermöchten; und es gibt vielleicht gar keine weibliche Eigenschaft, die nicht im Laufe des Lebens, unter dem Einfluß des männlichen Willens, in der Frau modifiziert, zurückgedrängt, ja vernichtet werden könnte.

Was es unter ganz gleich männlichen oder ganz gleich weiblichen Individuen noch für Unterschiede geben möge, diese Frage hatte ich bisher mit Bedacht aus dem Spiele gelassen. Keineswegs, weil mit der Zurückführung psychologischer Differenzen auf das Prinzip der sexuellen Zwischenformen mehr gewonnen gewesen war als ein Leitfaden unter tausenden auf diesem verschlungensten aller Gebiete: sondern aus dem einfachen Grunde, weil jede Kreuzung mit einem anderen Prinzipe, jede Erweiterung der linearen Betrachtungen ins Flächenhafte, störend gewirkt hätte bei diesem ersten Versuche einer gründlichen charakterologischen Orientierung, der weiter kommen wollte als bis zur Ermittelung von Temperamenten oder Sinnestypen.

Die spezielle weibliche Charakterologie soll einer besonderen Darstellung vorbehalten bleiben; aber schon diese Schrift ist nicht ohne Hinblick auf individuelle Differenzen unter den Frauen abgefaßt, und ich glaube so den Fehler falscher Verallgemeinerung vermieden, und bisher nur solches behauptet zu haben, was unterschiedslos von allen gleich weiblichen Frauen in gleicher Weise und gleicher Stärke gilt. Nur auf W ganz allgemein ist es bisher angekommen. Da man aber meinen Darlegungen vornehmlich einen Typus unter den Frauen entgegenhalten wird, ergibt sich die Notwendigkeit, bereits hier ein Gegensatzpaar aus der Fülle herauszugreifen.

Allem Schlechten und Garstigen, das ich den Frauen nachgesagt habe, wird das Weib als Mutter gegenübergestellt werden. Dieses erfordert also eine Besprechung. Seine Ergründung kann aber niemand in Angriff nehmen, ohne zugleich den Gegenpol der Mutter, welcher die für das Weib diametral konträre Möglichkeit verwirklicht zeigt, heranzuziehen; weil nur hiedurch der Muttertypus eine deutliche Abgrenzung erfährt, nur so die Eigenschaften der Mutter von allem Fremden scharf sich abheben können.

Jener der Mutter polar entgegengesetzte Typus ist die Dirne. Die Notwendigkeit gerade dieser Gegenüberstellung läßt sich ebensowenig deduzieren, wie daß Mann und Weib einander entgegengesetzt sind; wie man dies nur sieht und nicht beweist, so muß man auch jenes erschaut haben, oder es in der Wirklichkeit wiederzufinden trachten, um sich zu überzeugen, ob diese dem Schema sich bequem einordnet. Auf jene Restriktionen, die vorzunehmen sind, komme ich noch zu sprechen; einstweilen seien die Frauen betrachtet als stets von zwei Typen, einmal mehr vom einen, ein andermal mehr vom anderen etwas in sich tragend: diese Typen sind die Mutter und die Dirne.

Man würde diese Dichotomie mißverstehen, wenn man sie von einer populären Entgegensetzung nicht unterschiede. Man hat oft gesagt, das Weib sei sowohl Mutter als Geliebte. Den Sinn und Nutzen dieser Distinktion kann ich nicht recht einsehen. Soll mit der Qualität der Geliebten das Stadium bezeichnet werden, welches der Mutterschaft notwendig vorhergeht? Dann kann es keinerlei dauernde charakterologische Eigentümlichkeit bezeichnen. Und was sagt denn der Begriff »Geliebte« über die Frau selbst aus, als daß sie geliebt wird? Fügt er ihr wirklich eine wesentliche, oder nicht vielmehr eine ganz äußerliche Bestimmung zu? Geliebt werden mag sowohl die Mutter als die Dirne. Höchstens könnte man mit der »Geliebten« eine Gruppe von Frauen haben umschreiben wollen, die ungefähr in der Mitte zwischen den hier bezeichneten Polen sich aufhielte, eine Zwischenform von Mutter und Dirne; oder man hält es einer ausdrücklichen Feststellung für bedürftig, daß eine Mutter zum Vater ihrer Kinder in einem anderen Verhältnis stehe als zu ihren Kindern selbst, und Geliebte eben sei, insoferne sie sich lieben läßt, d. h. dem Liebenden sich hingibt. Aber damit ist nichts gewonnen, weil dies beide, Mutter wie Prostituierte, gegebenenfalls in formal gleicher Weise tun können. Der Begriff der Geliebten sagt gar nichts über die Qualitäten des Wesens aus, das geliebt wird; wie natürlich, denn er soll nur das erste zeitliche Stadium im Leben einer und derselben Frau andeuten, an welches sich später als zweites die Mutterschaft schließt. Da also der Zustand der Geliebten doch nur ein accidentielles Merkmal ihrer Person ist, wird jene Gegenüberstellung ganz unlogisch, indem die Mutterschaft auch etwas Innerliches ist und nicht bloß die Tatsache anzeigt, daß eine Frau geboren hat. Worin dieses tiefere Wesen der Mutterschaft besteht, wird eben Aufgabe der jetzigen Untersuchung.

Daß Mutterschaft und Prostitution einander polar entgegengesetzt sind, ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit allein schon aus der größeren Kinderzahl der guten Hausmütter, indes die Kokotte immer nur wenige Kinder hat, und die Gassendirne in der Mehrzahl der Fälle überhaupt steril ist. Es ist wohl zu beachten, daß nicht das käufliche Mädchen allein dem Dirnentypus angehört, sondern sehr viele unter den sogenannten anständigen Mädchen und verheirateten Frauen, ja selbst solche, die gar nie die Ehe brechen, nicht, weil die Gelegenheit nicht günstig genug ist, sondern weil sie selbst es nicht bis dahin kommen lassen. Man stoße sich also nicht an der Verwendung des Begriffes der Dirne, der ja erst noch zu analysieren ist, in einem viel weiteren Umfange als einem, der bloß auf feile Weiber sich erstreckt. Überdies könnte der Dirnentypus auch dann zum Ausdruck kommen, wenn bloß ein Mann und ein Weib auf der Welt wären, denn er äußert sich bereits in dem spezifisch verschiedenen Verhalten zum einzelnen Manne.

Schon die Tatsache der geringeren Fruchtbarkeit enthöbe mich der Pflicht einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Ansicht, welche ein, notwendigerweise tief im Wesen eines Menschen gegründetes Phänomen, wie die Prostitution, ableiten will aus sozialen Mißständen, aus der Erwerbslosigkeit vieler Frauen, und daraufhin spezielle Anklagen gegen die heutige Gesellschaft erhebt, deren männliche Machthaber in ihrem ökonomischen Egoismus den unverheirateten Frauen die Möglichkeit eines rechtschaffenen Lebens so erschwerten; oder auf das Junggesellentum rekurriert, das ebenfalls angeblich nur materielle Gründe habe, und zu seiner notwendigen Ergänzung nach der Prostitution verlange. Oder soll doch angeführt werden: daß die Prostitution nicht bloß bei ärmlichen Gassendirnen zu suchen ist; daß wohlhabende Mädchen zuweilen sich aller Vorteile ihres Rufes begeben, und ein offenes Flanieren auf der Straße versteckten Liebschaften vorziehen – denn zur richtigen Prostitution gehört die Gasse —; daß viele Stellen in Geschäftsläden, in der Buchhaltung, im Post-, Telegraphen- und Telephondienste, wo immer eine rein schablonenmäßige Tätigkeit beansprucht wird, mit Vorliebe an Frauen vergeben werden, weil W viel weniger differenziert und eben darum bedürfnisloser ist als M, der Kapitalismus aber lange vor der Wissenschaft das weggehabt hat, daß man die Frauen ihrer niedrigeren Lebenshaltung wegen auch schlechter bezahlen dürfe. Übrigens findet selbst die junge Dirne, weil sie teueren Mietzins zu zahlen, eine nicht gewöhnliche Kleidung zu tragen und den Souteneur auszuhalten hat, meist nur sehr schwer ihr Auskommen. Wie tief der Hang zu ihrem Leben in ihnen wurzelt, das bezeugt die häufige Erscheinung, daß Prostituierte, wenn sie geehelicht werden, wieder zu ihrem früheren Gewerbe zurückkehren. Die Prostituierten sind ferner vermöge unbekannter, aber offenbar in einer angeborenen Konstitution liegender Ursachen gegen manche Infektionen oft immun, denen »rechtschaffene Frauen« meist unterliegen. Schließlich hat die Prostitution immer bestanden und ist mit den Errungenschaften der kapitalistischen Ära keineswegs relativ gewachsen, ja, sie gehörte sogar zu den religiösen Institutionen gewisser Völker des Altertums, z. B. der Phönizier.

Die Prostitution kann also keineswegs als etwas betrachtet werden, wohin erst der Mann die Frau gedrängt hat. Oft genug wird sicherlich ein Mann die Schuld tragen, wenn ein Mädchen ihren Dienst verlassen mußte und sich brotlos fand. Daß aber in solchem Falle zu etwas gegriffen werden kann, wie es die Prostitution ist, muß in der Natur des menschlichen Weibes selbst liegen. Was nicht ist, kann auch nicht werden. Dem echten Manne, den materiell noch öfter ein widriges Schicksal trifft, und welcher Armut intensiver empfindet als das Weib, ist gleichwohl die Prostitution fremd, und männliche Prostituierte (unter Kellnern, Friseurgehilfen etc.) sind immer vorgerückte sexuelle Zwischenformen. Demnach ist die Eignung und der Hang zum Dirnentum ebenso wie die Anlage zur Mutterschaft in einem Weibe organisch, von der Geburt an vorhanden.

 

Damit soll aber nicht gesagt sein, jedes Weib, das zur Dirne wird, sei mit ausschließlich innerer Notwendigkeit dazu geworden. Es stecken vielleicht in den meisten Frauen beide Möglichkeiten, sowohl die Mutter als die Dirne; nur die Jungfrau – man entschuldige; ich weiß, es ist rücksichtslos gegen die Männer – nur die Jungfrau, die gibt es nicht. Worauf es in solchen Schwebefällen ankommt, das kann nur der Mann sein, der ein Weib zur Mutter zu machen auf jeden Fall durch seine Person imstande ist; nicht erst durch den Koitus, sondern durch ein einmaliges Anblicken. Schopenhauer bemerkt, der Mensch müsse sein Dasein streng genommen von dem Augenblick datieren, da sein Vater und seine Mutter sich ineinander verliebt hätten. Das ist nicht richtig. Die Geburt eines Menschen müßte, im idealen Falle, in den Augenblick verlegt werden, wo eine Frau ihn, den Vater ihres Kindes, zum ersten Male erblickt oder auch nur seine Stimme hört. Die biologische und medizinische Wissenschaft, die Züchtungslehre und die Gynäkologie verhalten sich freilich, seit über sechzig Jahren, unter dem Einflusse von Johannes Müller, Th. Bischoff und Ch. Darwin, der Frage des »Versehens« oder »Verschauens« gegenüber beinahe durchaus ablehnend. Es wird im weiteren eine Theorie des Versehens zu entwickeln versucht werden; hier möchte ich nur soviel bemerken, daß die Sache denn doch vielleicht nicht so steht, daß es kein Versehen geben dürfe, weil es mit der Ansicht sich nicht vertrage, daß bloß Samenzelle und Ei das neue Individuum bilden helfen; sondern es gibt ein Versehen, und die Wissenschaft soll trachten, es zu erklären, statt es als schlechterdings unmöglich in Abrede zu stellen, und zu tun, als ob sie in erfahrungswissenschaftlichen Dingen je über so viel Erfahrung verfügen könnte, um eine solche Behauptung aufstellen zu dürfen. In einer apriorischen Disziplin, wie der Mathematik, darf ich es ganz ausgeschlossen nennen, daß auf dem Planeten Jupiter 2 × 2 = 5 sei; die Biologie kennt nur Sätze von »komparativer Allgemeinheit« (Kant). Wenn ich hier für das Versehen eintreten und in seiner Leugnung eine Beschränktheit erblicken muß, will ich doch keineswegs behauptet haben, daß alle sogenannten Mißbildungen, oder auch nur ein sehr großer Teil derselben in ihm ihren Grund haben. Es kommt vorläufig nur auf die Möglichkeit einer Beeinflussung der Nachkommenschaft ohne den Koitus mit der Mutter an. Und da möchte ich zu sagen wagen46: so wie sicherlich, wenn Schopenhauer und Goethe in der Farbenlehre einer Meinung sind, sie schon darum a priori gegen alle Physiker der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft recht haben dürften, ebenso wird etwas, das für Ibsen (»Frau vom Meer«) und Goethe (»Wahlverwandtschaften«) Wahrheit ist, noch nicht falsch durch das Gutachten sämtlicher medizinischer Fakultäten der Welt.

Der Mann übrigens, von dem eine so starke Wirkung auf die Frau erwartet werden könnte, daß ihr Kind auch dann ihm ähnlich würde, wenn es nicht aus seinem Samen sich entwickelt hat, dieser Mann müßte die Frau sexuell in äußerst vollkommener Weise ergänzen. Wenn demnach solche Fälle nur sehr selten sind, so liegt dies an der Unwahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens so vollständiger Komplemente, und darf keinen Einwand gegen die prinzipielle Möglichkeit solcher Tatsachen bilden, wie sie Goethe und Ibsen dargestellt haben.

Ob aber eine Frau jenen Mann trifft, der sie durch seine bloße Gegenwart zur Mutter seines Kindes macht, das ist Zufallssache. Insofern ist für viele Mütter und Prostituierte wohl die Denkbarkeit zuzugeben, daß sich ihre Lose umgekehrt hätten gestalten können. Aber anderseits gibt es nicht nur zahllose Beispiele, in welchen auch ohne diesen Mann die Frau im Mutter-Typus verbleibt, sondern es kommen ebenso zweifellos Fälle vor, wo dieser eine Mann auftritt, und doch auch sein Erscheinen die schließliche, endgültige Wendung zur Prostitution nicht zu hindern vermag.

Es bleibt demnach nichts übrig, als zwei angeborene, entgegengesetzte Veranlagungen anzunehmen, die sich auf die verschiedenen Frauen in verschiedenem Verhältnis verteilen: die absolute Mutter und die absolute Dirne. Zwischen beiden liegt die Wirklichkeit: es gibt sicherlich kein Weib ohne alle Dirneninstinkte (viele werden das leugnen und fragen, woran denn das Dirnenhafte in vielen Frauen erkennbar sei, die nichts weniger als Kokotten zu sein scheinen; ich verweise diesbezüglich einstweilen nur auf den Grad der Bereitschaft und Willigkeit, sich von irgendwelchem Fremden unzüchtig berühren und diesen an sich anstreifen zu lassen; legt man diesen Maßstab an, so wird man finden, daß es keine absolute Mutter gibt). Ebensowenig aber existiert ein Weib, das aller mütterlichen Regungen bar wäre; obgleich ich gestehen muß, außerordentliche Annäherungen an die absolute Dirne viel öfter gefunden zu haben als solche Grade von Mütterlichkeit, hinter denen alles Dirnenhafte zurücktritt.

Das Wesen der Mutterschaft besteht, wie schon die erste und oberflächlichste Analyse des Begriffes ergibt, darin, daß die Erreichung des Kindes der Hauptzweck des Lebens der Mutter ist, indessen bei der absoluten Dirne dieser Zweck für die Begattung gänzlich in Wegfall gekommen scheint. Eine eingehendere Untersuchung wird also vor allem zwei Dinge in Betracht ziehen und sehen müssen, wie sich Dirne und Mutter zu beiden verhalten: die Beziehung einer jeden zum Kinde, und ihre Beziehung zum Koitus.

Zunächst scheiden sich beide, Mutter und Dirne, durch der ersteren Verhältnis zum Kinde. Der absoluten Dirne liegt nur am Manne, der absoluten Mutter kann nur am Kinde gelegen sein. Prüfstein ist am sichersten das Verhältnis zur Tochter: nur wenn sie diese gar nie beneidet wegen größerer Jugend oder Schönheit, ihr nie die Bewunderung im geringsten mißgönnt, die sie bei den Männern findet, sondern sich vollständig mit ihr identifiziert und des Verehrers ihrer Tochter sich so freut, als wäre er ihr eigener Anbeter, nur dann ist sie Mutter zu nennen.

Die absolute Mutter, der es allein auf das Kind ankommt, wird Mutter durch jeden Mann. Man wird finden, daß Frauen, die in ihrer Kindheit eifriger als die anderen mit Puppen spielten, bereits als Mädchen Kinder sehr liebten und gerne warteten, dem Manne gegenüber wenig wählerisch sind, sondern bereitwillig den ersten besten Gatten nehmen, der sie halbwegs zu versorgen imstande und ihren Eltern und Verwandten genehm ist. Wenn ein solches Mädchen aber, gleichgültig durch wen, Mutter geworden ist, so bekümmert es sich, im Idealfalle, um keinen anderen Mann mehr. Der absoluten Dirne hingegen sind, schon als Kind, Kinder ein Greuel; später benützt sie das Kind höchstens als Mittel, um durch Vortäuschung eines, auf Rührung des Mannes berechneten, Idylles zwischen Mutter und Kind, diesen an sich zu locken. Sie ist das Weib, das allen Männern zu gefallen das Bedürfnis hat, und da es keine absolute Mutter gibt, wird man in jeder Frau mindestens noch die Spur dieser allgemeinen Gefallsucht entdecken können, welche nie auch nur auf einen Mann der Welt verzichtet.

Hier nimmt man übrigens eine formale Ähnlichkeit zwischen der absoluten Mutter und der absoluten Kokotte wahr. Beide sind eigentlich in Bezug auf die Individualität des sexuellen Komplementes anspruchslos. Die eine nimmt jeden beliebigen Mann, der ihr zum Kinde dienlich ist, und bedarf keines weiteren Mannes, sobald sie das Kind hat: nur aus diesem Grunde ist sie »monogam« zu nennen. Die andere gibt sich jedem beliebigen Mann, der ihr zum erotischen Genusse verhilft: dieser ist für sie Selbstzweck. Hier berühren sich also die beiden Extreme, wir mögen somit hoffen, einen Durchblick auf das Wesen des Weibes überhaupt von da aus gewinnen zu können.

In der Tat muß ich die allgemeine Ansicht, welche ich lange geteilt habe, völlig verfehlt nennen, die Ansicht, daß das Weib monogam und der Mann polygam sei. Das Umgekehrte ist der Fall. Man darf sich nicht dadurch beirren lassen, daß die Frauen oft lange den Mann abwarten und, wenn möglich, wählen, der ihnen am meisten Wert zu schenken in der Lage ist – den Herrlichsten, Berühmtesten, den »Ersten unter Allen«. Dieses Bedürfnis scheidet das Weib vom Tiere, welches Wert überhaupt nicht, weder vor sich selbst, durch sich selbst (wie der Mann), noch durch einen anderen, vor einem anderen (wie das Weib) zu gewinnen trachtet. Aber nur von Dummköpfen konnte es im rühmenden Sinne hervorgehoben werden, da es doch am sichersten zeigt, wie die Frau alles Eigenwertes entbehrt. Dieses Bedürfnis nun verlangt allerdings nach Befriedigung; es liegt aber in ihm durchaus nicht der sittliche Gedanke der Monogamie. Der Mann ist in der Lage, Wert zu spenden, Wert zu übertragen an die Frau, er kann schenken, er will auch schenken; nie kann er seinen Wert, wie das Weib, als Beschenkter finden. Die Frau sucht also zwar sich möglichst viel Wert zu verschaffen, indem sie ihre Erwählung durch jenen einen Mann betreibt, der ihr den meisten Wert geben kann; der Ehe aber liegen, beim Manne, ganz andere Motive zu Grunde. Sie ist jedenfalls ursprünglich als die Vollendung der idealen Liebe, als eine Erfüllung gedacht, auch wenn es sehr fraglich ist, ob sie so viel je wirklich leisten kann. Sie ist ferner durchdrungen von dem ganz und gar männlichen Gedanken der Treue (die Kontinuität, ein intelligibles Ich voraussetzt). Man wird zwar oft das Weib treuer nennen hören als den Mann; die Treue des Mannes ist nämlich für ihn ein Zwang, den er sich, allerdings im freien Willen und mit vollem Bewußtsein, auferlegt hat. Er wird an diese Selbstbindung oft sich nicht kehren, aber dies stets als sein Unrecht betrachten oder irgendwie fühlen. Wenn er die Ehe bricht, so hat er sein intelligibles Wesen nicht zum Worte kommen lassen. Für die Frau ist der Ehebruch ein kitzelndes Spiel, in welchem der Gedanke der Sittlichkeit gar nicht, sondern nur die Motive der Sicherheit und des Rufes mitsprechen. Es gibt kein Weib, das in Gedanken ihrem Manne nie untreu geworden wäre, ohne daß es aber darum dies auch schon sich vorwürfe. Denn das Weib geht die Ehe zitternd und voll unbewußter Begier ein und bricht sie, da es kein der Zeitlichkeit entrücktes Ich hat, so erwartungsvoll, so gedankenlos, wie es sie geschlossen hat. Jenes Motiv, das einem Vertrage Treue wahren heißt, kann nur beim Manne sich finden; für die bindende Kraft eines gegebenen Wortes fehlt der Frau das Verständnis. Was man als Beispiele weiblicher Treue anführt, beweist hiegegen wenig. Sie ist entweder die lange Nachwirkung eines intensiven Verhältnisses sexueller Folgsamkeit (Penelope) oder dieses Hörigkeitsverhältnis selbst, hündisch, nachlaufend, voll instinktiver zäher Anhänglichkeit, vergleichbar der körperlichen Nähe als Bedingung alles weiblichen Mitleidens (Das Käthchen von Heilbronn).

Die Ein-Ehe hat also der Mann geschaffen. Sie hat ihren Ursprung im Gedanken der männlichen Individualität, die im Wandel der Zeiten unverändert fortdauert; und demnach zu ihrer vollen Ergänzung stets nur eines und desselben Wesens bedürfen kann. Insoweit liegt in dem Plane der Ein-Ehe unleugbar etwas Höheres und findet die Aufnahme derselben unter die Sakramente der katholischen Kirche eine gewisse Rechtfertigung. Dennoch soll hiemit in der Frage »Ehe oder freie Liebe« nicht Partei ergriffen sein. Auf dem Boden irgendwelcher Abweichungen vom strengsten Sittengesetz – und eine solche Abweichung liegt in jeder empirischen Ehe – sind völlig befriedigende Problemlösungen nie mehr möglich: zugleich mit der Ehe ist der Ehebruch auf die Welt gekommen.

Trotzdem kann die Ehe nur vom Manne eingesetzt sein. Es gibt kein Rechtsinstitut weiblichen Ursprungs, alles Recht rührt vom Manne, und nur viele Sitte vom Weibe her (schon darum wäre es ganz verfehlt, das Recht aus der Sitte, oder umgekehrt die Sitte aus dem Recht hervorgehen zu lassen. Beide sind ganz heterogene Dinge). Ordnung in wirre sexuelle Verhältnisse zu bringen, dazu kann, wie nach Ordnung, nach Regel, nach Gesetz überhaupt (im praktischen wie theoretischen) nur der Mann – donna è mobile – das Bedürfnis und die Kraft besessen haben. Und es scheint ja wirklich für viele Völker eine Zeit gegeben zu haben, da die Frauen auf die soziale Gestaltung großen Einfluß nehmen durften; aber damals gab es nichts weniger als Ehe: die Zeit des Matriarchats ist die Zeit der Vielmännerei. —

 

Das ungleiche Verhältnis der Mutter und der Dirne zum Kinde ist reich an weiteren Aufschlüssen. Ein Weib, das vorwiegend Dirne ist, wird auch in ihrem Sohne zunächst dessen Mannheit wahrnehmen und stets in einem sexuellen Verhältnis zu ihm stehen. Da aber kein Weib ganz mütterlich ist, läßt es sich nicht verkennen, daß ein letzter Rest sexueller Wirkung von jedem Sohne auf seine Mutter ausgeht. Darum bezeichnete ich früher das Verhältnis zur Tochter als den zuverlässigsten Maßstab der Mutterliebe. Sicherlich steht anderseits auch jeder Sohn zu seiner Mutter in einer, wenn auch vor den Blicken beider noch so verschleierten, sexuellen Beziehung. In der ersten Zeit der Pubertät kommt dies bei den meisten Männern, bei manchen selbst noch später hin und wieder, aus seiner Zurückdrängung im wachen Bewußtsein, durch sexuelle Phantasien während des Schlafes, deren Objekt die Mutter bildet, zum Vorschein (»Ödipus-Traum«). Daß aber auch im eigentlichsten Verhältnis der echten Mutter zum Kinde noch ein tiefes, sexuelles Verschmolzenheitselement steckt, darauf scheinen die Wollustgefühle hinzudeuten, welche die Frau bei der Laktation so unzweifelhaft empfindet, wie die anatomische Tatsache feststeht, daß sich unter der weiblichen Brustwarze erektiles Gewebe befindet und von den Physiologen ermittelt ist, daß durch Reizung von diesem Punkte aus Zusammenziehungen der Gebärmuttermuskulatur ausgelöst werden können. Sowohl die Passivität, welche für das Weib aus dem aktiven Saugen des Kindes resultiert, als auch der Zustand inniger, körperlicher Berührung während der Spende der Muttermilch stellen eine sehr vollkommene Analogie zum Verhalten des Weibes im Koitus her; sie lassen es begreiflich erscheinen, daß die monatlichen Blutungen auch während der Laktation pausieren, und geben der unklaren, aber tiefen Eifersucht des Mannes schon auf den Säugling ein gewisses Recht. Das Nähren des Kindes ist aber eine durchaus mütterliche Beschäftigung; je mehr eine Frau Dirne ist, desto weniger wird sie ihr Kind selbst stillen wollen, desto schlechter wird sie es können. Es läßt sich also nicht leugnen, daß das Verhältnis Mutter—Kind an sich bereits ein dem Verhältnis Weib—Mann verwandtes ist.

Die Mütterlichkeit ist ferner gleich allgemein wie die Sexualität und den verschiedenen Wesen gegenüber so abgestuft wie diese. Wenn eine Frau mütterlich ist, muß ihre Mütterlichkeit nicht nur dem leiblichen Kinde gegenüber sich offenbaren, sondern auch schon vorher und jedem Menschen gegenüber zum Ausdruck kommen; wenngleich das Interesse für das eigene Kind später alles andere absorbiert und die Mutter im Falle eines Konfliktes durchaus engherzig, blind und ungerecht macht. Am interessantesten ist hier das Verhältnis des mütterlichen Mädchens zum Geliebten. Mütterliche Frauen nämlich sind schon als Mädchen dem Manne gegenüber, den sie lieben, selbst für jenen Mann, der später Vater ihres Kindes wird, Mütter; er ist selbst schon in gewissem Sinne ihr Kind. In diesem Mutter und liebender Frau Gemeinsamen47 offenbart sich uns das tiefste Wesen dieses Weibestypus: es ist der fortlaufende Wurzelstock der Gattung, den die Mütter bilden, das nie endende, mit dem Boden verwachsene Rhizom, von dem sich der einzelne Mann als Individuum abhebt und dem gegenüber er seiner Vergänglichkeit inne wird. Dieser Gedanke ist es, mehr oder weniger bewußt, welcher den Mann selbst das mütterliche Einzelwesen, auch schon als Mädchen, in einer gewissen Ewigkeit erblicken läßt48, der das schwangere Weib zu einer großen Idee macht (Zola). Die ungeheuere Sicherheit der Gattung, aber freilich sonst nichts, liegt in dem Schweigen dieser Geschöpfe, vor dem sich der Mann für Augenblicke sogar klein fühlen kann. Ein gewisser Friede, eine große Ruhe mag in solchen Minuten über ihn kommen, ein Schweigen aller höheren und tieferen Sehnsucht, und er mag so für Momente wirklich wähnen, den tiefsten Zusammenhang mit der Welt durch das Weib gefunden zu haben. Wird er doch beim geliebten Weib dann ebenfalls zum Kinde (Siegfried bei Brünnhilde, dritter Akt); zum Kinde, das die Mutter lächelnd betrachtet, für das sie unendlich viel weiß, dem sie Pflege angedeihen läßt, das sie zähmt und im Zaum hält. Aber nur auf Sekunden (Siegfried reißt sich von Brünnhilde). Denn was den Mann ausmacht, ist ja nur, was ihn von der Gattung loslöst, indem es ihn über sie erhebt. Darum ist die Vaterschaft durchaus nicht die Befriedigung seines tiefsten Gemütsbedürfnisses, darum ist ihm der Gedanke, in der Gattung auf-, in ihr unterzugehen, entsetzlich; und das fürchterlichste Kapitel, in dem trostärmsten unter den großen Büchern der menschlichen Literatur, in der »Welt als Wille und Vorstellung«, das »Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich«, wo diese Unendlichkeit des Gattungswillens als die einzig wirkliche Unsterblichkeit hingestellt ist.

Die Sicherheit der Gattung ist es, welche die Mutter mutig und unerschrocken macht im Gegensatz zur stets feigen und furchtsamen Prostituierten. Es ist nicht der Mut der Individualität, der moralische Mut, der aus der Werthaltung der Wahrheit und der Unbeugsamkeit des innerlich Freien folgt, sondern der Lebenswille der Gattung, welche durch die Einzelperson der Mutter das Kind und selbst den Mann schützt. Wie vom Begriffspaare Mut und Feigheit, so ist auch vom Gegensatz Hoffnung – Furcht die Hoffnung der Mutter, die Furcht der Dirne zugefallen. Die absolute Mutter ist sozusagen stets und in jeder Beziehung »in der Hoffnung«; da sie in der Gattung unsterblich ist, kennt sie auch keine Furcht vor dem Tode, vor dem die Dirne eine entsetzliche Angst hat, ohne im geringsten ein individuelles Unsterblichkeitsbedürfnis zu hegen – ein Beweis mehr, wie falsch es ist, das Begehren nach persönlicher Fortdauer bloß auf die Furcht vor dem körperlichen Tode und das Wissen um diesen zurückzuführen.

Die Mutter fühlt sich dem Manne stets überlegen, sie weiß sich als seinen Anker; indes sie selbst in der geschlossenen Kette der Generationen wohl gesichert, gleichsam den Hafen vorstellt, aus dem jedes Schiff neu ausläuft, steuert der Mann weit draußen allein auf hoher See. Die Mutter ist, im höchsten Alter noch, immer bereit, das Kind zu empfangen und zu bergen; bereits in der Konzeption des Kindes lag psychisch, wie sich zeigen wird, für die Mutter dieses Moment, in der Schwangerschaft tritt das andere des Schutzes und der Nahrung ganz deutlich zu Tage. Dieses Überlegenheitsverhältnis kommt auch vor dem Geliebten zum Vorschein: die Mutter hat Verständnis für das Naive und Kindliche, für die Einfalt im Manne, die Hetäre für seine Feinheiten und sein Raffinement. Die Mutter hat das Bedürfnis, ihr Kind zu lehren, ihm alles zu geben, sei dieses Kind auch der Geliebte; die Hetäre brennt darauf, daß ihr der Mann imponiere, sie will ihm selbst erst alles verdanken. Die Mutter als Vertreterin des Genus, das sich in jedem seiner Angehörigen auswirkt, ist freundlich gegen alle Mitglieder der Gattung (selbst jede Tochter ist in diesem Sinne noch die Mutter ihres Vaters); erst wenn die Interessen der engeren Kinder auf dem Spiele stehen, wird sie, aber dann auch in einem außerordentlichen Grade, exklusiv; die Dirne ist nie so liebreich und nie so engherzig, wie die Mutter es sein kann.

Die Mutter steht ganz unter dem Gattungszweck; die Prostituierte steht außerhalb desselben. Ja die Gattung hat eigentlich nur diesen einen Anwalt, diese eine Priesterin, die Mutter; der Wille des Genus kommt nur in ihr rein zum Ausdruck, während bereits die Erscheinung der Dirne den Beweis dafür liefert, daß Schopenhauers Lehre, es handle sich in aller Sexualität nur um die Zusammensetzung der künftigen Generation, unmöglich allgemein zutreffen kann. Daß es der Mutter nur auf das Leben ihrer Gattung ankommt, wird auch daraus ersichtlich, daß mütterliche Frauen es sind, die gegen Tiere am meisten Härte beweisen. Man muß beobachtet haben, mit welcher unerschütterlichen Ruhe, wie durchdrungen von der Verdienstlichkeit ihres Amtes die gute Hausfrau und Mutter ein Huhn nach dem anderen schlachtet. Denn die Kehrseite der Mutterschaft ist die Stiefmutterschaft; jede Mutter ihrer Kinder ist Stiefmutter aller anderen Geschöpfe.

46Im Hinblick auf die Erörterungen des 8. Kapitels über das größere Ansehen, welches dem tieferen Blick des bedeutenden Geistes gebührt, vor dem jeweiligen Stande der Wissenschaft ().
47Das die größten Dichter erkannt haben. Man denke an die Identifikation der Aase und Solveig am Schlusse von Ibsens »Peer Gynt« und an die Verknüpfung der Herzeleide mit der Kundry in der Verführung des Wagnerschen Parsifal.
48»Ewig war ich, ewig in süß sehnender Wonne, doch ewig zu Deinem Heil« (Brünnhilde zu Siegfried).