Politische Justiz

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 Umfangreiches Material über den Prozess und seine Vorgeschichte mit zahlreichen Dokumenten zu den politischen und gesellschaftlichen Problemen, die ihm zugrunde lagen, findet sich bei Richard Pattee: The Case of Cardinal Aloysius Stepinac, Milwaukee, ohne Jahr {Copyright 1953}. Das Buch steht der Sache des Kardinals freundlich gegenüber, enthält aber auch die wichtigsten Argumente und Beweisstücke der Gegenseite.



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 Pattee: a.a.O., S. 56.



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 A.a.O., S. 237.



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 A.a.O., S. 239.



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 Helmut Heiber: »Der Fall Grünspan«, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 5, S. 134-172 (Heft 2, April 1957), gibt einen ausführlichen Bericht, der sich auf deutsches amtliches und privates Archivmaterial und Befragungen von Personen stützt, die an der Vorbereitung des Verfahrens beteiligt waren. Mr. Gerald Schwab vom State Department, Washington, bin ich für die freundliche Erlaubnis zu Dank verpflichtet, seine der George Washington University vorgelegte, bis jetzt unveröffentlichte Magisterarbeit einzusehen, der viele weitere Archivdokumente zugrunde lagen; für meine Schlussfolgerungen trägt er selbstverständlich keine Verantwortung. Eine Unterredung, die ich 1958 mit Dr. Friedrich Grimm (siehe den folgenden Text und weiter unten

Kapitel VI

, Abschnitt 6) hatte, erbrachte keine zusätzlichen Tatsachen.



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 »Der Vater Herschel Grünspans als Zeuge im Eichmann-Prozeß«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, S-Ausg., Nr. 97, 26. April 1961, S. 5, Sp. 3 ff.



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 Herwig Weber: »Der ›Herr Oberreichsanwalt‹ im Zeugenstand«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, S-Ausg., Nr. 268, 15. November 1960, S. 5, Sp. 2 ff.; We. {Herwig Weber}: »Widersprüchliche Auslagen im Soltikow-Prozeß«, a.a.O., S-Ausg., Nr. 269, 17. November 1960, S. 6, Sp. 4 f.



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 Goebbels-Tagebücher, Mikrofilm in der United States Library of Congress, Eintragung vom 7. April 1942, S. 1747.



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 Über die einzelnen Varianten des Schemas siehe Nathan Leites und Elsa Bernaut: Ritual of Liquidation: The Case of the Moscow Trials

, Glencoe (Ill.), ohne Jahr {Copyright 1954}, »Epilogue«, S. 350-392. Mit Ausnahme des tschechischen waren alle im Text genannten Prozesse öffentlich. In allen Fällen sind amtliche Prozessprotokolle veröffentlicht worden; allerdings ist das tschechische unvollständig.



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 Über N. N. Krestinskij siehe die Veröffentlichung des Volkskommissariats für Justiz der Sowjetunion: Report of Court Proceedings: The Case of the Anti-Soviet Bloc of Rights and Trotskyites, Moskau, 1938, S. 54-59. Über Trajčo Kostov siehe die ebenfalls amtliche Veröffentlichung: Traitscho Kostoff und seine Gruppe, {Ost-}Berlin, 1951, S. 74-81 und 639, die jedoch das Prozessprotokoll offensichtlich lückenhaft wiedergibt; auf S. 385-400 wird versucht, Kostovs Widerruf früherer Geständnisse zu widerlegen.



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 Das galt zum Beispiel eindeutig von Krestinskijs Verhandlungen mit deutschen Militärs; vergleiche Report … The Case of the Anti-Soviet … (siehe vorige Anmerkung), S. 259-264. Über eine ähnliche Situation im Prager Prozess siehe Prozeß gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slansky an der Spitze, Prag, 1953, S. 193; zur Kritik am Prozess vergl. Marcel Péju: »Hier et aujourd’hui: le sens du procès Slansky«, in: Les Temps Modernes, Jahrgang 8, S. 1775-1790 und 2009-2023 (Nrn. 90, Mai, und 91, Juni 1953); Jahrgang 9, S. 139-164 (Nr. 92, Juli 1953).



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 Dazu siehe Leites/Bernaut: Ritual … (siehe oben Anmerkung 102), S. 388 ff.



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 Zeugenaussagen in diesem Sinne in: Laszlo Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, {Ost-}Berlin, 1950, S. 84 und 153, und in: Traitscho Kostoff … (siehe oben Anmerkung 103), S. 151 und 158.



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 Vergleiche Leites/Bernaut: Ritual … (siehe oben Anmerkung 102), S. 391 f.



108

 Über die systematische Durchführung solcher Kontrolluntersuchungen siehe: Not Guilty. Report of the Commission of Inquiry into the Charges Made against Leon Trotsky in the Moscow Trials { John Dewey, Chairman}, New York, 1938.



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 Siehe zum Beispiel Laszlo Rajk … (siehe oben Anmerkung 106), S. 273-278.



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 Hilde Benjamin: »Leninsche Prinzipien des Gerichts«, in: Neue Justiz, Jahrgang XI, S. 673 f. (Nr. 21, 5. November 1957). Auszüge aus dem Ost-Berliner Urteil gegen die oppositionelle SED-Gruppe um Wolfgang Harich lassen erkennen, dass die von Frau Benjamin später formulierte Ansicht auch in diesem Verfahren, das sich leicht hätte zu einem Schauprozess nach dem Moskauer Modell ausbauen lassen, überwogen haben muss; siehe »Die staatsfeindliche Tätigkeit der Harich-Gruppe. Aus dem Urteil des Obersten Gerichts vom 9. März 1957 – 1 Zst (I) 1/57«, in: Neue Justiz, Jahrgang XI, S. 166-170 (Nr. 6, 20. März 1957).



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 Die verschiedenen Beweismittelkategorien in einem politisch orientierten Mordprozess behandelt David D. Bien: The Calas Affair: Persecution, Toleration, and Heresy in Eighteenth-Century Toulouse, Princeton, 1960,

Kapitel 6

.



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 Dazu J. Alistair Cooke: A Generation on Trial. The United States v. Alger Hiss, New York, 1950, S. 161 ff.



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 Le Procès Kravchenko contre les »Lettres Françaises«. Compte-rendu des audiences d’après La sténographie (Pour Servir à l’Histoire de Ce Temps, n° 9), Paris, ohne Jahr {Copyright 1949}, Appendice.



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 Zu welcher Tortur ein Beleidigungsprozess im Scheinwerferlicht der heutigen Publizität werden kann, wusste Harold Laski beredt zu schildern; siehe seine Äußerungen bei Kingsley Martin: Harold Laski, 1893 - 1950, A Biographical Memoir, London, 1953, S. 274.



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 Patrick Hastings: Cases in Court, London, 1949, S. 55 und 71.



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 Vergleiche Marcel Willard: La Défense accuse, 3. Auflage, Paris, 1955, S. 293-312.



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 Polizeibeamte, die solche Heldentaten voller Stolz zugeben, sind allerdings nur selten zu finden. Der Lyoner Politiker und Pariser Polizeichef Louis Andrieux: Les Souvenirs d’un Préfet de Police, Band I, Paris, 1885, S. 101, führt sich selbst als solche Rarität vor: Er habe eine Thiers-Statue in Versailles in die Luft sprengen lassen, um die Untaten der Anarchisten zu beweisen und schärfere Unterdrückungsmaßnahmen gegen sie durchzusetzen. (»Um die Unterdrückung möglich zu machen, musste die Tat vollbracht sein.«) Über ein ähnliches Vorkommnis – die von Andrieux veranlasste polizeiliche Finanzierung des anarchistischen Organs

Révolution Sociale

 – berichtet auch der anarchistische Schriftsteller Jean Grave: Le Mouvement Libertaire sous la 3

e

 République, Souvenirs d’un Révolté, Paris, 1930, S. 192 ff.






Kapitel IV

Gesetzlicher Zwang gegen politische Organisationen



»Mit allen anderen Parteien kann man sich vertragen und unter Umständen paktieren, mit dieser {der Sozialdemokratie} nicht.«



Theodor Mommsen 1884

1



»Dem ebenso falschen wie perfiden Köhlerglauben muß ein Ende gemacht werden, daß die Nation sich teile in Ordnungsparteien und eine Umsturzpartei … Jede Partei ist eine Umsturzpartei.«



Theodor Mommsen 1902

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Welche Art, welche Formen der Behandlung werden von dem jeweils herrschenden Regime feindlichen Gruppen vorbehalten? Sowohl ein Regime, das eine Minderheitsherrschaft vertritt, als auch eine unterdrückte Bevölkerungsmehrheit können in gewissen Grenzen zeitweilige Vorteile darin erblicken, dass sie sich im Rahmen der geltenden Rechtsordnung halten, so ungerecht diese Rechtsordnung vom Standpunkt der Mehrheit auch sein mag. Und den Erfahrungen Europas im 19. Jahrhundert lässt sich entnehmen, dass es ein vergebliches Unterfangen ist, bedeutende Gruppen mit Hilfe diskriminierender Gesetze zu unterdrücken, wenn man gleichzeitig die parlamentarischen Institutionen beibehält und die staatsbürgerlichen Freiheiten unangetastet zu erhalten sucht. Was hier zunächst von Interesse ist, ist einmal die Behandlung einer unzufriedenen und von der Macht ausgeschlossenen Mehrheit durch die herrschende Minderheit, zum andern das Verhalten von Mehrheitsregierungen gegenüber Minderheitsgruppen, die der bestehenden Ordnung eine grundsätzliche Feindschaft entgegenbringen. Für die Überwachung und Beherrschung solcher feindlichen Minderheiten, seien sie nun kleine Gruppen von Dissidenten oder größere Bewegungen, gibt es verschiedene Methoden und technische Verfahren, die ebenso wie die Motive, denen sie entspringen, einer Betrachtung bedürfen. Möglich ist durchaus, dass sich die staatlichen Verteidigungsmaßnahmen auf die Abwehr greifbarer und konkreter Gefahren für die öffentliche Ordnung beschränken und nicht ideologische Konformität anstreben. Es wird sich zeigen, dass solche Zurückhaltung dem Funktionieren einer demokratischen Ordnung zugutekommt.

 



Primär geht es hier darum, dass auch Staatsgebilde, die sich zu rechtsstaatlichen Grundsätzen bekennen und willkürliche Unterdrückung politischer Widersacher zumindest offiziell ablehnen, die organisierte politische Betätigung von Gegnern in dieser oder jener Form unterdrücken oder einschränken. Dass sie im Prinzip die Souveränität des Gesetzes proklamieren, schließt nicht automatisch Diskriminierung und ungleiche Behandlung aus; ebenso wenig wird durch die Anerkennung verbindlicher Rechtsnormen Willkür ausgeschaltet, die sich der Ungleichheit als treue Begleiterin anzuschließen pflegt. Von zentralem Interesse ist in diesem Zusammenhang der gesetzliche Charakter der Maßnahmen, mit denen der politische Spielraum eingeengt wird. Aus jüngster Zeit gibt es da genug Besorgniserregendes und Aufwühlendes. Kann die Beschränkung der politischen Betätigungsmöglichkeit legitim sein? Verneint sie nicht, indem sie diese oder jene Personen oder Verbände der Rechte beraubt, die allen garantiert sind, Sinn und Wesen des Gesetzes? Muss sie nicht mit Notwendigkeit die Fundamente des demokratischen Regierungssystems untergraben? Und anderseits: Sind nicht gesetzliche Beschränkungen und Zwangsmaßnahmen, sofern sie mit den nötigen Rechtsgarantien eingezäunt sind, ein noch erträglicher Preis dafür, dass man einer gesetzlosen und rechtswidrigen Unterdrückung und willkürlichen Repressalien entrinnt?



Worin besteht aber, aus diesem Gesichtswinkel gesehen, der gesetzliche Charakter der Freiheitsbeschneidung? Darin, dass Zuständigkeitsbereiche festgelegt und die Durchführung der Zwangs- und Unterdrückungsmaßnahmen im Einklang mit den politischen Erfordernissen des Regimes auf einzelne Ressorts oder Apparate aufgeteilt werden, liegt nur

ein

 Element der Legalität. Das Hitlersche Reich hatte zwar eine weitgehende Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Ressorts, dem Justizministerium, dem Volksgerichtshof, den Sondergerichten, der Gestapo und der SS.



Das machte aber sein Unterdrückungssystem nicht zu einem Werkzeug des Gesetzes.

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 Etwas anderes muss noch hinzukommen.



Beschränkungs- und Unterdrückungsmaßnahmen können ihrem Wesen nach nicht gesetzlich sein, wenn kein fester Rahmen inhaltlicher und verfahrensmäßiger Normen besteht, die für Regierende und Regierte gleich bindend und beiden dienstbar sind, wenn nicht für den Staatsanwalt und für die Menschen, die er vor Gericht stellt, dieselben Maßstäbe gelten. Die Bemühungen der Staatsgewalt, Widersacher zu bestrafen, müssen von einem Dritten kontrolliert werden können, an den sich jeder wenden kann, von einer Institution, die keine Befehle der Exekutive entgegennimmt, die Pflicht hat, ein geltendes Normensystem anzuwenden, und sich einem gewissen Maß an öffentlicher Kritik nicht entzieht.



Solche rechtlichen und politischen Sicherungen gegen den Missbrauch von Unterdrückungsbefugnissen können sich natürlich als unzulänglich erweisen und am Ende vielleicht nur noch ambivalent funktionieren. Es kann sein, dass weder die Exekutive noch die Gerichte genug Energie und Willenskraft übrig haben, um die Legalität gegen übermächtige gesellschaftliche Explosivkräfte aufrechtzuerhalten. Ob von der Vollzugsgewalt gefördert oder lediglich von ihr toleriert, kann nackte Gewalt so sehr um sich gegriffen haben und die Autorität der Gerichte so geschwächt worden sein, dass über das Schicksal derer, die sich den herrschenden Tagesströmungen widersetzen oder von ihnen bedrängt werden, außerhalb der Sphäre der Gesetzlichkeit entschieden wird. Haben sie den Anschluss an eine Entwicklung verpasst, von der eine entscheidende Kräfteverlagerung in der Gesellschaft ausgeht, so werden sie vergebens darauf hoffen, dass das Gesetz, weil es doch alle schützen sollte, die seine Schranken nicht missachten und sich seiner Mechanismen bedienen, auch ihnen Schutz gewähren werde; es wird dafür gesorgt worden sein, dass die mit der Vollstreckung der Gesetze Betrauten die Augen zudrücken oder in eine andere Richtung schauen.



Wenn die Legalität nicht bloß kurzfristig auf Urlaub geschickt wird, sondern aus den Ferien überhaupt nicht mehr zurückkommt und der Zustand der Gesetzlosigkeit zur Regel wird, weicht das System gesetzlicher Beschränkungen einer ganz anderen Unterdrückungsweise. Solange aber die Schutzvorkehrungen – und sei es noch so unvollkommen – funktionieren und solange die Machthaber aus Interesse und ideologischer Sympathie in der Rechtsordnung etwas erblicken, was mit derselben Autorität für die Herrschenden und für die Beherrschten zu gelten habe, besteht die Aussicht, dass sich Zwangsmaßnahmen gegen feindliche Kräfte im gesetzlichen Rahmen halten werden. Welche Veränderungen, die unter Umständen zu seiner Selbstzerstörung führen können, dies politisch-rechtliche Gefüge durchmacht, soll im Folgenden skizziert werden; die Skizze ist allerdings fragmentarisch und behandelt nur die Rechtsform eines politischen Wandels, dessen Wurzeln bis in die Tiefen des gesellschaftlichen Seins reichen.








1. Minderheitsdiktat: Wert und Unwert der Legalität





Der gesetzliche Charakter von Unterdrückungsmaßnahmen ist kein Beweis dafür, dass sie von einer Regierung ausgehen, die ihr Mandat von einer demokratisch herrschenden Mehrheit erhalten hat. In der langen Periode des Übergangs vom Absolutismus zur demokratischen Ordnung hat so manche Regierung, die an eine Verfassung gebunden war und sich ehrlich zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit bekannte, immer wieder versucht, den Fortschritt der Demokratisierung mit Unterdrückungsgesetzen aufzuhalten, die im organisierten Ausdruck demokratischer Bestrebungen strafbare Umsturzversuche sahen und solche Betätigung schlechterdings untersagten. Das Gesetz also sollte die legale Herrschaft einer Minderheit vor der Gefahr behüten, von der Herrschaft der Mehrheit auf legale Weise abgelöst zu werden.



Diese Praxis war im 19. Jahrhundert in halbkonstitutionellen Monarchien oft, in kolonialen Gebieten durchgängig anzutreffen. Eine kleine Minderheit von Kolonisatoren erklärte sich zum legal konstituierten politischen Gebilde, das seine Herrschaft über die überwältigende Mehrheit der einheimischen Bevölkerung ausüben durfte. Die Eingeborenen galten als rückständig und noch nicht reif zur Teilnahme an einer demokratisch gebildeten Regierung. Ihnen wurde jede Vertretung im Parlament verweigert; Ausnahmen gab es günstigstenfalls für kleine privilegierte Gruppen. Jeder Versuch, diese Schranke zu durchbrechen, wurde mit Hilfe des Gesetzes unterdrückt.



In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es nur noch wenige Überreste der Kolonialherrschaft, die an das System der gesetzlichen Knebelung der Mehrheit zwecks Verewigung einer Minderheitsherrschaft erinnern. (Totalitäre Systeme, die auf der Herrschaft einer einzigen Partei und auf der völligen Unterdrückung jeglicher anders gerichteten politischen Tätigkeit beruhen, gehören nicht in diesen Zusammenhang.) Aber solche Überreste haben sich durchaus erhalten. Die traditionelle Philosophie der kolonialen Unterdrückung hat ihr Gepräge nicht geändert. Immer noch gibt es die These, dass Wohlstand und Sicherheit für alle nur zu gewährleisten seien, wenn das Leben der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung von einer legal auf den Thron gehobenen Minderheit geregelt werde.



So wird zum Beispiel die gesetzlich garantierte Herrschaft der Weißen in der Südafrikanischen Union begründet. Noch 1952 hat der Ministerpräsident der Union in einem Schreiben an den Südafrikanischen Nationalkongress dessen Verlangen nach parlamentarischer Vertretung und nach Wiederherstellung der Freiheiten und demokratischen Rechte mit der Begründung abgelehnt, dass die Hoffnung des Kongresses auf eine allmähliche Entwicklung der Union zu einem gemeinsamen Staat von Menschen verschiedener Hautfarbe »notwendigerweise zu einer Katastrophe für alle Gruppen der Bevölkerung führen« müsse.

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 Eine solche Lösung, meinte er, werde gerade die Bantus die vollen Auswirkungen der freien Konkurrenz verspüren lassen und ihnen am Ende den Grund und Boden nehmen, der ihnen unter dem geltenden Rechtssystem gesichert sei.

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 Die Herrschenden wollen nicht Unterdrücker, sondern Schutzengel der unterworfenen Mehrheit sein, und natürlich wird dieser Anspruch von den beiden führenden politischen Organisationen der farbigen Bevölkerung, dem Südafrikanischen Nationalkongress und dem Südafrikanischen Inderkongress, entschieden bestritten. Indes ist bisher jeder Wandel daran gescheitert, dass die weiße Minderheit die Wirtschaft und den staatlichen Zwangsapparat fest in ihrer Hand hält. Die Mehrheit war lange Zeit zu apathisch, zu zersplittert und zu sehr von allen Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten, als dass sie eine andere Lösung hätte erzwingen können. Die Rechtsordnung, die im Dienst der Minderheit steht, hat allen Angriffen und Anfechtungen der fortgeschrittenen Teile der Mehrheit standgehalten.



Gleichwohl ist hinter den durchsichtigen Machtverhältnissen die Schutzfunktion der Rechtsordnung, auch wenn sie durch und durch ungerecht ist, immer noch erkennbar. Dieser Schutzfunktion dienen eher die verfahrensmäßigen Aspekte der Rechtsordnung als ihr Inhalt. Allerdings wird das grundlegende Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, das auch für die Rassenbeziehungen nicht formal aufgehoben ist, durch neue gesetzliche Bestimmungen immer mehr durchbrochen. Die letzten Schlupflöcher, die sich dadurch erhielten, dass die Gerichte den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verteidigen,

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 werden damit auch zugestopft. Aber eben hier macht sich die Schutzfunktion der Rechtsordnung bemerkbar. Dass sich die Gerichte mit der Ungleichheit der Rassen abfinden müssen, heißt immer noch nicht, dass sie der Willkür Tür und Tor öffnen. Gewaltakte der Polizei können, wenn sie ans Tageslicht kommen, von den Gerichten eingedämmt werden. Bis zu einem gewissen Grad beeinflussen die höheren Gerichte die Ortsrichter, die in ihren richterlichen und Verwaltungsfunktionen auf zweierlei Hindernisse stoßen: Einerseits sind sie dem gesellschaftlichen Druck der Weißen ausgesetzt, anderseits durch die Anwendung der schikanösen Gesetze, die auf Schritt und Tritt in die Lebensbedingungen und die Freizügigkeit der nichtweißen Bevölkerung eingreifen, schwer überlastet.

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 Die Zahl der Strafverfolgungsfälle gegen Angehörige der farbigen Bevölkerung ist außerordentlich hoch.

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 Sie wäre wahrscheinlich noch höher, wenn Verstöße gegen die Ausweispflichtbestimmungen nicht in vielen Fällen, sofern kein Einspruch erhoben wird, durch eine Art Arbeitszwang polizeilich geahndet würden.

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Die Richter der Appellationsgerichte versuchen, sich an verfahrensmäßige Garantien und Normen zu halten. Obwohl das den Unterdrückungscharakter der herrschenden Gesellschaftsordnung nicht zu ändern vermag, werden Gewalt und Brutalität durch die Klarstellung und Auslegung der Rechtsbegriffe, um die sich die höheren Gerichte bemühen, in gewisse Schranken gewiesen. Während das Parlament Gesetze macht, wie sie die Regierung wünscht, üben die Gerichte, wenn sie sagen, wie das Gesetz zu verstehen sei, einen einigermaßen mäßigenden Einfluss aus.

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 Es gibt viele Fälle, in denen die Gerichte die Auswirkungen der scharfen behördlichen Kontrolle der Gewerkschaftsarbeit unter den Nichtweißen einschränken.

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So kamen 1955 nur (!) 75 Gewerkschaftsfunktionäre, darunter 35 Europäer, 21 schwarze Afrikaner, 12 Mischlinge und 7 Asiaten, auf die »Liquidationsliste«, was Verbot jeglicher öffentlicher Betätigung und erzwungenen Austritt aus allen Organisationen, in denen der »Liquidierte« aktiv war, bedeutet; dagegen wurden vom selben Schicksal 529 Funktionäre anderer Organisationen betroffen, darunter 198 Europäer, 237 schwarze Afrikaner, 54 Mischlinge und 40 Asiaten.

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Vermutlich wissen die Menschen, die für die Avantgarde der unterdrückten Mehrheit sprechen, nicht genau, in welchem Maße sie mit der Gefolgschaft der breiten Massen rechnen können. Das ist wohl der Grund, weswegen sie sich lange damit begnügten, die von der herrschenden Minderheit erlassenen Vorschriften nur symbolisch zu verletzen. Gelegentlich kündigten sie sogar den Behörden den geplanten Verstoß im Voraus an; so wurde zum Beispiel der Plan, in einen den Weißen vorbehaltenen Wartesaal einzudringen, der Polizei offiziell gemeldet.

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 Die Behörden konnten ihre Vorkehrungen treffen und die strafbare Ungehorsamshandlung in engen Grenzen halten. Das verringerte aber auch das politische Risiko für die Urheber der Ungehorsamsaktion: Allzu umfangreiche Aktionen dieser Art hätten Bumerangwirkungen auslösen können. Mangelnde Publizität, Angst, Unverständnis für die Tragweite der Aktion und die eingefleischte Gewohnheit, den weißen Behörden zu gehorchen, hindern Sympathisierende oft daran, den Parolen des Nationalkongresses Folge zu leisten; anderseits könnten undisziplinierte und unkontrollierbare Massen den Appell der Führung nur zu gut befolgen, und bei Gesetzübertretungen großen Stils wäre es möglich, dass sich die Behörden nicht mehr mit legaler Unterdrückung der Gegner, das heißt Einzelverhaftungen und Einzelprozessen, die eine Verurteilung ohne konkretes Belastungsmaterial ausschließen, begnügten, sondern zur allgemeinen Verfolgung wirklicher oder vermeintlicher, organisierter und unorganisierter Widersacher übergingen. Die staatliche Rechtsordnung beschützte die »umstürzlerische« Mehrheit insofern, als sie die in der vorsätzlichen demonstrativen Verletzung der Unterdrückungsgesetze beschlossenen Risiken genau umriss und damit einengte.



Eindeutige Vorteile sicherte das gesetzliche Unterdrückungssystem aber auch der herrschenden weißen Minderheit. Sie konnte die Schritte der organisierten Opposition in gewissem Umfang voraussehen und abwehren. Für den gesetzlichen Schutz, der den Angehörigen der Mehrheit noch gewährt wurde, erwartete die Regierung eine Gegenleistung: Die Mehrheit sollte um größerer Dinge willen darauf verzichten, zu offener Gewalt aufzurufen (passiver Ungehorsam war etwas anderes), ja sogar die größte Energie entfalten, um Gewaltakte zu verhindern.

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Die günstigen Seiten der Beibehaltung eines gewissen Rechtsgefüges machen aber auch das äußerst labile Gleichgewicht sichtbar, auf dem dies Gefüge beruht. Die Führer der Mehrheit wollten bei all ihren Aktionen auf dem Boden der Legalität bleiben, weil sie mit einem Massenreservoir potentieller Anhänger rechneten, aus denen sie mit der Zeit eine zuverlässige und disziplinierte Gefolgschaft zu machen hofften; das sollte durch Erziehungsarbeit und durch die Einbeziehung der Massen in immer größere Ungehorsamskampagnen gegen einzelne Aspekte der Minderheitsherrschaft erreicht werden: Eines Tages hätte man es dann mit der scheinbar unbesiegbaren Macht der Minderheit, die sich noch auf die bessere Organisation, Technik und Bildung stützt, aufnehmen können. Umgekehrt duldeten die Führer der herrschenden Minderheit die Legalität, die sie zugleich als Deckmantel benutzten, weil sie auf die Beständigkeit der vorhandenen gesellschaftlichen Vorkehrungen vertrauten: Es schien möglich, die wichtigsten gesellschaftlichen und organisatorischen Abwehrwaffen gegen die Machtergreifung der Mehrheit auch weiterhin in gesetzliche Formen einzuhüllen.



Eine Verringerung der grundlegenden Spannungen war unter diesen Umständen vom System der gesetzlichen Zwangsmaßnahmen schwerlich zu erwarten. Die Ära des »Stellungskrieges« versprach auch für die Zukunft keine stabilen oder wirksameren Formen der Zusammenarbeit. Da wurde ein Krieg von Kräften geführt, denen die Wahl der Waffen durch das gegebene, aber seinem Wesen nach vergängliche Stärkeverhältnis vorgeschrieben schien. Bei einer fühlbaren Schwächung der Position der Minderheit musste eine Wendung unvermeidlich werden, sofern die Mehrheit keine Kompromissbereitschaft mehr zeigte; das wäre vom Standpunkt der Herrschenden das Ende der Unterdrückung mit gesetzlichen Mitteln und der Zwang, zu stärkeren, nachhaltigeren, weniger an das Gesetz gebundenen Herrschaftsmitteln zu greifen; sofern die Gerichte immer noch im Namen von Menschen mit Vorbehalten gegenü

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