Zwischen meinen Inseln

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Brisbane, 2. Dezember 1915

Ich habe mich wieder einmal mit Olga und Helen getroffen, in einem Café. Ich musste mich unbedingt aussprechen, sie sind ja auch ein wenig schuld daran, dass ich John B. Altsmith kennengelernt habe. Es tat gut, auch wenn alle Ratschläge ohnehin Dinge sind, zu deren Schluss ich schon selbst gekommen bin. Es ist einfach wichtig, es auch von anderen zu hören. Die beiden haben mir angeboten, dass ich jederzeit mit ihnen darüber sprechen könnte, aber wenn ich ehrlich bin, möchte ich das Kapitel John B. Altsmith nun doch endlich abschließen.

Brisbane, 15. Dezember 1915

Die Halbinsel Gallipoli im östlichen Mittelmeer wird sich den Australiern und Neuseeländern einprägen. In den letzten Monaten gab es immer wieder Berichte über Kämpfe, bei denen so furchtbar viele Soldaten gefallen sind. Jetzt musste Gallipoli sogar geräumt werden, ob es zu weiteren Invasionsversuchen kommt, ist ungewiss.

Brisbane, 26. Dezember 1915

Wir haben uns auch in diesem Jahr wieder das Krippenspiel angesehen. Die Hühner hatten sie diesmal nicht mitgebracht, dafür waren es zwei Esel, die sich aber ständig gebissen haben. Tom hat sich alles ganz aufmerksam angesehen. Ich habe mich mit einer anderen Mutter unterhalten, die mit ihren beiden Söhnen da war. Der Jüngere ist in Toms Alter. Die Frau erzählte mir, dass sie ihren Sohn schon im nächsten April in die Vorschule geben wollte. Ich habe mir über die Schule noch gar keine Gedanken gemacht. Die Vorschule ist aber auch keine richtige Schule, es ist eher eine Spielgruppe. Die Kinder spielen unter Aufsicht von Gouvernanten. Ich frage mich, ob das für Tom nicht zu früh ist. Ich werde mit Vater darüber reden.

1916
Brisbane, 19. Januar 1916

Es ist schon ein ordentliches Taschengeld für meine Übersetzungen zusammengekommen. Nach den Briefen zu urteilen, wird die Angelegenheit in Chile wohl bald abgeschlossen sein. Ich hoffe nur, dass ich dann weitere Aufträge erhalte. Ich habe natürlich erwähnt, dass sie mich weiter empfehlensollen, auch weil ich in diesem Jahr mein Studium abschließen werde.

Brisbane, 11. Februar 1916

Das Jahr hat kaum richtig begonnen und ich habe schon so viel erreicht. Mit meiner Schule bin ich zwar erst im September fertig, aber ich habe schon eine Anstellung im französischen Konsulat. Ich arbeite auch bereits zwei Tage die Woche. Ich übersetze Schriftstücke, über deren Inhalt ich meistens nicht sprechen darf. Es sind keine Geheimdokumente, obwohl es um den Krieg in Europa geht. Die richtig geheimen Dokumente bekomme ich natürlich nicht zu sehen, so vermute ich es zumindest. Bei meinen Texten geht es um Bestellungen für Lazarette, um Verbandsmaterial, Bettwäsche oder Medikamente. Dann noch um Maschinen, die Frankreich braucht und die von Australien nach Europa geliefert werden sollen. Natürlich bekomme ich mehr über den Krieg mit, als aus den Zeitungen zu erfahren ist. Es ist schon etwas bedrückend. Der Krieg war seit seinem Beginn immer ein Thema für Vater und mich, besonders weil Vater auch einmal Soldat war, weil seine früheren Kameraden oder die Männer, die er befehligt hat, sicherlich in diesem Krieg kämpfen müssen. Zum Glück gibt es auf dem Konsulat auch andere Aufgaben, die ich erledige. Ich übersetzte nämlich auch Zeugnisse und Urkunden von Einwanderern. Das Konsulat beglaubigt die übersetzten Dokumente, damit die Leute ihre Unterlagen auch in englischer Sprache bei den Ämtern und den australischen Arbeitgebern vorlegen können.

Brisbane, 17. Februar 1916

Über die Vorfälle in Casula war in den vergangenen Tagen überall zu lesen. Im Courier habe ich einen Artikel gefunden und ich muss sagen, dass ich anderer Meinung bin. Unzufriedene Rekruten haben einige Pubs verwüstet und einen Eisenbahnzug gestürmt. Die Zerstörungen sind natürlich eine Unmöglichkeit. Wir befinden uns im Krieg und jeder muss Opfer bringen und die harte Ausbildung, über die die Zeitungen berichten und die zum Unmut geführt hat, kommt den Soldaten doch später zugute, wenn sie in Europa kämpfen müssen. Hier stimme ich noch überein. Ich bin aber empört, dass wir es nötig haben, einen unserer eigenen Männer zu erschießen. Unsere Feinde lachen uns doch aus, wenn wir uns gegenseitig töten. Selbst ein einziger Toter ist da zu viel.

Brisbane, 29. Februar 1916

Ich hatte eigentlich vor, zu meinem Geburtstag nach Hawaii zu reisen, um Vater dort zu besuchen. Aus der schönen Reise wird nichts. Vater hat mir abgesagt, aber nicht, weil er mich nicht sehen will, sondern weil er selbst noch vor dem 17. März zurückkehrt. Die Gründe hat er mir in einem kurzen Telegramm mitgeteilt, aber ich habe es noch nicht richtig verstanden. Ich bin schon etwas enttäuscht. Tom und ich wollten vier Wochen auf Hawaii bleiben. Es wäre die letzte freie Zeit gewesen, die ich vor meinen großen Prüfungen gehabt hätte. Wenn ich nicht verreise, wenn ich in Brisbane bleibe, werde ich mich ohnehin nur mit meinen Büchern beschäftigen. Ich muss mir etwas anderes überlegen, eine andere Reise. Ich habe mir fest vorgenommen, erst Anfang Juni mit dem Lernen zu beginnen.

Brisbane, 2. März 1916

Um Weihnachten herum habe ich das erste Mal von der Vorschule gehört. Ich habe mich entschieden, Tom noch nicht dorthin zu schicken. Ich war aber heute einmal dort, um mir den Unterricht anzusehen. Die Klasse mit den Vier- bis Fünfjährigen wird seit einem Monat unterrichtet. Die Lehrerin hat mir gezeigt, was sie alles mit den Kindern unternimmt. Auf dem Lehrplan steht auch das Lesenlernen. Die Vorschule ist privat und es besteht keine Schulpflicht. Ich möchte, dass Tom erst im nächsten Jahr in einen solchen Unterricht geht, um dann in einem weiteren Jahr die richtige Schule zu besuchen. Was ich aber in jedem Fall schon vorher mit ihm lernen möchte, ist das Lesen. Vater soll mir dabei helfen.

Brisbane, 20. März 1916

An meinem Geburtstag haben wir nicht über den Krieg gesprochen, jetzt müssen wir es wieder. Unsere Truppen wurden nach Frankreich geschickt. Was schreibe ich da, die australischen Truppen wurden geschickt, um unser Heimatland zu verteidigen, so muss es lauten, aber mein Herz schlägt natürlich für beide Nationen und ich will nicht nachdenken, für welche es stärker schlägt.

Brisbane, 15. April 1916

Australische und neuseeländische Truppen kämpfen von Ägypten aus in Palästina. Ich wusste gar nicht, dass Jerusalem seit Jahrhunderten im Besitz der Türken ist.

Brisbane, 27. April 1916

Olga hat mir heute Fotos aus Russland gezeigt. Jeder kann ihren russischen Akzent heraushören, er ist viel, viel schlimmer als mein Französischer. Auf den Bildern gab es so furchtbar viel Schnee zu sehen. Olga vermisst den Schnee manchmal und das Schlittenfahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man für alle seine Erledigungen mit einem Schlitten fährt, dass auf jedem Weg, über Meilen hinweg, genug Schnee liegt, sodass eine Kutsche überhaupt keine Räder braucht. In Sankt Petersburg ist dies im Winter möglich. Wir haben uns Sankt Petersburg im Atlas angesehen, es ist so furchtbar weit von Australien entfernt. Es liegen ganze Kontinente und Ozeane zwischen Sankt Petersburg und Brisbane.

Brisbane, 7. Mai 1916

Für Tom waren natürlich die Spielsachen das Wichtigste, aber ich habe ihm zu seinem Geburtstag auch eine Schiefertafel geschenkt. Auf der Tafel will ich ihm die Buchstaben des Alphabets aufschreiben und er soll sie nachschreiben. Ich war ja schon einmal Lehrerin. Ich möchte, dass Tom noch in diesem Jahr alle Buchstaben kennt und sie auch schreiben kann.

Brisbane, 11. Mai 1916

Die Anwaltskanzlei hat über ihren chilenischen Mandanten neue Mandanten bekommen, was auch mir neue Aufträge eingebracht hat. Ich glaube nicht, dass ich in ein paar Jahren, wenn ich den Beruf erst einmal lange genug ausübe, noch über solche Kleinigkeiten schreibe. Jetzt ist es aber allemal erwähnenswert.

Brisbane, 20. Mai 1916

Bisher habe ich immer am Küchentisch gelernt und gearbeitet. Vater hat mir jetzt einen richtigen Schreibtisch geschenkt, mit Schubfächern und mit jeder Menge Platz für Papier und Stifte und meine Bücher. Wir haben in meinem Schlafzimmer etwas aufgeräumt und den Kleiderschrank verschoben. Der Schreibtisch passt gut hinein und steht jetzt vor dem Fenster. Der Arbeitsplatz ist richtig gemütlich. Ich werde mir aber wohl endlich eine Tagesdecke für mein Bett kaufen müssen, gerade jetzt, wo ich mich öfter als sonst in dem Raum aufhalte.

Brisbane, 1. Juni 1916

Vieles gibt es über den Krieg in Europa nicht zu berichten. So weit vom Geschehen entfernt ist die Sicht doch recht oberflächlich und unpatriotisch. Ich weiß, dass der Feind noch immer in Frankreich steht. Der Begriff »Stehen« ist hier wohl sehr angebracht, wie auch Vater meint, denn es werden keine neuen Eroberungen gemacht und es sind auch keine weiteren Gebietsverluste hinzunehmen. Dies gilt für alle Kriegsparteien. Wir hoffen natürlich, dass Frankreich und England siegen können. Vater hat nie in einem Krieg für Frankreich gekämpft, obwohl er solange Soldat war. Ich habe den Schrecken des Krieges bislang nur als Unbeteiligte erfahren. Ich kenne nämlich niemanden, keinen Freund, keinen Bekannten, der in Europa gefallen ist. In Brisbane wird es schon Todesanzeigen aus Europa geben, aber ich habe bislang noch nicht darauf geachtet und so soll es auch bleiben.

 

Brisbane, 10. Juni 1916

In den nächsten Wochen muss ich einfach alles ausblenden und nur noch lernen. Die Prüfungstermine wurden jetzt festgelegt. Ich bin in der Woche vom 21. bis zum 25. August dran. In jeder Sprache drei Prüfungen. Grammatik und Sprachverständnis jeweils schriftlich und Konversation mündlich. Ich werde jetzt von montags bis donnerstags nur noch auf Spanisch und Portugiesisch denken und sprechen und am Freitag und Samstag das Ganze auf Holländisch. Der Sonntag ist dann zur Erholung. Tom wird seine Mutter für verrückt halten, aber ich will mich eben gut vorbereiten. Eigentlich bin ich auch gut gerüstet, ganz besonders in Spanisch, wo ich doch schon seit einem Jahr Briefe übersetze.

Brisbane, 21. Juni 1916

Ich bin froh, dass Mrs. Lovegrove jetzt ganze Tage kommt und sich mit Tom beschäftigt. Sie spielt mit ihm, geht mit ihm in den Park und sie übt mit ihm sogar an der Schiefertafel. Sie kocht auch für uns. Ich brauche mich um nichts zu kümmern. Es kann nicht ewig so gehen, und in ein paar Wochen habe ich ja hoffentlich wieder mehr Zeit.

Brisbane, 3. Juli 1916

Ich habe von Olga ein paar Sätze russisch gelernt. Es interessiert mich einfach. Es ist gar nicht so schwer auszusprechen. Dann hat sie mir allerdings etwas in den russischen Buchstaben aufgeschrieben. Es sind ganz andere Lettern, es nennt sich Kyrillisch, und da wurde die Sache schon komplizierter. Es erinnerte mich ein wenig an die griechischen Buchstaben. Ich muss Olga jetzt bewundern, denn sie beherrscht sowohl das lateinische, als auch das kyrillische Alphabet. Ich möchte mir später unbedingt ein paar russische Redewendungen einprägen.

Brisbane, 20. Juli 1916

Vater hat mir aus Darwin einige holländische Zeitungen besorgt. Es ist eine schöne Abwechslung, weil ich bisher nur Bücher auf Holländisch gelesen habe, vor allem Romane. Die Sprache in der Zeitung ist natürlich ganz anders und es ist eine sehr gute Prüfungsvorbereitung.

Brisbane, 2. August 1916

Seit Montag habe ich nicht gelernt. Vater wollte diese Pause und ich darf auch vor Freitag nicht mehr an meine Bücher denken. Ich habe jetzt jeden Tag lange ausgeschlafen, wir waren mit Tom am Meer, im Park. Ich war auch alleine einkaufen, ich habe alles getan, um nicht ans Lernen zu denken. Ich habe morgen noch frei und dann darf ich mich wieder hineinstürzen.

Brisbane, 14. August 1916

Ich habe mich heute mit meinen Kommilitonen getroffen. Sie fiebern wie ich den Prüfungen entgegen. Es war sehr gut, mit einigen Leidensgefährten zu sprechen. Wir sind natürlich gleich auf den Lernstoff gekommen und darauf, wie jeder lernt. Ich habe festgestellt, dass ich schon sehr fleißig war. Ich habe dann auch nicht weiter über mein wöchentliches Pensum gesprochen. Vielleicht war es später dann doch zu viel und es schadet mir am Ende mehr als es genutzt hat.

Brisbane, 20. August 1916

An diesem Sonntag wurde ich verwöhnt. Ich habe lange geschlafen, mir wurde das Frühstück gemacht und später auch ein schönes Mittagessen. Mrs. Lovergrove ist abends gekommen und hat auf Tom aufgepasst, während Vater mich ins Kino eingeladen hat. Wir sind mit Bedacht etwas später gegangen, um die Nachrichtenfilme nicht sehen zu müssen. Ich wollte heute Abend nur fröhliche Dinge anschauen. Es lief dann auch ein lustiger Film, mit Wettrennen, Tortenschlachten und komischen Verwechselungen. Ich habe das heute Abend gebraucht, denn morgen früh um acht sitze ich in einem Klassenzimmer und schreibe an meiner ersten Prüfung.

Brisbane, 23. August 1916

Ich bin guter Dinge. Die schriftlichen Prüfungen liegen hinter mir. Das Mündliche wurde noch kurzfristig von heute auf morgen verschoben, was auch ganz gut ist. Ich muss durchschnaufen, kurz meine Kräfte sammeln, aber ich darf meine Hochform nicht verlieren, meine Spannung. Bis morgen wird es halten und dann werde ich auch die letzte Hürde genommen haben.

Brisbane, 6. September 1916

Vater und ich haben wieder einmal über die Landkarten geschaut. Wir haben uns die Orte angesehen, an denen Australier und natürlich auch Neuseeländer kämpfen, in Frankreich und in Palästina. Schon lange sind die Kämpfe auf Neuguinea vorüber. In Ozeanien haben wir die Deutschen schon besiegt, es wird Zeit, dass die Alliierten jetzt auch in Europa gewinnen und den Krieg beenden.

Brisbane, 23. September 1916

Ich habe einen Brief vom College erhalten, es war ganz spannend. Ich habe die Prüfungen bestanden, alle. In wenigen Tagen gibt es die Zeugnisse, dann stehen auch die Zensuren fest. Mit der Urkunde kann ich dann auch offiziell als Übersetzerin arbeiten. Zu einer richtigen Dolmetscherin, die auch im Staatsdienst arbeiten kann, fehlen mir allerdings noch ein paar weitere Prüfungen, aber ich hatte mich ja ohnehin nicht für diesen Beruf entschieden.

Brisbane, 6. Oktober 1916

Ich möchte jetzt gerne mit meinem Beruf Geld verdienen. Bisher habe ich ja eigentlich nur ein Taschengeld bekommen, für die Übersetzungen, die ich für die Anwaltskanzlei gemacht habe. Ich muss wohl auch meine Preise erhöhen, zumindest ein wenig, denn ich bin jetzt ja eine geprüfte Übersetzerin. Einige meiner Kommilitonen haben Anzeigen aufgegeben und ihre Dienste angeboten. Vater meinte aber, die beste Werbung sei die Empfehlung, nur dazu muss ich erst einmal jemanden haben, der mich weiterempfiehlt. Ich werde wohl doch auch eine Anzeige aufgeben.

Brisbane, 18. Oktober 1916

Heute gab es endlich die Zeugnisse und damit auch die Prüfungsnoten. In Französisch und Englisch habe ich in allen Kategorien ein »A« bekommen, alles andere wäre auch eine Enttäuschung gewesen. Ich will es abkürzen, in Spanisch gerade noch ein »A«, in Portugiesisch leider nur ein »B« und in Holländisch gerade noch ein »B«, aber auch nur, weil ich mich in der Prüfung ans Dolmetschen gewagt habe und es recht gut hinbekommen habe. Eine Gesamtnote habe ich nicht bekommen, weil die einzelnen Sprachen für sich stehen. Ich bin jedenfalls zufrieden und überglücklich.

Brisbane, 3. November 1916

Vater nimmt seinen Wanderstock auf jede Reise mit und er muss oft erzählen, woher er ihn bekommen hat, denn die Leute bewundern das gute Stück. Vater erklärt dann immer, dass es polynesische Handwerkskunst sei, dass die Verzierungen ihre Bedeutung haben und Vater erfindet auch kleine Geschichten und flunkert und amüsiert seine Zuhörer damit. Der Wanderstock glänzt noch, als wäre er eben erst gefertigt worden. Es gibt keinen Kratzer auf dem Schaft und auch kaum irgendwelche Gebrauchsspuren. Ich weiß, aus welchem Holz Onoo den Stock gemacht hat und dass er über dem Feuer extra gehärtet wurde. Er hat ihn versiegelt, ein Verfahren, das er von seinen Ahnen gelernt hat, zumindest tat Onoo damals sehr geheimnisvoll und es bestätigt sich ja auch. Vater wollte schon längst seine Initialen und die Jahreszahl in den Schaft des Stockes einsetzen lassen. Er ist jetzt zu einem Graveur gegangen, der sich über den ungewöhnlichen Auftrag gewundert hat. Es war wohl nicht so einfach, aber der Graveur hat schließlich doch gute Arbeit geleistet. Die Buchstaben »V.A.J.« und die Jahreszahl »1911« wurden unterhalb des Griffes in den Schaft eingraviert. Es waren die größten Buchstaben und Ziffern, die der Graveur aufzubieten hatte. Es soll Vater immer daran erinnern, wann er den Wanderstock von Onoo geschenkt bekommen hat. Mich erinnert das Jahr an etwas anderes.

Brisbane, 19. November 1916

Ich habe lange nach meinem Anhänger gesucht, den mit Onoos Perle darin. Ich trage ihn schon länger nicht mehr, aber ich stecke ihn mir immer ins Kleid, wenn ich das Haus verlasse. Die übrige Zeit liegt er dann auf meinem Nachttisch. Der Anhänger war aber weder im Kleid noch im Mantel. Ich habe ihn nirgends gefunden, nicht hinter dem Nachttisch, und auch nicht zwischen meinen Kleidern, am Boden des Schrankes, nirgends. Vater meinte dann, ich solle alle Möbel abrücken und das nicht nur in meinem Zimmer. Hinter der Garderobe habe ich ihn dann auch tatsächlich gefunden. Ich habe sofort nach der Kette gesucht, die zum Glück gut verwahrt in meinem Schmuckkästchen lag. Ich habe den Anhänger wieder aufgezogen und nun trage ich meine Perle ständig bei mir. Tom kam dazu und er hat mich das erste Mal gefragt, was das für ein Anhänger sei. Ich habe ihm dann die Perle seines Vaters gezeigt. Er hat sie mit seinem kleinen Zeigefinger berührt. Ich werde Tom von seinem Vater erzählen, nicht heute und auch nicht morgen, aber ich werde es machen.

Brisbane, 12. Dezember 1916

In den letzten Wochen habe ich mich mit der Schule im Bundesstaat Queensland beschäftigt. Es entspricht eigentlich dem englischen Schulsystem, welches ich natürlich auch nicht kenne. Ich kenne nur das Lycée de Tahiti, das dort von der katholischen Mission geleitet wird. In Queensland beginnt es mit der Grundschule für die ersten sechs Jahre. Im Alter von zwölf gehen die Schüler dann noch mindestens zwei Jahre auf die Oberschule. Die Abgänger können sich dann einen Lehrberuf suchen, werden mit vierzehn oder fünfzehn Büroboten, Schlosser- oder Klempnerlehrlinge oder sonst etwas. Die Oberschule kann aber auch bis zur zwölften Klasse besucht werden. Wer so weit kommt, kann mit dem Abschluss auf den staatlichen Colleges und Universitäten studieren und dann Arzt, Rechtsanwalt oder Ingenieur werden. So weit denke ich für Tom noch nicht. Ich habe auch erfahren, dass viele Kinder nur die Grundschule besuchen und dass es auf dem Land auch Gebiete gibt, in denen sehr wenige der Kinder überhaupt die Schule besuchen. Hier in Brisbane soll es dies aber nicht geben, hier soll angeblich jedes Kind mindestens acht Jahre die Schule besuchen. Ich muss überlegen, wie lange ich überhaupt zur Schule gegangen bin. Die Missionsschule auf Tahiti war ja eigentlich eine Privatschule und es wurde auch nicht in Schuljahren gerechnet. Wir haben nach einer Unterrichtszeit immer die Prüfungen gemacht, wie sie auch die Schüler in Frankreich machen mussten und dann war die Schule vorüber, aber ich habe ja auf Nuku Hiva und Ua Huka an den dortigen Missionsschulen selbst unterrichtet, als Hilfslehrerin. Für Tom wird dies alles anders aussehen, wir leben in einer Großstadt, er wird die Grundschule und die Oberschule besuchen und natürlich vorher noch für ein Jahr die private Vorschule. Nach den Sommerferien wird es im Februar soweit sein.